L 3 R 4930/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 468/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 4930/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. September 2008 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 07. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2006 der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01. April 2009 bis 31. März 2012 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.12.2005 hinaus streitig.

Die am 05.05.1961 geborene Klägerin hat von 1978 bis 1981 eine Ausbildung als Hotel- und Gaststättengehilfin absolviert und war anschließend - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - bis zum 03.06.1992 versicherungspflichtig beschäftigt.

Nach der Geburt ihres Sohnes am 08.07.1992 wurden ihrem Versicherungskonto Pflichtbeiträge wegen Kindererziehung vom 01.07.1992 bis 31.07.1995 gutgeschrieben. Vom 09.10.1995 bis 03.09.1996 wurden für die Klägerin Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit entrichtet. Von April bis Juni 1999 und von Juni 2000 bis April 2001 übte sie eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung aus.

Nach Erkrankung der Klägerin an Colitis ulcerosa und einem systemischen Lupus Erythematodes (SLE) bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 08.01.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.02.2002 bis 31.07.2003. Den hiergegen mit dem Antrag auf Gewährung einer Dauerrente eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2002 zurück. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Heilbronn (S 3 RJ 1984/02) bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.07.2001 bis zum 31.12.2005.

Am 06.09.2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag auf Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.12.2005 hinaus.

Nach Einholung aktueller Befundberichte der behandelnden Ärzte veranlasste die Beklagte die gutachterliche Untersuchung der Klägerin. Im Gutachten vom 05.10.2005 stellte der Sachverständige Dr. Barton folgende Diagnosen:

1. Chronisch entzündliche Darmerkrankung (Colitis ulcerosa totalis), weitgehende Remission ohne Therapie. 2. Lupus erythematodes disseminatus (LED) mit Nierenbeteiligung und Gelenkschmerzen, ohne medikamentöse Therapie in weitgehender Remission. 3. Chronische Autoimmunhepatitis, ohne medikamentöse Therapie in Vollremission. 4. Sekundäres Cushing-Syndrom nach hochdosierter Cortisontherapie. 5. Bluthochdruck bei Übergewicht. 6. Allergische Veranlagung, anamnestisch Neurodermitis, derzeit Remission.

Die Klägerin habe innerhalb von vier Jahren drei chronische und schwerwiegende Erkrankungen aus dem Bereich der Autoimmunkrankheiten erworben, die eine hochdosierte Cortisonbehandlung erforderlich gemacht und dadurch ein sekundäres Cushing-Syndrom mit Stammfettsucht und typischem Gesichtsaspekt verursacht hätten. Nach Einstellung jeder spezifischen medikamentösen Therapie sei bezüglich aller drei Erkrankungen eine weitestgehende Remission eingetreten. Die Klägerin könne ab sofort mittelschwere Tätigkeiten wieder vollschichtig ausüben. Sie sei auch als Hotelfachfrau und als Verkaufsfahrerin vollschichtig einsatzfähig.

Mit Bescheid vom 07.10.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2006, auf den Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.02.2006 Klage zum SG erhoben und u.a. eine achtzehnseitige Liste über medizinische Behandlungen seit 1979 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Facharzt für Gynäkologie Dr. Z. hat mitgeteilt, aus gynäkologischer Sicht sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin kaum beeinträchtigt. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. hat die Diagnosen Lupus erythematodes, Colitis ulcerosa, cortisonindizierte Symptome, Cushing-Symptomatik, Haarausfall, Insomnie, klimakterisch vorgezogene Symptomatik, Hautallergien sowie Restless-legs-Syndrom mitgeteilt und die Auffassung vertreten, die Klägerin könne maximal 2,5 Stunden pro Tag arbeiten. Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel seien der imperative Stuhlgang sowie eine zunehmende Schmerzsymptomatik im Muskel- und Gelenkbereich bei körperlicher Belastung problematisch. Der Facharzt für Chirurgie und Lymphologie Dr. B. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme die Diagnosen eines beidseitigen Lympholipödems, eines Lupus erythematodes und eines Antiphospholipidsyndroms mitgeteilt. Leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung könne die Klägerin vollschichtig verrichten. Der Internist Dr. M. hat die Diagnosen eines SLE (Erstmanifestation 10/99), einer Colitis ulcerosa (Erstdiagnose 1998), eines Verdachts auf essentielle Hypertonie, eines Fibromyalgie-Syndroms (Erstdiagnose 10/2005), einer anamnestisch antibiotika-assoziierten Diarrhoe, Hypercholesterinämie sowie ein Glaukom genannt. Eine Tätigkeit als Hotelfachfrau im Service könne die Klägerin nicht mehr ausüben, da die hierbei erforderlich statische Muskelarbeit zu einer erheblichen Verschlimmerung der Fibromyalgie führen würde. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin noch ca. 6 Stunden täglich verrichten. In einem Arztbrief vom 30.08.2006 hat Dr. M. ausgeführt, aufgrund der aktuellen Labor- und klinischen Befunde bestehe weiterhin kein Hinweis auf ein Rezidiv der Grunderkrankung. Im Vordergrund stünden eine ausgeprägte depressive Reaktion und Beschwerden im Sinne einer Fibromyalgie. Nach erster Einnahme von Citalopram seien Übelkeit und Durchfall aufgetreten. In einem weiteren Arztbrief vom 07.12.2006 hat er ausgeführt, hinsichtlich der Grunderkrankung des SLE bestünden erfreulicherweise weder klinisch noch bei der Laboruntersuchung irgendwelche Aktivitätshinweise. Eine immunsuppressive Therapie sei auch weiterhin nicht erforderlich. Der Facharzt für Orthopädie Dr. D. hat angegeben, bei der Klägerin bestünden häufige BWS-Schmerzen, die der vollschichtigen Ausübung leichter körperlicher Tätigkeiten jedoch nicht entgegenstünden. Der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. hat unter dem 28.08.2006 mitgeteilt, die Klägerin stehe seit dem 11.04.2006 in seiner Behandlung. Er habe die Diagnose einer Anpassungsstörung mit Angst und Depression gemischt gestellt. Aufgrund der psychiatrischen Symptomatik bestehe keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Der Hautarzt Dr. Salzer hat mitgeteilt, er habe die Klägerin von 2001 bis letztmals am 16.04.2003 behandelt. Es habe ein gering- bis mittelgradiges Lymphödem sowie ein diffuser Haarausfall vorgelegen. Eine relevante Leistungseinschränkung habe aufgrund der von ihm diagnostizierten Erkrankungen nicht bestanden. Der Hautarzt Dr. A. hat mitgeteilt, es bestehe seit Jahrzehnten eine Neurodermitis, weshalb keine Feuchtarbeit durchgeführt werden sollte. Der Facharzt für Neurologie Dr. F. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 06.01.2007 eine mäßiggradige Karpaltunnelsymptomatik beidseits sowie die Diagnose eines Restless-legs-Syndroms mitgeteilt und die Auffassung vertreten, auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bestehe derzeit keine wesentliche Einschränkung der quantitativen Belastbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Das SG hat Dr. R., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 06.06.2007 hat dieser die Diagnosen eines diskreten Karpaltunnelsyndroms links sowie einer vielschichtigen Persönlichkeitsakzentuierung gestellt. Eine generalisierte organ-neurologische Störung bei beklagter Fibromyalgie könne ausgeschlossen werden. Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Eine Tätigkeit als Kellnerin sei ihr nicht mehr zumutbar.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Dr. L. mit der Erstellung eines internistisch-rheumatologischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 10.08.2007 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2008 hat dieser ausgeführt, bei der Klägerin bestünden auf internistischem Gebiet umfangreiche, sich allerdings zum Teil überlappende Erkrankungen im Sinne eines SLE. Daneben bestehe eine entzündliche Darmerkrankung im Sinne einer Colitis ulcerosa, die zumindest im Stuhlgangsbereich noch zu massiven Funktionseinbußen führe. Nach den Angaben der Klägerin bestehe die Stuhlfrequenz zwei- bis zehnmal pro Tag. Weiter habe sich eine - beim SLE fast obligate - chronische Schmerzerkrankung entwickelt, die zunehmend die Symptomatik der Klägerin bestimme. Diese könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen nur noch 4 bis 5 Stunden täglich ausüben.

Dieser Beurteilung ist der Prüfarzt der Beklagten Dr. U. in der Stellungnahme vom 23.11.2007 entgegengetreten.

Die Klägerin hat weiter einen Arztbrief des Facharztes für Nervenheilkunde Dipl.-Psych. C. vom 26.11.2007 vorgelegt, in welchem über eine seit 2 Jahren bestehende depressive Verstimmung berichtet wird.

Mit Urteil vom 29.09.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Darmerkrankung und die Autoimmunhepatitis hätten sich im Oktober 2005 in Vollremission befunden. Auch hinsichtlich des SLE habe eine weitgehende Remission vorgelegen. Auch die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet bedingten keine wesentliche Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. Schließlich habe auch der Sachverständige Dr. L. keine internistischen, neurologischen oder rheumatologischen Befunde festgestellt, welche eine Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit begründen könnten. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da sie nach dem 02.01.1961 geboren sei.

Gegen das am 21.10.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.10.2008 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Der Senat hat Dr. D., Arzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Psychoanalyse, Psychotherapie und Sozialmedizin, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 24.03.2009 hat dieser als für die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin relevante Diagnosen eine Somatisierungsstörung, einen Lupus erythematodes visceralis, eine Colitis ulcerosa sowie ein Fibromyalgie-Syndrom genannt. Die derzeitige Aktivität des SLE befinde sich - wenn überhaupt - auf sehr niedrigem Niveau. Sämtliche seit Jahren durchgeführten Laboruntersuchungen zeigten keinerlei Krankheitszeichen. Auch die Colitis ulcerosa sei ausweislich der Laborbefunde in ein - von gelegentlichen Schüben abgesehen - symptomarmes Stadium übergegangen. Während der mehrmals jährlich auftretenden Colitisschübe mit Durchfallneigung 10 bis 20 mal pro Tag, verbunden mit imperativem Stuhlgang und relativer Stuhl- und Harninkontinenz müsse eine Toilette in unmittelbarer Nähe erreichbar sein. Betriebsunübliche Pausen ließen sich hieraus jedoch nicht ableiten. Hinsichtlich der berichteten Durchfallneigung mit bis zu 80 Stuhlgängen pro Woche ergebe sich eine gewisse Diskrepanz zu der bei der Rektaluntersuchung festgestellten äußerlich unauffälligen Analregion. Derzeit sei die Klägerin maßgeblich beeinträchtigt durch eine Somatisierungsstörung. Unter dieser Diagnose seien auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine erstmals 2005 diagnostizierte Fibromyalgie zu fassen. Gegenüber der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. R. im Juni 2007 sei eine deutliche Progredienz dieser Erkrankung und der dadurch bedingten Leistungseinschränkungen festzustellen. Zwischenzeitlich könne die Klägerin nur noch leichte körperliche Tätigkeiten 3 bis unter 6 Stunden täglich ausüben.

In der prüfärztlichen Stellungnahme 06.05.2009 hat die Ärztin für Psychiatrie/Sozialmedizin MU Dr. Hoffmann hierzu ausgeführt, es bestehe aufgrund der Summierung und der gegenseitigen Potenzierung der beschriebenen psychischen und somatischen Erkrankungen eine grenzwertige (etwas 6-stündige) Belastbarkeit. Durch die Absolvierung einer multimodalen psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme in stationärem Rahmen könne die grenzwertige Belastbarkeit deutlich stabilisiert werden.

Vom 19.03. bis 15.04.2009 hat sich die Klägerin in einer von der gesetzlichen Krankenkasse getragenen stationären Behandlung in der TCM-Klinik O. befunden. Im Entlassungsbericht wird u.a. angegeben, die Klägerin, die über Durchfälle fünf- bis zehnmal täglich berichte, habe seit März 2003 um 10 kg auf aktuell 85 kg zugenommen.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 10.09.2009 hat Dr. D. ausgeführt, die von ihm festgestellte Leistungseinschränkung sei zeitlich deutlich nach der Begutachtung durch Dr. R. am 06.06.2007 eingetreten, der eine deutlich stabilere Patientin beschrieben habe, als er sie am 24.03.2009 gesehen habe. Es könne jedoch mit Sicherheit angenommen werden, dass die Leistungseinschränkung schon im Oktober 2008 bestanden habe.

Die Klägerin trägt vor, die wegen der Colitis-Erkrankung atypische Situation bezüglich des Erfordernisses, jederzeit sofort eine Toilette erreichen zu können, bestehe bereits seit 1998. Sie hat zudem weitere medizinische Unterlagen, u.a. einen Arztbrief des Augenarztes Dr. H. vom 29.10.2009 und einen Befundbericht des Internisten/Rheumatologen Dr. N. vom 19.11.2009 über eine Untersuchung am 06.11.2009 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. September 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Januar 2006 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise Dr. D. ergänzend zu hören und weitere Sachaufklärung wegen des Vorhandenseins arbeitsplatznaher Toiletten durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt weiter vor, ausweislich der Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstätten-Verordnung) müssten sich Toilettenräume sowohl in der Nähe der Arbeitsplätze als auch in der Nähe von Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräume befinden. Damit sei der Klägerin auch bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit das jederzeitige Aufsuchen einer Toilette möglich.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, soweit die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.01.2006 geltend gemacht wird (1.). Erst durch die während des Verfahrens eingetretene Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin ist zwischenzeitlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten (2.), so dass die Klägerin Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.01.2006. Zur Überzeugung des Senats war sie nach Auslaufen der bis zum 31.12.2005 befristeten Rente wieder in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen zumindest 6 Stunden täglich auszuüben.

Zur Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wird gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführliche Darstellung im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Hinsichtlich der Erkrankungen, aufgrund derer die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.12.2005 gewährt hat, ist zwischenzeitlich eine wesentliche Besserung eingetreten. Dies gilt zum einen bezüglich des SLE, hinsichtlich dessen Dr. Barton im Gutachten vom 05.10.2005 eine weitgehende Remission ohne medikamentöse Therapie festgestellt hat. Die Nierenfunktion war zu diesem Zeitpunkt völlig normal, die renale Eiweißausscheidung sehr gering und das sonographische Nierenbild hat gegen eine weiterbestehende Erkrankung des Nierenparenchyms gesprochen. Auch Dr. M. hatte im Arztbrief vom 09.06.2005 mitgeteilt, es bestünden derzeit keine spezifischen SLE-Symptome. Im Arztbrief vom 30.08.2006 hat er mitgeteilt, nach Klinik und Labor bestehe unverändert kein Hinweis auf ein Rezidiv der Grunderkrankung. Ebenso haben ausweislich dessen Arztbriefes vom 07.12.2006 weder klinisch noch bei der Laboruntersuchung irgendwelche Aktivitätshinweise hinsichtlich der Grunderkrankung vorgelegen, so dass eine immunsuppressive Therapie weiterhin nicht erforderlich war.

Auch bezüglich der weiteren Erkrankung an Colitis ulcerosa ist eine Besserung eingetreten. Dr. Barton hat auch hinsichtlich dieser Erkrankung eine weitgehende Remission ohne Therapie festgestellt. Auch die Autoimmun-Hepatitis ist im Oktober 2005 völlig zur Ruhe gekommen bei konstant völlig normalen Leberenzymen. Auch Dr. M. hat ausweislich des Arztbriefes vom 07.12.2006 keine Aktivitätshinweise mehr festgestellt.

Bei der Klägerin hat sich auf der Grundlage der körperlichen Erkrankungen und unter dem Einfluss einer schweren mehrjährigen lebensbedrohlichen Erkrankung zwar eine Somatisierungsstörung entwickelt. Eine Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit hieraus bestand im Jahr 2006 jedoch noch nicht. Der Senat stützt sich hierbei auf die Beurteilung der behandelnden Ärzte Dr. M. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 16.08.2006 und Dr. F. vom 06.01.2007 sowie auf die von Dr. R. am 06.06.2007 und von Dr. D. am 24.03.2009 erstatteten Gutachten sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 10.09.2009, in denen diese in für den Senat überzeugender Weise dargelegt haben, dass eine relevante Verschlechterung der Somatisierungsstörung zeitlich erst nach der Begutachtung durch Dr. R. eingetreten ist. Der Senat folgt nicht der Leistungsbeurteilung durch Dr. L. im Gutachten vom 10.08.2007. Entgegen dessen Darstellung hat sich die "Situation des SLE" nicht nur "etwas stabilisiert" (vgl SG-Akte Bl. 168), es ist vielmehr eine weitestgehende Remission eingetreten. Auch hat Dr. L. in Beantwortung von Beweisfrage 2b (zeitliches Leistungsvermögen) als weitere schwere Erkrankung die Colitis ulcerosa angeführt, ohne darauf einzugehen, dass auch diese Erkrankung weitgehend abgeklungen ist. Soweit Dr. N., bei dem sich die Klägerin erstmals am 06.11.2009 vorgestellt hat, im Arztbrief vom 19.11.2009 die Diagnose einer ab 9/2000 bestehenden Fibromyalgie gestellt hat, beruht der Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung ersichtlich allein auf den Angaben der Klägerin. Sonstige Anhaltspunkte für einen Beginn der Erkrankung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt liegen nicht vor und können insbesondere nicht den Unterlagen der damals behandelnden Ärzte entnommen werden.

Damit war die Klägerin ab dem 01.01.2006 wieder in der Lage, leichte Tätigkeiten ohne Feuchtarbeiten und unter Vermeidung des Kontakts mit allergisierenden Stoffen mindestens 6 Stunden täglich auszuüben.

Der Arbeitsmarkt gilt zwar trotz an sich mindestens sechsstündiger Erwerbsfähigkeit als verschlossen, wenn nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen gearbeitet werden kann. Bei der Klägerin liegt jedoch keine solche schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Bei der Klägerin besteht zwar ein imperativer Stuhldrang, aufgrund dessen sie jederzeit unverzüglich eine Toilette erreichen muss. Diesem kann jedoch im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse Rechnung getragen werden.

Zu Umfang und Intensität liegen unterschiedliche Angaben vor. In einer dem Gutachten von Dr. Barton beigefügten handschriftlichen Auflistung ihrer Beschwerden hat die Klägerin einen imperativen Stuhlgang angegeben, hierzu jedoch gegenüber dem Gutachter weder in der Eigenanamnese noch bei der Schilderung ihrer aktuellen Beschwerden Angaben gemacht. Im dem Gutachten als Anlage beigefügten Arztbrief des Internisten/Gastroenterologen Dr. I. vom 24.06.2005 wird ausgeführt, es bestehe ein imperativer Stuhldrang ca. 2 - 4 x täglich mit gelegentlichem Blut im Stuhlgang. Die Pancolitis ulcerosa sei weitgehend inaktiv. In der Klagebegründung vom 20.07.2006 wird ein imperativer Stuhlgang (5 - 8 x pro Tag) angegeben. Dr. K. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom August 2006 zwar einen imperativen Stuhlgang ohne Angabe der Häufigkeit genannt. Auch in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 24.01.2007 hat er ausgeführt, bedingt durch den akuten Stuhldrang müsse jederzeit die Möglichkeit gegeben sein, eine Toilette schnellstmöglich aufzusuchen. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. L. hat die Klägerin angegeben, das Stuhlgangsverhalten sei durch die Darmentzündung massiv beeinträchtigt im Sinne eines imperativen Stuhlgangs mit einer Stuhlfrequenz von 2 - 10 x pro Tag und auch häufig nachts. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. D. hat sie angegeben, mehrmals im Jahr unter Colitisschüben mit Durchfallneigung, 10 - 20 x pro Tag verbunden mit imperativem Stuhlgang und relativer Stuhl- und Harninkontinenz zu leiden. Diesbezüglich hat Dr. D. jedoch eine gewisse Diskrepanz zur Rektaluntersuchung festgestellt, bei der sich eine insgesamt unauffällige Analregion gezeigt hat. Zur Überzeugung des Senats besteht das Leiden der Klägerin in wechselnder Intensität. Darüber hinaus spricht gegen eine besonders aktive Colitis ulcerosa, dass bis auf eine erhöhte Blutsenkung keinerlei pathologische Laborbefunde mehr vorliegen und die Klägerin eher unter einem Übergewicht leidet, so dass davon auszugehen ist, dass - von gelegentlichen Schüben abgesehen - auch die Colitis ulcerosa, wie bereits ausgeführt, in ein symptomarmes Stadium übergegangen ist. Der Umstand, dass es ihr gleichwohl noch möglich ist, Wege fern von Toiletten zurückzulegen wertet der Senat als Indiz dafür, dass noch ein gewisser zeitlicher Toleranzbereich besteht.

Dem Erfordernis, zeitnah eine Toilette aufsuchen zu können, wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass aufgrund der Verordnung über Arbeitsstätten vom 12.08.2004 Ziffer 4.1 Abs. 1 Gebäude für Arbeitsstätten Toilettenräume mit einer ausreichenden Anzahl an Toilettenbecken zur Verfügung stellen müssen und sich diese sowohl in der Nähe der Arbeitsplätze als auch in der Nähe von Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräumen befinden müssen. Zudem hat auch Dr. D. die Auffassung vertreten, für das Erreichen einer Toilette seien keine betriebsunüblichen Pausen erforderlich. Der hilfsweise gestellte Antrag auf weitere Sachverhaltsaufklärung wegen des Vorhandenseins arbeitsplatznaher Toiletten war deshalb abzuweisen.

2. Zwischenzeitlich besteht bei der Klägerin jedoch eine Somatisierungsstörung mit einer Antriebs- und Vitalitätseinschränkung verbunden mit vorzeitiger Erschöpfung. Der Schweregrad dieser Erkrankung hat in der Zeit nach der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. R. deutlich zugenommen. Zur Überzeugung des Senats, der sich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. stützt, ist die Klägerin seit Oktober 2008 nicht mehr in der Lage, eine täglich mindestens 6-stündige Erwerbstätigkeit auszuüben.

Der Senat folgt nicht der Beurteilung des Sachverständigen Dr. L., dass bereits zu dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch ihn ein unter 6-stündiges Leistungsvermögen vorgelegen hat. Dr. L. ist nur insoweit zustimmen, als sich beim SLE häufig eine Fibromyalgiesymptomatik entwickelt, die auch bei der Klägerin im Sinne einer zusätzlichen chronischen Schmerzerkrankung vorliegt und die zunehmend die Symptomatik bestimmt. Auch er hat damit einen progredienten Prozess beschrieben, der jedoch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch ihn noch nicht so weit fortgeschritten war, dass dadurch eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens bedingt war. So hat Dr. F. unter dem 06.01.2007 noch mitgeteilt, auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bestehe keine wesentliche Einschränkung der quantitativen Belastbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dr. C. hat im Arztbrief vom 26.11.2007 (Bl. 182 der SG-Akten) eine mittelgradige depressive Episode angegeben und hierzu ausgeführt, die Klägerin sei inhaltlich auf ihre Beschwerden und die im Leben und neuerdings erlittenen Erkrankungen eingeengt bei depressiv bis subdrepressiver Stimmung und lediglich leicht gemindertem Antrieb. Diese Befunde rechtfertigen nicht eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zum damaligen Zeitpunkt.

Der Senat folgt nicht dem hilfsweise gestellten Antrag, Dr. D. ergänzend zu den von der Klägerin im Schriftsatz vom 19.08.2009 gestellten Fragen hören. Die Fragen Nr. 1 und 2 hat der Sachverständige Dr. D. bereits beantwortet. Hinsichtlich einer Aggravations- oder Simulationstendenz hat er ausgeführt, bei der Darstellung der Symptome grenze die übliche Verdeutlichungstendenz an Aggravation. Die Frage nach dem Beginn einer Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter 6 Stunden täglich hat Dr. D. in der ergänzenden Stellungnahme vom 10.09.2009 dahingehend beantwortet, diese habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sechs Monate vor der durch ihn erfolgten Begutachtung bestanden. Frage 3, ob Dr. R. lediglich den neurologisch-psychiatrischen Aspekt berücksichtigt habe, kann dahingestellt bleiben, da maßgeblich die Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. D. selbst ist. Frage 4 nach der Notwendigkeit, ständig eine Toilette aufsuchen zu können, hat Dr. D. zumindest für den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung verneint und ausgeführt: "In der Untersuchungssituation, in der sie auch angab, zwischen 40, 60 bis 80 Stuhlentleerungen pro Woche zu haben, ließ sich anhand der Rektaluntersuchung eine nahezu reizlose Analregion konstatieren, die in einer gewissen Diskrepanz zu der angegebenen Häufigkeit der Stuhlentleerungen steht, so dass angenommen werden muss, dass sich die Angaben der Patientin nicht auf die aktuelle Situation, sondern auf zwischenzeitliche Exazerbationen der Colitis beziehen."

Gemäß § 102 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Da bei der Klägerin noch ein Leistungsvermögen zwischen 3 bis unter 6 Stunden besteht, kommt eine unbefristete Rente nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI nicht in Betracht.

Gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Danach besteht ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Rente ab dem 01.04.2009, die gem. § 102 Abs. 2 S. 2 SGB VI auf drei Jahre nach Rentenbeginn zu befristen ist.

Die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (hier: vom 01.07.2001 bis 31.12.2005 und nach Nr. 2 um Berücksichtigungszeiten (hier: Berücksichtigungszeit wegen Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahrs, § 57 SGB VI, somit vom 08.07.1002 bis zum 26.07.2002).

Einem Rentenanspruch steht insbesondere nicht entgegen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme wieder gebessert werden könnte. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wonach Leistungen zur Teilhabe Vorrang vor Rentenleistungen haben, stellt lediglich einen allgemeinen Programmsatz dar, dem kein anspruchsversagender Charakter zukommt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom. 17.03.2003 - L 2 RJ 230/02).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sie nach dem 02.01.1961 geboren ist (vgl. § 240 SGB VI). Unbeachtlich ist deshalb, ob die Klägerin noch ihre bisherige Tätigkeit als Servicekraft ausüben kann. Prüfungsmaßstab ist vielmehr allein, ob sie noch in der Lage ist, allgemeine Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass lediglich eine Rente auf Zeit und nicht die beantragte Dauerrente zugesprochen worden ist. Da die Erwerbsminderung der Klägerin erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist, sind die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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