S 8 AS 167/20 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 167/20 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Transgeschlechtliche Leistungsberechtigte haben zur Durchsetzung des Offenbarungsverbots des § 5 Abs. 1 TSG Anspruch auf getrennte Führung ihrer Verwaltungsvorgänge vor und nach ihrer Namens- und/oder Personenstandsänderung.
2. Die Bestimmung der Art und Weise der Zugriffsbeschränkung auf die früheren Daten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
3. Die Geltendmachung von Rückzahlungen aus Leistungszeiten vor der Namens- und/oder Personenstandsänderung begründet ein rechtliches Interesse der Behörde an der Durchbrechung des Offenbarungsverbots und damit den Zugriff auf die früheren Akten.
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, durch hinsichtlich der Ausführung in seinem Ermessen stehende Maßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewährleisten, dass vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, der Zugriff auf die bis zum 31. Dezember 2020 angefallenen Teile der Verwaltungsakte der Antragstellenden intern nur für Personen mit besonderer Zugriffsberechtigung und extern nur bei Vorliegen eines besonderen rechtlichen Interesses oder einer Zustimmung der Antragstellerin zu 1. möglich ist.

2. Im Übrigen wird der Eilantrag abgelehnt.

3. Der Antragsgegner ist verpflichtet, den Antragstellenden die Art der ergriffenen Maßnahmen binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses mitzuteilen.

4. Der Antragsgegner hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellenden zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellenden beziehen seit Längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Sie begehren dessen Verpflichtung, der Antragstellerin zu 1. eine neue Kundennummer und der Bedarfsgemeinschaft (BG) eine neue BG-Nummer zuzuweisen.

Die Antragstellerin zu 1. ist transgeschlechtlich (zur Terminologie vgl. S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit, AWMF-Register-Nr. xxx1, S. 4; Patient innenleitfaden zu der Leitlinie, xxx2; Kasten, Sgb 2020, 672).

Erstmals mit Schreiben vom 04. Juli 2020 informierte sie den Antragsgegner, dass sie "ihren Beschluss" über die Änderung ihres Namens und Personenstands erhalten habe. Nach seiner Rechtskraft werde sie ihre Geburtsurkunde und den Personalausweis ändern. Auf die Aufforderung des Antragsgegners vom 05. Oktober 2020, einen Nachweis für die Namensänderung vorzulegen, erklärte die Antragstellerin mit Schreiben vom 08. Oktober 2020, dieser habe lediglich ein Recht auf den Nachweis der aktuellen Daten. Dafür habe sie sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses am 09. Juli 2020 Zeit. Sie übersandte jedoch eine Kopie ihres aktuellen Personalausweises, aus dem sich der weibliche Personenstand und die aktuellen Vornamen A. D. E-F. ergaben.

Weiter wies sie den Antragsgegner in diesem Schreiben auf das Offenbarungsverbot aus § 5 des Transsexuellengesetzes (TSG) hin und meinte, deshalb müsse eine neue Akte mit neuer Kunden- und BG-Nummer angelegt werden; es dürfe ohne ihre Zustimmung oder eine gerichtliche Entscheidung kein Bezug mehr zu den vorherigen Nummern hergestellt werden. Deshalb dürften ohne ihre Zustimmung oder eine gerichtliche Entscheidung auch keine Darlehen, Vorschüsse, Ersatzansprüche oder Aufrechnungen in dem neuen Bewilligungsbescheid auftauchen. Dazu übersandte sie einen neuen Hauptantrag auf Leistungen nebst Formularen zu Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfen etc. Wegen der erforderlichen Belege verwies sie auf die "Akte ihres Ehemanns".

Der Antragsteller änderte seine Stammdaten und richtete sämtliche weitere Schreiben an die Antragstellerin unter ihren aktuellen Daten, jedoch mit unveränderter Kunden- bzw. BG-Nummer. Angesichts der mitgeteilten neuen Rentenversicherungsnummer stornierte er zudem bisherige Meldungen und meldete die Zeiten erneut unter der neuen Nummer.

Die Antragstellerin monierte, dass sie mit neuem Namen, aber alter BG-Nummer angeschrieben werde; darin liege ein Verstoß gegen das Offenbarungsverbot. Zudem erinnerte sie an den begehrten neuen Bewilligungsbescheid für Frau A. B-A.

Der Antragsgegner teilte daraufhin mit, ein Anspruch auf rückwirkende Änderung von Bescheiden ergebe sich aus § 5 TSG nicht. Er habe ihre Stammdaten geändert, sobald sie ihm vorgelegen hätten. Einer Änderung von Kunden- und BG-Nummer bedürfe es nicht und es entbehre dafür auch jeglicher Rechtsgrundlage.

Daraufhin reichten die Antragstellenden am 03. November 2020 einen Eilantrag wegen

Verletzung des § 5 TSG (Offenbarungsverbot) § 10 TSG (Wirkung der Entscheidung) in Verbindung mit § 20a Änderung von Personendaten, § 1758 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, § 494 Abs. 1 der Strafprozessordnung

ein. Sie tragen mehrfach wiederholt vor, sie hätten Anspruch auf eine neue / weitere Leistungsbewilligung und -auszahlung zugunsten der Antragstellerin unter ihren neuen Namen und Personenstand; wenn der Antragsgegner noch auf den Bewilligungsbescheid für Herrn F. B-A. gezahlt habe, sei das nicht ihr Verschulden.

Sie beantragen (wörtlich – mit Korrekturen offensichtlicher Fehler),
dem Antragsgegner aufzuerlegen, sich an die Gesetze und oben angegebenen § zu halten und für die Antragstellerin eine neue Akte für Frau A. B-A. anzulegen und jegliche Verbindung zur Akte von Herrn F. B-A. zu unterlassen,

dem Antragsgegner aufzuerlegen, die alten Daten weder mit den neuen zu verbinden, zusammenzulegen, zu offenbaren oder auszuforschen,

die Kundennummer sowie die Bedarfsgemeinschaftsnummer zu ändern, so dass es keine Verbindung mehr mit den alten Daten gibt,

eine Abmeldung für Herrn F. B-A. auszustellen und im gleichen Zuge einen neuen Leistungsbescheid für Frau A. B-A. auszustellen,

dem Antragsgegner aufzuerlegen, jegliche Aufrechnung der alten Daten bei den neuen Daten zu unterlassen, da es sonst ein neuer Verstoß und Verletzung des § 5 TSG wäre, wegen Zusammenlegung und Ausforschung und den Abzügen von Oktober und November 2020,

dem Antragsgegner aufzuerlegen offenzulegen, wann und wem er die alten und neuen Daten offenbart habe.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Er zweifle bereits die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung und damit die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes an. Die personenbezogenen Daten zu Vornamen und Personenstand der Antragstellerin unterlägen weder der Gefahr der Offenbarung noch der Ausforschung, da diese sich nur im Verhältnis zu Dritten ergeben könne. Dann greife aber der besondere Sozialdatenschutz. Einsicht werde nur dem Sozialgericht oder einem von der Antragstellerin bestellten Bevollmächtigten, jedoch keinen unbeteiligten Dritten gewährt. Zudem könnten bei einer Einsichtnahme Schwärzungen erfolgen. Außerdem sei keine konkrete Gefahr der Ausforschung bzw. Offenbarung benannt worden; eine lediglich vage Möglichkeit genüge zur Begründung des Eilbedürfnisses nicht.

Im Übrigen bestehe aber auch kein Anordnungsanspruch. Bei Kunden- und BG-Nummer handele es sich lediglich um Ordnungsmerkmale, welche – etwa im Gegensatz zu der deshalb geänderten Rentenversicherungsnummer – keinerlei Rückschlüsse auf Geschlecht und Namen zuließen.

Die Änderung der Stammdaten sei rückwirkend erfolgt. Damit sei sichergestellt, dass auch bei Nachberechnungen ausschließlich aktueller Name bzw. Geschlecht genannt würden.

Unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) macht der Antragsgegner geltend, es stehe allein in seiner Entscheidungskompetenz, ob er die bisherige Akte weiterführe oder schließe. Zur Frage, zur Erfüllung welcher Aufgaben die vollständige Dokumentation des sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses auch in der Vergangenheit erforderlich sei, verweist er darauf, dass er aufgrund von Art. 6 Abs. 1 lit. e) DSGVO i. V. m. §§ 67ff SGB X berechtigt sei, Sozialdaten zu verarbeiten. Unrichtige Daten müsse er zwar berichtigen bzw. löschen. Da die Namens- und Personenstandsänderung aber ex nunc wirke, seien die früheren Daten jedoch nicht unrichtig. Zudem würden sie noch für die laufenden Gerichtsverfahren sowie die Geltendmachung benötigt.

Die vorliegende Situation sei weder mit der Umschreibung eines Grundbuchs (wegen dessen Publizität) noch mit der Neuausstellung von Arbeitszeugnissen (wegen deren Außenwirkung auf Dritte), vielmehr eher mit derjenigen einer Personalakte vergleichbar.

Der Antragsgegner hat – neben ergänzenden Teilen zu der dem Gericht bereits vorliegenden Verwaltungsakte der Antragstellenden – auf Bitte des Gerichts seine "Arbeitshilfe SGB II – Hinweise zum Aufbau und Führen einer Leistungsakte" sowie sein "Fachliches Berechtigungskonzept für das Fachverfahren E-AKTE Mandant SGB II" vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II.

Der Antrag ist nur teilweise, im tenorierten Umfang begründet. Die Antragstellenden haben zwar keinen gebundenen – den Antragsgegner unmittelbar verpflichtenden – Anspruch auf Zuweisung einer neuen Kundennummer für die Antragstellerin und BG-Nummer für beide Antragstellende. Die Antragstellerin hat jedoch einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner im Wege pflichtgemäßen Ermessens über die Art und Weise einer grundsätzlich bestehenden Verpflichtung zur Trennung der Verwaltungsvorgänge vor und nach ihrer Namens- und Personenstandsänderung entscheidet.

Die geltend gemachten Folgerungen im Hinblick auf Neubewilligung und Unterlassung der Geltendmachung bestehender Forderungen durch Aufrechnung sind unbegründet.

Zu der Frage der Aktenführung:
Bei Ermessensentscheidungen sind Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unstreitig dann zulässig, wenn entweder eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt oder der Antragsgegner lediglich zu einer Entscheidung nach eigener Wahl unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet wird; auf die Streitfrage, ob unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine konkrete Verpflichtung des Antragsgegners auch ohne Ermessensreduzierung auf Null zulässig sind (vgl. zu allem Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 30a), kommt es vorliegend nicht an.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (Satz 4).

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86b Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist, ein Anordnungsgrund, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden. Dabei stehen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch nicht isoliert nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System – je größer die Erfolgsaussichten in der Sache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt (vgl. Keller a. a. O., § 86b Rn. 27 m. w. N.).

Ein Anordnungsgrund liegt vor.

Dass insoweit bislang keine konkrete Gefahr benannt wurde, steht dem nicht entgegen.

Zum einen erscheint die Anforderung überspannt, weil die Antragstellerin eine konkrete Gefahr mangels Einsicht in den Verwaltungsablauf des Antragsgegners kaum je rechtzeitig wird feststellen können.

Zudem hat bereits der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 07. März 2019, Az. V ZB 53/18 zur erforderlichen Umschreibung eines Grundbuchs) entschieden, dass das Erfordernis einer geänderten Aktenführung nicht erst dann gilt, wenn – z. B. bei Akteneinsichtsgesuchen oder auch einem möglichen künftigen Umzug in den Einzugsbereich eines anderen Leistungsträgers – eine Verletzung des Verbotes unmittelbar zu befürchten ist, sondern bereits dann, wenn das Verbot als solches besteht; die Akten seien so zu führen, dass eine Offenbarung des früheren Namens und Geschlechts so weit wie möglich ausgeschlossen ist.

Zum anderen hängt die Frage, wann mit der geänderten Aktenführung zwingend begonnen werden muss, auch davon ab, von welcher der verschiedenen Möglichkeiten, nicht erforderliche Einsicht in die Altbestände der Verwaltungsakte zu unterbinden, Gebrauch gemacht werden soll. Einerseits ist denkbar, dass Aktensegmente gebildet und der Zugriff auf die früheren Teile auf besonders Berechtigte beschränkt wird. Das könnte immerhin auch noch mit gewisser Verzögerung erfolgen. Andererseits kann aber auch – wie von den Antragstellenden begehrt – die bisherige Akte ganz geschlossen und der Zugriff darauf beschränkt sowie eine neue Akte unter Vergabe neuer Kunden- und BG-Nummern angelegt werden. In diesem Fall wäre jeglicher weitere Schriftverkehr unter Verwendung der alten Nummern mit der Gefahr einer Verknüpfung von alten und neuen Daten verbunden, die es zu vermeiden gilt. Ausgehend von dem Ziel, auch behördenintern eine Offenbarung weitestgehend zu vermeiden (dazu sodann), wäre aber in jedem Fall ein unverzügliches Vorgehen zur Verhinderung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen erforderlich.

Anderweitige Maßnahmen wie teilweise Aktenschwärzungen beziehen sich zum einen nur auf den Außenkontakt und wären zum anderen in hohem Maße unpraktikabel, da jeglicher nach außen gehende Schriftverkehr in Adressfeld, Anrede und ggf. auch Text (bzgl. Pronomen) sowie auch eingegangener Schriftverkehr bei Briefkopf und Unterschrift, evtl. auch hier im Text, geschwärzt werden müsste. Darüber hinaus lassen sich Rückschlüsse gerade aus der Art der vielfältigen Schwärzungen ziehen, so dass diese mehr offenbaren als geheim halten würden.

Besonders hohe Anforderungen sind an den Anordnungsgrund im Hinblick auf das oben erwähnte bewegliche System ohnehin nicht zu stellen, weil zur Überzeugung des Gerichts hohe Erfolgsaussichten in der Sache bestehen und im Übrigen keine wesentlichen Interessen des Antragsgegners ersichtlich sind, die einer vorläufigen Regelung zu seinen Lasten entgegenstehen. Demgegenüber steht auf Seiten der Antragstellerin eine mögliche Verletzung ihres verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützten Rechts auf Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre, zu der auch der intime Sexualbereich gehört, der die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen und damit das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 06. Dezember 2005, Az. 1 BvL 3/03), die es zu verhindern gilt.

Es besteht auch ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchsetzbaren materiellen Anspruchs.

Dem Antragsgegner ist zuzugeben, dass keine ausdrückliche Rechtsgrundlage genau für den Fall der Vergabe/Änderung von Kundennummern bzw. der Führung von Verwaltungsakten für SGB II-Leistungsbeziehende bei wegen Transgeschlechtlichkeit erfolgender Änderung von Namen und Personenstand ersichtlich ist. Das ist allerdings auch angesichts der Vielzahl in dem Zusammenhang theoretisch denkbarer Regelungsgegenstände nicht zu erwarten. Vielmehr sind die bestehenden Regelungen zur Aktenführung und ggf. Vergabe von Ordnungs-/Kundennummern im Licht der spezifischen Vorschrift in § 10 Abs. 2 TSG i. V. m. § 5 Abs. 1 TSG auszulegen. Nach § 5 Abs. 1 TSG dürfen ab Rechtskraft der Entscheidung über die Änderung der Vornamen ohne Zustimmung des Antragstellers oder glaubhaft gemachtes rechtliches Interesse die zur Zeit der Entscheidung geführten Vornamen nicht offenbart oder ausgeforscht werden. Nach § 10 Abs. 2 TSG gilt § 5 sinngemäß bei Personenstandsänderungen.

Hinsichtlich der Aktenführung sind keine materiell-rechtlichen Regelungen, sondern nur verwaltungsinterne Vorschriften ersichtlich. Hier verweist z. B. die vorgelegte "Arbeitshilfe SGB II – Hinweise zum Aufbau und Führen einer Leistungsakte" zu den allgemeingültigen Grundsätzen der Aktenführung u. a. darauf, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) beachtet werden müsse. In diesem Zusammenhang ist dann auch der oben bereits erwähnte, ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre einschließlich sexueller Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Bezüglich der Kunden- und BG-Nummern besteht eine gesetzliche Regelung in § 51a SGB II. Danach wird grundsätzlich jeder Person, die Leistungen nach diesem Gesetz bezieht, einmalig eine eindeutige, von der Bundesagentur oder im Auftrag der Bundesagentur von den zugelassenen kommunalen Trägern vergebene Kundennummer zugeteilt, die sich auch bei Trägerwechsel nicht ändert.

Allerdings ist in Satz 5 der Vorschrift vorgesehen, dass eine neue Kundennummer vergeben wird, wenn längere Zeit nach einem früheren Leistungsbezug erneut Leistungen in Anspruch genommen werden. Diese Vorschrift wurde erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (vgl. etwa Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 12/17, § 51a SGB II, Rn. 18) aufgenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Aufnahme einer Regelung zur Löschung von vergebenen Nummern und Neuvergabe bei erneuter Leistung nach längerer Zeit erforderlich sei, damit eine Person, die einmal eine Leistung nach dem Zweiten Buch bezogen hat , nicht auch noch nach vielen Jahren über die einmal vergebene Nummer zurückverfolgt werden kann (BT-Drs. 15/2997 S. 25). Auch wenn der zugrunde liegende Sachverhalt mit längerer Leistungsunterbrechung nicht vergleichbar ist, wird auch hier letztlich auf die informationelle Selbstbestimmung und die Vermeidung der Rückverfolgbarkeit anhand einer früheren Kundennummer abgestellt. Dieser Grundgedanke lässt sich durchaus auf die Situation der Antragstellerin übertragen, bei der es ebenfalls um die Vermeidung der Verknüpfung ihres aktuellen Status mit ihrer früheren Situation geht.

In diese allgemeinen, auf den Schutz der informationellen Selbstbestimmung gerichteten Vorschriften und Grundsätze ist nunmehr der Schutzzweck des § 5 Abs. 1 TSG zu integrieren.

Die bereits von dem BVerfG in seiner oben zitierten Entscheidung konstatierte umfangreiche Veränderung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bezüglich Transgeschlechtlichkeit (vgl. a. a. O. Rn. 22ff.) hat sich seitdem natürlich fortgesetzt, was unter anderem in der aktuellen S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit (a. a. O.) und auch in der Neufassung des ICD (dann -11) Niederschlag gefunden hat, und zeigt sich schon daran, dass der von dem hier einschlägigen Gesetz gewählte Begriff "transsexuell" inzwischen als wissenschaftlich überholt gilt (s. o.). Aber auch die Gesellschaft hat sich geändert und legt – zumindest in weiten Teilen – zunehmend Wert auf Diversität, Toleranz und Inklusion. Dem ist auch bei der Auslegung der Vorschrift Rechnung zu tragen. So genügt es heutigen Ansprüchen an einen respektvollen Umgang von Behörden mit transgeschlechtlichen Personen eben nicht mehr, dass die dort Beschäftigten zwar ihr Wissen selbstverständlich nicht nach außen tragen dürfen, Betroffene sich jedoch innerhalb der Behörde einer Vielzahl von Personen gegenübersehen, die ohne jegliche Notwendigkeit Kenntnis von ihren privatesten Lebensumständen haben könnten. Als Leistungsempfänger*innen sollten sie im Umgang mit der Behörde nicht bei jedem Kontakt befürchten müssen, dass ihr Gegenüber von ihrer Geschlechtsinkongruenz weiß. Zweck des Offenbarungsverbotes ist gerade, ihnen einen weitestgehend "normalen" Alltag zu ermöglichen. Das schließt einen – wenigstens im Hinblick auf ihre geschlechtliche Identität – unbefangenen Umgang mit Behördenangestellten ein.

Soweit der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) in seiner Stellungnahme vom 16. November 2020 ohne Quellenangabe, aber angesichts des Wortlauts vermutlich auf Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, TSG § 1 Rn. 1, rekurrierend, meint, das Offenbarungsverbot richte sich als Normadressaten (nur) an staatliche Organe und verbiete diesen lediglich die Offenbarung an Außenstehende, kann dem bereits angesichts der vielfältigen von Spickhoff a. a. O. Rn. 1, 2 aufgeführten Beispiele für (auch private) Arbeitgeber*innen in unterschiedlichen Konstellationen, Versicherungen und (allgemein) Privatpersonen nicht gefolgt werden. Soweit sich bestimmte Pflichten für Arbeitgeber*innen (nach hiesiger Ansicht: auch) aus der (auch nachvertraglichen) Fürsorgepflicht ergeben, sind sie doch zielgenau darauf gerichtet, die ungewollte Offenbarung der Transgeschlechtlichkeit durch ihre (ggf. ehemaligen) Mitarbeiter*innen zu verhindern, also gerade dem Schutzzweck des § 5 Abs. 1 TSG zu dienen.

Allenfalls könnte der ausschließliche Bezug nach außen bei solchen Daten und Akten gelten, auf die von vornherein nur ein kleiner Kreis von unmittelbar damit befassten Menschen mit nochmals erhöhter, auch interner Schweigepflicht – wie bei Personalakten innerhalb einer Behörde – Zugriff hat. Ausweislich des von dem Antragsgegner übermittelten "Fachlichen Berechtigungskonzepts für das Fachverfahren E-AKTE Mandant SGB II" trifft das auf Leistungsakten in seiner Behörde (nachvollziehbarerweise) jedoch nicht zu. Eine Zugriffsberechtigung besteht – ggf. anwendungs-, aber nicht zeitlich beschränkt – für verschiedenste Behördenangestellte, angefangen von der unmittelbaren Sachbearbeitung sowie Beratung und Vermittlung über Fachassistenz und Teamleitung, darüber hinaus auch Mitarbeitende im Servicecenter oder im Kundenreaktionsmanagement. Dabei genügt bereits ein lesender Zugriff, um die berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Antragstellerin zu beeinträchtigen. Nicht nur jede*r aktuell bereits Beschäftigte, sondern auch künftig bei dem Antragsgegner Eingestellte, die die Antragstellerin nicht persönlich noch mit ihrem früheren Namen und Geschlecht kennen, können auf diese Weise, ohne dass irgendeine Notwendigkeit dafür bestünde, Kenntnis von ihrer Transgeschlechtlichkeit erhalten. Gleiches trifft auf künftig möglicherweise von der Antragstellerin beauftragte Bevollmächtigte zu. Auch diesen gegenüber besteht zunächst keine Notwendigkeit, persönliche, ja intime Details zur eigenen geschlechtlichen Identität mitzuteilen, jedoch die Gefahr, dass diese im Rahmen einer unbeschränkten Akteneinsicht offenbart würden. Der Antragstellerin kann auch nicht entgegengehalten werden, dass dies in ihrer eigenen Macht (in Form der Nichtbeauftragung) stehe, weil sie damit ohne rechtfertigenden Grund in ihrer freien Entscheidung über die Hinzuziehung einer rechtlich versierten Vertretung beeinträchtigt würde.

Ausschließlich im Rahmen von Beratung und Vermittlung erscheint im Einzelfall zur Erfassung der Gesamtpersönlichkeit denkbar, dass die psychische Belastung, die ggf. mit der Transgeschlechtlichkeit, häufig jedenfalls mit der gesellschaftlichen Reaktion darauf einhergeht, eine erklärende Rolle spielen kann. Andererseits besteht auch bei sonstigen in der Biografie von Leistungsberechtigten gründenden Verhaltensweisen diesen gegenüber kein Anspruch auf Offenlegung möglicher Ursachen. Im Übrigen genügt ein aktualisierter Lebenslauf zur Ermittlung vorhandener oder nicht vorhandener beruflicher Erfahrungen. Bereits bei der Leistungsbewilligung ist angesichts der vor jedem Bewilligungszeitraum neu zu prüfenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse ein Rückgriff auf den Altbestand der Akte jedenfalls dann überhaupt nicht erforderlich, wenn nach erfolgter Namens- und Personenstandsänderung – wie hier – ein neuer Hauptantrag gestellt wurde. Ggf. sind die noch fehlenden Nachweise bei der Antragstellerin anzufordern oder bei vorliegendem Einverständnis aus der Altakte zu übernehmen (soweit ausreichend auch in auszugsweiser Kopie ohne den früheren Namen). Insoweit unterscheidet sich eine Leistungsakte grundlegend von der von dem Antragsgegner zum Vergleich herangezogenen Personalakte, die Gegenstand des Verfahrens vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG, Beschluss vom 02. Mai 2019, Az. 5 Bf 225/18.Z) war und bei der – bei zudem streitgegenständlicher rückwirkender Änderung – die Nachvollziehbarkeit der Entwicklung des Dienstverhältnisses im Vordergrund stand.

Dass – worauf der Antragsgegner und der BfDI verweisen – die Zugriffsmöglichkeiten auf die Sozialdaten von Betroffenen bereits aufgrund des Sozialgeheimnisses nach § 35 SGB I "eng" umgrenzt seien, ist angesichts der obigen Aufzählung für den hier betroffenen Schutzbereich gerade nicht ersichtlich. Es gibt eine Vielzahl von mindestens Leseberechtigten, bei denen keinerlei Grund dafür erkennbar ist, dass sie in der Lage sein müssten, mit dem Altbestand an Daten zu arbeiten. Entgegen den Ausführungen des BfDI ist nach Obigem auch nicht ersichtlich, für die Erfüllung welcher Aufgaben nicht nur eine vollständige Dokumentation des sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses "erforderlich" sein sollte, sondern auch der zeitlich und persönlich uneingeschränkte Zugriff darauf. Dem widerspricht zudem die Einlassung am Ende seines Schreibens, dass es dem Sozialleistungsträger "überlassen" bleibe, wie er mit der Leistungsakte umgehe. Dann kann ein "Erfordernis" kaum bestehen. Der zu gewährleistende besondere Schutz des sensiblen Bereichs der sexuellen Selbstbestimmung einschließlich der geschlechtlichen Identität (vgl. BVerfG, a. a. O.) wird nach Ansicht des Gerichts durch den BfDI – und sich dem anschließend den Antragsgegner – nicht annähernd hinreichend beachtet.

Ein Erfordernis der Verfügbarkeit der Altakte ergibt sich auch nicht aus der von dem Antragsgegner vorgetragenen Berechtigung zur Sozialdatenverarbeitung. Untechnisch gesprochen: Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch erforderlich. Insbesondere sind bei der Entscheidung auch insoweit die Wertungen aus anderen Gesetzen zu berücksichtigen. Dass keine Verpflichtung zur Löschung besteht und die in der Vergangenheit erhobenen Daten nicht unrichtig sind, ist unstreitig. Es ändert nichts daran, dass allein die potentielle Kenntnis der früheren – richtigen – Daten bei einer nicht bekannten und auch für die Zukunft nicht eingrenzbaren Anzahl von Personen, die diese nicht notwendig zur Bearbeitung benötigen, die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.

Dass zur Bearbeitung noch anhängiger Gerichtsverfahren, die vor dem Beschluss zur Personenstands- und Namensänderung anhängig gemacht wurden und/oder Angelegenheiten aus diesem Zeitraum betreffen, Zugriff auf die frühere Akte erforderlich ist, führt lediglich zu einer der konkret sachbearbeitenden Stelle einzuräumenden Zugriffsberechtigung, kann jedoch nicht rechtfertigen, dass sämtliche sonstige oben aufgezählten Kräfte ebenfalls Kenntnis auch von den früheren Daten erlangen können. Zudem ist nicht erkennbar, wie der Antragsgegner ohne Schließung oder Abtrennung der früheren Akte selbst nach Abschluss der laufenden Verfahren und Begleichung der offenen Forderungen gewährleisten will, dass dann keine Kenntnisnahme von zurückliegenden Vorgängen mehr erfolgt.

Soweit der Antragsgegner aus dem Schreiben des BfDI eine alleinige Entscheidungskompetenz der Behörde mit der Folge, die Akte auch fortführen zu können, ableitet, steht dem entgegen, dass er bei seiner eigenen Entscheidung gerade sämtliche für und gegen den Antrag sprechenden Umstände zu erwägen und dabei insbesondere auch die wesentlichen verfassungsrechtlichen Maßgaben zum Schutz des Persönlichkeitsrechts zu beachten hat. Nur dann hat er sein Ermessen nicht "frei", sondern "pflichtgemäß" ausgeübt. Hierzu ist er nicht nur gemäß § 39 SGB I in Leistungsangelegenheiten, sondern bei jeglicher Ermessensentscheidung verpflichtet.

Dem Grunde nach – für die Frage, OB eine Trennung der Verwaltungsvorgänge vor und nach der Personenstandsänderung zu erfolgen hat – ist das Ermessen des Antragsgegners nach alledem auf Null reduziert. Es sind keine wesentlichen Gründe ersichtlich, die das dargelegte schützenswerte Interesse der Antragstellerin an dem Schutz ihrer engeren persönlichen Lebenssphäre überwiegen könnten. Ein etwas erhöhter Verwaltungsaufwand, wie er auch bei sonstigen Schutzbedürftigen aufgebracht werden muss, ist zum Schutz verfassungsrechtlich relevanter Rechtsgüter ohne Weiteres zumutbar.

Die Entscheidung, WIE der Antragsteller dies umsetzt, ob dies z. B. – bei Beschränkung der Zugriffsberechtigung auf besondere Vertrauenspersonen für den "Altbestand" – durch Anlage getrennter Aktensegmente oder aber durch Schließung der bisherigen Akte (mit Einräumung besonderer Zugriffsberechtigung darauf) und Anlage einer neuen Akte mit neuer Kunden- und BG-Nummern oder auf noch andere Weise erfolgt, hat er im pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Dafür, dass dies praktisch nicht möglich wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Weder wurde dies vorgetragen noch wäre es mit der ähnlichen Schutzvorschrift bei Adoptionen (§ 1758 des Bürgerlichen Gesetzbuches) oder auch der in dem "Fachlichen Berechtigungskonzept " bereits vorgesehenen Zuweisung besonderer Zugriffsrechte für besondere Vertrauenspersonen etwa für Fälle von Beschäftigten oder besonders schutzwürdigen Menschen vereinbar.

Aus Praktikabilitätsgründen erscheint im Rahmen der Ermessensausübung bei dem Erlass der einstweiligen Anordnung eine Trennung zwischen Alt- und Neuakte(nsegment) zum Beginn des neuen Bewilligungszeitraums angemessen. Für den bisherigen Zustand, in dem insbesondere auch von Antragstellerinnenseite Schriftwechsel noch unter beiden Namen erfolgte und zudem die von der Betroffenen selbst geltend gemachte Sechs-Monats-Frist noch nicht abgelaufen war, kann es – mindestens im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – bei der bisherigen Handhabung verbleiben, ohne dass schwerwiegendere Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin ersichtlich wären.

In dem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass sich die Antragstellerin inkonsequent verhält, wenn sie etwa im Hinblick auf die zu dem neu gestellten Hauptantrag erforderlichen Belege auf die "Akte ihres Ehemanns" verweist. Ihr dürfte bekannt sein, dass für die BG nur eine gemeinsame Akte existiert, so dass zur Bearbeitung des neuen Antrags zwangsläufig Einsicht in die bisher geführte Akte – einschließlich der dort auf ihren früheren Namen lautenden Unterlagen – genommen werden muss. Bislang war ihr eine strikte Trennung offenbar nicht wirklich wichtig.

Die weiter geltend gemachten Ansprüche sind abzulehnen.
Widersprüchlich ist das Verhalten der Antragstellerin auch insoweit, als sie begehrt, die vor Rechtskraft des Beschlusses über die Änderung ihres Namens und Personenstands anhängig gemachten Gerichtsverfahren unter dem früheren Namen und Personenstand fortzuführen. Eine männliche Person des früheren Namens existiert nach der gerichtlichen Feststellung, dass die Antragstellerin als dem weiblichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, und künftig die benannten weiblichen Namen führen wird, nicht mehr. Nicht umsonst bezeichnen transgeschlechtliche Menschen ihren abgelegten, alten Namen auch als "Deadname" (vgl. www.queer-lexikon.net). Nach §§ 9 Abs. 3 Satz 1, 4 Abs. 4 Satz 2 TSG wird die Entscheidung mit der Rechtskraft des Beschlusses wirksam. Diese hat die Antragstellerin mit dem 09. Juli 2020 angegeben.

Ihr Vorgehen ist nur dadurch zu erklären, dass sie meint, sich auf diese Weise der durch Aufrechnung erfolgenden Durchsetzung der bestehenden Forderungen entziehen zu können. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Antragstellerin hat zwar ihren Namen und Personenstand geändert. Ihre Identität als Mensch und natürliche Person ist davon aber nicht betroffen. Als dieser Mensch, unabhängig davon, welchen Namen sie führte und mit welchem Geschlecht sie von Dritten gelesen wurde und nach Personenstandsrecht registriert war, ist sie Verbindlichkeiten (etwa in Bezug auf Darlehen) eingegangen und/oder es wurden Forderungen (wie aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. September 2018) ihm gegenüber festgestellt. Dieser Mensch existiert weiter, auch wenn ihm jetzt neue Namen und ein neuer Personenstand zugewiesen sind. Die Zuweisungen sind letztlich gesellschaftliche und rechtlich-formale Beschreibungen, die an der persönlichen Identität nichts ändern.

Aus diesem Grund liegt ein anerkanntes "rechtliches Interesse" an der Offenbarung der Namens- und Personenstandsänderung im Sinne des § 5 Abs. 1 am Ende TSG auch vor, wenn "alte" Forderungen nach der Änderung vollstreckt werden sollen. Der Gläubiger hat dann z. B. im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens gegen einen Schuldner, von dessen Namensänderung er noch keine Kenntnis hat, Anspruch auf Offenlegung eines geschlossenen Grundbuchblattes (vgl. BGH, Beschluss vom 07. März 2019, Az. V ZB 53/18, Rn. 20). Vollstreckungstitel sind auf den neuen Namen zu ändern; wenn ein Titel gegen eine Schuldnerin unter einem neuen Vornamen ergangen ist, kann ein rechtliches Interesse an der Ausforschung oder Offenbarung der früheren Vornamen darin liegen, dass der Gläubiger feststellen will, ob die Schuldnerin unter dem früheren Vornamen die eidesstattliche Versicherung abgelegt hat (Augstein, Transsexuellengesetz, 1. Auflage 2012, Rn. 1; Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, TSG § 5 Rn. 3; instruktiv auch Büttner, Die Auswirkungen des Offenbarungsverbotes nach § 5 Transsexuellengesetz auf das Insolvenzverfahren natürlicher Personen, NZI 2019, 569). Im Falle des Antragsgegners liegt über das allgemeine rechtliche Interesse hinaus auch ein besonderer Grund des öffentlichen Interesses vor, denn er muss im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler fällige Forderungen so weit wie möglich durchsetzen.

Im Ergebnis bleibt es sich für die Frage der Aufrechnung von Forderungen des Antragsgegners gegen Leistungsansprüche der Antragstellerin somit gleich, ob die bisherige Leistungsakte geschlossen wird oder nicht. Er darf darauf jedenfalls im für die Vollstreckung (auch durch Aufrechnung gegen laufende Leistungen) notwendigen Umfang zugreifen.

Da der Antragstellerin als Person, unabhängig von ihrem Namen und Geschlecht, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum 31. Dezember 2020 bewilligt gewesen waren, hat sie im Übrigen auch keinen Anspruch auf erneute Bewilligung. Bei glaubhaft gemachtem Bedarf – etwa wenn sie einen Nachweis für eine andere Stelle benötigt hätte – wäre der Antragsgegner ggf. verpflichtet gewesen, den ursprünglich auf ihren früheren Namen lautenden Bescheid erneut und mit dem neuen Namen auszustellen. An der fortbestehenden ursprünglichen Bewilligung als solcher hätte das aber nichts geändert.

In dem aktuellen Ausdruck wäre entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch keine Urkundenfälschung zu sehen. Vielmehr entspräche dieser gerade dem Schutz der persönlichen Daten nach einem Namens- und Personenstandswechsel und ist z. B. im Arbeitsrecht ausdrücklich vorgesehen. Dort haben Betroffene z. B. Anspruch auf Neuausstellung von Arbeitszeugnissen und Befähigungsnachweisen mit ihrem neuen Namen (vgl. Augstein, Transsexuellengesetz, 1. Auflage 2012, § 5 Rn. 2, 3; LAG Hamm Urteil vom 17. Dezember 1998, Az. 4 Sa 1337/98). Im öffentlichen Dienst bestehen in den meisten Bundesländern entsprechende Regelungen (so Augstein a. a. O. m. w. N.).

Die Verpflichtung zu Ziffer 3. beruht darauf, dass die Antragstellenden anderenfalls mangels Einsicht in die behördeninternen Abläufe keine Kenntnis von der Umsetzung erlangen und auch nicht prüfen (ggf. lassen) können, ob dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse durch die von dem Antragsgegner gewählte Vorgehensweise hinreichend Rechnung getragen wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache. Die Antragstellenden sind mit ihrem Anliegen in wesentlichem Umfang durchgedrungen. Allerdings haben sie keinen Anspruch auf konkrete Bestimmung der Art der Umsetzung. Auch das Ziel, die weitere Geltendmachung der gegen die Antragstellerin zu 1. vor der Personenstandsänderung entstandenen Forderungen zu verhindern, haben sie nicht erreicht.
Rechtskraft
Aus
Saved