L 4 KR 5085/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1164/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 5085/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 02. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für die Beschaffung des Arzneimittels "Coenzym Q10" (Wirkstoff: Ubichinon, ein Chinon-Derivat, strukturell verwandt mit Vitamin K und E) sowie die zukünftige Versorgung mit diesem Arzneimittel, hilfsweise mit dem Wirkstoff Ibedenone (Markenname Mnesis)

Die am 1976 geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner krankenversichert. Sie leidet an einem "Kearns-Sayre-Syndrom", einer unheilbaren, genetisch bedingten, langsam fortschreitenden mitochondrialen Myopathie (Muskelerkrankung durch Störung des Zellstoffwechsels). Ihr wurde im November 1996 und erneut im November 2003 ein Herzschrittmacher implantiert.

Die Klägerin befand sich wegen einer akuten Sinusitis maxillaris beidseits vom 12. bis 20. Februar 2007 in stationärer Behandlung in der Neurologischen Klinik des U.-klinikums M ... Im Rahmen dieser stationären Behandlung fiel als Nebenbefund ein Vitamin B6- (4 µg/l) und Vitamin B12-Mangel (195 ng/l) sowie der vorbekannte und bereits behandelte Eisenmangel (( 5 µmol/l) im Rahmen der krankheitsassoziierten Malnutrition auf. Deshalb wurde u.a. neben einer Ernährungsberatung - trotz verweigerter Kostenübernahme seitens der Beklagten - weiterhin zu einer Coenzym Q10 -Einnahme geraten, zumal die Klägerin in den letzten Jahren subjektiv davon profitiert habe (Bericht des Prof. Dr. M. vom 11. März 2007). Während dieser stationären Behandlung bat im Auftrag der Klägerin Frau C. R., Mitarbeiterin der Sozialberatung am Muskelzentrum des U.-klinikums M., mit Schreiben vom 16. Februar 2007 um die Kostenübernahme für Coenzym Q10. Darin war ausgeführt, die Klägerin habe "vor einigen Jahren" eine Verbesserung ihres Zustandes mit diesem Präparat erreichen können. Es sei bekannt, dass es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Nahrungsergänzungsmittel handle. Die Klägerin könne die Kosten jedoch nicht selbst tragen. Mit Bescheid vom 22. März 2007 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte eine Übernahme der Kosten ab, weil Coenzym Q10 ein verordnungsfreies, frei verkäufliches Nichtarzneimittel sei.

Unter Verweis auf den Arztbrief des Prof. Dr. M., vom 11. März 2007 bat Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in dem der Beklagten übersandten Attest vom 11. Juni 2007 um die Versorgung mit Coenzym Q10. Dr. S. führte aus, eine kausale Therapie für die Erkrankung der Klägerin bestehe nicht. Alle bislang durchgeführten Behandlungen hätten den Zustand der Klägerin nicht wesentlich beeinflusst. Durch die von Prof. Dr. M. vorgeschlagene konsequente und langfristige Behandlung mit Coenzym Q10 und Cytobion (Wirkstoff: Cyanocobalamin, ein Stoff aus der Vitamin-B12-Gruppe) sei möglicherweise eine Stabilisierung oder Besserung zu erwarten. Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), das Gutachten vom 23. August 2007. Darin führte er aus, zur Wirksamkeit von Coenzym Q10 in Verbindung mit Kreatin und Liponsäure liege eine Studie aus dem Jahre 2007 vor, eine andere Studie (2005) habe keine Wirksamkeit von Kreatin allein festgestellt. Spezielle Studien zu der hier vorgeschlagenen Kombination mit Vitamin B6 und B12 seien nicht zu finden. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte es die Beklagte mit Bescheid (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 27. August 2007 ab, sich an den Kosten für die begehrte Behandlung "mit Hexobion, Coenzym Q10 und Cytobion" zu beteiligen. Es gebe derzeit keine wissenschaftlichen Studien zur Wirksamkeit dieser Präparate. Zugleich bot die Beklagte die Unterstützung für eine Ernährungsberatung an.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Kosten für Coenzym Q10, die sie (die Beklagte) über Jahre hinweg übernommen habe, weiterhin zu übernehmen. Ihr Gesundheitszustand habe sich durch dieses Medikament deutlich verbessert. Da sie (die Klägerin) aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht mehr in der Lage sei, sich das Medikament selbst zu beschaffen, habe sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Am 16. Dezember 2007 habe sie sich sogar in die Notaufnahme des U.-klinikums M. begeben müssen. Beigefügt war der vorläufige Bericht (Name des Arztes unleserlich) vom 16. Dezember 2007 (unspezifische Verschlechterung, Schwindel; stationäre Abklärung nicht sinnvoll; es sei unter anderem - dringend die Fortführung der Coenzym-Q10-Therapie [600 mg/d] zu empfehlen). Die Beklagte sah dies als Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. August 2007 an. Sie fragte bei ihren verschiedenen Kundencentern nach, ob Coenzym Q10 in der Vergangenheit bezahlt worden sei, und erhielt verneinende Antworten. Ferner wiederholte auf Nachfrage der Beklagten Dr. S. unter dem 25. Januar 2008 im Wesentlichen seine Ausführungen in seinem Attest vom 11. Juni 2007. In dem weiteren von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 06. Februar 2008 verwies Dr. B. auf die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie - AMR -). Nichtarzneimittel könnten grundsätzlich nicht verschrieben werden, die einzige Ausnahme gelte für bestimmte Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate und Elementardiäten mit Sondennahrung, hierzu gehöre das begehrte Präparat nicht. Ein Nahrungsergänzungsmittel könne niemals ein Arzneimittel werden. Ein verwandter Stoff zu Coenzym Q10 in größerer Konzentration sei Idebenone/Mnesis (synthetisch hergestellter Abkömmling des Coenzyms Q10), auch dieser sei jedoch ein nicht verschreibungspflichtiges Importarzneimittel. Unabhängig von der fehlenden Verschreibungspflicht liege hier auch keine notstandsähnliche Situation oder lebensbedrohliche Krankheit vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. In der AMR seien die Wirkstoffe von Coenzym Q10 nicht aufgenommen worden, so dass die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ausscheide. Bei Coenzym Q10 handle sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, das frei verkäuflich und nicht verschreibungspflichtig sei. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem solchen Mittel bestehe nicht. Dies habe das Landesssozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem ähnlichen Fall bereits entschieden (Verweis auf Urteil vom 27. Dezember 2006, L 16 KR 142/06). Auch lägen nach den Feststellungen des MDK die Voraussetzungen für einen Anspruch bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht vor. Eine Kostenübernahme wegen der sozialen und finanziellen Situation der Klägerin sei nicht möglich. Ferner habe eine eventuelle Kostenübernahme in der Vergangenheit keinen Einfluss auf die heutige Entscheidung, da maßgeblich immer die bei Antragstellung gültigen Rechtsgrundlagen seien.

Die Klägerin erhob am 10. April 2008 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Sie beantragte die Versorgung mit Coenzym Q10, hilfsweise mit Idebenone. Sie wiederholte ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Durch die bisherige Kostenübernahme habe sich die Beklagte gebunden. Auch leide sie an einer schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie reichte u.a. den Arztbrief des Privatdozenten Dr. Wö., Bewegungsambulanz der Neurologischen Klinik des U.-klinikums M., vom 22. Januar 2003 ein, der eine weitere Einnahme eines Coenzym Q Produktes (z.B. Coenzym Q10) empfohlen hatte.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Coenzym Q10 sei ein Nahrungsergänzungsmittel. Idebe¬none sei ein nicht verschreibungspflichtiges ausländisches Medikament und daher von der Versorgung ausgeschlossen.

Das SG vernahm Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 21. Juli 2008 mit, er habe die Klägerin seit 1989 unregelmäßig behandelt, zuletzt im April 2007. Anfangs habe eine Augenmuskelschwäche beidseits bestanden; im weiteren Verlauf hätten sich ein leichter Kopftremor und eine allgemeine Muskelschwäche entwickelt. Es handle sich um eine mitochondriale Myopathie. Dies sei eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei der auch der Herzmuskel betroffen sei. Im weiteren Verlauf sei unter Umständen mit einem plötzlichen Herztod zu rechnen. Eine kausale Therapie bestehe nicht. Nach Angaben des U.-klinikums Mannheim könne der Verlauf durch Coenzym Q10 positiv beeinflusst werden. Ein allgemeiner Therapiestandard bestehe nicht.

Vom 06. Mai bis 03. Juni 2008 befand sich die Klägerin in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der H.-klinik. Prof. Dr. Wel. führte in dem (von der Klägerin vorgelegten) Entlassungsbericht vom 09. Juni 2008 aus, die mitochondriale Myopathie in der Form des Kearns-Sayre-Syndroms sei bereits deutlich fortgeschritten. Auch müsse eine demenzielle Entwicklung angenommen werden. Weiterhin bestünden u.a. Schwierigkeiten bei der Ernährung mit deutlichem Malnutritionssyndrom infolge von Schluckstörungen sowie ein Eisenmangel und Schwierigkeiten bei der Flüssigkeitsaufnahme. Die Klägerin sei während des Aufenthalts entsprechend den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit Coenzym Q10 behandelt worden, das aktuell die wichtigste, evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeit darstelle. Es erscheine ratsam, die Erstattungsfähigkeit dieses Präparats durch die Krankenkasse erneut zu prüfen.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02. Oktober 2008 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit Coenzym Q10. Es handle sich um einen frei vertriebenes Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein apothekenpflichtiges Arzneimittel. Es bestehe auch kein Anspruch auf Versorgung nach der AMR mit Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrung sowie Medizinprodukten. Dies seien Produkte, die ihren Zweck vorwiegend auf physikalischem Weg erreichen sollten. Hierzu gehöre Coenzym Q10 nicht. Auch ein Anspruch auf Versorgung mit Idebenone bestehe nicht. Dieses sei in Deutschland arzneimittelrechtlich nicht zugelassen. Fertigarzneimittel ohne die erforderliche Zulassung seien mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Dies habe das BSG ausdrücklich zum Arzneimittel "Mnesis" entschieden (Verweis auf Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 31 Nr. 8). Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht sei es nicht geboten, die Klägerin mit dem Präparat Coenzym Q10 zu versorgen. Bei der Klägerin bestehe keine notstandsähnliche Situation, wie sie das BVerfG (Verweis auf Beschluss vom 06. Dezember 2005, 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) und das BSG für einen solchen Anspruch voraussetzten. Die Muskelerkrankung habe einen chronisch-schleichenden Verlauf. Sie sei weder unmittelbar lebensbedrohend noch drohe derzeit der Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Es könne dahinstehen, ob bei einer solchen notstandsähnlichen Situation Versicherte auch mit Nahrungsergänzungsmitteln versorgt werden müssten. Dies sei nur dann denkbar, wenn das fragliche Mittel in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken in seiner Wirksamkeit belegt sei. Dies sei hier nicht der Fall. Eine von validen klinischen Studien gestützte Aussage zur Wirksamkeit der Einnahme von Coenzym Q10 gebe es allein in den Fällen eines tatsächlich bestehenden primären Coenzym-Q-Mangels (Verweis auf http://www.dgn.org/leitlinien.html). Für einen generellen Einsatz bei mitochondrialen Erkrankungen lägen hingegen bislang keine gesicherten Studienergebnisse vor. Auch aus einer früheren Kostenübernahme der Beklagten lasse sich der streitige Anspruch nicht herleiten. Eine Selbstbindung der Verwaltung könne nur eintreten, wenn ihr Handlungsermessen eingeräumt sei. Im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe hingegen ein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt.

Gegen diesen ihren Prozessbevollmächtigten am 13. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03. November 2008 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie meint, die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 06. November 2008, B 1 KR 6/08 R = SozR 4-2500 § 34 Nr. 4) zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasse ihre Situation nicht. Das BSG habe über "Gelomyrtol forte" entschieden und den Ausschluss für zumutbar erachtet, weil er in der Regel Arzneimittel im unteren Preisbereich von durchschnittlich weniger als EUR 11,00 je Packung betreffe. Sie benötige jedoch Coenzym Q10 oder Idebenone. Die üblicherweise verschriebene Dosis von Coenzym Q10, 60 Kapseln zu 300mg, koste EUR 100,00. Auch habe das SG nicht berücksichtigt, dass die Beklagte über Jahre hinweg die Kosten für die Behandlung mit Coenzym Q10 übernommen habe. Sie sei dringend auf eine Medikation mit Coenzym Q10 angewiesen. Bei einem Absetzen sei mit einer erheblichen und letztlich lebensbedrohlichen Verschlimmerung des Krankheitsbildes zu rechnen. Die ihr entstanden Kosten beliefen sich auf EUR 1.024,92. Sie habe vom 01. Januar bis 31. Dezember 2008 insgesamt EUR 490,80, am 13. Februar 2007 EUR 327,18 und zu einem nicht mehr bekannten anderen Zeitpunkt weitere EUR 206,94 für Coenzym-Q10-Kapseln aufgewendet. Für die darüber hinaus getätigten Aufwendungen für die Beschaffung von Coenzym Q10 fehlten ihr Zahlungsnachweise. Hierzu hat sie Apothekenrechnungen und eine Preisauszeichnung vorgelegt. Ferner hat sie vorgelegt die Atteste des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 11. Februar und 04. August 2009 (Empfehlung eines individuellen Heilversuchs; beim Absetzen von Coenzym Q10 könne nicht vom Auftreten lebensbedrohlicher Erstickungsanfälle, dafür aber von einer erheblichen Beeinträchtigung der Belastbarkeit und damit auch der Lebensqualität ausgegangen werden), die Bescheinigung des Prof. Dr. Bä., Neurologische Klinik des U.-klinikums M., vom 22. Januar 2009 (die Klägerin sei auf eine Behandlung mit Coenzym Q10 angewiesen, mehrere Fallberichte hätten eine Besserung der Symptome des Kearns-Sayre-Syndroms mittels einer Coenzym-Therapie gezeigt, daher handle es sich hierbei nicht um eine Nahrungsergänzung mit Vitaminen, sondern den momentan einzigen symptomatischen Therapieansatz) sowie das Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Kö. vom 02. Juni 2009 (Verschlechterung der Krankheitssymptome in den vergangenen Jahren).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 02. Oktober 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2007 in Gestalt des Widerspruchs¬bescheids vom 12. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr EUR 1.024,92 zu zahlen sowie ihr die Behandlung mit dem Arzneimittel Coenzym Q10, hilfsweise mit dem Arzneimittel Idebenone, zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und ihre Entscheidungen. Einen individuellen Heilversuch sehe das geltende Arzneimittelrecht nicht vor.

Der Berichterstatter des Senats hat Dr. P. und Prof. Dr. Bä. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Prof. Dr. Bä. hat unter Verweis auf die Arztbriefe des U.-klinikums M. angegeben (Aussage vom 23. April 2009), er habe mehrfach die Einnahme von Coenzym Q10 als derzeit einzigen symptomatischen Therapieansatz empfohlen. Die Klägerin habe wiederholt darauf hingewiesen, dass bei nicht mehr selbst finanzierbarer Medikation mit Coenzym Q10 eine Symptomprogredienz zu verzeichnen sei. Erstickungsanfälle oder massives Verschlucken seien in der Vergangenheit nicht bekannt, jedoch bei einem Absetzen von Coenzym Q10 prinzipiell nicht auszuschließen. Zur pulmonalen Situation sei eine Aussage nicht möglich. Dr. P. hat unter dem 05. Mai 2009 bekundet, die Klägerin habe häufig über allgemeine Schwäche mit Kurzatmigkeit und rasch auftretender Luftnot bei körperlicher Belastung berichtet, jedoch nicht über Erstickungsanfälle oder massives Verschlucken. Durch das Absetzen von Coenzym Q10 sei das akute Auftreten solcher Erstickungsanfälle oder massiven Verschluckens nicht zu erwarten, vielmehr fänden sich in der Literatur mehrere Einzelfallberichte über eine Besserung des gesamten klinischen Zustandes unter dieser Medikation im langfristigen Verlauf. Konkrete Untersuchungsergebnisse über die pulmonale Situation lägen nicht vor.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen (Sachleistungs-)Anspruch auf Versorgung mit Coenzym Q10 oder Idebenone und damit auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beschaffung von Coenzym Q10 in der Vergangenheit.

1. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2007 ist nicht bindend (§ 77 SGG) geworden. Denn der Bescheid vom 27. August 2007 enthielt nicht die nach § 36 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung. Die Widerspruchsfrist betrug deshalb nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG ein Jahr. Innerhalb dieses Zeitraumes hat die Klägerin Einwände gegen den Bescheid vom 27. August 2007 erhoben (Schreiben vom 27. Dezember 2007), was die Beklagte zu Recht als Widerspruch gegen den Bescheid angesehen und dann inhaltlich über den sinngemäß eingelegten Widerspruch der Klägerin vom 27. Dezember 2007 entschieden hat.

2. Da mangels entsprechender Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, ist, soweit die Klägerin die Erstattung von ihr aufgewendeter Kosten für die Beschaffung von Coenzym Q10 begehrt, Anspruchsgrundlage § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Die Regelung bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19). Der Senat lässt dahingestellt, ob die Klägerin die ihr entstandenen Kosten für die Beschaffung von Coenzym Q10 in ausreichender Weise dargelegt hat sowie des Weiteren, ob die Klägerin auch Kostenerstattung für von ihr getätigte Aufwendungen für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Bescheids vom 27. Mai 2007 begehrt. Ihr diesem Bescheid vorangegangener Antrag wäre wohl dahin zu verstehen, der früher ergangene und bestandskräftig gewordene Bescheid vom 22. März 2007 sei nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). Jedenfalls bestand und besteht kein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf die Versorgung mit Coenzym Q10. Ein Sachleistungsanspruch besteht auch nicht für die hilfsweise begehrte Versorgung in der Zukunft mit Idebenone/Mnesis.

a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u. a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Abweichendes sehen weder das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) - im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil es sich um keine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 15 SGB IX handelt - noch das SGB V vor.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ab 01. Januar 2004 geltenden Fassung sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Vorgabe hat der GBA in Abschnitt F der AMR (eingefügt mit Wirkung zum 16. März 2004 durch Beschluss vom selben Tag: Bundesanzeiger [BAnz] Nr. 77 vom 23. April 2004, S. 8905) umgesetzt, nunmehr aufgrund der am 14. August 2009 in Kraft getretenen Änderung der AMR durch die Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 und 22. Januar 2009 (BAnz Nr. 49a vom 31. März 2009) § 12 AMR. Diese Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahrs und für versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund einer Richtlinie des GBA nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Ferner bestimmte § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden, hier, soweit für die Zeit vor dem 31. Dezember 2008 der Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht wird, noch anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften vom 14. Juni 2007 (BGBl. I, S. 1066): Der GBA hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden: 1. Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung, 2. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind; § 34 Abs. 1 Satz 5, 7 und 8 sowie Abs. 6 und § 35 SGB V gelten entsprechend. Für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medizinprodukte nach Satz 2 gilt § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB V entsprechend. In der seit 01. Januar 2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2426) bestimmt § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V, dass der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 festzulegen hat, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 MPG zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden; § 34 Abs. 1 Satz 5, 7 und 8 und Abs. 6 sowie die §§ 35, 126 und 127 SGB V gelten entsprechend. Nach § 31 Abs. 5 SGB V in der seit 01. Januar 2009 geltenden Fassung des GKV-OrgWG haben Versicherte Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (Satz 1). Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können und veröffentlicht im Bundesanzeiger eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Produkte (Satz 2).

b) Nach diesen Voraussetzungen konnte und kann Coenzym Q10 nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05. April 2006, L 5 KR 5106/05, veröffentlicht bei http://www.sozialgerichtsbarkeit.de).

aa) Der Senat lässt offen, ob es sich bei Coenzym Q10 um ein Arzneimittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel handelt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel unter anderem Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen Körper Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Darüber hinaus fallen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG auch Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen unter den Arzneimittelbegriff, die die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers beeinflussen. Zwar wird der Arzneimittelbegriff durch § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG dahin eingeschränkt, dass Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) keine Arzneimittel sind. Nach § 1 Abs. 1 LMBG sind Lebensmittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden. Entscheidend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel ist daher seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt (vgl. Bundesgerichtshof [BGH] NJW-RR 2000, 1284 ff.). Insoweit ist festzustellen, dass Coenzym Q10 zwar als Nahrungsergänzungsmittel beworben wird, jedoch nicht wie ein Lebensmittel im klassischen Sinne der Ernährung oder dem Genuss dienen soll, sondern der Leistungssteigerung und der Steigerung des Wohlbefindens.

bb) Selbst wenn man Coenzym Q10 hiernach als Arzneimittel einstufen würde, scheidet eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen aus, da es an der Apothekenpflicht fehlt. Co¬enzym Q10 ist vielmehr frei verkäuflich.

cc) Unabhängig hiervon scheidet eine Verordnungsfähigkeit als Arzneimittel aus, weil Coenzym Q10 eine arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG fehlt. Ein Arzneimittel, dem die Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG fehlt, ist regelmäßig im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig (vgl. zuletzt etwa BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Danach ist die Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der Krankenversicherung schon deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparats auf einem strafbaren Verhalten aufbaut und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkassen erwachsen kann (vgl. BSG, a.a.O. unter Verweis auf BSGE 82, 223 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 5 S. 17f.).

dd) Aus diesen Gründen kann die Klägerin Coenzym Q10 auch nicht nach der Sonderregelung in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V verlangen, selbst wenn es sich hierbei um ein Arzneimittel handelt. Zum einen liegen ärztliche Verordnungen für den hier streitigen Zeitraum nicht vor. Hierauf hatte der Berichterstatter des Senats bereits in seinem Schreiben vom 16. Dezember 2008 hingewiesen; die Klägerin hat jedoch gleichwohl keine Verordnungen vorgelegt. Außerdem erfasst auch die Ausnahmeregelung in Satz 2 nur apothekenpflichtige Arzneimittel, nicht aber frei verkäufliche. Dies ergibt sich aus der Stellung dieser Norm innerhalb des Absatzes 1, der nach seinem Satz 1 nur apothekenpflichtige Arzneimittel überhaupt betrifft. Dass eine arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, steht ebenfalls einer ausnahmsweisen Verordnung durch den Arzt entgegen. § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V ermöglicht dem Arzt nur die Verordnung solcher Medikamente, die der GBA in seiner Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen hat. Beruht der Ausschluss auf anderen Gründen - etwa § 34 Abs. 1 SGB V oder eben dem Fehlen einer Zulassung -, greift auch die Ausnahmeregelung nicht ein.

ee) Nach diesen Grundsätzen scheidet auch eine Versorgung der Klägerin mit Idebenone/Mnesis aus. Hierbei handelt es sich zwar um ein Arzneimittel, dem jedoch die erforderliche Zulassung fehlt (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05. April 2006, L 5 KR 5106/05, a.a.O.), sodass eine ärztliche Verordnung - die allerdings auch für dieses Arzneimittel nicht vorliegt - weder nach Satz 1 noch nach Satz 2 des § 31 Abs. 1 SGB V erfolgen kann. Dies hat das BSG bereits - konkret zu diesem Wirkstoff - in dem auch vom SG zitierten Urteil vom 14. Dezember 2006 (B 1 KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 31 Nr. 8) entschieden. Es hat dort ausgeführt: "Zu diesen Leistungen gehört die Versorgung mit dem Arzneimittel Mnesis nicht. Denn Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt ( ). Dies ist hier der Fall. Mnesis ist - in der Weise, wie es zB in Italien und der Schweiz vertrieben wird - ein industriell hergestelltes Fertigarzneimittel iS von § 4 Abs 1 AMG. Es besteht aus Stoffen bzw. Zubereitungen, die dazu bestimmt sind und bei der Klägerin auch dazu eingesetzt werden sollen, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Mnesis ist damit auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne als Arzneimittel anzusehen (§ 27 Abs 1 Nr 3, § 31 SGB V). Derartige Fertigarzneimittel dürfen gemäß § 21 Abs 1 Satz 1 AMG im Geltungsbereich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen worden sind oder wenn für sie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder der Rat der EU eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art 3 Abs 1 oder 2 der EG-Verordnung (EGV) Nr 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel Agentur (ABl EU Nr L 136/1) erteilt hat. An einer solchen Zulassung fehlt es. Für das zulassungspflichtige Mnesis lag weder in Deutschland noch EU-weit eine solche Arzneimittelzulassung vor. Die in einzelnen EU-Staaten für eine andere Indikation und in der Schweiz befristet unter Modifikationen für die hier einschlägige Indikation erteilte Arzneimittelzulassung von Mnesis - beschränkt jeweils auf diese Staaten - entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl im Einzelnen BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils Leitsatz und RdNr 11 ff - Immucothel). Damit kommt mangels Zulassung von Mnesis seine zulassungsüberschreitende Anwendung (vgl dazu BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin) von vornherein nicht in Betracht (BSGE 93, 1 = SozR aaO, jeweils RdNr 22). Auch um einen Seltenheitsfall, der sich einer systematischen Erforschung entzieht (vgl dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 - Visudyne), handelt es sich nicht. Auch der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass Arzneimittel ohne die in Deutschland erforderliche Zulassung von der Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sind (vgl. Urteil vom 08. Februar 2008, L 4 KR 2153/06, veröffentlicht auf http://www.sozialgerichtsbarkeit.de).

c) Die Klägerin kann auch die Versorgung mit Coenzym Q10 oder Idebenone/Mnesis nicht nach den Kriterien des "Off-Label-Use" (vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5) verlangen. Dies ist eine Verordnung eines zugelassenen Medikaments außerhalb seiner Zulassungsindikationen. Co¬enzym Q10 und Idebenone/Mnesis sind jedoch überhaupt nicht zugelassen.

d) Um einen so genannten Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1), handelt es sich vorliegend nicht. Der von der Klägerin speziell für ihren Einzelfall geltend gemachte Behandlungserfolg ist unerheblich, weil die streitige Therapie wissenschaftlich anerkannt wirksam sein muss, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen genügen zu können. Der Anspruch umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind sowie deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen ist (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (BSG SozR 4-2500 § 31 Nrn. 1 und 3). Auch bei einer erfolgten Arzneimittelanwendung sind Spontanheilungen und wirkstoffunabhängige Effekte mit in Rechnung zu stellen (BSG SozR 4 - 2500 § 31 Nr. 4).

e) Zu keinem anderen Ergebnis führt die entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (a.a.O.) gebotene verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4).

Diese Auslegung hat zur Folge, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Arzneimittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u. a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7). Das BSG hat insoweit (zuletzt SozR 4-2500 § 31 Nr. 8) ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10).

Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung für einen Off-Label-Use sind hoch. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenkassen an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (so zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 und ausführlich BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, mit zahlreichen Nachweisen). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (a.a.O.) z. B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 - Interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006, B 1 KR 16/06 B) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 - Idebenone). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten.

Solches vermag der Senat bei dem bei der Klägerin vorliegenden Kearns-Sayre-Syndrom, einer unheilbaren, genetisch bedingten, langsam fortschreitenden mitochondrialen Myopathie, nicht festzustellen. Die Krankheit ist vielmehr nach den Aussagen der behandelnden Ärzte langsam progredient. Akute Lebensgefahr besteht nicht. Der Senat entnimmt dies vor allem den Aussagen des Dr. P. vom 05. Mai 2009. Er hat ausdrücklich ausgeführt, durch das Absetzen von Coenzym Q10 sei das akute Auftreten von Erstickungsanfällen oder massivem Verschlucken nicht zu erwarten, vielmehr fänden sich in der Literatur mehrere Einzelfallberichte über eine Besserung des gesamten klinischen Zustandes unter dieser Medikation im langfristigen Verlauf. Etwas anderes haben auch die weiteren Behandler nicht angegeben. Dies gilt auch auf pulmologischem Gebiet. Es besteht insoweit keine akute Gefahr. Der Senat geht davon aus, dass eine erhebliche Schädigung oder Schwächung der Lungen nicht vorliegt. Denn in keinem der vorliegenden ärztlichen Berichte werden entsprechende Befunde beschrieben. Die Behandler haben übereinstimmend - nur - von Kurzatmigkeit bei körperlichen Belastungen gesprochen. Vor allem aber wurde die Klägerin während der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der H.-klinik vom 06. Mai bis 03. Juni 2008 kardiopulmar untersucht; hierbei wurden bei einer Auskultation keine Geräusche festgestellt; auch die Lunge wird als frei beschrieben (vgl. Entlassungsbericht des Prof. Dr. Wel. vom 09. Juni 2008).

f) Ein Anspruch der Klägerin ergäbe sich auch nicht daraus, dass die Beklagte in der Vergangenheit eine Versorgung mit Coenzym Q10 sichergestellt oder die Kosten hierfür erstattet hätte. Eine solche Kostenübernahme durch die Beklagte in der Vergangenheit konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin hat ihre diesbezügliche Behauptung nicht konkretisieren können. Denkbar ist allenfalls, dass Coenzym Q10 innerhalb stationärer Behandlungen erbracht und auch abgerechnet wurde. Für eine ambulante Versorgung ist nichts ersichtlich. Ganz unabhängig davon wäre durch eine solche Kostenübernahme in der Vergangenheit keine Selbstbindung eingetreten. Die Erbringung einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung hängt immer von den aktuellen (medizinischen) Umständen; sie hat daher für die Zukunft grundsätzlich nie eine rechtliche Bedeutung, da sich diese Umstände ändern können.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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