L 3 SB 370/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 SB 2157/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 370/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.

Mit Bescheid vom 21.08.2006 stellte der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) des 1963 geborenen Klägers ab dem 09.06.2006 mit 30 fest. Hierbei legte sie einen Einzel-GdB von 30 für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und einen operierten Bandscheibenschaden sowie jeweils einen Einzel-GdB von 10 für Bronchialasthma/Allergie und Bluthochdruck zugrunde.

Am 23.07.2007 stellte der Kläger Antrag auf Erhöhung des GdB. In Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, gelangte der Prüfarzt des Beklagten Dr. A. in der Stellungnahme vom 02.10.2007 zu der Beurteilung, über die bereits festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen hinaus liege eine Sehminderung rechts und ein Magengeschwürsleiden vor, die jedoch keinen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigten. Eine wesentliche Verschlimmerung sei nicht nachgewiesen. Mit Bescheid vom 09.10.2007 lehnte der Beklagte den Antrag daraufhin ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 14.03.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Die Ärztin für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. B. hat unter dem 22.04.2008 mitgeteilt, sie habe den Kläger vom 16.02. bis 09.07.2007 behandelt. Die Behandlung sei durch den Kläger wegen mangelnder Schmerzlinderung unter der begonnenen Akupunktur (8 Sitzungen) abgebrochen worden. Beim Kläger bestehe ein bereits deutlich therapierefraktäres, chronifiziertes Schmerzsyndrom mit neuropathischem Schmerzcharakter. Zusätzlich bestehe eine Persönlichkeitsveränderung im Sinne eines algogenen Psychosyndroms. Es bestehe eine anhaltende Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule in einem Abschnitt, die als schwer zu bezeichnen sei.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. C. hat mit Schreiben vom 18.04.2008 mitgeteilt, er habe den Kläger vom 15.02.2006 bis 19.02.2007 behandelt. Es bestünden ein rezidivierendes LWS-Syndrom bei Osteochondrose L4/5, L5/S1; Nukleotomie L4/5 links, Foraminotomie links L5. Die Einschätzung der Beklagten mit einem GdB von 30 für den Bereich der Lendenwirbelsäule werde geteilt. Beigefügt war der Bericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation (ZAR) vom 29.06.2006 über eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme vom 08.06. bis 28.06.2006 nach einer Sequestrektomie am 24.05.2006.

Dr. D., Neurochirurg und Neurologe, hat unter dem 15.05.2008 mitgeteilt, der Kläger habe vom 11.09.2007 bis zum 28.01.2008 in seiner Behandlung gestanden wegen Aufbrauchleiden des Skelettsystems mit das altersübliche Ausmaß nicht wesentlich übersteigenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule vor allem im Lendenwirbelsäulenbereich, Zustand nach Operation eines Bandscheibenvorfalls LWK 4/5 links 2006, Zustand nach periradikulärer Therapie der Wurzel in Höhe LWK 4/5 links sowie Zustand nach Cryorhizotomie der lumbalen Facetten links. Er teile die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes bezüglich des GdB auf klinisch-neurochirurgischem Fachgebiet.

Dr. E., Neurochirurg, hat unter dem 09.05.2008 ausgeführt, der Kläger habe sich einmalig am 17.10.2007 ambulant vorgestellt. Er teile die Beurteilung des versorgungsärztlichen Dienstes.

Das SG hat daraufhin Dr. F., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im nervenärztlichen Gutachten vom 12.01.2009 hat Dr. F. ausgeführt, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, ein Zustand nach zweifacher Wirbelsäulenoperation (2006 und 10/2008) mit florider Wurzelschädigung L 5 links sowie ein chronisches Schmerzsyndrom. Darüber hinaus bestünden ein Bronchialasthma, eine Allergie und Bluthochdruck. Die Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien mit einem Einzel-GdB von 40, die sonstigen Gesundheitsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage derzeit 40.

Mit Schreiben vom 23.03.2009 unterbreitete der Beklagte, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 19.03.2009, ein Vergleichsangebot, wonach der GdB 40 betrage ab 23.07.2010.

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, nach der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. F. sei am 13.10.2008 in der Orthopädischen Klinik H. eine operative Versteifung der Wirbelsäule durchgeführt worden, hat das SG weitere sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt. Dr. C. hat unter dem 27.04.2009 mitgeteilt, gut sechs Monate nach der Operation bestehe sicher noch eine Einschränkung der Beweglichkeit mit mehr Beschwerden im Beinbereich, wobei hier eine leichte Fußheberparese links störend sei. Dagegen sei die Beschwerdesymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule rückläufig, insgesamt sei postoperativ noch nicht von einem Endzustand auszugehen, dafür seien sechs Monate auch angesichts der großen OP zu wenig. Die Behinderungen im Bereich der LWS seien unverändert mittel- bis schwergradig, der GdB auf orthopädischem Fachgebiet sei mit 40 zu bewerten. Dr. I., Leiter der Sektion Skoliose an der Orthopädischen Klinik H., hat unter dem 08.05.2009 mitgeteilt, unter Berücksichtigung sämtlicher Befunde werde ein Einzel-GdB von 40 für angemessen erachtet. Die Wirbelsäulenerkrankung sei als mittelgradig einzustufen.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2009 hat das SG den Bescheid vom 09.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2008 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, den Grad der Behinderung des Klägers ab dem 23.07.2007 - entsprechend dem Vergleichsvorschlag vom 23.03.2009 - mit 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen wegen eines operierten Bandscheibenschadens, einer Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten sowie eines chronischen Schmerzsyndroms seien mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Nicht gefolgt werde der Beurteilung von Dr. B.; die von dieser beschriebene hochgradige Beeinträchtigung im Alltag habe weder durch das von Dr. F. erstattete Gutachten noch durch die weiter vorliegenden Befundberichte bestätigt werden können. Für die Allergie und das Bronchialasthma sei ein Einzel-GdB von jeweils 10 in Ansatz zu bringen. Gleiches gelte für die Hypertonie. Für die weiter vorliegende Sehminderung sei gleichfalls noch kein Einzel-GdB von 20 festzustellen. Damit betrage der Gesamt-GdB 40.

Gegen den am 04.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.01.2010 Berufung eingelegt. Er hat unter Vorlage von Arztbriefen des Dr. I. vom 27.04.2009, 25.05.2009, 29.07.2009 und 14.10.2009 vorgetragen, sein Gesundheitszustand hinsichtlich der Spondylolistheis L 5/S 1 habe sich kontinuierlich verschlechtert. Zwar habe durch die letzte Operation eine Besserung der lumbalen Instabilität erzielt werden können, jedoch nicht der ischialgieformen Schmerzen. Darüber hinaus sei seine Sehschwäche, die sich zwischenzeitlich verschlechtert habe, nicht richtig beurteilt worden. Im Arztbrief vom 29.07.2009 hat Dr. I. ausgeführt, die Röntgenaufnahme der LWS vom 22.07.2009 zeige unverändert einliegendes Osteosynthesematerial ohne Lockerungszeichen. Im Arztbrief vom 14.10.2009 wird angegeben, eine Besserung der lumbalen Instabilität sei durch die letzte Operation eingetreten, jedoch nicht der ischialgieformen Schmerzen. Eine zuletzt durchgeführte Wurzelinfiltration L5 habe eine Linderung für wenige Tage erbracht.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung ab Antragstellung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt vor, aus den aktuellen Untersuchungsbefunden der Orthopädischen Klinik H. ergebe sich zwar nicht die vom Kläger erhoffte Verbesserung des Wirbelsäulenleidens, jedoch auch keine Verschlechterung.

Der als sachverständiger Zeuge gehörte Augenarzt Dr. K. hat unter dem 11.06.2010 mitgeteilt, am rechten Auge bestehe eine Makulopathie. Ein zwischenzeitlich aufgetretenes Ödem sei bei der letzten Untersuchung im Dezember 2009 fundoskopisch nicht mehr nachweisbar gewesen, der Visus rechts habe 0,4 betragen. Der Arzt für Innere Medizin/Rheumatologe L. hat unter dem 11.11.2010 mitgeteilt, den Kläger einmalig am 15.03.2010 untersucht zu haben. Hierbei habe er ein LWS-Syndrom bei Zustand nach zwei Wirbelsäulen-OP festgestellt, eine entzündlich-rheumatologische Erkrankung habe ausgeschlossen werden können. Bei der körperlichen Untersuchung hätten sich internistisch keine Auffälligkeiten ergeben. Der Kläger hat schließlich den Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation vom 08.03.2010 über eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme vom 11.02.2010 bis 08.03.2010 vorgelegt. Darin wird u.a. ausgeführt, der Kläger habe keine nennenswerte Beschwerdebesserung angegeben. Es habe jedoch eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Beschwerden und den erhobenen klinischen und technischen Befunden bestanden. Das Gangbild im Untersuchungszimmer habe demonstrativ gewirkt, sei jedoch flüssig und unauffällig, wenn sich der Patient unbeobachtet fühle. Die extrem geklagten Beschwerden ließen sich durch die klinischen Befunde nicht hinreichend objektivieren.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht die Klage des Klägers abgewiesen, soweit ein höherer GdB als 40 geltend gemacht worden ist. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die maßgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend dargestellt. Es hat in nicht zu beanstandender Weise die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers gewürdigt und ist zu der zutreffenden Beurteilung gelangt, dass aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers ein GdB von 40 festzustellen ist und dass die weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers lediglich einen Einzel-GdB von jeweils allenfalls 10 rechtfertigen, so dass ein GdB von 50 nicht festgestellt werden kann. Hierzu wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen, dass weder der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren noch die hier erhobenen medizinischen Unterlagen die Feststellung eines höheren GdB rechtfertigen.

Hinsichtlich der von der Lendenwirbelsäule ausgehenden Beeinträchtigungen ist zwar, wie auch der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, durch die Behandlungsmaßnahmen keine nachhaltige Besserung eingetreten. Eine im Herbst 2009 durchgeführte Wurzelinfiltration L5 hat ausweislich des Arztbriefes von Dr. I. vom 14.10.2009 lediglich eine kurzzeitige Linderung erbracht. Es ist jedoch auch keine Verschlechterung eingetreten, die eine Erhöhung des Einzel-GdB auf mehr als 40 rechtfertigen könnte. Hierbei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der objektive Befund die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden schwerlich rechtfertigt und dass dem Reha-Entlassungsbericht des ZAR vom 08.03.2010 auch entnommen werden kann, dass eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Beschwerden des Klägers und den dort erhobenen klinischen und technischen Befunden besteht. Denn das Gangbild des Klägers im Untersuchungszimmer wirkte demonstrativ, es war jedoch flüssig und unauffällig, wenn sich der Kläger unbeobachtet gefühlt hat. Wenngleich sich hieraus keine objektiven Rückschlüsse auf die tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers ziehen lassen, kann dies gleichwohl als Anhaltspunkt dafür genommen werden, dass allein ausgehend von den klinischen Befunden der festgestellte GdB jedenfalls ausreichend ist. Jedenfalls liegt - entgegen der Berufungsbegründung - keine kontinuierliche Verschlechterung vor. Ein höherer Einzel-GdB als 40 kommt nach Teil B Nr. 18.9 der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) zu § 2 Der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonderes schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z.B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) in Betracht. Solche schwere Auswirkungen liegen beim Kläger offensichtlich nicht vor.

Auch für die Sehminderung ist kein höherer Einzel-GdB als 10 festzustellen. Augenarzt Dr. K. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 11.06.2010 angegeben, bei der letzten Untersuchung am 29.12.2009 habe eine Sehschärfe rechts von 0,4 bestanden. Für das linke Auge hat er keine aktuellen Visuswerte mitgeteilt. In der zuletzt davor erteilten Auskunft vom 26.04.2007 hat er für das linke Auge einen Visus von 1,0 angegeben, so dass davon auszugehen ist, dass hier ein weitgehend normaler Visus besteht. Unter Zugrundelegung der Tabelle in Teil B Nr. 4.3 der VMG bedingt die Sehminderung einen GdB von allenfalls 5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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