Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 680/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1004/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8.12.2009 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.705,19 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen.
Am 2.11.2005 führte die Beklagte im Unternehmen der Klägerin eine Betriebsprüfung gem. § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) für den Prüfzeitraum 1.1.2001 bis 31.5.2005 durch und gab ihr nach Abschluss der Prüfung mit Bescheid vom 4.11.2005 auf, Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. EUR 294,12 nachzuentrichten. Zur Begründung wurde ausgeführt, die stichprobenweise Überprüfung von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungspflicht habe Beanstandungen ergeben. In den geprüften Fällen sei die Versicherungspflicht nicht immer zutreffend beurteilt worden; die beitragsrechtliche Beurteilung der Entgelte und sonstigen Zuwendungen sei nicht immer zutreffend erfolgt. In den geprüften Fällen seien die Beiträge nicht immer richtig und vollständig berechnet worden. Hinsichtlich der Aushilfen I seien die Arbeitnehmer B., B. und M. im Prüfzeitraum geringfügig beschäftigt gewesen. Während der Beschäftigungen seien die anteiligen Geringfügigkeitsgrenzen überschritten worden, weswegen Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung eingetreten sei. Bei den Aushilfen II habe bei der ebenfalls geringfügig beschäftigten Arbeitnehmerin Sch. Versicherungspflicht wegen einer Hauptbeschäftigung und einer weiteren geringfügigen Beschäftigung bestanden. Der Bescheid, dem Anlagen zur Berechnung der Nachforderungsbeträge für die genannten Arbeitnehmer beigefügt sind, ist bestandskräftig.
Am 1.6.2006 führte das Hauptzollamt U. eine Geschäftsunterlagenprüfung im Unternehmen der Klägerin durch. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass für die geringfügig Beschäftigten nicht immer der Mindestlohn nach dem mit Wirkung vom 1.9.2002 für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgeltes im Bauhandwerk/Gewerbe (TV-Mindestlohn Bau) gezahlt worden ist. Auf der Grundlage der Feststellungen des Hauptzollamtes nahm die Beklagte eine weitere Beitragsnachberechnung vor. Mit Anhörungsschreiben vom 27.9.2006 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, zur beabsichtigten Nachforderung (weiterer) Sozialabgaben Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Zahlung von Mindestlöhnen sei der Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgelts im Bau-Handwerk/Gewerbe mit Wirkung vom 1.9.2002 für allgemeinverbindlich erklärt worden und daher auch für die Klägerin maßgeblich (Mindeststundenlohn 10,12 EUR, ab 1.9.2003: 10,36 EUR, ab 1.9.2005: 10,20 EUR).
Diese trug vor, ihr Betrieb sei bereits geprüft und die Betriebsprüfung sei mit bestandskräftigem Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 abgeschlossen worden. Für den Prüfzeitraum vom 1.1.2001 bis 31.5.2005 habe die Beklagte die Zahlung von Mindestlöhnen für geringfügig Beschäftigte nicht beanstandet, obwohl ihr die konkreten Lohnzahlungen bis ins Detail bekannt gewesen seien. Hätte man sie rechtzeitig informiert, hätte sie entsprechende Maßnahmen ergreifen können. Es sei treuwidrig, die Lohnabrechnungen jahrelang zu akzeptieren und nunmehr eine beträchtliche Nachzahlung für die Beigeladenen Nr. 4 bis 23 zu fordern. Durch die Berücksichtigung des Mindestlohns sei bei verschiedenen Arbeitnehmern die Geringfügigkeitsgrenze überschritten worden.
Mit Bescheid vom 5.9.2007 gab die Beklagte der Klägerin die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen i. H. v. 1.882,74 EUR für die Beschäftigung der beigeladenen Arbeitnehmer während des (Prüf-)Zeitraums 1.8.2003 bis 30.11.2005 auf. Außerdem beanstandete sie die für diese (wegen geringfügiger Beschäftigung) zu Unrecht gezahlten Pauschalbeiträge; für deren Erstattung sei jedoch die Einzugsstelle (Bundesknappschaft) zuständig. Säumniszuschläge würden nicht berechnet. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, gem. § 6 Abs. 1 Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) bzw. gem. § 11 Abs. 1 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) werde eine Betriebsprüfung regelmäßig nicht als Vollprüfung durchgeführt. Sie beschränke sich vielmehr auf Stichproben, um die Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig zeitlich zu belasten. Im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben prüfe man Zeiträume nicht, die bereits von den Krankenkassen geprüft worden seien. Bei fehlerhafter Beurteilung würden in die Prüfung aber auch abgeschlossene Prüfzeiträume einbezogen. Das BSG habe mit Urteilen vom 10.9.1975 (- 3/12 RK 15/74 -) und vom 30.11.1978 (- RK 6/79 -) entschieden, dass das Recht zur Beanstandung fehlerhafter Beitragsberechnungen im Rahmen von Betriebsprüfungen nicht verwirkt sei und den Arbeitgebern ausreichender Vertrauensschutz durch die Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zukomme. Vertrauen des Beitragsschuldners könne sich nur auf Grund eines konkreten Verhaltens der Krankenkasse bzw. des Rentenversicherungsträgers im Rahmen der Regelung eines Einzelfalls bilden. Betriebsprüfungen sollten die rechtmäßige Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sichern. Eine darüber hinausgehende Bedeutung komme ihnen nicht zu.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, es sei zweifelhaft, ob die tariflichen Regelungen des Baugewerbes für ihr Unternehmen gälten. Zudem seien geringfügig Beschäftigte von der Mindestlohnregelung nicht erfasst, da der Gesetzgeber durch deren geringe Entlohnung einen Beschäftigungsanreiz habe schaffen wollen. Den jetzt beanstandeten Sachverhalt habe die Beklagte bei der Betriebsprüfung vom 2.11.2005 hinsichtlich der Zahlung des Mindestlohns nicht bemängelt, weswegen Vertrauensschutz bestehe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.1.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte sie aus, der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe gelte gem. § 3 für alle gewerblichen Arbeitnehmer, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ausübten. Entscheidend für die Zuordnung zum Mindestlohntarifvertrag sei daher das Vorliegen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt; das gelte auch für geringfügig Beschäftigte.
Am 25.2.2008 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Ulm. Sie trug ergänzend vor, die Überprüfung durch das Hauptzollamt U. am 1.6.2006 habe allein Vorwürfe wegen Schwarzarbeit betroffen. Für ihre geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer müsse sie nur Pauschalbeiträge zahlen. Sie seien von der tariflichen Festlegung der Mindestlöhne nicht erfasst, da sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausübten.
Die Beklagte trug vor, nach den einschlägigen Bestimmungen wie der Prüfpraxis würden Betriebsprüfungen in der Regel nur stichprobenhaft durchgeführt. Eine Überprüfung sämtlicher Arbeitsverhältnisse bei allen Arbeitgebern sei nicht möglich. Dem Bescheid vom 4.11.2005, auch den Überschriften zu den "Aushilfen I und II" könne nicht entnommen werden, dass alle Arbeitsverhältnisse bzw. alle Aushilfen geprüft worden wären. Vielmehr werde ausdrücklich auf die Stichprobenprüfung hingewiesen.
Mit Urteil vom 8.12.2009 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 5.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2008 insoweit auf, als der Klägerin darin die Nachzahlung von Sozialabgaben (Beiträge) für die Zeit vor dem 1.6.2005 in Höhe von EUR 1.705,19 aufgegeben ist. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, soweit die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1.8.2003 bis 31.5.2005 in Höhe von insgesamt EUR 1.705,19 nachfordere.
Der angefochtene Nachforderungsbescheid sei wegen des bestandskräftigen Prüf- bzw. Nachforderungsbescheids vom 4.11.2005 überwiegend rechtswidrig. Die Beklagte dürfe (weitere) Beiträge für den gleichen Zeitraum nämlich nur nach Maßgabe des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erheben. Die Bindungswirkung des Bescheids vom 4.11.2005 gelte für den darin geregelten Prüfzeitraum (1.1.2001 bis zum 31.5.2005). Im Hinblick auf die im Urteil des LSG Bad.-Württ. vom 7.8.2009 (- L 4 R 3157/07 -) dargelegten Auslegungsgrundsätze würden in Bescheiden nach § 28p Abs. 1 Satz 5 1. Hs. SGB IV nicht grundsätzlich und bindend alle Fragen der Beitragspflicht und auch nicht immer alle etwaigen Nachforderungsansprüche geregelt; maßgeblich sei der durch Auslegung zu ermittelnde Verfügungssatz des Bescheids. Im Bescheid vom 4.11.2005 habe die Beklagte über die Nachforderung von Beiträgen in Höhe von EUR 294,12 bezogen auf den Prüfzeitraum vom 1.1.2001 bis zum 31.5.2005 entschieden. Der Hinweis auf die (nur) stichprobenweise Überprüfung von Abrechnungsfällen sei nicht Bestandteil des Verfügungssatzes, sondern nur ein (allgemeines) Begründungselement. Die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass die Versicherungspflicht der geringfügig beschäftigten Mitarbeiter (im Bescheid als Aushilfen I und Aushilfen II bezeichnet) umfassend und abschließend geprüft worden sei. Die Beklagte habe die genannten Mitarbeiter der Klägerin – im Bescheid durch Fettdruck hervorgehoben - ausdrücklich als abschließend geprüft betrachtet. So seien hinsichtlich der Aushilfen I - sogar unter Hinweis auf die Bindungswirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages - das Überschreiten der anteiligen Geringfügigkeitsgrenzen bei drei Mitarbeitern und hinsichtlich der Aushilfen II ein Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenzen im Sinne des Eintritts von Versicherungspflicht bei einer weiteren Arbeitnehmerin festgestellt worden. Außerdem beschränke sich eine Betriebsprüfung des Rentenversicherungsträgers entgegen der Darlegungen der Beklagten nicht grundsätzlich auf Stichproben, sondern müsse umfassend erfolgen. Das ergebe sich aus § 11 Abs. 1 Satz 1 BVV, wonach die Prüfung der Aufzeichnungen gem. §§ 8 und 9 auf Stichproben nur beschränkt werden dürfe, weswegen die Stichprobenprüfung nicht den Regelfall darstellen könne. Außerdem müsse die Beklagte beim Erlass von Verwaltungsakten nach § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ggf. entgegenstehende bestandskräftige Verwaltungsakte der Einzugsstelle aufheben oder ändern, wobei sie die Regelungen der §§ 44 ff SGB X grundsätzlich zu beachten habe (vgl. KassKomm/Seewald, SGB IV § 28p Rdnr. 10). Das müsse erst Recht für (eigene) Verwaltungsakte der Beklagten gelten, jedenfalls dann, wenn sie für den gleichen Prüfzeitraum erneut einen Bescheid nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlasse. Andernfalls hätte die Vorschrift in § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV auch nur eine ganz eingeschränkte Bedeutung. Über eine Fallgestaltung der vorliegenden Art habe das BSG nicht entschieden. Mit den angefochtenen Bescheiden habe die Beklagte den Verwaltungsakt vom 4.11.2005 gem. § 45 SGB X weder abgeändert noch teilweise zurückgenommen.
Hinsichtlich der Zeit ab dem 1.6.2005 sei die Klage aber unbegründet. Für die Beigeladenen Nr. 7, 11, 12, 13, 14, 22 und 23 seien zusätzliche Beiträge unter Zugrundelegung des jeweiligen Mindestlohns nach dem für allgemeinverbindlich erklärten TV-Mindestlohn Bau nachzuerheben. Der Tarifvertrag gelte für das Unternehmen der Klägerin (vgl. Abschn. 4 Nr. 11 TV-Mindestlohn Bau); die als Aushilfen beschäftigten Beigeladenen würden von dem Tarifvertrag erfasst. Die Berechnung des Nachforderungsbetrags sei nicht zu beanstanden.
Auf das ihr am 1.2.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.3.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wie das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 8.7.2008 (- L 16 (18) R 43/05 -) dargelegt habe, seien die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleineren Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Betriebsprüfungen erfolgten unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten und sollten die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherstellen. Beitragsausfälle sollten verhindert und die Träger der Renten- und Arbeitslosenversicherung davor bewahrt werden, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstünden. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung komme den Betriebsprüfungen, auch den Prüfberichten, nicht zu. Sie bezweckten insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen (vgl. etwa BSG SozR 2200 § 1399 Nr. 11, BSG SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Damit beschränkten sich Betriebsprüfung ihrer Eigenart nach stets auf die stichprobenhafte Kontrolle der Beitragsberechnung und begründeten für den Arbeitgeber keinen Vertrauensschutz.
Die Bindungswirkung des (Prüf-)Bescheids vom 4.11.2005 erfasse nur die tatsächlich geprüften Fälle, wobei auch nur der Entscheidungssatz, also der bescheidmäßige Ausspruch in Bestandskraft erwachse. Die stichprobenhafte Überprüfung von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungspflicht habe seinerzeit für den Prüfzeitraum 1.1.2001 bis 31.5.2005 eine Nachforderung von EUR 294,12 ergeben. Selbst wenn die — zur Auslegung des Verfügungssatzes notwendigen – Begründungselemente des Prüfbescheids vom 4.11.2005 Bindungswirkung entfalten sollten, stehe dies den Regelungen in den angefochtenen Bescheiden nicht entgegen. Feststellungen seien seinerzeit nämlich für Personen getroffen worden, für deren Beschäftigung sich eine Nachforderung ergeben habe. Zudem hätten die geprüften Sachverhalte (nur) die Arbeitsentgeltgrenze, die Zusammenrechnung von Beschäftigungsverhältnissen (§ 8 SGB IV) bzw. die versicherungs-rechtliche Beurteilung eines Lohnvorschusses betroffen. Welche weiteren Sachverhalte und geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse geprüft worden seien, gehe aus dem Bescheid vom 4.11.2005 nicht hervor. Feststellungen zum Mindestlohn habe man nicht getroffen. In dem Bescheid vom 4.11.2005 sei stets hervorgehoben worden, dass es sich um eine stichprobenhafte Prüfung handele; so sei etwa auf Seite 2 des Bescheides von den "geprüften Fällen" die Rede. Eine abschließende und vollumfängliche Prüfung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die Sinn und Zweck der Betriebsprüfung zuwiderlaufen würde, habe man nicht vorgenommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8.12.2009 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Aus ihrer Sicht habe der Verfügungssatz des Bescheids vom 4.11.2005 den Eindruck erweckt, es sei eine umfassende und endgültige Betriebsprüfung durchgeführt worden. Der Bescheid weise auf das Ergebnis der "durchgeführten Prüfung" und darauf hin, dass sich die Nachforderung in Höhe von insgesamt 294,12 EUR "aus der Prüfung" ergeben habe. Von einer stichprobenweisen Überprüfung sei nur in der Begründung des Bescheids die Rede; um tragende Gründe handele es sich dabei nicht. Auch wenn nur stichprobenweise geprüft worden wäre, hätte dies für die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer jedenfalls nicht gegolten. Eine angebliche Unterschreitung der Mindestlöhne sei nicht beanstandet worden. Die Beklagte dürfe deswegen auf die geprüften Arbeitsverhältnisse nicht im Nachhinein eine andere Berechnungsmethode anwenden. Die Mindestlohnregelungen gälten im Übrigen nicht für die versicherungsfreien, geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer, da § 1 Abs. 3 TV-Mindestlohn Bau eine versicherungspflichtige Beschäftigung voraussetze.
Die Beklagte trägt abschließend vor, der in Rede stehende Bescheid trenne nicht streng zwischen Verfügungssatz, Tatbestand und Begründung. Die Reichweite seiner Bindungswirkung hänge maßgeblich auch von den tatsächlich geprüften Sachverhalten ab; diese würden im Bescheid gleichsam als Überschrift (ebenfalls) durch Fettdruck hervorgehoben. Sie sei bei der (vorhergehenden) Betriebsprüfung weder zur Prüfung aller Aushilfskräfte noch zu einer abschließenden Klärung aller mit diesen Beschäftigungsverhältnissen zusammenhängenden Fragen verpflichtet gewesen. Die Namen der seinerzeit geprüften Personen seien im Bescheid ebenfalls durch Fettdruck hervorgehoben worden. Der Verfügungssatz des Bescheids vom 4.11.2005 beschränke sich in seiner Regelungswirkung nicht allein auf die Festlegung des Prüfzeitraums und des Nachforderungsbetrages, sondern mangels anderweitiger Aussage zum Inhalt der Entscheidung auch auf den jeweils geprüften Sachverhalt und die geprüften Personen. Andernfalls sei eine sinnvolle und abschließende Aussage über den Inhalt der getroffenen Feststellungen bei einer stichprobenhaften Prüfung nicht möglich. Auch vom äußeren Erscheinungsbild her könnten nicht nur der Prüfzeitraum und der Nachforderungsbetrag in den Verfügungssatz einbezogen werden, da sowohl die geprüften Sachverhalte wie die – namentlich benannten – (geprüften) Personen durch Fettdruck hervorgehoben seien. Die Angaben zum Prüfzeitraum befänden sich zudem optisch und textlich vor den eigentlichen Feststellungen und stünden somit nicht in direktem Zusammenhang mit dem Nachforderungsbetrag. Da weder der geprüfte Sachverhalt noch die geprüften Personen im Bescheid vom 4.11.2005 mit den Feststellungen im angefochtenen Bescheid vom 5.9.2007 übereinstimmten, sei die Bestandskraft des Bescheids vom 4.11.2005 nicht von Belang.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem streitigen Nachforderungsbetrag von EUR 1.705,19 überschritten. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Klage nicht teilweise stattgeben dürfen.
I. Der angefochtene Bescheid beruht auf § 28p Abs. 1 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Beklagte hat für die beigeladenen Arbeitnehmer – nach Maßgabe der während des Prüfzeitraums (1.8.2003 bis 30.11.2005) geltenden Gesetzesbestimmungen - zu Recht Sozialversicherungsbeiträge bzw. Umlagen nachgefordert und hierfür zutreffend angenommen, dass auf sie die Regelungen des TV-Mindestlohn Bau über die Zahlung von Mindestlöhnen anzuwenden sind (unten 1.). Der Geltendmachung der Beitragsforderung für die Zeit vom 1.8.2003 bis 30.11.2005 ist weder verjährt noch kann die Klägerin wegen des auf die vorangegangene Betriebsprüfung vom 2.11.2005 ergangenen Bescheids vom 4.11.2005 Vertrauensschutz gem. §§ 44 ff. SGB X geltend machen oder Verwirkung einwenden (unten 2.).
1.) Gem. § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. dazu zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.7.2010, - L 11 R 2595/10 ER-B -).
Die Beklagte hat zu Recht angenommen, dass die beigeladenen Arbeitnehmer bei der Klägerin im Prüfzeitraum (1.8.2003 bis 30.11.2005) zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtige bzw. beitragspflichtige Beschäftigungen (§ 7 Abs. 1 SGB IV) ausgeübt haben. Versicherungsfreie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gem. § 8 SGB IV lagen nicht vor.
a.) Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten- Pflegeversicherung bzw. Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung besteht für gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 3 Satz 1 SGB III), wobei die Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Tragung der Beiträge aus § 249 Abs. 1 SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und § 346 Abs. 1 Satz 1 SGB III folgt. Der Arbeitgeber muss die Beiträge als Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) zahlen (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Versicherungsfreiheit besteht bei geringfügiger Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB V, § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i. V. m. § 7 Abs. 1 SGB V, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Arbeitgeber muss in diesem Fall lediglich Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung entrichten (vgl. § 249b SGB V bzw. § 172 Abs. 3 SGB VI); zuständige Einzugsstelle ist die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Rentenversicherung (§ 28i Satz 5 SGB IV). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der U-1- und U-2-Umlagen ergibt sich für den hier maßgeblichen Zeitraum noch aus § 14 Abs. 1 Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG; seit 1.1.2006 § 7 Aufwendungsausgleichsgesetz, AAG).
Gem. § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung regelmäßig 400 EUR im Monat nicht übersteigt (Nr. 1, Entgeltgeringfügigkeit) oder die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder vertraglich im Voraus begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 EUR im Monat übersteigt (Nr. 2 Zeitgeringfügigkeit). Maßgeblich für die Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (Entgeltgeringfügigkeit) ist nicht das dem Beschäftigten tatsächlich gezahlte, sondern das ihm vom Arbeitgeber arbeits- bzw. tarifvertragsrechtlich geschuldete Entgelt (Entstehungsprinzip). Bei untertariflicher Bezahlung sind Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze und Beitragshöhe nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen (BSG, Urt. v. 14.7.2004 - B 12 KR 1/04 R - und - B 12 KR 7/04 R-).
b.) Hier streiten die Beteiligten allein über das Vorliegen von Entgeltgeringfügigkeit i. S. d. § Abs. 1 Nr. 1 SGB IV; Zeitgeringfügigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV kommt nicht in Betracht. Unstreitig ist auch, dass bei den beigeladenen Arbeitnehmern geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht vorlagen, wenn ihr Arbeitsentgelt nach Maßgabe der im einschlägigen TV-Mindestlohn-Bau festgelegten Mindestlöhne zu berechnen ist; Berechnungsfehler sind insoweit weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die hier maßgeblichen Mindestlöhne betrugen zunächst ab Beginn des Prüf- bzw. Nachforderungszeitraums (1.8.2003) 10,12 EUR, ab 1.9.2003 10,36 EUR und ab 1.9.2005 10,20 EUR. Die dem zugrunde liegenden Tarifverträge sind durch entsprechende Rechtsverordnungen gem. § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) - auch hinsichtlich ihres persönlichen Geltungsbereichs - für allgemeinverbindlich erklärt worden (VO v. 21.8.2002, BGBl I S. 3372; VO v. 13.12.2003, BAnz Nr. 242 v. 30.12.2003, S. 26093). Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen handelt es sich um einen Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der darauf abzielt, auch die nicht organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Außenseiter) den Bestimmungen des Tarifvertrags zu unterwerfen. Die Außenseiter können regelmäßig nicht geltend machen, die einschlägigen Bestimmungen nicht gekannt zu haben; sie können sich durch das vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren hinreichend informieren (BVerfG, Beschl. v. 15.7.1980, - 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 -; Beschl. v. 10.9.1991, - 1 BvR 561/89 -; auch LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.6.2010, - L 1 KR 87/08 -). Die Prüfung der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung ist nur bei hinreichendem Anlass geboten. Das ist hier nicht der Fall; Bedenken sind insoweit weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die Klägerin meint vielmehr, die Mindestlohnregelungen gälten für die beigeladenen Arbeitnehmer nicht. Das trifft indessen nicht zu.
Der Geltungsbereich der einschlägigen Tarifverträge (TV-Mindestlohn Bau) ist jeweils in § 1 festgelegt. Der betriebliche Geltungsbereich erfasst gem. § 1 Abs. 2 TV-Mindestlohn Bau Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) fallen; hierzu gehört der Betrieb der Klägerin unstreitig (vgl. § 1 Abs. 2, Abschnitt V Nr. 11 BRTV). Gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 TV-Mindestlohn Bau umfasst der persönliche Geltungsbereich gewerbliche Arbeitnehmer (Arbeiter), die eine nach den Vorschriften des SGB VI versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Nicht erfasst werden jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 TV-Mindestlohn Bau).
Mit dem Begriff der rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in § 1 Abs. 3 Satz 1 TV-Mindestlohn Bau haben die Tarifvertragsparteien für den persönlichen Geltungsbereich der Tarifregelung an den Versicherungspflichttatbestand des § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI angeknüpft; danach sind versicherungspflichtig (zur gesetzlichen Rentenversicherung) Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Die Mindestlohnregelung soll im Ausgangspunkt für alle (Bau-)Arbeitnehmer gelten, die eine grundsätzlich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Hierin erschöpft sich jedoch die tarifvertragliche Anknüpfung an das Rentenversicherungsrecht. Für die Ausnahmen von der Tarifbindung haben sich die Tarifvertragsparteien nicht auf die Regelungen des SGB VI über die Versicherungsfreiheit (§ 5 SGB VI) - etwa geringfügig beschäftigter Personen (§ 5 Abs. 2 SGB VI) - bezogen, sondern jeweils selbst und eigenständig festgelegt, welche Arbeitnehmer von der Tarifbindung nicht erfasst werden sollen. Das zeigt schon die Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 TV-Mindestlohn Bau, die jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung von der Mindestlohnregelung ausnimmt.
Dementsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass es für die Anwendung der Mindestlohnregelung des TV-Mindestlohn Bau nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung besteht (BAG, Urt. v. 28.9.1988, - 4 AZR 350/88 -; Urt. v. 23.11.1988, - 4 AZR 419/88 -). Die Tarifvertragsparteien wollten möglichst alle Arbeitnehmer des Baugewerbes erfassen, weswegen - so BAG a. a. O. - kein sachlicher Grund dafür ersichtlich sei, geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer verhältnismäßig schlechter zu stellen als vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Hätte man anderes gewollt, wäre dies im Tarifvertrag ausdrücklich festgelegt worden. In der Folgezeit haben die Tarifvertragsparteien regelmäßig die der genannten Rechtsprechung des BAG zugrunde liegenden und auch hier maßgeblichen Tarifvertragsbestimmungen (weiter) verwendet. Entsprechendes gilt für die Rechtsverordnungen über die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge. Damit sind geringfügig Beschäftigte aus dem persönlichen Geltungsbereich der im Nachforderungszeitraum geltenden Tarifbestimmungen über Mindestlöhne im Baugewerbe nicht auszunehmen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.10.2003, - L 16 KR 169/02 -).
2.) Der Nachforderungsanspruch für die Zeit vom 1.8.2003 bis 31.5.2005 ist weder verjährt noch steht seiner Geltendmachung der auf die vorangegangene Betriebsprüfung erlassene Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 oder der Verwirkungseinwand entgegen.
a.) Verjährung ist nicht eingetreten. Gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Für die Arbeitgeberumlagen (U1- und U-2-Umlagen) galt diese Vorschrift entsprechend (§ 17 LFZG, jetzt § 10 AAG; vgl. BSG, Urt. v. 21.6.1990, - 12 RK 13/89 -).Für die Forderungen ab 1.8.2003 begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2003. Bei Erlass des Nachforderungsbescheids vom 5.9.2007 war sie daher noch nicht verstrichen.
b.) Die Klägerin kann wegen des auf die vorangegangene Betriebsprüfung erlassenen Nachforderungsbescheids vom 4.11.2005 Vertrauensschutz nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X nicht geltend machen.
Grundsätzlich können auch Verwaltungsakte, die in ihrem Verfügungssatz (explizit) nur belastende Rechtsfolgen, wie die Pflicht zur (Nach-)Zahlung von Beiträgen, aussprechen, (implizit) auch den Belasteten begünstigende Regelungen enthalten. Verwaltungsakte mit Mischwirkung dieser Art stellen beispielsweise Bescheide über die Festsetzung der Krankenversicherungsbeiträge freiwillig Versicherter dar. Sie begrenzen regelmäßig die Beitragspflicht auf einen bestimmten Betrag und legen so zugleich fest, dass der Versicherte nicht nachträglich zu einem höheren Beitrag herangezogen werden soll (näher Senatsurteil vom 10.12.2008, - L 5 KR 6060/07 -). Bei der Nacherhebung von Beiträgen ist der Vertrauensschutz des Versicherten nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB X zu berücksichtigen (dazu Senatsurteile vom 23.2.2011, - L 5 KR 5324/09 - und L 5 KR 3975/09 -).
Bescheide über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen, die der Rentenversicherungsträger nach durchgeführter Betriebsprüfung gestützt auf § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlässt, stellen Verwaltungsakte mit Mischwirkung im vorstehend beschriebenen Sinne grundsätzlich nicht dar. Ihr Regelungsgehalt erschöpft sich in der Nachforderung der Beiträge und Umlagen, die der Arbeitgeber nach den Feststellungen der Betriebsprüfung schuldet, aber noch nicht gezahlt hat. Eine den (geprüften) Arbeitgeber begünstigende Regelung des Inhalts, weitere Beiträge und Umlagen würden für den geprüften Zeitraum nicht (nach-)erhoben, enthalten diese Bescheide nicht; sie kann ihnen auch im Wege der Auslegung (entsprechend §§ 133, 157 BGB) nicht beigelegt werden.
Nach der Rechtsprechung des BSG haben Betriebsprüfungen gem. § 28p SGB IV unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen. Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu (BSG, Urt. v. 14.7.2004, - B 12 KR 7/04 R -; auch Bayerisches LSG, Urt. v. 29.9.2009, - L 5 R 715/08 -; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6.7.2007, - L 3 AL 64/06 -, m. w. N. zur Rspr. der LSGe). Die Betriebsprüfung ist in ihrer tatsächlichen Durchführung auf eine Entlastungsfunktion des Arbeitgebers auch nicht eingerichtet. Die Prüfbehörden sind selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet und dürfen sich demzufolge auf Stichprobenprüfungen beschränken (BSG, a. a. O.). Das legt § 11 Abs. 1 Satz 1 BVV - und zwar für den Regelfall - ausdrücklich so fest. Aus dieser Bestimmung geht nicht hervor, dass die Stichprobenprüfung nur ausnahmsweise stattfinden dürfe; hierfür fehlte es auch an jeglicher Festlegung von Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls.
Die Zielsetzung der Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV legt auch den Regelungsgehalt des nach durchgeführter Betriebsprüfungen gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ergehenden Nachforderungsbescheids fest. Dieser soll allein die Ergebnisse der Betriebsprüfung verwirklichen, namentlich rückständige Beiträge und Umlagen den jeweils zuständigen Gläubigern (Versicherungsträgern) zuführen. Ebenso wenig wie die Betriebsprüfung selbst die Entlastung des Arbeitgebers bezweckt, bezweckt der Nachforderungsbescheid nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV dessen Schutz vor etwaigen weiteren Nachforderungen für den geprüften Zeitraum. Der Arbeitgeber als Adressat des Nachforderungsbescheids kann ihn vorbehaltlich besonderer Umstände anders auch nicht verstehen. Solche besonderen Umstände könnten etwa darin bestehen, dass die Prüfbehörde im Nachforderungsbescheid ausdrücklich eine Einzelfallregelung dahingehend trifft, dass es mit der verfügten Nachforderung für den Prüfzeitraum sein Bewenden haben und eine weitere Nachforderung nicht stattfinden soll. Das wird, wenn überhaupt, freilich nur in seltenen Ausnahmefällen geschehen. Ansonsten eröffnet das Gesetz dem Arbeitgeber nur für abgegrenzte (Beitrags-)Sachverhalte die Möglichkeit, Vertrauensschutz durch Verwaltungsakt, nämlich durch die Herbeiführung gesonderter Entscheidungen der Prüf- oder Einzugsstellen, etwa hinsichtlich des Vorliegens einer beitragspflichtigen Beschäftigung, zu erlangen. Hierfür kann er ggf. ein Anfrageverfahren gem. § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV bei der DRV B. (Clearing-Stelle) als Prüfstelle oder gem. § 28h Abs. 2 SGB IV ein vergleichbares Verfahren bei der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle durchführen (dazu näher: Senatsurteile vom 16.6.2010, - L 5 KR 5179/08 - und vom 24.11.2010, - L 5 KR 357/10 -). Nur wenn Versicherungspflicht und Beitragshöhe personenbezogen und für einen bestimmten Zeitraum durch einen gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind, tritt eine entsprechende Bindungswirkung ein (BSG, Urt. v. 29.7.2003, - B 12 AL 1702 R -). Will die Prüfbehörde beim Erlass von (Nachforderungs-)Bescheiden gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV von Verwaltungsakten dieser Art zum Nachteil des Arbeitgebers abweichen, muss sie die Maßgaben der §§ 45 ff. SGB X beachten. Im Übrigen ist der Arbeitgeber wegen unverhältnismäßiger Nachforderungen für vergangene Zeiträume aber auf den (Vertrauens-)Schutz durch das Gesetz selbst, nämlich die (kurze) vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verwiesen.
Aus dem auf die Betriebsprüfung vom 2.11.2005 ergangenen Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 kann die Klägerin danach Vertrauensschutz nicht herleiten. Dieser Nachforderungsbescheid regelt - wie für Bescheide dieser Art üblich - allein die Festsetzung bzw. Anforderung des durch die Betriebsprüfung ermittelten Nachforderungsbetrags. Er spricht darüber hinaus eine die Klägerin begünstigende Rechtsfolge, etwa die Erteilung von "Entlastung" hinsichtlich bestimmter Beitragssachverhalte, nicht, auch nicht implizit, aus. Eine Regelung dieses Inhalts kann ihm im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung) nicht zugeschrieben werden. Die Klägerin als Adressatin des Bescheids durfte ihn in diesem Sinne nicht verstehen; der gegenteiligen Auffassung des Sozialgerichts kann sich der Senat nicht anschließen. Aus der Benennung bestimmter Mitarbeiter bzw. eines Teils der als "Aushilfen I und II" beschäftigten Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht überprüft worden ist, konnte die Klägerin nicht die Schlussfolgerung ziehen, hinsichtlich der übrigen von ihr als geringfügig Beschäftigte eingestuften Arbeitnehmern habe alles seine Richtigkeit und etwaige Nachforderungen seien insoweit ausgeschlossen. Hierfür bestand umso weniger Anlass, als im genannten Bescheid eingangs unmissverständlich davon die Rede ist, dass die - nachstehend näher dargelegten Beanstandungen - das Ergebnis einer "stichprobenweisen" Überprüfung sind. Folgerichtig wird die für fehlerhaft befundene Beurteilung der Versicherungspflicht auch auf die "geprüften" Fälle bezogen. Der Bescheid vom 4.11.2005 hindert die Beklagte daher keineswegs daran, die bei der Betriebsprüfung vom 2.11.2005 (noch) nicht geprüften Fälle bzw. Beschäftigungsverhältnisse, nämlich die Beschäftigungsverhältnisse der beigeladenen Arbeitnehmer, auch für Zeiträume, die Gegenstand der vorangegangen Betriebsprüfung waren, einer Überprüfung zu unterziehen und die dabei ermittelten Beitrags- und Umlagenrückstände in den Grenzen der Verjährung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) nachzufordern.
c.) Die Klägerin kann sich gegen die angefochtene Nachforderung auch nicht auf Verwirkung berufen.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteile entstehen würde (vgl. etwa BSG, Urt. vom 14.7.2004, - B 12 KR 1/04 R - sowie Senatsurteile vom 29.9.2010, - L 5 KR 5138/08 - und vom 3.3.2010, - L 5 KR 3066/09 - ).
An die Verwirkungsvoraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dem Interesse der Versicherten, das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung durch Beitragsnachforderungen in angemessenen Grenzen zu halten, wird bereits durch die kurze Verjährungsregelung des § 25 SGB IV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BSG, Urt. vom 30.11.1978, - 12 RK 6/76 -; auch Senatsurteil vom 3.3.2010, - L 5 KR 3066/09 -). Für die zur anteiligen Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge bzw. von Umlagen verpflichteten Arbeitgeber gilt das entsprechend. Die in der Verjährungsregelung zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzes ist auch bei der Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung zu berücksichtigen. Dieses kann deshalb nur in besonders gelagerten (seltenen) Ausnahmefällen zum Erlöschen eines Anspruchs auf Nachzahlung von Beiträgen oder Umlagen führen. Ein bloßes Unterlassen kann schutzwürdiges Vertrauen nur dann begründen und zur Verwirkung des Rechts auf Nacherhebung von Beiträgen und Umlagen führen, wenn der Arbeitgeber das Nichtstun nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf (vgl. BSG, Urt. vom 30.11.1978, - 12 RK 6/76 -). Davon kann hier keine Rede sein. Ein Verwirkungsverhalten der Beklagten liegt nicht vor. Es kann nach dem Gesagten insbesondere aus der hinsichtlich der beigeladenen Arbeitnehmer beanstandungsfreien Betriebsprüfung vom 2.11.2005 nicht abgeleitet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese Sachanträge nicht gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.705,19 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen.
Am 2.11.2005 führte die Beklagte im Unternehmen der Klägerin eine Betriebsprüfung gem. § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) für den Prüfzeitraum 1.1.2001 bis 31.5.2005 durch und gab ihr nach Abschluss der Prüfung mit Bescheid vom 4.11.2005 auf, Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. EUR 294,12 nachzuentrichten. Zur Begründung wurde ausgeführt, die stichprobenweise Überprüfung von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungspflicht habe Beanstandungen ergeben. In den geprüften Fällen sei die Versicherungspflicht nicht immer zutreffend beurteilt worden; die beitragsrechtliche Beurteilung der Entgelte und sonstigen Zuwendungen sei nicht immer zutreffend erfolgt. In den geprüften Fällen seien die Beiträge nicht immer richtig und vollständig berechnet worden. Hinsichtlich der Aushilfen I seien die Arbeitnehmer B., B. und M. im Prüfzeitraum geringfügig beschäftigt gewesen. Während der Beschäftigungen seien die anteiligen Geringfügigkeitsgrenzen überschritten worden, weswegen Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung eingetreten sei. Bei den Aushilfen II habe bei der ebenfalls geringfügig beschäftigten Arbeitnehmerin Sch. Versicherungspflicht wegen einer Hauptbeschäftigung und einer weiteren geringfügigen Beschäftigung bestanden. Der Bescheid, dem Anlagen zur Berechnung der Nachforderungsbeträge für die genannten Arbeitnehmer beigefügt sind, ist bestandskräftig.
Am 1.6.2006 führte das Hauptzollamt U. eine Geschäftsunterlagenprüfung im Unternehmen der Klägerin durch. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass für die geringfügig Beschäftigten nicht immer der Mindestlohn nach dem mit Wirkung vom 1.9.2002 für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgeltes im Bauhandwerk/Gewerbe (TV-Mindestlohn Bau) gezahlt worden ist. Auf der Grundlage der Feststellungen des Hauptzollamtes nahm die Beklagte eine weitere Beitragsnachberechnung vor. Mit Anhörungsschreiben vom 27.9.2006 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, zur beabsichtigten Nachforderung (weiterer) Sozialabgaben Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Zahlung von Mindestlöhnen sei der Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgelts im Bau-Handwerk/Gewerbe mit Wirkung vom 1.9.2002 für allgemeinverbindlich erklärt worden und daher auch für die Klägerin maßgeblich (Mindeststundenlohn 10,12 EUR, ab 1.9.2003: 10,36 EUR, ab 1.9.2005: 10,20 EUR).
Diese trug vor, ihr Betrieb sei bereits geprüft und die Betriebsprüfung sei mit bestandskräftigem Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 abgeschlossen worden. Für den Prüfzeitraum vom 1.1.2001 bis 31.5.2005 habe die Beklagte die Zahlung von Mindestlöhnen für geringfügig Beschäftigte nicht beanstandet, obwohl ihr die konkreten Lohnzahlungen bis ins Detail bekannt gewesen seien. Hätte man sie rechtzeitig informiert, hätte sie entsprechende Maßnahmen ergreifen können. Es sei treuwidrig, die Lohnabrechnungen jahrelang zu akzeptieren und nunmehr eine beträchtliche Nachzahlung für die Beigeladenen Nr. 4 bis 23 zu fordern. Durch die Berücksichtigung des Mindestlohns sei bei verschiedenen Arbeitnehmern die Geringfügigkeitsgrenze überschritten worden.
Mit Bescheid vom 5.9.2007 gab die Beklagte der Klägerin die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen i. H. v. 1.882,74 EUR für die Beschäftigung der beigeladenen Arbeitnehmer während des (Prüf-)Zeitraums 1.8.2003 bis 30.11.2005 auf. Außerdem beanstandete sie die für diese (wegen geringfügiger Beschäftigung) zu Unrecht gezahlten Pauschalbeiträge; für deren Erstattung sei jedoch die Einzugsstelle (Bundesknappschaft) zuständig. Säumniszuschläge würden nicht berechnet. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, gem. § 6 Abs. 1 Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) bzw. gem. § 11 Abs. 1 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) werde eine Betriebsprüfung regelmäßig nicht als Vollprüfung durchgeführt. Sie beschränke sich vielmehr auf Stichproben, um die Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig zeitlich zu belasten. Im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben prüfe man Zeiträume nicht, die bereits von den Krankenkassen geprüft worden seien. Bei fehlerhafter Beurteilung würden in die Prüfung aber auch abgeschlossene Prüfzeiträume einbezogen. Das BSG habe mit Urteilen vom 10.9.1975 (- 3/12 RK 15/74 -) und vom 30.11.1978 (- RK 6/79 -) entschieden, dass das Recht zur Beanstandung fehlerhafter Beitragsberechnungen im Rahmen von Betriebsprüfungen nicht verwirkt sei und den Arbeitgebern ausreichender Vertrauensschutz durch die Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zukomme. Vertrauen des Beitragsschuldners könne sich nur auf Grund eines konkreten Verhaltens der Krankenkasse bzw. des Rentenversicherungsträgers im Rahmen der Regelung eines Einzelfalls bilden. Betriebsprüfungen sollten die rechtmäßige Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sichern. Eine darüber hinausgehende Bedeutung komme ihnen nicht zu.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, es sei zweifelhaft, ob die tariflichen Regelungen des Baugewerbes für ihr Unternehmen gälten. Zudem seien geringfügig Beschäftigte von der Mindestlohnregelung nicht erfasst, da der Gesetzgeber durch deren geringe Entlohnung einen Beschäftigungsanreiz habe schaffen wollen. Den jetzt beanstandeten Sachverhalt habe die Beklagte bei der Betriebsprüfung vom 2.11.2005 hinsichtlich der Zahlung des Mindestlohns nicht bemängelt, weswegen Vertrauensschutz bestehe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.1.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte sie aus, der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe gelte gem. § 3 für alle gewerblichen Arbeitnehmer, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ausübten. Entscheidend für die Zuordnung zum Mindestlohntarifvertrag sei daher das Vorliegen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt; das gelte auch für geringfügig Beschäftigte.
Am 25.2.2008 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Ulm. Sie trug ergänzend vor, die Überprüfung durch das Hauptzollamt U. am 1.6.2006 habe allein Vorwürfe wegen Schwarzarbeit betroffen. Für ihre geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer müsse sie nur Pauschalbeiträge zahlen. Sie seien von der tariflichen Festlegung der Mindestlöhne nicht erfasst, da sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausübten.
Die Beklagte trug vor, nach den einschlägigen Bestimmungen wie der Prüfpraxis würden Betriebsprüfungen in der Regel nur stichprobenhaft durchgeführt. Eine Überprüfung sämtlicher Arbeitsverhältnisse bei allen Arbeitgebern sei nicht möglich. Dem Bescheid vom 4.11.2005, auch den Überschriften zu den "Aushilfen I und II" könne nicht entnommen werden, dass alle Arbeitsverhältnisse bzw. alle Aushilfen geprüft worden wären. Vielmehr werde ausdrücklich auf die Stichprobenprüfung hingewiesen.
Mit Urteil vom 8.12.2009 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 5.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2008 insoweit auf, als der Klägerin darin die Nachzahlung von Sozialabgaben (Beiträge) für die Zeit vor dem 1.6.2005 in Höhe von EUR 1.705,19 aufgegeben ist. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, soweit die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1.8.2003 bis 31.5.2005 in Höhe von insgesamt EUR 1.705,19 nachfordere.
Der angefochtene Nachforderungsbescheid sei wegen des bestandskräftigen Prüf- bzw. Nachforderungsbescheids vom 4.11.2005 überwiegend rechtswidrig. Die Beklagte dürfe (weitere) Beiträge für den gleichen Zeitraum nämlich nur nach Maßgabe des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erheben. Die Bindungswirkung des Bescheids vom 4.11.2005 gelte für den darin geregelten Prüfzeitraum (1.1.2001 bis zum 31.5.2005). Im Hinblick auf die im Urteil des LSG Bad.-Württ. vom 7.8.2009 (- L 4 R 3157/07 -) dargelegten Auslegungsgrundsätze würden in Bescheiden nach § 28p Abs. 1 Satz 5 1. Hs. SGB IV nicht grundsätzlich und bindend alle Fragen der Beitragspflicht und auch nicht immer alle etwaigen Nachforderungsansprüche geregelt; maßgeblich sei der durch Auslegung zu ermittelnde Verfügungssatz des Bescheids. Im Bescheid vom 4.11.2005 habe die Beklagte über die Nachforderung von Beiträgen in Höhe von EUR 294,12 bezogen auf den Prüfzeitraum vom 1.1.2001 bis zum 31.5.2005 entschieden. Der Hinweis auf die (nur) stichprobenweise Überprüfung von Abrechnungsfällen sei nicht Bestandteil des Verfügungssatzes, sondern nur ein (allgemeines) Begründungselement. Die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass die Versicherungspflicht der geringfügig beschäftigten Mitarbeiter (im Bescheid als Aushilfen I und Aushilfen II bezeichnet) umfassend und abschließend geprüft worden sei. Die Beklagte habe die genannten Mitarbeiter der Klägerin – im Bescheid durch Fettdruck hervorgehoben - ausdrücklich als abschließend geprüft betrachtet. So seien hinsichtlich der Aushilfen I - sogar unter Hinweis auf die Bindungswirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages - das Überschreiten der anteiligen Geringfügigkeitsgrenzen bei drei Mitarbeitern und hinsichtlich der Aushilfen II ein Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenzen im Sinne des Eintritts von Versicherungspflicht bei einer weiteren Arbeitnehmerin festgestellt worden. Außerdem beschränke sich eine Betriebsprüfung des Rentenversicherungsträgers entgegen der Darlegungen der Beklagten nicht grundsätzlich auf Stichproben, sondern müsse umfassend erfolgen. Das ergebe sich aus § 11 Abs. 1 Satz 1 BVV, wonach die Prüfung der Aufzeichnungen gem. §§ 8 und 9 auf Stichproben nur beschränkt werden dürfe, weswegen die Stichprobenprüfung nicht den Regelfall darstellen könne. Außerdem müsse die Beklagte beim Erlass von Verwaltungsakten nach § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ggf. entgegenstehende bestandskräftige Verwaltungsakte der Einzugsstelle aufheben oder ändern, wobei sie die Regelungen der §§ 44 ff SGB X grundsätzlich zu beachten habe (vgl. KassKomm/Seewald, SGB IV § 28p Rdnr. 10). Das müsse erst Recht für (eigene) Verwaltungsakte der Beklagten gelten, jedenfalls dann, wenn sie für den gleichen Prüfzeitraum erneut einen Bescheid nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlasse. Andernfalls hätte die Vorschrift in § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV auch nur eine ganz eingeschränkte Bedeutung. Über eine Fallgestaltung der vorliegenden Art habe das BSG nicht entschieden. Mit den angefochtenen Bescheiden habe die Beklagte den Verwaltungsakt vom 4.11.2005 gem. § 45 SGB X weder abgeändert noch teilweise zurückgenommen.
Hinsichtlich der Zeit ab dem 1.6.2005 sei die Klage aber unbegründet. Für die Beigeladenen Nr. 7, 11, 12, 13, 14, 22 und 23 seien zusätzliche Beiträge unter Zugrundelegung des jeweiligen Mindestlohns nach dem für allgemeinverbindlich erklärten TV-Mindestlohn Bau nachzuerheben. Der Tarifvertrag gelte für das Unternehmen der Klägerin (vgl. Abschn. 4 Nr. 11 TV-Mindestlohn Bau); die als Aushilfen beschäftigten Beigeladenen würden von dem Tarifvertrag erfasst. Die Berechnung des Nachforderungsbetrags sei nicht zu beanstanden.
Auf das ihr am 1.2.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.3.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wie das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 8.7.2008 (- L 16 (18) R 43/05 -) dargelegt habe, seien die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleineren Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Betriebsprüfungen erfolgten unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten und sollten die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherstellen. Beitragsausfälle sollten verhindert und die Träger der Renten- und Arbeitslosenversicherung davor bewahrt werden, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstünden. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung komme den Betriebsprüfungen, auch den Prüfberichten, nicht zu. Sie bezweckten insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen (vgl. etwa BSG SozR 2200 § 1399 Nr. 11, BSG SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Damit beschränkten sich Betriebsprüfung ihrer Eigenart nach stets auf die stichprobenhafte Kontrolle der Beitragsberechnung und begründeten für den Arbeitgeber keinen Vertrauensschutz.
Die Bindungswirkung des (Prüf-)Bescheids vom 4.11.2005 erfasse nur die tatsächlich geprüften Fälle, wobei auch nur der Entscheidungssatz, also der bescheidmäßige Ausspruch in Bestandskraft erwachse. Die stichprobenhafte Überprüfung von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungspflicht habe seinerzeit für den Prüfzeitraum 1.1.2001 bis 31.5.2005 eine Nachforderung von EUR 294,12 ergeben. Selbst wenn die — zur Auslegung des Verfügungssatzes notwendigen – Begründungselemente des Prüfbescheids vom 4.11.2005 Bindungswirkung entfalten sollten, stehe dies den Regelungen in den angefochtenen Bescheiden nicht entgegen. Feststellungen seien seinerzeit nämlich für Personen getroffen worden, für deren Beschäftigung sich eine Nachforderung ergeben habe. Zudem hätten die geprüften Sachverhalte (nur) die Arbeitsentgeltgrenze, die Zusammenrechnung von Beschäftigungsverhältnissen (§ 8 SGB IV) bzw. die versicherungs-rechtliche Beurteilung eines Lohnvorschusses betroffen. Welche weiteren Sachverhalte und geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse geprüft worden seien, gehe aus dem Bescheid vom 4.11.2005 nicht hervor. Feststellungen zum Mindestlohn habe man nicht getroffen. In dem Bescheid vom 4.11.2005 sei stets hervorgehoben worden, dass es sich um eine stichprobenhafte Prüfung handele; so sei etwa auf Seite 2 des Bescheides von den "geprüften Fällen" die Rede. Eine abschließende und vollumfängliche Prüfung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die Sinn und Zweck der Betriebsprüfung zuwiderlaufen würde, habe man nicht vorgenommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8.12.2009 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Aus ihrer Sicht habe der Verfügungssatz des Bescheids vom 4.11.2005 den Eindruck erweckt, es sei eine umfassende und endgültige Betriebsprüfung durchgeführt worden. Der Bescheid weise auf das Ergebnis der "durchgeführten Prüfung" und darauf hin, dass sich die Nachforderung in Höhe von insgesamt 294,12 EUR "aus der Prüfung" ergeben habe. Von einer stichprobenweisen Überprüfung sei nur in der Begründung des Bescheids die Rede; um tragende Gründe handele es sich dabei nicht. Auch wenn nur stichprobenweise geprüft worden wäre, hätte dies für die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer jedenfalls nicht gegolten. Eine angebliche Unterschreitung der Mindestlöhne sei nicht beanstandet worden. Die Beklagte dürfe deswegen auf die geprüften Arbeitsverhältnisse nicht im Nachhinein eine andere Berechnungsmethode anwenden. Die Mindestlohnregelungen gälten im Übrigen nicht für die versicherungsfreien, geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer, da § 1 Abs. 3 TV-Mindestlohn Bau eine versicherungspflichtige Beschäftigung voraussetze.
Die Beklagte trägt abschließend vor, der in Rede stehende Bescheid trenne nicht streng zwischen Verfügungssatz, Tatbestand und Begründung. Die Reichweite seiner Bindungswirkung hänge maßgeblich auch von den tatsächlich geprüften Sachverhalten ab; diese würden im Bescheid gleichsam als Überschrift (ebenfalls) durch Fettdruck hervorgehoben. Sie sei bei der (vorhergehenden) Betriebsprüfung weder zur Prüfung aller Aushilfskräfte noch zu einer abschließenden Klärung aller mit diesen Beschäftigungsverhältnissen zusammenhängenden Fragen verpflichtet gewesen. Die Namen der seinerzeit geprüften Personen seien im Bescheid ebenfalls durch Fettdruck hervorgehoben worden. Der Verfügungssatz des Bescheids vom 4.11.2005 beschränke sich in seiner Regelungswirkung nicht allein auf die Festlegung des Prüfzeitraums und des Nachforderungsbetrages, sondern mangels anderweitiger Aussage zum Inhalt der Entscheidung auch auf den jeweils geprüften Sachverhalt und die geprüften Personen. Andernfalls sei eine sinnvolle und abschließende Aussage über den Inhalt der getroffenen Feststellungen bei einer stichprobenhaften Prüfung nicht möglich. Auch vom äußeren Erscheinungsbild her könnten nicht nur der Prüfzeitraum und der Nachforderungsbetrag in den Verfügungssatz einbezogen werden, da sowohl die geprüften Sachverhalte wie die – namentlich benannten – (geprüften) Personen durch Fettdruck hervorgehoben seien. Die Angaben zum Prüfzeitraum befänden sich zudem optisch und textlich vor den eigentlichen Feststellungen und stünden somit nicht in direktem Zusammenhang mit dem Nachforderungsbetrag. Da weder der geprüfte Sachverhalt noch die geprüften Personen im Bescheid vom 4.11.2005 mit den Feststellungen im angefochtenen Bescheid vom 5.9.2007 übereinstimmten, sei die Bestandskraft des Bescheids vom 4.11.2005 nicht von Belang.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem streitigen Nachforderungsbetrag von EUR 1.705,19 überschritten. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Klage nicht teilweise stattgeben dürfen.
I. Der angefochtene Bescheid beruht auf § 28p Abs. 1 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Beklagte hat für die beigeladenen Arbeitnehmer – nach Maßgabe der während des Prüfzeitraums (1.8.2003 bis 30.11.2005) geltenden Gesetzesbestimmungen - zu Recht Sozialversicherungsbeiträge bzw. Umlagen nachgefordert und hierfür zutreffend angenommen, dass auf sie die Regelungen des TV-Mindestlohn Bau über die Zahlung von Mindestlöhnen anzuwenden sind (unten 1.). Der Geltendmachung der Beitragsforderung für die Zeit vom 1.8.2003 bis 30.11.2005 ist weder verjährt noch kann die Klägerin wegen des auf die vorangegangene Betriebsprüfung vom 2.11.2005 ergangenen Bescheids vom 4.11.2005 Vertrauensschutz gem. §§ 44 ff. SGB X geltend machen oder Verwirkung einwenden (unten 2.).
1.) Gem. § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. dazu zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.7.2010, - L 11 R 2595/10 ER-B -).
Die Beklagte hat zu Recht angenommen, dass die beigeladenen Arbeitnehmer bei der Klägerin im Prüfzeitraum (1.8.2003 bis 30.11.2005) zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtige bzw. beitragspflichtige Beschäftigungen (§ 7 Abs. 1 SGB IV) ausgeübt haben. Versicherungsfreie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gem. § 8 SGB IV lagen nicht vor.
a.) Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten- Pflegeversicherung bzw. Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung besteht für gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 3 Satz 1 SGB III), wobei die Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Tragung der Beiträge aus § 249 Abs. 1 SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und § 346 Abs. 1 Satz 1 SGB III folgt. Der Arbeitgeber muss die Beiträge als Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) zahlen (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Versicherungsfreiheit besteht bei geringfügiger Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB V, § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i. V. m. § 7 Abs. 1 SGB V, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Der Arbeitgeber muss in diesem Fall lediglich Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung entrichten (vgl. § 249b SGB V bzw. § 172 Abs. 3 SGB VI); zuständige Einzugsstelle ist die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Rentenversicherung (§ 28i Satz 5 SGB IV). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der U-1- und U-2-Umlagen ergibt sich für den hier maßgeblichen Zeitraum noch aus § 14 Abs. 1 Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG; seit 1.1.2006 § 7 Aufwendungsausgleichsgesetz, AAG).
Gem. § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung regelmäßig 400 EUR im Monat nicht übersteigt (Nr. 1, Entgeltgeringfügigkeit) oder die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder vertraglich im Voraus begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 EUR im Monat übersteigt (Nr. 2 Zeitgeringfügigkeit). Maßgeblich für die Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (Entgeltgeringfügigkeit) ist nicht das dem Beschäftigten tatsächlich gezahlte, sondern das ihm vom Arbeitgeber arbeits- bzw. tarifvertragsrechtlich geschuldete Entgelt (Entstehungsprinzip). Bei untertariflicher Bezahlung sind Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze und Beitragshöhe nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen (BSG, Urt. v. 14.7.2004 - B 12 KR 1/04 R - und - B 12 KR 7/04 R-).
b.) Hier streiten die Beteiligten allein über das Vorliegen von Entgeltgeringfügigkeit i. S. d. § Abs. 1 Nr. 1 SGB IV; Zeitgeringfügigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV kommt nicht in Betracht. Unstreitig ist auch, dass bei den beigeladenen Arbeitnehmern geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht vorlagen, wenn ihr Arbeitsentgelt nach Maßgabe der im einschlägigen TV-Mindestlohn-Bau festgelegten Mindestlöhne zu berechnen ist; Berechnungsfehler sind insoweit weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die hier maßgeblichen Mindestlöhne betrugen zunächst ab Beginn des Prüf- bzw. Nachforderungszeitraums (1.8.2003) 10,12 EUR, ab 1.9.2003 10,36 EUR und ab 1.9.2005 10,20 EUR. Die dem zugrunde liegenden Tarifverträge sind durch entsprechende Rechtsverordnungen gem. § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) - auch hinsichtlich ihres persönlichen Geltungsbereichs - für allgemeinverbindlich erklärt worden (VO v. 21.8.2002, BGBl I S. 3372; VO v. 13.12.2003, BAnz Nr. 242 v. 30.12.2003, S. 26093). Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen handelt es sich um einen Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der darauf abzielt, auch die nicht organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Außenseiter) den Bestimmungen des Tarifvertrags zu unterwerfen. Die Außenseiter können regelmäßig nicht geltend machen, die einschlägigen Bestimmungen nicht gekannt zu haben; sie können sich durch das vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren hinreichend informieren (BVerfG, Beschl. v. 15.7.1980, - 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 -; Beschl. v. 10.9.1991, - 1 BvR 561/89 -; auch LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.6.2010, - L 1 KR 87/08 -). Die Prüfung der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung ist nur bei hinreichendem Anlass geboten. Das ist hier nicht der Fall; Bedenken sind insoweit weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die Klägerin meint vielmehr, die Mindestlohnregelungen gälten für die beigeladenen Arbeitnehmer nicht. Das trifft indessen nicht zu.
Der Geltungsbereich der einschlägigen Tarifverträge (TV-Mindestlohn Bau) ist jeweils in § 1 festgelegt. Der betriebliche Geltungsbereich erfasst gem. § 1 Abs. 2 TV-Mindestlohn Bau Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) fallen; hierzu gehört der Betrieb der Klägerin unstreitig (vgl. § 1 Abs. 2, Abschnitt V Nr. 11 BRTV). Gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 TV-Mindestlohn Bau umfasst der persönliche Geltungsbereich gewerbliche Arbeitnehmer (Arbeiter), die eine nach den Vorschriften des SGB VI versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Nicht erfasst werden jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 TV-Mindestlohn Bau).
Mit dem Begriff der rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in § 1 Abs. 3 Satz 1 TV-Mindestlohn Bau haben die Tarifvertragsparteien für den persönlichen Geltungsbereich der Tarifregelung an den Versicherungspflichttatbestand des § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI angeknüpft; danach sind versicherungspflichtig (zur gesetzlichen Rentenversicherung) Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Die Mindestlohnregelung soll im Ausgangspunkt für alle (Bau-)Arbeitnehmer gelten, die eine grundsätzlich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Hierin erschöpft sich jedoch die tarifvertragliche Anknüpfung an das Rentenversicherungsrecht. Für die Ausnahmen von der Tarifbindung haben sich die Tarifvertragsparteien nicht auf die Regelungen des SGB VI über die Versicherungsfreiheit (§ 5 SGB VI) - etwa geringfügig beschäftigter Personen (§ 5 Abs. 2 SGB VI) - bezogen, sondern jeweils selbst und eigenständig festgelegt, welche Arbeitnehmer von der Tarifbindung nicht erfasst werden sollen. Das zeigt schon die Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 TV-Mindestlohn Bau, die jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung von der Mindestlohnregelung ausnimmt.
Dementsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass es für die Anwendung der Mindestlohnregelung des TV-Mindestlohn Bau nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung besteht (BAG, Urt. v. 28.9.1988, - 4 AZR 350/88 -; Urt. v. 23.11.1988, - 4 AZR 419/88 -). Die Tarifvertragsparteien wollten möglichst alle Arbeitnehmer des Baugewerbes erfassen, weswegen - so BAG a. a. O. - kein sachlicher Grund dafür ersichtlich sei, geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer verhältnismäßig schlechter zu stellen als vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Hätte man anderes gewollt, wäre dies im Tarifvertrag ausdrücklich festgelegt worden. In der Folgezeit haben die Tarifvertragsparteien regelmäßig die der genannten Rechtsprechung des BAG zugrunde liegenden und auch hier maßgeblichen Tarifvertragsbestimmungen (weiter) verwendet. Entsprechendes gilt für die Rechtsverordnungen über die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge. Damit sind geringfügig Beschäftigte aus dem persönlichen Geltungsbereich der im Nachforderungszeitraum geltenden Tarifbestimmungen über Mindestlöhne im Baugewerbe nicht auszunehmen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.10.2003, - L 16 KR 169/02 -).
2.) Der Nachforderungsanspruch für die Zeit vom 1.8.2003 bis 31.5.2005 ist weder verjährt noch steht seiner Geltendmachung der auf die vorangegangene Betriebsprüfung erlassene Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 oder der Verwirkungseinwand entgegen.
a.) Verjährung ist nicht eingetreten. Gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Für die Arbeitgeberumlagen (U1- und U-2-Umlagen) galt diese Vorschrift entsprechend (§ 17 LFZG, jetzt § 10 AAG; vgl. BSG, Urt. v. 21.6.1990, - 12 RK 13/89 -).Für die Forderungen ab 1.8.2003 begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2003. Bei Erlass des Nachforderungsbescheids vom 5.9.2007 war sie daher noch nicht verstrichen.
b.) Die Klägerin kann wegen des auf die vorangegangene Betriebsprüfung erlassenen Nachforderungsbescheids vom 4.11.2005 Vertrauensschutz nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X nicht geltend machen.
Grundsätzlich können auch Verwaltungsakte, die in ihrem Verfügungssatz (explizit) nur belastende Rechtsfolgen, wie die Pflicht zur (Nach-)Zahlung von Beiträgen, aussprechen, (implizit) auch den Belasteten begünstigende Regelungen enthalten. Verwaltungsakte mit Mischwirkung dieser Art stellen beispielsweise Bescheide über die Festsetzung der Krankenversicherungsbeiträge freiwillig Versicherter dar. Sie begrenzen regelmäßig die Beitragspflicht auf einen bestimmten Betrag und legen so zugleich fest, dass der Versicherte nicht nachträglich zu einem höheren Beitrag herangezogen werden soll (näher Senatsurteil vom 10.12.2008, - L 5 KR 6060/07 -). Bei der Nacherhebung von Beiträgen ist der Vertrauensschutz des Versicherten nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB X zu berücksichtigen (dazu Senatsurteile vom 23.2.2011, - L 5 KR 5324/09 - und L 5 KR 3975/09 -).
Bescheide über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen, die der Rentenversicherungsträger nach durchgeführter Betriebsprüfung gestützt auf § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlässt, stellen Verwaltungsakte mit Mischwirkung im vorstehend beschriebenen Sinne grundsätzlich nicht dar. Ihr Regelungsgehalt erschöpft sich in der Nachforderung der Beiträge und Umlagen, die der Arbeitgeber nach den Feststellungen der Betriebsprüfung schuldet, aber noch nicht gezahlt hat. Eine den (geprüften) Arbeitgeber begünstigende Regelung des Inhalts, weitere Beiträge und Umlagen würden für den geprüften Zeitraum nicht (nach-)erhoben, enthalten diese Bescheide nicht; sie kann ihnen auch im Wege der Auslegung (entsprechend §§ 133, 157 BGB) nicht beigelegt werden.
Nach der Rechtsprechung des BSG haben Betriebsprüfungen gem. § 28p SGB IV unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen. Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu (BSG, Urt. v. 14.7.2004, - B 12 KR 7/04 R -; auch Bayerisches LSG, Urt. v. 29.9.2009, - L 5 R 715/08 -; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6.7.2007, - L 3 AL 64/06 -, m. w. N. zur Rspr. der LSGe). Die Betriebsprüfung ist in ihrer tatsächlichen Durchführung auf eine Entlastungsfunktion des Arbeitgebers auch nicht eingerichtet. Die Prüfbehörden sind selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet und dürfen sich demzufolge auf Stichprobenprüfungen beschränken (BSG, a. a. O.). Das legt § 11 Abs. 1 Satz 1 BVV - und zwar für den Regelfall - ausdrücklich so fest. Aus dieser Bestimmung geht nicht hervor, dass die Stichprobenprüfung nur ausnahmsweise stattfinden dürfe; hierfür fehlte es auch an jeglicher Festlegung von Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls.
Die Zielsetzung der Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV legt auch den Regelungsgehalt des nach durchgeführter Betriebsprüfungen gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ergehenden Nachforderungsbescheids fest. Dieser soll allein die Ergebnisse der Betriebsprüfung verwirklichen, namentlich rückständige Beiträge und Umlagen den jeweils zuständigen Gläubigern (Versicherungsträgern) zuführen. Ebenso wenig wie die Betriebsprüfung selbst die Entlastung des Arbeitgebers bezweckt, bezweckt der Nachforderungsbescheid nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV dessen Schutz vor etwaigen weiteren Nachforderungen für den geprüften Zeitraum. Der Arbeitgeber als Adressat des Nachforderungsbescheids kann ihn vorbehaltlich besonderer Umstände anders auch nicht verstehen. Solche besonderen Umstände könnten etwa darin bestehen, dass die Prüfbehörde im Nachforderungsbescheid ausdrücklich eine Einzelfallregelung dahingehend trifft, dass es mit der verfügten Nachforderung für den Prüfzeitraum sein Bewenden haben und eine weitere Nachforderung nicht stattfinden soll. Das wird, wenn überhaupt, freilich nur in seltenen Ausnahmefällen geschehen. Ansonsten eröffnet das Gesetz dem Arbeitgeber nur für abgegrenzte (Beitrags-)Sachverhalte die Möglichkeit, Vertrauensschutz durch Verwaltungsakt, nämlich durch die Herbeiführung gesonderter Entscheidungen der Prüf- oder Einzugsstellen, etwa hinsichtlich des Vorliegens einer beitragspflichtigen Beschäftigung, zu erlangen. Hierfür kann er ggf. ein Anfrageverfahren gem. § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV bei der DRV B. (Clearing-Stelle) als Prüfstelle oder gem. § 28h Abs. 2 SGB IV ein vergleichbares Verfahren bei der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle durchführen (dazu näher: Senatsurteile vom 16.6.2010, - L 5 KR 5179/08 - und vom 24.11.2010, - L 5 KR 357/10 -). Nur wenn Versicherungspflicht und Beitragshöhe personenbezogen und für einen bestimmten Zeitraum durch einen gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind, tritt eine entsprechende Bindungswirkung ein (BSG, Urt. v. 29.7.2003, - B 12 AL 1702 R -). Will die Prüfbehörde beim Erlass von (Nachforderungs-)Bescheiden gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV von Verwaltungsakten dieser Art zum Nachteil des Arbeitgebers abweichen, muss sie die Maßgaben der §§ 45 ff. SGB X beachten. Im Übrigen ist der Arbeitgeber wegen unverhältnismäßiger Nachforderungen für vergangene Zeiträume aber auf den (Vertrauens-)Schutz durch das Gesetz selbst, nämlich die (kurze) vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verwiesen.
Aus dem auf die Betriebsprüfung vom 2.11.2005 ergangenen Nachforderungsbescheid vom 4.11.2005 kann die Klägerin danach Vertrauensschutz nicht herleiten. Dieser Nachforderungsbescheid regelt - wie für Bescheide dieser Art üblich - allein die Festsetzung bzw. Anforderung des durch die Betriebsprüfung ermittelten Nachforderungsbetrags. Er spricht darüber hinaus eine die Klägerin begünstigende Rechtsfolge, etwa die Erteilung von "Entlastung" hinsichtlich bestimmter Beitragssachverhalte, nicht, auch nicht implizit, aus. Eine Regelung dieses Inhalts kann ihm im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung) nicht zugeschrieben werden. Die Klägerin als Adressatin des Bescheids durfte ihn in diesem Sinne nicht verstehen; der gegenteiligen Auffassung des Sozialgerichts kann sich der Senat nicht anschließen. Aus der Benennung bestimmter Mitarbeiter bzw. eines Teils der als "Aushilfen I und II" beschäftigten Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht überprüft worden ist, konnte die Klägerin nicht die Schlussfolgerung ziehen, hinsichtlich der übrigen von ihr als geringfügig Beschäftigte eingestuften Arbeitnehmern habe alles seine Richtigkeit und etwaige Nachforderungen seien insoweit ausgeschlossen. Hierfür bestand umso weniger Anlass, als im genannten Bescheid eingangs unmissverständlich davon die Rede ist, dass die - nachstehend näher dargelegten Beanstandungen - das Ergebnis einer "stichprobenweisen" Überprüfung sind. Folgerichtig wird die für fehlerhaft befundene Beurteilung der Versicherungspflicht auch auf die "geprüften" Fälle bezogen. Der Bescheid vom 4.11.2005 hindert die Beklagte daher keineswegs daran, die bei der Betriebsprüfung vom 2.11.2005 (noch) nicht geprüften Fälle bzw. Beschäftigungsverhältnisse, nämlich die Beschäftigungsverhältnisse der beigeladenen Arbeitnehmer, auch für Zeiträume, die Gegenstand der vorangegangen Betriebsprüfung waren, einer Überprüfung zu unterziehen und die dabei ermittelten Beitrags- und Umlagenrückstände in den Grenzen der Verjährung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) nachzufordern.
c.) Die Klägerin kann sich gegen die angefochtene Nachforderung auch nicht auf Verwirkung berufen.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteile entstehen würde (vgl. etwa BSG, Urt. vom 14.7.2004, - B 12 KR 1/04 R - sowie Senatsurteile vom 29.9.2010, - L 5 KR 5138/08 - und vom 3.3.2010, - L 5 KR 3066/09 - ).
An die Verwirkungsvoraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dem Interesse der Versicherten, das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung durch Beitragsnachforderungen in angemessenen Grenzen zu halten, wird bereits durch die kurze Verjährungsregelung des § 25 SGB IV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BSG, Urt. vom 30.11.1978, - 12 RK 6/76 -; auch Senatsurteil vom 3.3.2010, - L 5 KR 3066/09 -). Für die zur anteiligen Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge bzw. von Umlagen verpflichteten Arbeitgeber gilt das entsprechend. Die in der Verjährungsregelung zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzes ist auch bei der Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung zu berücksichtigen. Dieses kann deshalb nur in besonders gelagerten (seltenen) Ausnahmefällen zum Erlöschen eines Anspruchs auf Nachzahlung von Beiträgen oder Umlagen führen. Ein bloßes Unterlassen kann schutzwürdiges Vertrauen nur dann begründen und zur Verwirkung des Rechts auf Nacherhebung von Beiträgen und Umlagen führen, wenn der Arbeitgeber das Nichtstun nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf (vgl. BSG, Urt. vom 30.11.1978, - 12 RK 6/76 -). Davon kann hier keine Rede sein. Ein Verwirkungsverhalten der Beklagten liegt nicht vor. Es kann nach dem Gesagten insbesondere aus der hinsichtlich der beigeladenen Arbeitnehmer beanstandungsfreien Betriebsprüfung vom 2.11.2005 nicht abgeleitet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese Sachanträge nicht gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved