L 6 U 2889/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 5501/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2889/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer Trigeminusneuralgie wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) und die Gewährung einer Verletztenrente streitig.

Die 1954 geborene Klägerin ist gelernte Bürokauffrau. Nach Absolvierung ihrer Lehre wurde sie zur Fleischereifachverkäuferin umgeschult und war dann ab 07. Mai 1979 zunächst bei ihrem Schwiegervater und dann bei ihrem Ehemann als angestellte Metzgereifachverkäuferin versicherungspflichtig bis 31. Dezember 2001 beschäftigt. Seit dem 01. Februar 2003 bezieht sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 17. September 2004). Dem Anerkenntnis des Rentenversicherungsträgers im vorangegangenen Rechtsstreit beim Sozialgericht Freiburg (SG) war eine psychiatrisch-psychosomatische Begutachtung vorausgegangen. Dr. R., Facharzt der Klinik O., Fachklinik für psychogene Erkrankungen, hatte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein chronisches Cervikobrachialsyndrom sowie den Verdacht auf Trigeminusneuralgie links diagnostiziert. Die ausgeprägte Schmerzsymptomatik bestehe seit 1995.

Mit Schreiben vom 28. September 2004 zeigte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten eine mögliche Berufskrankheit an. Die Klägerin habe jahrelang die Tätigkeit einer Fleischereifachverkäuferin verrichtet und leide seit mindestens 8 Jahren an einer Trigeminusneuralgie. Aufgrund dieser Erkrankung habe sie ihre berufliche Tätigkeit aufgeben müssen. Auf Nachfrage teilte die Klägerin mit, dass sie großen Kälteeinflüssen auf dem Wochenmarkt, aber auch im Ladengeschäft ausgesetzt gewesen sei (Zugluft durch die Ladentür, Betreten des Kühlraums). Die Beklagte zog das Gutachten von Dr. R. bei und holte einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. von H.-H. ein. Dieser führte aus, die Beschwerden der Klägerin im Sinne von Gesichtsschmerzen, Muskelverspannungen, Zahnschmerzen, Schmerzen im linken Arm und in der linken Schulter sowie Ohrenschmerzen hätten seit 1995 stufenweise zugenommen. Daraufhin habe er den Verdacht auf eine Trigeminusneuralgie geäußert. Das Krankheitsbild der Klägerin sei in der Liste der Berufskrankheiten nicht aufgeführt.

Nachdem der staatliche Gewerbearzt beim Regierungspräsidium Stuttgart Dr. H. zur Auffassung gelangte, eine Berufskrankheit nach Nr. 2106 (BK 2106) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) liege nicht vor, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Erkrankung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juni 2005 die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie aus, die Schädigung des Trigeminusnervens müsse durch Druckbelastungen im Versorgungsbereich des Nervens entstehen. Derartige Druckbelastungen setzten ganz besondere berufliche Belastungen voraus. Eine solche Druckbelastung könne zum Beispiel beim Gebrauch von Blasinstrumenten entstehen. Einwirkungen durch Zugluft und Kälte stellten aber keine Druckbelastungen dar. Es handele sich vielmehr um thermische bzw. physikalische Reize, die von der BK 2106 BKV - Druckschädigung der Nerven nicht erfasst werde. Auch eine sonstige Ziffer der Anlage 1 zur BKV komme nicht in Betracht. Die Anerkennung einer Wie-BK scheide ebenfalls aus, da keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorlägen, wonach diese Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht werde, denen bestimmte Personengruppen durch ihre berufliche Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt seien.

Zur Begründung ihres Widerspruchs machte die Klägerin geltend, zu Nervenbeeinträchtigungen und -schädigungen könne es auch durch Kälte und Zugluft kommen. Fleischereifachverkäuferinnen seien im Rahmen ihrer Berufstätigkeit wegen des regelmäßigen Betretens der Kühlräume in erheblich höherem Maße als Durchschnittsbürger diesen Einwirkungen ausgesetzt. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit ihrer dagegen am 23. Dezember 2005 beim SG erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung der Trigeminusneuralgie als Wie-BK sowie die Gewährung einer Verletztenrente verfolgt. Sie hat auf Nachfrage des SG ergänzend mitgeteilt, sie habe sich täglich für 40 Minuten ohne Unterbrechung im Kühlraum bei 18° minus aufgehalten, um die Ladentheke zu bestücken. Im Laufe des Tages habe ein ständiger Wechsel zwischen kalter und warmer Luft stattgefunden. Zusätzlich sei sie zwei- bis dreimal wöchentlich auf dem Wochenmarkt bei jedweder Witterung im Verkaufswagen eingesetzt worden. Sie habe auch den Partyservice bestückt und Fleisch zubereitet. Die Wurstproduktion sei hingegen ebenso wie Büroarbeiten von ihrem Ehemann erledigt worden.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG eine Auskunft bei dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingeholt. Dieser teilte mit Schriftsätzen vom 10. April 2007 und 18. November 2008 mit, dass keine neuen, gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt geworden seien. Dass die Personengruppe, die berufsbedingt der Einwirkung von Kältereizen ausgesetzt sei, in erheblichem höheren Grade als die übrige Bevölkerung an einer Trigeminusneuralgie erkranke, sei nicht bekannt. Es sei bislang nur ein möglicherweise vergleichbarer Erkrankungsfall gemeldet worden, der aber nicht anerkannt worden sei. Der ärztliche Sachverständigenrat "Berufskrankheiten "beim BMAS habe sich bislang mit der Frage der beruflichen Verursachung der Trigeminusneuralgie und der eventuellen Aufnahme in die BK-Liste nicht befasst.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2009, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 21. Juni 2009, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Erkrankung durch Druckschädigung scheide unstreitig aus, weil die dafür erforderliche Druckschädigung der Nerven durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin nicht ersichtlich sei. Es bestehe auch kein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Trigeminusneuralgie als Wie-BK. Dies erfordere neben dem Nachweis des geltend gemachten Gesundheitsschadens das Feststehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität), zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) sowie den Nachweis neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, nach denen die Voraussetzungen für eine Bezeichnung der Erkrankung als BK erfüllt seien. Es könne offen bleiben, ob die Klägerin tatsächlich an einer Trigeminusneuralgie leide. Jedenfalls lägen keine neueren Erkenntnisse vor, die einen Nachweis dafür erbrächten, dass die berufsbedingte Einwirkung von Kältereizen bei Personenkreisen, bei diesen in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung zum Auftreten einer Trigeminusneuralgie führten. Dies folge aus der Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaft, wonach keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen.

Mit ihrer dagegen am 26. Juni 2009 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, es sei nie streitig gewesen, dass sie an einer Trigeminusneuralgie leide. Diese Erkrankung sei durch eine Odyssee von Behandlungen ausermittelt worden. Sie hat einen Auszug aus dem Internet über die mögliche Genese der Trigeminusneuralgie vorgelegt.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Juni 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Trigeminusneuralgie wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und ihr Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass gerade die zum 1. Juli 2009 in Kraft getretene Änderungsverordnung zur BKV mit Einführung neuer BKen deutlich mache, dass eine "Verordnungsreife" der zur Diskussion stehenden Trigeminusneuralgie mit Sicherheit nicht gegeben sei.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 13. November 2009 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin (§§ 143, 144 SGG), über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2005, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Trigeminusneuralgie als Wie-BK anzuerkennen und der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin erstrebt bei sachdienlicher Auslegung ihres Klage- und Berufungsbegehrens (§ 123 SGG) im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die Aufhebung der die Gewährung von Leistungen ablehnenden - und auch einer zukünftigen Leistungsgewährung entgegenstehenden - Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sowie die gerichtliche Feststellung des Vorliegens einer Wie-BK. Denn nachdem die Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, eine BK, auch eine Wie-BK liege nicht vor, ist zunächst diese Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Entschädigung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (BSG, Urteil vom 15.02.2005, B 2 U 1/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 12, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).

Maßgebend für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs ist das Siebte Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII - (§ 212 SGB VII). Zwar kann die streitige Erkrankung nach Auskunft des Sachverständigengutachtens von Dr. R., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, seit Mitte 1995 eingetreten sein. Es ist aber anzunehmen, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Einwirkungs-Verursachungs-Beziehung - wenn überhaupt, dann - jedenfalls nicht aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB VII stammen. Der geltend gemachte Versicherungsfall dürfte daher allenfalls nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sein (BSG, Urteil vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 12).

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens ist § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7 Abs. 1 SGB VII). BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als BKen anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. In der Anlage 1 zur BKV ist die Erkrankung an einer Druckschädigung der Nerven als BK nach Nr. 2106 enthalten.

Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt bei der Klägerin unstreitig eine BK nach Nr. 2106 BKV nicht vor, da es an der erforderlichen Druckschädigung der Nerven fehlt. Die Klägerin erfüllt die arbeitstechnischen Voraussetzungen hierfür nicht. Eine arbeitsbedingte Druckschädigung der Nerven setzt eine sich wiederholende mechanische und durch Druck schädigende Einwirkung voraus. Betroffen sind meist oberflächlich verlaufende Nerven, welche einer von außen kommenden anhaltenden Einwirkung gut zugänglich sind. So tritt eine Druckschädigung gegebenenfalls ein, wenn ein Nerv diesen wiederholten mechanischen Einwirkungen aufgrund einer anatomischen Enge nicht genügend ausweichen kann. Gefährdend sind zwar für das gesamte Spektrum der für eine BK 2106 in Frage kommenden Erkrankungen vor allem Tätigkeiten mit körperlichen Zwangshaltungen, Haltungskonstanz, einseitigen Belastungen oder Arbeiten mit hohen Wiederholungsraten, insbesondere ständig sich wiederholende, gleichartige Körperbewegungen im Sinne mechanischer Überbelastungen, überwiegend haltungskonstante Arbeiten mit nicht oder nur schwer korrigierbaren Zwangshaltungen, zum Beispiel Daueraufstützen des Handgelenks oder der Ellenbogen, Andrücken eines Werkzeugs oder bestimmte Gelenkstellungen, die längere Zeit beibehalten werden müssen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 5.7.1. S. 232). Es bestehen Hinweise auf vermehrt betroffene Berufsgruppen wie zum Beispiel Berufsmusiker, Schleifer, Metzger, Lebensmittelhändler etc. Zusätzlich gibt es zahlreiche Hinweise auf bestimmte schädigende berufliche Expositionsfaktoren wie zum Beispiel großer Kraftaufwand bei Greifbewegungen, repetitive Bewegungen im Handgelenk, gebeugtes oder überstrecktes Handgelenk, wobei diese Expositionsfaktoren auch bei einer Vielzahl anderer Tätigkeiten zu finden ist (Mehrtens/ Brandenburg, BKV – Kommentar, M 2106 S. 1 f.). Einwirkungen durch Zugluft und Kälte stellten keine Druckbelastungen dar.

Die Klägerin hat aber – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – auch keinen Anspruch auf Anerkennung einer Trigeminusneuralgie als Wie-BK.

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl. zum Folgenden BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R -). Denn die Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel (vgl. BSG, Urteil vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 17). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77 f).

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein (zu den einzelnen Prüfungsschritten nachfolgend):

(1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein (3.1), und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen (3.2).

(4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

ad (1) Die Klägerin war als Fleischereifachverkäuferin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Sie hat mit der Trigeminusneuralgie eine bestimmte Krankheit benannt, deren Anerkennung als Wie-BK sie begehrt.

ad (2) Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt (s.o.).

ad (3) Nach § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist (3.1). Die Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergibt sich die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkungen kommt praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es - auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt - möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1981 - 8/8a RU 82/80 - SozR 2200 § 551 Nr. 20) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (zB nicht gemeinsamer Beruf, vgl. Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Kommentar, Stand Mai 2010, § 9 RdNr. 55).

(3.2) Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt. Bei der Erstellung und der gerichtlichen Überprüfung der Gutachten, die zur Ermittlung des Stands der Wissenschaft einzuholen sind, können zB auch Erkenntnisse der "militärischen" Forschung (Knickrehm, SGb 2010, 381, 388; Biesold, MedSach 2010, 23 ff) und die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 9.5.2006, a.a.O.).

An solchen Erkenntnissen zur Trigeminusneuralgie fehlt es vorliegend. Der Senat entnimmt dies der Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaft, wonach keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt geworden sind. Das wird weiter bestätigt durch die zum 1. Juli 2009 in Kraft getretene Änderungsverordnung zur BKV mit Einführung neuer BKen, die auch aus Sicht des erkennenden Senats deutlich macht, dass eine "Verordnungsreife" der zur Diskussion stehenden Trigeminusneuralgie mit Sicherheit nicht gegeben ist. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Internetauszug zur Genese der Trigeminusneuralgie folgt nichts anderes, sie bestätigt im Gegenteil die Auffassung der Beklagten. Denn danach wird als Ursache für die Erkrankung an einer Trigeminusneuralgie allein eine Druckschädigung genannt, mithin nicht eine Kälteeinwirkung. An der erforderlichen Druckschädigung fehlt es aber, wie oben ausgeführt.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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