L 10 U 1640/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3279/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1640/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.03.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die (weitere) Gewährung einer Verletztenrente.

Der am 1956 geborene Kläger stürzte im Rahmen seiner damaligen versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer am 14.11.2005 aus einer Höhe von ca. 1,20 /1,50 m von der Ladebordwand seines LKWs und traf mit seinem Körpergewicht von deutlich über 100 kg (Gutachten Dr. B.: 115 kg Bl. 203 VA, ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. G.: 118 kg Bl. 117 SG-Akte) mit dem rechten Bein auf den Boden auf. Der Kläger, der zuvor nicht wegen Beschwerden am rechten Bein in hausärztlicher Behandlung stand (sachverständige Zeugenaussage des Dr. K. gegenüber dem Senat Bl. 25, 28, 30 LSG-Akte), zog sich dabei eine Zerrung des rechten Kniegelenks mit Riss des vorderen Kreuzbandes und Zerrung des rechten Sprunggelenks mit Beteiligung des Innenbandes und der Gelenkkapsel zu. Zum Unfallzeitpunkt lagen, wie sich im Rahmen der im Januar 2006 durchgeführten Arthroskopie ergab, im rechten Kniegelenk schon degenerativ bedingte Knorpelveränderungen vor (retro-patellare Chondropathie Grad II, drittgradige Chondropathie am medialen Femurcondylus mit Durchmesser von ca. 1,5 cm sowie zweit- bis drittgradige Chondropathie am medialen Tibiaplateau rechts, OP-Bericht des Dr. B. , Klinik Am E. G. , Bl. 18 VA).

Computertomographisch zeigte sich im November 2005 am rechten Sprunggelenk eine diffuse Weichteilschwellung und eine mutmaßlich frische, winzige Knochenabsprengung am Innenknöchel rechts sowie weitere vermutlich bereits ältere laterale Knochenabsprengsel. Im Januar 2006 wurde eine Kernspintomographie des Sprunggelenks durchgeführt. PD Dr. D. sah sich anhand der erhobenen Befunde nicht in der Lage, sicher zwischen Residuen eines Bone Bruise nach Trauma 11/05 oder eines Knochenödems nach posttraumatisch aktivierter Arthrose zu differenzieren. Im Bereich der tibialen Gelenkfläche des oberen Sprunggelenks zeigte sich ventralseitig ein subchondrales Knochenödem im Sinne einer Osteochondrosis ohne Dissektatnachweis. Im März 2006 wurde zudem ein CT und nochmals ein Kernspintomogramm erstellt. Letzteres ergab keine wesentliche Befundänderung. CT-morphologisch zeigte sich bei einem Zustand nach Bone Bruise an der Innenknöchelspitze eine zunehmende Weichteilverkalkung als Hinweis für eine Kapselbandläsion sowie neu aufgetretene gering schalenförmige Randkantenausrisse bei umgebender Weichteilschwellung im Innenknöchelbereich (siehe Berichte des Oberarztes Dr. Z. Bl. 12 VA und des Chefarztes PD Dr. D. Bl. 20, 91, 93 VA). Schließlich wurde am 28.04.2006 eine Arthroskopie des rechten oberen Sprunggelenks durchgeführt. Dabei sah der Operateur Dr. W. (OP-Bericht Bl. 144 VA) einen posttraumatischen Knorpelschaden (Chondropathie Grad II an der lateralen Tibia und Grad II bis III an der medialen Tibia jeweils im Bereich der Thalusschultern), eine Miniabsprengung und eine Verwachsung am Innenknöchel - erklärbar durch einen Fibrinaustritt nach dem Trauma.

Der Kläger, dem nach dem Unfall noch innerhalb der Probezeit von seinem Arbeitgeber gekündigt wurde, war bis zum 01.09.2006 arbeitsunfähig geschrieben. Im Juni 2007 nahm er wieder eine Tätigkeit als Kraftfahrer auf. Nach dem Unfall sind eine Instabilität und Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk (0-0-110) sowie eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk (0-0-35) nebst persistierenden Beschwerden und Schwellungszuständen sowie eine Muskel- und Kraftminderung am rechten Bein verblieben (siehe zuletzt Gutachten Dr. G. Bl. 84, 90 SG-Akte).

Die Beklagte holte Stellungnahmen ihres beratenden Arztes für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. K. sowie das fachorthopädisch-unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. B. (Ärztlicher Direktor und Chefarzt an der Sportklinik S. ) ein. Während Prof. Dr. B. unter Hinweis auf die bei dem Unfall aufgetretene starke kinetische Energie und der Beschwerdefreiheit vor dem Unfall sowie der erhobenen Befunde von einer traumatischen Knorpelschädigung sowohl bei dem altersentsprechend vorgeschädigten Kniegelenk als auch am Sprunggelenk ausging, sah Dr. K. hinsichtlich der Knorpelschäden keinen Unfallzusammenhang. Übereinstimmend bewerteten beide Mediziner jedoch die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 von Hundert (v.H.). Darauf gestützt gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24.04.2007 ab dem 01.09.2006 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. Entsprechend der Auffassung von Dr. K. führte sie aus, bei der Bewertung der MdE sei wegen vorbestehender Knorpelschäden im Bereich der betroffenen Gelenke nur ein Teil der dort bestehenden Bewegungseinschränkungen zu berücksichtigen.

Auch in seinem Zweiten Rentengutachten auf Grund einer Untersuchung des Klägers am 19.02.2008 bewertete Prof. Dr. B. ungeachtet einer durch physiotherapeutische Maßnahmen erzielten Verbesserung der Stabilität des rechten Kniegelenks unter Einbeziehung der Beschwerden am Sprunggelenk die MdE mit 20 v.H. Der beratende Arzt Dr. K. sah jedoch nur noch eine unfallbedingte MdE um 10 v.H. Ein Kapselbandschaden am Sprunggelenk pflege in aller Regel folgenlos abzuheilen. Daher könne nur der kleinste Teil der Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk bei vorbestehenden Knorpel- und Knochenveränderungen als unfallbedingt angesehen werden. Dieser sei für die MdE nicht mehr relevant.

Nach Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2008 die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog dem Kläger die vorläufig gewährte Rente zum 31.05.2008.

Deswegen hat der Kläger am 17.09.2008 beim Sozialgericht Ulm Klage erhoben.

Das SG hat das Gutachten des Sektionsleiters der Sportorthopädie der Orthopädischen Klinik P. , S. , Dr. G. eingeholt. Dieser hat die vorbestehenden Knorpelschäden am rechten Knie als eher gering eingestuft und alle am rechten Kniegelenk und rechten Sprunggelenk verbliebenen Einschränkungen auf den Unfall, bei dem es sich um keine Gelegenheitsursache gehandelt habe, zurückgeführt. Auch die Knorpelschäden am oberen Sprunggelenk hat er unter Hinweis auf den OP-Bericht und das kernspintomographisch im Januar 2006 beschriebene Knochenödem für unfallbedingt erachtet und im Übrigen die knöchernen Absprengungen, von denen zumindest ein Teil durch das Unfallereignis zu erklären sei, angesichts des Fehlens vorbestehender Bewegungseinschränkungen nicht für relevant gehalten. Demgegenüber hat der beratende Arzt der Beklagten für Orthopädie Dr. J. die vorbestehenden Knorpelschäden im rechten Kniegelenk als generalisiert und nicht leichtgradig, im weiteren Verlauf vielmehr schwerwiegender als die Kreuzbandruptur erachtet. Die Knorpelschäden am oberen Sprunggelenk hat er nach Auswertung der bildgebenden Befunde vom Januar 2006 als wesentlich degenerativ bedingt angesehen und hierzu u.a. hinsichtlich der Lokalisation der festgestellten Ödeme und Knorpelveränderungen biomechanische Überlegungen herangezogen. Die Verwachsungen hat er hingegen wie Dr. G. ebenfalls auf den Unfall zurückgeführt. Hinsichtlich der Beschwerdefreiheit vor dem Unfall hat er zum einen hierin kein Argument für einen Unfallzusammenhang gesehen, zum anderen das Fehlen von Beschwerden angezweifelt. Im Ergebnis hat er die vordere Instabilität und einen Teil der Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes sowie den kleinsten Teil der Bewegungseinschränkung des rechten Sprunggelenkes als unfallbedingt angesehen und mit einer MdE um 10 v.H. bewertet.

Dr. G. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme an seiner Auffassung festgehalten und ergänzt, die durch die Kreuzbandruptur bedingte Instabilität im Knie führe auch zu einem fortschreitenden Gelenkverschleiß. Das bildgebend beschriebene Knochenmarködem spreche für eine schwerwiegende Verletzung des Sprunggelenks, die wesentlich im Vordergrund stehe. Der genaue Verletzungsmechanismus sei nicht mehr nachzuvollziehen.

Das SG hat mit Urteil vom 01.03.2010 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 01.06.2008 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Es hat sich auf die Gutachten von Prof. Dr. B. und Dr. G. gestützt und für fraglich erachtet, ob die in den beratungsärztlichen Stellungnahmen erfolgte Abgrenzung der Bewegungseinschränkung in unfallabhängige und unfallunabhängige Anteile sachgerecht möglich sei.

Gegen das ihr am 25.03.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.04.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die vom Sozialgericht festgestellte MdE beruhe zu einem erheblichen Teil auf unfallunabhängigen Veränderungen und verweist hierzu noch ergänzend auf valgische Beinachsen und das Übergewicht des Klägers.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat den behandelnden Hausarzt des Klägers Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat auch nach Auswertung der Unterlagen seines Praxisvorgängers Dr. T. mitgeteilt, der Kläger sei wegen Beschwerden am rechten Knie- und rechten Sprunggelenk vor dem Unfall nicht behandelt worden.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid über die Ablehnung einer Rente auf unbestimmte Zeit und Entziehung der Rente als vorläufige Entschädigung vom 20.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2008. Das Sozialgericht hat diese Bescheide zu Recht aufgehoben.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente.

Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Dies bedeutet, dass für die Feststellung der MdE im Zusammenhang mit der Frage der Gewährung einer Dauerrente die im Zeitpunkt der Feststellung bestehende MdE unabhängig von der Frage einer wesentlichen Besserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der vorläufigen Rentenbewilligung und damit unabhängig von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) maßgeblich ist.

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der ihm ursprünglich bewilligten vorläufigen Rente und begehrt die Gewährung einer Dauerrente. Hierfür ist die Anfechtungsklage die zutreffende Klageart, denn mit Aufhebung des angefochtenen Entziehungsbescheides würde die vorläufig gewährte Rente nach Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall schon kraft Gesetzes zur Dauerrente (st. Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 62 SGB VII, Rdnr. 10). Die Verurteilung zur weiteren Rentengewährung am 01.03.2010 wäre mithin - da nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist erfolgt - nicht mehr erforderlich gewesen, da sich diese Rechtsfolge unmittelbar aus der Aufhebung des Rentenentziehungsbescheids ergibt. Sie ist aber unschädlich (vgl. BSG, Urteil vom 05.02.2008, B 2 U 6/07 R in SozR 4-1300 § 41 Nr. 1).

Dem Kläger steht über den 31.05.2008 hinaus eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Der Kläger erlitt am 14.11.2005 während seiner Arbeit beim Sturz von der Ladebordwand seines LKW eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenks und eine Zerrung des rechten Sprunggelenks. Auf der Grundlage der Gutachten von Prof. Dr. B. und Dr. G. ist der Senat davon überzeugt, dass die seither beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen in Form einer Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks sowie einer Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks nebst persistierender Beschwerden und Schwellungszuständen sowie einer Muskel- und Kraftminderung am rechten Bein, - sei es im Rahmen einer Verursachung, Verschlimmerung oder einer Aktivierung - in rechtlich wesentlichem Zusammenhang mit diesem Unfall stehen und mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten sind.

Unstreitig ist der Unfallzusammenhang hinsichtlich der Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie einer Prellung und Zerrung des rechten Sprunggelenks. Zu bewerten ist vorliegend, ob im Hinblick auf die beim Kläger bestehenden Knorpelveränderungen im Knie- und Sprunggelenk nur ein Teil der eben dargestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf den Unfall zurückgeführt werden kann. Dabei ist das Bestehen der Knorpelveränderungen an sich wiederum zwischen den Beteiligten unstreitig. Soweit am Sprunggelenk nach dem Unfall (zunehmende) Verwachsungen festgestellt wurden, sind diese, wie zuletzt auch Dr. J. in Übereinstimmung mit Dr. G. eingeräumt hat, auf den Unfall zurückzuführen. Die Knochenabsprengungen im Sprunggelenk, von denen - so das Gutachten von Dr. G. - zumindest eine durch den Arbeitsunfall bedingt ist, sind, wie Dr. G. weiter überzeugend ausführt, letztlich für die Feststellung der MdE nicht von Bedeutung.

Hinsichtlich des rechten Kniegelenks geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Gutachter Prof. Dr. B. , dem Sachverständigen Dr. G. und den Beratungsärzten der Beklagten davon aus, dass zum Unfallzeitpunkt bereits degenerative Knorpelveränderungen vorlagen. Der Senat kann letztlich dahingestellt lassen, ob diese, wie von Prof. Dr. B. dargestellt, als altersentsprechend, oder wie von Dr. G. ausgeführt, als eher gering und nicht generalisiert oder aber, wie von Dr. J. betont, als nicht leichtgradig und generalisiert sowie im weiteren Verlauf schwerwiegender als die Kreuzbandruptur anzusehen sind. Denn für den Senat steht, nachdem die sachverständige Zeugenaussage von Dr. K. die Annahmen von Prof. Dr. B. und Dr. G. über die Beschwerdefreiheit des Klägers am rechten Bein vor dem Unfall bestätigt hat, fest, dass eine Beschwerdesymptomatik am rechten Kniegelenk vor dem Arbeitsunfall nicht vorlag. Nachvollziehbar hat Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme zudem darauf hingewiesen, dass die anhaltende Instabilität im Knie auf Grund des Verlustes des vorderen Kreuzbandes zu einem fortschreitenden Gelenkverschleiß führt. Angesichts dieses wechselseitigen Zusammenhangs kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass sich die vorbestehenden Knorpelschäden am Knie, wie von Dr. J. vertreten, völlig losgelöst von der Kreuzbandruptur zu einer die Beschwerden in überragender Weise allein erklärenden Ursache entwickelten. In der Zusammenschau kann vielmehr den vorbestehenden und sich weiter entwickelnden degenerativen Veränderungen als Mitursache der Beschwerden keine überragende Bedeutung beigemessen werden, sodass die Beschwerden am rechten Kniegelenk in vollem Umfang als wesentlich durch den Arbeitsunfall bedingt anzusehen sind.

Hinsichtlich der Situation am rechten Sprunggelenk sprechen schon gute Gründe dafür, dass die im Nachhinein festgestellten Knorpelveränderungen wahrscheinlich durch den Arbeitsunfall im Sinne eines Gesundheitserstschadens verursacht sind. Dr. G. hat, gestützt auf den OP-Bericht von Prof. Dr. U. , der im Rahmen der Arthroskopie sich einen unmittelbaren Eindruck vom vorliegenden Knorpelschaden verschaffen konnte, und unter Hinweis auf das zuvor bildgebend festgestellte Knochenmarködem, nachvollziehbar dargelegt, dass es bei dem Arbeitsunfall zu einer schwerwiegenden Verletzung des Sprunggelenks kam. Inwieweit hier ein Knorpelschaden als Gesundheitserstschaden eingetreten oder ausgeweitet worden ist, kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Denn auch insoweit steht für den Senat fest, dass bis zu dem Arbeitsunfall selbst bei Unterstellung eines degenerativen oder nicht bemerkten traumatischen Vorschadens - Anhaltspunkte dafür sind die festgestellten älteren Knochenabsprengungen sowie vorbestehende Verwachsungen - ein beschwerdefreier Zustand vorlag. Entgegen der Auffassung von Dr. J. ist diese Beschwerdefreiheit zu berücksichtigen, da ein Arbeitsunfall auch im Sinne einer Aktivierung einer vorbestehenden Krankheitsanlage von Bedeutung sein kann - solange diese nicht von überragender Bedeutung ist. Im Übrigen überzeugen den Senat die Ausführungen von Dr. J. , die im Hinblick auf die Lokalisation der Verwachsungen unter Heranziehung biomechanischer Überlegungen zum Unfallhergang einen Zusammenhang der festgestellten Knorpelveränderungen mit dem Unfall verneint, nicht. Dr. G. hat dem plausibel entgegengehalten, dass sich der genaue Verletzungsmechanismus nicht ausreichend sicher nachvollziehen lässt. Seine Auffassung, dass die schwerwiegende Verletzung des Sprunggelenks durch den Unfall bei einer vorherigen Beschwerdefreiheit und einer Unfallbetroffenheit der Knorpel, sei es im Rahmen des erstmaligen Entstehens eines Knorpelschadens, sei es in der Aktivierung eines vorbestehenden Schadens oder sei es als Verschlimmerung eines vorbestehenden Schadens wesentlich im Vordergrund steht, ist für den Senat überzeugend. Der Senat sieht sich, soweit er im Hinblick auf die Knorpelveränderungen die Erklärung des Auftretens der Beschwerden nach dem Unfall in der eben beschriebenen Weise offen lässt, durch den Bericht von Dr. D. über die im Januar 2006 durchgeführte Kernspintomographie bestätigt. Auch er ließ letztlich offen, ob es sich bei dem von ihm festgestellten Veränderungen um ein Bone Bruise nach dem Arbeitsunfall oder um ein Knochenödem nach einer posttraumatisch aktivierten Arthrose handelte. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass, ein vorbestehender Schaden unterstellt, dieser von so überragender Bedeutung gewesen ist, dass es auf Grund eines alltäglichen Ereignisses zu dem nach dem Unfall aufgetretenen Beschwerdebild gekommen wäre. Damit sind auch sämtliche Sprunggelenksbeschwerden in die MdE-Bewertung mit einzubeziehen.

Den zuletzt von der Beklagten aufgezeigten Gesichtspunkten - valgische Beinachsen, Adipositas - vermag der Senat, nachdem die Beklagte hier selbst nur von einem möglichen und mithin nicht einmal wahrscheinlichen Zusammenhang ausgeht, keine überragende Bedeutung bei der Kausalitätsbeurteilung beizumessen.

Das SG ist somit zutreffend von einer MdE um 20 v.H. ausgegangen. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung von Dr. G. und Prof. Dr. B. , die im Übrigen beratungsärztlich im Februar 2007 auch von Dr. K. noch so geteilt wurde. Seine später abweichende Einschätzung hat Dr. K. allein mit der - zu Unrecht erfolgten - teilweisen Außerachtlassung der Beschwerden am Kniegelenk und der letztlich vollständigen Außerachtlassung der Beschwerden am Sprunggelenk begründet. Die Bewertung mit einer MdE um 20 v.H. steht auch in Einklang mit den Vorschlägen der unfallmedizinischen Literatur. Danach ist für eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk von 0-0-120 mit einer MdE um 10 v.H. und von 0-0-90 mit einer MdE um 15 v.H. zu bewerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 654). Der Kläger liegt mit seiner Einschränkung von zuletzt 0-0-110 dazwischen. Eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk von 0-0-30 wird in der unfallmedizinischen Literatur mit einer MdE von 10 v.H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 678). Der Kläger liegt mit seiner Einschränkung auf zuletzt 0-0-35 ungefähr in diesem Bereich. In der Gesamtschau ist eine MdE um 20 v.H. daher gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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