L 3 SB 2583/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2583/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 30. März 2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von dem beklagten Land die Feststellung seines Status als schwerbehinderter Mensch, hilfsweise die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Der am 01.05.1962 geborene Kläger hatte erstmals im Jahre 1999 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) beantragt, diesen Antrag hatte das Versorgungsamt A. mit Bescheid vom 14.12.1999 abgelehnt. Auf einen weiteren Antrag vom 14.02.2008 hin zog das Versorgungsamt den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Dr. B. vom 12.02.2008 (koronare Drei-Gefäß-Erkrankung mit Hauptstammstenose, Z.n. [Zustand nach] koronarer 3-fach-Bypass-OP am 20.12.2007, PAVK [periphere arterielle Verschlusskrankheit], Hypertonie, Hyperlipoproteinämie) bei und stellte sodann mit Bescheid vom 08.05.2008 für die Zeit ab dem 01.01.2008 einen GdB von 20 bei dem Kläger fest. Das Versorgungsamt berücksichtigte hierbei eine koronare Herzkrankheit, einen koronaren Bypass und Bluthochdruck, jedoch - mangels Nachweisen - nicht die vom Kläger weiterhin geltend gemachte Schuppenflechte. Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag vom 12.03.1999 und einen Widerspruch hin stellte das Versorgungsamt mit (Teil-)Abhilfebescheid vom 24.07.2009 ab dem 12.03.2009 einen Gesamt-GdB von 30 fest, hierbei berücksichtigte es zusätzlich eine "arterielle Verschlusskrankheit, operiert".

Am 23.10.2009 beantragte der Kläger erneut Neufeststellung. Das Versorgungsamt zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Mit Bescheid vom 11.11.2009 stellte es ab dem 23.10.2009 einen Gesamt-GdB von 40 fest. Es legte hierbei Einzel-GdB von 20 für die koronare Herzkrankheit mit koronarem Bypass und Bluthochdruck, 30 für die operierte arterielle Verschlusskrankheit und 10 für die nunmehr ärztlich bescheinigte, aber symptomfreie Schuppenflechte und für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zu Grunde.

Der Kläger legte ohne nähere Ausführungen Widerspruch ein. Das Versorgungsamt zog daraufhin den Behandlungsbericht des E.-Klinikums F., Prof. Dr. D., vom 10.12.1999 bei. In diesem war unter anderem festgehalten, dass der Kläger zwei Laufbandergometrien mit Steigungen von 10 % und einer Geschwindigkeit von 3,5 km/h nach jeweils 1000 m hatte abbrechen müssen, nachdem es ab 280 m bzw. ab 57 m zu einem leichten Ziehen in der linken Wade gekommen war. Das Landesversorgungsamt des beklagten Landes erließ daraufhin den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 25.02.2010.

Der Kläger hat am 17.03.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben. Er hat zunächst - schriftsätzlich - die Feststellung eines Gesamt-GdB von wenigstens 50 und hilfsweise die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt. Zur Begründung hat er auf Herz- und Fußprobleme verwiesen. Auf die Nachfrage des SG hat er allein Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. I. als Behandler benannt.

Dr. I. hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 25.08.2010 bekundet, der Kläger leide an einer zunehmenden Claudicatio (Schmerzsyndrom, "Schaufensterkranhkeit") am linken Bein ohne organisches Korrelat, eher im Sinne einer Somatisierung, an einer generalisierten arteriellen Verschlusskrankheit mit koronarer Herzkrankheit und den Folgen der diesbezüglichen operativen Eingriffe, einer Hiatushernie (Zwerchfellbruch) mit rezidivierenden Refluxbeschwerden, einer Psoriasis pustulosa palmoplantaris (Schuppenflechte Typ Barber-Königsbeck) mit rezidivierenden Schüben und an einer Somatisierungsstörung. Der Gesamt-GdB sei auf Grund des hohen Gefäßrisikos für erneute Ereignisse bei dem noch jungen Kläger auf 50 zu schätzen. Dr. I. hat ferner verschiedene Berichte anderer Ärzte vorgelegt, auf die verwiesen wird.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger dann nur noch seinen Hauptantrag zu Protokoll gestellt. Mit diesem Antrag hat das SG mit Urteil vom 30.03.2011 die Klage sodann abgewiesen. Bei dem Kläger bestehe kein Gesamt-GdB von wenigstens 50. Die arterielle Verschlusskrankheit sei zu Recht mit einem GdB von 30 bewertet worden. Anhaltspunkte für eine echte Somatisierungsstörung gebe es nicht, Dr. I. habe diese Diagnose nicht durch entsprechende Befunde begründet. Die Schuppenflechte sei zuletzt Anfang 2008 in einem Befundbericht erwähnt und dort als "zurzeit symptomfrei" beschrieben worden, der Kläger habe keine Verschlechterung geltend gemacht und sei auch nicht in hautärztlicher Behandlung. Bei der Hiatushernie handle es sich um eine "kleine zentrale", die allenfalls einen GdB von 10 bedinge. Der Blutdruck sei nur leicht erhöht und führe nicht oder nur geringfügig zu einer Leistungsbeeinträchtigung. Auch der Gesamt-GdB sei zutreffend gebildet.

Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 27.04.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 26.05.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Würt¬temberg eingelegt. Er trägt ergänzend vor, nach Rücksprache mit seinem behandelnden Arzt sei er auf Grund seiner doch ganz erheblichen Gesundheitsbeschwerden zumindest soweit eingeschränkt, dass von einem GdB von 50 auszugehen sei. Sein Zustand habe sich kontinuierlich verschlechtert. Zu seinem erneut gestellten Hilfsantrag trägt der Kläger nach dem gerichtlichen Hinweis vom 27.06.2011 auf die fehlende Passivlegitimation des Beklagten noch vor, die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen trage zur Sicherung seines Arbeitsplatzes bei. Auf die gerichtlichen Hinweise zur Sache vom 09.09.2011 hat der Kläger noch das neue Attest des Kardiologen Dr. R. vom 05.01.2011 und den Arztbericht des Zentrums für Radiologie und Nuklearmedizin A.-D., Dr. F., vom 08.06.2011 vorgelegt. Auf diese Urkunden wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts A. vom 30. März 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2010 zu verpflichten, bei ihm einen gesamten Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen, hilfsweise, ihn einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Unter dem 09.09.2011 hat das Gericht die Beteiligten auch darauf hingewiesen, dass es ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter und ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden wolle, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.09.2011 gegeben.

II.

Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

1. Mit ihrem Hauptantrag hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg. Dieser Hauptantrag - eine Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines GdB von wenigstens 50 - ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Insoweit hat das SG die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Die rechtlichen Voraussetzungen der Feststellung von Einzel-GdB und eines Gesamt-GdB aus dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VersMG) aus der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) hat das SG zutreffend dargelegt, der Senat verweist daher zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils (§§ 153 Abs. 2, 142 Abs. 3 Satz 3 SGG).

Das Gleiche gilt für die Darlegungen des SG zu den einzelnen Behinderungen des Klägers und ihren konkreten Bewertungen an Hand der VersMG sowie für die daraus folgende Bildung des Gesamt-GdB. Hierbei ist ergänzend lediglich auszuführen:

a) Bei dem Kläger führend ist die arterielle Verschlusskrankheit. Prof. Dr. K. hatte in dem Bericht vom 10.12.2009 insoweit Stadium IIb attestiert und (auf Seite 2) auf eine Lauf¬band-ergometrie hingewiesen, die eine Restgehfähigkeit von 1000 m (sogar bei einer Steigung) ergeben hatte und bei der lediglich Schmerzen in einem Bein aufgetreten waren. Damit ist diese Behinderung nach Nr. B 9.2.1 VersMG sogar nur mit einem GdB von 20 zu bewerten (Stadium II, Gehschmerzen ein- oder beidseitig, Wegestrecke mehr als 500 m). Der bislang anerkannte GdB von 30 stammt aus der zweiten Kategorie (GdB von 30 bis 40), die nur bei einem Restgehvermögen von 100 bis 500 m (zu ebener Erde) anzunehmen ist.

b) Auch die koronare Herzkrankheit mitsamt den Folgen der Bypass-OP und dem Bluthochdruck hat der Beklagte zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet.

Die Herzkrankheit allein bedingt keinen GdB mehr: Nach Nr. B 9.1.2 VersMG ist der GdB nach einem operativen Eingriff von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, wie sie in Nr. B 9.1.1 VersMG beschrieben ist. Das Risiko einer erneuten Erkrankung selbst, auf das auch Dr. I. in seiner Zeugenaussage maßgeblich hingewiesen hatte, ist dagegen nicht zu berücksichtigen. Nach Nr. B 9.1.1 VersMG wäre daher für einen GdB von wenigstens 20 eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung bzw. bei Beschwerden und pathologischen Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 75 W für wenigstens zwei Minuten anzunehmen. Aus dem von Dr. I. eingereichten Arztbrief des Kardiologen Dr. R. vom 25.01.2010 ergibt sich jedoch eine "gute kardiopulmonale Belastbarkeit", konkret konnte der Kläger an jenem Tag ein Belastungs-EKG für 10 min 31 sek absolvieren und hierbei mit bis zu 200 W belastet werden, wobei die Herzfrequenz nur auf 144 Schläge/min und der Blutdruck - nur - auf 200/90 mmHg gestiegen ist.

Es bleibt daher als Folge der Herzerkrankung der Bluthochdruck. Dieser ist nach Aktenlage - so z.B. nach dem genannten Arztbrief vom 25.01.2010 - auf diastolischer Seite bislang nicht über 90 mgHg gestiegen, während ein relevanter GdB von 20 nach Nr. B 9.3 VersMG erst bei mehrfacher Überschreitung von 100 mgHg anerkannt werden könnte.

c) Die Schuppenflechte ist nach Aktenlage symptomfrei seit 2008 und daher keine Behinderung (mehr). Legt man hier die Werte aus Nr. B 17.7 VersMG für eine Psoriasis vulgaris zu Grunde, ergäbe sich ein (für die Gesamt-GdB-Bildung relevanter) Grad von 20 erst bei einem ausgedehnten Befall mit (höchstens) einigen Monaten ohne Erscheinungen.

d) Die Speiseröhrenerkrankung, die keine "anhaltenden" Beschwerde im Sinne von Nr. B 10.2 VersMG bedingt, hat das SG zutreffend bewertet, selbst ein Grad von 10 hätte keine Auswirkungen auf den Gesamt-GdB.

e) Eine Somatisierungsstörung, wie sie Dr. I. unter dem 25.08.2010 bekundet hat, ist bei dem Kläger nicht zu erkennen. Die üblichen seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen sind bei den einzelnen GdB mit berücksichtigt (Nr. A 2 lit. i VersMG). Eine weit darüber hinausgehende seelische Beeinträchtigung oder gar eine echte psychische Krankheit im Sinne einer neurotischen Erkrankung nach Nr. B 3.7 VersMG ist bei dem Kläger nicht ersichtlich, es liegen insoweit keine Behandlungsunterlagen vor, auch hat keiner der behandelnden Ärzte nebenbefundlich eine psychische Erkrankung festgestellt, auch nicht die Kliniken in F. und Heidelberg, obwohl sich der Kläger dort jeweils mehrere Tage aufgehalten hat. Der Kläger hat im Übrigen auch weder in erster noch in zweiter Instanz vorgetragen, er sei psychisch erkrankt, er hat lediglich Beeinträchtigungen wegen der "Herz- und Fußprobleme" genannt.

f) Zu seinen orthopädischen Beeinträchtigungen letztlich hat der Kläger bislang nichts Konkretes vorgetragen. Erst der zuletzt vorgelegte Arztbrief von Dr. F. enthält hierzu Angaben. Diese ergeben aber nicht, dass bei dem Kläger mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt wie eine Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten mittleren Grades oder häufig rezidivierende und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome vorliegen, wie sie aber für einen GdB von 20 notwendig wären (Nr. B 18.9 VersMG). Vielmehr gibt Dr. F. an, bei dem Kläger beständen keine (nachweisliche) Neurokompression und lediglich Randkantenbildungen an einigen Segmenten der Brustwirbelsäule (BWK 7/8, 8/9, 11/12), eine leichte Osteochondrose am BWK 10/11, ein kleiner subligamentärer Nucleus-pulposus-Prolaps ohne kompressiven Effekt am BWK 3/4 sowie Bandscheibendegenerationen mit minimaler Protusion, aber ohne kompressive Effekte auf die Nervenwurzeln oder Nervenbahnen bei zwei weiteren Segmenten an Lenden- und Sakralwirbelsäule, nämlich bei den Wirbelkörpern LWK 4/5 und LWK5/SWK1.

2. Der Hilfsantrag des Klägers, den Beklagten dazu zu verpflichten, ihn - den Kläger - einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, ist unzulässig.

a) Dies folgt zunächst daraus, dass der Kläger insoweit nicht durch das angegriffene Urteil beschwert ist. Das SG hat nicht über diesen Hilfsantrag entschieden. Zwar hatte der Kläger zunächst schriftsätzlich auch eine Gleichstellung begehrt. Er hat jedoch in der mündlichen Verhandlung am 30.03.2011 nur noch seinen Hauptantrag gestellt und den Hilfsantrag damit zurückgenommen. Entsprechend hat das SG auch nur über den Hauptantrag entschieden.

b) Zum anderen ist der erneut gestellte Hilfsantrag nach § 99 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG unzulässig. Wenn der Kläger diesen Antrag erneut stellt, nachdem er ihn in erster Instanz zurückgenommen hat, handelt es sich um echte Klageerweiterung. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG greift nicht ein. Der Kläger hat mit seinem Hilfsantrag nicht etwa nur seinen "Klageantrag" erweitert, sondern einen völlig anderen Streitgegenstand (Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen) zur Überprüfung gestellt. Diese Klageänderung ist nicht zulässig. Der Beklagte hat sich nicht rügelos auf diesen erneut gestellten Antrag eingelassen, er hat vielmehr in der Berufungsinstanz überhaupt keine Anträge gestellt. Der Senat hält die Erweiterung um den Hilfsantrag auch nicht für sachdienlich. Der Hilfsantrag wäre zum einen unzulässig, weil kein Antrags- und Vorverfahren wegen einer Gleichstellung durchgeführt worden ist. Zum anderen wäre er, worauf der Senat bereits hingewiesen hat, unbegründet, da dem Beklagten die notwendige Passivlegitimation für eine Gleichstellung fehlt, nachdem dafür die Bundesagentur für Arbeit zuständig wäre (§§ 68 Abs. 2 Satz 1, 104 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX).

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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