L 13 AS 1671/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 5099/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1671/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung fordert einen kausalen Zusammenhang zwischen dem die Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigenden wesentlichen Verfahrensmangel und der Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme.

2) Die erforderliche Beweisaufnahme muss entgegen dem Wortlaut der Norm nicht auf dem Verfahrensmangel selbst beruhen, sondern wegen des Verfahrensmangels unterblieben sein; zu prüfen ist, ob eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme ohne den Verfahrensfehler in erster Instanz durchzuführen gewesen wäre (so auch Musielak, Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, § 538 ZPO Rdnr. 15).
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. März 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Streitig ist die von der Beklagten verfügte Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Klägerin Ziff 1 ab 1. August 2008, die Aufhebung der Bewilligung von Alg II für den Zeitraum Februar bis Juli 2008 und die Erstattung gezahlter Leistungen für die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 in Höhe von jeweils 2.629,85 EUR sowie die Aufhebung und Erstattung gezahlten Einstiegsgeldes von Februar bis September 2008 für die Klägerin Ziff. 1. in Höhe von 1.249,20 EUR.

Die Kläger lebten nach ihren Angaben ab 1. Januar 2008 in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (siehe Bl. 131, 132 der Verwaltungsakte der Beklagten). Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 23. Januar 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2008 in Höhe von 624,00 EUR monatlich.

Am 17. März 2008 meldete die Klägerin Ziff. 1 bei der Stadt Ö. die Aufnahme eines Gewerbes (Tailändische Wellness-Massage) zum 1. April 2008 in ihrer Wohnung in der H.-Straße an. Diesbezüglich stellte die Klägerin bei der Beklagten am 3. April 2008 einen Antrag auf Einstiegsgeld, das ihr mit Bescheid vom 15. April 2008 für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2008 in Höhe von monatlich 208,20 EUR bewilligt wurde. Mit zweien an die beiden Kläger adressierten Änderungsbescheiden vom 16. April 2008 wurde den Klägern vom 1. April 2008 bis 31. Juli 2008 monatlich 624,00 EUR bewilligt. Die Bescheide enthielten einen Hinweis auf die am 1. April 2008 aufgenommene selbstständige Tätigkeit der Klägerin Ziff. 1. Am 15. Mai 2008 zeigte die Klägerin Ziff. 1 bei der Stadt Ö. die Verlegung ihres Gewerbes in die K.-Sch.-Straße zum 15. Mai 2008 an.

Mit zwei Änderungsbescheiden vom 26. Mai 2008 - adressiert wiederum an die Klägerin Ziff. 1 und den Kläger Ziff. 2 - bewilligte die Beklagte den Klägern 532,00 EUR für den Monat Juli 2008 aufgrund des Einkommens aus der Selbstständigkeit der Klägerin Ziff. 1.

Auf den Antrag vom 2. Juli 2008 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juli 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 in Höhe von 632,00 EUR monatlich. Im Hinblick auf das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erfolgte die Bewilligung vorläufig.

Am 10. Juli 2008 sprach ein Herr A. G. (im Folgenden Z) bei der Beklagten vor und teilte mit, er habe die Klägerin Ziff. 1 im November 2007 in einem Bordell in B. kennen gelernt, sie aus der Prostitution herausgeholt und mit ihr zum 1. April 2008 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und einen Massagesalon in B., F.-Straße , gegründet. Die Klägerin Ziff. 1 habe auch bei ihm gewohnt. Er habe der Klägerin Ziff. 1 von November 2007 ab ca. 32.000,00 EUR in kleineren Beträgen ausgehändigt. Die Klägerin Ziff. 1 baue in Thailand ein Haus. Er sei zusammen mit der Klägerin Ziff. 1 vom 30. April bis 12. Mai 2008 in Thailand gewesen und habe sie dort - in Deutschland nicht anerkannt - geheiratet. Z händigte verschiedene Unterlagen, u.a. eine Meldebestätigung der Stadt B. über die Anmeldung der Klägerin Ziff. 1 seit dem 1. April 2008 in die H.-Straße mit Hauptwohnung, eine Gewerbeanmeldung der Klägerin Ziff. 1 und des Z in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts namens "S. d. - traditionelle Thaimassage und Wellness", und den Gesellschaftsvertrag vom 28. März 2008, der Beklagten aus. Der Kläger Ziff. 2 fungiere als eine Art Zuhälter, die Klägerin Ziff. 1 gehe weiter der Prostitution nach. Mit Änderungsbescheid vom 14. Juli 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Ziff. 2 vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 351,00 EUR monatlich. Mit Bescheid vom 14. Juli 2008 hob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Klägerin Ziff. 1 ab 1. August 2008 ganz auf, da die Klägerin umgezogen sei und mit Z in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft stehe. Auch sei ein anderer Träger nunmehr zuständig. Am 14. August 2008 erhob die Klägerin Ziff. 1 hiergegen Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ab Januar 2008 habe Z mehrfach und in wechselnder Höhe Geld überwiesen, weshalb die Klägerin Ziff. 1 nicht hilfebedürftig gewesen sei. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 hob die Beklagte die Entscheidung vom 23. Januar 2008 ganz auf und forderte die Erstattung von 2.629,85 EUR. Mit einem weiteren Bescheid vom 30. Oktober 2008 hob die Beklagte auch die Entscheidung vom 23. Januar 2008 hinsichtlich des Klägers Ziff. 2 ganz auf und forderte ebenfalls die Erstattung von 2.629,85 EUR. Am 6. November 2008 legten die Kläger jeweils gegen die Bescheide vom 30. Oktober 2008 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2008 wurde der Widerspruch der Klägerin Ziff 1, mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2009 der Widerspruch des Klägers Ziff. 2 zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 6. November 2008 hob die Beklagte die Entscheidung vom 15. April 2008 über die Bewilligung von Einstiegsgeld ganz auf und forderte die Erstattung von 1.249,20 EUR. Am 24. November 2008 erhob die Klägerin Ziff. 1 hiergegen Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2008 zurückgewiesen wurde.

Auf den Antrag vom 12. Januar 2009 bewilligte die Beklagte - nach Aufhebung ihres den Antrag ablehnenden Bescheides vom 25. Februar 2009 durch Bescheid vom 3. April 2009 - den Klägern Leistungen in Höhe von 265,01 EUR bzw. 473,34 EUR monatlich (weiterer Bescheid vom 3. April 2009).

Am 21. November 2008 hat die Klägerin Ziff. 1 Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 14. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, die das Aktenzeichen S 5 AS 5099/08 bekommen hat. Am 29. Dezember 2008 hat die Klägerin Ziff. 1 Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2008 erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 5 AS 5740/08 geführt worden ist. Am selben Tag hat die Klägerin Ziff. 1 auch Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2008 erhoben, die das Aktenzeichen S 5 AS 5741/08 bekommen hat. Am 30. April 2009 hat der Kläger Ziff. 2 Klage zum SG gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2009 erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 8 AS 1932/09 geführt worden ist. Die Kläger haben im Wesentlichen vorgetragen, dass die Behauptungen des Z falsch, die vorgelegten Unterlagen nicht von der Klägerin Ziff. 1 veranlasst worden bzw. gefälscht seien. Das SG hat im Verfahren S 5 AS 5099/08 die Akten der Staatsanwaltschaft K. hinsichtlich dreier Ermittlungsverfahren (Bedrohung, ["Heirats"-] Betrug und Sozialleistungsbetrug) beigezogen, Auszüge zur Akte genommen und im März 2009 zurückgesandt. Mit Beschluss vom 30. September 2010 hat der Vorsitzende der 5. Kammer des SG ohne vorherige Anhörung der Beteiligten die genannten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 5 AS 5199/08 fortgeführt. Aus Bl. 129 Rückseite ist ableitbar, dass eine irgendwie geartete Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheides verfügt worden ist. Mit Gerichtsbescheid vom 28. März 2011 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 aufgehoben, den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2009 aufgehoben, soweit die Beklagte darin die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. April bis 31. Juli 2008 aufgehoben und für diesen Zeitraum Erstattung gefordert hat, die Klagen diesbezüglich im Übrigen abgewiesen und den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2008 aufgehoben. Im Februar und März 2008 habe die Klägerin Ziff. 1 von Z Gelder erhalten, die als laufende Einnahmen zu werten und deshalb nur diesen Monaten zuzuordnen seien. Soweit die Beklagte Leistungen vom 1. April bis 31. Juli 2008 aufgehoben und für diesen Zeitraum Erstattung von Leistungen gefordert hat, habe sie den falschen Bescheid aufgehoben, sodass auch eine Rückforderung ausscheide. Bezüglich der Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 14. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Umzug der Klägerin nach B ... Die Voraussetzungen für die Rückforderung des Einstiegsgeldes lägen nicht vor. Der Bewilligungsbescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin Ziff. 1 im März 2008 wegen des Einkommens in Höhe von 1590 EUR nicht hilfebedürftig gewesen sei. Die Klägerin habe aber weder unrichtige Angaben im Sinne von § 45 Abs. 3 Nr. 2 SGB X gemacht, noch infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes verkannt (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Hinsichtlich der Klage des Klägers Ziff. 2 würden die Ausführungen zur Klage der Klägerin Ziff. 1 entsprechend gelten.

Gegen den der Beklagten am 29. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 26. April 2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, entgegen der Auffassung des SG habe der Änderungsbescheid vom 16. April 2008 keine Regelung enthalten und den Bescheid vom 23. Januar 2008 schon gar nicht (ganz) ersetzt. Mit Bescheid vom 26. Mai 2008 sei der Bewilligungsbescheid vom 23. Januar 2008 nur teilweise für Juli 2008 wegen einer Einkommensanrechnung abgeändert worden, aber der Bescheid vom 23. Januar 2008 nicht ersetzt worden. Hinsichtlich des Umzuges der Klägerin Ziff. 1 nach B. sei weiter fraglich, wie es zu der Meldebestätigung Bl. 211 der Verwaltungsakten gekommen sei, zumal das Amtsgericht B. im Verfahren wegen Ehescheidung, Az , die Adresse in B. verwendet habe. Fraglich sei auch, ob einige Zuwendungen nicht doch als Einmalzahlungen zu betrachten seien. Aufgrund welcher Informationen das SG zu der Erkenntnis gelangt sei, die Klägerin Ziff. 1 habe von August 2008 bis Januar 2009 offenbar kein zu berücksichtigendes Einkommen erzielt, sei nicht bekannt. Die betriebswirtschaftliche Auswertung (Bl. 466 der Verwaltungsakten) bescheinige erhebliche Beträge, welche die Hilfebedürftigkeit entfallen ließen. Zudem lasse das SG völlig außer Betracht, dass die Klägerin offenbar eine Immobilie in Thailand besitze und somit über Vermögen verfüge. Nach Aussage des Z müssten sich Unterlagen über das Anwesen und Renovierungsmaßnahmen in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft befinden. Gegenüber Z habe die Klägerin Ziff. 1 wohl stets behauptet, dass die Immobilie in ihrem Eigentum stehe. Die vom Klägerbevollmächtigten bezeichnete Eigentumsurkunde sei nicht zur Kenntnis gegeben worden. Hinsichtlich der Klage gegen den Bescheid vom 6. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2008 lasse sich aus dem beigefügten Gesetzestext sehr wohl entnehmen, dass Hilfebedürftigkeit Anspruchsvoraussetzung sei. Es hätte der Klägerin auch klar sein müssen, dass sie auch keine Leistungen zum Aufbau einer selbstständigen Tätigkeit erhalten könne, während sie gleichzeitig den Aufbau einer weiteren Selbstständigkeit betreibe und voll umfänglich aus anderen Quellen finanziere. Das müsse sich auch einem Angehörigen eines fremden Rechts- und Kulturkreises ohne Weiteres aufdrängen. Wie das SG zu der Erkenntnis komme, dass die Klägerin tatsächlich verkannt habe, dass ihr Einstiegsgeld nicht zustehe, lasse sich dem Akteninhalt nicht entnehmen. Die Klägerin Ziff. 1 habe durchaus grob fahrlässig gehandelt.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid abzuändern und die Klagen in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin sei nicht Eigentümerin eines Hauses in Thailand. Die Behauptungen des Z seien falsch. Die am 29. April 2011 erhobene Berufung der Kläger haben diese am 30. Mai 2011 zurückgenommen.

In der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Dezember 2011 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass auch eine Zurückverweisung des Verfahrens an das SG in Betracht komme. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung der Streitsache an das SG auch begründet.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 3057) kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid) auf ihm beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 159 SGG Rdnr. 3a).

Das gerichtliche Verfahren des SG leidet an mehreren wesentlichen Mängeln.

Dem SG hätte sich nach dem Amtsermittlungsprinzip (§ 103 SGG) eindeutig -auch ohne förmlichen Beweisantrag eines Beteiligten- aufdrängen müssen, den "Belastungszeugen" Z zu vernehmen, was ein wesentlicher Verfahrensfehler ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 103 SGG Rdnr. 20 m.w.N.). Die erheblichen Vorwürfe des Z sind von den Klägern vehement und mit Fälschungsvorwurf bestritten worden, sodass es nicht im Ansatz nachvollziehbar ist, dass der Vorsitzende der 5. Kammer die Vernehmung des Z unterlassen hat. So hat der Vorsitzende der 8. Kammer die Vernehmung des Zeugen sogar in einem Eilverfahren (S 8 AS 1263/09 ER) angeordnet, was lediglich deshalb nicht zur Durchführung kam, weil sich das Eilverfahren im Beweisaufnahmetermin vorher erledigte. Die Vernehmung des Z drängte sich um so mehr auf, als das SG auch nicht das Verfahren gemäß § 114 Abs. 3 SGG ausgesetzt hat, um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zunächst abzuwarten, was die Beklagte angeregt hatte. Auf die Aussage des Z kam es auch nach der Auffassung des SG an. Denn das SG hat die - nur aktenkundigen - Angaben des Z und die Unterlagen für die Monate Februar und März 2008 dahingehend bewertet, dass Zahlungen des Z an die Klägerin Ziff. 1 vorgenommen worden sind; das SG hat auch die Zweckbestimmung dieser Zahlungen nur nach Aktenlage bewertet und aufgrund einer unklaren persönlichen Beziehung als laufend eingeschätzt. Hierzu hätte es offensichtlich und eindeutig ebenfalls einer Sachaufklärung durch Zeugenvernehmung bedurft. Schließlich hat es das SG auch unterlassen, den Zeugen zu dem fraglichen Umzug der Klägerin Ziff. 1 zu ihm und zu ihren Ortsabwesenheiten zu vernehmen. Das SG hat auch keinerlei Ermittlungen unternommen, um Näheres über die Eigentumsverhältnisse des von Z erwähnten Grundbesitzes der Klägerin Ziff. 1 in Thailand anzustellen. Letztlich hätte es sich dem Vorsitzenden der 5. Kammer auch aufdrängen müssen, die Klägerin Ziff. 1 mündlich zu hören, um die Frage des persönlichen Verschuldens der Klägerin Ziff. 1 im Hinblick auf § 45 SGB X und die damit in Beziehung gesetzten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin Ziff. 1 zu klären. Nachdem der Sachverhalt nicht aufgeklärt ist, kam auch eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 12 SGG) gemäß § 105 SGG nicht in Betracht. Damit ist die Entscheidung nicht durch den gesetzlichen Richter erfolgt. Hinzu kommt, dass die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist. Es handelt sich um vier verbundene Klageverfahren zweier Kläger, wobei jedes Klageverfahren für sich bereits besonders schwierige Fragen tatsächlicher (siehe oben) und rechtlicher Art aufweist. Nach Aufklärung des Sachverhalts über die Zahlungen des Z und deren jeweilige Zweckbestimmung ist nicht nur über die Abgrenzung zwischen laufenden und einmaligen Zuwendungen zu entscheiden, sondern ist auch darüber zu befinden, ob jede einzelne Zuwendung tatsächlich als Einkommen anzurechnen ist. Auch die vom SG aufgeführte Rechtsfrage, ob die Beklagte den falschen Bewilligungsbescheid (vom 23. Januar 2008) aufgehoben hat, ist wenn nicht falsch entschieden, so doch jedenfalls schwierig. Die Beklagte hat durch die Änderungsbescheide vom 16. April 2008 keinerlei Änderung im Verfügungssatz vorgenommen. Mit den Bescheiden vom 26. Mai 2008 hat sie die Leistungen lediglich für Juli 2008 geändert, sodass der Bescheid vom 23. Januar 2008 wie auch die "Änderungsbescheide" vom 16. April 2008 allenfalls teilweise geändert, keinesfalls ganz ersetzt worden ist. Besonders schwierig erscheint auch bereits die Berechnung des Einkommens der Klägerin Ziff. 1 aus ihrer/ihren selbstständigen Tätigkeiten. Entgegen der Vermutung des SG hat die Klägerin auch ab 1. August 2008 Betriebseinnahmen erzielt (vgl. Bl. 466 der Verwaltungsakte der Beklagten). Schließlich ist vom SG noch zu ermitteln, ob die Klägerin Ziff. 1 eine weitere selbständige Tätigkeit bezüglich der Sabai di GbR ausgeübt und auch aus ihr anzurechnendes Einkommen erzielt hat und ob sie weiterhin einer einkommenserzielenden Prostitution nachgegangen ist, was angesichts der korrigierten Aussage der Frau St. gegenüber der Staatsanwaltschaft (Blatt 79 der Gerichtsakten des SG) gut möglich erscheint. Auch der Vortrag der Kläger hierzu ist zu den Behauptungen des Z derart gegensätzlich, dass eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist. So ist nach erneuter Beiziehung aller Akten der Staatsanwaltschaft, der Akten des AG B., Az und der Akten des diesbezüglichen Berufungsverfahrens beim LG Karlsruhe, das das angebliche Gesellschaftsverhältnis S. d. GbR betrifft, über die Vernehmung auch der dort vernommenen Zeugen zu befinden, die nicht nur beruflich mit der Klägerin Ziff. 1 zu tun hatten, sondern auch von dieser behandelt worden sind, was die Kläger wiederum alles bestreiten. Darüber hinaus kommt eine Vernehmung des geschiedenen Ehemannes der Klägerin Ziff. 1 und die Beiziehung der Akten des AG B. wegen Ehescheidung (Az) in Betracht, da auch darin gut möglich zeitlich und materiell einschlägige Schilderungen enthalten sein können. Schwierig kann - nach Aufklärung aller Umstände des Einzelfalles - auch die Frage sein, ob die Klägerin Ziff. 1 ihren gewöhnlichen Aufenthalt für kurze Zeit in B. hatte, was auch rechtlich möglich ist, da die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts nur bei vorausschauender Prognose vorliegen, also zukunftsoffen sein muss (vgl. hierzu nur Lilge, Kommentar zum SGB I, § 30 SGG Rdnr. 57 ff. m.w.N.). Auch die Ausführungen des SG zu § 45 SGB X beinhalten schwierige Rechtsfragen. Das SG wird neben der Anhörung der Klägerin Ziff. 1 (s.o.) auch bezüglich des Verschuldens zu klären haben, ob der Klägerin Ziff. 1 in Thailand ein bebautes Grundstück gehört und ob sie einen weiteren, der Beklagten nicht angezeigten gleichartigen Betrieb aufgebaut hat bzw. der Prostitution nachging.

Schließlich hat das SG auch nicht - wie es § 105 SGG erfordert (siehe hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 105 SGG Rdnr.10 m.w.N.) - die Beteiligten ausreichend gehört. Die sogenannte Anhörungsmitteilung muss konkret und fallbezogen sein; ein formularmäßiger Hinweis reicht nicht. Wegen des Verbots von Überraschungsentscheidungen muss das Gericht naturgemäß auch auf Tatsachen und Rechtsfragen hinweisen, die bisher im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht erörtert worden sind. Ein fallbezogener Hinweis kann hier nicht erfolgt sein, da in der Gerichtsakte lediglich der Hinweis auf einen "Baustein" enthalten ist, der zudem inhaltlich nicht aktenkundig gemacht wurde. Die Beklagte wurde auch überrascht durch die Begründung des SG, sie habe mit ihren Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 30. Oktober 2008 den falschen Bewilligungsbescheid aufgehoben.

Die dargelegten Verfahrensfehler, auf denen die Entscheidung des SG beruhen kann, erfüllen den Tatbestand des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn auf Grund eines wesentlichen Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Das Verfahren beim SG leidet an mehreren wesentlichen Verfahrensmängeln (s.o.). Es sind auch umfangreiche und aufwendige Ermittlungen notwendig (s.o.). Diese müssen entgegen dem Wortlaut des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG aber nicht auf dem Verfahrensfehler des SG beruhen. Dem Gesetzgeber ist hierbei ein offensichtliches Redaktionsversehen unterlaufen. Denn es ist offensichtlich, dass ein Verfahrensfehler des SG selbst kausal eine solche umfangreiche und aufwendige Ermittlungspflicht des LSG überhaupt nicht auslösen kann, zumal auch die denkbaren notwendigen Ermittlungen zur Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, kaum gemeint sein können, da der Verfahrensmangel erst ermittelt werden muss, bevor der Frage einer Zurückverweisung nachgegangen werden kann. Möglich erscheint eine Auslegung, nach der der Gesetzgeber lediglich die bereits bestehende Rechtsprechung des BSG zur Ausübung des Ermessens (z.B. Beschluss vom 14. Februar 2006, B 9a SB 22/05 B, veröffentlicht in Juris) in Bezug auf die noch zu tätigenden Ermittlungen in den Tatbestand übernehmen wollte, so dass der Verfahrensfehler entgegen dem eindeutigen Wortlaut in keinerlei -kausalen- Beziehung zum Umfang der notwendigen Beweisaufnahme stehen muss. Dagegen spricht allerdings, dass die bereits vorher geltenden §§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Leitbild der Gesetzesänderung gewesen sein dürften. Nach dieser Auffassung müsste zum Einen ein wesentlicher Verfahrensfehler des SG vorliegen und zum Anderen müsste das LSG noch umfangreiche und aufwendige Ermittlungen ergreifen, deren Notwendigkeit sich allerdings auch erst im Berufungsverfahren ergeben könnte. Diese Auffassung scheint weit verbreitet, ohne allerdings auf ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen hinzuweisen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 70. Auflage, § 538 ZPO, Rdnr. 7-9; Zöller, Kommentar zur ZPO, 29. Auflage, § 538 ZPO Rdnr. 31; Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Auflage, § 538 ZPO Rdnr. 21 ff., 43, jeweils zu § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; KG, Urteile vom 11. Oktober 2010, 12 U 79/09, und 14. Februar 2011, jeweils in BauR 2011, 1061; BGH, NJW 2008, 1672; NJW 2011, 2578; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2011, 7 ff.; wohl auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, § 130 VwGO Rdnr. 6; unklar Eyermann, Kommentar zur VwGO, 12. Auflage, § 130 VwGO Rdnr. 8-11; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 17. Auflage, § 130 VwGO Rdnr. 10 ). Die Motive könnten diese Auffassung bestätigen, da darin (BT-Drucksache 17/6764, Seite 27 ff.) nur festgehalten ist, dass ein erheblicher Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln [beim LSG] vermieden werden soll, ohne dass weitere -kausale- Anforderungen an die Beweisaufnahme gestellt werden

Der Senat ist aber der Auffassung, dass der Wortlaut des Gesetzes, wonach auf Grund des Mangels eine -umfangreiche und aufwendige- Beweisaufnahme notwendig sein muss, nicht völlig außer Acht gelassen werden kann. Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des Senates missverständlich bzw. vereinfacht zum Ausdruck bringen wollen, dass nur diejenige Beweisaufnahme für eine Zurückverweisung berücksichtigt werden darf, die wegen des Verfahrensfehlers unterblieben ist. Zu prüfen ist danach, ob die Beweisaufnahme ohne den Verfahrensfehler in erster Instanz durchzuführen gewesen wäre (so Musielak, Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, § 538 ZPO Rdnr. 15). Im Falle der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) ist demnach darauf abzustellen, ob sich bereits dem SG umfangreiche und aufwendige Ermittlungen aufdrängten und von diesem pflichtwidrig (auf Grund/wegen eines Mangels) unterlassen worden sind. Ergibt sich der umfangreiche und aufwendige Ermittlungsbedarf teilweise erst im Berufungsverfahren oder auf Grund einer anderen Rechtsauffassung des LSG, liegt insoweit bereits ein "Mangel" nicht vor und darf deshalb bei der Prüfung der Zurückverweisung nicht berücksichtigt werden. Das LSG hat alle notwendigen Ermittlungen zu tätigen, auch wenn sie umfangreich und aufwendig sind, wenn nicht bereits die vom SG pflichtwidrigen unterlassenen Ermittlungen diesen Umfang erreichen. Diese Auslegung berücksichtigt den Gesetzeswortlaut und legt ihn in sinnvoller Weise aus. Diese teleologische Auslegung wird systematisch bestätigt dadurch, dass der Gesetzgeber mit dem selben Änderungsgesetz § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG aufgehoben hat. Denn damit hat der Gesetzgeber erreicht, dass für eine Zurückverweisung immer auf einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens abzustellen ist. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG konnte das LSG bis zum 31. Dezember 2011 die Sache auch zurückverweisen, wenn nach dem Erlass des Urteils relevante neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, was sowohl für vorhandene, aber dem SG unbekannt gebliebene, als auch für noch nicht einmal vorhandene Tatsachen/Beweismittel galt (BSG SozR Nr. 5 zu § 159 SGG; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 159 SGG Rdnr. 4 m.w.N.). Damit war eine Zurückverweisung möglich, ohne dass dem SG ein Fehler unterlaufen ist. Mit der Aufhebung des § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG hat der Gesetzgeber eine Zurückverweisung in einem Verfahren ausgeschlossen, in dem das SG keinen Fehler begangen hat. Durch die Änderung des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG hat der Gesetzgeber systematisch passend eine Zurückverweisung nur noch dann zulassen wollen, wenn die vom SG pflichtwidrig unterlassenen Ermittlungen umfangreich und aufwendig sind und damit ein gravierender Mangel vorliegt.

Das Erfordernis einer umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme hätte sich bereits dem SG aufdrängen müssen, so dass diese wegen des Verfahrensfehlers notwendig ist (s.o.); die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb eine Zurückverweisung in Betracht kommt.

Der Senat hat demnach in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob die angegriffene Entscheidung aufgehoben und die Sache an das SG zurückverwiesen werden soll. Auch wenn die Zurückverweisung nur ausnahmsweise stattfinden soll, macht der Senat hier von dem ihm in § 159 SGG eröffneten Ermessen im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das SG Gebrauch. Das SG hat ohne die offenkundig erforderlichen umfangreichen Ermittlungen tatsächlich und rechtlich schwierige Rechtsfragen mehrerer Klageverfahren und Kläger durch Gerichtsbescheid entschieden, den Beteiligten damit den gesetzlichen Richter entzogen und die Beteiligten mit seiner Rechtsauffassung jedenfalls teilweise überrascht (s.o.). Es handelt sich damit um besonders schwerwiegende Verfahrensfehler, sodass die infolge der Aufhebung und Zurückverweisung zwingend eintretende Verzögerung hinter dem Interesse an einer ordnungsgemäßen Erledigung des erstinstanzlichen Verfahrens zurückzutreten hat.

Die Kostenentscheidung bleibt der erneuten Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision gegen diese Entscheidung liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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