L 1 U 926/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 4161/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 926/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Überprüfung des ablehnenden Bescheids vom 13. März 1986 wegen der Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4101 und 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Mit Bescheid vom 13. März 1986 hatte die Süddeutsche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft, eine der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, die Gewährung einer Entschädigung abgelehnt, da eine BK nach Nr. 4101 und 4103 der Anlage 1 der BKV (Silikose bzw. Asbestose) nicht vorliege. Der Kläger war ab 1978 bei der H. Druckmaschinen AG zunächst als Werkstatthelfer, dann ein Jahr als Sandstrahler und ab Januar 1980 in der Lackiererei als Pulverlackierer tätig. Die pulmonalen Beschwerden seien auf eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung zurückzuführen, deren Ursache in einem chronischen Nikotinabusus zu sehen sei. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde von den Bevollmächtigten des Klägers zurückgenommen. Danach wandte sich der Kläger in unregelmäßigen Abständen an die Beklagte, sein Anliegen war jedoch nur teilweise aufklärbar. Im Wesentlichen machte er geltend, die Beklagte hätte sich mit seinem Arbeitgeber verbündet und falsch entschieden. Er leide unter einer Asbestose, die er sich bei der Tätigkeit für die H. Druckmaschinen AG ("Schnellpress") zugezogen habe.

Zuletzt wandte sich der Kläger mit Fax vom 23. Februar 2010 an die Beklagte. Er übersandte einen Arztbrief des Universitätsklinikums H., in dem als Diagnose u.a. eine Asbestose aufgeführt ist. Auf diesem Arztbrief merkte der Kläger an, dass er sich diese bei der "Schnellpress" zugezogen habe. Telefonisch machte er daraufhin geltend, er sei mit dem Bescheid aus dem Jahr 1986 nicht einverstanden.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 13. März 1986 ab. Der Kläger habe keine neuen Tatsachen vorgebracht, die die bisherigen Entscheidungen zweifelhaft erscheinen ließen.

Am 19. Juli 2011 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und machte geltend, den Bescheid vom 5. Mai 2011 nicht erhalten zu haben. Er habe bei der Arbeit Kontakt mit Asbest gehabt und sei deshalb seit 30 Jahren krank. Der Bescheid wurde dem Kläger daraufhin erneut übersandt. Diesen schickte er mit Fax vom 1. August 2011 an die Beklagte zurück, versehen mit zahlreichen Anmerkungen, die die Interpretation zulassen, dass er der Meinung ist, unschuldig erkrankt zu sein. Dieses Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2011 zurück. Weder aus dem Vortrag noch den sonstigen Umständen hätten sich neue Tatsachen ergeben, die für die Unrichtigkeit des Bescheides sprechen würden. Der Bescheid wurde am 20. Oktober 2011 formlos zur Post gegeben.

Am 4. November 2011 hat der Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemacht, dass die Entscheidung nicht richtig sei und er klage. Am 24. November 2011 hat der Kläger mit gleichem Schreiben beim Sozialgericht Mannheim (SG) – erneut - Klage erhoben und geltend gemacht, er sei seit 30 Jahren durch den Beruf krank, Firma und Berufsgenossenschaft müssten bezahlen. Es sei seit 1984 bekannt, dass er berufskrank sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2012 hat der Kläger des Weiteren geltend gemacht, es sei schon 1984 im Krankenhaus R. eine Asbestose festgestellt worden. Später habe es nur noch geheißen, es bestehe Verdacht auf Asbestose. Er beziehe sich aber auf die Feststellungen aus dem Jahr 1984. Er hat des Weiteren einige Schreiben, die bereits in der Verwaltungsakte aktenkundig sind, dem Gericht übergeben.

Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die Klage abgewiesen. Es könne offen bleiben, ob beim Kläger die Diagnose einer Asbestose oder Silikose gesichert werden könne, denn jedenfalls fehle es an der Verursachung durch die angeschuldigte Berufstätigkeit. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten habe im Vorfeld der Entscheidung vom 13. März 1986 festgestellt, dass der Kläger einer schädigenden Exposition nicht ausgesetzt gewesen sei. Der Kläger habe keine Tatsachen vorgetragen, die einen gegenteiligen Schluss zulassen würden.

Gegen das ihm mit Postzustellungsurkunde am 24. Februar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Februar 2012 Berufung eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Februar 2012 sowie den Bescheid vom 5. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. März 1986 zu verurteilen, seine Erkrankung als BK nach Nr. 4101 und 4103 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat rechtsfehlerfrei die auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide gerichtete Klage abgewiesen, da die Beklagte ohne Rechtsfehler die Überprüfung des Bescheids vom 13. März 1986 nach § 44 SGB X abgelehnt hat.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Es ist weder nach dem Vortrag des Klägers noch nach den vorgelegten Unterlagen ersichtlich, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 13. März 1986 das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist. Die Verursachung einer beim Kläger möglicherweise bestehenden Asbestose durch die Tätigkeit bei der H. Druckmaschinen AG ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Eine Silikose ist nicht nachgewiesen.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [(SGB VII)]. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

In Anlage 1 zur BKV sind als Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankungen (Silikose) und als Nr. 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura als Erkrankungen aufgeführt.

Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 2. April 2009 (B 2 U 9/08 R = SGb 2009, 355) ausgeführt hat, lassen sich aus der gesetzlichen Formulierung bei einer BK, die in der BKV aufgeführt ist (sog. Listen-BK) im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7, jeweils RdNr. 15; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 13 ff).

Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs durch den 2. Senat des BSG (vgl. BSG vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16; BSG vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 1) hat das BSG in der genannten Entscheidung betont, dass im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl. nur BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann ggf. zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte zutreffend die Voraussetzungen für eine Überprüfung des Bescheids vom 13. März 1986 nach § 44 SGB X abgelehnt. Der Senat verweist nach eigener Prüfung auf diese Ausführungen und macht sich diese zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend ist deshalb zu dem im Berufungsverfahren sinngemäß Vorgebrachten auszuführen: Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, kann bereits offen bleiben, ob überhaupt eine Asbestose beim Kläger vorliegt, da ein hinreichender Zusammenhang zwischen seiner Tätigkeit bei der H. Druckmaschinen AG und dieser Erkrankung nicht besteht. Das Bestehen einer Asbestose hat der Kläger auch nicht durch die im Jahr 2003 vorgelegten Arztbriefe der orthopädischen Universitätsklinik H. (vom 20. Juli 2001) und des neurologischen Zentrums Wiesloch vom 9. Januar 2001 nachgewiesen bzw. Tatsachen vorgebracht, die Ermittlungen diesbezüglich angezeigt erscheinen lassen. Im Arztbrief der orthopädischen Universitätsklinik ist eine "Asbestose" zwar unter den Diagnosen aufgeführt. Es wird aus den vorgelegten Unterlagen jedoch nicht hinreichend klar, woher diese "Diagnose" stammt, da von dieser Klinik dahingehend keine Untersuchungen durchgeführt worden sind. Soweit im neurologischen Zentrum Wiesloch nach einem CT des Thorax u.a. pleurale Schwielen beschrieben worden sind, ist ebenfalls nicht belegt, dass diese auf einer Asbestexposition beruhen. Vielmehr ist die Frage einer Asbestexposition dort auch nur mit "?" gekennzeichnet. Aber auch die Klinik für Thoraxerkrankungen R. hat, anders als vom Kläger dargestellt, in ihrem Bericht vom 16. Februar 1984 lediglich den Verdacht auf asbestinduzierte Pleuraplaques geäußert, der dann zur BK-Anzeige geführt hatte. Auch wenn im nachfolgenden Verlauf ohne konkrete Untersuchungen am Arbeitsplatz, lediglich beruhend auf schriftlichen Angaben des Beschäftigungsbetriebs, eine Asbestexposition des Klägers verneint worden ist, bestand und besteht aufgrund des Umstands, dass Prof. Dr. Schulz im damaligen Feststellungsverfahren das Bestehen einer asbestinduzierten Erkrankung nicht bejaht hat, kein Anlass zu weiteren Ermittlungen. Entsprechendes gilt für eine geltend gemachte BK nach Nr. 4103 (Silikose), wobei hierfür schon kein medizinischer Befund, nicht einmal eine Verdachtsdiagnose, bestand. Unterlagen, die nicht nur das sichere Bestehen einer Asbestose, sondern auch einer Asbestbelastung am Arbeitsplatz belegen und damit neue Ermittlungen veranlassen könnten, hat der Kläger nicht vorgelegt, so dass die Beklagte zu Recht die Aufhebung des Bescheids vom 13. März 1986 abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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