Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 4781/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4726/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.10.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anstatt des bisher festgestellten GdB von 30.
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin ist i. Staatsangehörige und in M. wohnhaft. Sie beantragte am 28.1.2009 die Feststellung ihrer Behinderung beim Landratsamt des E ... Dazu teilte sie mit, dass sie an einer Einäugigkeit leide. Sie legte einen Entlassungsbericht des Klinikums P. vom 7.1.2009 vor, nach dem sie eine vollständige Netzhautablösung am rechten Auge erlitten hatte, die operativ nicht habe beseitigt werden können. Weiterhin litt sie an diesem Auge an den Folgen des grauen Stars (Katarakt). Ihr wurde eine Kunstlinse eingesetzt, die allerdings nicht zu einer Verbesserung der Sehfähigkeit geführt hat.
Nach Anhörung des medizinischen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9.2.2009 einen GdB von 30 wegen einer Sehminderung rechts mit eingepflanzter Kunstlinse fest. Dagegen erhob die Klägerin am 18.2.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung sie einen weiteren Entlassungsbericht des Klinikums P. vom November 2008 vorlegte, demzufolge sie rechts fast nichts, links aber vollständig sehen konnte. Dazu führte sie aus, dass sie auf dem rechten Auge praktisch blind sei. Außerdem komme es zu einer zunehmenden Blendempfindlichkeit. Am linken Auge bestehe eine Kurzsichtigkeit bei ca. -6 Dioptrien. Sie habe deshalb auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr und müsse wenigstens schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 29.10.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Das Sozialgericht holte eine schriftliche Zeugenaussage des Augenarztes Dr. T. vom 28.12.2010 ein. Er gab an, die Klägerin sei wegen einer starken Linsentrübung (mature Katarakt) bei ihm in Behandlung gewesen. Bei der anschließenden Operation im Klinikum P. sei außerdem der Verdacht auf eine alte Netzhautablösung aufgekommen. Er legte einen Arztbrief der augenärztlichen Ambulanz der Uniklinik H. , Prof. Dr. Di. vom 02.04.2009 vor, der diese Befunde im Wesentlichen bestätigte.
Das Sozialgericht befragte auch Dr. G. vom Klinikum P. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Er teilte in seiner Aussage vom 21.02.2011 mit, dass auf dem linken Auge eine Sehschärfe von 100% bestehe. Auf dem rechten Auge könne die Klägerin lediglich Lichtschein wahrnehmen. Der GdB 30 sei korrekt.
Das Sozialgericht holte schließlich auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Augenarztes Prof. Dr. A. , Augenklinik K. , vom 29.6.2011 ein. Er bestätigte, dass am rechten Auge auch mit Gläsern nur Lichtschein wahrgenommen werden könne. Das linke Auge habe ohne Korrektur eine Sehkraft von 0,05, mit der getragenen Brille von 0,8, bei optimaler Versorgung mit einer Brille von 1,0. Es bestehe eine Stabsichtigkeit. Die Klägerin könne in der Dämmerung nur herabgesetzt sehen, es bestehe eine stark erhöhte Blendempfindlichkeit. Prof. Dr. A. schätzte den GdB auf augenärztlichem Gebiet mit 30 ein.
In der auf Antrag der Klägerin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 21.08.2011 blieb Prof. Dr. A. bei seiner Einschätzung.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass auf augenärztlichem Fachgebiet eine praktische Blindheit des rechten Auges bestehe. Links sei die Klägerin kurzsichtig, die bestkorrigierte Fernschärfe betrage 0,8. Diesen Beeinträchtigungen sei mit einem GdB von 30 ausreichend Rechnung getragen.
Dagegen richtet sich die am 31.10.2011 eingelegte Berufung, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren wiederholt hat. Sie hat ergänzend ausgeführt, der Sachverständige Prof. A. habe den GdB von 30 allein auf das rechte Auge bezogen. Das linke Auge weise aber ebenfalls Beeinträchtigungen in Form von Stabsichtigkeit, Linsentrübung, stark herabgesetzten Dämmerungssehens und gesteigerter Blendungsempfindlichkeit auf, die ebenfalls zu berücksichtigen seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, Prof. Dr. A. habe in dem Rechtsstreit um ärztliche Haftung wegen eines Behandlungsfehlers als Sachverständiger vor dem Landgericht unter anderem auch ausgeführt, dass bei einseitiger Blindheit bei den Betroffenen immer die Angst bestehe, völlig blind zu werden durch Verlust der Sehkraft des bislang noch gesunden Auges. Dies habe Krankheitswert. Davon sei auch bei ihr - der Klägerin - auszugehen. In nervenärztlicher Behandlung befinde sie sich deswegen nicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.10.2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 9.2.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.10.2009 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ab 27.1.2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen, hilfsweise ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen, höchsthilfsweise nach § 109 SGG einzuholen zu der Frage, dass auf Grund der Sehstörung auch eine psychische Beeinträchtigung bei der Klägerin mit Krankheitswert vorliegt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen, sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid angeschlossen und darauf hingewiesen, dass es für die GdB-Beurteilung auf den korrigierten Fernvisus ankomme, der nach dem Gutachten von Prof. A. auf dem linken Auge bei optimaler Korrektur partiell sogar 1,0, mit der aktuell getragenen Korrektur 0,8 betrage.
Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts aus den in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und ihren Augenärzten geführten Akten des Landgerichts Karlsruhe (3 O 295/09) ein weiteres Gutachten von Prof. A. vom 31.1.2010 sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.04.2010 zu den Akten genommen. Danach hat die Klägerin im Jahr 2010 mit der von ihr getragenen Brille links einen Visus von 1,0 gehabt. Das Landgericht Karlsruhe hat Prof. Dr. A. am 30.04.2010 ergänzend mündlich angehört. Er hat ausgeführt, dass die Klägerin Gefahr laufe, ihr Auge vollständig zu verlieren. Im Übrigen hat er sich im Wesentlichen zu Fragen der richtigen Diagnostik und therapeutischen Reaktion der behandelnden Augenärzte geäußert.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Prozessakte, die Prozessakte des Sozialgerichts Karlsruhe sowie einen Band Schwerbehinderten-Akten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein höherer GdB als 30 zusteht. Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG (i. d. F. des Gesetzes vom 20.06.2010) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Teil B 4.3 Anlage 2 (VG) zu § 2 VersMedV sieht für den Verlust der Sehkraft eines Auges bei gleichzeitiger hundertprozentiger Sehkraft des anderen Auges einen GdB von 25, bei Sehkraft des anderen Auges bis zu 0,8 einen solchen von 30 vor. Nach der Einführung zu Nr. 4 VG ist insofern die korrigierte Sehschärfe maßgeblich. Für Einschränkung des Dämmerungssehens ist nach Nr. 4.6 VG ein GdB von 0-10 vorgesehen. Für Stabsichtigkeit ist ein GdB nicht vorgesehen, denn diese Einschränkung ist mit entsprechenden Augengläsern gut zu korrigieren. Das gleiche gilt für eine erhöhte Blendempfindlichkeit.
Bei der Klägerin liegt ein funktioneller Sehverlust auf dem rechten Auge vor. Sie kann auf diesem Auge nur noch Lichtschein erkennen. Zum Verlust des Auges ist es bisher nicht gekommen, der mögliche Verlust in der Zukunft führt als solcher nicht zu einer Behinderung in der Gegenwart. Am linken Auge ist das Dämmerungssehen der Klägerin eingeschränkt. Sie leidet an einer Stabsichtigkeit, die nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen mittels der getragenen Brille gut ausgeglichen werden kann. Sie ist weiterhin auf dem linken Auge kurzsichtig, so dass sie ohne Brille nur noch 0,05 sehen kann. Mithilfe ihrer Brille ist sie jedenfalls in der Lage 0,8 zu sehen, es besteht sogar die Möglichkeit mit einer anderen Brille noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Zu dieser Überzeugung kommt der Senat nach Auswertung aller vorliegenden ärztlichen Unterlagen, einschließlich der verschiedenen Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen von Prof. A ... Diese Befunde werden von der Klägerin auch nicht bestritten.
Diese Einschränkungen bedingen keinen höheren GdB als 30. Die Einschränkungen der Sehkraft der Klägerin auf beiden Augen führen zu einem GdB von 30, die Stabsichtigkeit wirkt sich aufgrund der gelungenen Korrektur nicht erhöhend aus. Auch die Einschränkung des Dämmerungssehens und die erhöhte Blendempfindlichkeit führen nicht zu einer Erhöhung des GdB, denn für diesen Befund kann auch nach der VG kein GdB vergeben werden. Diese Befunde beeinträchtigen die Klägerin nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht besonders.
Soweit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals vorgetragen worden ist, es bestehe auch eine psychische Belastung, weil in den Fällen der einseitigen Erblindung immer die Furcht gegeben sei, auch am anderen Auge zu erblinden, hat der Senat keinen Anlass gesehen, deshalb wie beantragt ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen oder nach § 109 SGG einzuholen. Die unter Beweis gestellte Tatsache einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert kann als wahr unterstellt werden. Daraus ergibt sich jedoch keine Funktionsbeeinträchtigung, die eine Erhöhung des Teil-GdB 30 für die Sehstörung rechtfertigt. Die von der Klägerin nur referierte gutachterliche Einschätzung von Professor Dr. A. , dass mit der einseitigen Erblindung allgemein Ängste von Krankheitswert verbunden sind, ist in der pauschalisierenden GdB-Bewertung dieses Krankheitsbildes nach den VG erfasst, da der augenärztliche Sachverständige Professor Dr. A. nach dem Klagevortrag und für den Senat aber auch durchaus nachvollziehbar von einer normalen Erscheinung bei dem Krankheitsbild der Einäugigkeit spricht. Dass die psychische Betroffenheit der Klägerin über das zu erwartende normale Maß hinausgeht, was eine Erhöhung des Teil-GdB 30 rechtfertigen könnte, ist nicht einmal ansatzweise vorgetragen. Eine ärztliche Behandlung wird wegen dieser psychischen Belastung nicht durchgeführt. Eine besondere, über die genannten Befürchtungen hinausgehende Beschwerdesymptomatik ist weder vorgetragen worden noch in den aktenkundigen Arztbefunden dokumentiert. Eine funktionelle Beeinträchtigung, die einen GdB von mehr als 10 rechtfertigen könnte, ist auch auf gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass allein die Diagnose einer Erkrankung das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung nicht wiedergibt, nicht spezifiziert worden.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anstatt des bisher festgestellten GdB von 30.
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin ist i. Staatsangehörige und in M. wohnhaft. Sie beantragte am 28.1.2009 die Feststellung ihrer Behinderung beim Landratsamt des E ... Dazu teilte sie mit, dass sie an einer Einäugigkeit leide. Sie legte einen Entlassungsbericht des Klinikums P. vom 7.1.2009 vor, nach dem sie eine vollständige Netzhautablösung am rechten Auge erlitten hatte, die operativ nicht habe beseitigt werden können. Weiterhin litt sie an diesem Auge an den Folgen des grauen Stars (Katarakt). Ihr wurde eine Kunstlinse eingesetzt, die allerdings nicht zu einer Verbesserung der Sehfähigkeit geführt hat.
Nach Anhörung des medizinischen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9.2.2009 einen GdB von 30 wegen einer Sehminderung rechts mit eingepflanzter Kunstlinse fest. Dagegen erhob die Klägerin am 18.2.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung sie einen weiteren Entlassungsbericht des Klinikums P. vom November 2008 vorlegte, demzufolge sie rechts fast nichts, links aber vollständig sehen konnte. Dazu führte sie aus, dass sie auf dem rechten Auge praktisch blind sei. Außerdem komme es zu einer zunehmenden Blendempfindlichkeit. Am linken Auge bestehe eine Kurzsichtigkeit bei ca. -6 Dioptrien. Sie habe deshalb auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr und müsse wenigstens schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 29.10.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Das Sozialgericht holte eine schriftliche Zeugenaussage des Augenarztes Dr. T. vom 28.12.2010 ein. Er gab an, die Klägerin sei wegen einer starken Linsentrübung (mature Katarakt) bei ihm in Behandlung gewesen. Bei der anschließenden Operation im Klinikum P. sei außerdem der Verdacht auf eine alte Netzhautablösung aufgekommen. Er legte einen Arztbrief der augenärztlichen Ambulanz der Uniklinik H. , Prof. Dr. Di. vom 02.04.2009 vor, der diese Befunde im Wesentlichen bestätigte.
Das Sozialgericht befragte auch Dr. G. vom Klinikum P. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Er teilte in seiner Aussage vom 21.02.2011 mit, dass auf dem linken Auge eine Sehschärfe von 100% bestehe. Auf dem rechten Auge könne die Klägerin lediglich Lichtschein wahrnehmen. Der GdB 30 sei korrekt.
Das Sozialgericht holte schließlich auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Augenarztes Prof. Dr. A. , Augenklinik K. , vom 29.6.2011 ein. Er bestätigte, dass am rechten Auge auch mit Gläsern nur Lichtschein wahrgenommen werden könne. Das linke Auge habe ohne Korrektur eine Sehkraft von 0,05, mit der getragenen Brille von 0,8, bei optimaler Versorgung mit einer Brille von 1,0. Es bestehe eine Stabsichtigkeit. Die Klägerin könne in der Dämmerung nur herabgesetzt sehen, es bestehe eine stark erhöhte Blendempfindlichkeit. Prof. Dr. A. schätzte den GdB auf augenärztlichem Gebiet mit 30 ein.
In der auf Antrag der Klägerin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 21.08.2011 blieb Prof. Dr. A. bei seiner Einschätzung.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass auf augenärztlichem Fachgebiet eine praktische Blindheit des rechten Auges bestehe. Links sei die Klägerin kurzsichtig, die bestkorrigierte Fernschärfe betrage 0,8. Diesen Beeinträchtigungen sei mit einem GdB von 30 ausreichend Rechnung getragen.
Dagegen richtet sich die am 31.10.2011 eingelegte Berufung, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren wiederholt hat. Sie hat ergänzend ausgeführt, der Sachverständige Prof. A. habe den GdB von 30 allein auf das rechte Auge bezogen. Das linke Auge weise aber ebenfalls Beeinträchtigungen in Form von Stabsichtigkeit, Linsentrübung, stark herabgesetzten Dämmerungssehens und gesteigerter Blendungsempfindlichkeit auf, die ebenfalls zu berücksichtigen seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, Prof. Dr. A. habe in dem Rechtsstreit um ärztliche Haftung wegen eines Behandlungsfehlers als Sachverständiger vor dem Landgericht unter anderem auch ausgeführt, dass bei einseitiger Blindheit bei den Betroffenen immer die Angst bestehe, völlig blind zu werden durch Verlust der Sehkraft des bislang noch gesunden Auges. Dies habe Krankheitswert. Davon sei auch bei ihr - der Klägerin - auszugehen. In nervenärztlicher Behandlung befinde sie sich deswegen nicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.10.2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 9.2.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.10.2009 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ab 27.1.2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen, hilfsweise ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen, höchsthilfsweise nach § 109 SGG einzuholen zu der Frage, dass auf Grund der Sehstörung auch eine psychische Beeinträchtigung bei der Klägerin mit Krankheitswert vorliegt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen, sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid angeschlossen und darauf hingewiesen, dass es für die GdB-Beurteilung auf den korrigierten Fernvisus ankomme, der nach dem Gutachten von Prof. A. auf dem linken Auge bei optimaler Korrektur partiell sogar 1,0, mit der aktuell getragenen Korrektur 0,8 betrage.
Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts aus den in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und ihren Augenärzten geführten Akten des Landgerichts Karlsruhe (3 O 295/09) ein weiteres Gutachten von Prof. A. vom 31.1.2010 sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.04.2010 zu den Akten genommen. Danach hat die Klägerin im Jahr 2010 mit der von ihr getragenen Brille links einen Visus von 1,0 gehabt. Das Landgericht Karlsruhe hat Prof. Dr. A. am 30.04.2010 ergänzend mündlich angehört. Er hat ausgeführt, dass die Klägerin Gefahr laufe, ihr Auge vollständig zu verlieren. Im Übrigen hat er sich im Wesentlichen zu Fragen der richtigen Diagnostik und therapeutischen Reaktion der behandelnden Augenärzte geäußert.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Prozessakte, die Prozessakte des Sozialgerichts Karlsruhe sowie einen Band Schwerbehinderten-Akten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein höherer GdB als 30 zusteht. Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG (i. d. F. des Gesetzes vom 20.06.2010) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Teil B 4.3 Anlage 2 (VG) zu § 2 VersMedV sieht für den Verlust der Sehkraft eines Auges bei gleichzeitiger hundertprozentiger Sehkraft des anderen Auges einen GdB von 25, bei Sehkraft des anderen Auges bis zu 0,8 einen solchen von 30 vor. Nach der Einführung zu Nr. 4 VG ist insofern die korrigierte Sehschärfe maßgeblich. Für Einschränkung des Dämmerungssehens ist nach Nr. 4.6 VG ein GdB von 0-10 vorgesehen. Für Stabsichtigkeit ist ein GdB nicht vorgesehen, denn diese Einschränkung ist mit entsprechenden Augengläsern gut zu korrigieren. Das gleiche gilt für eine erhöhte Blendempfindlichkeit.
Bei der Klägerin liegt ein funktioneller Sehverlust auf dem rechten Auge vor. Sie kann auf diesem Auge nur noch Lichtschein erkennen. Zum Verlust des Auges ist es bisher nicht gekommen, der mögliche Verlust in der Zukunft führt als solcher nicht zu einer Behinderung in der Gegenwart. Am linken Auge ist das Dämmerungssehen der Klägerin eingeschränkt. Sie leidet an einer Stabsichtigkeit, die nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen mittels der getragenen Brille gut ausgeglichen werden kann. Sie ist weiterhin auf dem linken Auge kurzsichtig, so dass sie ohne Brille nur noch 0,05 sehen kann. Mithilfe ihrer Brille ist sie jedenfalls in der Lage 0,8 zu sehen, es besteht sogar die Möglichkeit mit einer anderen Brille noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Zu dieser Überzeugung kommt der Senat nach Auswertung aller vorliegenden ärztlichen Unterlagen, einschließlich der verschiedenen Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen von Prof. A ... Diese Befunde werden von der Klägerin auch nicht bestritten.
Diese Einschränkungen bedingen keinen höheren GdB als 30. Die Einschränkungen der Sehkraft der Klägerin auf beiden Augen führen zu einem GdB von 30, die Stabsichtigkeit wirkt sich aufgrund der gelungenen Korrektur nicht erhöhend aus. Auch die Einschränkung des Dämmerungssehens und die erhöhte Blendempfindlichkeit führen nicht zu einer Erhöhung des GdB, denn für diesen Befund kann auch nach der VG kein GdB vergeben werden. Diese Befunde beeinträchtigen die Klägerin nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht besonders.
Soweit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals vorgetragen worden ist, es bestehe auch eine psychische Belastung, weil in den Fällen der einseitigen Erblindung immer die Furcht gegeben sei, auch am anderen Auge zu erblinden, hat der Senat keinen Anlass gesehen, deshalb wie beantragt ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen oder nach § 109 SGG einzuholen. Die unter Beweis gestellte Tatsache einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert kann als wahr unterstellt werden. Daraus ergibt sich jedoch keine Funktionsbeeinträchtigung, die eine Erhöhung des Teil-GdB 30 für die Sehstörung rechtfertigt. Die von der Klägerin nur referierte gutachterliche Einschätzung von Professor Dr. A. , dass mit der einseitigen Erblindung allgemein Ängste von Krankheitswert verbunden sind, ist in der pauschalisierenden GdB-Bewertung dieses Krankheitsbildes nach den VG erfasst, da der augenärztliche Sachverständige Professor Dr. A. nach dem Klagevortrag und für den Senat aber auch durchaus nachvollziehbar von einer normalen Erscheinung bei dem Krankheitsbild der Einäugigkeit spricht. Dass die psychische Betroffenheit der Klägerin über das zu erwartende normale Maß hinausgeht, was eine Erhöhung des Teil-GdB 30 rechtfertigen könnte, ist nicht einmal ansatzweise vorgetragen. Eine ärztliche Behandlung wird wegen dieser psychischen Belastung nicht durchgeführt. Eine besondere, über die genannten Befürchtungen hinausgehende Beschwerdesymptomatik ist weder vorgetragen worden noch in den aktenkundigen Arztbefunden dokumentiert. Eine funktionelle Beeinträchtigung, die einen GdB von mehr als 10 rechtfertigen könnte, ist auch auf gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass allein die Diagnose einer Erkrankung das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung nicht wiedergibt, nicht spezifiziert worden.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
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