L 7 R 2568/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 710/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2568/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1962 geborene Kläger absolvierte eine Berufsausbildung als Dreher und war in diesem Beruf bis 1995 tätig. Nach einer zweijährigen Umschulung zum Mikroelektroniker war er im Elektroanlagenbau beschäftigt.

Im Januar 2007 erlitt der Kläger einen akuten Myokardinfarkt mit erforderlicher Reanimation bei wiederholtem Kammerflimmern. Im Februar 2007 wurde bei dem Kläger ein a.cerebri posterior (hintere Gehirnschlagader) - Infarkt rechts mit hämorrhagischer Transformation festgestellt. In der Zeit vom 1. März bis zum 29. März 2007 fand eine medizinische Rehabilitation in der Rehaklinik H. - K., Schwerpunktklinik für Herz- und Kreislauferkrankungen statt, aus der der Kläger arbeitsunfähig zur weiteren Rekonvaleszenz und mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen wurde.

Seit 18. Januar 2007 bis zu seiner Aussteuerung im Juli 2008 befand sich der Kläger ununterbrochen in der Entgeltfortzahlung bzw. im Krankengeldbezug. Seitdem ist er arbeitslos gemeldet.

Ein Grad der Behinderung ist bei ihm festgestellt seit 31. August 2007 mit 60.

Im Juli 2007 nahm Prof. Dr. R. von der Augenklinik des Universitätsklinikums H. dahingehend Stellung, dass der Kläger wegen einer Hemianopsie (halbseitiger Gesichtsfeldausfall beidseits) nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug zu führen. Auch seien ihm viele der Tätigkeiten, die er in seinem Beruf als Elektromonteur durchführen müsse, nicht mehr möglich. Aus augenärztlicher Sicht bestehe Berufsunfähigkeit.

Die Beklagte bewilligte im August 2007 dem Kläger dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Am 5. Februar 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete die Ärztin für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. D. ein Gutachten über den Kläger und diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 16. Juli 2008 bei dem Kläger eine koronare Zweigefäßkrankheit mit PTCA und zweimaliger Stent-Implantation 01/07 bei Instent-Stenose der RCX, leichtgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion, einen abgelaufenen Hinterwandinfarkt 01/07 mit erforderlicher kardiopulmonaler Reanimation bei wiederholtem Kammerflimmern und vorübergehender Intensivpflichtigkeit, einen lateralen Gesichtsfeldausfall links (Hemianopsie links) bei abgelaufener zerebraler Durchblutungsstörung (a.cerebri posterior-Infarkt rechts ED 02/07) und einen chronischen Alkoholabusus mit Alkoholentzugsdelir 01/07. Es bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten. Erhöhte Stressbelastung sowie Zeitdruck, Leiter- und Gerüstarbeiten, anhaltende Wirbelsäulenzwangshaltungen, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, besondere Anforderungen an das Sehvermögen, Tätigkeiten, bei denen das volle räumliche Sehen erforderlich ist, betriebsbedingter Alkoholkontakt sollten vermieden werden.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 22. Juli 2008 ab. Der Widerspruch des Klägers (Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 5. August 2008) blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2009).

Hiergegen hat der Kläger am 5. März 2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben mit der Begründung, dass er auf nicht absehbare Zeit außer Stande sei, unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Er leide an einem beidseitigen Gesichtsfeldausfall, was sich darin äußere, dass er seine Umgebung nur schemenhaft verschwommen sehen könne und zudem noch dauerhaft ein greller Lichtpunkt im ausgefallenen Gesichtsfeld auftrete. Der Kläger könne sich im Alltag ohne Hilfe und Begleitung nicht mehr selbstständig bewegen. Zudem habe sich beim Kläger eine erhebliche Angststörung entwickelt.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich einvernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Stellungnahme des Neurologen R. (Bl. 25 bis 28 der SG-Akten), des Facharztes für Augenheilkunde Prof. Dr. R. (Bl. 29 der SG-Akten), des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. (Bl. 31 bis 35 der SG-Akten) sowie des Kardiologen Dr. W. (Bl. 36 bis 38 der SG-Akten) verwiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. führt in seinem Gutachten vom 6. Oktober 2009 folgende Gesundheitsstörungen auf: isolierte homonyme Hemianopsie nach links ohne zusätzliche neurologische oder hirnorganisch-psychopathologische Begleitsymptomatik, Zustand nach Herzinfarkt 01/07, seit 1981 bekannter Morbus Crohn, derzeit anhaltend beschwerdefrei, funktionelle Überlagerung/Ausweitung der somatischen Anamnese, in wesentlichen Anteilen nicht der willentlichen Kontrolle entzogen. Aus nervenärztlicher Sicht könne der Kläger weiterhin vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten; die Wegefähigkeit sei erhalten. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 45 bis 59 der SG-Akten Bezug genommen.

Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger im Dezember 2009 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Bescheid vom 14. Dezember 2009). Daraufhin nahm der Kläger in der Zeit vom 15. Februar bis 12. März 2010 im Rahmen eines sogenannten Reha-Assessment an der Abklärung seiner beruflichen Eignung im Berufsförderungswerk W. teil. Der Dipl.-Psych. J. gelangte in dem Abschlussbericht vom 24. März 2010 zu der Einschätzung, dass der Kläger auf Grund des Gesichtsfeldausfalles nach Schlaganfall sowie der Einschränkung der Konzentrations- und Merkfähigkeit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Mikroelektroniker nicht mehr ausüben könne, ein wirtschaftlich verwertbares Arbeitstempo und Belastbarkeit nicht erreichbar sei und für den Kläger keine Möglichkeit der beruflichen Wiedereingliederung bestehe. Die Beklagte schloss sich dieser Leistungseinschätzung nicht an.

Weiterhin hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines augenärztlichen Gutachtens. Der Facharzt für Augenheilkunde Prof. Dr. R. diagnostiziert in seinem Gutachten vom 19. Juli 2010 einen vollständigen halbseitigen Gesichtsfeldausfall nach links beidseits, eine Sehschärfenminderung beidseits, eine latente Übersichtigkeit (Hyperopie) beidseits, eine Stabsichtigkeit beidseits (Astigmatismus) sowie ein leicht reduziertes räumliches Sehvermögen beidseits. Der Kläger sei in der Lage, vollschichtig täglich zu arbeiten. Die Gehfähigkeit des Klägers sei nicht wesentlich eingeschränkt. Er könne allein und selbstständig als Fußgänger im öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. Die vom Berufsförderungswerk W. anlässlich der Berufserprobung angenommenen Einschränkungen ließen sich nicht augenärztlicherseits erklären. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 96 bis 116 der SG-Akten verwiesen.

Mit Urteil vom 19. Mai 2011, das in der mündlichen Verhandlung verkündet wurde, hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Die Kammer folge dem Sachverständigengutachten Dr. B., wonach neurologisch-psychiatrische Gesundheitsstörungen nicht vorhanden seien. Hinsichtlich der Diagnosen auf ophthalmologischem Fachgebiet schließe sich die Kammer der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. an. Der Kläger sei in der Lage, trotz der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig auszuüben. Die Stellungnahme des Berufsförderungswerks W. sei nicht überzeugend, da sowohl Dr. B. als auch Prof. Dr. R. im Rahmen ihrer Begutachtung keine Anhaltspunkte für kognitive Störungen beim Kläger gefunden hätten. Auch sei das Gehvermögen des Klägers nicht derart eingeschränkt, dass er eine Arbeitsstelle nicht mehr aufsuchen könne. Der Sachverständige Prof. Dr. R. sei nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gehfähigkeit des Klägers nicht wesentlich eingeschränkt sei.

Gegen das Urteil des SG, das der Klägerbevollmächtigten am 8. Juli 2011 zugestellt wurde, hat der Kläger am 20. Juni 2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung trägt er u.a. vor, dass ihm das rechtliche Gehör verweigert worden sei. Eine umfassende Begutachtung unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustandes sei allein bei der seitens der Beklagten bewilligten Maßnahme im Berufsförderungswerk W. erfolgt. Die Gutachten Dr. B. und Prof. Dr. R. beträfen nur Fragmente des Allgemeinzustandes des Klägers und befassten sich lediglich mit Teilaspekten seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Beklagte habe selbst die Zusage abgegeben, die berufliche Eignung des Klägers und letztlich dessen Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt abklären und spezifisch überprüfen zu lassen. An das Ergebnis dieser Überprüfung wolle sich die Beklagte nunmehr nicht halten. Es sei mit dem Rechtstaatgebot nicht vereinbar, dem Kläger eine Maßnahme zur Überprüfung der Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt in Aussicht zu stellen und sodann das Ergebnis dieser Überprüfung in Frage zu stellen. Der Kläger sei im Straßenverkehr als Fußgänger nahezu orientierungslos. Zudem liege bei ihm eine ausgeprägte Angststörung vor. In fremder Umgebung finde er sich nicht zurecht. Er könne nicht allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2009 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Februar 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme bei Prof. Dr. R. eingeholt. Dieser hat an der von ihm erstinstanzlich vertretenen Leistungsbeurteilung festgehalten (Stellungnahme vom 17. Februar 2012). Wegen des genauen Inhalts der Stellungnahme wird auf Bl. 41 bis 43 der Senatsakten Bezug genommen.

Weiterhin hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Sachverständige Dr. Sch., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie verifiziert in seinem Gutachten vom 28. Februar 2012 einen beidseitigen Gesichtsfeldausfall nach links. Auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet konnte er keine manifeste Depressivität feststellen. Vor dem Hintergrund der aktenkundigen Vorbefunde diagnostizierte er eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und einen schädlichen Gebrauch von Alkohol. Aus allein psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht sei weiterhin eine vollschichtige Leistungsfähigkeit gegeben. Unter Berücksichtigung der augenärztlichen und der kardiologischen Perspektive sei der Kläger weiter in der Lage, bei Berücksichtigung diverser qualitativer Leistungsdefizite sechs Stunden und mehr täglich zu arbeiten. Die auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet bei dem Kläger festgestellten Gesundheitsprobleme führten nicht zur Beeinträchtigung der Wegefähigkeit. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 52 bis 85 der Senatsakten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie wurde auch gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass sie bereits am 20. Juni 2011 vor Zustellung des Urteils des SG, die ausweislich des Empfangsbekenntnisses der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Juli 2011 erfolgte, eingelegt worden war. Denn eine Berufung kann nach Erlass des Urteils - vorliegend mit Verkündung in der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2011 - noch vor Beginn der Berufungsfrist, deren Lauf durch die Zustellung des Urteils in Gang gesetzt wird (§ 151 Abs. 1 SGG), eingelegt werden (allg. Meinung; vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 151 Rdnr. 9; Jungeblut in Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 151 SGG Rdnr. 14).

2. Ein wesentlicher Verfahrensfehler, der zur Zurückweisung an das SG nach § 159 Abs. 1 SGG führen könnte, liegt nicht vor. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, das SG habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 GG verletzt, ist nicht ersichtlich. Sein Einwand, das SG habe das Ergebnis des Reha-Assessments nicht berücksichtigt, begründet keinen Verfahrensmangel. Das Gericht ist im Rahmen des rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen auch in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe eines Verfahrens von der einen oder der anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205; BSG, Beschluss vom 05. Oktober 2010 - B 8 SO 62/10 B -). Vorliegend hat sich das SG mit dem Abschlussbericht des Berufsförderungswerks W. im Rahmen der Beweiswürdigung auseinandergesetzt und dargelegt, aus welchen Gründen es der in diesem geäußerten Bewertung der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht folgen möchte. Dies setzt voraus, dass das SG das Ergebnis des Reha-Assessments zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat. Mithin hat das SG in den Entscheidungsgründen die aus seiner Sicht das Urteil tragenden Umstände dargelegt und hinreichend den Vortrag des Klägers berücksichtigt sowie dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs Genüge getan.

3. Die Berufung hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint.

Maßgeblich für die beanspruchte Rente ist das ab 1. Januar 2001 für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltende Recht (eingeführt durch Gesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827)). Nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben bei Erfüllung hier nicht streitiger versicherungsrechtlicher Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht unter den genannten Bedingungen bei einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich (Abs. 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3).

Bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stehen im Vordergrund dessen Gesundheitsstörungen auf augenärztlichem und nervenärztlichem Fachgebiet, mit denen dieser sein Klage- und Berufungsbegehren auch vorrangig begründet hat. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen des Klägers in zeitlicher Hinsicht einschränkten. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um dessen Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das nervenärztliche Fachgutachten von Dr. Sch. und die im Berufungsverfahren eingeholte Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. R. sowie das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte nervenärztliche Gutachten Dr. B. und das augenfachärztliche Gutachten Prof. Dr. R., die im Wege des Urkundenbeweises durch den Senat verwertet wurden.

Dr. Sch. hat die nach ausführlicher Exploration und Untersuchung ermittelten Befunde und die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen anschaulich dargestellt und hieraus schlüssig und nachvollziehbar deren Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen des Klägers abgeleitet. Zunächst ist festzuhalten, dass bei dem Kläger mit einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert, und einem schädlichen Gebrauch von Alkohol zwar eine Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet vorliegt, diese jedoch nicht von einer solchen Schwere ist, dass sie sich nachhaltig auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Dies ergibt sich aus dem von Dr. Sch. erhobenen unauffälligen psychischen Befund. Im Rahmen der Untersuchung zeigte sich der Kläger freundlich zugewandt und aufgeschlossen, wach, bewusstseinsklar, uneingeschränkt orientiert und in ausgeglichener Stimmungslage. Der Sachverständige Dr. Sch. konnte während der gut vierstündigen Untersuchung weder manifeste formale Denkstörungen, insbesondere keine Hemmung oder Verlangsamung des Denkens, noch Einschränkungen der kognitiven Funktion feststellen. Das Auffassungs- und Konzentrationsvermögen war altersentsprechend durchschnittlich ausgeprägt; der Antrieb war situationsadäquat. Dieser Befund wurde durch den psychometrischen Befund bestätigt. Der Mini-Mental-Status-Test, ein Screening-Verfahren zur Feststellung kognitiver Defizite, erbrachte keine Hinweise auf das Vorliegen einer hirnorganischen Leistungsminderung oder sonstiger manifester kognitiver Defizite. Das Ergebnis des Beck-Depressionsinventars spricht gegen eine relevante depressive Symptomatik. Zwar sprach das Ergebnis des Fragebogenverfahrens zur Erfassung von Simulation in Bezug auf psychische Symptome gegen Verdeutlichungstendenzen u.a. in Bezug auf amnestische und neurologische Symptome, jedoch erzielte der Kläger in einem Beschwerdevaldierungsverfahren zur Messung von Anstrengungsbereitschaft in Untersuchungssituationen auffällige Werte, die auf eine instruktionswidrige Anstrengungsminderleistung hindeuten. Der Sachverständige Dr. Sch. konnte die vom Kläger geltend gemachten kognitiven Funktionsdefizite nicht objektivieren. Zunächst weist der Senat darauf hin, dass Dr. Sch. - entgegen der Auffassung des Klägers - im Hinblick auf die im Abschlussbericht des Berufsförderungswerks W. dem Kläger bescheinigte Einschränkung der Merk- und Konzentrationsfähigkeit sowie auf die vom Kläger im Rahmen der Untersuchung anamnestisch geltend gemachte Minderung der Konzentration und Belastbarkeit sein besonderes Augenmerk auf die kognitiven Funktionen gelegt hat, was in der sorgfältigen und ausführlichen Anamnese, der gründlichen Erhebung des neurologischen und psychischen Befundes, der durchgeführten psychometrischen Testung und der ausführlichen Begründung seiner Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit in Auseinandersetzung mit den Vorbefunden - u.a. aus dem Abschlussbericht des Berufsförderungswerks W. - zum Ausdruck kommt. Gleichwohl konnte Dr. Sch. eine affektive Störung (etwa im Sinne einer Depression), aus der ein kognitives Leistungsdefizit resultieren könnte, nicht feststellen. Auch eine hirnorganische Leistungsbeeinträchtigung konnte er nicht objektivieren. Der von dem Sachverständigen Dr. Sch. erhobene Befund stimmt weitgehend mit dem im vom SG eingeholten Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. überein. Dort zeigte sich der Kläger bewusstseinsklar, in allen Qualitäten orientiert, mit ungestörter Auffassung, Konzentration und Merkfähigkeit und ungestörtem Gedächtnis. Auch Dr. B. fand - i.Ü. in Einklang mit dem behandelnden Neurologen R. (vgl. Befundbericht vom 23. Januar 2008) - keine Hinweise für eine hirnorganische Symptomatik oder intellektuelle Defizite.

Die abweichende Leistungsbeurteilung des Diplom-Psychologen J. vom Berufsförderungswerk W. überzeugt den Senat nicht. Dieser stützt seine Leistungsbeurteilung u.a. auf Einschränkungen der Konzentrations- und Merkfähigkeit. In dem Abschlussbericht des Diplom-Psychologen sind als Ergebnis der psychologischen Untersuchung u.a. eine reduzierte Gedächtnisleistung und eine eingeschränkte Konzentration festgehalten. Die dieser Einschätzung zugrundeliegenden Befunde und Tests sind nicht dokumentiert. Auch stellt sich die Beurteilung des Diplom-Psychologen als widersprüchlich dar. So wird einerseits die Gedächtnisleistung als reduziert beschrieben, andererseits die Lernfähigkeit als durchschnittlich. Der Befund einer verminderten Merkfähigkeit ist mit dem Befund einer durchschnittlichen Lernfähigkeit nicht in Einklang zu bringen, worauf der Sachverständige Dr. Sch. und Med.Dir. L. (vgl. dessen sozialmedizinische Stellungnahme für die Beklagte vom 12. April 2010) zutreffend hinweisen. Auch widersprechen die im Abschlussbericht referierten Ergebnisse der psychologischen Untersuchung den - jeweils nach ausführlicher Exploration und Untersuchung - in den Gutachten von Dr. Sch. und Dr. B. ermittelten Befunden und den sich daraus ergebenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der Senat vermag sich von einer reduzierten Gedächtnisleistung und eingeschränkten Konzentration auch deshalb nicht überzeugen, weil dem Abschlussbericht nicht entnommen werden kann, dass die psychometrischen Befunde kritisch überprüft und hinterfragt worden sind, wozu im Hinblick auf das von Dr. B. in seinem Gutachten geschilderte demonstrative Verhalten des Klägers Anlass bestand.

Auch die bei dem Kläger bestehenden körperlichen Gesundheitsstörungen rechtfertigen ebenfalls keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht. Zwar diagnostiziert Prof. Dr. R. im augenärztlichen Fachgutachten einen vollständigen halbseitigen Gesichtsfeldausfall nach links beidseits, eine Sehschärfenminderung beidseits, eine latente Übersichtigkeit (Hyperopie) beidseits, eine Stabsichtigkeit beidseits (Astigmatismus) sowie ein leicht reduziertes räumliches Sehvermögen beidseits. Prof. Dr. R. nimmt zwar eine Verschlechterung der Sehschärfte (beide Augen mit Korrektur 0,6) an, jedoch handelt es sich dabei - wovon auch das Berufsförderungswerk W. ausgeht - um eine geringgradige Sehstörung. Das räumliche Sehen und das Farbsehen zeigten sich (weitgehend) ungestört. Für die vom Kläger angeführte Blendempfindlichkeit fand sich kein morphologisches Korrelat. Im Vordergrund steht vielmehr der an beiden Augen bestehende komplette Halbseitenausfall nach links, der aus dem im Februar 2007 diagnostizierten Hirninfarkt resultiert und vielfach belegt ist. So ist in den Befundberichten der Augenärztin Dr. D. vom 5. November 2007, des Augenarztes Prof. Dr. R. vom 31. Juli 2007 und vom 2. Juni 2009 und des Neurologen R. vom 23. Januar 2008 sowie in den Gutachten des Nervenarztes Dr. B., des Augenarztes Prof. Dr. R. sowie des Nervenarztes Dr. Sch. und dem Abschlussbericht des Berufsbildungswerks W. ein kompletter Gesichtsfeldausfall nach links beschrieben. Dieser Befund stellt sich als stabil und weitgehend unverändert dar, worauf Prof. Dr. R. in seinem Gutachten und der gutachterlichen Stellungnahme vom 17. September 2011 hinweist. Soweit der Kläger aus dem Befundbericht des Augenarztes Prof. Dr. R. vom 2. Juni 2009, in dem von einer Hemianopsie nach links mit Beteiligung des zentralen Gesichtsfeldes berichtet wird, eine Verschlechterung der Hemianopsie herleiten möchte, weist Prof. Dr. R. überzeugend darauf hin, dass bei der Untersuchung am Goldmann-Perimeter wegen verschiedener Einflussfaktoren (subjektive Antworten des Untersuchten, Genauigkeit der Fixation, Untersuchungstechnik) Veränderungen denkbar sind, die nicht für eine gravierende Veränderung des Gesichtsfeldes sprechen. Auch begründet Prof. Dr. R. an Hand der von ihm erhobenen Befunde überzeugend, dass der an beiden Augen bestehende Gesichtsfeldausfall nach links durchgehend vorlag, jedoch kleineren Veränderungen (Verschlechterung und Verbesserung) unterlag. Während im Mai 2007 am rechten Auge ein vollständiger Ausfall nach links und am linken Auge gleichfalls ein Gesichtsfeldausfall nach links mit einer kleinen Aussparung im zentralen Bereich ermittelt wurde, war im April 2009 an beiden Augen ein völliger Ausfall nach links festzustellen. Im Juni 2011 zeigte sich bei beiden Augen ein vollständiger Ausfall der linken Gesichtsfeldhälfte, wobei jeweils das Zentrum komplett erhalten war. Schließlich legt Prof. Dr. R. dar, dass eine weitere Befundveränderung nach dem initialen Ereignis aus pathophysiologischer Sicht sehr unwahrscheinlich ist.

Der Sachverständige Prof. Dr. R. begründet überzeugend, dass die beim Kläger vorliegende Sehbehinderung zu einer deutlichen Einschränkung beim Lesen und bei feinmanuellen Tätigkeiten führt, jedoch keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in quantitativer Hinsicht begründet.

Der Senat folgt nicht der Leistungsbeurteilung aus dem Abschlussbericht des Berufsbildungswerks W., wonach aufgrund des oben beschriebenen Gesichtsfeldausfalls und Einschränkungen der Konzentration- und Merkfähigkeit kein wirtschaftlich verwertbares Arbeitstempo und keine Belastbarkeit mehr erreichbar seien. Zunächst ist zu beachten, dass auch nach Auffassung des Berufsförderungswerks W. der augenärztliche Befund lediglich eine geringgradige Sehbehinderung rechtfertigt. Dass sich der Senat nicht vom Vorliegen einer eingeschränkten Konzentration und Merkfähigkeit überzeugen konnte, ist oben im Einzelnen dargelegt. Im Übrigen kann die nachgewiesene Sehbehinderung die beklagte Einschränkung der Konzentration und Merkfähigkeit nicht erklären, wie Prof. Dr. R. bemerkt. Auch die Annahme massiver Orientierungsprobleme überzeugt nicht. Diese können mit der beim Kläger vorliegenden Sehbehinderung nicht erklärt werden. Prof. Dr. R. weist überzeugend darauf hin, dass durch die Sehbehinderung aufgrund der Sehschärfenminderung und des halbseitigen Gesichtsfeldausfalls nicht solche umfangreichen Einschränkungen zu begründen vermag, die zu wesentlichen Problemen mit der Orientierung führen würden. Schließlich erscheint der Abschlussbericht des Berufsbildungswerks W. dem Senat insgesamt widersprüchlich. Dort werden u.a. Probleme beim Lesen und beim Arbeiten am Bildschirmarbeitsplatz beschrieben. Insofern moniert Prof. Dr. R., dass eine Beurteilung der Lesefähigkeit ohne isolierte Lesebrille bei einem Patienten mit Halbseitenausfall nur eingeschränkt sinnvoll ist und der Einsatz vergrößernder Sehhilfen die Probleme infolge des Gesichtsfeldausfalls erhöht. Zudem kann der krankheitsbedingten Einschränkung beim Lesen dadurch Rechnung getragen werden, dass dem Kläger keine Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Sehvermögen (bspw. reine Bildschirmtätigkeiten) abverlangt werden. Auf der anderen Seite wird in dem Bericht festgehalten, dass der Kläger büropraktische Arbeiten teilweise selbständig und mit befriedigenden Ergebnissen erledigt hat, was einer fehlenden Belastbarkeit entgegenstehen dürfte. Der Senat kann dem Abschlussbericht des Berufsbildungswerks W. - wie auch dem Gutachten Prof. Dr. R. - zwangslos entnehmen, dass der Kläger seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Mikroelektroniker nicht mehr ausüben kann. Warum ihm aber auch unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vollschichtig möglich sein sollen, ist nicht ersichtlich.

Auch die Erkrankungen des Klägers auf internistischem Fachgebiet begründen keine quantitativen Einschränkungen seiner beruflichen Leistungsfähigkeit. Hinsichtlich seines Zustand nach dem in Januar 2007 erlittenen Herzinfarkt gelangten übereinstimmend die Ärzte der Rehaklinik H.-K., die Ärztin für Innere Medizin Dr. D. (Gutachten für die Beklagte vom 16. Juli 2008) und der Internist Dr. W. zu der Einschätzung, dass dem Kläger jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsarbeitsmarktes zumutbar seien. Auch der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. sieht den kardiologischen Zustand nicht als im Vordergrund stehend an. Diese Einschätzung ist mit den von Dr. W. mitgeteilten Befunden gut in Einklang zu bringen. Danach führte der akute Myokardinfarkt zu einer leichtgradig eingeschränkten linksventrikulären Funktion. Zudem zeigte die Ergometrie mit einer Belastung bis jeweils 125 Watt für weniger als eine Minute eine etwas reduzierte Leistungsfähigkeit, so dass dem Kläger schwere körperliche Tätigkeiten nicht mehr abverlangt werden können. Der seit 1981 bekannter Morbus Crohn führt derzeit zu keinen wesentlichen Beschwerden und begründet keine quantitativen oder qualitativen Einschränkungen.

Der Senat brauchte nicht dem Antrag des Klägers, Prof. Dr. R. zur Erörterung seines im Auftrag des SG erstatteten Gutachtens vom 19. August 2010 zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu laden, nachzugehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 -; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346 -). Nach § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402 ZPO sind die Beteiligten nach § 70 SGG berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Unabhängig davon, ob das Gericht ein Gutachten für erläuterungsbedürftig hält, soll das Fragerecht dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt bspw. BSG, Beschluss vom 17. April 2012 - B 13 R 355/11 B -). Abgelehnt werden kann ein solcher Antrag prozessordnungsgemäß nur dann, wenn er rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird, wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht hinreichend genau benannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl. BVerfG vom 29. August 1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 -). Wenn ein Beteiligter rechtzeitig den Antrag gestellt hat, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, und er schriftlich sachdienliche Fragen angekündigt hat, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl. BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 222/04 B - SozR 4-1500 § 62 Nr. 4 -). Das Fragerecht besteht allerdings grundsätzlich nur innerhalb des Rechtszuges, in dem das Gutachten eingeholt worden ist (BSG, Beschluss vom 18. November 2008 - B 2 U 75/07 B -; Beschluss vom 24. April 2008 - B 9 SB 58/07 B -). Vorliegend stellt sich der Antrag auf Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. R. als verspätet dar. Der Kläger möchte das von dem SG eingeholte augenärztlichen Gutachten nunmehr im Berufungsverfahren durch den Sachverständigen Prof. Dr. R. erörtern lassen. Ein entsprechender Antrag wurde im erstinstanzlichen Verfahren weder zeitnah nach Vorlage des Gutachtens angebracht noch in der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2011 aufrechterhalten. Der Kläger hat mithin innerhalb des erstinstanzlichen Rechtszuges von seinem Fragerecht keinen Gebrauch gemacht. Eine der von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Ausnahmen, z.B. Übergehen des Fragerechts in der Vorinstanz (vgl. BSG, Beschlüsse vom 3. März 1999 - B 9 VJ 1/98 B - SGb 2000, 269 - und vom 12. Dezember 2006 - B 13 R 427/06 B -), liegen hier nicht vor. Zudem hat der Senat die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der von Prof. Dr. R. in seinem Gutachten dokumentierte Befund zu dem Befund aus dem Bericht vom 2. Juni 2009 im Widerspruch steht, zum Anlass genommen, eine ergänzende Stellungnahme bei diesem einzuholen. Prof. Dr. R. setzt sich in seiner Stellungnahme vom 17. September 2011 eingehend mit den Einwendungen des Klägers auseinander mit der Folge, dass der Senat das Gutachten von Prof. Dr. R. nicht für erläuterungsbedürftig hält.

Auch der Beweisanregung des Klägers, Diplom-Psychologen J. als sachverständigen Zeugen "zur mündlichen Erörterung seines von der Beklagtenseite in Auftrag gegebenen Abschlussberichts vom 24.03.2010 zur mündlichen Verhandlung zu laden", musste der Senat nicht nachgehen. Im Hinblick auf die umfassende Ermittlung des medizinischen Sachverhalts im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren (sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte, zwei nervenärztlichen Gutachten und ein augenärztlichen Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme) hält das Gericht den medizinischen Sachverhalt für geklärt. Zudem könnte Diplom-Psychologe J. lediglich Auskunft über den Gesundheitszustand im Februar/März 2010 geben, der durch das augenärztliche Gutachten aus dem Juli 2010 und das nervenärztlichen Gutachten Dr. Sch. aus dem Februar 2012 überholt wäre.

Ausgeschlossen sind daher nach überzeugender Einschätzung der Sachverständigen Dr. Sch. und Prof. Dr. R. sowie der Ärztin für Innere Medizin Dr. D. (Gutachten für die Beklagte vom 16. Juli 2008) und des behandelnden Internisten Dr. W. schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten mit deutlich erhöhter Stressbelastung und mit erhöhtem Zeitdruck, Nachtarbeit und Tätigkeiten, die mit erleichterter Griffnähe zu Alkohol einhergehen und Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Sehvermögen (u.a. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten im feinmanuellen Bereich, reine Bildschirmtätigkeit). Bei Beachtung dieser Ausschlüsse ist der Kläger nach Überzeugung des Senats jedoch zeitlich in seiner Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht somit zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten. Diese Einschränkungen sind entgegen der Auffassung des Klägers weder ihrer Art nach noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) täglich mindestens 6 Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189). Es besteht jedoch auch unter der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Rechtslage weiterhin die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Denn Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Tätigkeit zu verrichten, sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist "erwerbstätig" zu sein, d.h. unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Während der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt, umfasst und das Merkmal "allgemein" lediglich den Arbeitsmarkt von Sonderbereichen, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und anderen geschützten Einrichtungen abgrenzt, ist unter den "üblichen Bedingungen" im Sinne des § 43 SGB VI das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt (BSG a.a.O.). Üblich sind dabei Bedingungen dann, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG a.a.O.). In der Rechtsprechung des BSG werden hierbei als Fallgruppen Einschränkungen genannt aufgrund schwerer spezifischer Leistungsbehinderung wie z. B. Einarmigkeit bei gleichzeitiger Einäugigkeit (SozR 2200 § 1246 Nr. 30), die Notwendigkeit von zwei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von je 15 Minuten (SozR 2200 § 1246 Nr. 136) oder von drei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von zehn Minuten je Arbeitstag (BSG, Urteil vom 20. August 1997 - 13 RJ 39/96 - ), Einschränkungen bei Arm- und Handbewegungen, Erforderlichkeit eines halbstündigen Wechsels vom Sitzen zum Gehen (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8) oder Einschränkungen aufgrund regelmäßig einmal in der Woche auftretender Fieberschübe (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist dagegen insbesondere nicht erforderlich im Falle des Ausschlusses von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder ständiges Sitzen erfordern, in Nässe oder Kälte oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, besondere Fingerfertigkeiten erfordern oder mit besonderen Unfallgefahren verbunden sind, bei Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst, an laufenden Maschinen, bei Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen stellen, sowie bei Ausschluss von Tätigkeiten, die häufiges Bücken erfordern (vgl. zu allem BSG Großer Senat SozR 3–2600 § 44 Nr. 8 m.w.N.; vgl. weiter Senatsurteil vom 23. April 2011 - L 7 R 5711/11 -).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Senat der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen des Klägers es diesem erlaubt, die o.g. Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Bei dem Kläger liegt - wie oben im Einzelnen dargelegt - in erster Linie eine geringgradige Sehbehinderung sowie ein halbseitiger Gesichtsfeldausfall nach lins beidseitig vor. Diese Einschränkung des Sehvermögens führt zu einer deutlichen Einschränkung beim Lesen und bei feinmanuellen Tätigkeiten. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. R. kann der Kläger beim Lesen wegen des halbseitigen Gesichtsfeldausfalls den Zeilenanfang nicht mehr auffinden. Zudem reduziert sich die Anzahl der bei jeder Fixation wahrgenommenen Buchstaben. Dennoch ist der Kläger in der Lage, - wenn auch langsam - mit entsprechender Brillenkorrektur Zeitungstext flüssig zu lesen. Zudem ist bei ihm die zentrale Sehschärfe nur mäßig reduziert, worauf Prof. Dr. R. hinweist. Die zentrale Sehschärfe ist jedoch die maßgebliche Voraussetzung für Tätigkeiten wie Verpackungsarbeiten, Fertigungs- und Gütekontrollarbeiten, Sortierarbeiten (von Einzelteilen nach Größe, Qualität und Verwendungszweck). Die vom Kläger geltend gemachten Einschränkungen der Konzentration und Merkfähigkeit, die von dem Diplom-Psychologen J. u.a. zur Begründung einer quantitativ herabgesetzten Leistungsfähigkeit herangezogen wurden, haben sich nicht - wie bereits oben dargelegt - objektivieren lassen. Daher ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger die vorgenannten einfachen industriellen Arbeiten wie z.B. als Packer und Sortierer verrichten kann.

Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass bei dem Kläger die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (bspw. BSGE 110, 1). Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSGE 80, 24, 35). Nach dieser Rechtsprechung gilt (BSGE 110, 1): Hat - wie hier - der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Senat der Überzeugung, dass bei dem Kläger Wegefähigkeit vorliegt. Die Nervenärzte Dr. B. und Dr. Sch. und der Augenarzt Prof. Dr. R. haben in Einklang mit den von ihnen erhobenen Befunden und in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte R. und Dr. W. für den Senat überzeugend begründet, dass der Kläger in der Lage ist, vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Insbesondere Prof. Dr. R. begründet überzeugend, dass bei der vorhandenen Sehschärfe und einem nach rechts freien Gesichtsfeld keine solch erheblichen Einschränkungen bei dem Kläger bestehen, dass er damit nicht allein und selbständig als Fußgänger am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen und dabei öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Aufgrund des beidseitigen Halbseitenausfalls besteht zwar keine Fahrtauglichkeit für Kraftfahrzeuge, jedoch hindert diese den Kläger nicht an der Teilnahme als Fußgänger am öffentlichen Straßenverkehr.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger nicht voll und im Übrigen auch nicht teilweise erwerbsgemindert i.S.d. § 43 Abs. 1 SGB VI. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte auf Anregung des Klägers diesem mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 während des erstinstanzlichen Klageverfahrens zur Abklärung seiner beruflichen Eignung und zur Arbeitserprobung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Reha-Assessment im Berufsförderungswerk W. gewährt hat. Eine (schriftliche) Zusicherung i.S. des § 34 SGB X, bei entsprechendem Ausgang des Reha-Assessments dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, ist weder dem Bescheid vom 14. Dezember 2009 noch einem sonstigen Schriftstück zu entnehmen und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Die Beklagte war auch nicht an das Ergebnis des Reha-Assessments gebunden oder gar verpflichtet, im laufenden Klageverfahren ein Anerkenntnis zugunsten des Klägers abzugeben. Sie durfte vielmehr den Abschlussbericht des Berufsförderungswerks W. kritisch auf seine Plausibilität prüfen und als zuständiger Sozialleistungsträger entscheiden, ob sie der Bewertung der Reha-Einrichtung folgt.

Schließlich liegt bei dem Kläger auch keine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI vor. Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist u.a., dass der Versicherte vor dem 2. Januar 1961 geboren wurde. Der Kläger wurde am 6. August 1962 geboren und gehört damit nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten i.S. des § 240 SGB VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved