L 8 SB 3393/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 8973/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3393/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seines Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50.

Für den 1948 geborenen Kläger stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 27.02.2001 einen GdB von 30 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 20), einer Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen (GdB 20) und eines Bluthochdrucks (GdB 10) fest. Seinen Neufeststellungsantrag vom 27.11.2002 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.01.2003 ab.

Am 21.12.2006 beantragte der Kläger wiederum die Neufeststellung seiner Behinderung. Der Beklagte zog Arztbriefe des Orthopäden und Chirotherapeuten Dr. S. vom 17.03.2003 (Wirbelsäulen-Syndrom bei degenerativen Veränderungen), vom 19.06.2006 und 17.07.2006 (Abrissfraktur rechte Schulter, Z.n. Luxation rechte Schulter, Patellaansatzschmerz links), des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 01.08.2003 (latent depressive Stimmungslage mit Schlafstörungen), des Neurologen und speziellen Schmerztherapeuten Dr. J. vom 21.11.2006 (mittelgradige depressive Episode, noch asymptomatisches Karpaltunnelsyndrom (KTS) und Sulcus-ulnaris-Syndrom links), des HNO-Arztes Dr. K. vom 21.11.2006 (Tinnitus, Schwerhörigkeit beidseits), der Dipl.-Psych. Z. (dekompensierter Tinnitus Grad 3-4, depressive Verstimmung), der Sportklinik S. vom 07.12.2006 (OP Bericht Schulterarthroskopie rechts) und einen Entlassungsbericht der Sportklinik S. vom 09.12.2006 bei.

Nach Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. L., 08.02.2007) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 09.02.2007 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Die Behinderungen formulierte er nunmehr wie folgt: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks operiert (GdB 20), Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, depressive Verstimmung (GdB 20), Bluthochdruck (GdB 10), Mittelnervendruckschädigung links (KTS), Sulcus-ulnaris-Syndrom links (GdB 10).

Dagegen erhob der Kläger am 23.02.2007 Widerspruch, zu dessen Begründung er vortrug, dass es nicht richtig sein könne, dass die Behinderung im Schultergelenk rechnerisch einen GdB von 0 ergebe. Es gebe keinen "Sammel-GdB" für Schultern und Wirbelsäule. Außerdem könne die Depression nicht zusammen mit Ohrgeräuschen und Schwerhörigkeit bewertet werden. Auch hier sei nicht nachvollziehbar, warum trotz der Depressionen der GdB für diese Behinderung weiterhin bei 20 bleibe. Er reichte zwei Kurzbefunde des Dr. S. vom 16. und 20.03.2007 für die Allianzversicherung (verbleibende Invalidität rechte Schulter) sowie einen Arztbrief des Dr. J. vom 19.04.2007 (Tinnitus, mittelgradige depressive Episode) zu den Akten.

Der Beklagte zog einen Arztbrief der Sportklinik S. über eine Befundkontrolle vom 20.03.2007 bei (keine Schmerzen, noch eingeschränkte Beweglichkeit der rechten Schulter). Dr. K. erstattete am 14.05.2007 einen Befundbericht über die Untersuchung am 07.11.2006 (dekompensierter Tinnitus, Schwerhörigkeit beidseits, Z.n. Hörgeräteversorgung rechts) und übersandte ein Tonaudiogramm vom 07.11.2006. Dr. J. erstattete am 24.08.2007 einen Befundbericht mit den Diagnosen mittelgradige depressive Episode, Tinnitus aurium beidseits, Durchschlafstörungen. Die Beweglichkeit im rechten Schultergelenk sei deutlich eingeschränkt, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) altersentsprechend eingeschränkt, an der Lendenwirbelsäule (LWS) bestehe ein Druck- und Klopfschmerz im unteren Drittel rechtsbetont. Der Kläger habe sich am 17.11.2006 und 17.04.2007 vorgestellt, zur vereinbarten Wiedervorstellung sei er nicht erschienen.

Nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. G., 24.04.2007, Dr. H., 23.09.2007) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2007 zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 12.12.2007 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung er vortrug, dass sich von Seiten der Schulter keine Besserung eingestellt habe. Tinnitus und Depression bedingten eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und deshalb einen Einzel-GdB von mindestens 30.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. gab unter dem 25.02.2008 ein depressives Syndrom mit Somatisierung, ein Schulter-Arm-Syndrom nach Rotatorenmanschettenmassenruptur, wiederkehrende Lumboischialgien, eine Schwerhörigkeit mit Tinnitus, Bluthochdruck und eine Divertikulose an. Die Depression werde eher etwas höher eingeschätzt, insgesamt betrage der GdB 40 bis 50. Dr. B. übersandte die Arztbriefe des Internisten Dr. H. vom 21.11.2007 (diffuser Leberparenchymumbau (Fettleber) ansonsten unauffälliger Sonographiebefund des Abdomen) und 27.11.2007 (arterielle Hypertonie, Divertikulitis (subakut), Hämorrhoiden 1. Grades), des Pathologen Dr. W. vom 26.11.2007, der Augenärztin Dr. Z. vom 22.05.2007 (Visus 1,0 auf beiden Augen, keine diabetische Retinopathie), des Dr. J. vom 17.12.2007 (mittelgradige depressive Episode, Tinnitus aurium beidseits, Durchschlafstörungen, Lumbalgie, pseudoradikuläres Lumbalsyndrom rechts, Sulcus-ulnaris-Syndrom links, KTS links).

Der HNO-Arzt Dr. K. teilte unter dem 11.03.2008 eine gering-mittelgradige Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von je 40 % und einen Tinnitus mit.

Der orthopädische Chirurg Dr. M. (Sportklinik S.) antwortete am 12.03.2008. Die rechte Schulter sei bei der letzten Untersuchung am 20.03.2007 in der Abduktion auf 105°, in der Anteversion auf 130° in der aktiven Beweglichkeit eingeschränkt. Der GdB betrage 10. Es liege eine Instabilität im Sinne eines Zustands nach Schulterluxation mit seltenen Ausrenkungen vor. Der Orthopäde Dr. S. gab unter dem 13.04.2008 an, er habe den Kläger zuletzt im März 2007 untersucht. Dabei sei die Beweglichkeit der rechten Schulter auf Abduktion 90°, Elevation 100°, Retroversion 20° eingeschränkt gewesen. HWS und Brustwirbelsäule (BWS) seien frei beweglich gewesen, eine Behandlung der LWS habe zuletzt im Jahr 2003 stattgefunden.

Dr. J. teilte unter dem 12.08.2008 mit, der Kläger habe sich am 10.12.2007 noch einmal vorgestellt. Er habe zur erneuten medikamentösen Therapie der Depression geraten. Zur einer psychiatrischen Vorstellung sei der Kläger leider nicht zu gewinnen gewesen.

Der Beklagte legte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vom 12.11.2008 vor.

Das SG holte von Amts wegen ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 16.03.2009 ein. Dr. P. befragte den Kläger zu seinem Tagesablauf und seinem Werdegang und befragte auch seine begleitende Ehefrau zum Krankheitsbild. Dr. P. kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine anhaltende aggressiv-depressive Entwicklung bei einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, schizoiden Zügen und aggressiven Hemmungen sowie eine Verbitterungsstörung bestehe. Der GdB für diese Erkrankung sei mit 20 einzuschätzen. Eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei sicherlich notwendig, der Kläger finde sich dazu aber nicht bereit. Der Gesamt-GdB betrage 40 unter Berücksichtigung eines GdB von 10 für die Wirbelsäulenbeschwerden, 10 für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks, 30 für die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, 10 für den Bluthochdruck und 10 für die Divertikulose mit Hämorrhoiden. Der GdB von 30 für die Hörstörung mit Tinnitus erscheine ihm recht hoch bemessen, Hörstörungen habe er – unter Tragen der Hörhilfe – nicht registriert. Ohrgeräusche seien bei der aktuellen Untersuchung erst nachträglich angegeben worden.

Der Beklagte bot unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 17.06.2009 vergleichsweise die Feststellung eines GdB von 40 an (Schreiben vom 29.06.2009). Das Angebot lehnte der Kläger unter dem 03.08.2009 ab. Dazu legte er einen Arztbrief des Dr. J. vom 20.07.2009 (mittelschwere depressive Episode, sehr niedrige Compliance, Tinnitus beidseits, Ein- und Durchschlafstörungen) vor.

Das SG holte weiterhin von Amts wegen ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. S. vom 14.09.2009 ein. Dort gab der Kläger Ohrgeräusche an, die ihn aggressiv machten und zu Schlafstörungen führten. Er sei mit zwei Hörgeräten versorgt worden, habe aber das linke zurückgegeben, weil er damit nicht klargekommen sei. Außerdem träten seit 2002 immer wieder Schwindelbeschwerden sowohl in Ruhe als auch bei Bewegungen auf. Der Kläger verstehe bei der Untersuchung Umgangssprache beidseits bei einem Abstand von mehr als acht Metern. Flüstersprache verstehe er bei einem Abstand von einem Meter. Im Sprachaudiogramm betrage der Hörverlust für Zahlen beidseits 20 dB, das Gesamtwortverständnis WS betrage beidseits 250. Der Tinnitus könne bei ca. 3000 Hz lokalisiert werden und mit einem Schalldruckpegel von 10 dB vertäubt werden. Auf jedem Ohr ergebe sich ein prozentualer Hörverlust von 10 %, bei Auswertung nach der Tabelle von Röser von 15 % auf jedem Ohr. Der GdB für den Hörverlust betrage 10. Die Ohrgeräusche gingen mit erheblichen psycho-vegetativen Begleiterscheinungen einher, so dass ein GdB von 20, maximal 30 anzunehmen sei. Bei letzterem sei bereits ein erheblicher Teil der depressiven Symptomatik mitbewertet.

Der Beklagte legte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. R. vom 17.12.2009 vor und widerrief sein Vergleichsangebot mit Schreiben vom 13.01.2010.

Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) holte das SG ein psychiatrisches Gutachten des Dr. S. vom 29.11.2010 ein. Dort gab der Kläger an, schwer depressiv zu sein und aggressiv zu reagieren. Er finde keinen Schlaf. Er habe Schmerzen in verschiedenen Körperregionen. Der Tinnitus mache ihn als Drehschwindel zeitweise verrückt. Dr. S. befragte den Kläger zu seinem Werdegang und zum Tagesablauf und beschrieb seinen psychischen Status in der Untersuchungssituation. Er diagnostizierte eine wiederkehrende depressive Episode gegenwärtig mittelschwer, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Die depressive Störung bedinge einen GdB von 30, die Persönlichkeitsstörung von 70 und die somatoforme Schmerzstörung von 30. Seit Februar 2001 habe sich ein Gesamt-GdB von 60 entwickelt. Unter Berücksichtigung der anderen Diagnosen bestehe ein Gesamt-GdB von 70. Dr. S. legte seinem Gutachten einen Arztbrief der Augenärztin Dr. M. vom 08.11.2005, in dem sie einen Fundus hypertonicus Grad I in beiden Augen feststellte, sowie verschiedene Arztbriefe der behandelnden Ärzte bis 2003 bei.

Mit Schreiben vom 06.04.2011 bot der Beklagte einen Vergleich zur Feststellung eines GdB von 40 ab 06.03.2010 an. Dazu legte er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 24.03.2011 vor. Das Angebot lehnte der Kläger mit Schreiben vom 18.04.2011 ab.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.07.2011 verurteilte das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab 21.12.2006. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Schwerpunkt der Erkrankung des Klägers liege auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule bedingten einen GdB von 10. Der Kläger sei seit 2003 nicht mehr wegen der LWS-Beschwerden in Behandlung gewesen. Die anderen Wirbelsäulenabschnitte seien frei beweglich. Das KTS und das Sulcus-ulnaris-Syndrom seien asymptomatisch und bedingten keinen eigenen GdB. Die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter bedinge einen GdB von 10 wegen der nach den Angaben von Dr. M. vorliegenden Bewegungseinschränkungen und Instabilität mit seltenen Ausrenkungen. Ein eigener GdB für die Schwerhörigkeit sei nicht zu berücksichtigen, weil der Hörverlust auf jedem Ohr je nach Auswertung bei höchsten 15 % liege. Die Tinnitus-Erkrankung sei zusammen mit den übrigen psychischen Beschwerden zu bewerten. Die psychischen Erkrankungen seien mit einem GdB von 40 zu berücksichtigen. Die Beschwerden bedingten eine erhebliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die eher zu einer schweren als zu einer leichten Störung tendierten. Ein schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten liege demgegenüber nicht vor. Der Bluthochdruck bedinge einen GdB von 10. Der Gesamt-GdB liege bei 40.

Mit Bescheid vom 05.08.2011 hat der Beklagte den Gerichtsbescheid ausgeführt.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 29.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 02.08.2011 beim SG eingelegte Berufung des Klägers, zu deren Begründung er sich auf das Gutachten des Dr. S. und die sachverständige Zeugenaussage von Dr. J. stützt.

Es sei kein Indiz für die Schwere einer psychischen Erkrankung, ob der Betroffene diesbezüglich in Behandlung sei. Die Tragik psychischer Erkrankungen resultiere eben aus der Tatsache, dass sich viele Betroffene nicht therapieren ließen und deshalb im Extremfall sogar den Freitod suchten. In solchen Fällen davon zu sprechen, es habe keine schwerwiegende psychische Erkrankung vorgelegen, da keine Therapie durchgeführt worden sei, sei eine Farce. Aufgrund zwischenmenschlicher Probleme habe er die Therapie bei Dr. J. abgebrochen, die medikamentöse Therapie werde vom Hausarzt Dr. B. fortgeführt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.07.2011 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 09.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.11.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 ab 21.12.2006 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung schließt er sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid an.

Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts eine weitere sachverständige Zeugenaussage des Dr. J. vom 11.11.2011 eingeholt, der mitgeteilt hat, der Kläger berichte sehr verworren, es gehe ihm immer noch nicht gut. Konkrete Beschwerden abgesehen von Ohrensausen und lebhaften Träumen seien nicht zu eruieren. Es bestehe eine sehr niedrige Compliance. Eine Änderung gegenüber seiner Stellungnahme vom 12.08.2008 habe sich nicht ergeben.

Der Senat hat weiterhin den Hausarzt Dr. B. befragt. Er hat unter dem 06.12.2011 angegeben, es hätten sich Verschlechterungen auf orthopädischem Fachgebiet im Sinne eines chronisch rezidivierenden Wirbelsäulensyndroms, einer Kniearthrose, einer Achillodynie beidseits und Fußschmerzen bei Knick-Senk-Spreizfuß ergeben. Der arterielle Bluthochdruck sei unter regelmäßiger Medikation gut eingestellt. Ein Prostataadenom werde medikamentös behandelt. Eine Sarkoidose werde augenärztlich behandelt, Befunde lägen ihm nicht vor. Der Tinnitus sei unverändert. Aufgrund des depressiven Syndroms mit Somatisierung sei der Kläger in seinem alltäglichen Leben erheblich eingeschränkt. Ein Psychotherapieplatz sei ihm in Aussicht gestellt worden. Dr. B. hat einen Arztbrief der Urologen S./Dr. N. vom 01.09.2011 (urologisch kein behandlungsbedürftiger Befund, Fortführung der Behandlung mit Tamsulosin) und des Orthopäden Dr. S. vom 07.10.2011 (Osteochondrose des lumbosakralen Übergangs, Retropatellararthrose beidseits, Achillodynie beidseits, Senk-Knick-Spreiz-Fuß mit statischer Insuffizienz) übersandt.

Der Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellung von Dr. G. vom 31.01.2012 vorgelegt.

Der Kläger hat einen Brief des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 02.10.2012 zu den Akten gereicht, der eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert hat. Der Kläger hat mitgeteilt (Schriftsatz vom 18.02.2013), dass er sich im zweiten Quartal 2013 in psychotherapeutische Behandlung bei Dipl.-Psych. E. begeben werde und gebeten, bis zum Beginn der Therapie nicht zu entscheiden und weitere Befunde bei ihr beizuziehen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten, zwei Bände Akten des Sozialgerichts Stuttgart sowie die beim Senat angefallene Akte.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, § 124 Abs. 2 SGG, ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.

Der Senat sieht sich durch die Bitte des Klägers, mit der Entscheidung bis zum Beginn der Psychotherapie zu warten, nicht an einer Entscheidung gehindert, zumal der Kläger im Hinblick auf den allein wegen der Zustimmung der Beteiligten zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung aufgehobenen Termin über das voraussichtliche Datum der Entscheidung des Senats informiert ist. Ein Widerruf der Einverständniserklärung des Klägers war – unabhängig von der Frage, ob ein solcher Widerruf trotz Eingangs der Einverständniserklärung des Beklagten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung überhaupt noch möglich war (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 124 Rn. 3d) - mit dieser Bitte nicht verbunden, denn der Kläger hat ein Zuwarten mit der Entscheidung erbeten und gerade nicht erklärt, dass er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht (mehr) einverstanden sei.

Eine wesentliche Änderung der maßgebenden Sach- oder Rechtslage oder der Verfahrenslage ist mit der Mitteilung, dass der Kläger nunmehr einen Psychotherapieplatz gefunden hat, nicht verbunden. Dem Senat war schon aus verschiedenen Mitteilungen des Klägers und aus der Zeugenaussage des Dr. B. bekannt, dass der Kläger einen Psychotherapieplatz in Aussicht hatte. Die Konkretisierung dieser Aussicht stellt keine wesentliche Änderung der Sachlage dar.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von über 40 zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Grundsätze für die wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ebenso wie die Grundsätze der GdB-Bemessung unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte (AHP) bis zum 31.12.2008 und der versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) ab 01.01.2009 zutreffend dargestellt. Auch die Bemessung des Einzel-GdB für die Beeinträchtigungen durch das Sulcus-ulnaris-Syndrom, das KTS, die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter, die Wirbelsäulenbeschwerden, den Bluthochdruck und die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers hat das SG zutreffend vorgenommen. Der Senat schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen diesen Ausführungen nach eigener Überprüfung an, § 153 Abs. 2 SGG.

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers und die im Berufungsverfahren eingeholten ärztlichen Befunde ist betreffend die Wirbelsäulenbeschwerden ergänzend Folgendes auszuführen: Aus der Zeugenaussage des Dr. B. und dem dazu vorgelegten Arztbrief des Dr. S. vom 07.10.2011 ergibt sich keine wesentliche Änderung der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule. Dr. B. hat insofern angegeben, es komme zu einem chronisch rezidivierenden Wirbelsäulensyndrom. Dr. S. hat eine Osteochondrose des lumbosakralen Überganges diagnostiziert, ohne überhaupt diesbezügliche Beschwerden anzugeben. Diese Befunde entsprechen den bereits im sozialgerichtlichen und im Verwaltungsverfahren von Dr. S. mitgeteilten Befunden und den Angaben des Klägers gegenüber Dr. S. während dessen Untersuchung im März 2011. Auch dort hatte der Kläger wiederkehrende Beschwerden in der unteren Wirbelsäule angegeben, ohne dass Dr. J., Dr. S. oder Dr. S. hierzu wesentliche Bewegungseinschränkungen mitteilen konnten. Auch Dr. B. oder der Kläger selbst haben über die vorliegenden Schmerzen hinaus keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule mitgeteilt, so dass ein höherer GdB als 10 für die Wirbelsäulenbeschwerden nicht berücksichtigt werden kann.

Die von Dr. S. am 07.10.2011 mitgeteilte Retropatellararthrose beider Knie bedingt einen GdB von höchstens 10. Nach Nr. 18.14 Teil B VG bedingt eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks mit einer Einschränkung der Beugefähigkeit auf 90° einseitig einen GdB von 0 bis 10, beidseitig von 10 bis 20. Ausgeprägte Knorpelschäden des Kniegelenks mit anhaltenden Reizerscheinungen bedingen einen GdB von 10 bis 30 ohne Bewegungseinschränkung, von 20 bis 40 mit Bewegungseinschränkungen. Eine Lockerung des Kniebandapparats, der muskulär kompensierbar ist, bedingt einen GdB von 10, bei Gangunsicherheit wird gegebenenfalls ein höherer GdB berücksichtigt. Nach den Befunden von Dr. S. besteht beim Kläger ein belastungsabhängiger Knieschmerz beidseits. Im Röntgenbild sind eine Verminderung des femoropatellaren Abstands und Ausziehungen des Patellarands beidseits sowie eine subchondrale Sklerosierung der Patellagelenkfläche beidseits zu erkennen. Eine Bewegungseinschränkung oder eine Lockerung des Kniebandapparats oder sogar eine Gangunsicherheit haben weder Dr. B. noch Dr. S. festgestellt und der Kläger auch nicht geltend gemacht. Dr. S. und auch Dr. B. sahen insofern – mit Ausnahme der Verordnung von Einlagen und Krankengymnastik – auch keinen therapeutischen Handlungsbedarf. Ein höherer GdB als 10 ist daraus jedenfalls nicht abzuleiten.

Die Einschränkung durch den Senk-Spreiz-Knick-Fuß und die Achillodynie bedingt ebenfalls einen GdB von höchstens 10. Nach Nr. 18.14 Teil B VG bedingt eine Fußdeformität ohne wesentliche statische Auswirkungen einen GdB von 0, bei statischen Auswirkungen je nach Funktionsstörung einen GdB von 10 bzw. 20. Dr. S. hat statische Auswirkungen mitgeteilt, ohne näher zu spezifizieren, welcher Art sie sind. In seiner Anamnese gibt er insofern nur belastungsabhängige Schmerzen in der Achillessehne links an. Auch Dr. B. hat insofern nur Fußschmerzen, aber keine höherwertigen Funktionsstörungen bekundet. Über die Einlagenversorgung und Krankengymnastik hinaus ist eine Therapie nicht notwendig, weder Dr. S. noch Dr. P. konnten bei ihren Untersuchungen Einschränkungen durch die Fußfehlform feststellen. Ein GdB von mehr als 10 ergibt sich daraus nicht.

Die Prostatabeschwerden bedingen nach Nr. 13.5 Teil B VG keinen GdB, denn ein Anhalt für eine Harnabflussbehinderung haben Dr. S. und Dr. N. ausweislich ihres Arztbriefs vom 09.11.2011 nicht feststellen können. Die Funktion beider Nieren ist unauffällig.

Die Beeinträchtigung durch die Divertikulitis und die Hämorrhoiden bedingt nach Nr. 10.2.4 Teil B VG keinen GdB, weil es weder zu einer Blutungsneigung noch zu häufig wiederkehrenden Entzündungen kommt.

Auf augenärztlichem Fachgebiet besteht ebenfalls kein eigener GdB. Dr. B. hat eine Sarkoidose angegeben. Diese Verdachtsdiagnose wurde bereits im Jahr 2000 von der Universitätsaugenklinik T. gestellt (Brief vom 22.03.2000) und die dadurch auftretenden Veränderungen medikamentös behandelt. Schon im Bescheid vom 27.02.2001 konnte insofern keine Behinderung festgestellt werden. Die zwischenzeitlich erhobenen augenärztlichen Befunde waren unauffällig, der Kläger hat auf beiden Augen einen Visus von 1,0 trotz bestehender Narben infolge der im Jahr 2000 aufgetretenen Erkrankung, so dass insofern auch eine wesentliche Änderung nicht feststellbar ist.

Die psychischen Leiden des Klägers bedingen jedenfalls keinen höheren als den vom SG festgestellten GdB von 40. Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen bedingen nach Nr. 3.7 Teil B VG einen GdB von 0 bis 20 bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen. Ein GdB von 30 bis 40 wird bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit z.B. bei ausgeprägteren depressiven, hypochondrischen, asthenischen oder phobischen Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoformen Störungen angenommen. Ein GdB von 50 und mehr wird bei schweren Störungen wie z.B. schweren Zwangskrankheiten mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten angenommen. Der Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass ein GdB von mindestens 30 grundsätzlich nicht angenommen werden kann, wenn der Betroffene keine psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch nimmt. Darauf hat der Berichterstatter den Kläger mit Schreiben vom 12.09.2011 auch hingewiesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen diese Rechtsprechung wegen des beim Kläger vorliegenden speziellen Krankheitsbilds Anlass geben, im konkreten Einzelfall von einem Ausnahmefall nach dieser Rechtsprechung auszugehen. Jedenfalls ist ein GdB von mehr als den vom SG und in der Folge vom Beklagten im Ausführungsbescheid vom 05.08.2011 angenommenen GdB von 40 nicht angemessen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insofern auf die ausführlichen und zutreffenden Gründe des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug und schließt sich ihnen nach eigener Überprüfung an, § 153 Abs. 2 SGG.

Aus der Tatsache, dass der Kläger nunmehr einen Psychotherapieplatz gefunden hat, ergeben sich keine neuen Erkenntnisse. Allein der Beginn einer Psychotherapie führt nicht zu einer Verschlechterung der psychischen Situation des Klägers, denn die Psychotherapie dient als von allen behandelnden und begutachtenden Ärzten für notwendig erachtete Behandlung in erster Linie der Besserung der psychischen Symptomatik des Klägers. Soweit der Kläger um die Beachtung der Befunde seiner (zukünftigen) Psychotherapeutin bittet, sieht der Senat keinen Anlass zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Der psychische Gesundheitszustand ist durch die verschiedenen Zeugenaussagen des Dr. J., den mit dessen Angaben im Wesentlichen übereinstimmenden Arztbrief des Dr. W. vom 02.10.2012, und die beiden Gutachten des Dr. P. und des Dr. S. hinreichend aufgeklärt. Der Kläger trägt daher auch keine wesentliche Änderung vor, eine solche ergibt sich aus dem Auffinden eines Therapieplatzes auch nicht.

Das SG hat auch die Grundsätze zur Gesamt-GdB-Bildung zutreffend dargestellt und vorliegend den Gesamt-GdB zutreffend gebildet. Der Senat schließt sich auch diesen Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen und nach eigener Überprüfung an, § 153 Abs. 2 SGG.

Die im laufenden Berufungsverfahren zusätzlich mitgeteilten Funktionsbeeinträchtigungen an den Knien und den Füßen führen nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Belastungsbedingte Knie- und Fußschmerzen sind bereits in den Teil-GdB-Werten von 10 für Knie und Fuß und im Teil-GdB von 40 für die psychischen Beschwerden ist die von Dr. S. festgestellte somatoforme Schmerzstörung und damit Schmerzen in verschiedenen Körperregionen berücksichtigt. Eine besondere Beeinflussung der psychischen Beschwerden durch die nunmehr festgestellten schmerzhaften organischen Beeinträchtigungen ist nicht erkennbar, so dass die dafür zu berücksichtigenden Einzel-GdB von höchstens 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved