Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 2346/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5325/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.11.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Polyneuropathie als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der am 1954 geborene Kläger war ab August 1969 als Maler, Lackierer und Bodenleger tätig, zunächst im Rahmen der Ausbildung zum Maler und Lackierer bis 1972, anschließend im erlernten Beruf bei der Firma K. und von 2001 bis April 2008 bei der Firma H. und K ... Vom 06.03.2008 bis zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses zum 01.10.2008 bei der Firma S. , wiederum als Maler und Lackierer, war der Kläger infolge einer psychischen Erkrankung durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Im Arztbericht vom 27.01.2005 berichtete Dr. M. , seinerzeit behandelnder Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, und an den der Hausarzt Dr. R. den Kläger wegen Missempfindungen im Bereich der Beine und der Hände und einem Verdacht auf alkoholtoxische Polyneuropathie überwiesen hatte, weder klinisch noch elektromyografisch lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Polyneuropathie nachweisen. Die subjektive Symptomatik könne allerdings als Ausdruck initialer Symptomatik in diese Richtung weisen. Im Arztbericht vom 16.05.2007 teilte er mit, zusammenfassend könne differenzialdiagnostisch von einer sensiblen Polyneuropathie ausgegangen werden, zu deren Ätiologie sei aber keine Aussage möglich. Im Entlassungsbericht der neurologischen Abteilung des V. R. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 13.12. bis 18.12.2007 wurde berichtet, es seien klinisch und elektro¬physiologisch Hinweise auf eine Polyneuropathie als mögliche Ursache der geklagten Sensibilitätsstörungen gegeben. Die Ursache sei allerdings trotz ausführlicher Labordiagnostik unklar geblieben. Der Hausarzt des Klägers, der Internist Dr. R. , zeigte im Januar 2008 bei der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit an. Die bisherige Ursachenabklärung habe eine Polyneuropathie, vermutlich durch Lösungsmittel verursacht, ergeben.
Die Abteilung Prävention der Beklagten erstellte daraufhin zunächst eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Klägers und kam dabei zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass es bei großflächiger Verarbeitung stark organische Lösemittel enthaltender Produkte in Räumen bei ungenügender Belüftung in Abhängigkeit von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu Grenzwertüberschreitungen habe kommen können. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Bl. 69 bis 73 der Verwaltungsakte verwiesen. Weiterhin wurden die Hersteller der vom Kläger im Rahmen seines Berufslebens verarbeiteten Produkte bezüglich der Verwendung von n-Hexan bzw. Methyl-n-Butylketon befragt. Danach kamen, soweit Stellungnahmen der Hersteller vorliegen, die genannten Stoffe schon nicht zum Einsatz bzw. lagen in einer Konzentration von ( 1 % vor ("Pattex"). Bezüglich des Ergebnisses der Befragung im Einzelnen wird auf Bl. 120 bis 131 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Beklagte holte weiterhin ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein (Bl. 100 bis 104 Verwaltungsakte) und veranlasste eine Begutachtung durch Prof. Dr. med. Dipl. Chemiker T. , Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums H ... Prof. Dr. T. stellte in seinem Gutachten vom 17.12.2008 u.a. die Diagnose einer sensiblen Polyneuropathie unklarer Genese (anamnestisch seit 1998 bestehend), die im Verlauf als langsam progredient zu interpretieren sei. Anhand der Arbeitsanamnese könne gefolgert werden, dass der Kläger ab seiner Lehrzeit zahlreiche lösungsmittelhaltige Produkte als Maler und Lackierer verarbeitet habe und deshalb erhöhte Expositionen anzunehmen seien. Dabei seien nur n-Hexan sowie 2-Hexanon grundsätzlich in der Lage, eine Polyneuropathie zu verursachen, wohingegen für die anderen Listenstoffe vorwiegend die Wirkungen auf das zentrale Nervensystem maßgeblich seien. Der Kläger sei in der Vergangenheit wahrscheinlich gegenüber Dämpfen von n-Hexan und 2-Hexanon inhalativ exponiert gewesen; eine gesundheitsgefährdende Belastung mit Überschreitung der zulässigen Luftgrenzwerte sei allerdings eher unwahrscheinlich. Nachdem der Kläger seit März 2008 keinen beruflichen Umgang mit lösungsmittelhaltigen Produkten mehr habe, spreche die mehrmonatige Persistenz bzw. mögliche Progredienz seiner Erkrankung nicht für den typischen Verlauf einer BK 1317. Eine Polyneuropathie im Sinne der BK 1317 sei daher nicht wahrscheinlich zu machen.
Mit Bescheid vom 10.02.2009 stellte die Beklagte daraufhin fest, dass beim Kläger keine BK 1317 sowie keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Grundsätzlich seien nur die Listenstoffe n-Hexan und 2-Hexanon nach meist chronischer und erhöhter Exposition in der Lage, eine Polyneuropathie zu verursachen. Die Ermittlungen des Präventionsdienstes hätten indes ergeben, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit keiner chronischen oder erhöhten Exposition durch die hier interessierenden Lösemittel ausgesetzt gewesen sei. Auch spreche der Krankheitsverlauf gegen eine berufliche Verursachung. Auf den Widerspruch des Klägers hin zog die Beklagte die Sicherheitsdatenblätter der vom Kläger verarbeiteten Stoffe bei (Bl. 193 bis 345 Verwaltungsakte), die aber weder n-Hexan noch 2-Hexanon als Inhaltsstoffe auswiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Kläger hat hiergegen am 20.07.2009 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhoben, mit der er zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer Polyneuropathie als BK nach Nr. 1317 begehrt hat. Das Gutachten des Prof. Dr. T. sei nicht verwertbar, da er offensichtlich nur auf zwei Stoffe geprüft habe, nämlich n-Hexan und 2-Hexanon. Die Behauptung des Gutachters, dass sich eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt nur über wenige Monate verschlechtern könne, langfristig es jedoch nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitgehenden Rückbildung der Symptomatik komme, stehe im Widerspruch zu den Aussagen des Merkblattes zur BK 1317.
Das Sozialgericht hat zunächst den Internisten Dr. R. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dieser hat mitgeteilt, eine schlüssige Ursache für die Polyneuropathie habe nicht gefunden werden können. Es sei hierbei möglicherweise von einer individuellen Empfindlichkeit neben der Exposition auszugehen. Ein Diabetes als Ursache sei aus seiner diabetologischen Sicht sehr unwahrscheinlich. Hinweise für Alkohol als Auslöser hätten sich nach seiner Erinnerung gleichfalls nicht gefunden.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das Sozialgericht ferner eine Begutachtung durch PD Dr. I. , Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, veranlasst. Dr. I. hat in seinem Gutachten vom September 2010 ausgeführt, die Beschreibung der Gesundheitsstörungen durch den Kläger entspreche dem Befund einer Polyneuropathie und sei typisch für eine Gesundheitsschädigung im Sinne einer neurotoxischen sensiblen Polyneuropathie. Unter der Prämisse der anamnestisch angegebenen erheblichen Exposition gegenüber Lösemitteln erfülle diese den Tatbestand der BK 1317. Den schädigenden Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit käme eine überragende Bedeutung zu; andere von der beruflichen Tätigkeit unabhängige Gründe für die Polyneuropathie seien nicht mit überragender Wahrscheinlichkeit ersichtlich. In einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme hat der Sachverständige an dieser Einschätzung festgehalten. Der Kläger sei neben n-Hexan und 2-Hexanon weiteren neurotoxischen Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen (1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethen, Tetrachlorethan), die ebenfalls eine periphere Neuropathie verursachen könnten. Der zeitliche Aspekt sei nicht geeignet, eine entsprechende, beruflich bedingte Ursache für die neurotoxische Erkrankung zu verneinen. Umgekehrt sei der geschilderte Krankheitsverlauf mit der beruflichen Verursachung der toxischen Polyneuropathie vereinbar.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen ein weiteres arbeitsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dr. med. Dipl. Chemiker W. , Arzt für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin, hat in seinem Gutachten vom Dezember 2011 ausgeführt, die klinischen Tests hätten keinen messbaren Ausfall in funktionell wirksamem Ausmaß ergeben. Die berichteten Beschwerden, die deshalb nur im Sinne einer Polyneuropathie im Anfangsstadium gedeutet werden könnten, seien derzeit noch vollständig reversibel. Unter den vorliegenden Möglichkeiten für eine Differenzialdiagnose komme den zurückliegenden Lösemittelbelastungen unter dem verfügbaren Wissen eine schädigende Wirkung als Auslöser zu. Sofern man den Angaben/Typanalysen traue, seien immer nur wenige Volumenprozent an n-Hexan und seinem strukturverwandten Keton-Abbauprodukten im Lösemittelgemisch enthalten gewesen. Mögliche Expositionen gegenüber Trichlorethan bzw. Trichlorethen, Perchlorethylen sowie Dichlormethan (im Abbeizer "Krähe") seien auf die Zeit vor 1990 begrenzt. Im Rahmen einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom Juni 2012 hat der Sachverständige seine Erläuterungen dahingegen präzisiert, dass ein allein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Exposition mit neurotoxischen Lösemitteln und einer Berufskrankheit derzeit abgelehnt werden müsse. In einem vom Kläger vorgelegten Attest des Dr. R. hat dieser erklärt, die Diagnose Polyneuropathie gelte als gesichert. Ein Zusammenhang zwischen Lösungsmittelexposition und der Polyneuropathie mit chronischem Verlauf müsse nach Ausschluss anderer Ursachen durchaus mit zumindest mittlerer Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Mit Urteil vom 22.11.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Gericht habe keine Zweifel, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Maler vor allem in der Vergangenheit Kontakt mit Lösemitteln und deren Gemischen gehabt habe. Es bestehe auch weiterhin kein Zweifel daran, dass der Kläger an einer Polyneuropathie leide. Dies ergebe sich aus dem Bericht der neurologischen Abteilung des V. Rottenmünster. Dagegen sei der Ursachenzusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit nachweisbar. So könne die Höhe der Exposition gegenüber den für die Verursachung einer Polyneuropathie in Frage kommenden Chemikalien nicht abgeschätzt werden, da keine Luftmessungen durchgeführt worden seien. Auch zum Verlauf der Erkrankung würden keine ausreichenden Daten vorliegen, die einen Zusammenhang wahrscheinlich machten. Die berufliche Belastung des Klägers sei in der bis 2000 ausgeübten Tätigkeit nach der Stellungnahme der Präventionsabteilung der Beklagten am höchsten gewesen, da hier überwiegend in Innenräumen gearbeitet worden sei. Die Erkrankung des Klägers sei demgegenüber erst nach 2005 nachweisbar.
Gegen das dem Kläger am 18.12.2012 zugestellte Urteil hat dieser am 20.12.2012 Berufung eingelegt. Gerügt werde, dass im Urteil zum einen im Hinblick auf die Beweisnot des Klägers zu strenge Maßstäbe angelegt würden. Soweit die Beklagte die sich aufdrängenden Reihenuntersuchungen zum Nachweis der Voraussetzungen neurotoxischer Erkrankungen nicht vornehme, könne dies nicht zu Lasten des Klägers gehen. Auch derzeit komme der Kläger an seinen jetzigen Arbeitsplätzen ständig mit toxischen Stoffen in Berührung. Der Kontakt mit Lösemittel könne nicht vermieden werden. Auch sei die Polyneuropathie bei ihm wesentlich fortgeschrittener, als vom Sachverständigen Dr. W. angenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2009 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für richtig. Es liefe den Beweisgrundsätzen in der gesetzlichen Unfallversicherung zuwider, wenn man aus dem Vorliegen einer beruflichen Exposition gegenüber Löse¬mitteln sowie dem Bestehen einer Polyneuropathie allein schlösse, dass zwischen diesen beiden Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Kausalität bestehe. Das bloße Nichtvorliegen konkurrierender Ursachen genüge alleine für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs gleichfalls nicht. Nach aktuellem wissenschaftlich-medizinischem Erkenntnisstand sei die Ursache einer Polyneuropathie häufig nicht aufklärbar.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalt sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Anerkennung einer BK 1317 der Anlage 1 zur BKV. Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidungen. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20).
Allerdings hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 1317 anzuerkennen. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht festzustellen.
BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV auch die durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursachte Polyneuropathie.
Voraussetzung für die Feststellung einer Berufskrankheit ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen im Unfallversicherungsrecht nach ständiger Rechtsprechung die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergeb-nis¬ses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht an¬ge¬sehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann sich der Senat vom Vorliegen einer BK 1317 nicht überzeugen. Beim Kläger liegt eine Polyneuropathie vor. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des V. R. vom Dezember 2007. Auch der Gutachter im Verwaltungsverfahren Professor Dr. T. , der Hausarzt Dr. R. und die beiden im Klageverfahren beauftragten Sachverständigen PD Dr. I. und Dr. W. haben beim Kläger eine Polyneuropathie festgestellt, auch wenn letzterer von einer beginnenden, noch alternierenden Polyneuropathie ausgegangen ist.
Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auch organischen Lösemitteln ausgesetzt. Dies ergibt sich aus den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten sowie den Angaben des Klägers. Danach übte der Kläger sämtliche, für das Berufsbild eines Malers und Lackierers typischen Arbeiten aus, wobei durchweg gängige Produkte verarbeitet wurden. Insbesondere verwendete der Kläger bis etwa 1980 für das Verlegen von Teppichböden oder Kunststoffbelägen ausschließlich lösemittelhaltige Stoffe, vor allem den Kleber Pattex. Nach 1980 verwendete er für großflächige Arbeiten lösemittelfreie Kleber; Pattex wurde nur noch beim Kleben von Kanten eingesetzt. Zum Abbeizen von Decken wurde das Produkt "Krähe" verwendet, welches Dichlormethan enthält. Die weiterhin zur Verwendung gekommenen Mittel gegen Holzwurmbefall, deckende Lacke, Lasuren, Metalllacke, Epoxidharzlacke, Fußbodenfarben, Pinselreiniger und Heizkörperlacke enthielten gleichfalls organische Lösemittel. Dabei übte der Kläger die Tätigkeiten zunächst ganz überwiegend in Innenräumen aus; ab Januar 2001 war der Kläger dann zu gleichen Teilen in Innenräumen und im Außenbereich tätig (vgl. zum Ganzen Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes, Bl. 69 bis 73 Verwaltungsakte und Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. T. ).
Es muss über die stattgehabte Exposition hinaus einerseits gesichert sein, dass die verwendeten Lösungsmittel neurotoxisch waren, und es muss andererseits gesichert sein, dass sie in ausreichend hoher Konzentration eingewirkt haben. Gesicherte neurotoxische Lösungsmittel sind aliphatische Kohlenwasserstoffe: n-Hexan, n-Heptan; Ketone: 2-Butanon (= Methyl¬ethylketon), 2-Hexanon (= Methyl-n-butylketon); Alkohole: Methanol, Ethanol, 2-Methoxy¬ethanol (= Methylglykol); aromatische Kohlenwasserstoffe: Benzol, Toluol, Xylol, Styrol; chlorier¬te aliphatische Kohlenwasserstoffe: Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Tri¬chlor¬ethen, Tetrachlorethen (Merkblatt des Bundesministers für Gesundheit und Sozialordnung zu dieser BK von 2005, BArbBl. 2005, Seite 49). Dabei sind (zumindest) die Listenstoffe n-Hexan sowie 2-Hexanon grundsätzlich in der Lage, eine Poly¬neu¬ro¬¬pathie zu verursachen (Gutachten Prof. Dr. T. ; BK-Report 2/2007 zu BK 1317, herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, S. 126, auf den bereits Prof. Dr. T. Bezug nahm). Die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten bei den Herstellern der vom Kläger im Lauf seines Berufslebens eingesetzten Lösemittel ergab, soweit noch Auskünfte zur Rezeptur der Lösemittel bzw. Sicherheitsdatenblätter zu erhalten waren, dass jedenfalls in jüngerer Vergangenheit diese beiden genannten Listenstoffe entweder generell nicht Rezepturbestandteile waren bzw. im Falle des "Pattex"-Kontaktklebers in einer Konzentration von weniger als einem Prozent zum Einsatz gelangten. Dies deckt sich mit den Beurteilungen im BK-Report, wonach seit Anfang der neunziger Jahre der n-Hexan-Gehalt bei maximal einem Prozent bei Lacken und schnelltrocknenden Klebstoffen sowie bei maximal drei Prozent bei Kontaktklebstoffen im Baubereich liegt (BK-Report a.a.O., S. 74 f.). Die Luftkonzentration von n-Hexan beim Verkleben - also bei Verwendung von Materialien mit dem höchsten Anteil - beträgt nach durchgeführten Messungen 7 mg/m³ bei einem zulässigen Grenzwert von 180 mg/m³ (Gutachten Prof. Dr. T. , Bl. 161 Verwaltungsakte) Eine Gesundheitsgefährdung lässt sich hieraus nicht ableiten. Für 2-Hexanon ergab die Auswertung von 157 Messdaten des BGMG in der Datenbank MEGA im BGIA, dass 98,7 % der 2-Hexanon-Konzentrationsmesswerte im Zeitraum von 1985 bis 2002 unterhalb der analytischen Bestimmungsgrenze der angewandten Verfahren lagen. Die Messungen erfolgten dabei an 55 verschiedenen Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Branchen (BK-Report a.a.O., S. 77). Eine in¬di¬vi¬dualisierte Beurteilung der Ex¬po¬sition des Klägers ist nicht möglich, da keine personenbezogenen Luftmessungen bzw. kein Biomonitoring durchgeführt wurden, um die individuelle Belastung des Klägers zu dokumentieren. Spätestens für die Zeit ab Anfang der neunziger Jahre kann somit auf Grund der Ermittlungen des Präventionsdienstes sowie der Feststellungen im BK-Report nicht mehr von einer relevanten Exposition des Klägers gegenüber n-Hexan sowie 2-Hexanon ausgegangen werden. Damit ist allenfalls für die Vergangenheit (vor 1990) anzunehmen, dass der Kläger gegenüber Dämpfen von n-Hexan sowie 2-Hexanon inhalativ exponiert war (so auch Prof. Dr. T. ). Der Kläger hat gegenüber Prof. Dr. T. angegeben, es sei dabei auch zu pränarkotischen Beschwerden wie Benommenheit oder Schwindelerscheinungen gekommen, was auf eine erhöhte Lösemittelexposition hinweist (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 242).
Der BK-Report und ihm folgend Prof. Dr. T. beschränken die Eignung zur Verursachung von Polyneuropathie auf die oben genannten Stoffe. Auf der Basis der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Neurotoxizität sollen nur n-Hexan sowie 2-Hexanon (=Methyl-n-butylketon) grundsätzlich in der Lage sein, bei chronischer und erhöhter Exposition eine Polyneuropathie zu verursachen (BK-Report a.a.O., S. 126). Den anderen neurotoxischen Stoffen werden danach vorwiegend Wirkungen auf das zentrale Nervensystem zugeschrieben (BK-Report a.a.O; siehe auch Schönberger/Mertens/Valentin a.a.O., S. 239 f.). Soweit man hiervon abweichend auch den chlorierten aliphatischen Kohlenwasserstoffen (Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Trichlor¬ethen, Tetrachlorethen) eine grundsätzliche Eignung zur Hervorrufung einer Polyneuropathie zuerkennen möchte (so PD Dr. I. und wohl auch Dr. W. ), verweist Dr. W. zutreffend darauf, dass auch insoweit mögliche Expositionen auf die Zeit vor 1990 begrenzt sind; in den verfügbaren Sicherheitsdatenblätter tauchen diese Verbindungen - wie Dr. W. dargelegt hat - nicht auf (vgl. hierzu auch die entsprechenden Stoffdossiers im BK-Report a.a.O, S. 64 ff.). Im Falle des Abbeizers "Krähe" wurde das Dichlormethan durch alkalische, gelartige Rezepturen ersetzt; für diesen Stoff geht im Übrigen auch Dr. W. nicht davon aus, dass Zielorgan der neurotoxischen Wirkung das periphere Nervensystem ist. Er zieht vielmehr eine kanzerogene Wirkung in Betracht. Soweit in der Literatur als Zielorgan das zentrale Nervensystem genannt wird (Schönberger/Mertens/Valentin a.a.O., S. 239), folgt hieraus für die hier allein in Rede stehende Polyneuropathie nichts anderes.
Der Senat kann sich daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass der Kläger über den Beginn der neunziger Jahre hinaus einer Exposition neurotoxischer Stoffe ausge-setzt war, die nach Qualität und Quantität geeignet gewesen wäre, eine Polyneuropathie hervorzurufen. Tatsächlich spricht mehr gegen als für eine solche Exposition. Ob der Kläger im davorliegenden Zeitraum einer solchen Exposition ausgesetzt war, kann wiederum dahingestellt bleiben. Denn selbst bei Annahme einer ausreichenden Exposition gegenüber neurotoxischen Stoffen in dieser Zeit scheitert die Feststellung der Polyneuropathie als Berufskrankheit am fehlenden Kausalzusammenhang mit den beruflichen Expositionen.
Für die BK 1317 der Anlage 1 zur BKV gilt nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. Merkblatt des Bundesministers für Gesundheit und Sozialordnung a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 241; BK-Report a.a.O., S. 129 ff.), dass grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn besteht, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Ein längeres Intervall zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn ist toxikologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertzeiten der neurotoxischen Lösemittel zurückzuführen ist. Nur vereinzelt liegen Berichte über Krankheitsverläufe vor, bei denen es zwei bis drei Monate nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu einer Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit gekommen war (s. hierzu ausführlich die Dokumentation im BK-Report, a.a.O., S. 130 bis 137). Im Regelfall aber (vgl. BK-Report, a. a. O., S. 138) kommt es langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Symptomatik, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik. Auch wenn damit nicht auszuschließen ist, dass sich eine toxikologisch verursachte Polyneuropathie nach Ende der Exposition verschlechtert, stellt dies doch nicht den typischen Fall einer derartigen berufsbedingten Erkrankung dar, sondern spricht eher gegen die Annahme einer schadstoffbedingten Ver¬ur¬sachung (Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheiten-Verordnung, Rdnr. 1.2 zu M 1317; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2007, L 6 U 2016/03; Beschluss des erkennenden Senats vom 25.03.2010, L 10 U 4547/10).
Die Diagnose einer Polyneuropathie hat der seinerzeit behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. M. , differentialdiagnostisch erstmalig im Arztbericht vom 16.05.2007 gestellt. Zwar hat der Kläger ausweislich des Entlassungsberichts des V. R. vorgebracht, er sei schon Ende der siebziger Jahre zum ersten Mal wegen eines leichten Kribbelns in den Händen und Füßen beim Arzt gewesen. Gegenüber Professor Dr. T. ließ er sich dahingehend ein, Beschwerden in Form von Kribbeln in den Füßen seien erstmals 1998 aufgetreten. Im Arztbericht vom 27.01.2005 berichtete aber Dr. M. , weder klinisch noch elektromyografisch lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Polyneuropathie nachweisen. Die subjektive Symptomatik könne allerdings als Ausdruck initialer Symptomatik in diese Richtung weisen. Unter Berücksichtigung dessen, dass auch der Sachverständige Dr. W. noch im Dezember 2011 angesichts der von ihm objektivierbaren Befunde von einer erst beginnenden Polyneuropathie ausgegangen ist, kann sich der Senat nicht mit der nötigen Gewissheit von einem Beginn der Erkrankung bereits vor der erstmaligen (Differenzial-)Diagnose durch Dr. M. im Mai 2007 überzeugen. Dies zu Grunde gelegt, liegen zwischen der erstmaligen Diagnose einer Polyneuropathie und den zugunsten des Klägers unterstellten beruflichen Expositionen mit einem möglichen Gefährdungspotential bis Anfang der 1990er-Jahre 17 Jahre, bezogen auf den Befundbericht von Dr. M. aus dem Januar 2005, in welchem er die subjektive Symptomatik als möglichen Ausdruck einer initialen Symptomatik deutet, immerhin 15 Jahre. Ein ursächlicher Zusammenhang lässt sich bei einer derartig langen Karenz ohne belegbare Brückensymptome nicht wahrscheinlich machen.
Ungeachtet dessen ist - worauf Prof. Dr. T. in seinem Gutachten zutreffend hinwies - eine Kausalität auch schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil beim Kläger trotz des Umstandes, dass er auf Grund seiner Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Erkrankung ab 06.03.2008 bis einschließlich September 2008, also knapp sieben Monate, überhaupt keinen organischen Lösemitteln ausgesetzt war, die Polyneuropathie nicht nur persistierte, sondern - nach Angaben des Klägers - sogar eine leichte Verschlechterung eintrat. Dies widerspricht - wie bereits dargestellt - der zentralen Aussage der im BK-Report dargestellten umfangreichen Untersuchungen, wonach eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate (3 bis 4 Monate) eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen kann, es jedoch langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik kommt. Lediglich im Einzelfall können Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer betroffenen Patienten - wozu der Kläger nicht zählt - auch dauerhaft persistieren (BK-Report a.a.O., S. 136 ff.).
Soweit PD Dr. I. wie auch der behandelnde Hausarzt Dr. R. einen hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang allein aus dem Umstand folgern, dass für die Polyneuropathie keine andere Ursache wie bspw. Alkoholkonsum oder Diabetes gesichert ist, begründet dies nicht die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Polyneuropathie. Insoweit ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und Gesundheitsstörung positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 zum Arbeitsunfall). Insbesondere gibt es keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem - hier, wie ausgeführt, aber schon nicht vorliegenden - rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG a.a.O.). Auch im Berufskrankheitenrecht gilt, dass es keinen Automatismus zur Bejahung des Ursachenzusammenhangs alleine auf Grund des Vorliegens entsprechender Einwirkungen und einer von der BK erfassten bzw. generell durch solche Einwirkungen hervorrufbaren Erkrankung gibt (BSG, Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 7/05 R).
Auch § 9 Abs. 3 SGB VII führt insoweit entgegen der Auffassung des Klägers nicht weiter. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass eine in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführte und beim Versicherten vorliegende Krankheit infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist, wenn Versicherte infolge der besonderen Belastungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer solchen BK ausgesetzt waren und keine Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit festgestellt werden können. Es kann aber - wie dargestellt - gerade nicht festgestellt werden, dass der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der erstmaligen Stellung der Diagnose einer Polyneuropathie noch gefährdenden Expositionen i.S. der BK 1317 ausgesetzt war. Damit ist § 9 Abs. 3 SGB VII im Fall des Klägers nicht anwendbar.
Hinzu kommt, dass Dr. R. ursprünglich, im Jahre 2005, selbst einen Alkoholkonsum des Klägers als Ursache der Beschwerden zur Diskussion stellte (s. Befundbericht von Dr. M. vom Januar 2005, Bl. 32 SG-Akte). Wenn er nun einen vom Kläger gegenüber Dr. M. damals, wenn auch in geringem Umfang eingeräumten Alkoholkonsum als Ursache nicht gesichert sieht, gilt zumindest Gleiches für die beruflichen Expositionen. Darüber hinaus verweist Prof. Dr. T. in seinem Gutachten darauf, dass nach vermehrtem Alkoholkonsum und Diabetes mellitus als Hauptursachen für Polyneuropathien bereits an dR. Stelle die Polyneuropathie unklarer Genese steht (ca. 17 % aller Fälle). Dementsprechend ging auch Dr. M. bzw. der Entlassungsbericht des V. R. von einer unklaren Polyneuropathie aus.
Soweit Dr. W. in seinem Gutachten der zurückliegenden Lösemittelbelastung eine schädigende Wirkung als Auslöser zugeschrieben hat, gilt Gleiches. Auch er hat bei diesen Ausführungen lediglich aus den Einwirkungen auf die Ursache geschlossen, ohne im Einzelnen auf die zum Zeitpunkt der Erstdiagnose nicht nachzuweisende hinreichende Exposition einzugehen. Er hat damit - hierauf deutet auch die Eingangsformulierung seines Satzes hin ("unter den Möglichkeiten ...") - lediglich eine mögliche lösemitteltoxische Ursache beschrieben. Dies genügt indessen nicht für die Annahme der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit. In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Dr. W. , nachdem ihn das Sozialgericht über die Beweisgrundsätze, insbesondere den erforderlichen Nachweis einer Lösemittelexposition informiert hat, seine Beurteilung dahingehend klargestellt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und der Polyneuropathie nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht bejaht werden kann.
Bei Unaufklärbarkeit eines Umstands fallen indes die Folgen der objektiven Beweislosigkeit demjenigen, der eine ihm günstige Rechtsfolge geltend macht, zur Last, wobei es keinen Unterschied begründet, ob die Unmöglichkeit des Nachweises in den besonderen Umständen des Einzelfalls oder in der generellen Eigenart des Leidens wurzelt; in beiden Fällen muss der Beweisfällige eine Ablehnung seines Begehrens hinnehmen, obwohl nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der geltend gemachte Anspruch in Wahrheit begründet ist (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 25/03 R, juris m.w.N., auch zum Nachfolgenden). Für die Annahme eines Beweisnotstands und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen ist hier kein Raum. Zwar können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen; das bedeutet, dass der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon auf Grund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein können. Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit anerkannt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würden dagegen dem in § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG a.a.O.). Für den Nachweis der Kausalität gilt, wie wiederholt ausgeführt, mit dem Erfordernis hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits ein abgeschwächter Maßstab, der den - auch hier auftretenden - typischen Nachweisproblemen Rechnung trägt. Anlass für eine darüber hinaus gehende Beweiserleichterung bietet der Fall nicht. Da der Kläger sich auf das Vorliegen des für den von ihm geltend gemachten Anspruch erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen Exposition und Erkrankung beruft, muss er die Folgen der objektiven Beweislosigkeit tragen.
Im Ergebnis schließt sich der Senat somit der Beurteilung von Prof. Dr. T. und Dr. W. an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Polyneuropathie als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der am 1954 geborene Kläger war ab August 1969 als Maler, Lackierer und Bodenleger tätig, zunächst im Rahmen der Ausbildung zum Maler und Lackierer bis 1972, anschließend im erlernten Beruf bei der Firma K. und von 2001 bis April 2008 bei der Firma H. und K ... Vom 06.03.2008 bis zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses zum 01.10.2008 bei der Firma S. , wiederum als Maler und Lackierer, war der Kläger infolge einer psychischen Erkrankung durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Im Arztbericht vom 27.01.2005 berichtete Dr. M. , seinerzeit behandelnder Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, und an den der Hausarzt Dr. R. den Kläger wegen Missempfindungen im Bereich der Beine und der Hände und einem Verdacht auf alkoholtoxische Polyneuropathie überwiesen hatte, weder klinisch noch elektromyografisch lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Polyneuropathie nachweisen. Die subjektive Symptomatik könne allerdings als Ausdruck initialer Symptomatik in diese Richtung weisen. Im Arztbericht vom 16.05.2007 teilte er mit, zusammenfassend könne differenzialdiagnostisch von einer sensiblen Polyneuropathie ausgegangen werden, zu deren Ätiologie sei aber keine Aussage möglich. Im Entlassungsbericht der neurologischen Abteilung des V. R. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 13.12. bis 18.12.2007 wurde berichtet, es seien klinisch und elektro¬physiologisch Hinweise auf eine Polyneuropathie als mögliche Ursache der geklagten Sensibilitätsstörungen gegeben. Die Ursache sei allerdings trotz ausführlicher Labordiagnostik unklar geblieben. Der Hausarzt des Klägers, der Internist Dr. R. , zeigte im Januar 2008 bei der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit an. Die bisherige Ursachenabklärung habe eine Polyneuropathie, vermutlich durch Lösungsmittel verursacht, ergeben.
Die Abteilung Prävention der Beklagten erstellte daraufhin zunächst eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Klägers und kam dabei zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass es bei großflächiger Verarbeitung stark organische Lösemittel enthaltender Produkte in Räumen bei ungenügender Belüftung in Abhängigkeit von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu Grenzwertüberschreitungen habe kommen können. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Bl. 69 bis 73 der Verwaltungsakte verwiesen. Weiterhin wurden die Hersteller der vom Kläger im Rahmen seines Berufslebens verarbeiteten Produkte bezüglich der Verwendung von n-Hexan bzw. Methyl-n-Butylketon befragt. Danach kamen, soweit Stellungnahmen der Hersteller vorliegen, die genannten Stoffe schon nicht zum Einsatz bzw. lagen in einer Konzentration von ( 1 % vor ("Pattex"). Bezüglich des Ergebnisses der Befragung im Einzelnen wird auf Bl. 120 bis 131 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Beklagte holte weiterhin ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein (Bl. 100 bis 104 Verwaltungsakte) und veranlasste eine Begutachtung durch Prof. Dr. med. Dipl. Chemiker T. , Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums H ... Prof. Dr. T. stellte in seinem Gutachten vom 17.12.2008 u.a. die Diagnose einer sensiblen Polyneuropathie unklarer Genese (anamnestisch seit 1998 bestehend), die im Verlauf als langsam progredient zu interpretieren sei. Anhand der Arbeitsanamnese könne gefolgert werden, dass der Kläger ab seiner Lehrzeit zahlreiche lösungsmittelhaltige Produkte als Maler und Lackierer verarbeitet habe und deshalb erhöhte Expositionen anzunehmen seien. Dabei seien nur n-Hexan sowie 2-Hexanon grundsätzlich in der Lage, eine Polyneuropathie zu verursachen, wohingegen für die anderen Listenstoffe vorwiegend die Wirkungen auf das zentrale Nervensystem maßgeblich seien. Der Kläger sei in der Vergangenheit wahrscheinlich gegenüber Dämpfen von n-Hexan und 2-Hexanon inhalativ exponiert gewesen; eine gesundheitsgefährdende Belastung mit Überschreitung der zulässigen Luftgrenzwerte sei allerdings eher unwahrscheinlich. Nachdem der Kläger seit März 2008 keinen beruflichen Umgang mit lösungsmittelhaltigen Produkten mehr habe, spreche die mehrmonatige Persistenz bzw. mögliche Progredienz seiner Erkrankung nicht für den typischen Verlauf einer BK 1317. Eine Polyneuropathie im Sinne der BK 1317 sei daher nicht wahrscheinlich zu machen.
Mit Bescheid vom 10.02.2009 stellte die Beklagte daraufhin fest, dass beim Kläger keine BK 1317 sowie keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Grundsätzlich seien nur die Listenstoffe n-Hexan und 2-Hexanon nach meist chronischer und erhöhter Exposition in der Lage, eine Polyneuropathie zu verursachen. Die Ermittlungen des Präventionsdienstes hätten indes ergeben, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit keiner chronischen oder erhöhten Exposition durch die hier interessierenden Lösemittel ausgesetzt gewesen sei. Auch spreche der Krankheitsverlauf gegen eine berufliche Verursachung. Auf den Widerspruch des Klägers hin zog die Beklagte die Sicherheitsdatenblätter der vom Kläger verarbeiteten Stoffe bei (Bl. 193 bis 345 Verwaltungsakte), die aber weder n-Hexan noch 2-Hexanon als Inhaltsstoffe auswiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Kläger hat hiergegen am 20.07.2009 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhoben, mit der er zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer Polyneuropathie als BK nach Nr. 1317 begehrt hat. Das Gutachten des Prof. Dr. T. sei nicht verwertbar, da er offensichtlich nur auf zwei Stoffe geprüft habe, nämlich n-Hexan und 2-Hexanon. Die Behauptung des Gutachters, dass sich eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt nur über wenige Monate verschlechtern könne, langfristig es jedoch nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitgehenden Rückbildung der Symptomatik komme, stehe im Widerspruch zu den Aussagen des Merkblattes zur BK 1317.
Das Sozialgericht hat zunächst den Internisten Dr. R. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dieser hat mitgeteilt, eine schlüssige Ursache für die Polyneuropathie habe nicht gefunden werden können. Es sei hierbei möglicherweise von einer individuellen Empfindlichkeit neben der Exposition auszugehen. Ein Diabetes als Ursache sei aus seiner diabetologischen Sicht sehr unwahrscheinlich. Hinweise für Alkohol als Auslöser hätten sich nach seiner Erinnerung gleichfalls nicht gefunden.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das Sozialgericht ferner eine Begutachtung durch PD Dr. I. , Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, veranlasst. Dr. I. hat in seinem Gutachten vom September 2010 ausgeführt, die Beschreibung der Gesundheitsstörungen durch den Kläger entspreche dem Befund einer Polyneuropathie und sei typisch für eine Gesundheitsschädigung im Sinne einer neurotoxischen sensiblen Polyneuropathie. Unter der Prämisse der anamnestisch angegebenen erheblichen Exposition gegenüber Lösemitteln erfülle diese den Tatbestand der BK 1317. Den schädigenden Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit käme eine überragende Bedeutung zu; andere von der beruflichen Tätigkeit unabhängige Gründe für die Polyneuropathie seien nicht mit überragender Wahrscheinlichkeit ersichtlich. In einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme hat der Sachverständige an dieser Einschätzung festgehalten. Der Kläger sei neben n-Hexan und 2-Hexanon weiteren neurotoxischen Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen (1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethen, Tetrachlorethan), die ebenfalls eine periphere Neuropathie verursachen könnten. Der zeitliche Aspekt sei nicht geeignet, eine entsprechende, beruflich bedingte Ursache für die neurotoxische Erkrankung zu verneinen. Umgekehrt sei der geschilderte Krankheitsverlauf mit der beruflichen Verursachung der toxischen Polyneuropathie vereinbar.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen ein weiteres arbeitsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dr. med. Dipl. Chemiker W. , Arzt für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin, hat in seinem Gutachten vom Dezember 2011 ausgeführt, die klinischen Tests hätten keinen messbaren Ausfall in funktionell wirksamem Ausmaß ergeben. Die berichteten Beschwerden, die deshalb nur im Sinne einer Polyneuropathie im Anfangsstadium gedeutet werden könnten, seien derzeit noch vollständig reversibel. Unter den vorliegenden Möglichkeiten für eine Differenzialdiagnose komme den zurückliegenden Lösemittelbelastungen unter dem verfügbaren Wissen eine schädigende Wirkung als Auslöser zu. Sofern man den Angaben/Typanalysen traue, seien immer nur wenige Volumenprozent an n-Hexan und seinem strukturverwandten Keton-Abbauprodukten im Lösemittelgemisch enthalten gewesen. Mögliche Expositionen gegenüber Trichlorethan bzw. Trichlorethen, Perchlorethylen sowie Dichlormethan (im Abbeizer "Krähe") seien auf die Zeit vor 1990 begrenzt. Im Rahmen einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom Juni 2012 hat der Sachverständige seine Erläuterungen dahingegen präzisiert, dass ein allein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Exposition mit neurotoxischen Lösemitteln und einer Berufskrankheit derzeit abgelehnt werden müsse. In einem vom Kläger vorgelegten Attest des Dr. R. hat dieser erklärt, die Diagnose Polyneuropathie gelte als gesichert. Ein Zusammenhang zwischen Lösungsmittelexposition und der Polyneuropathie mit chronischem Verlauf müsse nach Ausschluss anderer Ursachen durchaus mit zumindest mittlerer Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Mit Urteil vom 22.11.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Gericht habe keine Zweifel, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Maler vor allem in der Vergangenheit Kontakt mit Lösemitteln und deren Gemischen gehabt habe. Es bestehe auch weiterhin kein Zweifel daran, dass der Kläger an einer Polyneuropathie leide. Dies ergebe sich aus dem Bericht der neurologischen Abteilung des V. Rottenmünster. Dagegen sei der Ursachenzusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit nachweisbar. So könne die Höhe der Exposition gegenüber den für die Verursachung einer Polyneuropathie in Frage kommenden Chemikalien nicht abgeschätzt werden, da keine Luftmessungen durchgeführt worden seien. Auch zum Verlauf der Erkrankung würden keine ausreichenden Daten vorliegen, die einen Zusammenhang wahrscheinlich machten. Die berufliche Belastung des Klägers sei in der bis 2000 ausgeübten Tätigkeit nach der Stellungnahme der Präventionsabteilung der Beklagten am höchsten gewesen, da hier überwiegend in Innenräumen gearbeitet worden sei. Die Erkrankung des Klägers sei demgegenüber erst nach 2005 nachweisbar.
Gegen das dem Kläger am 18.12.2012 zugestellte Urteil hat dieser am 20.12.2012 Berufung eingelegt. Gerügt werde, dass im Urteil zum einen im Hinblick auf die Beweisnot des Klägers zu strenge Maßstäbe angelegt würden. Soweit die Beklagte die sich aufdrängenden Reihenuntersuchungen zum Nachweis der Voraussetzungen neurotoxischer Erkrankungen nicht vornehme, könne dies nicht zu Lasten des Klägers gehen. Auch derzeit komme der Kläger an seinen jetzigen Arbeitsplätzen ständig mit toxischen Stoffen in Berührung. Der Kontakt mit Lösemittel könne nicht vermieden werden. Auch sei die Polyneuropathie bei ihm wesentlich fortgeschrittener, als vom Sachverständigen Dr. W. angenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2009 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung für richtig. Es liefe den Beweisgrundsätzen in der gesetzlichen Unfallversicherung zuwider, wenn man aus dem Vorliegen einer beruflichen Exposition gegenüber Löse¬mitteln sowie dem Bestehen einer Polyneuropathie allein schlösse, dass zwischen diesen beiden Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Kausalität bestehe. Das bloße Nichtvorliegen konkurrierender Ursachen genüge alleine für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs gleichfalls nicht. Nach aktuellem wissenschaftlich-medizinischem Erkenntnisstand sei die Ursache einer Polyneuropathie häufig nicht aufklärbar.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalt sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Anerkennung einer BK 1317 der Anlage 1 zur BKV. Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidungen. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20).
Allerdings hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 1317 anzuerkennen. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht festzustellen.
BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV auch die durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursachte Polyneuropathie.
Voraussetzung für die Feststellung einer Berufskrankheit ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen im Unfallversicherungsrecht nach ständiger Rechtsprechung die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergeb-nis¬ses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht an¬ge¬sehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann sich der Senat vom Vorliegen einer BK 1317 nicht überzeugen. Beim Kläger liegt eine Polyneuropathie vor. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des V. R. vom Dezember 2007. Auch der Gutachter im Verwaltungsverfahren Professor Dr. T. , der Hausarzt Dr. R. und die beiden im Klageverfahren beauftragten Sachverständigen PD Dr. I. und Dr. W. haben beim Kläger eine Polyneuropathie festgestellt, auch wenn letzterer von einer beginnenden, noch alternierenden Polyneuropathie ausgegangen ist.
Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auch organischen Lösemitteln ausgesetzt. Dies ergibt sich aus den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten sowie den Angaben des Klägers. Danach übte der Kläger sämtliche, für das Berufsbild eines Malers und Lackierers typischen Arbeiten aus, wobei durchweg gängige Produkte verarbeitet wurden. Insbesondere verwendete der Kläger bis etwa 1980 für das Verlegen von Teppichböden oder Kunststoffbelägen ausschließlich lösemittelhaltige Stoffe, vor allem den Kleber Pattex. Nach 1980 verwendete er für großflächige Arbeiten lösemittelfreie Kleber; Pattex wurde nur noch beim Kleben von Kanten eingesetzt. Zum Abbeizen von Decken wurde das Produkt "Krähe" verwendet, welches Dichlormethan enthält. Die weiterhin zur Verwendung gekommenen Mittel gegen Holzwurmbefall, deckende Lacke, Lasuren, Metalllacke, Epoxidharzlacke, Fußbodenfarben, Pinselreiniger und Heizkörperlacke enthielten gleichfalls organische Lösemittel. Dabei übte der Kläger die Tätigkeiten zunächst ganz überwiegend in Innenräumen aus; ab Januar 2001 war der Kläger dann zu gleichen Teilen in Innenräumen und im Außenbereich tätig (vgl. zum Ganzen Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes, Bl. 69 bis 73 Verwaltungsakte und Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. T. ).
Es muss über die stattgehabte Exposition hinaus einerseits gesichert sein, dass die verwendeten Lösungsmittel neurotoxisch waren, und es muss andererseits gesichert sein, dass sie in ausreichend hoher Konzentration eingewirkt haben. Gesicherte neurotoxische Lösungsmittel sind aliphatische Kohlenwasserstoffe: n-Hexan, n-Heptan; Ketone: 2-Butanon (= Methyl¬ethylketon), 2-Hexanon (= Methyl-n-butylketon); Alkohole: Methanol, Ethanol, 2-Methoxy¬ethanol (= Methylglykol); aromatische Kohlenwasserstoffe: Benzol, Toluol, Xylol, Styrol; chlorier¬te aliphatische Kohlenwasserstoffe: Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Tri¬chlor¬ethen, Tetrachlorethen (Merkblatt des Bundesministers für Gesundheit und Sozialordnung zu dieser BK von 2005, BArbBl. 2005, Seite 49). Dabei sind (zumindest) die Listenstoffe n-Hexan sowie 2-Hexanon grundsätzlich in der Lage, eine Poly¬neu¬ro¬¬pathie zu verursachen (Gutachten Prof. Dr. T. ; BK-Report 2/2007 zu BK 1317, herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, S. 126, auf den bereits Prof. Dr. T. Bezug nahm). Die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten bei den Herstellern der vom Kläger im Lauf seines Berufslebens eingesetzten Lösemittel ergab, soweit noch Auskünfte zur Rezeptur der Lösemittel bzw. Sicherheitsdatenblätter zu erhalten waren, dass jedenfalls in jüngerer Vergangenheit diese beiden genannten Listenstoffe entweder generell nicht Rezepturbestandteile waren bzw. im Falle des "Pattex"-Kontaktklebers in einer Konzentration von weniger als einem Prozent zum Einsatz gelangten. Dies deckt sich mit den Beurteilungen im BK-Report, wonach seit Anfang der neunziger Jahre der n-Hexan-Gehalt bei maximal einem Prozent bei Lacken und schnelltrocknenden Klebstoffen sowie bei maximal drei Prozent bei Kontaktklebstoffen im Baubereich liegt (BK-Report a.a.O., S. 74 f.). Die Luftkonzentration von n-Hexan beim Verkleben - also bei Verwendung von Materialien mit dem höchsten Anteil - beträgt nach durchgeführten Messungen 7 mg/m³ bei einem zulässigen Grenzwert von 180 mg/m³ (Gutachten Prof. Dr. T. , Bl. 161 Verwaltungsakte) Eine Gesundheitsgefährdung lässt sich hieraus nicht ableiten. Für 2-Hexanon ergab die Auswertung von 157 Messdaten des BGMG in der Datenbank MEGA im BGIA, dass 98,7 % der 2-Hexanon-Konzentrationsmesswerte im Zeitraum von 1985 bis 2002 unterhalb der analytischen Bestimmungsgrenze der angewandten Verfahren lagen. Die Messungen erfolgten dabei an 55 verschiedenen Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Branchen (BK-Report a.a.O., S. 77). Eine in¬di¬vi¬dualisierte Beurteilung der Ex¬po¬sition des Klägers ist nicht möglich, da keine personenbezogenen Luftmessungen bzw. kein Biomonitoring durchgeführt wurden, um die individuelle Belastung des Klägers zu dokumentieren. Spätestens für die Zeit ab Anfang der neunziger Jahre kann somit auf Grund der Ermittlungen des Präventionsdienstes sowie der Feststellungen im BK-Report nicht mehr von einer relevanten Exposition des Klägers gegenüber n-Hexan sowie 2-Hexanon ausgegangen werden. Damit ist allenfalls für die Vergangenheit (vor 1990) anzunehmen, dass der Kläger gegenüber Dämpfen von n-Hexan sowie 2-Hexanon inhalativ exponiert war (so auch Prof. Dr. T. ). Der Kläger hat gegenüber Prof. Dr. T. angegeben, es sei dabei auch zu pränarkotischen Beschwerden wie Benommenheit oder Schwindelerscheinungen gekommen, was auf eine erhöhte Lösemittelexposition hinweist (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 242).
Der BK-Report und ihm folgend Prof. Dr. T. beschränken die Eignung zur Verursachung von Polyneuropathie auf die oben genannten Stoffe. Auf der Basis der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Neurotoxizität sollen nur n-Hexan sowie 2-Hexanon (=Methyl-n-butylketon) grundsätzlich in der Lage sein, bei chronischer und erhöhter Exposition eine Polyneuropathie zu verursachen (BK-Report a.a.O., S. 126). Den anderen neurotoxischen Stoffen werden danach vorwiegend Wirkungen auf das zentrale Nervensystem zugeschrieben (BK-Report a.a.O; siehe auch Schönberger/Mertens/Valentin a.a.O., S. 239 f.). Soweit man hiervon abweichend auch den chlorierten aliphatischen Kohlenwasserstoffen (Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Trichlor¬ethen, Tetrachlorethen) eine grundsätzliche Eignung zur Hervorrufung einer Polyneuropathie zuerkennen möchte (so PD Dr. I. und wohl auch Dr. W. ), verweist Dr. W. zutreffend darauf, dass auch insoweit mögliche Expositionen auf die Zeit vor 1990 begrenzt sind; in den verfügbaren Sicherheitsdatenblätter tauchen diese Verbindungen - wie Dr. W. dargelegt hat - nicht auf (vgl. hierzu auch die entsprechenden Stoffdossiers im BK-Report a.a.O, S. 64 ff.). Im Falle des Abbeizers "Krähe" wurde das Dichlormethan durch alkalische, gelartige Rezepturen ersetzt; für diesen Stoff geht im Übrigen auch Dr. W. nicht davon aus, dass Zielorgan der neurotoxischen Wirkung das periphere Nervensystem ist. Er zieht vielmehr eine kanzerogene Wirkung in Betracht. Soweit in der Literatur als Zielorgan das zentrale Nervensystem genannt wird (Schönberger/Mertens/Valentin a.a.O., S. 239), folgt hieraus für die hier allein in Rede stehende Polyneuropathie nichts anderes.
Der Senat kann sich daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass der Kläger über den Beginn der neunziger Jahre hinaus einer Exposition neurotoxischer Stoffe ausge-setzt war, die nach Qualität und Quantität geeignet gewesen wäre, eine Polyneuropathie hervorzurufen. Tatsächlich spricht mehr gegen als für eine solche Exposition. Ob der Kläger im davorliegenden Zeitraum einer solchen Exposition ausgesetzt war, kann wiederum dahingestellt bleiben. Denn selbst bei Annahme einer ausreichenden Exposition gegenüber neurotoxischen Stoffen in dieser Zeit scheitert die Feststellung der Polyneuropathie als Berufskrankheit am fehlenden Kausalzusammenhang mit den beruflichen Expositionen.
Für die BK 1317 der Anlage 1 zur BKV gilt nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. Merkblatt des Bundesministers für Gesundheit und Sozialordnung a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 241; BK-Report a.a.O., S. 129 ff.), dass grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn besteht, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Ein längeres Intervall zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn ist toxikologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertzeiten der neurotoxischen Lösemittel zurückzuführen ist. Nur vereinzelt liegen Berichte über Krankheitsverläufe vor, bei denen es zwei bis drei Monate nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu einer Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit gekommen war (s. hierzu ausführlich die Dokumentation im BK-Report, a.a.O., S. 130 bis 137). Im Regelfall aber (vgl. BK-Report, a. a. O., S. 138) kommt es langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Symptomatik, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik. Auch wenn damit nicht auszuschließen ist, dass sich eine toxikologisch verursachte Polyneuropathie nach Ende der Exposition verschlechtert, stellt dies doch nicht den typischen Fall einer derartigen berufsbedingten Erkrankung dar, sondern spricht eher gegen die Annahme einer schadstoffbedingten Ver¬ur¬sachung (Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheiten-Verordnung, Rdnr. 1.2 zu M 1317; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2007, L 6 U 2016/03; Beschluss des erkennenden Senats vom 25.03.2010, L 10 U 4547/10).
Die Diagnose einer Polyneuropathie hat der seinerzeit behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. M. , differentialdiagnostisch erstmalig im Arztbericht vom 16.05.2007 gestellt. Zwar hat der Kläger ausweislich des Entlassungsberichts des V. R. vorgebracht, er sei schon Ende der siebziger Jahre zum ersten Mal wegen eines leichten Kribbelns in den Händen und Füßen beim Arzt gewesen. Gegenüber Professor Dr. T. ließ er sich dahingehend ein, Beschwerden in Form von Kribbeln in den Füßen seien erstmals 1998 aufgetreten. Im Arztbericht vom 27.01.2005 berichtete aber Dr. M. , weder klinisch noch elektromyografisch lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Polyneuropathie nachweisen. Die subjektive Symptomatik könne allerdings als Ausdruck initialer Symptomatik in diese Richtung weisen. Unter Berücksichtigung dessen, dass auch der Sachverständige Dr. W. noch im Dezember 2011 angesichts der von ihm objektivierbaren Befunde von einer erst beginnenden Polyneuropathie ausgegangen ist, kann sich der Senat nicht mit der nötigen Gewissheit von einem Beginn der Erkrankung bereits vor der erstmaligen (Differenzial-)Diagnose durch Dr. M. im Mai 2007 überzeugen. Dies zu Grunde gelegt, liegen zwischen der erstmaligen Diagnose einer Polyneuropathie und den zugunsten des Klägers unterstellten beruflichen Expositionen mit einem möglichen Gefährdungspotential bis Anfang der 1990er-Jahre 17 Jahre, bezogen auf den Befundbericht von Dr. M. aus dem Januar 2005, in welchem er die subjektive Symptomatik als möglichen Ausdruck einer initialen Symptomatik deutet, immerhin 15 Jahre. Ein ursächlicher Zusammenhang lässt sich bei einer derartig langen Karenz ohne belegbare Brückensymptome nicht wahrscheinlich machen.
Ungeachtet dessen ist - worauf Prof. Dr. T. in seinem Gutachten zutreffend hinwies - eine Kausalität auch schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil beim Kläger trotz des Umstandes, dass er auf Grund seiner Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Erkrankung ab 06.03.2008 bis einschließlich September 2008, also knapp sieben Monate, überhaupt keinen organischen Lösemitteln ausgesetzt war, die Polyneuropathie nicht nur persistierte, sondern - nach Angaben des Klägers - sogar eine leichte Verschlechterung eintrat. Dies widerspricht - wie bereits dargestellt - der zentralen Aussage der im BK-Report dargestellten umfangreichen Untersuchungen, wonach eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate (3 bis 4 Monate) eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen kann, es jedoch langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik kommt. Lediglich im Einzelfall können Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer betroffenen Patienten - wozu der Kläger nicht zählt - auch dauerhaft persistieren (BK-Report a.a.O., S. 136 ff.).
Soweit PD Dr. I. wie auch der behandelnde Hausarzt Dr. R. einen hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang allein aus dem Umstand folgern, dass für die Polyneuropathie keine andere Ursache wie bspw. Alkoholkonsum oder Diabetes gesichert ist, begründet dies nicht die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Polyneuropathie. Insoweit ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und Gesundheitsstörung positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 zum Arbeitsunfall). Insbesondere gibt es keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem - hier, wie ausgeführt, aber schon nicht vorliegenden - rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG a.a.O.). Auch im Berufskrankheitenrecht gilt, dass es keinen Automatismus zur Bejahung des Ursachenzusammenhangs alleine auf Grund des Vorliegens entsprechender Einwirkungen und einer von der BK erfassten bzw. generell durch solche Einwirkungen hervorrufbaren Erkrankung gibt (BSG, Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 7/05 R).
Auch § 9 Abs. 3 SGB VII führt insoweit entgegen der Auffassung des Klägers nicht weiter. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass eine in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführte und beim Versicherten vorliegende Krankheit infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist, wenn Versicherte infolge der besonderen Belastungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer solchen BK ausgesetzt waren und keine Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit festgestellt werden können. Es kann aber - wie dargestellt - gerade nicht festgestellt werden, dass der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der erstmaligen Stellung der Diagnose einer Polyneuropathie noch gefährdenden Expositionen i.S. der BK 1317 ausgesetzt war. Damit ist § 9 Abs. 3 SGB VII im Fall des Klägers nicht anwendbar.
Hinzu kommt, dass Dr. R. ursprünglich, im Jahre 2005, selbst einen Alkoholkonsum des Klägers als Ursache der Beschwerden zur Diskussion stellte (s. Befundbericht von Dr. M. vom Januar 2005, Bl. 32 SG-Akte). Wenn er nun einen vom Kläger gegenüber Dr. M. damals, wenn auch in geringem Umfang eingeräumten Alkoholkonsum als Ursache nicht gesichert sieht, gilt zumindest Gleiches für die beruflichen Expositionen. Darüber hinaus verweist Prof. Dr. T. in seinem Gutachten darauf, dass nach vermehrtem Alkoholkonsum und Diabetes mellitus als Hauptursachen für Polyneuropathien bereits an dR. Stelle die Polyneuropathie unklarer Genese steht (ca. 17 % aller Fälle). Dementsprechend ging auch Dr. M. bzw. der Entlassungsbericht des V. R. von einer unklaren Polyneuropathie aus.
Soweit Dr. W. in seinem Gutachten der zurückliegenden Lösemittelbelastung eine schädigende Wirkung als Auslöser zugeschrieben hat, gilt Gleiches. Auch er hat bei diesen Ausführungen lediglich aus den Einwirkungen auf die Ursache geschlossen, ohne im Einzelnen auf die zum Zeitpunkt der Erstdiagnose nicht nachzuweisende hinreichende Exposition einzugehen. Er hat damit - hierauf deutet auch die Eingangsformulierung seines Satzes hin ("unter den Möglichkeiten ...") - lediglich eine mögliche lösemitteltoxische Ursache beschrieben. Dies genügt indessen nicht für die Annahme der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit. In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Dr. W. , nachdem ihn das Sozialgericht über die Beweisgrundsätze, insbesondere den erforderlichen Nachweis einer Lösemittelexposition informiert hat, seine Beurteilung dahingehend klargestellt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und der Polyneuropathie nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht bejaht werden kann.
Bei Unaufklärbarkeit eines Umstands fallen indes die Folgen der objektiven Beweislosigkeit demjenigen, der eine ihm günstige Rechtsfolge geltend macht, zur Last, wobei es keinen Unterschied begründet, ob die Unmöglichkeit des Nachweises in den besonderen Umständen des Einzelfalls oder in der generellen Eigenart des Leidens wurzelt; in beiden Fällen muss der Beweisfällige eine Ablehnung seines Begehrens hinnehmen, obwohl nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der geltend gemachte Anspruch in Wahrheit begründet ist (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 25/03 R, juris m.w.N., auch zum Nachfolgenden). Für die Annahme eines Beweisnotstands und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen ist hier kein Raum. Zwar können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen; das bedeutet, dass der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon auf Grund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein können. Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit anerkannt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würden dagegen dem in § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG a.a.O.). Für den Nachweis der Kausalität gilt, wie wiederholt ausgeführt, mit dem Erfordernis hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits ein abgeschwächter Maßstab, der den - auch hier auftretenden - typischen Nachweisproblemen Rechnung trägt. Anlass für eine darüber hinaus gehende Beweiserleichterung bietet der Fall nicht. Da der Kläger sich auf das Vorliegen des für den von ihm geltend gemachten Anspruch erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen Exposition und Erkrankung beruft, muss er die Folgen der objektiven Beweislosigkeit tragen.
Im Ergebnis schließt sich der Senat somit der Beurteilung von Prof. Dr. T. und Dr. W. an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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