L 3 U 3355/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1246/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3355/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der am 18.03.1954 geborene Kläger war vom 15.09.1971 bis zum 31.03.1974 bei der Schlosserei A. in Bad B. als Schlosser sowie nach seinem vom 01.04.1974 bis zum 30.06.1975 abgeleisteten Wehrdienst vom 01.07.1975 bis zum 23.03.1982 beim Bauunternehmen C. in Bad B. als Bauschlosser, Lkw-Fahrer, Baggerfahrer und Raupenfahrer und ist seit 24.03.1982 beim Bauunternehmen D. in E. als Baggerfahrer im Straßen- und Kanalbau berufstätig.

Unter Beifügung des Audiogramms vom 19.01.2011 erstellte Dr. F., Arbeitsmedizinischer Dienst der Beklagten, unter dem 21.01.2011 eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit, in der unter anderem ausgeführt wurde, die Beschwerden seien erstmals 2000 aufgetreten. Eine weitere Anzeige erstellte der Hals-Nasen-Ohren Arzt Dr. Stock am 16.03.2011, in der mitgeteilt wurde, die Beschwerden seien erstmals 2009 aufgetreten. Der Kläger machte unter dem 22.03.2011 Angaben zu seinen beruflichen Tätigkeiten und teilte mit, Hörstörungen seien erstmals 2009 aufgetreten.

Die Beklagte zog eine Auswertung der von den Allgemeinmedizinern Dres. G. erfolgten Langzeit-Blutdruckmessung bei und holte das über den Kläger von der AOK - Die Gesundheitskasse Heilbronn erstellte Vorerkrankungsverzeichnis ein. Auf Anfrage der Beklagten teilte das Bauunternehmen D. unter dem 06.04.2011 mit, der Kläger habe während seiner dortigen beruflichen Tätigkeit vom 24.03.1982 bis 2000 den Bagger Liebherr-912 und seit 2000 den Bagger Liebherr-924 gefahren, wobei der Bagger Liebherr-924 Dauerschallpegel von 74 dB(A) innen und 103 dB(A) außen aufweise. Dr. Stock legte das Audiogramm vom 27.01.2011, seinen Arztbrief vom 04.02.2011 und seine Verordnung einer Hörhilfe samt Audiogramm vom 16.03.2011 vor.

Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 18.04.2011 aus, der Kläger habe während seiner beruflichen Tätigkeit bei der Firma A. vom 15.09.1971 bis zum 31.03.1974 zu 70 % Werkstattarbeiten in der Schlosserei und zu 30 % Montagearbeiten auf Baustellen durchgeführt. Während seines Wehrdienstes vom 01.04.1974 bis zum 30.06.1975 sei er als Richtschütze im Panzerbatallion eingesetzt und dabei einer Lärmbelastung ausgesetzt gewesen. Während der beruflichen Tätigkeit bei der Firma C. vom 01.07.1975 bis zum 23.03.1982 sei der Kläger im ersten Jahr der Beschäftigung zu 30 % bei Werkstattarbeiten in der Schlosserei und zu 70 % als Lkw-Fahrer mit dem Lkw MAN-12-to auf Baustellen im Einsatz gewesen. Er sei ab Mitte 1976 zu 80 % als Baggerfahrer mit Hydraulikbaggern und zu 20 % als Raupenfahrer mit Raupenladern und ab März 1982 zu 100 % als Baggerfahrer berufstätig gewesen. Er habe dabei von 1982 bis 1984 den Bagger M+F, von 1985 bis 2001 den Bagger Liebherr-912 und seit 2002 den Bagger Liebherr-924 bedient. Seit 1985 seien bei offener Tür Gehörschutzkapseln beziehungsweise -stöpsel benutzt worden. Der Kläger sei zusätzlichem Bystander-Lärm durch Verdichtermaschinen, Motorflexgeräten und Ähnlichem ausgesetzt gewesen. Die Hörprobleme hätten 2009 begonnen. Der Präventionsdienst der Beklagten kam zu dem Ergebnis, der Kläger sei Lärmexpositionspegeln vom 15.09.1971 bis zum 31.03.1974 zu 70 % in Höhe von 88 dB(A) und zu 30 % in Höhe von 85 dB(A) und damit durchschnittlich 87 dB(A), vom 01.07.1975 bis zum 30.06.1976 zu 30 % in Höhe von 88 dB(A) und zu 70 % in Höhe von 82 dB(A) und damit durchschnittlich 85 dB(A), vom 01.07.1976 bis zum 23.03.1982 zu 80 % in Höhe von 86 dB(A) und zu 20 % in Höhe 88 dB(A) und damit durchschnittlich 86 dB(A), vom 24.03.1982 bis zum 31.12.2001 zu 100 % in Höhe von 86 dB(A) sowie seit 01.01.2002 zu 70 % in Höhe von 76 dB(A) und zu 30 % in Höhe von 88 dB(A) und damit durchschnittlich 83 dB(A) ausgesetzt gewesen. Das Risikomaß nach "von Lüpke" betrage 3,1. Diesen Berechnungen hätten das "Lärmkataster Metall 10/2009", die "Datenbank Baumaschinen" und die "Auswertung AT-Lärm" zugrunde gelegen.

Der Hals-Nasen-Ohren Arzt Dr. H. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 02.05.2011 aus, die Hörstörung werde subjektiv seit 2000 wahrgenommen. Die Schädigung im tiefen Frequenzbereich rechts, die Schallleitungskomponente und der starke Diskriminationsverlust im Sprachaudiogramm wiesen auf lärmunabhängige Einflüsse hin. Die nachgewiesene Lärmbelastung sei nicht adäquat für den deutlichen Hochtonschaden beidseits. Unabhängig von der Ursache ergebe sich für den gesamten Hörschaden ein Hörverlust von 80 % rechts sowie 60 % links und somit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vom Hundert (v. H.). Mit den vorliegenden Befunden der Hörprüfungen vom 19.01.2011, 27.01.2011 und 16.03.2011 könne von der lärmunabhängigen starken Hörschädigung eine geringe chronische Lärmschwerhörigkeit nicht abgegrenzt werden, für die die nachgewiesene Lärmbelastung adäquat sei. Die lärmunabhängige Hörstörung stehe völlig im Vordergrund. Eine Hörgeräteversorgung sei wegen der lärmunabhängigen Hörstörung notwendig.

Mit Bescheid vom 07.07.2011 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV ab und führte aus, Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 31.08.2011 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 13.10.2011 erklärte sich der Kläger damit einverstanden, seinen verfristeten Widerspruch als Überprüfungsantrag zu werten.

Mit Bescheid vom 03.11.2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 07.07.2011 ab. Eine Prüfung des Antrages habe nicht zu der Überzeugung geführt, dass bei Erlass dieses Bescheides das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe.

Hiergegen legte der Kläger am 30.11.2011 Widerspruch ein. Der Beratungsarzt der Beklagten habe eine Begründung dafür, warum die nachgewiesene Lärmbelastung nicht adäquat für den deutlichen Hochtonschaden sei, nicht gegeben. Es sei keineswegs erwiesen, dass eine lärmunabhängige Hörschädigung vorliege, zumal Basistests zur Feststellung einer Schallleitungsstörung zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Widerspruch könnten keine neuen Tatsachen oder Beweismittel entnommen werden.

Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren Arztes Dr. I. vom 20.06.2012 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, das vom Präventionsdienst des Beklagten angegebene Risiko-Maß nach "von Lüpke" gelte gemäß neueren Erkenntnissen als überholt. Eine andere Methode, sich über zu erwartende Auswirkungen von Lärmexpositionen eine Vorstellung zu machen, sei das als ISO-1999 international veröffentlichte Lärmdosis-Wirkungs-Modell. Danach sei - in mit dem Fall des Klägers vergleichbaren Beispielsfällen von 55 Jahre alten männlichen Probanden mit einer Lärmexpositionszeit von 35 Jahren mit einem Beurteilungspegel von 85 dB(A) - im ungünstigsten Fall eine Hörschwellenkurve im Tonschwellenaudiogramm mit Hörverlusten von 15 % zu erwarten, was einem noch annähernd normalem Hörvermögen entsprechen würde. Eine Gehörschädigung allein durch Lärm würde also in einem Ausmaß zu erwarten sein, welches von einer wesentlich zu nennenden Gesundheitsstörung sehr weit entfernt sei. Selbst bei der Annahme, dass der Kläger zu den 5 % von Lärmarbeitern gehören würde, die extrem empfindlich auf Lärm reagierten, weit stärker, als es dem Durchschnitt entsprechen würde, seien die gemessenen Hörverluste außer bei 500 Hz so erheblich pathologisch, dass eine reine Lärmeinwirkung in der vom Präventionsdienst der Beklagten mitgeteilten Pegelhöhe nach allen bisherigen Erkenntnissen nicht in der Lage wäre, ein solches audiologisches Bild, wie aktuell am rechten Ohr des Klägers mit einem Hörverlust von 45 % dokumentiert, zu verursachen. Da das linke Gehörorgan noch erheblich größere Hörverluste aufweise, wäre die Abweichung zu adäquaten Lärmbedingungen für die Entwicklung der registrierten Gesundheitsstörungen noch stärker. Es könne somit als nachgewiesen gelten, dass die Forderung nach einer adäquaten Schädigungsursache auf der Basis der festgestellten Lärmpotentiale hinsichtlich des vorliegenden pathologischen audiologischen Befundes nicht erfüllt sei. Ferner bestehe eine Diskrepanz zwischen Auftreten der Hörstörung und dem Zeitraum der bestehenden potentiell schädigenden Lärmexposition. Während der gesamten Dauer der Lärmexposition zwischen 1971 und 2001 sei es beim Kläger zu keinem Zeitpunkt zu einer Dokumentation des Hörvermögens gekommen. Im Rahmen der Begutachtung habe der Kläger angegeben, seit zwei Jahren Hörstörungen zu bemerken. Die Forderung nach einer zeitlichen Kongruenz zwischen Lärmeinwirkungszeiten und Entstehung der Hörstörung sei somit ebenfalls nicht erfüllt. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt bei der Lärmschwerhörigkeit sei die Tatsache, dass nach beginnender Störung im hohen Frequenzbereich um 4 kHz bei weiterer Einwirkung die umgebenden Frequenzareale allmählich mitgeschädigt würden, kaum jedoch Frequenzen im mittleren Frequenzbereich um 1 kHz und überhaupt nicht im tiefen Frequenzbereich um 500 Hz und darunter. Denn die Lärmschwerhörigkeit sei eine reine Störung des cortischen Organs, also des Innenohrs. Die Audiogramme vom 19.01.2011, 27.01.2011 und 16.03.2011 wiesen aber mehr oder weniger stark eine Schallleitungskomponente auf, so dass eine typische reine Innenohrstörung nicht habe bestätigt werden können. Ferner sei im aktuellen Audiogramm vom 19.06.2012 der völlig lärmuntypische Befund mit Hörverlusten von 40 beziehungsweise 55 dB bei 1 kHz sowie von 75 beziehungsweise 80 dB bei 3 kHz auffällig und links sogar ein konträrer Effekt auszumachen, wo der Hörverlust bei 4 kHz - dem am stärksten lärmgefährdeten Frequenzbereich - einen günstigeren Wert als bei den benachbarten Frequenzen 3 und 6 kHz aufweise. Es sei somit neben der hochgradigen Hochtonschwerhörigkeit, die weit ausgeprägter sei, als die vorliegenden Lärmbedingungen hätten erwarten lassen, auch von einer erheblichen Störung im mittleren Frequenzbereich zu sprechen, was für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch sei. Des Weiteren könne im Hinblick auf die stark differierenden Hörverluste im Tieftonbereich der Voraudiogramme von einer Symmetrie der Befunde nicht die Rede sein. Wenn auch im aktuellen Tonaudiogramm die Differenzen im Tieftonbereich als nicht so erheblich bestätigt werden könnten, so sei doch insgesamt der Unterschied des Hörverlustes sowohl im Ton- als auch im Sprachaudiogramm mit 45 % versus 80 % beziehungsweise 40 % versus 50 % doch sehr deutlich. Außerdem sei eine zu einer Lärmschwerhörigkeit passende Befundkonstellation auch bei Überprüfung des positiven Rekruitments nicht gegeben. Denn das bei einer Lärmschwerhörigkeit häufig zu beobachtende Phänomen eines METZ-Rekruitments sei beim Kläger nicht aufgetreten. Dieser Umstand spreche für das Vorliegen einer neuronalen Störung und nicht für eine sensorische, rein innenohrbedingte Läsion. Schließlich sei zu konstatieren, dass ein lärmbedingter Tinnitus in aller Regel während der Entwicklung der Lärmschwerhörigkeit, also im Zeitraum der lärmbedingten Schädigungsexposition und nicht nachträglich, entstehe. Der Kläger habe aber angegeben, dass der Tinnitus seit etwa einem halben Jahr bestehe, also erst mindestens 10 Jahre nach Beendigung der Lärmexposition aufgetreten sei. Zudem sei ein lärminduzierter Tinnitus im Frequenzbereich der Hauptschädigung zu erwarten, also lärmbedingt bei 3 bis 4 kHz. Vorliegend sei der Tinnitus aber bei 750 Hz lokalisiert. Der Sachverständige ist nach alledem zu der Einschätzung gelangt, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um eine lärmfremde beiderseitige mediocochleäre und den Hochfrequenzbereich betreffende Schallempfindungsschwerhörigkeit mittelgradig rechts sowie hochgradig links und einen nicht-lärmbedingten Tinnitus aurium im Tieftonbereich bei 750 Hz handele. Eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV lasse sich daher nicht bestätigen. Der Grad der Behinderung (GdB) wäre mit 30 zu bezeichnen.

Der Kläger hat hierzu eingewandt, es sei zu berücksichtigen, dass nach Angaben des Dr. H. bereits im Jahr 2000 eine Schwerhörigkeit nachgewiesen worden sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass er nach wie vor als Baggerführer arbeite und daher immer noch erheblichen Lärmbelastungen ausgesetzt sei. Zwar arbeite er in einer rundum geschlossenen Kabine. Allerdings sei dort der umliegende Baulärm zu hören. Es treffe auch nicht zu, dass im Tieftonbereich stark abweichende Hörverluste vorlägen, denn der Unterschied betrage im Tonaudiogramm nur 35 und im Sprachaudiogramm nur 10 Prozentpunkte. Der Sachverständige sei auch nicht darauf eingegangen, warum im aktuellen Tonaudiogramm die Differenzen im Tieftonbereich als nicht mehr so erheblich bestätigt werden könnten wie zuvor. Die geringen Differenzen deuteten darauf hin, dass sich die Lärmbelastungen der Vergangenheit jetzt auswirkten und damit eine Kausalität gegeben sei. Hinzukomme, dass er im Nebenerwerb vier bis sechs Stunden wöchentlich von Frühjahr bis Herbst als Landwirt tätig sei und hierbei Bulldogs verwende. Dabei sei er ähnlichen Lärmbelästigungen wie auf seinem Hauptarbeitsplatz ausgesetzt.

Hierzu hat Dr. I. in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 16.11.2012 ausgeführt, von allen im potentiell gehörschädigenden Lärm ab 85 dB(A) tätigen Arbeitern betrage der Anteil derjenigen Personen, die eine entschädigungspflichtige Schädigung davon trügen, weniger als 1 %. Da im Falle des Klägers keine Dokumentationen während der beruflichen Tätigkeit erstellt worden seien, sei man auf statistische Modellberechnungen und Erfahrungen angewiesen, um eine mögliche Auswirkung der nachgewiesenen Arbeitszeiten unter Lärmbedingungen konkretisieren zu können. Die anzunehmenden Prognosen wiesen selbst unter der Annahme einer überdurchschnittlichen Schädigungsempfindlichkeit Werte auf, die eine Hörstörung in einem Hörverlustbereich vermuten ließen, der nicht annähernd 10 % würde erreichen können. Dem stünden die im Jahr 2012 audiologisch nachgewiesenen Hörverluste von 45 % rechts sowie 80 % links und teilweise noch wesentlich ungünstigeren Werte aus dem Jahr 2011 gegenüber. Die Behauptung des Klägers, so der Sachverständige weiter, die Schwerhörigkeit sei bereits im Jahr 2000 nachgewiesen, sei falsch. Vielmehr sei die Angabe von Dr. H. als anamnestische Notiz anzusehen, da ein tatsächlicher audiologischer Befund aus dem Jahr 2000 nicht zugrunde liege. Die Auslassung des Klägers über weiterbestehenden Lärm am Arbeitsplatz als Baggerführer sei irrelevant, da die einzige Institution, dies wertmäßig festzustellen oder zu beurteilen, der Präventionsdienst der Beklagten sei. Ferner sei nicht behauptet worden, dass es im Tieftonbereich zu stark abweichenden Hörverlustwerten gekommen sei. Maßgeblich bei der Bewertung der Symmetrie der Befunde sei im Wesentlichen der Hörschwellenverlauf im Tonschwellenaudiogramm, welcher einen Hörverlust von 45 % rechts und 80 % links ergeben habe. Dass die Differenz im Sprachaudiogramm mit 40 % rechts und 50 % links nicht so deutlich ausfalle, liege an der unterschiedlichen Messmethodik. Der Sachverständige hat ferner dargelegt, eine etwaige pathologische Abweichung im Tieftonbereich sage überhaupt nichts über Lärmeinflüsse aus, da der Tieftonbereich in keinem Fall durch chronischen Lärm geschädigt werden könne. Aus dem wechselnden Befund im Tieftonbereich Rückschlüsse auf Lärmschädigungen in der Vergangenheit zu ziehen, die sich erst später auswirkten, sei absurd. Die ohne Berücksichtigung der Schallleitungskomponente verbliebene Tieftonschwäche rechts in den Audiogrammen vom 27.01.2011 und 16.03.2011 möge im Vergleich zum aktuellen Audiogramm als Fluktuationstendenz des rechten Gehörorgans gedeutet werden, was einer Lärmschwerhörigkeit zu eigen sei. Der audiologische Befund vom 19.01.2011 weise eine Schallleitungskomponente auf, also eine Störung der Schallübertragung auf das Innenohr, verursacht beispielsweise durch Tubenkatarrh, Paukenerguss, Cerumen im Gehörgang, defektes Trommelfell, Beweglichkeitseinschränkung der Gehörknöchelchen-Kette oder anderes. Der Hinweis auf den Nebenerwerb als Landwirt mit dem Risiko einer Lärmschädigung unterstütze die Vorstellung des Vorliegens einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit keinesfalls. Er könne dem Verfahren eher schädlich sein, da die Zuständigkeit für dieses Risiko ganz sicher nicht bei der Beklagten liege.

Sodann hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Prof. Dr. Dr. K., Direktor der Universitäts-Hals-Nasen-Ohren Klinik L., vom 13.09.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Verlauf der Schwerhörigkeit sei nicht sicher belegt, so dass unklar bleibe, wann es genau zu der Hörminderung gekommen sei. Anamnestisch bestehe die Hörminderung bereits seit mehreren Jahren. Der seit 2002 angenommene Lärmexpositionspegel von 83 dB(A), werde gemeinhin als gerade noch nicht ausreichend für das Auslösen oder die Verstärkung einer Lärmschwerhörigkeit angesehen. Die Ermittlung der Lärmexposition sei jedoch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, insbesondere wenn auf wechselnden Baustellen gearbeitet werde. Dies gelte vor allem für die Entstehung der Exposition durch andere auf der Baustelle eingesetzte Geräte. Es sei also im Verlauf des Arbeitslebens eine adäquate Lärmexposition nachgewiesen. Die Entstehung der Schwerhörigkeit während einer adäquaten Exposition könne nicht mit letzter Sicherheit belegt werden. Es bestehe jedoch eine reine sensorische Schwerhörigkeit mit typischem und symmetrischem Kurvenverlauf. Zudem bestehe ein positives Rekruitment. Es sprächen damit die meisten Kriterien für das Vorliegen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit. Es ergebe sich eine MdE um 20 v. H.

Hierzu hat Dr. I. in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 12.10.2013 dargelegt, im Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. werde ignoriert, dass nur bis zum 31.12.2001 ein Lärmexpositionspegel zwischen 83 und 87 dB(A) und seit 01.01.2002 ein Lärmexpositionspegel von nur noch 83 dB(A) vorliege. Die strenge Unterteilung in diese beiden Zeiträume sei jedoch wichtig, da der Zeitraum ab 2002 nicht der Lärmexposition geschuldet sein könne. Etwaige Baustellen- und Gerätewechsel seien ein schwaches Argument gegen Fakten. Die Nonchalance, mit der Prof. Dr. Dr. K. die tatsächliche Lärmexposition seit 2002 mit 83 dB(A) durch Einbeziehung in den Bereich 83 bis 87 dB(A) glatt verdoppele, sei schon erstaunlich. Eine Pegelerhöhung um 3 dB(A) entspreche einer Verdopplung der Lärmempfindung beziehungsweise des Schädigungspotentials. Prof. Dr. Dr. K. sei auch auf die detaillierte Auseinandersetzung mit der Norm ISO-1999 nicht eingegangen. Ferner sei ein positives Rekruitment noch lange kein Beleg für eine lärminduzierte Schädigung. Entscheidend sei die Gesamtkonstellation mit plausiblen Hochtonsenken, Kurvensymmetrie, Entwicklungsbeobachtung sowie zumindest plausibel gemachter zeitlicher Kongruenz zwischen Entstehung der Hörstörung und adäquater Lärmexposition. Die Aussage des Prof. Dr. Dr. K., eine adäquate Exposition könne nicht mit letzter Sicherheit belegt werden, sei absurd. Selbst bei höchster Vulnerabilität und einem Dauerschallpegel von 90 dB(A) über 35 Lärmjahre kämen für die Frequenzen 4 und 6 kHz nur Hörverluste von maximal 60 bis 85 dB, keinesfalls aber wie beim Kläger von 80 und 85 dB in Betracht. Er bleibe nach alledem dabei, dass die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nummer 2301 der Anlage 1 zur BKV nicht gegeben seien.

Prof. Dr. Dr. K. hat in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 17.02.2014 ausgeführt, dass die von Dr. I. dargelegte und allgemein anerkannte Auffassung, bei einem Beurteilungspegel von weniger als 85 dB(A) sei nicht mit einer Hörschädigung zu rechnen, nicht bestritten werde. Die Unsicherheit liege jedoch in der Messung des Beurteilungspegels. Nach Feldmann und Brusis (2012) müsse mit gewissen Toleranzen hinsichtlich der Genauigkeit der Bestimmung des Beurteilungspegels gerechnet werden. Danach seien die Messbedingungen in drei Genauigkeitsklassen einzuteilen, aus denen eine Messunsicherheit von 1,5 bis 6 dB resultiere. Mit einer Messungenauigkeit von 6 dB würden Arbeitsplätze auf Baustellen mit zahlreichen unterschiedlichen Tätigkeiten eingestuft. Dies bedeute in Bezug auf den Beurteilungspegel von 83 dB(A) zwischen 2002 und 2011, dass der echte Beurteilungspegel zwischen 77 und 89 dB(A) gelegen habe. Ferner seien Betriebe des Hoch- und Tiefbaus mit Baggern, Planierraupen, Planier- und Verdichtungsmaschinen, Betonverdichtern, Presslufthämmern, Kompressoren und Schlagrammen Betriebe und Arbeitseinrichtungen, deren Schallemissionen erfahrungsgemäß einen Lärmexpositionspegel von 90 dB(A) oder mehr erreichten. Diese Aussagen verdeutlichten, weshalb es trotz des relativ gering gemessenen Beurteilungspegels von 83 dB(A) zu einer lärmbedingten Verschlechterung des Gehörs gekommen sei. Zudem sei die Erläuterung Dr. I.s, eine Pegelerhöhung von 3 dB(A) entspreche einer Verdoppelung der Lärmempfindung beziehungsweise des Schädigungspotentials, nicht zutreffend. Richtig sei vielmehr, dass eine Pegelerhöhung um 6 dB(A) einer Verdoppelung des Schalldruckpegels entspreche. Die Lautheitsempfindung hingegen sei abhängig von individuellen Faktoren und von der Art des gehörten Signals und stehe nicht in einer linearen Beziehung zum Schalldruckpegel. In Bezug auf die von Dr. I. angewandte ISO-1999 hat Prof. Dr. Dr. K. ausgeführt, Feldmann und Brusis (2012) hätten dargelegt, die heute zur Begutachtung anstehenden Fälle einer Lärmschwerhörigkeit beträfen fast ausschließlich Individuen mit einer ungewöhnlich großen Lärmempfindlichkeit. In den hier dargestellten statistischen Daten, den Hörkurven nach ISO-1999, seien aber gerade die 5 % der Gesamtpopulation ausgeklammert, bei denen die größten Hörverluste zu erwarten seien. Ferner wird ausgeführt, das positive Rekruitment sei selbstverständlich kein Beweis für eine lärminduzierte Schwerhörigkeit. Es sei dagegen anerkannt, dass ein negatives Rekruitment, das hier nicht vorliege, eine Lärmursache ausschließe. Es lasse sich mithin zusammenfassen, dass eine adäquate Lärmexposition wahrscheinlich auch in dem Beurteilungszeitraum von 2002 bis 2011 vorgelegen habe. Somit sei auch von einer zeitlichen Kongruenz auszugehen, wenngleich sich diese aufgrund der fehlenden Dokumentation nicht belegen lasse. Aus der fehlenden Dokumentation umgekehrt auf eine nicht vorhandene Verschlechterung des Gehörs zu schließen, sei allerdings sicher unzulässig. Es bestehe zudem eine sensorische Schwerhörigkeit mit einem typischen Kurvenverlauf, einer Betonung der hohen Frequenzen bei der Schädigung, einer typischen c5-Senke und einer Symmetrie beider Seiten im Tonaudiogramm. Mithin bleibe er dabei, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV vorliege.

Das SG hat mit Urteil vom 09.07.2014 die Klage abgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Schwerhörigkeit des Klägers und seiner versicherten Tätigkeit sei nicht wahrscheinlich. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Ausführungen des Dr. I ... Einer Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV stehe schon entgegen, dass eine potentiell lärmschädigende Einwirkung nur bis Ende 2001 belegt sei, die Hörschädigung aber erstmals 2011 durch ein Audiogramm nachgewiesen worden sei. Damit sei ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Schwerhörigkeit gerade nicht belegt. Die Ausführungen des Prof. Dr. Dr. K. überzeugten nicht. Er weise auf eine Unsicherheit in der Messung hin und gehe daher davon aus, dass der Kläger auch nach 2001 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen sei. Dies verkenne die rechtlichen Voraussetzungen. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass der Kläger nach 2001 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen sei. Erforderlich sei aber der Vollbeweis der Einwirkung. Dieser sei nicht geführt. Unabhängig davon habe Dr. I. dargelegt, dass auch das Krankheitsbild und der Krankheitsverlauf gegen eine Ursächlichkeit sprächen.

Hiergegen hat der Kläger am 08.08.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er stützt sich auf das Gutachten und die Stellungnahmen des Prof. Dr. Dr. K ...

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Juli 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 3. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 7. Juli 2011 zurückzunehmen sowie eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen, hilfsweise ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV und der Gewährung einer Verletztenrente vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, am fehlenden Vollbeweis einer gehörgefährdenden Exposition seit 2002 bestehe kein Zweifel.

Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 08.12.2014 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, Art und Umfang der Lärmbelästigung basierten auf den Angaben des Klägers im persönlichen Gespräch vom 13.04.2011. Zur Bewertung der Expositionshöhe der Lärmbelastung sei die Anamnese-Software des Instituts für Arbeitsschutz herangezogen worden. Diese Software sei eine Entwicklung des Instituts für Arbeitsschutz und werde dort gepflegt, gewartet und vollständig aktualisiert. Die Software verfüge über eine Datenbank, in welcher Expositionswerte hinterlegt seien, auf welche man bei der Bearbeitung zurückgreifen könne. Die Daten stammten aus einer Vielzahl von Messungen aus der Vergangenheit seitens der Messdienste des Instituts für Arbeitsschutz, der Beklagten und der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. Die Daten würden auf Veranlassung der entsprechenden Fachkreise durch das Institut für Arbeitsschutz in die Datenbank entsprechend eingepflegt. Hier habe der Anwender der Software nun die Möglichkeit, auf Daten unterschiedlicher Art zuzugreifen. So könnten Lärmexpositionspegel zu Gesamttätigkeiten oder Teiltätigkeiten einzelner Gewerke der Bau- und Metallbranche zu einzelnen Arbeitsmitteln oder Fahrzeugen, speziell für Baugeräteführer, gestaffelt nach Zeitraum und Art des Baugerätes, recherchiert und abgerufen werden. Unter Anwendung dieser Software sei die Tätigkeit des Klägers und die Gewichtung der von ihm bedienten Baugeräte für den Zeitabschnitt von 1976 bis 1982 mit 84 dB(A) bewertet worden. In dem Zeitraum von 1982 bis 2001 habe der Kläger den Hydraulikbagger Liebherr-912 verschiedener Baujahre bedient. Diese Geräte hätten über keine Klimaanlage verfügt. Laut Aussage des Klägers habe er in Abhängigkeit der klimatischen Bedingungen mit offener/m und geschlossener/m Kabinentür oder Fenster gearbeitet. Bei offener/m Kabinentür oder Fenster sei er zusätzlich dem Lärm des Baggers aus der Schallquelle des Motors und möglichem Bystander-Lärm der Straßen- oder Kanalbauarbeiten ausgesetzt gewesen. Gemäß der Datenbank "Baugeräteführer" lägen die Durchschnittswerte für den Zeitraum von 1975 bis 1985 bei 86 dB(A) und für den Zeitraum von 1985 bis 1991 bei 84 dB(A). Die Tätigkeit des Klägers sei aber für diesen Zeitabschnitt durchgehend mit insgesamt 86 dB(A) bewertet worden. Hierbei sei davon ausgegangen worden, dass die Geräte vor 1985 angeschafft worden seien, der Kläger teilweise bei offener/m Kabinentür oder Fenster zusätzlich Lärmbelastungen ausgesetzt gewesen sei, obgleich dies schon in den Lärmexpositionspegeln, weil Stand der Technik, enthalten sei. Der Umstand, dass der Kläger nach eigenen Angaben bei Arbeiten mit offener/m Kabinentür oder Fenster bereits ab 1985 geeigneten Gehörschutz getragen habe, sei bei der Bewertung zugunsten des Klägers ohne Ansatz geblieben. Seit 2002 bediene der Kläger den Hydraulikbagger Liebherr-924. Der Bagger verfüge unter anderem über eine Klimaanlage. Die Wirksamkeit der Klimaanlage und auch der Heizung sei hierbei von einer/m geschlossenen Kabinentür oder Fenster abhängig. Diese Arbeitsweise sei vom Kläger auch im persönlichen Gespräch bestätigt worden. Sofern er gelegentlich doch mit offener/m Kabinentür oder Fenster gearbeitet habe, habe er nach eigenen Angaben geeigneten Gehörschutz getragen. Der Hersteller des Gerätes sei zur Angabe der Lärmexpositionswerte verpflichtet. Danach betrage der Lärmpegel außen im Bereich der Schallquelle 103 dB(A) und am Arbeitsplatz des Baugeräteführers in der Kabine 74 dB(A). Diese Lärmkennwerte seien seitens der Firma D. übermittelt worden. Da davon auszugehen sei, dass eine ausschließliche Arbeit bei geschlossener/m Kabinentür oder Fenster nicht praxisgerecht sei und damit der Wert des Herstellers nicht durchgängig erreicht werden könne, sei in einem ersten Schritt der Wert von 74 auf 76 dB(A) erhöht worden. Zusätzlich seien zu Gunsten des Klägers 30 % der Arbeitsschichten mit einem Lärmexpositionswert von 88 dB(A) angesetzt worden. Hier sei dem Umstand Rechnung getragen worden, dass der Kläger gelegentlich bei offener/m Kabinentür oder Fenster gearbeitet habe und Bystander-Lärm beim Aufenthalt im Fahrzeug ausgesetzt gewesen sei sowie sich gelegentlich auch außerhalb des Fahrzeuges in der Nähe von Lärmarbeitsplätzen aufgehalten habe. Bei Straßenbauarbeiten betrage der Lärmexpositionspegel 89 dB(A), bei Helferarbeiten im Tiefbau 89 dB(A) und bei Kanalbauarbeitern 95 dB(A). Dabei sei aber zu beachten, dass sich der Kläger nicht unmittelbar an den vorgenannten Lärmquellen aufgehalten haben könne. Pro Abstandsverdopplung nehme der Lärmpegel im Freien 5 bis 6 dB(A) ab. Bereits ab einem Abstand von vier bis fünf Metern zur Lärmquelle lägen die Expositionswerte für einen Bystander bei weniger als 88 dB(A). Aufgrund der Größe der Baumaschine und der Tatsache, dass sich im Schwenkbereich des Baggers keine Beschäftigten aufhalten dürften, sei praxisgerecht davon auszugehen, dass diese Abstände eher größer statt kleiner gewesen seien. Der errechnete Gesamtwert von 84 dB(A) für den Betrachtungszeitraum ab 2002 stelle sich daher eher als Obergrenze möglicher Lärmbelästigungen dar. Beigefügt worden ist ein Aufsatz zu der auf Hörminderungsäquivalenzen nach ISO-1999 basierenden effektiven Lärmdosis.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG vom 09.07.2014, mit dem die auf die Aufhebung des Bescheides vom 03.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2012 sowie die Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 07.07.2011 zurückzunehmen und die Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Der Kläger verfolgt seine prozessualen Ziele zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Rücknahme des Bescheides vom 07.07.2011. Rechtsgrundlage für sein Begehren ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Vorliegend ergibt sich nicht, dass bei Erlass des Bescheides vom 07.07.2011 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Denn die Beklagte hat mit diesem Bescheid zu Recht die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV abgelehnt. Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch sind §§ 7 und 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rz. 12 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R - juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R - juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - juris).

In Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV ist die "Lärmschwerhörigkeit" als Berufskrankheit bezeichnet. Nach dem Ärztlichen Merkblatt zu der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (GMBl. Nr. 39 vom 05.08.2008, S. 798-800) besteht bei einem Tages-Lärmexpositionspegel von mehr als 90 dB(A) und lang andauernder Einwirkung für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung; ferner werden Gehörschäden auch bereits durch langjährigen Lärm verursacht, dessen Tages-Lärmexpositionspegel den Wert von 85 dB(A) erreicht oder überschreitet (Seite 1 des Merkblatts). Nach der "Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung" spricht für die Annahme des Ursachenzusammenhangs, wenn sich die Hörstörung während der Lärmexposition entwickelt hat, es sich um eine reine Innenohr-schwerhörigkeit (Hörstörung der Sinneszellen des Innenohres) mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen (c5-Senke) handelt sowie das Ausmaß und die Entwicklung der Hörstörung im adäquaten Verhältnis zur Lärmeinwirkung stehen (Seite 29 der Empfehlung).

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und umfassend dargestellt und ausgeführt, weshalb der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV hat. Der Senat folgt - ebenso wie das SG - dem überzeugenden Gutachten des Dr. I ... Der Sachverständige hat in seinem Gutachten und seinen ergänzenden Stellungnahmen schlüssig und in sich widerspruchsfrei dargelegt, dass und warum eine haftungsbegründende Kausalität zwischen den beruflichen Einwirkungen des Klägers und seiner Schwerhörigkeit zu verneinen ist. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG den Ausführungen des SG nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren.

Es spricht weiterhin nicht mehr dafür als dagegen, dass die Schwerhörigkeit des Klägers auf seine berufliche Tätigkeit wesentlich ursächlich zurückzuführen ist. Gegen einen solchen Zusammenhang sprechen nach den überzeugenden Darlegungen des Dr. I. der für eine Lärmschädigung nicht adäquate Hörschaden, das Auftreten des Hörschadens erst nach der Lärmexposition, das Fehlen einer reinen Innenohrstörung in den hohen Frequenzen und die fehlende Symmetrie des Hörschadens.

Dr. I. hat dargelegt, dass in den in der ISO-1999 veröffentlichten dem Alter des Klägers und seiner Lärmexposition vergleichbaren Beispielsfällen eine Hörschwellenkurve im Tonschwellenaudiogramm mit Hörverlusten von 15 % zu erwarten ist und deshalb die Gehörschädigung des Klägers am rechten Ohr mit einem Hörverlust von 45 % und am linken Ohr mit einem erheblich größeren Hörverlust nicht adäquat zu den vom Präventionsdienst der Beklagten festgestellten Lärmbedingungen ist.

Dr. I. hat ferner überzeugend auf die Diskrepanz zwischen Auftreten der Hörstörung und dem Zeitraum der bestehenden potentiell schädigenden Lärmexposition hingewiesen. Der Präventionsdienst der Beklagten hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass und warum der Kläger Lärmexpositionspegeln vom 15.09.1971 bis zum 31.03.1974 zu 70 % in Höhe von 88 dB(A) und zu 30 % in Höhe von 85 dB(A) und damit durchschnittlich 87 dB(A), vom 01.07.1975 bis zum 30.06.1976 zu 30 % in Höhe von 88 dB(A) und zu 70 % in Höhe von 82 dB(A) und damit durchschnittlich 85 dB(A), vom 01.07.1976 bis zum 23.03.1982 zu 80 % in Höhe von 86 dB(A) und zu 20 % in Höhe 88 dB(A) und damit durchschnittlich 86 dB(A), vom 24.03.1982 bis zum 31.12.2001 zu 100 % in Höhe von 86 dB(A) sowie seit 01.01.2002 zu 70 % in Höhe von 76 dB(A) und zu 30 % in Höhe von 88 dB(A) und damit durchschnittlich 83 dB(A) ausgesetzt gewesen ist. Schlüssig und gut nachvollziehbar sind die Ausführungen des Präventionsdienstes der Beklagten, wie er unter Heranziehung des "Lärmkatasters Metall 10/2009", der "Datenbank Baumaschinen" und der "Auswertung AT-Lärm" die Lärmexposition errechnet hat. Insbesondere der Ansatz, dass der Kläger seit 2002 den über eine Klimaanlage verfügenden Hydraulikbagger Liebherr-924 bedient hat und daher grundsätzlich von einem Arbeiten bei geschlossener/m Kabinentür oder Fenster und nur gelegentlich bei offener/m Kabinentür oder Fenster mit geeignetem Gehörschutz auszugehen ist, überzeugt, zumal dies mit den Angaben des Klägers korrespondiert. Dies zu Grunde legend hat der Präventionsdienst des Beklagten gut nachvollziehbar unter Berücksichtigung der vom Bauunternehmen D. mitgeteilten Lärmpegel außen im Bereich der Schallquelle mit 103 dB(A) und am Arbeitsplatz des Baugeräteführers in der Kabine mit 74 dB(A) in einem ersten Schritt letzteren Wert für 70 % der Arbeitsschichten von 74 auf 76 dB(A) erhöht und zusätzlich zu Gunsten des Klägers angenommen, dass 30 % der Arbeitsschichten mit einem Lärmexpositionswert von 88 dB(A) anzusetzen sind, indem er dem Umstand Rechnung getragen hat, dass der Kläger gelegentlich bei offener/m Kabinentür oder Fenster gearbeitet hat und Bystander-Lärm ausgesetzt gewesen ist sowie sich gelegentlich auch außerhalb des Fahrzeuges in der Nähe von Lärmarbeitsplätzen aufgehalten hat. Der auf dieser Grundlage vom Präventionsdienst der Beklagten errechnete Lärmexpositionspegel-Gesamtwert von 83 dB(A) ab 2002 stellt sich daher auch aus Sicht des Senats als Obergrenze möglicher Lärmbelästigungen dar. Nach alledem ist den von Prof. Dr. Dr. K. gegen die Annahme eines solchen Lärmexpositionspegels gemachten Einwänden nicht zu folgen. Sein Hinweis, die Ermittlung der Lärmexposition sei mit erheblichen Unsicherheiten, insbesondere wenn auf wechselnden Baustellen gearbeitet werde, verbunden, so dass im Verlauf des Arbeitslebens eine adäquate Lärmexposition nachgewiesen sei, greift vor dem Hintergrund der detaillierten Angaben des Präventionsdienstes der Beklagten nicht durch. Mithin ist der Kläger nach Ansicht des Senats lediglich zwischen 1971 und 2001 einer für die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit adäquaten Lärmexposition von mindestens 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Eine Heraufsetzung des Lärmexpositionspegels für die Zeit ab 2002 wegen der vom Kläger vorgebrachten landwirtschaftlichen Nebenerwerbstätigkeit kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil zum einen die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit auftretende Lärmexposition nicht dargelegt ist und zum anderen nicht vorgetragen worden ist, dass es sich dabei um eine unfallversicherte Tätigkeit handelt. Selbst für den Fall, dass die Lärmexposition ab 2002 höher zu bemessen wäre, hätte dies keine andere Entscheidung zur Folge, da medizinische Gründe (vgl. hierzu die nachfolgenden Absätze) gegen eine Lärmschwerhörigkeit sprechen. In dem Zeitraum zwischen 1971 und 2001 mit einer Lärmexposition von mindestens 85 dB(A) ist es beim Kläger zu keinem Zeitpunkt zu einer Dokumentation des Hörvermögens gekommen. Auch hat der Kläger gegenüber Dr. I. am 19.06.2012 angegeben, erst seit zwei Jahren Hörstörungen und erst seit einem halben Jahr einen Tinnitus zu bemerken. Nichts anderes ergibt sich aus der Angabe des Dr. H., der Kläger leide seit 2000 an Hörstörungen. Insoweit hat Dr. I. völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass dies als anamnestische Notiz anzusehen ist, zumal Dr. H. seine beratungsärztliche Stellungnahme nur nach Aktenlage und daher wohl wegen der Angaben des Dr. F. in seiner Anzeige eines Verdachtes auf eine Berufskrankheit, wonach die Beschwerden erstmals 2000 aufgetreten seien, erstellt hat, aber ein tatsächlicher audiologischer Befund aus dem Jahr 2000 nicht aktenkundig ist. Hinzu kommt, dass Dr. Stock in seiner Anzeige eines Verdachtes auf eine Berufskrankheit und der Kläger unter dem 22.03.2011 selbst mitgeteilt haben, dass die Beschwerden erstmals 2009 aufgetreten sind. Nach alledem ist eine zeitliche Kongruenz zwischen den Lärmeinwirkungszeiten in den Jahren bis 2001 und der Entstehung der Hörstörung in den Jahren 2009/2010 und des Tinnitus im Jahr 2012 nicht gegeben.

Des Weiteren spricht gegen einen ursächlichen Zusammenhang, dass nach dem Gutachten des Dr. I. die Audiogramme vom 19.01.2011, 27.01.2011 und 16.03.2011 eine Schallleitungskomponente aufgewiesen haben. Dabei handelt es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen um eine beispielsweise durch Tubenkatarrh, Paukenerguss, Cerumen im Gehörgang, defektes Trommelfell, Beweglichkeitseinschränkung der Gehörknöchelchen-Kette verursachte Störung der Schallübertragung auf das Innenohr, so dass eine typische reine Innenohrstörung nicht vorliegt und deshalb nicht von einer lärmbedingten Hörstörung ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass das Audiogramm vom 19.06.2012 mit Hörverlusten rechts von 40 beziehungsweise 55 dB bei 1 kHz sowie von 75 beziehungsweise 80 dB bei 3 kHz und im linken Ohr mit günstigeren Werten bei 4 kHz als bei den benachbarten Frequenzen 3 und 6 kHz einen völlig lärmuntypischen Befund im Bereich der tiefen Frequenzen ergeben hat. Ähnliches gilt für den Tinnitus des Klägers, der bei 750 Hz und nicht in dem für eine Lärmschädigung typischen Frequenzbereich bei 3 bis 4 kHz lokalisiert worden ist.

Auch liegt nach den schlüssigen Darlegungen des Dr. I. beim Kläger eine für eine Lärmschwerhörigkeit typische Symmetrie der Hörbefunde nicht vor. So sind die Unterschiede in den Hörverlusten im Ton- und Sprachaudiogramm von 45 % versus 80 % beziehungsweise 40 % versus 50 % sehr deutlich.

Da mithin die Voraussetzungen für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV nicht gegeben sind, hat die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 07.07.2011 das Recht richtig angewandt und ist von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als richtig erweist. Die Beklagte hat daher zu Recht eine Rücknahme dieses Bescheides und die Feststellung der Berufskrankheit abgelehnt. Das SG hat die hierauf gerichtete Klage zutreffend abgewiesen. Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nach alledem nicht angezeigt, so dass dem auf die Einholung eines Obergutachtens gerichteten Hilfsantrag des Klägers nicht Folge zu leisten war.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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