L 11 R 4600/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2902/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4600/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.09.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1957 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war in verschiedenen Bereichen beschäftigt ua als Schreibkraft, Bürogehilfin und zuletzt als Kassiererin. Ab 15.05.2006 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Nach Bezug von Krankengeld erhielt sie bis 30.12.2008 Arbeitslosengeld, seither keine Sozialleistungen mehr, sie war auch nicht mehr arbeitslos gemeldet. An rentenrechtlichen Zeiten hat die Klägerin nach 2008 nur noch vom 01.01. bis 30.11.2012 eine Pflichtbeitragszeit für Pflegetätigkeit zurückgelegt.

Am 12.06.2007 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte ließ die Klägerin gynäkologisch durch Dr. S. und urologisch durch Dres. L./H. untersuchen und begutachten. Dr. S. sah bei im Wesentlichen klimakterischen Beschwerden ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Gutachten vom 27.07.2007). Zum gleichen Ergebnis kam das urologische Gutachten vom 14.11.2007. Mit Bescheid vom 06.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (SG; S 6 R 3126/08) wurde ein internistisches Gutachten bei Dr. B. vom 19.05.2009 eingeholt. Dieser kam zu der Einschätzung, dass bei Vorliegen einer Reizblase, leichter Harninkontinenz, Verdacht auf Verwachsungsbeschwerden nach Hysterektomie, rezidivierendem LWS-Syndrom, beginnender Cox- und Gonarthrose links sowie enzymaktiver Fettleber leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichtet werden könnten. Die Klägerin nahm daraufhin ihre Klage zurück.

Vom 24.02. bis 16.03.2012 wurde die Klägerin stationär behandelt wegen einer Bronchopneumonie mit akuter respiratorischer Insuffizienz. Anschließend absolvierte sie vom 26.03. bis 16.04.2012 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik S. im W., aus der sie mit der Einschätzung entlassen wurde, dass nach häuslicher Rekonvaleszenz im Beruf als Kassiererin wieder sechs Stunden und mehr gearbeitet werden könne, ebenso auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Am 22.08.2012 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Im Juni 2012 war bei ihr ein multiples Myelom diagnostiziert worden. Sie gab an, unter häufigem Harndrang, Kurzatmigkeit, Kraftlosigkeit, Herzklopfen bei leichter Anstrengung, Glieder- und Gelenkschmerzen und wegen einer Immunschwäche an Angst vor Ansteckung zu leiden. Die Beklagte holte ein internistisches Gutachten bei Dr. K. ein, der ein multiples Myelom, Raynaud-Symptomatik, Zn Nicht-ST-Hebungsinfarkt diagnostizierte und die Klägerin im Beruf als Kassiererin nur eingeschränkt, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber sechs Stunden und mehr arbeitsfähig sah. Ungeeignet seien Tätigkeiten unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft sowie mit starken Temperaturschwankungen oder Tätigkeiten, bei denen die Hände in kalte Flüssigkeiten eingetaucht werden müssten. Auch Tätigkeiten mit erhöhter oder permanenter Anforderung an die Feinmotorik seien nicht geeignet. Mit Bescheid vom 14.12.2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Mit ihrem Widerspruch vom 20.12.2012 machte die Klägerin geltend, sie müsse täglich starke Schmerzmittel einnehmen und wegen der bestehenden Immunschwäche bei Vorliegen eines multiplen Myeloms jede Ansteckungsgefahr vermeiden. Aufgrund der Osteoporose bestehe die Gefahr von Knochenbrüchen, was einer Arbeitsaufnahme entgegenstehe. Wegen der Raynaud-Symptomatik könne sie nicht als Kassiererin arbeiten. Auch die Harninkontinenz habe sich verschlechtert. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen richtet sich die am 21.08.2013 zum SG erhobene Klage. Die Klägerin hat weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt, ua einen Arztbrief von Dr. B., Fachambulanz Allgemeinpsychiatrie des Psychiatrischen Zentrums N. über eine Vorstellung der Klägerin am 02.09.2014.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres beratungsärztlichen Dienstes vom 20.09.2013 vorgelegt, wonach sich durch den Reha-Bericht und das internistische Gutachten gezeigt habe, dass derzeit keine quantitative Leistungsminderung bestehe. Das multiple Myelom befinde sich weiter in Beobachtung, eine gravierende Harninkontinenz bestehe nicht.

Das SG hat Prof. Dr. W., Chefarzt der Kardiologie im Kreiskrankenhaus S. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat unter dem 15.10.2013 mitgeteilt, er habe die Klägerin im Rahmen der stationären Behandlung zuletzt am 16.03.2012 behandelt. Damals sei nach mehrtägiger intensivmedizinischer Behandlung mit maschineller Beatmung im künstlichen Koma die Klägerin vollkommen arbeits- und erwerbsunfähig gewesen, wie sich ihr Zustand entwickelt habe, könne er nicht beurteilen. Das SG hat daraufhin ein erneutes internistisches Gutachten bei Dr. B. eingeholt. Im Gutachten vom 21.03.2014 diagnostiziert Dr. B.: asymptomatisches multiples Myelom, sekundäre Osteoporose, Raynaud-Syndrom, Zn beidseitiger Pneumonie, infektiöser Myokarditis und Myokardinfarkt bei unauffälligen Koronararterien, Harninkontinenz, rezidivierendes LWS-Syndrom, beginnende Cox- und Gonarthrose links, chronisches Schmerzsyndrom, anamnestisch Polyneuropathie, Va Somatisierungsstörung, Anpassungsstörung. Es sei eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten Beschwerden und den objektivierbaren Befunden in Bezug auf die Schmerzen aufgefallen, so dass eine Somatisierungsstörung im Raum stehe. Dazu würde auch die angegebene schnelle Erschöpfbarkeit passen, für die sich kein organisches Korrelat finde. Aus internistischer Sicht seien körperlich leichte Arbeiten ohne Einfluss von Kälte oder Nässe oder mit ständigen feinmotorischen Tätigkeiten vollschichtig möglich. Eine nervenärztliche Begutachtung werde für erforderlich gehalten.

Dr. S. hat in dem nachfolgenden neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 20.06.2014 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: ängstlich-depressives Syndrom iSv Anpassungsstörungen bei körperlicher Erkrankung, ein asymptomatisches multiples Myelom, sekundäre Osteoporose, Wirbelsäulensyndrom, Raynaud-Syndrom, Zn beidseitiger Pneumonie, infektiöser Myokarditis und Myokardinfarkt bei unauffälligen Koronararterien, Zn Hysterektomie, Appendektomie, Fettstoffwechselstörung, Schilddrüsenstoffwechselstörung medikamentös substituiert und Harnteilinkontinenz. Eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung sei bislang nicht erfolgt, aber zu empfehlen. Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ergäben sich vorwiegend aus internistischer Sicht. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht könne die Klägerin acht Stunden täglich arbeiten in Tagschicht ohne verschärfte Akkord- oder Fließbandarbeit und ohne psychische Belastungen.

Mit Urteil vom 30.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert. Es liege ein asymptomatisches multiples Myelom, sekundäre Osteoporose, ein Raynaud-Syndrom, Zn beidseitiger Pneumonie, infektiöser Myokarditis und Myokardinfarkt, Harninkontinenz, ein rezidivierendes LWS-Syndrom, beginnende Cox- und Gonarthrose, ein chronisches Schmerzsyndrom, anamnestisch Polyneuropathie, ein ängstlich-depressives Syndrom iS einer Anpassungsstörung sowie eine Fett- und Schilddrüsenstoffwechselstörung vor. Diese Erkrankungen führten zu qualitativen Leistungseinschränkungen, nicht aber zu einer zeitlichen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Eine tiefgreifende Störung auf nervenärztlichem Gebiet bestehe nicht. Erstmals im September 2014 sei eine mittelgradige depressive Episode angenommen worden, allerdings als erste depressive Phase; im Rahmen einer Wiedervorstellung solle ggf eine medikamentöse Behandlung begonnen werden, bislang sei keine Therapie erfolgt. Das Beschwerdebild liege daher eindeutig auf internistischem Gebiet. Solange das Myelom nicht zu Folgebeeinträchtigungen führe, insbesondere noch keine Chemotherapie notwendig sei, folge daraus keine qualitative Leistungsminderung. Die sekundäre Osteoporose habe sich unter Behandlung gebessert. Das Raynaud-Syndrom führe dazu, dass keine besonderen Anforderungen an die Feinmotorik zu stellen seien. Aus der schweren Lungenentzündung folgten keine quantitativen Einschränkungen mehr, die kardiale und pulmonale Funktion sei weitgehend wiederhergestellt. Die Klägerin habe gegenüber Dr. B. angegeben, sie gehe nach dem Mittagessen in der Regel eine Stunde walken, wobei sie sehr schnell laufe, aber immer wieder Pausen einlegen müsse und danach sehr erschöpft sei. Ansonsten habe sie angegeben, nach dem Frühstück mit der Hausarbeit zu beginnen, wobei sie nur noch abstaube und koche und gelegentlich Pausen einlegen müsse. Ansonsten bastle sie viel, lese oder sehe fern, backe auch einmal einen Kuchen. Aus der teilweisen Harninkontinenz folge nur das Erfordernis der Erreichbarkeit einer Toilette. Die Raynaud-Symptomatik sei auch nicht als schwere spezifische Leistungsbehinderung anzusehen. Zwar werde dadurch die Greiffähigkeit eingeschränkt, es gebe aber eine Vielzahl von Tätigkeiten, bei denen die Klägerin nicht auf die Feinmotorik der Hände angewiesen sei. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da die Klägerin allenfalls eine angelernte Tätigkeit des unteren Bereichs ausgeübt habe und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Gegen das ihr am 09.10.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 31.10.2014 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie ist der Auffassung, dass die Gutachter einen einmal durch das Leitgutachten Dr. K. festgelegten Weg gegangen seien. Bei den Gutachtern bestünden Zweifel an der Fachkompetenz im Bereich Onkologie, insbesondere multiples Myelom sowie im Bereich des Raynaud-Syndroms. Die kontinuierlich ansteigende Verschlechterung der Blut- und Urinuntersuchungsergebnisse beweise die zunehmende Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.09.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.08.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zunächst Prof. Dr. G., Myelomzentrum am Universitätsklinikum H., als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dieser hat mit Schreiben vom 22.12.2014 mitgeteilt, im November 2014 seien wegen der grenzgradigen Behandlungsindikation Ganzkörper-MRT und –CT-Untersuchungen durchgeführt worden. Der Gesundheitszustand stelle sich seit Erstvorstellung weitgehend stabil dar, hinsichtlich des Myeloms werde keine Therapie durchgeführt. Die polyneuropathischen Beschwerden erschienen zunehmend. Die berufliche Leistungsfähigkeit erscheine stark eingeschränkt, eine nähere Einschätzung sei aus seiner Sicht schwer möglich.

Ergänzend hat der Senat ein internistisches Gutachten bei dem ärztlichen Direktor der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hämato-Onkologie, Diabetologie und Infektiologie Prof. Dr. C. eingeholt. Dieser hat mit Gutachten vom 03.07.2015 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Smouldering Lymphom (Typ IgG Lambda, Stadium 1A Salmon and Durie, ED 6/12); sekundäre Osteoporose mit Deckplatteneinbruch BWK 4 (ED 2012); Raynaud-Syndrom; chronisches Schmerzsyndrom/Polyneuropathie Va POEM Syndrom. Hinsichtlich des multiplen Myeloms sei nun eine Dynamik bei bisher stabilen Aktivitätsmarkern erkennbar. Seit Februar 2015 sei die Klägerin in eine Studie eingeschlossen (Placebo-kontrollierte Phase II-Studie mit IL-6 Antikörper Siltuximab). Sinn der Therapie sei eine Verzögerung des Übergangs in eine aktive Myelomerkrankung. Trotz Zunahme der Aktivitätsparameter habe sich am Stadium der Erkrankung noch nichts geändert, derzeit bestehe keine Behandlungsnotwendigkeit. Der Übergang in ein aktives Myelom sei bei bekannten Hochrisikomutationen jederzeit möglich. Klinisch liege derzeit eine ausgeprägte Fatiguesymptomatik vor, die seit Dezember 2014 progredient sei. Im Rahmen der Spiroergometrie habe eine relevante kardiale oder pulmonale Limitierung ausgeschlossen werden können. Es bestehe nur eine leichte obstruktive Ventilationsstörung, die wahrscheinlich durch den stattgehabten, jedoch nicht fortgesetzten Nikotinkonsum erklärt werde. Im Vergleich zum Vorbefund von Dr. B. (50 Watt im März 2014) habe aktuell mit 65 Watt eine höhere Leistungsstufe erreicht werden können. Die zuletzt im Februar 2015 durchgeführte Knochendichtemessung habe einen altersentsprechenden Befund gezeigt und damit eine Verbesserung. Bei einem Raynaudanfall könne die Klägerin Gegenstände schlechter greifen, die Hände würden kalt und steif. In beschwerdefreien Episoden könne die Klägerin handarbeiten wie stricken und häkeln, so dass keine Einschränkung der Feinmotorik bestehe. Die Polyneuropathie bewirke einen ausgeprägten Leidensdruck; diese äußere sich mit plötzlich und blitzartig einsetzenden Muskel- und Nervenschmerzen, die Symptome besserten sich bei Bewegung. Hinsichtlich der Lumbago und der leichten Harninkontinenz bestehe eine stabile Situation. Bei der Untersuchung habe sich die Klägerin in ausgeglichener Stimmungslage präsentiert, sie mache sich jedoch Sorgen über den weiteren Verlauf der Erkrankung. Es bestünden Einschlafstörungen, die eine Einnahme von Zoplicon notwendig machten. Insgesamt seien nur noch leichte Tätigkeiten möglich ohne das Erfordernis ununterbrochener manueller Tätigkeit aufgrund der ca 10mal am Tag auftretenden Raynaud-Symptomatik. Die Klägerin könne zwischen drei und sechs Stunden am Tag arbeiten. Die Symptome seien für die Klägerin stark einschränkend, jedoch bestehe objektiv und nach den genannten Untersuchungen keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Er schließe sich der Auffassung der Vorgutachter an. Ergänzend hat Prof. Dr. C. auf Nachfrage zur Diskrepanz zwischen Annahme eines drei- bis sechsstündigen Leistungsvermögens und Übereinstimmung mit den Vorgutachtern mit Schreiben vom 03.08.2015 mitgeteilt, er halte die Klägerin für arbeitsfähig und schließe sich den Ausführungen der Kollegen an; es gelte eine Mindestarbeitszeit von 6h/Tag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, denn sie ist nicht erwerbsgemindert.

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls bis Dezember 2014 grundsätzlich in der Lage war, eine körperlich leichte Tätigkeit ohne Wechsel-, Nachtschicht, Akkord- oder Fließbandarbeit, ungünstige klimatische Bedingungen und ohne besondere Anforderungen an die Feinmotorik der Hände mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Ob die erst zu diesem Zeitpunkt eingetretene deutliche Verschlechterung zu einem Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden führt – was nach Auffassung des Gutachters Prof. Dr. C. nicht der Fall ist – bedarf vorliegend keiner weiteren Klärung, denn die Klägerin hat wegen der Lücke in ihrem Versicherungsverlauf vom 31.12.2008 bis 31.12.2011 letztmals bei Eintritt des Leistungsfalls am 31.01.2011 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt (vgl auch Schreiben der Beklagten vom 08.10.2015).

Bei Eintritt eines Versicherungsfalls im Dezember 2014 oder später erfüllt die Klägerin nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie hat dann in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, auch keine gleichgestellten Zeiten iSv § 55 Abs 2 SGB VI. Dies gilt auch unter Anwendung möglicher Verlängerungstatbestände gemäß §§ 43 Abs 4 und 5, 241 SGB VI. Im (fiktiv angenommenen) Zeitraum vom 14.12.2009 bis 13.12.2014 hat die Klägerin nur 11 Monate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt (Pflichtbeitragszeit für Pflegetätigkeit, §§ 55 Abs 2 Nr 2, 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI).

Nach § 43 Abs 4 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Nr 1), Berücksichtigungszeiten (Nr 2), Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt (Nr 3) und Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung (Nr 4).

Derartige Verlängerungstatbestände müssten hier in einem Umfang von drei Jahren vorliegen, denn erst bei Erstreckung auf die Zeit bis einschließlich Dezember 2006 hätte die Klägerin, im dann verlängerten Zeitraum vom 14.12.2006 bis 13.12.2014 drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten belegt. Solche Zeiten kommen hier nicht in Betracht. Die Klägerin war weder nach dem 30.12.2008 weiter arbeitslos gemeldet, noch sind Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit in dem nicht belegten Zeitraum 14.12.2009 bis 31.12.2011 und ab 01.12.2012 nachgewiesen. Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit liegen nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung unterbrochen wird (§ 58 Abs 2 SGB VI). Dies ist bei den Zeiten bis 31.12.2011 ersichtlich nicht der Fall. Auch über § 43 Abs 4 Nr 3 SGB VI lässt sich die fehlende Unterbrechung nicht beheben, da nicht sechs Monate vor Beginn einer eventuellen Arbeitsunfähigkeit ein Pflichtbeitrag aufgrund einer versicherten Beschäftigung vorliegt. Selbst wenn unterstellt würde, dass nach den – insoweit gleichgestellten – Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeit durchgehend Arbeitsunfähigkeit ab 01.12.2012 vorgelegen hätte, würde sich der Fünf-Jahres-Zeitraum um maximal 25 Monate verlängern. Dies würde nicht ausreichen. Abgesehen davon, ist nach den vorliegenden Gutachten ausgeschlossen, dass eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit vorlag, die Klägerin war allenfalls vorübergehend bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitsunfähig erkrankt.

Die versicherungsrechtlichen Versicherungen liegen auch unter keinem weiteren Gesichtspunkt vor. Nach § 43 Abs 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (§ 53 SGB VI). Dies ist hier nicht der Fall. Nach § 241 Abs 1 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit, in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen, auch um Ersatzzeiten und Zeiten des Bezugs einer Knappschaftsausgleichsleistung vor dem 01.01.1992. Solche Zeiten hat die Klägerin nicht. Die Klägerin hat auch nicht, bei Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor dem 01.01.1984, sämtliche Monate bis Dezember 2014 mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt, noch ist für sämtliche nicht belegten Monate eine Beitragszahlung noch zulässig (§ 241 Abs 2 SGB VI).

Für die Zeit bis Dezember 2014 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch eine körperlich leichte Tätigkeit ohne Wechsel-, Nachtschicht, Akkord- oder Fließbandarbeit, ungünstige klimatische Bedingungen und ohne ständige feinmotorische Arbeiten der Hände mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann. Diese Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin beruhen auf folgenden Gesundheitsstörungen: asymptomatisches multiples Myelom (Smouldering Lymphom Typ IgG Lambda, Stadium 1A Salmon and Durie), sekundäre Osteoporose mit Deckplatteneinbruch BWK 4, Raynaud-Syndrom, ängstlich-depressives Syndrom iSv Anpassungsstörungen bei körperlicher Erkrankung, chronisches Schmerzsyndrom/Polyneuropathie, Va POEM Syndrom. Daneben besteht ein Zn beidseitiger Pneumonie, infektiöser Myokarditis und Myokardinfarkt bei unauffälligen Koronararterien, Harninkontinenz, Wirbelsäulensyndrom, beginnende Cox- und Gonarthrose links, Zn Hysterektomie, Appendektomie, Fettstoffwechselstörung und Schilddrüsenstoffwechselstörung medikamentös substituiert.

Das Vorliegen dieser Gesundheitsstörungen ergibt sich aus den gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. B., Dr. S. und Prof. Dr. C ... Sämtliche Gutachter sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass aufgrund der vorliegenden Erkrankungen noch keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens besteht. Diese Einschätzung ist für den Senat überzeugend und nachvollziehbar. Insbesondere die schwere Grunderkrankung ist noch immer in einem asymptomatischen, nicht behandlungsbedürftigen Stadium, auch wenn in letzter Zeit die Kontrollwerte schlechter geworden sind. Die sekundäre Osteoporose hat sich unter Behandlung sogar gebessert, inzwischen liegen bei der Klägerin altersentsprechende Werte vor (osteologische Verlaufskontrolle durch Prof. Dr. Dr. K.). Aus dem Raynaud-Syndrom folgen lediglich qualitative Einschränkungen in Bezug auf die Hände insoweit, als besondere Anforderungen an die Feinmotorik ausscheiden. Dies schließt der Senat aus der übereinstimmenden internistischen Beurteilung durch Dr. B. und Prof. Dr. C ... Aus der durchgemachten schweren Lungenentzündung und dem Myokardinfarkt sind keine kardialen und pulmonalen Einschränkungen verblieben. Diese Funktionen waren bereits nach der Untersuchung durch Prof. Dr. B. vom 21.03.2014 weitgehend wiederhergestellt, auch Prof. Dr. C. sah keinerlei kardiale oder pulmonale Limitierung, er sah vielmehr durch Training eine weitere Verbesserung möglich. Eine bei der Klägerin aufgetretene Gürtelrose war bereits nach dem Bericht des Universitätsklinikums H. vom 17.07.2014 fast vollständig abgeheilt. Auch die vorhandene psychische Belastung durch die Krebserkrankung führt – jedenfalls bis Dezember 2014 - nicht zu einer zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Dies folgt aus dem Gutachten von Dr. S., der einen unauffälligen psychischen Befund ohne Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung und ohne kognitive oder mnestische Defizite erhoben hatte. Aus der erstmals im September 2014 diagnostizierten mittelgradigen depressiven Episode (Arztbrief Dr. B. vom 08.09.2014) ergibt sich ebenfalls keine dauerhafte Einschränkung, der Senat nimmt insoweit auf die Ausführungen des SG auf Seit 9 des angefochtenen Urteils Bezug. Abgesehen davon wären auch bei Eintritt eines Leistungsfalls im Herbst 2014 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

Die Verschlechterung der Raynaud-Symptomatik ist nach dem Gutachten von Prof. Dr. C. erst im Dezember 2014/Januar 2015 eingetreten mit zunehmender Häufigkeit (Blasswerden der Hände ca 10 Mal am Tag mit einer Dauer von je 15 Minuten). Auch hat zu diesem Zeitpunkt die Beschwerdesymptomatik durch die Polyneuropathie zugenommen, so dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben seit Dezember 2014 die von ihr zuvor täglichen Walking-Runden mit einer Dauer von einer Stunde aufgegeben hat. Auch die zunehmende Fatigue-Symptomatik besteht nach dem Gutachten von Prof. Dr. C. erst ab Dezember 2014. Zu diesem Zeitpunkt liegen jedoch, wie bereits ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht mehr vor.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht. Einschränkungen wie Tätigkeiten ohne Wechsel- oder Nachtschicht oder ungünstige klimatische Bedingungen schränken den in Betracht kommenden Arbeitsmarkt nicht wesentlich ein. Die Greiffunktion der Hände ist bei der Klägerin nicht eingeschränkt, lediglich ständige feinmotorische Arbeiten sind nicht zumutbar. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5).

Die Wegefähigkeit ist ebenfalls gegeben. Die Klägerin ist in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht übereinstimmend aus den Gutachten von Dr. B., Dr. S. und Prof. Dr. C. hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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