L 10 U 273/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 504/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 273/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.07.2010 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ab 03.02.2002 Verletztenrente zusteht.

Die am 1961 geborene Klägerin betrieb von Mai 1998 bis Februar 2001 als selbstständige Gastwirtin den "A. " in Bückeburg. In dieser Tätigkeit war sie bei der Beklagten versichert. Anschließend war sie in diesem Betrieb bis Ende April 2002 als Angestellte tätig und siedelte dann nach Ö. über. Hier war sie ihren Angaben zu Folge bis September 2004 in St. U. am P. zeitweise als angestellte Geschäftsführerin in einem Hotel- und Gaststättenbetrieb ihres Vaters tätig. Anschließend war sie arbeitslos bzw. zeitweise im Gaststättenbereich im Service beschäftigt. Seit einem Arbeitsunfall am 03.02.2006 war die Klägerin nicht mehr beruflich tätig.

Am 30.06.1998 erlitt sie einen Arbeitsunfall, als sie beim Reinigen eines Glases stürzte und sich die rechte Hand verletzte. Der noch am selben Tag im Klinikum M. aufgesuchte Prof. Dr. E. diagnostizierte nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung eine Schnittwunde an der rechten Hohlhand mit Durchtrennung der oberflächlichen und tiefen Beugesehne D II und Teildurchtrennung D III. Die Klägerin wurde stationär aufgenommen, operativ versorgt und am 03.07.1998 entlassen (vgl. Durchgangsarztbericht vom 02.09.1998; Bl. 3 VerwA). Wegen Beschwerden im Bereich des zweiten Fingers (u.a. Streckdefizit, Taubheitsgefühl) wurde im Rahmen einer stationären Behandlung am 05.01.1999 eine Tenolyse der oberflächlichen und tiefen Beugesehne und eine Neurolyse des radialen Fingernervens durchgeführt, wodurch eine Verbesserung der Beweglichkeit im End- und Mittelglied des Zeigefingers erreicht wurde (vgl. Behandlungsbericht vom 12.01.1999, Bl. 7 VerwA). Ab 24.02.1999 war die Klägerin wieder arbeitsfähig.

Im August 2006 wandte sich die Klägerin mit dem Hinweis an die Beklagte, am 03.02.2006 auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit auf die rechte Hand gestürzt zu sein und seither unter andauernden Schmerzen und Funktionsstörungen der Hand zu leiden, weshalb am 20.06.2006 eine Operation durchgeführt worden sei. Nach Angabe der operierenden Ärztin sei der Zustand dem Unfall vom 30.06.1998 und nicht dem Unfall vom 03.02.2006 zuzuordnen.

Die im Hinblick auf den Unfall vom 03.02.2006 zu den Akten der Beklagten gelangten medizinischen Unterlagen weisen aus, dass bei der Klägerin nach erfolglos durchgeführten konservativen Behandlungen im Universitätsklinikum Innsbruck am 20.06.2006 wegen eines Narbenneuroms eine Tenolyse des radialen Zeigefingernervens durchgeführt wurde und die Beschwerdesituation in dem Ersten Rentengutachten des Dr. J. vom Rehabilitationszentrum H. der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Ö. , Landesstelle S. (AUVA), nicht dem Unfall vom 03.02.2006, sondern der am 30.06.1998 erlittenen Schnittverletzung zugeordnet wurde. Entsprechend lehnte die AUVA mit Bescheid vom 06.02.2007 die Gewährung einer Versehrtenrente aus Anlass des Unfalls vom 03.02.2006 ab. Dieser habe zu einer Prellung des rechten Handgelenks bei schwerem Vorschaden geführt.

Die Beklagte veranlasste sodann eine Vorstellung der Klägerin in der handchirurgischen Sprechstunde der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. (BG-Klinik), wobei Dr. S. , Chefarzt der Abteilung für Plastische-, Hand- und Rekonstruktive Mikrochirurgie, die bestehende Beschwerdesituation (Überempfindlichkeit, Kribbeln, Elektrisieren, Taubheitsgefühl an der Beugeseite des Zeigefingers, Wetterfühligkeit, eingeschränkte Beweglichkeit, Kältegefühl) als vorübergehende, jedoch nicht richtungsweisende Verschlimmerung der Folgen des Unfalls vom 30.06.1998 beurteilte und eine Zusammenhangsbegutachtung empfahl.

In seinem auf Grund Untersuchung der Klägerin im Mai 2007 erstatteten Gutachten fasste Dr. S. die Unfallfolgen auf Grund der erhobenen Befunde (Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 4 - 2 - 0 - 0, Nagelrand/verlängerte Handrückenebene: 1 - 0 - 0 - 0; Abstand Langfingerkuppe/ Daumenspitze: 1 - 0 - 0 - 0) wie folgt zusammen: Bewegungseinschränkung der rechten Hand bei Z.n. Schnittverletzung mit Durchtrennung der Beugesehnen und Teildurchtrennung des radialen Nerven am Zeigefinger rechts, Hypersensibilität am Zeigefinger rechts und in der Hohlhand rechts, Kraftminderung der rechten Hand, röntgenologisch diffuse Kalksalzminderung des rechten Zeigefingers im Sinne einer Inaktivitätsatrophie. Unabhängig hiervon sei die am 03.02.2006 erlittene Prellung des rechten Handgelenks. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Unfallfolgen schätzte er für die Zeit vom 24.02.1999 bis 14.05.2007 mit 20 vom Hundert (v.H.) ein, ebenso ab 15.05.2007 auf Dauer. Zur Besserung der Schmerzsituation erachtete Dr. S. eine intensive Desensibilisierung der rechten Hand für notwendig und empfahl auf Grund der Schwere der Sensibilitätsstörungen und der Dauer der Beschwerden dringend eine stationäre Behandlung. Im Hinblick darauf wurde die Klägerin am 25.07.2007 stationär in der BG-Klinik aufgenommen. Mit Schreiben vom 26.07.2007 wandte sich Dr. S. unter Bezugnahme auf sein erstattetes handchirurgisches Gutachten an die Beklagte und teilte mit, ihm sei insoweit ein Fehler unterlaufen, als die MdE viel zu hoch eingeschätzt worden sei. Nach nochmaliger klinischer Untersuchung anlässlich der stationären Aufnahme am 25.07.2007 werde die MdE mit 10 v.H. eingeschätzt, voraussichtlich auf Dauer. Insoweit erfolge eine nochmalige Stellungnahme im Abschlussbericht. In seinem Abschlussbericht vom 13.08.2007 (vgl. Bl. 175 VerwA) über die stationäre Behandlung bis 09.08.2007 führte Dr. S. aus, im Vergleich zum Aufnahmebefund (kein Schwellungszustand, keine muskulären Atrophien, reizlose Narbe über dem beugeseitigen Grundgelenk, die beim Beklopfen ein starkes Missempfinden auslöst, Sensibilität in Form eines Taubheits- und Kribbelgefühls an der Speichenseite des Zeigefingers herabgesetzt, restliche Finger normale Sensibilität, Faustschluss inkomplett, deutlich verlangsamt ausgeführt, Fingerstreckung nicht vollständig, für Zeigefinger verbleibt Fingernagel-Tisch-Abstand von 0,5 cm zur vollständigen Streckung, Opposition des Daumens gelingt zu allen Langfingern, Händedruck deutlich abgeschwächt) habe sich eine deutliche Besserung mit einem vollständigen Faustschluss ergeben; auch die Streckung der Langfinger sei nahezu vollständig gelungen. Es sei ein Kompressionshandschuh mit Silikoneinlage zur Vermeidung der auch während der Übungsbehandlung nur gering ausgeprägten Schwellung angepasst worden. Wegen der deutlichen Besserung des Befundes sei auch eine Korrektur der MdE vorgenommen worden. Weitere ambulante krankengymnastische und ergotherapeutische Übungsbehandlungen seien nicht notwendig. Arbeitsfähigkeit bestehe ab 13.08.2007. Eine Abschlussuntersuchung mit der geplanten nochmaligen Feststellung der Bewegungsumfänge und Fotodokumentation sei von der Klägerin abgelehnt worden.

Mit Bescheid vom 03.09.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente sodann mit der Begründung ab, über das Ende der Arbeitsunfähigkeit am 12.08.2007 nach Wiedererkrankung sei ihre Erwerbsfähigkeit nicht in einem rentenberechtigenden Grade gemindert. Die verbliebene MdE betrage 10 v.H.

Hiergegen sowie gegen den weiteren Bescheid vom 11.09.2007, mit dem die Beklagte das Verletztengeld für die Zeit vom 25.02.2006 bis 12.08.2007 abrechnete, erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte veranlasste das Gutachten des Dr. L. , Chefarzt in der Chirurgischen Klinik im Klinikum M. , der die Klägerin im März 2008 untersuchte und auf Grund des erhobenen Befundes (u.a. stark schmerzhafte elektrisierende Missempfindungen und Kribbelparästhesien bei Berührung der Beugeseite des rechten Zeigefingers und der Hohlhand im Bereich des Zeigefingergrundgelenks, Sensibilität der übrigen Hand normal, fehlender Faustschluss der Finger 2, 3 und 4, Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 6 - 2,5 - 1,5 - 0, Abstand Nagelrand/verlängerte Handrückenebene: 5 - 5 - 5 - 5, Beweglichkeit des rechten Daumens im Grundgelenk deutlich vermindert, ebenso Abspreizung, rechter Daumen erreicht keine Langfingerkuppe, d.h. Spitzgriff auch mit Daumen und Zeigefinger nicht durchführbar, Handspanne erheblich eingeschränkt, kein eindeutiger Nachweis einer Schwellung oder Atrophie) die MdE mit 20 v.H. einschätzte und von einer über den 12.08.2007 hinaus auf unbestimmte Dauer bestehenden Arbeitsunfähigkeit ausging. Auf die Rückfrage der Beklagten, wodurch sich die radikale Verschlechterung der Bewegungsmaße im Vergleich zu dem Vorgutachten des Dr. S. zehn Monate zuvor erkläre, äußerte sich Dr. L. dahingehend, dass die Klägerin ihre rechte Hand auch für leichte tägliche Verrichtungen nicht gebrauchen könne, weshalb es zu einer zunehmenden Bewegungseinschränkung der Finger komme. Die Gebrauchsunfähigkeit erkläre auch die Einschränkung der Beweglichkeit der durch die Verletzung nicht betroffenen Langfinger. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Dr. K. ein weiteres Gutachten. Der Gutachter bewertete die MdE aufgrund des von ihm im Oktober 2008 erhobenen Befundes (keine Muskelverschmächtigung, allenfalls diskrete trophische Störungen am rechten Zeigefinger, der in einer ständigen Schonhaltung mit Überstreckung im rechten D II-Grundgelenk und Beugung im Mittel- und Endgelenk gehalten werde; Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 7 - 1 - 0 - 0, Abstand Nagelrand/ verlängerte Handrückenebene: 1 - 1 - 0 - 0) mit 10 v.H. Zur Begründung führte er aus, die offensichtlich schmerzbedingte Funktionsminderung des rechten Zeigefingers sei in keinster Weise dem Verlust des rechten Zeigefingers gleichzusetzen, zumal keine Asensibilität und keine Allodynie am rechten Zeigefinger vorliege. Zudem seien alle Phalangialgelenke des rechten Zeigefingers passiv endgradig und ohne Spannung zu mobilisieren, was wiederum gegen eine langjährige aktive Bewegungsunfähigkeit des rechten Zeigefingers spreche. Zusammenfassend ging er davon aus, dass das Anpralltrauma vom 03.02.2006 eine richtungsweisende Verschlimmerung der Unfallfolgen vom 30.06.1998 verursachte. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.09.2007 gestützt auf das Gutachten des Dr. K. zurück. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 29.01.2009 gab sie dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 11.09.2007 insoweit statt, als sie Verletztengeld bis zum 24.08.2007 weiterzahlte und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Dieser Bescheid wurde bestandkräftig.

Am 19.02.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage mit dem Begehren Klage erhoben, ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung hat sie ihren Antrag konkretisiert und die beantragte Verletztenrente ab 03.02.2002 (der aus ihrer Sicht noch nicht verjährte Zeitraum) begehrt.

Das SG hat das Gutachten des Dr. B. , Oberarzt in der Chirurgischen Universitätsklinik H. , aufgrund Untersuchung der Klägerin im September 2009 eingeholt. Der Sachverständige hat auf Grund des erhobenen Befundes (u.a. Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 7 - 4 - 1 - 0, Abstand Nagelrand/ verlängerte Handrückenebene: 1 - 1 - 1 - 0) als Unfallfolge eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand durch eine Überempfindlichkeit des Zeigefingers und der speichenseitigen Hälfte der Hohlhand, eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit vor allem von Zeige- und Mittelfinger mit dadurch inkomplettem und kraftlosem Faustschluss, aller speziellen Griffformen (beispielsweise Spitz-, Klemm- und Grobgriff) und funktionell behindernder Handspanne, eine Beeinträchtigung der Feinmotorik der rechten Hand sowie ein eingeschränktes Bewegungsausmaß im rechten Handgelenk beschrieben und die MdE mit 20 v.H. eingeschätzt. Seines Erachtens sei nicht lediglich die Funktion des rechten Zeigefingers wie bei einem kompletten Verlust zu bewerten, was nach der unfallmedizinischen Literatur mit einer MdE um 10 v.H. bzw. 15 v.H. bewertet werde. Vielmehr werde die Funktionsstörung des speichenseitigen Nervens dadurch charakterisiert, dass bereits inadäquate Reize elektrisierende Schmerzen hervorriefen, die zur Hohlhand und zum Unterarm hin ausstrahlten, und die Funktion der gesamten Hand in einer Art und Weise beeinträchtigten, dass diese eigentlich nur noch als Beihand, beispielsweise zum Festhalten eines Gegenstandes mit der ellenseitigen Handkante, einsetzbar sei. So bleibe selbst der Spitz-/Pinzettengriff zum Ring- und Kleinfinger unvollständig.

Hiergegen hat die Beklagte unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T. Einwendungen erhoben. Das Gutachten des Dr. B. sei nicht plausibel, nachdem der Sachverständige auf der einen Seite zwar eine erhebliche Funktionsminderung beschreibe und konstatiere, dass die rechte Hand nur noch als Beihand einsetzbar sei, auf der anderen Seite jedoch keine erkennbaren Zeichen einer regelmäßigen Schonung der Hand objektiviert habe.

Mit Urteil vom 30.07.2010 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 03.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2009 und Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 25.08.2007 (Ende des Verletztengeldanspruchs) zu gewähren. Das SG hat sich dabei im Wesentlichen auf die Einschätzung des Dr. B. gestützt, die in Übereinstimmung mit der Auffassung des Dr. S. in seinem Gutachten vom Mai 2007 und dem Gutachten des Dr. L. stehe. Dass eine MdE in einem rentenberechtigenden Ausmaß bereits seit 03.02.2002 bestanden haben soll, sei nicht nachvollziehbar. Für diese Zeit fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für eine verlässliche Schätzung der MdE. Erst durch den Unfall vom 03.02.2006, der zur Aktivierung der bestehenden Krankheitsanlage geführt habe, sei es zu einer Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der rechten Hand gekommen. Gestützt werde dies dadurch, dass die Klägerin bis zu dem Unfall in der Gastronomie tätig gewesen sei. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Klägerin bei seit Februar 2002 angeblich identischem Beschwerdezustand seit Februar 2006 in ihrem bisherigen Tätigkeitsfeld nicht mehr arbeiten kann, dies aber zuvor noch möglich gewesen sein soll.

Gegen das der Beklagten am 21.12.2010 und der Bevollmächtigten der Klägerin am 23.12.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.01.2011 und die Klägerin am 21.01.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.

Die Klägerin hält die angefochtene Entscheidung insoweit für zutreffend, als die Beklagte zur Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 25.08.2007 verurteilt worden ist, nicht jedoch im Hinblick auf den davor liegenden Zeitraum ab 02.02.2002, in dem ihr Verletztengeldanspruch noch nicht verjährt sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG von einer Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der Hand durch den Unfall vom Februar 2006 ausgegangen sei. Dies finde in keinem der von der Beklagten eingeholten Gutachten eine Stütze. Insbesondere sei sie auch nicht bis März 2006 uneingeschränkt in der Gastronomie tätig gewesen. Hierzu hat sie umfangreiche Ausführungen zum Betrieb des A. s in Bückeburg, ihrer dort verrichteten Tätigkeit und zu ihren Beschäftigungen nach dem Umzug nach Ö. gemacht und verschiedene Unterlagen, u.a. über den Bezug von Sozialleistungen und Verdienstbescheinigungen vorgelegt, jedoch keine medizinischen Unterlagen aus dem Zeitraum von Februar 1999 bis Januar 2006. Auch hat die Klägerin nicht die Ärzte benannt, bei denen sie in diesem Zeitraum in Behandlung stand.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.07.2010 abzuändern und die Beklagte unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 03.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2009 zu verurteilen, ihr Verletztenrente auch vom 03.02.2002 bis 24.08.2007 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.07.2010 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte hat auf die erhebliche Variationsbreite der von Dr. S. , Dr. L. , Dr. K. und Dr. B. dokumentierten Befunde über die dargebotene Beweglichkeit hingewiesen, die offensichtlich tagesabhängig sei. Dies sei medizinisch nur plausibel, wenn in unterschiedlichem Ausmaß eine Selbstlimitierung der Beweglichkeit erfolgt sei. Der Sachverständige Dr. B. hätte die MdE im Übrigen höher einschätzen müssen, wenn die Funktionswerte der rechten Hand tatsächlich so schlecht gewesen wären, wie von ihm angenommen.

Der Senat hat das unfallchirurgische Gutachten des PD Dr. G. , Oberarzt in der Klinik für Unfallchirurgie, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie im Zentrum für Chirurgie der Universitätsklinik U. , auf Grund Untersuchung der Klägerin im Februar 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat eine freie passive Beweglichkeit aller dreigliedrigen Finger sowie eine deutlich eingeschränkte aktive Beweglichkeit der dreigliedrigen Finger (Abstand Nagelrand/querer Hohlhandfalte: 6 - 4 - 1 - 0; Abstand Nagelrand verlängerte Handrückenebene: 6,5 - 4 - 4 - 3) beschrieben, wobei die primären Greifformen (Faustschluss, Kraft-, Spitz-, Daumen-Zeigefinger-, Schlüsselgriff) nicht möglich gewesen seien. Als Ursache habe die Klägerin Schmerzen in der distalen Hohlhand sowie die dadurch bedingte Bewegungseinschränkung der Finger angegeben. Der Sachverständige hat eine Diskrepanz in den erhobenen Befunden beschrieben und ist im Hinblick auf den dokumentierten Funktionsbefund, bei dem man auf die aktive Mitarbeit angewiesen sei, von Aggravation ausgegangen. Bei wohlwollender Beurteilung und Gleichsetzung des Befundes mit einer Amputation des Zeigefingers hat der Sachverständige die MdE mit 10 v.H. bewertet. Als Unfallfolgen hat PD Dr. G. eine Gefühlsstörung palmar radialseitig am rechten Zeigefinger und eine geringgradige Einschränkung der aktiven Beugung des rechten Zeigefingers angenommen.

Zu dem Gutachten des PD Dr. G. hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des Dr. B. eingeholt, der an seiner Einschätzung festgehalten hat. Zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr. B. hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. T. vorgelegt, der die Ausführungen des Dr. B. nicht für überzeugend erachtet hat.

Zu dem sodann eingeholten neurologischen Gutachten des Prof. Dr. L. , Ärztlicher Direktor in der Neurologischen Universitätsklinik U. , der von neurologischer Seite von einem schweren neuropathischen Schmerzsyndrom der Endäste des rechten N. Medianus ausgegangen ist, das zu einer nahezu aufgehobenen Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand führe und eine MdE um 25 v.H. bedinge, hat sich PD Dr. G. unter Aufrechterhaltung seiner Auffassung ergänzend geäußert.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sacherhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten und nach den §§ 143, 144 statthaften Berufungen der Beklagten und der Klägerin, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, sind zulässig; allerdings ist lediglich die Berufung der Beklagten begründet, während die Berufung der Klägerin keinen Erfolg hat.

Das SG hätte die Beklagte nicht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilen dürfen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 25.08.2007 zu gewähren. Denn der Bescheid der Beklagten vom 03.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, der Klägerin nach Ende der Arbeitsunfähigkeit nach Wiedererkrankung Verletztenrente zu gewähren.

Soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Verletztenrente für die Zeit vom 03.02.2002 bis 24.08.2007 begehrt, hat das SG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig, weil für diesen streitigen Zeitraum keine Entscheidung der Beklagten vorliegt.

Mit Bescheid vom 03.09.2007 lehnte es die Beklagte ausweislich des entsprechenden Verfügungssatzes ab, der Klägerin Rente zu gewähren. Diese Ablehnung begründete sie damit, dass "über das Ende der Arbeitsunfähigkeit am 12.08.2007 nach Wiedererkrankung hinaus" die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht in einem rentenberechtigenden Grade gemindert sei. Die Beklagte brachte damit zum Ausdruck, dass sie aufgrund des Sturzes im Februar 2006 von einer Wiedererkrankung ausging, die bis 12.08.2007 Arbeitsunfähigkeit bedingte, nach dessen Ende eine MdE in rentenberechtigendem Grade jedoch nicht verblieb und mithin auch kein Anspruch auf Verletztenrente besteht. Im Hinblick auf die Gewährung von Verletztenrente traf die Beklagte damit lediglich für den Zeitraum nach Ende der Arbeitsunfähigkeit am 12.08.2007, d.h. ab 13.08.2007 eine Entscheidung. Eine Entscheidung über einen Verletztenrentenanspruch in dem davor liegenden Zeitraum seit 03.02.2002 traf sie mithin nicht.

Zwar enthält der Verfügungssatz des Bescheides auch die Aussage, dass Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 30.06.1998 (generell) nicht zu erbringen sei. Dieser Verfügungssatz mag insofern für sich genommen, missverständlich sein. Bei der Auslegung von Verwaltungsakten ist in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches) jedoch vom objektiven Sinngehalt ihrer Erklärungen auszugehen, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste, wobei der der Bestandskraft (Bindungswirkung) zugängliche Verfügungssatz zu Grunde zu legen und zur Klärung seines Umfangs die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen ist (BSG, Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R). Die in Rede stehende Leistung für einen vor Februar 2006 liegenden Zeitraum ist im Verwaltungsverfahren von der Klägerin weder beantragt noch von der Beklagten konkret und für den Empfänger des Bescheids erkennbar geprüft worden und ist in dem Bescheid und dem Widerspruchsbescheid auch nicht erwähnt worden. Bei dieser Sachlage konnte für einen verständigen Empfänger der Bescheide kein Zweifel bestehen, dass die Beklagte allein über einen Verletztengeldanspruch nach Ende der durch den Arbeitsunfall vom 03.02.2006 aufgetretenen Arbeitsunfähigkeit entscheiden wollte und etwaige Ansprüche in dem davor liegenden Zeitraum nicht in Erwägung zog.

Damit erweist sich die Berufung der Klägerin bereits deshalb als unbegründet, weil der von ihr erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellte und im Berufungsverfahren weiter verfolgte Antrag, ihr Verletztenrente bereits ab 02.02.2002 zu gewähren, mangels einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten unzulässig gewesen ist. Denn über die Gewährung einer entsprechenden Leistung ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG).

Ungeachtet dessen sieht der Senat - ebenso wie das SG - aber auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin Verletztenrente ab 03.02.2002 zustehen könnte. Denn für die Zeit ab Februar 2002 liegen keinerlei medizinischen Unterlagen vor, die den Zustand der rechten Hand dokumentieren, damit Grundlage für die Beurteilung sein könnten, inwieweit die Folgen des am 30.06.1998 erlittenen Arbeitsunfall zu Funktionsbeeinträchtigungen führten und in welchem Ausmaß die Klägerin deshalb in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt war. Dokumentiert ist der Zustand der rechten Hand erst wieder für den Zeitraum ab dem im Februar 2006 erlittenen Sturz. Das den Zeitraum davor betreffende Vorbringen der Klägerin zu ihren Einschränkungen, ihrer beruflichen Situation, ihren Einkünften und dem Bezug von Sozialleistungen ist schon von vorneherein nicht geeignet, funktionelle Einschränkungen auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu belegen. Erst Recht lässt all dies nicht auf unfallbedingte Funktionseinschränkungen im Bereich der rechten Hand schließen. Da die Klägerin zudem auch nicht die Ärzte benannt hat, bei denen sie sich vor Februar 2006 wegen Beschwerden auf Grund von Unfallfolgen im Bereich der rechten Hand vorstellte, sind auch keine Ansatzpunkte für die Durchführung von Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und damit möglicher Funktionsbeeinträchtigungen vorhanden. Soweit die Klägerin auf die MdE-Bewertung des Dr. S. in seinem Gutachten, der eine MdE um 20 v.H. durchgehend ab 24.02.1999 konstatierte, hinweist, bestätigt auch dessen Einschätzung nicht das von der Klägerin geltend gemachte, im Wesentlichen gleichbleibende Beschwerdebild seit dem Unfallereignis im Jahr 1998. Denn seine Einschätzung begründete er in seinem Gutachten - worauf auch die Klägerin hingewiesen hat - mit den "durch die Unterlagen gut belegten Einschränkungen der rechten Hand", was sich bezogen auf den Zeitraum von Februar 1999 bis Februar 2006 jedoch als offensichtlich fehlerhaft erweist. Denn medizinische Unterlagen aus diesem Zeitraum lagen Dr. S. gerade nicht vor. An dieser Situation hat sich auch bis heute nichts geändert. Nach wie vor ist lediglich der Zeitraum ab dem im Februar 2006 erlittenen Unfall mit medizinischen Unterlagen belegt, nicht aber die Zeit davor. Denn insoweit hat die Klägerin - wie bereits dargelegt - weder medizinische Unterlagen vorgelegt, noch die sie behandelnden Ärzte benannt. Damit erweist sich die Beurteilung des Dr. S. , die von ihm für den Untersuchungszeitpunkt angenommene MdE um 20 v.H. liege bereits seit 24.02.1999 vor, als offensichtlich unzutreffend. Demnach könnte die Berufung der Klägerin auch in der Sache selbst keinen Erfolg haben.

Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage demgegenüber gegen die Ablehnung von Verletztenrente nach Ende des Verletztengeldanspruchs wendet, ist diese zulässig, jedoch unbegründet, weshalb das SG die Beklagte nicht zur Gewährung von Verletztengeld hätte verurteilen dürfen. Allerdings ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass - bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen - ein Verletztenrentenanspruch erst ab 25.08.2007 und nicht - wie in dem angefochtenen Bescheid angenommen - bereits ab 13.08.2007 in Betracht gekommen wäre. Denn gemäß § 72 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Regelung auf Fälle erstmaliger Rentengewährung nach Verschlechterung der Unfallfolgen Senatsurteil vom 09.12.2010, L 10 U 550/08, in juris). Da dieser Anspruch aber am 24.08.2007 endete, wie die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 11.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2009 entschied, wäre ein Anspruch auf Verletztenrente auf Grund der im Februar 2006 eingetretenen Verschlimmerung der Unfallfolgen vom 30.06.1998 erst ab 25.08.2007 und nicht schon ab 13.08.2007 in Frage gekommen.

Indes liegen die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht vor. Denn es ist nicht festzustellen, dass die Folgen des in Rede stehenden Unfalls ab 25.08.2007 eine MdE in einem rentenberechtigenden Grade bedingten. Entsprechend ist die Berufung der Beklagten erfolgreich.

Rechtsgrundlage für den insoweit geltend gemachten Anspruch ist § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Versicherungsfall in diesem Sinne ist der von der Klägerin am 30.06.1998 erlittene Arbeitsunfall, bei dem sie sich Schnittverletzungen im Bereich der rechten Hand und insbesondere eine Durchtrennung der Beugesehne des Zeigefingers zuzog. Die von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der rechten Hand ist Folge dieses Arbeitsunfalls und nicht des von der Klägerin im Februar 2006 erlittenen Sturzes. Hiervon gehen sämtliche mit den Beeinträchtigungen der Klägerin befassten Ärzte aus. Auch die Beklagte zog nicht in Zweifel, dass der im Februar 2006 erlittene Sturz auf die rechte Hand, der seinerseits eine folgenlos ausgeheilte Prellung verursachte, gleichzeitig auch zu einer Verschlimmerung der durch den Unfall vom 30.06.1998 aufgetretenen Beeinträchtigungen führte. Sie schloss sich der Einschätzung des Dr. J. in seinem Ersten Rentengutachten für den österreichischen Versicherungsträger AUVA an, der die im Dezember 2006 noch vorhanden gewesenen Beschwerden allein dem Unfallereignis vom 03.06.1998 zuordnete, deren Richtigkeit auch Dr. S. , der die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten im März 2007 in der BG-Klinik untersuchte, bestätigte. Nachfolgend haben ihrer Beurteilung einen solchen Zusammenhang auch Dr. L. , Dr. K. , Dr. B. und PD Dr. G. zu Grunde gelegt.

Ausgehend davon, dass es durch den Sturz vom Februar 2006 zu einer Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.06.1998 gekommen ist, ist daher zu beurteilen, ob der Zustand im Bereich der rechten Hand, wie er sich seit 25.08.2007 zeigte, die Bemessung mit einer MdE um 20 v.H. rechtfertigt.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Ausgehend hiervon vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die als Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.06.1998 und durch die im Februar 2006 eingetretene Verschlimmerung hervorgerufenen Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der rechten Hand der Klägerin eine MdE in einem rentenberechtigenden Grade bedingen. Der Senat geht zwar davon aus, dass unfallbedingte funktionelle Beeinträchtigungen im Bereich der rechten Hand auch noch ab 25.08.2007 vorliegen, jedoch ist die Ausprägung dieser Einschränkungen und dabei insbesondere das Ausmaß der vorhandenen Schmerzsituation für den Senat nicht feststellbar. Damit bleibt offen, in welchem Umfang Unfallfolgen den Einsatz ihrer rechten Hand einschränken und damit gleichzeitig auch, in welchem Ausmaß sie hierdurch von Tätigkeiten des Arbeitsmarktes ausgeschlossen wird.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren zu Recht auf die erhebliche "Variationsbreite" der im Laufe des Verfahrens in Bezug auf die Bewegungsfähigkeit der Finger der rechten Hand erhobenen Befunde hingewiesen, wobei weder eine kontinuierliche Besserung noch eine stetige Verschlimmerung zu erkennen ist. So ist nach Bewegungsmaßen mit einem Abstand von Nagelrand zur queren Hohlhandfalte von 4 - 2 - 0 - 0 und einem Abstand vom Nagelrand zur verlängerten Handrückenebene von 1 - 0 - 0 - 0 anlässlich der Untersuchung am 15.05.2007 für die Untersuchung drei Monate später am 09.08.2007 ein vollständiger Faustschluss und eine nahezu vollständige Streckung der Langfinger dokumentiert, während sich lediglich sieben Monate später am 05.03.2008 erhebliche Einschränkungen für den Zeigefinger und darüber hinaus auch für die durch den Unfall nicht unmittelbar betroffenen Mittel- und Ringfinger (Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 6 - 2,5 - 1,5 - 0, Abstand Nagelrand/verlängerte Handrückenebene: 5 - 5 - 5 - 5) zeigten und im Oktober 2008 wiederum ein besserer Funktionszustand beschrieben wurde (Abstand Nagelrand/quere Hohlhandfalte: 7 - 1 - 0 - 0, Abstand Nagelrand/ verlängerte Handrückenebene: 1 - 1 - 0 - 0). Eine plausible Erklärung hierfür hat auch die Klägerin nicht vorgebracht. Die Bewertung dessen hat sie in das Ermessen des Gerichts gestellt bzw. angeregt, hierzu nochmals eine ärztliche Stellungnahme, gegebenenfalls von dem Sachverständigen Dr. B. einzuholen. Bereits im Klageverfahren hat der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt Dr. T. jedoch deutlich gemacht, dass sich die völlig unterschiedlichen Befunde wie ein roter Faden durch die Akte ziehen und dies seines Erachtens nur dadurch plausibel erscheint, wenn die Befunde tatsächlich sehr unterschiedlich gewesen sind, wofür spreche, dass eindeutige Versteifungen offensichtlich nicht vorliegen. Unter diesen Voraussetzungen und dem weiteren Umstand, dass die Untersuchung der Handfunktion von der Mitarbeit des Versicherten abhängig ist, hat er nachvollziehbar darauf geschlossen, dass die unterschiedliche Befundsituation auf einer jeweils unterschiedlichen Mitarbeit der Klägerin, sei dies bewusst oder unbewusst, beruht. Zu Recht hat Dr. T. im Hinblick auf die Ausführungen des Dr. B. in seinem Gutachten, wonach die rechte Hand nur noch als Beihand einsetzbar sei, auch deutlich gemacht, dass diese Einschätzung in Widerspruch dazu steht, dass der Sachverständige anlässlich seiner Untersuchung im Bereich der rechten Hand der Klägerin gerade keine erkennbaren Zeichen einer wesentlichen Schonung objektiviert hat. Insoweit überzeugt der Einwand des Dr. T. , dass ausgehend von der Annahme, die Klägerin könne ihre rechte Hand seit dem hier in Rede stehenden Zeitraum ab 2006 lediglich noch als Beihand einsetzen, zum Zeitpunkt der Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. B. eine Minderung der Muskulatur zu erwarten gewesen wäre. Schließlich tritt ein derartiges Muskelminus - so zutreffend Dr. T. - in aller Regel bereits innerhalb weniger Wochen und Monate auf, sobald eine Gliedmaße nicht mehr entsprechend eingesetzt wird. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis des Dr. T. , dass auch die Erfahrungswerte in der gutachterlichen Literatur von einer Muskelminderung als zwangsläufige Folge eines Mindergebrauchs einer Extremität ausgehen.

Den angesprochenen Widerspruch hat der Sachverständige Dr. B. im Übrigen auch im Rahmen seiner ergänzenden Ausführungen gegenüber dem Senat nicht ausgeräumt. Soweit er in Bezug auf den fehlenden Unterschied der Umfangmaße im Bereich der Arme bzw. der Armmuskulatur eine Erklärung darin gesehen hat, dass die Klägerin nicht nur den rechten, sondern beide Arme gleichermaßen wenig benutze, so dass sich kein ausgeprägter Unterschied zeigen könne, zumal die Klägerin übergewichtig sei und ein geringer Unterschied damit kaum auffalle, überzeugt dies nicht. Zu Recht hat Dr. T. in seiner im Berufungsverfahren von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme insoweit eingewandt, dass es kaum mit der Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen sei, dass, wenn beim Vorliegen gravierender Verletzungen eine Hand kaum benutzt wird, gleichermaßen auch die andere Hand geschont werde. Vielmehr trifft eher das Gegenteil zu, dass in einem solchen Fall nämlich gerade die funktionstüchtige andere Hand verstärkt zum Einsatz kommt. Dies entspricht im Übrigen gerade auch dem Vortrag der Klägerin, die im Laufe des Verfahrens geltend gemacht hat, wegen der Beeinträchtigungen von Seiten der rechten Hand verstärkt ihre linke Hand einzusetzen.

Medizinisch plausibel erscheint weiter auch nicht - so zutreffend Dr. T. - , dass eine weitgehend unbenutzte Hand, die bei eigentätigen Bewegungen erheblich funktionsgemindert ist, bei der fremdtätigen Bewegung frei beweglich ist. Denn Gelenke, die nicht bewegt werden, steifen ein, wobei sich zudem die Muskulatur mindert. Damit vermag auch der von Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme dargelegte Gesichtspunkt, dass bei seiner Untersuchung das passive Bewegen mit erheblichen Schmerzen verbunden gewesen sei, nicht zu überzeugen. Denn es erscheint zweifelhaft, ob der Sachverständige tatsächlich eingesteifte Gelenke vorgefunden hat, die er dann trotz erheblicher Schmerzangebe passiv bewegt hat. Denn der Sachverständige hat in seinem Gutachten gerade keine erhebliche Schmerzangabe bei der passiven Bewegung dokumentiert. Vielmehr hat er auf S. 13 seines Gutachtens Gegenteiliges dargelegt, indem er Bewegungs- und Stauchungsschmerzen verneint hat. Auch hat er in Bezug auf den rechten Zeigefinger weiter dargelegt, dass dieser durch vorsichtigen Druck ausschließlich auf seine Streckseite passiv fast komplett beugbar gewesen sei, ohne in diesem Zusammenhang Schmerzäußerungen zu erwähnen.

Die bereits dargelegten Zweifel am Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der rechten Hand, wie sie die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. präsentiert hat, haben sich schließlich auch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen PD Dr. G. bestätigt. Der Sachverständige hat dargelegt, dass die Klägerin anlässlich seiner Untersuchung eine schmerzhaft eingeschränkte aktive Beweglichkeit des Zeige- und Mittelfingers, aber auch des Ring- und Kleinfingers gezeigt hat und sie keine der primären Greifformen suffizient demonstriert hat. So hat die Klägerin weder den Faustschluss noch den Kraft- oder Spitzgriff ausgeführt, und dabei den Spitzgriff nicht zum verletzten Zeigefinger, aber auch nicht zwischen Daumen und dem von dem Unfall nicht betroffenen Ringfinger demonstriert. Darüber hinaus ist dem Sachverständigen eine Kraftmessung nicht möglich gewesen. Diskrepant hierzu hat der Sachverständige eine seitengleich ausgebildete Muskulatur am Oberarm, Unterarm und an der Hand ohne Muskelhypertrophie rechts beschrieben, zudem eine deutliche Handflächenbeschwielung rechts, die teilweise sogar stärker ausgeprägt gewesen ist als links. Im Übrigen haben alle Finger passiv frei bewegt werden können. Passive Bewegungseinschränkungen, wie sie typischerweise nach langjähriger Schonhaltung, bedingt durch Kapselbandverkürzungen auftreten, haben nicht bestanden. Zudem hat das Areal, in welchem elektrisierende Missempfindungen bestehen, ein Ausmaß von 2 x 3 cm in der distalen Hohlhand über dem zweiten und dritten Strahl gehabt, womit dieser Befund - so der Sachverständige weiter - nicht zu einem Neuromschmerz passe, der typischerweise in einem punktförmig umschriebenen Areal bestehe. Damit bestehen aber erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen angegebenen massiven Einschränkung der Handfunktion rechts, die der Sachverständige mit der Aussage der Klägerin "Ich kann nichts mehr mit der Hand machen" zitiert hat. Denn passive Bewegungseinschränkungen, wie sie typischerweise nach langjähriger Schonhaltung auftreten, haben sich bei der Klägerin - wie schon anlässlich früherer Untersuchungen - auch bei dem Sachverständigen PD Dr. G. ebenso wenig gezeigt wie eine Muskelminderung im Bereich der rechten Extremität, die aber zu erwarten wäre, wenn die Klägerin diese, wie angegeben, kaum noch einsetzen könnte. Die Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin vorgebrachten Funktionseinschränkungen werden schließlich auch nicht durch das im Berufungsverfahren eingeholte neurologische Gutachten von Prof. Dr. L. ausgeräumt. Denn soweit dieser diagnostisch von einem neuropathischen Schmerzsyndrom ausgeht, das funktionell zu einer nahezu vollständigen Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand führe, hat er seiner Beurteilung ersichtlich ausschließlich die von der Klägerin vorgebrachte Schmerzsymptomatik zu Grunde gelegt, die in dem von der Klägerin beklagten Ausmaß aber nicht zu verifizieren ist und - wie dargelegt - gerade auch nicht mit der objektiven Befundsituation in Einklang steht, worauf PD Dr. G. zutreffend hingewiesen hat. Ohnehin begegnet aber auch schon die diagnostische Einordnung der beklagten Schmerzsymptomatik als neuropathisches Schmerzsyndrom Bedenken. Denn nachdem der Sachverständige das Vorliegen des zunächst in Betracht gezogenen chronisch regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) nicht für sicher erfüllt erachtet hat, hat er ausgehend davon, dass "einige Symptome des neuropathischen Schmerzsyndroms ähnliche Züge erkennen" ließen, auf das Vorliegen eines solchen neuropathischen Schmerzsyndroms geschlossen.

Da nach alledem das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der rechten Hand der Klägerin nicht festzustellen ist, bleibt offen, inwieweit die Handfunktion der Klägerin als Folge der im Februar 2006 eingetretenen Verschlimmerung der Folgen des am 30.06.1998 erlittenen Arbeitsunfalls eingeschränkt ist. Entsprechend ist auch nicht festzustellen, in welchem konkreten Ausmaß die Klägerin durch Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der rechten Hand von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen ist, so dass auch die MdE nicht festzustellen ist, mithin auch nicht, ob zumindest eine MdE in einem rentenberechtigenden Grade von 20 v.H. erreicht wird. Der Nachteil der Nichterweislichkeit dieser anspruchsbegründenden Tatsache geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin. Denn nach diesem Grundsatz hat jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen zu tragen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen.

Das Begehren der Klägerin auf Gewährung von Verletztenrente kann nach alledem keinen Erfolg haben. Dementsprechend ist das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das SG die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin Verletztenrente ab 25.08.2007 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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