L 4 R 5130/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2813/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5130/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Oktober 2014 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis zum 31. August 2018 zu gewähren.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 31. August 2018.

Die Klägerin ist am 1956 geboren und bei der Beklagten rentenversichert. Sie hat den Beruf der Textilfachverkäuferin erlernt. Zuletzt war sie als Bürogehilfin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 1. April 2012 ist sie arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Sie beantragte am 29. Mai 2012 Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen begründete sie mit Rückenschmerzen, starken Gelenkschmerzen, Depressionen und Angstzuständen sowie Schlafstörungen und Erschöpfung. Sie leide unter Antriebslosigkeit, Einigeln, Kraftlosigkeit, fehlendem Selbstwertgefühl und Angstzuständen bei Veränderungen sowie unter Zukunftsängsten und Existenzängsten.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. H. auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 3. Juli 2012 am selben Tag ein ärztliches Gutachten. Sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung (derzeitig mittelgradige depressive Episode), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Fehlstatik und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit chronischer Cervicodorsalgie und Lumbalgie, eine leichte Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Funktionsdefizite, einen chronischen Reizzustand des Muskelsehnenmantels der linken Schulter und eine Impingementsyptomatik links ohne Bewegungseinschränkung, eine behandelte Unterfunktion der Schilddrüse, eine beginnende Polyarthrose der Fingergelenke sowie eine Großzehenarthrose beidseits links mehr als rechts. Die Klägerin könne eine Tätigkeit als Bürogehilfin sowie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr verrichten. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten mit Nachtschicht, mit übermäßigem Zeitdruck, mit häufigen und längerdauernden Zwangshaltungen der Wirbelsäule, mit häufigem Bücken sowie Überkopfarbeiten mit dem linken Arm.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 31. Juli 2012 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 17. August 2012 Widerspruch. Das Gutachten der Dr. H. sei fachfremd erfolgt. Vorrangig bestünden psychiatrisch-psychosomatische Gründe für ihre Leistungsminderung. Mehrfach tägliches Unterbrechen des Alltages und der Alltagsverrichtungen sei angesichts ihrer Erschöpfungssymptomatik notwendig. Sie schlafe oft tagsüber bis zu zwei Stunden. Es finde darüber hinaus ein sozialer Rückzug statt. Eine Durchhaltefähigkeit für selbst einfache tägliche sechsstündige Tätigkeiten sei nicht mehr erkennbar. Sie habe massive Antriebsdefizite und Überforderungsgefühle bei bereits leichtesten alltäglichen Anforderungen. Ängste und Erschöpfung bestimmten ihren Alltag. Sie fühlte sich völlig kraftlos. Zu Angst, Depressivität und Erschöpfungssymptomatik gesellten sich die nahezu ständigen Schmerzen in den Gelenken wechselnder Intensität und Lokalität. Sie sei nahezu nie schmerzfrei. Die Klägerin legte eine fachärztliche gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. (Klinik i. d. Z. GmbH) vom 25. Februar 2013 vor, in der dieser über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 12. Januar bis 23. Februar 2013 wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode), einer generalisierten Angststörung, einer Anpassungsstörung, einer anhaltend somatoformen Schmerzstörung, einer nicht organischen Insomnie, periodischen Beinbewegungen im Schlaf, einer Fehlstatik und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit chronischer Cervicodorsalgie und Lumbalgie, einer leichten Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, einem chronischem Reizzustand des Muskelsehnenmantels der linken Schulter mit Bewegungseinschränkung sowie einer Unterfunktion der Schilddrüse berichtete. Bei der Klägerin hätte sich eine komplette psychosomatische Symptomatik eruiren lassen. Es habe sich eine schwere depressive Verstimmung vor dem Hintergrund einer chronifizierten depressiven Erkrankung, eine totale psychophysische Erschöpfung, eine Schlafstörung, eine Unfähigkeit sich zu entspannen, sich zu amüsieren, Entscheidungen zu treffen, sowie Antriebslosigkeit und Interessenlosigkeit gezeigt. Sie habe sich vom sozialen Leben zurückgezogen, habe Angst vor eigenen Gefühlen und vor körperlichen Krankheiten. Sie habe insgesamt das Gefühl, versagt zu haben. Sie habe über Unselbständigkeit, Einsamkeit und über eine ausgeprägte innere Unruhe berichtet. Trotz zumutbarer Willensanstrengung seien die psychophysischen Störungen als schwer einzustufen. Die Klägerin sei derzeit nicht einmal bis zu drei Stunden täglich belastbar. Bei dem chronifizierten Verlauf sei innerhalb von sechs bis neun Monaten mit keiner wesentlichen Besserung zu rechnen. Die Klägerin könne bis auf weiteres einer gewinnbringenden Erwerbstätigkeit nicht konkurrenzfähig nachgehen. Die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente sei ärztlich indiziert.

Im ebenfalls vorgelegten Arztbrief vom 6. März 2013 berichtete auch Ärztin und Psychotherapeutin Dr. L. über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 12. Januar bis 22. Februar 2013. Die Klägerin sei im Rahmen einer depressiven Dekompensation aufgenommen worden und in nur leicht gebessertem psychophysischen Zustand entlassen worden. Diagnosen bei Entlassung seien eine rezidivierende depressive Störung, eine generalisierte Angststörung, eine Anpassungsstörung, eine Somatisierungsstörung, ein Restless-legs-Syndrom, eine Paradontose sowie eine Schlafstörung gewesen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S. auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 25. März 2013 unter dem 25. März 2013 ein nervenärztliches Gutachten. Sie diagnostizierte eine Dysthymia sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstörung. Von nervenärztlicher Seite könne eine Leistungsminderung nicht festgestellt werden. Als Verkäuferin wie auch für leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten mit besonderem Zeitdruck, hohen Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit und unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen, die Dr. H. festgestellt habe. Eine schwere depressive Erkrankung habe nicht festgestellt werden können. Die verbliebenen Leiden der Versicherten seien einer Dysthymie zuzuordnen.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2013 zurück. Die Klägerin könne ohne zeitliche Einschränkung Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21. Juni 2013 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten seien unzureichend. Der Tagesablauf sei von Unterbrechungen und einer deutlichen Überforderungssymptomatik gekennzeichnet. Dr. H. habe eine deutlich gedrückte Stimmungslage, verminderten Antrieb und eine herabgesetzte Schwingungsfähigkeit geschildert. Sie habe Probleme festgestellt, ihren Alltag zu strukturieren und zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, wie selbst einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch täglich sechs Stunden regelmäßig bewältigt werden sollten. Aus dem Arztbrief der Dr. L. vom 6. März 2013 als auch aus der fachärztlichen gutachterlichen Stellungnahme des Dr. B. vom 25. März 2013 werde deutlich, dass völlig unzweifelhaft eine quantitative Leistungsminderung vorliege. Die dortigen behandelnden Ärzte bestätigten die Überforderungssymptomatik selbst im Rahmen des gewöhnlichen Alltagsablaufes, schwere Beeinträchtigungen in der Planung und Strukturierung von Aufgaben, eine gravierende Störung des Durchhaltevermögens, ein Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizit und die Unfähigkeit zu jeglichen beruflichen oder privaten Belastungen. Die Unterstellung der Ärztin S., sie habe ihre Klinikeinweisung dafür eingesetzt, ihre eigenen Ziele bezüglich der Berentung durchzusetzen, wirke befremdlich. Sie frage, welche Motivation hätte die Klinikärzte leiten sollen, einen zu ihren Gunsten tendenziösen Abschlussbericht zu erstellen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Auch nach Kenntnis des Gutachtens des vom SG von Amts wegen bestellten gerichtlichen Sachverständigen Neurologe und Psychiater Dr. B. (dazu sogleich) verblieb die Beklagte bei der Auffassung, es gebe bislang keine zweifelsfreien Belege für eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens sowohl in der Tätigkeit als Bürogehilfin wie für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 21. Juli 2014).

Das SG befragte Dipl.-Psych. Bl. schriftlich als sachverständige Zeugin. Dipl.-Psych. Bl. berichtet unter dem 24. Oktober 2013, dass die Klägerin zu einem Vorgespräch am 7. Mai 2012 in ihre Praxis gekommen sei. Nach einer Wartezeit und nach Beantragung der Psychotherapie/Verhaltenstherapie seien seit dem 27. März 2013 meist wöchentliche Gesprächstermine vereinbart worden. Es hätten inzwischen 24 Gesprächstermine stattgefunden. Psychodiagnostisch gehe sie von einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode) und einer anhaltenden Somatisierungsstörung auf dem Hintergrund einer abhängigen ängstlich depressiven Persönlichkeitsstruktur aus. Die Klägerin habe zu Beginn der Therapie sehr gedrückt, weinerlich, kraft- und hilflos gewirkt. Die Stimmung und der Gesichtsausdruck seien bis heute stark depressiv leidend. Selbst kleinste Belastungen und Konflikte, in denen sie ihre Sicherheit bedroht fühle, ließen sie völlig verzweifeln. Es bestehe eine depressive Grundstruktur. Die Klägerin sei schwer depressiv verstimmt, antriebslos, die Schwingungsfähigkeit und der Antrieb seien reduziert, die Psychomotorik insgesamt verlangsamt. Es bestünden große Selbstwertprobleme, eine starke Grübelneigung, Gefühle der Selbstunsicherheit, der Verzweiflung und Hilflosigkeit. Es hätten sich Konzentrationsstörungen sowie viele Zukunftsängste gezeigt. Die Klägerin klage über eine zunehmende Unfähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen. Es bestünden eine Lust- und Interessenlosigkeit, eine sexuelle Lustlosigkeit, ein Rückzug vom sozialen Leben, Gefühle versagt zu haben, eine Abnahme der Belastungsfähigkeit sowie Gefühle innerer Unruhe und innerer Erregung. Suizidalität sei nur latent vorhanden, ohne akute Absichten. Sie halte die Klägerin nicht für arbeitsfähig. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. berichtete unter dem 28. November 2013 über Vorstellungen der Klägerin in seiner Praxis im März 2008, im Mai 2009, September 2009, regelmäßige Behandlung seit April 2012 fortlaufend in mehrwöchigen bis monatigen Abständen, zuletzt am 17. November 2013. Seit 2012 sei eine grundlegende Besserung nicht eingetreten. Im Gegenteil sei es nach der Trennung vom Ehemann Ende September 2013 zu einer weiteren Verschlechterung gekommen. Eine weitere Beurteilung sei erst nach der seit dem 18. November 2013 laufenden stationären Behandlung möglich.

Vom 19. November bis 21. Dezember 2013 befand sich die Klägerin erneut zur stationären Behandlung in der Klink i. d. Z ... Dr. B. berichtete im Arztbrief vom 4. März 2014 über die Entlassungsdiagnose einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome), einer Hyperthyreose (nicht näher bezeichnet), einer generalisierte Angststörung, einer Anpassungsstörung, einer Somatisierungsstörung, einer nicht organischen Insomnie sowie einer periodischer Beinbewegung im Schlaf. Die Klägerin sei in einem nur leicht gebesserten psychophysischen Zustand mit der dringenden Empfehlung, eine weitere ambulante psychotherapeutische Maßnahme durchzuführen, entlassen worden. Sie sei weiterhin noch arbeitsunfähig. Dr. B. äußerte sich zudem in einer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 26. März 2014 gegenüber dem SG über die stationären Behandlungen. Die Klägerin sei aus seiner Sicht zur Zeit nicht einmal bis zu drei Stunden belastbar.

Das SG bestellte Dr. B. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser erstattete auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 10. Juni 2014 unter dem 10. Juni 2014 ein neurologisches und psychiatrisches Gutachten. Die Klägerin gab zur Alltagsgestaltung an, sie stehe meistens früh auf, schon zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr, weil sie nicht schlafen könne. Sie brauche dann bis zu zwei Stunden, um sich zu pflegen und Frühstück zu machen. Nach Einnahme der Antidepressiva dauere es etwas, bis sie sich beruhige. Sie gehe dann mit dem Hund hinaus, versuche nach dem Spaziergang, den Haushalt zu erledigen. Nachmittags würde sie nochmals den Hund versorgen und spazieren gehen. Hinsichtlich des psychischen Befundes berichtete Dr. B., die Klägerin sei pünktlich zum vereinbarten Untersuchungstermin ohne Begleitung im eigenen PKW erschienen. Sie sei sehr modisch, gepflegt gekleidet, im Erscheinungsbild deutlich extrovertiert. Die Kontaktaufnahme sei bereits mit ausgeprägter Affektlabilität bei der Anmeldung und Voruntersuchung erfolgt. Die Exploration sei immer wieder durch Weinen und verzweifelten Ausdruck unterbrochen gewesen. Es habe eine ausgeprägte psychomotorische Unruhe und Agitation bestanden. Die Klägerin sei formal geordnet gewesen, ohne inhaltliche Denkstörungen und in allen Qualitäten orientiert. Sie sei im Untersuchungsgang ablenkbar, eingeschränkt in der Aufmerksamkeit und Konzentration, deutlich herabgestimmt und verzweifelt gewesen, nur angedeutet habe sich einmal eine erkennbare positive Berührbarkeit gezeigt. Kein depressives Selbstwerterleben habe bestanden. Dr. B. diagnostizierte eine agitierte Depression sowie Besonderheiten der Persönlichkeit. Der neurologische Befund sei in allen Anteilen regelgerecht gewesen. Psychopathologisch habe bei einer primären Extraversion ein hilfloses Grundverhaltensmuster mit deutlich depressivem Ausdruck verbunden mit einer psychomotorischen Unruhe im Sinne einer agitierten Depression imponiert. Bei gegebenen Persönlichkeitsmerkmalen – histrionisch – könne ein agitiert depressives Bild als Verdeutlichung oder gar demonstrativ verkannt werden. Die parathyme Auslenkbarkeit sei erklärt durch histrionische Persönlichkeitsanteile mit entsprechender Reaktion auf eine gutachterliche Aufmerksamkeit. Dieses Verhalten führe häufig zu Verkennung des tatsächlichen Schweregrades einer Depression. Für eine Verdeutlichung habe sich kein Anhaltspunkt im Beschwerdeerfassungsbogen SCL-90 gezeigt. Bei einer insgesamt sehr hohen Belastung für somatoforme Beschwerden, zwanghaften Verhaltensweisen, Unsicherheit und Depressionen finde sich im PSA (Anzahl der belasteten Items im Beschwerdeerfassungsbogen SCL-90) ein Wert von nur T 66. Dieser Wert spreche gegen eine vermutbare Verdeutlichung. Zum Untersuchungszeitpunkt habe keine Belastbarkeit für weitere strukturierte Untersuchungen oder gar testpsychologische Untersuchungen bestanden. Die depressiven Symptome seien entsprechend der Selbstschilderung im Beck-Depressions-Inventar (BDI) als schwer zu graduieren. Bei gegebener agitierter Depression könnten die angegebenen Behandlungsoptionen noch nicht als ausgeschöpft gewertet werden. So sei mit der Diagnose einer schwerergradigen Depression in der Klinik in der Zarten lediglich ein pflanzliches Medikament verordnet worden. Aktuell erfolge die Therapie der Angst und Unruhe lediglich mit einem sedierenden Neuroleptikum. Die antidepressive Wirkung des eingenommenen Tianeurax müsse kritisch diskutiert werden und sei allenfalls in einer ersten Stufe einer Behandlung mit einer Depression vertretbar. Das ausgeprägte depressive Bild erfordere eine stationäre psychiatrische Behandlung mit einer nachvollziehbaren Therapie. Die Klägerin könne auf Grund ihres Gesundheitszustandes eine Erwerbstätigkeit derzeit nicht nachgehen. Es bestehe eine Belastbarkeit von unter drei Stunden. Eine Besserung sei nicht vor Ablauf eines halben Jahres zu erH.fen. Wegefähigkeit zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei nicht eingeschränkt. Nach anamnestischen Angaben sowie der Entwicklung einer schwerergradigen depressiven Symptomatik mit Trennung und Hausverkauf bestehe die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ab etwa Oktober 2013. Mit einer leitliniengerechten Behandlung unter Berücksichtigung der Persönlichkeit könne innerhalb eines Jahres eine Verbesserung des Leistungsvermögens erreicht werden. Die Prognose sei jedoch problematisch.

Das SG verurteilte die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2013, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis zum 30. Juni 2015 zu gewähren und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom 30. Oktober 2014). Die Klägerin sei erwerbsgemindert, wie sich aus den sachverständigen Zeugenauskünften und dem Sachverständigengutachten des Dr. B. ergebe. Es könne mit einer Besserung der Erkrankung und der damit verbundenen Auswirkung und auf die Leistungsfähigkeit gerechnet werden, weswegen die Rente auf Zeit zu leisten sei. Der Sachverständige Dr. B. habe unter Berücksichtigung der Vorbefunde dargelegt, dass das von ihm festgestellte Ausmaß der Erkrankung seit Oktober 2013 bestehe. Die Rente beginne daher am 1. Mai 2014. Die Rente sei bis zum 30. Juni 2015 zu befristen, weil nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. eine Besserung bei Ausschöpfung der Behandlungsmöglichkeiten innerhalb eines Jahres nach Begutachtung im Juni 2014 erreicht werden könne.

Gegen das ihr am 25. November 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Dezember 2014, gegen das ihr am 24. November 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Dezember 2014 "(Anschluss)-Berufung" eingelegt.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Leistungsvermögen der Klägerin nicht zeitlich gemindert sei. Sie hat eine sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. N. vom 8. Dezember 2014 vorgelegt. Dieser hat zum Gutachten des Dr. B. ausgeführt, der mitgeteilte psychopathologische Befund habe inkonsistente Angaben erbracht. Die Klägerin werde als depressiv geschildert, wobei die Kriterien einer schweren depressiven Episode nicht zweifelsfrei nachzuvollziehen seien. Hierzu passe keinesfalls, dass sie "im Erscheinungsbild deutlich extravertiert" geschildert werde, wobei Dr. B. aufgefallen sei, dass sie sehr modisch und gepflegt gekleidet erschienen sei. Zu Recht weise Dr. B. in seinem Gutachten auf Arbeitsunfähigkeitszeiten seit 2007 hin, wobei spekulativ ausgeführt werde, dass es sich bei den angeführten Erkrankungen durchaus um eine jeweils depressive Episode gehandelt haben könne. Es falle auf, dass der Schweregrad der Depressivität zu unterschiedlichen Untersuchungszeiten auch unterschiedlich schwer gewertet werde zwischen einem leichtgradigen Verstimmungszustand bis hin zu schwerer Depressivität. Mehrfach sei dokumentiert, dass sich das Krankheitsbild durchaus unterschiedlich auspräge. Es falle auch auf, dass die Klägerin eine nähere Diagnostik konterkariere, aber auch die neurophysiologische Untersuchung nicht toleriere, wobei sich die Frage erhebe, wie gut die Untersuchung habe durchgeführt werden können. Explizit habe Dr. B. ausgeführt, dass das vorliegende Bild als Verdeutlichung oder gar demonstrativ verkannt werden könne. Eine überzeugende Darstellung in Kenntnis der Vorgutachten sei allerdings nicht abzulesen. Insbesondere die Ausführung, dass die als parathym beschriebene Ablenkbarkeit sich durch histrionische Persönlichkeitsanteile erklären ließe mit entsprechender Reaktion auf eine gutachterliche Aufmerksamkeit, lasse aus psychiatrischer Sicht darauf schließen, dass die von Dr. B. beobachteten Verhaltensanteile nicht zweifelsfrei auf ein tatsächlich vorliegenden affektiven Zustand zurückgeführt werden könnten. Eine nachvollziehbare Trennung zwischen Bewusstseinsnähe und Bewusstseinsferne zeichne sich hier nicht ab. Auch die Darstellung, dass das depressive Syndrom entsprechend der Selbstschilderung im BDI als schwer zu graduieren sei, belege, dass Dr. B. sich vollständig auf die subjektiven Beschwerdeangaben und die von ihm geschilderte und als histrionische Persönlichkeitsanteile gedeuteten Verhaltensweisen mit entsprechender Reaktion auf eine gutachterliche Aufmerksamkeit verlassen habe. Hierzu falle auf, dass im Vergleich zur vermuteten, allerdings nicht belegten Krankheitsschwere eine doch recht blande Therapie mit einem pflanzlichen Medikament (Johanniskraut) durchgeführt worden sei, also offensichtlich die prinzipiell antidepressive Medikation der Klinik mittels eines aus der für schwere Depressionen zugelassenen Medikamentes abgesetzt worden sei, was ohne weitere Erklärung nicht nachvollzogen werden könne. Zum Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. St. (dazu sogleich) hat die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. N. vom 19. Oktober 2015 vorgelegt. Darin führt dieser aus, soweit Dr. St. behaupte, dass die Behandlung in der Tagesklinik L. ohne durchgreifende Verbesserung erfolgt sei, lasse sich dies nach dem Ergebnis des tagesklinischen Entlassungsberichts nicht nachvollziehen, wobei sogar die mitgeteilten Befunde der Tagesklinik derartig blande gewesen seien, dass sich die diagnostische Einschätzung und die sozialmedizinische Schlussfolgerung seitens Dr. St. nach der vorliegenden Aktenlage nicht abbilde. Schaue man in Bezug auf den psychischen Zustand der Klägerin zum Gutachtenszeitpunkt, so wolle die mitgeteilte Anamnese des psychischen Zustandsbildes nicht so recht zur Diagnose passen. Es falle auf, dass die Klägerin ihre Anamnese mit Fachwörtern bestücke, "sie habe Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche ...". Eine authentische Beschwerdeschilderung gehe nicht daraus hervor. Worin sich diese Antriebsschwäche niederschlagen solle, werde im weiteren nicht klar, wenn man in der Schilderung des Tagesablaufes erfahre, dass die Klägerin gerne Musik höre, dreimal täglich mit dem Hund weggehe, jeweils so 1,5 Stunden. Dann sei sie auch mit dem Fahrrad unterwegs. Ansonsten sei der geschilderte Tagesablauf recht farblos geschildert, wobei unklar sei, was denn die Klägerin die ganze Zeit tagsüber mache. Explizit werde nicht festgehalten, dass sie gar nichts tue, wesentliche Anteile der Lebensgestaltung würden gar nicht aufgeführt oder erhoben, so dass Zweifel geäußert werden müssten, inwieweit überhaupt eine nachvollziehbare Konsistenzprüfung vorgenommen worden sei und inwieweit versucht worden sei, die Klägerin auch in einem positiven Leistungsvermögen zu sehen. Des Weiteren falle auf, dass die Klägerin nach wie vor die niedrig dosierte Eingangsdosis des Antidepressivums Cymbalta erhalte, mit dem sie aus der tagesklinischen Behandlung in L. im April 2015 entlassen worden sei. Das therapeutische Vorgehen sei ein deutliches Indiz für eine mangelnde Krankheitsschwere. Immerhin sei es der Klägerin auch gelungen, einen neuen Bekanntenkreis aufzubauen, was doch für eine soziale Leistungsfähigkeit spreche und nicht für ein schweres, quantitativ leistungsminderndes Krankheitsbild. Schwerwiegend affektiv erkrankte Menschen seien gar nicht dazu in der Lage, sich einen neuen Bekanntenkreis einzurichten, da sie eher zurückgezogen lebten und soziale Interaktionen nicht aushielten. Die Darstellung des Dr. St. könne nicht nachvollzogen werden. Die Selbstbeschreibung der prämobiden Persönlichkeit lenke Dr. St. nicht wesentlich dazu, eine auffällige Persönlichkeitsorganisation zu vermuten. Ihm falle im Gespräch auf, dass ein Selbstmitleid und die Einnahme einer Opferrolle deutlich werde. Dies sei allerdings nicht einer Persönlichkeitsstörung zuzuordnen, sondern bewege sich offensichtlich im normalpsychischen Bereich. Ein schweres quantitativ leistungsminderndes Krankheitsbild sei allerdings mit einem Selbstmitleid und einer Opferrolle nicht zu beschreiben. Eine Darstellung möglicher Persönlichkeitseigenschaften über eine entsprechende Testdiagnostik werde nicht vorgelegt, weshalb die Angaben aus dem klinischen Eindruck heraus alleine existierten. Insofern würden vielleicht bestehende soziale Abgeltungswünsche von Seiten des Dr. St. gar nicht diskutiert, wobei allerdings auffalle, dass der Ehemann Schulden gehabt habe und sie nach eigenen Angaben wegen der Schulden krank geworden sei. Auch in der körperlichen Aktivität falle auf, dass die Klägerin Sport mache, wobei dies allerdings in der Schilderung des Tagesablaufs keine nähere Erwähnung oder ein gezieltes Nachfragen hervorrufe. Immerhin belege die knappe Darstellung, dass doch Aktivitäten möglich seien. Warum nicht weiter nachgehakt worden sei, sei natürlich nach Aktenlage nicht zu beschreiben und könne nur spekuliert werden. Der übermittelte psychopathologische Befund sei recht blande. Die Klägerin habe in der Untersuchung leicht agitiert, nervös, mit herabgesetzter Intentionalität gewirkt. Die Klägerin habe verzweifelt, deprimiert, hilflos und perspektivlos gewirkt, ein depressiver Affekt werde allerdings nicht geschildert. Auch sei die Klägerin nur vermehrt erschöpft erschienen, ansonsten werde kein wesentlich abweichender Befund zu einem normalen Befund geschildert, weshalb die gutachterlichen Ausführungen zur postulierter Krankheitsschwere ebenfalls nicht nachvollzogen werden könnten. Nach den Kriterien des ICD-10 bilde sich die diagnostizierte Krankheitsschwere nicht ab. Erst in den späteren Ausführungen werde dies in gewisser Weise nachgeholt, was allerdings nicht nachvollzogen werden könne. Die Klägerin sei zwar nicht ganz symptomfrei, ein schweres depressives Krankheitsbild lasse sich aus den Kriterien des ICD-10 nicht herausarbeiten. Die Symptomatik passe zwar zu einer Anpassungsstörung oder einer leichten depressiven Reaktion. Dies werde zwar von Seiten des Dr. St. diskutiert, wobei nachvollziehbar nach den Kriterien des ICD-10 auf Grund des Zeitkriteriums eine eigenständige depressive Episode angenommen werden müsse. Ein chronifiziertes schweres Krankheitsbild trete aus der Aktenlage und nach dem Gutachtenergebnis des Dr. St. jedoch nicht hervor, so dass ein gemindertes quantitatives Leistungsvermögen nicht nachvollzogen werden könne. Erst in der sozialmedizinischen Beurteilung fänden sich Deutungen, wie zum Beispiel, dass der Denkablauf gestört werden sein soll, während es im mitgeteilten psychopathologischen Befund heiße, der Gedankengang sei zusammenhängend. Insofern ergäben sich Diskrepanzen in der Befundmitteilung zu der anschließenden Begründung. Entweder handele es sich um die Verwechslung eines Patienten oder die Befunde stimmten nicht. Noch seltsamer mute eine Formulierung an, dass eine wirkliche soziale Störung oder Einschränkung der Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation nicht bestünde. Ein quantitativ leistungsminderndes Krankheitsbild einer schweren Depressivität führe zwangsläufig zu sozialen Interaktionsstörungen und der Einschränkung der Fähigkeit in Kommunikation und Aufrechterhaltung zu Beziehungen mit sozialer Isolation, sozialem Rückzug usw., so dass sich Dr. St. in seinen Ausführungen erheblich widerspreche. Aus fachpsychiatrischer Sicht seien hier völlig diskrepante Patienten geschildert und die postulierte Krankheitsschwere habe eben nicht das Ausmaß, welches eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nachvollziehen lasse. Spekulativ bleibe die Aussage, dass die Klägerin mit der Belastung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder zu einer erneuten Verschlechterung des seelischen Befunds führen würde. Hier werde der Eindruck erweckt, als wenn Arbeit als solche einen krankmachenden Effekt nach sich ziehe, wobei übersehen werde, dass auch von der sozialen Interaktion ein deutlich stabilisierender Effekt ausgehen könne. Es sei auch nicht plausibel, warum bei einer derartigen Krankheitsschwere weder seitens der Klinik noch seitens der niedergelassenen Psychiaters eine adäquate Psychopharmakotherapie durchgeführt werde. Es sei auch nicht plausibel, sondern eher ein Indiz für den mangelnden Leidensdruck, dass auch psychotherapeutische Anstrengungen, die ebenfalls wirksam sein könnten, nicht aus der Akte und dem Gutachten hervortrete. Zur ergänzenden Stellungnahme des Dr. St. (dazu unten) hat die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. N. vom 4. März 2016 vorgelegt. Die ergänzende Stellungnahme Dr. St. überzeuge nicht. Die Beklagte hat ferner sozialmedizinische Stellungnahmen des Dr. N. vom 28. Juni 2016, vom 27. September 2016 und vom 9. Dezember 2016 vorgelegt. Er hat nach Kenntnis der sachverständigen Zeugenauskünfte (dazu unten) an seiner Auffassung festgehalten. In der zuletzt genannten Stellungnahme hat er ausgeführt, die Notwendigkeit einer Betreuung erschließe sich nicht. Es gebe keine zweifelsfreien Beleg dafür, dass das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin gemindert sei. Offensichtlich bestehe die schwere Depression, wegen der die Klägerin ab 30. Mai 2016 behandelt worden sei (dazu unten), nicht mehr.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Oktober 2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2013 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis zum 31. August 2018 zu gewähren, sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin hat den Arztbrief des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. Sch. (Tagesklinik L.) vom 30. April 2015 über ihren teilstationären Aufenthalt vom 2. März bis 30. April 2015 vorgelegt (Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychiatrische Symptome bei persönlichkeitsstrukturellen Defizit mit selbstunsicheren, abhängigen und emotional instabilen Zügen).

Der Senat hat Dr. St. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dr. St. hat unter dem 28. September 2015 auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 31. August 2015 ein nervenärztliches Gutachten erstattet. Zum Tagesablauf hat er die anamnestischen Angaben der Klägerin dokumentiert, sie sei schon um 4.00 Uhr oder 4.30 Uhr aufgestanden. Um 8.00 Uhr gehe sie mit dem Hund weg. Wenn sie länger schlafe mit der Arznei, werde es auch mal 10.00 Uhr, bis sie aufstehe. Sie stehe früh auf, da sie meist zwei Stunden brauche, bis sie in die Gänge komme. Sie höre gern Musik, gehe dreimal täglich mit Hund weg, jeweils eineinhalb Stunden. Mittags lege sie sich hin. Sie gehe auch mal mit dem Rad weg, habe einen Hundeanhänger oder die Hündin laufe neben dem Fahrrad her. Sie habe wenig Besuch, sie habe aber eine Bekannte, der es nicht schlecht gehe und die sie immer wieder mitnehme. Eine Freundin habe einen Lebensgefährten mit einem großen Grundstück, wohin sie den Hund mitnehmen könne. Dann gehe sie auch mal zwei Stunden mit, aber anderntags sei sie wieder traurig. Zu Bett gehe sie zu unterschiedlichen Zeiten, wenn sie so müde sei, dass sie gleich einschlafe, aus Angst vor der Grübelei. Den Hund habe sie gemeinsam mit ihrem Mann angeschafft. Sie habe Freundinnen in Maßen, auch Bekannte, die sich zurückgezogen hätten, weil man sie immer nur weinen gesehen habe. Sie habe jetzt einen neuen Bekanntenkreis, auch über die Gruppe in der Beratungsstelle. Zum psychischen Befund hat Dr. St. ausgeführt, dass die Klägerin mit dem Auto zur Begutachtung angereist sei, allein exploriert und untersucht worden sei. Sie sei sommerlich, sauber und ordentlich gekleidet. Die Klägerin habe oft mit den Händen genestelt und meist zu Boden oder auf ihre Hände, manchmal auch zu ihm geblickt. Sie habe auch spontan berichtet und sei um Auskunft bemüht gewesen. Die Stimme sei normal laut und unauffällig moduliert. Immer wieder würden im Gespräch Selbstmitleid und die Einnahme einer Opferrolle deutlich. Die Klägerin sitze im Gespräch stets ruhig, mit überschlagenen Beinen, wirke nie theatralisch oder demonstrativ und nie schmerzgeplagt. Die Gesprächsatmosphäre bleibe entspannt. Die Klägerin könne dem Gespräch gut folgen. Sie sei bewusstseinsklar und orientiert. Sie wirke leicht agitiert, nervös, mit herabgesetzter Intentionalität. Sie scheine darüber hinaus aber auch vermehrt erschöpflich und wirke verzweifelt deprimiert, hilflos und perspektivlos, mit eingeschränktem Selbstwertgefühl. Es werde eine verstärkte Besorgtheit deutlich. Affektiv sei sie nicht stabil. Sie sei auch kurzzeitig in ihrer deprimierten Stimmung nicht auflockerbar. Ein echtes affektives Stimmungsvermögen sei nicht feststellbar. Der Gedankengang sei zusammenhängend, geprägt von einer Grübelneigung. Es seien keine auffälligen Denkinhalte, kein Wahn, auch keine wirklich fassbaren phobischen Denkinhalte, keine Wahrnehmungsstörung oder Ich-Störungen zu erkennen. Intellektuell zeigten sich keine Einschränkungen. Das Konzentrationsvermögen in der Begutachtung wirke leicht reduziert. Sozial ließen sich keine aggressiven oder Verwahrlosungstendenzen erkennen, auch kein völliger sozialer Rückzug oder eine aufgehobenen Fähigkeit zur strukturierten Alltagsgestaltung. Sie habe ein Krankheitsgefühl, scheine grundsätzlich krankheitseinsichtig und es werde auch ein Leidensdruck und eine Behandlungsbereitschaft deutlich. Die Beschwerdeschilderung und -darstellung erscheine glaubhaft bei einer leichten Verdeutlichungsneigung, keine eigentlichen Aggravations- oder Simulationshinweise. Bei der jetzigen Begutachtung würden immer wieder auch selbstunsichere Persönlichkeitszüge deutlich. Er habe eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Gemäß dem ICD-10 beruhe die Feststellung einer mittelschweren depressiven Episode auf der bei der Begutachtung feststellbaren verzweifelt-deprimierten Stimmung mittelschweren Ausmaßes sowie einer ebenfalls deutlichen Störung des Antriebs mit leichter Agitiertheit, Nervosität, fehlender Zielausrichtung und erhöhter Erschöpflichkeit. Neben diesen zwei Grundkriterien einer Depression (Störung der Stimmung und des Antriebs) sei das dritte Grundkriterium, der völlige Verlust von Interesse und Freunde an Aktivitäten, die früher angenehm gewesen seien, so nicht herauszuarbeiten. Es seien zwei der drei Grundkriterien einer depressiven Episode gemäß ICD-10 erfüllt, so dass weiter geklärt werden müsse, ob es sich um eine leichte oder eine mittelschwere depressive Episode handele. Eine schwere depressive Episode scheide damit aus. An weiteren diagnostischen Kriterien sei erkennbar, dass eine deutliche Störung des Selbstwertgefühls bestehe, eine Störung des Denkablaufs mit einer Grübelneigung, eine Einschränkung des Konzentrationsvermögens, eine Schlafstörung, dass eine psychomotorische Agitiertheit feststellbar sei und immer wieder ein berichtetes frühmorgendliches Erwachen sowie ein aufgehobenes affektives Schwingungsvermögen. Es handele sich insgesamt in der Schweregradeinschätzung, bei der ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen erfahrenen Psychiatern gebe, um eine mittelschwere depressive Episode. Dies decke sich auch mit der Entlassung aus der psychiatrischen Tagesklinik in L. im April 2015 in einem gebesserten, aber keinesfalls stabilen oder völlig remittierten Zustand. Eine eigenständige Angststörung sei nicht herauszuarbeiten. Er habe auch keine somatoforme Schmerzstörung diagnostizieren können. Allgemein-körperlich und neurologisch sei nach Aktenanalyse und eigener Befunderhebung von einem sicher sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen. Psychiatrisch sei seit 2007 auf drei stationäre und eine tagesklinische Behandlung, auf Antragspsychotherapien sowie eine ambulante nervenärztliche Behandlung bei Dr. J. zu blicken. Trotz dieser Behandlungsmaßnahmen in den letzten acht Jahren zeigten sich bei der jetzigen Begutachtung noch deutlich psychische Funktionsstörungen in den für eine Leistungserbringung relevanten Funktionsbereichen. Es zeigten sich deutliche Störungen des Antriebs, der Stimmung. Der Denkablauf sei gestört und auch das Konzentrationsvermögen. Wirkliche soziale Störungen oder Einschränkungen der Fähigkeit zu sozialen Interaktionen und Kommunikationen hätten nicht bestanden. Nach der bisherigen Krankheitsvorgeschichte und dem jetzigen Befund sei nicht zu erkennen, dass es durch weitere therapeutische Maßnahmen in einem überschaubaren Zeitraum von sechs Monaten möglich wäre, eine durchgreifende Besserung und vor allem auch eine soziale Stabilität zu erreichen, dass über die Besserung hinaus eine regelmäßige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch die damit verbundenen Belastungen nicht schneller wieder zu einer erneuten Verschlechterung des seelischen Befindens führen würde. Es sei zwar grundsätzlich vorstellbar, dass bei einer rezidivierenden depressiven Störung depressive Episoden auch vollständig abklängen und dass eine solche Stabilität eintrete, dass eine Leistungserbringung bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen ohne Gefahr für die Gesundheit möglich sei, doch gehe er nach der bisherigen vieljährigen Krankheitsgeschichte davon aus, dass hierfür ein längerer Zeitraum notwendig sei. Aus nervenärztlicher Sicht gehe er auch aufgrund der jetzt bestehenden psychischen Funktionsstörungen, die in einem überschaubaren Zeitraum nicht zu bessern seien, von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Da grundsätzlich eine Besserung möglich sei, halte er eine Nachuntersuchung in drei Jahren für empfehlenswert. Den Zeitpunkt des Beginns des Eintritts der Leistungsminderung sehe er nicht ab Antragstellung im Mai 2012, da zum damaligen Zeitpunkt die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft gewesen seien. Seither erfolgten weiteren stationäre Behandlungen mit einer leichten, aber nicht durchgreifenden Besserung nach der ersten stationären Behandlung sowie dann einer erneuten Verschlechterung und der Notwendigkeit der Einleitung einer weiteren stationären Behandlung im Dezember 2013. Da die Entlassung aus dieser weiteren stationären Behandlung ebenfalls ohne durchgreifende Besserung erfolgt sei, gehe er nach Aktenanalyse davon aus, dass spätestens ab Januar 2014 vom Beginn des Eintritts einer quantitativen Leistungsminderung gesprochen werden müsse.

Dr. St. hat in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 19. Februar 2016 in Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Beklagten an seiner diagnostischen Einschätzung und sozialmedizinischen Gesamtbeurteilung festgehalten und insbesondere ausgeführt, entgegen der Auffassung des Dr. N. könnten nicht nur schwere Depressionen zu einer Leistungsminderung führen.

Der Senat hat Dr. J. und Dipl.-Psychologin Bl. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. J. hat unter dem 2. Juni 2016 über Behandlungen der Klägerin zwischen dem 7. Oktober 2013 und dem 22. Januar 2015 berichtet. Bei der Klägerin liege eine schwere depressive Symptomatik mit depressiver Herabgestimmtheit, ausgeprägter Antriebslosigkeit, Schlafstörung und Ganzkörperschmerzen vor. Es bestehe eine schnelle Erschöpfung, so dass der Haushalt nur in Etappen erledigt werden könne. Eine Besserung im Behandlungsverlauf sei nicht eingetreten. Dipl.-Psychologin Bl. hat unter dem 6. Juni 2016 mitgeteilt, dass sich die Klägerin bei ihr seit dem 27. März 2013 in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Die Gespräche hätten zunächst wöchentlich und dann vierzehntätig stattgefunden. Seit Anfang des Jahres (2016) erfolgten sie im Abstand von ca. einem Monat. Psychodiagnostisch gehe sie von einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10: F33.2) sowie von einer Somatisierungsstörung (ICD-10: F45.4) aus. Die Klägerin zeige stark selbstunsichere, ängstlich-vermeidende und abhängige Verhaltensmuster. Aufgrund der Krankengeschichte, der Persönlichkeitsstruktur und der immer wieder auftretenden depressiven Episoden bestehe eine seelische Instabilität. Eine regelmäßige Tätigkeit sei nicht vorstellbar, da kleine Konflikte ihren Zustand schnell verschlechtern könnten. Die Klägerin sei psychisch kaum belastbar.

Vom 30. Mai bis 4. August 2016 hat sich die Klägerin zu stationären Behandlung in der Klinik für affektive Erkrankungen und Psychosomatische Medizin in E. befunden. Im Arztbrief vom 9. August 2016 hat Dr. H. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome; ICD-10: F33.2) und einer Hypothyreose (nicht näher bezeichnet; ICD-10: E03.9) mitgeteilt. Die Entlassung sei im teilstabilisierten Zustandsbild und auf ausdrücklichen eigenen Wunsch erfolgt. Im Entlassgespräch habe die Klägerin erstmals den Wunsch geäußert, in Zukunft teilzeit als Fußpflegerin arbeiten zu können.

Das Amtsgericht L. – Betreuungsgericht – hat mit Beschluss vom 21. Juni 2016 für die Klägerin für die Vermögenssorge, das Öffnen der Post, die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie für Wohnungsangelegenheiten vorläufig und mit Beschluss vom 1. September 2016 bis auf Weiteres eine Betreuerin bestellt. Dem hat unter anderem ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Fr. (Zentrum für Psychiatrie E.) vom 5. August 2016 (Diagnose: depressive Episode bei rezidivierender Depression) zugrundegelegen. Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts L. beigezogen und das Sachverständigengutachten der Dr. Fr. zur hiesigen Akte genommen.

Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 29. Januar 2016 erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Klägerin und der Beklagten sind – jeweils als selbständige Berufungen – auch im Übrigen zulässig. Die Berufungen bedurften insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt und die Beklagte sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen für mehr als ein Jahr wendet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung über die Berufungen entscheiden.

2. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung (auch) für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis zum 31. August 2018. Das SG hat die Klage insoweit zu Unrecht abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, denn das SG hat sie zu Recht zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis zum 30. Juni 2015 verurteilt.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann und mithin teilweise erwerbsgemindert ist, er bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts jedoch keinen entsprechenden Arbeitsplatz innehat (Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 8. September 2005 – B 13 RJ 10/04 R – juris, Rn. 18, und vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 6/05 R – juris, Rn.18; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. August 2014 – L 9 R 1721/14 – juris, Rn. 33) und wenn ihm weder der Rentenversicherungsträger noch das zuständige Arbeitsamt innerhalb eines Jahres seit Stellung des Rentenantrages einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten können (Gürtner in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI Rn. 31 m.w.N. [April 2010]). Auch nach Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) zum 1. Januar 2001 ist nicht davon auszugehen, dass Teilzeitstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schlechthin in genügender Anzahl zur Verfügung stehen (Urteil des Senats vom 10. Oktober 2014 – L 4 R 5172/13 – nicht veröffentlicht). Angesichts der Arbeitsmarktlage gehen die Rentenversicherungsträger deshalb in der Regel ohne weitere Ermittlungen davon aus, dass die Vermittlung eines in seinem Leistungsvermögen qualitativ und quantitativ eingeschränkten Versicherten nicht innerhalb der Jahresfrist möglich ist. In einem solchen Fall schlägt wie nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage, wonach die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen ist (konkrete Betrachtungsweise), die teilweise Erwerbsminderung in die volle Erwerbsminderung um. Dies hat der Große Senat des BSG in den Beschlüssen vom 11. Dezember 1969 und 10. Dezember 1976 bereits zu dem unter der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltenden Recht entschieden (BSG, Beschlüsse vom 11. Dezember 1969 – GS 4/69 – juris und vom 10. Dezember 1976 – GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 – juris). Nach dem Willen des Gesetzgebers (Bundestags-Drucksache 14/4230, S. 25 zu Nr. 10) sollte die konkrete Betrachtungsweise wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation auch nach dem 31. Dezember 2000 beibehalten werden. Dies ergibt sich auch aus § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI, der auf Renten "unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage" abstellt (vgl. zu alledem m.w.N. Freudenberg, in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 221 ff.; Gürtner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI Rn. 30 ff. [April 2010]). Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich die Beibehaltung der konkreten Betrachtungsweise auch aus einem Umkehrschluss zu § 43 Abs. 3 SGB VI (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 6/05 R – juris, Rn. 18).

b) Nach diesen Maßstäben steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin, die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt (im Zeitraum zwischen Oktober 2008 und September 2013 sind mehr als 36 Monate Pflichtbeiträge vorhanden), jedenfalls seit Oktober 2013 nicht mehr in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten, so dass sie seitdem voll erwerbsgemindert ist.

(1) Bei der Klägerin besteht insbesondere eine Depression jedenfalls mittelgradigen Ausmaßes. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Dr. St ... Insofern deckt sich die Diagnose mit derjenigen, die Dr. H. bereits bei der Untersuchung der Klägerin am 3. Juli 2012 gestellt hat. Zumindest teilweise hatte die Depression der Klägerin auch einen schweren Grad. So hat der gerichtliche Sachverständige Dr. B. die depressiven Symptome anhand des Beck-Depressions-Inventar als schwer eingestuft. Sowohl Dr. B. als auch Dr. St. habe eine Simulation oder Aggravation der Klägerin ausgeschlossen. Ihre Diagnosen werden bestätigt durch die schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Dr. J. vom 2. Juni 2016, der über Behandlungen der Klägerin zwischen dem 7. Oktober 2013 und dem 22. Januar 2015 und über eine schwere depressive Symptomatik berichtet hat, sowie durch den Arztbrief des Dr. H. vom 9. August 2016 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 30. Mai bis 4. August 2016 in der Klinik für affektive Erkrankungen und Psychosomatische Medizin, der unter anderem eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert hat.

Neben der Depression leidet die Klägerin auf orthopädischem Gebiet unter einer Fehlstatik und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit chronischer Cervicodorsalgie und Lumbalgie, einer leichten Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Funktionsdefizite, einem chronischen Reizzustand des Muskelsehnenmantels der linken Schulter und einer Impingementsyptomatik links ohne Bewegungseinschränkung, einer behandelte Unterfunktion der Schilddrüse, einer beginnende Polyarthrose der Fingergelenke sowie einer Großzehenarthrose beidseits links mehr als rechts. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten der Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51).

(2) Aus den bei der Klägerin vorliegenden und vom Senat festgestellten Gesundheitsstörungen ergeben sich nicht nur qualitative Einschränkungen, sondern auch zeitliche Limitierungen. Während die Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen führen, die einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegenstehen, ergibt sich aus der Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet auch eine Minderung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht. Die Klägerin kann jedenfalls seit Oktober 2013 nur noch weniger als sechs Stunden arbeiten. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. und Dr. St., die beide aufgrund einer persönlichen Begutachtung der Klägerin, vor dem Hintergrund eigener vielfältiger Erfahrung auf dem Gebiet der nervenärztlichen Begutachtung in Rechtsstreitigkeiten wegen Erwerbsminderung und unter Berücksichtigung der ihnen vorliegenden ärztlichen Äußerungen insoweit übereinstimmend sogar zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt drei Stunden und mehr täglich zu arbeiten. Angesichts dessen müssen die Einwendungen der Beklagten gegen die beiden Sachverständigengutachten im Ergebnis zurückstehen. Insbesondere die langjährige psychotherapeutische Behandlung bei Dipl.-Psych. Bl. bleibt unberücksichtigt. Eine nähere Auseinandersetzung damit enthält keine der Stellungnahmen, insbesondere auch nicht die zu den sachverständigen Zeugenauskünfte abgegebene Stellungnahme vom 28. Juni 2016.

Die gegenteiligen Einschätzungen der Dr. H. und der Ärztin S. beruhen auf Untersuchungen der Klägerin vom 3. Juli 2012 bzw. vom 25. März 2013 und datieren damit auf Zeitpunkte, die weit vor dem im Berufungsverfahren noch streitigen, am 1. Mai 2014 beginnenden Zeitraum liegen. Gleiches gilt allerdings umgekehrt auch für die fachärztliche Stellungnahme des Dr. B. vom 25. Februar 2013, der eine "Erwerbsunfähigkeitsrente" für ärztlich indiziert hielt.

Dass die zeitliche Limitierung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin auf unter drei Stunden jedenfalls seit Oktober 2013 vorliegt, wovon Dr. B. ausgeht, erscheint im Hinblick auf die zeitnahen ärztlichen bzw. therapeutischen Äußerungen plausibel. Dipl.-Psych. Bl. erachtete in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 24. Oktober 2013 über die seit März 2013 stattfindende Gesprächstherapie die Klägerin nicht für arbeitsfähig. Dr. B. berichtete in seinem Arztbrief vom 4. März 2014 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin der Klinik in der Zarten vom 19. November bis 21. Dezember 2013 unter anderem über die Entlassungsdiagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig schwerer Episode und hielt die Klägerin nicht einmal für bis zu drei Stunden einsetzbar.

c) Es kann dahinstehen, ob die Klägerin Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer hat. Denn durch ihren Antrag im Berufungsverfahren, die Beklagte zur Rentengewährung für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis zum 31. August 2018 zu verurteilen, hat die Klägerin den Streitgegenstand auf diesen Zeitraum beschränkt. Nach dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. § 123 SGG) geltenden Grundsatz "ne ultra petita" (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris, Rn. 11) kann der Senat daher über einen Rentenanspruch für die Zeit ab dem 1. September 2018 nicht befinden.

Selbst unter der Annahme, dass der Klägerin die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur auf Zeit zu gewähren ist (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI), ist sie aber bis zum 31. August 2018 zu gewähren. Eine Befristung bis zu einem Zeitpunkt vor dem 31. August 2018 kam nicht in Betracht. Zwar erfolgt die Befristung nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI grundsätzlich für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Vorliegend war von dieser für den Regelfall vorgegebenen Befristungsdauer abzuweichen, da noch bei der Untersuchung der Klägerin durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. St. am 31. August 2015 eine volle Erwerbsminderung festgestellt worden ist. Dies rechtfertigt es, den Dreijahreszeitraum erst ab diesem Zeitpunkt beginnen zu lassen, auch wenn die Rente bereits ab dem 1. Mai 2014 gewährt wird.

Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer hat, kann auch mit Blick auf die Frage des Rentenbeginns offen bleiben. Da die Klägerin jedenfalls seit Oktober 2013 voll erwerbsgemindert ist, befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden und die Klägerin mit ihrer Berufung die Verurteilung der Beklagten durch das SG zu Rentenzahlung erst ab dem 1. Mai 2014 nicht angegriffen hat, kommt es auf die Frage, ob Rente bereits ab Oktober 2013 zu gewähren ist, nicht an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved