L 4 R 65/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 3600/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 65/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. November 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 1. Dezember 2012.

Die am 1962 in der Türkei geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und reiste 1977 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie hat keine Berufsausbildung absolviert und war von 1979 bis 1980 als Löterin und ab 1981 als Anlagenbedienerin in Wechselschicht tätig. Nach einem am 14. Dezember 2011 erfolgten Personalgespräch war sie seit 15. Dezember 2011 arbeitsunfähig erkrankt. Jedenfalls ab Oktober 2012 bezog sie bis zu ihrer Aussteuerung im Juni 2013 Krankengeld. Nach dem Gesprächsprotokoll über das Personalgespräch warf ihr Vorgesetzter ihr in einer von anderen Gesprächsteilnehmer als unangemessen bezeichneten Weise vor, ihren Urlaub ungenehmigt verlängert zu haben.

Am 4. Dezember 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie aus, sie halte sich seit 2011 für erwerbsgemindert. Grund hierfür sei eine anhaltende mittelgradige depressive Episode, ein Hirnaneurysma sowie ein Hämolytisch-Urämisches Syndrom (HUS-Syndrom). Diesbezüglich legte sie einen Kurzbericht des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. H. des Psychosomatisch-Psychotherapeutischen Rehabilitationszentrums (PPRZ) S. vom 24. Oktober 2012 vor.

Die Beklagte zog zunächst den Entlassungsbericht des PPRZ S. vom 2. November 2012 bei. Dort hatte sich die Klägerin anlässlich einer von der Beklagten bewilligten ganztägig ambulanten Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 19. September bis 24. Oktober 2012 aufgehalten. Dr. H. diagnostizierte bei der Klägerin eine anhaltende mittelgradige depressive Episode auf dem Boden einer beruflichen Beziehungstraumatisierung (mit somatischem Syndrom), ein Hirnaneurysma rechts, Zustand nach (Z.n.) Stenteinlage 2008, ein Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom) bei Spondylarthrose C6/C7 mit Foramenstenose beidseits sowie eine Cranomandibuläre Dysfunktion bei Kiefergelenksarthrose beisseits, Z.n. Operation (OP) 2011. Aufgefallen sei der geringe deutsche Wortschatz. Psychometrische Ergebnisse konnten nicht erhoben werden, da die Klägerin die Testbögen aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht habe ausfüllen können. Die Klägerin könne im Ergebnis lediglich unter drei Stunden täglich einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen.

Die Beklagte veranlasste anschließend eine Untersuchung und Begutachtung der Klägerin in ihrem Sozialmedizinischen Zentrum S ... Die Klägerin legte dazu u.a. zwei ärztliche Atteste des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 19. Dezember 2011 und 15. November 2012 vor, in dem dieser auf die erheblich eingeschränkte Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit der Klägerin aufgrund psychischer Beeinträchtigungen hinwies. Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E.-D. legte in ihrem Gutachten vom 19. Dezember 2012 dar, die Klägerin leide an einer Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation, einer Angst und depressiven Störung gemischt und einem Aneurysma der rechten Mediateilungsstelle mit Stentimplantation im August 2008. Ferner gebe die Klägerin an, häufig Kopfschmerzen zu haben. Diese seien wahrscheinlich medikamenteninduziert. Aggravationen und Verdeutlichungstendenzen seien nicht zu übersehen. Die Klägerin habe angegeben zwei Antidepressiva einzunehmen. Der Opipramolspiegel habe unterhalb des therapeutischen Bereichs, der Citalopramspiegel unterhalb der Nachweisgrenze gelegen. Im Ergebnis sei die Klägerin in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne erhöhten Zeitdruck und ohne Akkord- oder Nachtschichtarbeit täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin unter Hinweis auf die durchgeführten medizinischen Ermittlungen ab. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Den hiergegen unter Vorlage eines ärztlichen Attests des Dr. L. vom 18. Februar 2013 eingelegten Widerspruch, in dem dieser der Klägerin ein unter dreistündiges Restleistungsvermögen bescheinigte, wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2013 zurück. Unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender medizinischer Unterlagen leide die Klägerin an einer Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation, einer Angst und depressiven Störung gemischt sowie einem Aneurysma der rechten Mediateilungsstelle, Stentimplantation im August 2008. Bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitlich einschränkten. Der Klägerin seien noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung, ohne Nachtschichtarbeit sowie ohne besonderen Zeitdruck oder Akkord sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Volle bzw. teilweise Erwerbsminderung liege daher nicht vor. Ferner könne die Klägerin auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit beanspruchen, da sie nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei.

Die Klägerin erhob am 27. Juni 2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Zu deren Begründung trug sie im Wesentlichen vor, aufgrund der bei ihr vorhandenen, sich seit November 2012 verschlechterten Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht mehr erwerbstätig sein zu können. Seit Dezember 2011 sei sie arbeitsunfähig krank und habe ausgeprägte psychosomatische Beschwerden entwickelt. Dies ergebe sich vornehmlich aus dem Bericht des PPRZ S., wonach sie lediglich ein unter dreistündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe. Wegen Hirnaneurysmen habe sie betonte Schmerzen im Bereich der linken Körperhälfte und solle jegliche Aufregung vermeiden. Zudem sei sie inkontinent, verwirrt und leide unter einem dementiellen Syndrom. Sie teile die Auffassung des gerichtlicherseits beauftragten Sachverständigen Dr. He. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) nicht, der ihr ein über sechsstündiges Restleistungsvermögen attestierte. Sie stehe im Widerspruch zu den Äußerungen des Dr. H. vom PPRZ S. und derjenigen des Dr. L., der sie seit Jahren betreue. Im Übrigen habe Dr. He. das Gespräch überwiegend mit ihrem Ehemann geführt. Daher sei die Wertung des Ehemanns mit in das Gutachtensergebnis eingeflossen. Das Gutachten sei daher wertlos. Der Sachverständige hätte einen Dolmetscher hinzuziehen müssen. Sie reichte weitere Atteste des Dr. L. ein.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer Stellungnahme des Sozialmediziners F. vom 30. Oktober 2013 entgegen. Eine abweichende Beurteilung sei nicht veranlasst.

Das SG befragte Dr. L. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser wiederholte unter dem 26. August 2013 die Einschätzung, der Klägerin sei die Verrichtung auch einer körperlich leichten Berufstätigkeit nur unter drei Stunden täglich möglich. Verantwortlich hierfür sei die psychische Symptomatik. Seit einem Disziplinargespräch im Dezember 2011 sei die Grundstimmung der Klägerin durchgängig deutlich depressiv gefärbt, sie sei affektiv nicht schwingungsfähig. Es komme zu unwillkürlichen Tränenausbrüchen. Sie schildere ausgeprägte Ängste und wirke innerlich angespannt und unruhig. Es bestünden erhebliche Ein- und Durchschlafstörungen. Sie wirke allgemein erschöpft und abgeschlagen. Der Antrieb erscheine gemindert. Hinweise auf formale oder inhaltliche Denkstörungen ergäben sich nicht. Die Klägerin traue sich aufgrund ihrer Ängste nicht mehr ohne Begleitung aus der Wohnung. Kontakte zu anderen Menschen sowie soziale Aktivitäten meide sie. Seit dem Disziplinargespräch im Dezember 2011 sei eine erhebliche Verschlechterung ihres psychischen Zustandes eingetreten.

Anschließend beauftragte das SG Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. He. (Leitender Oberarzt der Tagesklinik B., Klinik N.) mit der Erstattung eines nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens. Nach Untersuchung der Klägerin führte er unter dem 5. März und ergänzend unter dem 23. Juli 2014 aus, die Klägerin leide auf psychiatrisch/psychotherapeutischem Fachgebiet an einer überwiegend leichten, zeitweise vermutlich auch mittelgradig ausgeprägten, chronifizierten depressiven Störung mit dysthymen und reaktiven Anteilen, vermehrten Ängsten und Rückzugsverhalten. Für das Vorliegen einer Traumafolgestörung habe er keine ausreichenden Belege gefunden. Fachfremd diagnostizierte er ein Aneurysma der Hirnarterie (Mediateilungsstelle rechts) mit Stentimplantation 2008, anamnestisch kleines Aneurysma einer Hirnarterie links, chronisch rezidivierende Kopfschmerzen, ein HWS-Syndrom bei Spondylarthrose C6/7 mit Foramenstenose beidseits, eine Craniomandibuläre Dysfunktion bei Kiefergelenksarthrose bei Z.n. OP 2011 sowie eine Hypothyreose mit Substitution von Schilddrüsenhormon. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Die Arbeitstätigkeit solle in wechselnder Körperhaltung zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeführt werden, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck oder Akkordarbeiten, Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung an die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit, gleichförmige Körperhaltungen, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen und Steigen auf Leitern oder Arbeiten auf Gerüsten sollten ebenso vermieden werden wie das Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel über 2 kg. Die Klägerin habe viele Male eine willkürliche Verzögerung bzw. Verlangsamung in ihrem Verhalten gezeigt, welches über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg Verdeutlichungstendenzen, demonstrative Aspekte und eine Aggravation ihrer Beschwerden beinhaltet habe. Das Verhalten der Klägerin sei zumindest teilweise "bewusstseinsnah gemacht". Mimik und Gestik der Klägerin hätten unnatürlich gewirkt, sie seien jedoch nicht im Sinne einer psychomotorischen Hemmung, sondern demonstrativ gequält, leidend und erschöpft erschienen. Eine objektivierbare Minderung der Konzentrationsfähigkeit der Klägerin oder ihres Auffassungsvermögens sei nicht erkennbar gewesen. Auch ihre Gedächtnisfunktionen hätten keine groben Defizite gezeigt. Der formale Gedankenablauf, der wegen der Sprachbarriere und zahlreicher demonstrative Verhaltensweisen der Klägerin schwer zu beurteilen gewesen sei, sei ebenso weitgehend geordnet erschienen. Hinweise auf inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen bzw. Ich-Störungen hätten sich nicht ergeben. Er habe das Gespräch nicht überwiegend mit dem Ehemann der Klägerin geführt, wie seinem Gutachten zu entnehmen sei. Die Hinzuziehung eines professionellen Dolmetschers habe ihm entbehrlich erschienen.

Mit Urteil vom 26. November 2014 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Auch habe sie keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sie nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei. Gestützt auf das Gutachten der Dr. E.-D. und des Sachverständigen Dr. He. sei sie noch in der Lage, jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Soweit die Klägerin gegen das Gutachten des Dr. He. vorgebracht habe, Dr. He. habe das Gespräch überwiegend mit ihrem Ehemann geführt und die Hinzuziehung eines Dolmetschers sei erforderlich gewesen, hätten diese Einwände das Gutachten des Sachverständigen nicht zu entkräften vermocht. Zum einen habe Dr. He. detailliert aufgeführt, wer wann welche Angaben getätigt habe. Dies folge aus dessen ergänzender Stellungnahme vom 23. Juli 2014 und dem Inhalt seines Gutachtens. Darüber hinaus habe er auch angegeben, dass er im Rahmen des Explorationsgespräches mit der Klägerin im Beisein ihres Ehemannes zu der Beurteilung gelangt sei, dass ihre deutschen Sprachkenntnisse ausreichend waren, um die für das Gutachten relevanten Fragestellungen zu beantworten. Sowohl im Rahmen der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. L. als auch im Entlassungsbericht des PPRZ S. sei die Differenzierung zwischen den subjektiven Beschwerdeangaben und Schilderungen der Klägerin, den objektivierbaren Befunden und der hieraus gezogenen Leistungsbeurteilung unzureichend, weshalb diesen nicht habe gefolgt werden können. Im Übrigen habe Dr. He. angegeben, die Klägerin habe im Rahmen der Untersuchungssituation viele Male eine willkürliche Verzögerung bzw. Verlangsamung in ihrem Verhalten gezeigt, welches Verdeutlichungstendenzen, demonstrative Aspekte und eine Aggravation ihrer Beschwerden beinhaltet habe. Darüber hinaus habe auch Dr. E.-D. während der Untersuchung der Klägerin Aggravation und Verdeutlichungstendenzen festgestellt. Zudem habe der Medikamentenspiegel der von der Klägerin als eingenommen angegebenen Medikamente unterhalb des therapeutischen Bereichs bzw. unterhalb der Nachweisgrenze gelegen. Eine richtungsweisende Verschlimmerung des Gesundheitszustandes sei nicht nachvollziehbar belegt.

Gegen das ihr am 2. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Dezember 2014 Berufung eingelegt. Unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrages führt sie ergänzend aus, Dr. He. habe ihren Gesundheitszustand nicht zutreffend eingeschätzt. Entgegen seiner Auffassung liege eine Traumafolgestörung vor. Dies werde dadurch bestätigt, dass die Berufsgenossenschaft das Disziplinargespräch als Arbeitsunfall anerkannt habe (Bescheid vom 23. Januar 2015). Erst durch die massive Kränkung durch den Arbeitgeber sei es zu ihrem Zusammenbruch gekommen. Dies habe Dr. L. mehrfach bestätigt. Sie leide ferner unter einer schweren Kiefergelenksarthrose rechts mit fortgeschrittener Gelenksdestruktion (Arztbrief des Dr. Dr. Z., Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, M.-hospital S., vom 10. Dezember 2014), die ihr stärkste Schmerzen bereite. Die Gefahr eines weiteren Aneurysmas befeuere ihre Depression, da sie sich ständig vor einem akuten Blutungsereignis mit Todesfolge fürchte. Auch habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Sie wirke verschlossen und völlig teilnahmslos. Aufgrund der Feststellungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Br., insbesondere der Stellungnahme vom 8. August 2016 zum Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sc., stehe ihr ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu. Dies ergebe sich auch aus dem ärztlichen Attest der sie behandelnden Allgemeinmedizinerin Be. vom 18. Februar 2015 und der ärztlichen Stellungnahme des Dr. L. vom 4. Februar 2016. Die Auffassung der Beklagten (Stellungnahme des Arztes Bu. vom 11. November 2015) teile sie ebenso wenig wie diejenige des Prof. Dr. Sc ...

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. November 2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2013 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, ab dem 1. Dezember 2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen. Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes Bu. vom 11. November 2015 vorgelegt.

Der Senat hat die das Ereignis vom 14. Dezember 2011 betreffenden Unfallakten der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse beigezogen und Prof. Dr. Br., der im Auftrag dieser Berufsgenossenschaft aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 18. Juni 2015 ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 26. Juni 2015 erstattet hatte, schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Unter Verweis auf sein Gutachten führt er aus, die Klägerin leide an einer schwerwiegenden Konversionsneurose, einer mittelgradigen depressiven Episode nach beruflicher Traumatisierung, einem massiven Nikotinabusus sowie einem Z.n. Stenteinlage wegen eines Aneurysmas. Ferner bestehe bei der Klägerin eine Craniomandibuläre Dysfunktion bei Kiefergelenksarthrose beidseits, ein degenerativ bedingtes Wirbelsäulensyndrom, der Verdacht auf Gonarthrose beidseits, eine arterielle Hypertonie, eine Hypothyreose sowie Verwachsungsbeschwerden nach Bauch-OP sowie Dysurie bei chronischem Harnwegsinfekt. Die Klägerin verfüge nicht mehr über die Leistungsfähigkeit, um Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben.

Anschließend hat der Senat den Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie des psychiatrischen Zentrums N., Prof. Dr. Sc., mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Er hat zur Begutachtung einen Dolmetscher hinzugezogen. In seinem Gutachten vom 7. Juli 2016 legt er dar, die Klägerin leide auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet an einer Dysthymia. Nebenbefundlich stellt er eine Vibrationsminderempfindlichkeit sowie eine nicht näher bezeichnete Anämie fest. In den eigenanamnestischen Beschwerdeangaben und den subjektiven Beschwerdedarstellungen hätten sich Hinweise auf eine Reihe von Inkonsistenzen und Unplausibilität ergeben. In Bezug auf das Gehen habe die Klägerin in Gegenwart ihrer Angehörigen ausgeprägte Unterstützungsbedürftigkeit gezeigt, so dass sie von dem sie begleitenden Ehemann intensiv gestützt und in den Untersuchungsraum begleitet worden sei. Bei Abwesenheit der Angehörigen habe sie die Fähigkeit, sich selbständig in Räumen zu bewegen, wobei sie kontinuierlich bestrebt gewesen sei, beim Gehen Gegenstände/Wände zu touchieren, ohne dort Halt zu finden. In Bezug auf die Vorerkrankungen hätten sich Inkonsistenzen zwischen den Angaben der Klägerin während der Untersuchung und den aktenkundigen Befunden ergeben. Die Klägerin habe ausgeführt, dass bis zum Disziplinargespräch im Dezember 2011 "die Welt für sie in Ordnung gewesen" sei und sie auch keine psychischen Erkrankungen gehabt habe. Die aktenkundige Arbeitsunfähigkeit wegen Depressivität 2009 könne sie sich nicht erklären. Trotz dieser dokumentierten Depressivität schließe sie eine tatsächliche psychische krankheitswerte Beeinträchtigung vor dem maßgeblichen Disziplinargespräch aus. In Bezug auf das Disziplinargespräch habe die Klägerin mehrere wenig plausible Angaben, die bei näherer Prüfung mit der Aktenlage so nicht kompatibel seien, gemacht. So habe sie differenziert von einem versuchten körperlichen Übergriff ihres Vorgesetzten berichtet, der von dem Übergriff allein durch den im Gespräch ebenfalls anwesenden Personalrat und Behindertenbeauftragten abgehalten worden sei. Eine solche Bedrohungshandlung sei dem Gesprächsprotokoll nicht zu entnehmen. Auch habe sie zu ihrem Zustand nach dem Disziplinargespräch von einer "dreistündigen Ohnmacht" berichtet. Eine entsprechende psychische Besonderheit dieser Art ergebe sich aus den vorgelegten Akten nicht. Dass eine Betriebsangehörige mehrere Stunden im Zustand der Bewusstlosigkeit in einer Sanitätsstelle sei, ohne dass dieses im Sanitätsbuch dokumentiert werde, sei extrem unwahrscheinlich und zudem natürlich auch medizinisch in keiner Weise zu vertreten. Weiterhin hätten sich atypische Muster der Beschwerdedarstellung mit theatralisch-hyperexpressivem, regelrecht groteskem Nachstellen des berichteten Vorgesetztenverhaltens mit fast abruptem Aufspringen, bizarrer Gestik und Mimik sowie markantem, durchaus gellenden Lautäußerungen gezeigt, wobei die Klägerin diese zweimalige Darstellung unter Zuruf unmittelbar habe beenden können. Ebenso hätten sich Diskrepanzen zwischen angegebenen Beschwerden und beobachtetem Befund ergeben. Die Klägerin habe eine ausgeprägte Erschöpfbarkeit angegeben, dem habe jedoch eine beobachtete konsequente Mitwirkung bei Exploration und Untersuchung über insgesamt mehr als sechs Stunden unter Annahme eines Pausenangebots erst in der dritten Untersuchungsstunde entgegengestanden. Diskrepanzen hätten sich auch zwischen psychometrisch erfassten Beschwerdeangaben und realer erbrachter Leistung ergeben. Als sie beispielsweise im Beschwerdevalidierungsverfahren SFSS (Strukturierter Fragebogen Simulierter Symptome) als zutreffend angegeben habe, dass sie Mühe habe, sich an ihren Geburtstag zu erinnern, was jedoch in der gutachterlichen Exploration völlig problemlos und ohne Latenz gelungen sei. Auch die in der körperlichen Untersuchung gezeigten dysmetrischen Koordinationsstörungen der oberen Extremitäten hätten in deutlichem Widerspruch zum selbständigen koordinierten An- und Entkleiden gestanden. Im testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM habe die Klägerin in einer visuellen Merkfähigkeitsprüfung trotz wiederholter Darbietung des zu lernenden Materials ausschließlich Ergebnisse auf Zufallsniveau erzielt; die von der Klägerin erzielten Treffer habe sie in dieser Anzahl auch ohne jegliche Anstrengungsleistung erbringen können. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Die insoweit von Dr. L. benutzten Bezeichnungen "posttraumatisches Belastungssyndrom" und "Beziehungstraumatisierung mit somatischem Syndrom" seien in wissenschaftlichen Klassifikationssystemen wie dem ICD-10 nicht enthalten. Die für die Klassifikation erforderlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Dies gelte auch im Hinblick auf die Vorbehandlung durch Dr. L. unter der Diagnose einer Depression. Auch die von Prof. Dr. Br. angenommene schwerwiegende Konversationsneurose sowie dissoziative Störungen der Bewegung und der Wahrnehmung habe nicht objektiviert werden können. Voraussetzung hierfür sei, dass es zu körperlich-funktionellen Störungen komme, die jedoch nicht organischen Ursprung seien, vielmehr durch psychische Belastungen ausgelöst würden. Im Hinblick auf die ausgeprägte negative Antwortverzerrung und instruktionswidrige Anstrengungsminderleistung sei ein Nachweis hierfür nicht möglich. Eine solche dissoziative Symptomatik lasse sich nicht einmal aus dem Gutachten des Prof. Dr. Br. herauslesen, der ebenfalls über massive Aggravationstendenzen und einen massiven sekundären Krankheitsgewinn berichtet habe. Auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Diese setze voraus, dass eine langanhaltende schwere und quälend erlebte Schmerzsymptomatik vorliege, die nicht bzw. nicht ausreichend durch einen organischen Prozess erklärbar sei. Bei der Klägerin seien grundsätzlich schmerzbehaftete Gesundheitsstörungen in Form von degenerativen Veränderungen der HWS bekannt. Hinweise für eine tatsächliche, die organisch begründeten Schmerzsyndrome überlagernde somatoforme Schmerzsymptomatik seien nicht nachgewiesen. Die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung führe zu einer Minderung der psychovegetativen Stressbelastbarkeit. Berufliche Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck (z.B. Akkordarbeit) oder Arbeiten unter unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) seien ausgeschlossen. Weiterhin seien Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte oder Tätigkeiten mit erhöhter Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit und Konzentrationsleistung (etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens mit Indikationsfall) nicht mehr zumutbar. Aufgrund der psychischen Gesundheitsstörung seien die sozialen Kompetenzen der Klägerin gemindert. Berufliche Tätigkeiten, die erhöhte Anforderung an soziale Kompetenzen stellten (etwa unmittelbarer Publikumskontakt, engere Kooperation in Arbeitsdienst etc.) seien vor diesem Hintergrund auszuschließen. Aufgrund der vorliegenden körperlichen Gesundheitsstörungen (vordiagnostiziertes HWS-Syndrom, craniomandibulbäre Dysfunktion etc.) seien körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Tätigkeiten nicht mehr zumutbar. Aufgrund der Störung der Tiefensensibilität kämen Tätigkeiten, die ein erhöhtes motorisches Balancevermögen zur Voraussetzung hätten, nicht in Frage. Auszuschließen seien insofern das Besteigen von und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten bei unebenem Bodenverhältnissen und Arbeiten unter anhaltenden Zwangshaltungen. Grundsätzlich möglich seien hingegen noch Tätigkeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 5 kg. Arbeitsplätze sollten grundsätzlich den Wechsel der Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ermöglichen. Denkbar seien insofern leichte und unkomplexe Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Industrie- und Handelserzeugnisse, Prüfen, Montieren und Sortieren solcher Gegenstände oder andere vergleichbare Hilfstätigkeiten. Im Ergebnis seien der Klägerin daher Tätigkeiten der vorbeschriebenen Art in einem Umfang von sechs Stunden und mehr pro Tag möglich. Objektive Krankheitsgründe sprächen nicht gegen die konkrete Wegefähigkeit zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des Senats und des SG, der beigezogenen Akten der Berufsgenossenschaft sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn die Klägerin begehrt laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr.

2. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der streitbefangene Bescheid vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]).

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Bei der Klägerin besteht auf psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymia (ICD-10 F34.1). Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sc ... Auch der Sachverständige Dr. He. codierte unter anderem ICD-10 F34.1. Auch er ging von keiner depressiven Erkrankung aus, sondern nahm eine Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) sowie Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2) an. Bei der Diagnose einer Störung mit Angst und Depression gemischt handelt es sich um eine Störung, bei der Angst und Depression nicht so ausgeprägt sind, dass die Diagnose einer depressiven Episode oder einer eigenständigen Angststörung gerechtfertigt ist (Erläuterung zu ICD-10 F41.2).

Eine posttraumatische Belastungsstörung kann der Senat demgegenüber nicht feststellen. Die insoweit von Dr. L. benutzten Bezeichnungen "posttraumatisches Belastungssyndrom" und "Beziehungstraumatisierung mit somatischem Syndrom" sind in wissenschaftlichen Klassifikationssystemen - wie dem ICD-10 - nicht enthalten. Die für die Klassifikation erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dies gilt auch im Hinblick auf die Vorbehandlung durch Dr. L. unter der Diagnose einer Depression. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sc ...

Auch die von Prof. Dr. Br. angenommene "schwerwiegende Konversationsneurose sowie dissoziative Störungen der Bewegung und der Wahrnehmung" kann der Senat nicht feststellen. Voraussetzung hierfür ist, dass es zu körperlich-funktionellen Störungen kommt, die jedoch nicht organischen Ursprung sind, sondern vielmehr durch psychische Belastungen ausgelöst werden. Dem stehen die ausgeprägten negativen Antwortverzerrungen und instruktionswidrigen Anstrengungsminderleistungen der Klägerin entgegen, die Prof. Dr. Sc. eindrucksvoll in seinem Sachverständigengutachten geschildert hat. Diese ergeben sich zudem aus dem Gutachten der im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachterin Dr. E.-D., deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51) sowie der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. He ... Zudem lässt sich eine solche dissoziative Symptomatik auch nicht aus dem Gutachten des Prof. Dr. Br. herauslesen, der ebenfalls über massive Aggravationstendenzen und einen massiven sekundären Krankheitsgewinn berichtet hat. Von weitergehenden Beeinträchtigungen konnte sich der Senat angesichts der vorliegenden Sachverständigengutachten trotz der entgegenstehenden Einschätzung insbesondere des Dr. L. und des Prof. Dr. Br. nicht überzeugen.

Letztlich liegt bei der Klägerin auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht vor. Diese setzt eine langanhaltende schwere und quälend erlebte Schmerzsymptomatik voraus, die nicht bzw. nicht ausreichend durch einen organischen Prozess erklärbar ist. Bei der Klägerin sind grundsätzlich schmerzbehaftete Gesundheitsstörungen in Form von degenerativen Veränderungen der HWS bekannt. Hinweise für eine tatsächliche, die organisch begründeten Schmerzsyndrome überlagernde somatoforme Schmerzsymptomatik sind jedoch nicht nachvollziehbar. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sc ...

Ferner leidet die Klägerin an einem Aneurysma der Hirnarterie (Mediateilungsstelle rechts) mit Stentimplantation 2008, anamnestisch an einem kleinen Aneurysma einer Hirnarterie links, chronisch rezidivierenden Kopfschmerzen, einem HWS-Syndrom bei Spondylarthrose C6/7 mit Foramenstenose beidseits, einer craniomandibulären Dysfunktion bei Kiefergelenksarthrose bei Z.n. OP 2011 sowie einer Hypothyreose mit Substitution von Schilddrüsenhormon. Dies folgt für den Senat aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. He ...

(2) Aus den bei der Klägerin vorliegenden und vom Senat festgestellten Gesundheitsstörungen ergeben sich qualitative Einschränkungen. Die bei der Klägerin vorliegenden Störungen führen zu einer Minderung der psychovegetativen Stressbelastbarkeit. Berufliche Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck (z.B. Akkordarbeit) oder Arbeiten unter unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) sind der Klägerin nicht mehr zumutbar. Des weiteren entsprechen Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte oder Tätigkeiten mit erhöhter Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit und Konzentrationsleistung (etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens mit Indikationsfall) nicht mehr dem bei der Klägerin vorhandenen Restleistungsprofil. Aufgrund der psychischen Gesundheitsstörung sind die sozialen Kompetenzen der Klägerin gemindert. Berufliche Tätigkeiten, die erhöhte Anforderung an soziale Kompetenzen stellen (etwa unmittelbarer Publikumskontakt, engere Kooperation in Arbeitsdienst etc.) sind vor diesem Hintergrund auszuschließen. Aufgrund der vorliegenden körperlichen Gesundheitsstörungen (vordiagnostiziertes HWS-Syndrom, craniomandibulbäre Dysfunktion etc.) sind der Klägerin körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Tätigkeiten nicht mehr zumutbar. Aufgrund der Störung der Tiefensensibilität kommen Tätigkeiten, die ein erhöhtes motorisches Balancevermögen voraussetzen, nicht mehr in Frage. Auszuschließen sind insofern das Besteigen von und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten bei unebenem Bodenverhältnissen und Arbeiten unter anhaltenden Zwangshaltungen. Grundsätzlich möglich sind der Klägerin hingegen noch Tätigkeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 5 kg. Arbeitsplätze sollen den Wechsel der Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ermöglichen. Denkbar sind insofern leichte und unkomplexe Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Industrie- und Handels-erzeugnisse, Prüfen, Montieren und Sortieren solcher Gegenstände oder andere vergleichbare Hilfstätigkeiten. Im Ergebnis sind der Klägerin daher Tätigkeiten der vorbeschriebenen Art in einem Umfang von sechs Stunden und mehr pro Tag möglich. All dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sc ...

(3) Die bei der Klägerin zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; die Klägerin ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Dies entspricht der übereinstimmenden Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. He. und Prof. Dr. Sc. sowie der im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachterin Dr. E.-D ...

Soweit Dr. L. und Prof. Dr. Br. eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden angenommen haben, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Denn es ergaben sich keine objektiven Befunde, die eine relevante Minderung des quantitativen Leistungsvermögens begründen würden. Insoweit wird auf die deutlichen Aggravationstendenzen bei den Begutachtungen durch Dr. E.-D., die Sachverständigen Dr. He. und Prof. Dr. Sc. und auch derjenigen von Prof. Dr. Br. - im Verfahren für die Berufsgenossenschaft - hingewiesen.

Bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr. E.-D. waren ausweislich des Gutachtens Aggravationen und Verdeutlichungstendenzen nicht zu übersehen. Die Klägerin hatte u.a. angegeben zwei Antidepressiva einzunehmen. Der Opipramolspiegel lag jedoch unterhalb des therapeutischen Bereichs, der Citalopramspiegel unterhalb der Nachweisgrenze.

Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Sc. ergaben sich in den eigenanamnestischen Beschwerdeangaben und den subjektiven Beschwerdedarstellungen Hinweise auf eine Reihe von Inkonsistenzen. In Bezug auf das Gehen hatte die Klägerin in Gegenwart ihrer Angehörigen ausgeprägte Unterstützungsbedürftigkeit gezeigt, so dass sie von dem sie begleitenden Ehemann intensiv gestützt und in den Untersuchungsraum begleitet worden ist. Bei Abwesenheit der Angehörigen hatte sie die Fähigkeit, sich selbständig in Räumen zu bewegen, wobei sie kontinuierlich bestrebt war, beim Gehen Gegenstände/Wände zu touchieren, ohne dort Halt zu finden. In Bezug auf die Vorerkrankungen ergaben Unstimmigkeiten zwischen den Angaben der Klägerin während der Untersuchung und den aktenkundigen Befunden. Die Klägerin gab gegenüber dem Sachverständigen an, dass bis zum Disziplinargespräch im Dezember 2011 "die Welt für sie in Ordnung gewesen" sei und sie auch keine psychischen Erkrankungen gehabt habe. Die aktenkundige Arbeitsunfähigkeit wegen Depressivität 2009 könne sie sich nicht erklären. Trotz dieser dokumentierten Depressivität schloss sie eine tatsächliche psychische krankheitswerte Beeinträchtigung vor dem maßgeblichen Disziplinargespräch aus. In Bezug auf das Personalgespräch am 14. Dezember 2011 hat – wie Prof. Dr. Sc. anhand der Aktenlage zutreffend darlegte – die Klägerin zudem mehrere wenig plausible Angaben, die bei näherer Prüfung mit der Aktenlage so nicht kompatibel sind, gemacht. So berichtete sie differenziert von einem versuchten körperlichen Übergriff ihres Vorgesetzten, der von dem Übergriff allein durch den im Gespräch ebenfalls anwesenden Personalrat und Behindertenbeauftragten abgehalten worden sei. Eine solche Bedrohungshandlung ist dem Gesprächsprotokoll (siehe BG-Akte Bl. 3-1f.) jedoch nicht zu entnehmen. Auch hat sie zu ihrem Zustand nach dem Disziplinargespräch von einer "dreistündigen Ohnmacht" berichtet. Eine entsprechende psychische Besonderheit dieser Art ergibt sich aus den vorgelegten Akten nicht. Vielmehr brachte einer der an dem Personalgespräch Beteiligten die Klägerin auf die Sanitätsstelle. Zu Recht ging Prof. Dr. Sc. auch davon aus, dass es extrem unwahrscheinlich und zudem natürlich auch medizinisch in keiner Weise zu vertreten sei, dass eine Betriebsangehörige mehrere Stunden im Zustand der Bewusstlosigkeit in einer Sanitätsstelle ist, ohne dass dieses im Sanitätsbuch dokumentiert wird, Ebenso ergaben sich im Rahmen der Exploration Diskrepanzen zwischen angegebenen Beschwerden und beobachtetem Befund, wie Prof. Dr. Sc. nachvollziehbar darlegte. Die Klägerin gab gegenüber Prof. Dr. Sc. eine ausgeprägte Erschöpfbarkeit an, der jedoch eine konsequente Mitwirkung bei Exploration und Untersuchung über insgesamt mehr als sechs Stunden unter Annahme eines Pausenangebots erst in der dritten Untersuchungsstunde entgegenstehen. Diskrepanzen ergaben sich auch zwischen psychometrisch erfassten Beschwerdeangaben und realer erbrachter Leistung. Im Beschwerdevalidierungsverfahren SFSS gab sie an, dass sie Mühe habe, sich an ihren Geburtstag zu erinnern, in der gutachterlichen Exploration jedoch gelang ihr dies völlig problemlos und ohne Latenz. Auch die in der körperlichen Untersuchung gezeigten dysmetrischen Koordinationsstörungen der oberen Extremitäten standen in deutlichem Widerspruch zum selbständigen koordinierten An- und Entkleiden. Im sprachunabhängigen testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM hat die Klägerin in einer visuellen Merkfähigkeitsprüfung trotz wiederholter Darbietung des zu lernenden Materials ausschließlich Ergebnisse auf Zufallsniveau erzielt; die von der Klägerin erzielten Treffer hätte sie in dieser Anzahl auch ohne jegliche Anstrengungsleistung erbringen können. Insgesamt zeigt sich, dass Prof. Dr. Sc. das bei seiner Untersuchung gezeigte Verhalten der Klägerin hinterfragte und die erforderliche Konsistenzprüfung (vgl. Knittel, SGb 2016, 124, 126) unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde und der Aktenlage vornahm.

(4) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.

(6) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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