S 38 AS 1159/20 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 1159/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 31.3.2020 wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragsteller, eine b. Familie, begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch -Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II).

Die 19xx geborene, getrenntlebende Antragstellerin zu 1) sowie ihre beiden 20xx und 20xx geborenen Kinder, die Antragstellerin zu 2) und der Antragsteller zu 3) leben seit dem 08.03.2017 in der Bundesrepublik Deutschland und bewohnen seit dem 3.12.2019 eine Wohnung in der L.strasse Hausnummer xx in D. Die monatliche Gesamtmiete für die 75 m² große Wohnung beträgt 650 EUR, wovon 500 EUR monatliche Grundmiete sind. Für diese Wohnung war eine Kaution i.H.v. 900 EUR zu bezahlen. Die Mieten für März und April 2020 sind nach Auskunft der Verwalterin des Vermieters nicht gezahlt worden.

Die Antragstellerin zu 1. arbeitete ausweislich ihres Arbeitsvertrages vom 18.05.2017 vom 18.05.2017 bis 15.3.2019 bei der Firma A. H. GmbH in N. 15 Stunden pro Woche. Ihr 1. Arbeitsvertrag dort war bis zum 30.04.2018 befristet und wurde gemäß Arbeitsvertrag vom 11.04.2018 bis zum 30.04.2019 verlängert.

Die Antragstellerin hatte bis zum 07.03.2019 Urlaub auf ihrer Arbeitsstelle und hielt sich in B. auf. Aufgrund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ist sie am 08.03.2019 in B. operiert worden. Ausweislich einer b. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war die Antragstellerin zu 1. vom 08.03.2019 bis zum 24.03.2019 arbeitsunfähig erkrankt. Am 18.03.2019 erschien die Antragstellerin zu 1. im Krankenhaus in B. zur Untersuchung. Dies ergibt sich aus den von der Antragstellerin zu 1. vorgelegten Unterlagen.

Vom 25.03.2019 bis zum 29.03.2019 war die Antragstellerin zu 1. gemäß der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Gemeinschaftspraxis t. H. und S. aus D. arbeitsunfähig erkrankt.

Das Arbeitsverhältnis wurde von der Arbeitgeberin außerordentlich fristlos zum 15.3.2019, hilfsweise ordentlich zum 30.03.2019, gekündigt, nachdem die Antragstellerin seit dem 08.03.2019 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschien. Die Arbeitgeberin hatte die Antragstellerin zu 1. zuvor bereits zweimal abgemahnt.

Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 20.09.2019 hat die Arbeitgeberin wegen dieses vertragswidrigen Verhaltens der Antragstellerin zu 1. das Arbeitsverhältnis beendet. Die Antragstellerin erhob gegen die Kündigung "Widerspruch" und führte aus, dass sie telefonisch der Arbeitgeberin über ihre Erkrankung und das Nichterscheinen zur Arbeit Bescheid gegeben habe. Die Antragstellerin zu 1. hätte ab 11.11.2019 eine Arbeitsstelle erhalten können, hat dies aber abgelehnt. Dies ergibt sich aus einem Gesprächsprotokoll mit der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin zu 1. bezog vom 01.04.2019 bis zum 30.01.2020 Arbeitslosengeld I in Höhe von kalendertäglich 27,72 EUR.

Die Bundesagentur für Arbeit hat am 14.2.2020 entschieden, dass bei der Antragstellerin zu 1. eine freiwillige (verschuldete) Arbeitslosigkeit vorliege. Grundlage dieser Entscheidung waren folgende Unterlagen: Arbeitsvertrag, Kündigung, Arbeitsbescheinigung Briefbogen des Jobcenters und (gegebenenfalls) Stellungnahme des Arbeitnehmers.

Die Antragstellerin zu 2. ist nicht erwerbstätig und erhielt bis Ende 2018 Kindergeld.

Der Antragsteller zu 3. besucht ausweislich der Schulbescheinigung vom 20.09.2019 die 8. Klasse der H.-H.-Gesamtschule in D. Die Antragstellerin zu 1) bezieht für ihren Sohn Kindergeld in Höhe von 204 EUR monatlich.

Am 31.3.2020 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass die Antragsteller zu 1. und 3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II besitzen, weil zumindest die Antragstellerin zu 1. aufgrund des Schulbesuchs des Antragstellers zu 3. aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ein Aufenthaltsrecht ableiten könne. Insofern sei der Ausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit.c SGB II im Eilverfahren nicht anzuwenden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmung des SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin ist wegen der Bestätigung der Bundesagentur für Arbeit über die verschuldete Arbeitslosigkeit der Antragstellerin zu 1. der Ansicht, dass der Arbeitnehmerstatus nicht fortwirke und die Mutter, die Antragstellerin zu 1. kein Aufenthaltsrecht aus dem Schulbesuch des Sohnes ableiten könnte, so dass der gesetzliche Leistungsausschluss gelte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte Bezug genommen.

II. Der statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist unbegründet. Die Antragstellerin zu 1. besitzt keinen fortwirkenden Arbeitnehmerstatus und kann sich nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aufgrund der Schulbesuches des Sohnes, des Antragstellers zu 3., berufen.

Die Antragstellerin zu 2. besitzt auch kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, außer zur Arbeitssuche und ist demnach von einem Leistungsbezug ausgeschlossen.

Statthaft ist ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass der einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)).

Nach diesen Maßstäben haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung haben die Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die Antragsteller erfüllen zwar die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Gemäß § 7 Abs.1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) sowie die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen.

Die Antragstellerinnen erfüllen die Altersvorgaben und sind erwerbsfähig.

Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs.1 SGB II).

Die Antragsteller sind auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Die Hilfebedürftigkeit ist durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung in einem für das Eilverfahren ausreichenden Maße glaubhaft gemacht.

Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben die Antragsteller endgültig von B. in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) verlegt.

Gemäß § 30 Abs. 3 S. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -Allgemeiner Teil- (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die darauf schließen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthaltes, dass der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dauerhaft faktisch im Inland und der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist (BSG, Urteil vom 30.1.2013, Az. B 4 AS 54/12 R, Rn. 18).

Daran, dass die Antragsteller ihren Aufenthalt in die BRD verlegt haben, bestehen im Hinblick auf die Anmietung einer Wohnung, dem über dreijährigen Aufenthalt, den Beschäftigungen der Mutter, dem Schulbesuch des Sohnes nach Auffassung der Kammer keine ersichtlichen Zweifel.

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von der Leistungsberechtigung ausgenommen.

Die Antragstellerin zu 1) war bis zum 15.03.2019 zwar als Arbeitnehmerin anzusehen und war länger als ein Jahr in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, aber ihr Arbeitnehmerstatus wirkt aufgrund der verschuldeten (freiwilligen) Arbeitslosigkeit, die durch die Bundesagentur für Arbeit am 14. 2.2020 bestätigt wurde, nicht fort.

Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU (in der Fassung vom 2.12.2014) bleibt für Arbeitnehmer das Recht auf Freizügigkeit bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei 1.vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall, 2.unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit, 3.Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.

Vorliegend hat die Bundesagentur für Arbeit am 14.02.2020 bestätigt, dass keine unfreiwillige (unverschuldete) Arbeitslosigkeit der Antragstellerin zu 1. vorliegt.

Das Sozialgericht legt demnach eine freiwillige (verschuldete) Arbeitslosigkeit der Antragstellerin zu 1. aus und geht nicht von einem Fortwirken des Arbeitnehmerstatus aus, weil die unfreiwillige Arbeitslosigkeit für eine Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus Tatbestandsvoraussetzung ist (SG Berlin, Urteil vom 29.04.2019, S 144 AS 207 97/15, juris, Rn. 28).

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin zu 1) vom Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II erfasst. Denn sie ist keine freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmerin, nachdem die Bundesagentur für Arbeit eine verschuldete Arbeitslosigkeit der Antragstellerin zu 1. am 14.02.2020 festgestellt hat. Daran ist das Sozialgericht (SG Berlin, Urteil vom 29.04.2019, S 144 AS 207 97/15, juris, Rn. 28) gebunden. Entgegen der Auffassung des Landessozialgericht NRW in seinem Eilbeschluss vom 02.02.2018, L 7 AS 2208/17, ist die Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit Bindungswirkung für das Sozialgericht.

Gemäß der klarstellenden Wirkung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, ist die Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit Voraussetzung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU im Sinne einer konstitutiven Bedingung (BSG, ebenda, Rn. 34). Problematisch sei nach Auffassung der Kommentarliteratur, dass das LSG NRW in seinem Beschluss vom 02.02.2018 - L 7 AS 2308/17 B ER - juris Rn. 14 ff., auf eine Folgenabwägung ausweiche, weil es einer eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürfe, wann eine "Unfreiwilligkeit" des Arbeitsplatzverlustes im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU vorliege (Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG (Stand: 14.04.2020), Rn. 425).

Die Antragstellerin zu 1. kann ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland auch nicht aus einem Aufenthaltsrecht des Sohnes, der Antragsteller zu 3., ableiten, weil sie insofern vom Leistungsausschluss in § 7 I S.2 Nr. 2 c SGB II auch im Eilverfahren erfasst ist:

Danach sind vom Leistungsbezug Ausländerinnen und Ausländer ausgenommen, a)die kein Aufenthaltsrecht haben, b)deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder c)die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dürfen in Anfechtungs- und Vornahmesachen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache gestützt werden (vergl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6.8.2014, 1 BvR 1453/12, und vom 6. 2.2013, 1 BvR 2366/12; LSG NRW, Beschluss vom 14.09.2017; L 21 AS 1459/17 B ER, L 21 AS 1460/17 B, juris, Rn. 32 ff.). Soweit existenzsichernde Leistungen infrage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch hierbei weniger streng zu beurteilen; die Folgenabwägung hat unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu erfolgen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.1.2005, 1 BvR 569/05).

Steht eine ungeklärte unionsrechtliche Rechtsfrage im Raum, bei der im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den Gerichtshof naheliegt, kann sich das Tatsachengericht nicht mehr mit einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten zufrieden geben, sondern es ist eine Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Situation der Antragsteller vorzunehmen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.1.2017, 2 BvR 2013/16, juris, Rn. 18 und 23).

Das LSG NRW hat am 14.02.2019 die Frage des Leistungsausschlusses von Unionsbürgern, die sich auf Art. 10 Freizügigkeitsverordnung berufen, im Rahmen einer Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (Az. L 19 AS 1104/18 ER B). Es soll geklärt werden, ob der seit dem 29.12.2016 geltende Ausschluss von Unionsbürgern in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c) SGB II, die über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Richtlinie 492/2011 verfügen, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 10 und Art. 7 EUV 492/2011 vereinbar ist. Ob diese Bedenken durchgreifen, wird sich im Ergebnis erst nach einer entsprechenden Befassung des Europäischen Gerichtshofs mit ihnen zeigen.

Die Antragstellerin zu 1. wird jedoch derzeit von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2c SGB II erfasst.

Die Kammer verkennt ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG nicht. Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs 2 SGG ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist. Steht eine ungeklärte unionsrechtliche Rechtsfrage im Raum, muss das Tatsachengericht diesen Umstand bei der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Situation der Antragssteller einbeziehen.

Die europarechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr. 2 Buchst c SGB II rechtfertigen seine Nichtanwendung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich nicht. Denn das leistungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Art 4 der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (Koordinierungsverordnung; juris: EGV 883/2004) wird durch Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie; juris EGRL 38/2004), begrenzt. Diese leistungsrechtliche Schrankenregelung greift auch dann, wenn das leistungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Art 4 der Verordnung (EG) 883/2004 bei einem Aufenthaltsrecht aus Art 10 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Freizügigkeitsverordnung; juris: EUV 492/2011) herangezogen werden soll (LSG NRW, Beschluss vom 14.9.2017 – L 21 AS 1459/17 B ER –, juris.) Bei der gebotenen Interessenabwägung ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass ein in anderen Sachverhaltskonstellationen möglicherweise in Betracht kommende andere Sozialleistungen nach dem SGB XII hier von vornherein ausscheiden, weil B. auch kein Unterzeichnerstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens ist (LSG NRW, Beschluss vom 14.09.2017, L 21 AS 1459/ 17 B ER).

Die Antragstellerin zu 1. wird von dem gesetzlichen Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2c SGB II erfasst. Danach sind EU-Ausländer sowie ihre Familienangehörigen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union ableiten, von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen.

Aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung sieht die Kammer deshalb derzeit keine besondere Situation der Antragsteller, die es rechtfertigt, ein Überwiegen des Interesses der Antragsteller gegenüber dem öffentlichen Interesse hier anzunehmen. Insofern ist die gesetzgeberische Entscheidung in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II hier anzuerkennen (so auch: SG Halle (Saale), Beschluss vom 22.2.2017 – S 25 AS 73/17 ER –, LSG NRW, Beschluss vom 19.12.2019, Az. L 19 AS 1426/18; juris).

Die Antragstellerin zu 2. ist von einem Leistungsbezug gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II ebenfalls ausgeschlossen, weil sie sich nur zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.

Nach alldem war ein Anspruch der Antragsteller abzulehnen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Vorliegend ist die Beschwerde statthaft, weil den Antragstellern Gesamt die Leistungen verwehrt worden sind.
Rechtskraft
Aus
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