S 10 R 721/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 721/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist am 12.03.19xx geboren. Nach einem Entlassungsbericht der Kinderklinik der Städtischen Klinik in D. vom 10.07.19xx handelte es sich um eine Früh-Mangel-Geburt in der 31. Schwangerschaftswoche bei schwerer chronischer Plazentainsuffizienz, wobei die Klägerin mit einem Gewicht von 680 Gramm entbunden wurde. Nach der Entbindung erfolgte eine kinderintensivmedizinische Behandlung auf der neonatologischen Intensivstation der Kinderklinik der Städtischen Klinik in D. In dem Entlassungsbericht wird ausgeführt, dass die Klägerin nach insgesamt 208 Tagen am 28.06.19xx unbeeinträchtigt und – gemessen an der Ausgangssituation - in sehr gutem Zustand entlassen werden konnte. Bei der Entlassungsuntersuchung habe eine leichte Hyperexcitabilität und eine geringe Koordinationsstörung vorgelegen.

In einem Gutachten über den derzeitigen Entwicklungsstand und die Feststellung des sozialpädagogischen Förderbedarfes der die Klägerin zu dem damaligen Zeitpunkt betreuenden Klassenlehrerin, Sprachtherapeutin und Spieltherapeutin Dagmar K. vom 13.01.1998 wurde ausgeführt, dass die Klägerin von Oktober 1995 bis Ende 1997 im Integrationskindergarten "P." umfassend gefördert worden sei und in einem schulärztlichen Bericht der Frau Dr. K. festgestellt worden sei, dass die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Schulpflichtbeginnes (01.08.1996) ein mehrfach gestörtes Kind sei, dass zum Termin der regulären Einschulung weder als gruppenfähig noch als schulfähig oder schulkindergartenfähig zu bezeichnen gewesen sei. Aufgrund dieses Gutachtens sei die Klägerin für ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt worden und im Integrationskindergarten verblieben, wo sie auch logopädisch behandelt worden sei. Zum Schuljahr 1997/1998 sei die Klägerin probeweise in die Sprachschule für Sprachbehinderte des Kreises N. eingeschult worden, da bei ihr zu diesem Zeitpunkt eine gravierende Sprachbehinderung festzustellen gewesen sei, die durch schulbegleitende und begrenzt stationäre Maßnahmen nicht zu beheben gewesen sei. In dem Gutachten wurde ein dringender sozialpädagogischer Förderbedarf in Gestalt von Sprachtherapie, Spieltherapie, sozialpädagogischer Förderung und psychomotorischer Förderung festgestellt, weil die Klägerin weiterhin massiv sprachbehindert sei und diese Sprachbehinderung von einer Persönlichkeitsstörung und einer deutlichen Lernstörung begleitet werde. Eine geeignete Fördermöglichkeit wäre sicherlich eine stationäre Behandlung ihrer Sprachproblematik in der Landesklinik in B., wobei eine sprachtherapeutische Betreuung unbedingt durch eine psychologische Betreuung des Kindes ergänzt werden müsse. Bis zu diesem Zeitpunkt sei es ratsam, die Klägerin in der Sprachschule für Sprachbehinderte weiter zu beschulen und ihr innerhalb des Klassenverbandes ein Leistungsangebot zu präsentieren, das sich in differenzierender Art und Weise an ihrem Leistungs- und Entwicklungsstand orientiere.

Die Klägerin besuchte anschließend die Klassen 1 bis 4 der städtischen katholischen Grundschule N. und wurde sonderpädagogisch gefördert. In einer Stellungnahme der die Klägerin betreuenden Grundschullehrerin Marlies G. und des Sonderpädagogen Stephan F. zur Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfes gemäß § 14 Abs. 1 VO-SF vom 11. 01.2002 wird zusammenfassend festgestellt, dass die Klägerin in hohem Maße von der Vielfalt kommunikativer Strukturen, unterrichtlicher Angebote und sozialer Prozesse im gemeinsamen Unterricht profitiere und dennoch aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsrückstände und kognitiven Verarbeitungsproblemen intensiver sonderpädagogischer Förderung bedürfe. Die Klägerin zeige nach § 5 Abs. 1 VO-SF Lern- und Leistungsausfälle schwerwiegender, umfänglicher und langandauernder Art. In mancher Hinsicht sei zu überprüfen, ob sie nicht gemäß § 6 VO-SF zu ihrer selbstständigen Lebensführung aller Voraussicht nach lebenslange Hilfe benötigen werde. Ab dem 5. Schulbesuchsjahr besuchte die Klägerin die Städtische Förderschule-Schwerpunkt Lernen in D.

In einem für die Arbeitsagentur M. aufgrund einer Untersuchung vom 22.11.2007 erstellten psychologischen Gutachten der Diplom-Psychologin S. wurde festgestellt, dass bei der Klägerin eine schwere Lernbehinderung vorliege, die als grenzwertig zur geistigen Behinderung bezeichnet werden müsse, und dass die Klägerin angesichts der gesundheitlichen Voraussetzungen am Untersuchungstag in ihrer psychischen Belastbarkeit erheblich eingeschränkt gewirkt habe. Ihre Wahrnehmung, ihr Denken und ihr Fühlen würden auf einen nicht altersgemäßen Entwicklungsstand hindeuten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheine eine Integration in einer Werkstatt für behinderte Menschen realistisch. Da ein Entwicklungspotenzial jedoch nicht ausgeschlossen könne, werde zunächst eine Fortsetzung des Schulbesuches als sinnvoll erachtet. Gegebenenfalls würde eine erneute Vorstellung beim psychologischen Dienst erforderlich sein.

Nach Abschluss der 10. Klasse der städtischen Förderschule-Schwerpunkt Lernen in D. (Abschlusszeugnis vom 13.06.2008) besuchte die Klägerin das Berufskolleg der C. am N. und erwarb den Abschluss des Berufsorientierungsjahres sowie den Hauptschulabschluss nach der Klasse 9 (Abschlusszeugnis vom 01.07.2009).

Zur Überprüfung ihrer Ausbildungsfähigkeit nahm die Klägerin in der Zeit vom 18.05.2009 bis zum 19.06.2009 an einer Arbeitserprobung im Bereich Ernährung und Hauswirtschaft im C.-Berufsbildungswerk am N. teil. In einer psychologischen Stellungnahme des Diplom Psychologen Nobert H. wird auf der Grundlange eines Explorationsgespräches vom 19.05.2009 und der Durchführung von Testverfahren vom 27.05.2009 festgestellt, dass die Resultate bei der Testung im Übergangsbereich zur leichten geistigen Behinderung liegen würden, womit tendenziell die Testergebnisse der Arbeitsagentur vom Dezember 2007 noch einmal bestätigt würden. Sollten die Werte dem tatsächlichen Leistungsbild entsprechen, wäre selbst eine vereinfachte Werkerausbildung nach § 66 BBiG eine starke Überforderung für die Klägerin, sodass unter diesen Voraussetzungen über eine Werkstatt für behinderte Menschen nachgedacht werden sollte.

In der Abschlussbeurteilung des Berufskollegs bezüglich der durchgeführten Arbeitserprobungsmaßnahme vom 22.06.2009 wurde ausgeführt, dass Schulleistungstests und Unterrichtsbeobachtungen deutlich gezeigt hätten, dass bei der Klägerin keine Ausbildungsfähigkeit vorliegen würde. Dies gelte sowohl für ihre Leistungsfähigkeit als auch für ihr Arbeits- und Sozialverhalten. Die Klägerin zeige keine realistische Selbstwahrnehmung und scheine unter extremem Druck zu stehen. Es könne weder eine Ausbildungseignung noch eine Ausbildungsreife bescheinigt werden. Die Klägerin sei nur bedingt belastbar, sehr unsicher und stehe den Aufgaben teilweise hilflos und überfordert gegenüber. Es wurde eine Überprüfung empfohlen, ob nicht langfristig eine Werkstatt für behinderte Menschen in Erwägung gezogen werden müsse.

In der Zeit vom 03.08.2009 bis zum 02.08.2011 nahm die Klägerin im Rahmen einer von der Arbeitsagentur Wesel geförderten beruflichen Rehabilitationsmaßnahme an der Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband W. e. V. teil. In der Teilnahmebescheinigung der Arbeiterwohlfahrt vom 02.08.2011 wurde ausgeführt, dass die Klägerin im Rahmen der beruflichen Orientierung und Qualifizierung den Arbeitsplatz Küchenhilfe kennen gelernt hatte. Zu ihren Aufgaben habe die Vorbereitung von Obst und Gemüse, das Reinigen und Schneiden von Zutaten sowie das Herstellen und das Aufrechterhalten der Grund- und Sichtordnung gehört. Während der Maßnahme habe die Klägerin eine fachpraktische Unterweisung in Kooperation mit der AWO Seniorenzentrum S. und durch den zuständigen Qualifizierungstrainer der AWO Kreisverband W. e. V. erhalten. Nach dem Abschlussbericht vom 17.06.2011 war es Ziel der Maßnahme, im Einvernehmen mit dem Küchenleiter zu beurteilen, wie weit die Qualifizierungsfähigkeit der Klägerin ausgeprägt sei. In einem vertrauten Rahmen sollte beobachtet werden, ob sich bei der Klägerin Fähigkeiten und Kenntnisse ausbilden lassen, die im sozialen, personalen, methodischen Bereich für eine Arbeit in einem anderen Unternehmen ausreichen.

Im Abschlussbericht der AWO Kreisverband W. e. V. vom 17.06.2011 wurde ausgeführt, dass die Klägerin eine stabile vertraute Umgebung mit therapeutisch geschulten Ansprechpartnern brauche. Eine dauerhafte Minderleistung sei durch den amtlichen Befund vorauszusehen. Eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt erscheine aus Sicht des Qualifikationsträgers ausgeschlossen. In einer Eingliederungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Arbeitsagentur M. vom 06.06.2011 wurde vereinbart, dass sich die Klägerin bis zum 30.06.2011 überlege, ob eine Anmeldung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erfolgen solle. Die Arbeitsagentur M. verpflichtete sich in der Vereinbarung, die Klägerin anzumelden und die Werkstatt für behinderte Menschen zu finanzieren, falls die Klägerin eine entsprechende Anmeldung nachfragen würde.

In einem vom MDK Nordrhein zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit erstellten Gutachten der Frau Martina G. vom 23.08.2011 wurde unter anderem festgestellt, dass bei der Klägerin eine angeborene Intelligenzminderung bestehe und dass die Alltagskompetenz in erhöhtem Maße eingeschränkt sei. Aufgrund der festgestellten Auffälligkeiten bestehe regelmäßig und auf Dauer ein Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf. Als Auffälligkeiten wurden das Verkennen beziehungsweise Verursachen gefährdender Situationen, ein unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen, die Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen, Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben, und eine Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren, festgestellt. Diese Beeinträchtigungen wurden auch in einem weiteren für die DBV-Winterthur erstellten Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit der Dr. W. vom 19.12.2012 festgestellt.

Die Klägerin bezog in der Zeit vom 03.08.2011 bis zum 01.08.2012 Arbeitslosengeld I. Seit dem 01.08.2012 übte sie im Haushalt der Frau Heike S. im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses eine Tätigkeit als Haushaltshilfe aus. Es handelte sich um eine Tätigkeit, die keine speziellen Anforderungen in geistiger Hinsicht stellte und bei der seitens von Frau S. in besonderer Weise Rücksicht hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausführung genommen wurde.

Mit Schreiben vom 25.03.2014 wurde die Klägerin von der Arbeitsagentur M. gebeten, einen Gesundheitsfragebogen und Schweigepflichtentbindungserklärungen ausgefüllt zurückzusenden. Die Klägerin wurde am 22.01.2016 auf Veranlassung der Arbeitsagentur W. gutachterlich von der Arbeits- und Sozialmedizinerin Dr. B. untersucht. In dem Gutachten wurde festgestellt, dass bei der Begutachtung doch sehr gravierende kognitive Funktionseinschränkungen und Ängste erkennbar gewesen seien und in diesem Zusammenhang eine erneute Begutachtung durch den Berufspsychologischen Service angeregt werde. Gegebenenfalls biete sich dann eine ergänzende Stellungnahme an, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Integration in einer Werkstatt für behinderte Menschen. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung kam die Gutachterin Dr. B. zu dem Ergebnis, dass bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine Leistungsfähigkeit von weniger als 3 Stunden täglich vorliegen würde.

Die Klägerin stellte am 28.04.2015 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung, die am 24.08.2015 durch Dr. K. durchgeführt wurde. Dr. K. stellte fest, dass bei der Klägerin eine erhebliche Intelligenzminderung sowie eine Verhaltensstörung mit sehr unsicherem sozialen Verhalten bestehe. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, am ersten Arbeitsmarkt teilzunehmen. Auf der Grundlage dieser sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 22.10.2015 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass festgestellt worden sei, dass die Klägerin bereits seit Geburt voll erwerbsgemindert gewesen sei. Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente setze grundsätzlich voraus, dass vor Eintritt der Erwerbsminderung die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt sein müsse. Wenn die volle Erwerbsminderung - wie bei der Klägerin - bereits vor Erfüllung der Wartezeit eingetreten sei, bestehe ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ausnahmsweise auch dann, wenn eine Versicherte insgesamt 240 Kalendermonate Wartezeit zurückgelegt habe. Das Versicherungskonto der Klägerin enthalte jedoch bis zum Monat der Antragstellung lediglich 68 Wartezeitmonate, sodass die Wartezeit von 240 Kalendermonaten nicht erfüllt sei. In der Anlage des Bescheides war ein Versicherungsverlauf beigefügt, aus dem sich ergibt, dass die Zeit vom 12.03.2007 bis zum 01.07.2009 als Anrechnungszeit Schulausbildung, die Zeit vom 03.08.2009 bis zum 02.08.2011 als Pflichtbeitragszeit berufliche Ausbildung, die Zeit vom 03.08.2011 bis zum 31.08.2012 als Pflichtbeitragszeit Arbeitslosigkeit und die Zeit vom 01.08.2012 bis zum 30.04.2015 als Pflichtbeitragszeit aus Beschäftigung berücksichtigt ist.

Mit Datum vom 23.10.2015 wurde der Klägerin eine Wartezeitauskunft erteilt, aus der sich die bis zum 30.04.2015 zurückgelegten Versicherungszeiten ergeben und in der ausgeführt wurde, dass auf die Wartezeit 69 Monate Beitragszeiten und 29 Monate Anrechnungszeiten anzurechnen seien. Unter der Überschrift "Rente wegen Erwerbsminderung" wurde ausgeführt, dass eine Rente nur gezahlt werden könne, wenn vor Eintritt der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung die Wartezeit sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien.

Gegen den Bescheid vom 22.10.2015 erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.11.2015 Widerspruch und trug zur Begründung vor, sie sei keineswegs von Geburt an dauerhaft erwerbsgemindert gewesen. Sie habe in den Zeitraum von 2009 bis 2011 7 Stunden täglich als Küchenhelferin gearbeitet und habe anschließend dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Erst mit Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 25.03.2014 sei die Klägerin aufgefordert worden, zum Zwecke der Begutachtung ihrer Arbeitsfähigkeit durch den ärztlichen Dienst einen Gesundheitsfragebogen auszufüllen und eine Schweigepflichtentbindungserklärung einzureichen. Im Rahmen des von der Beklagten eingeholten Gutachtens des Dr. K. vom 28.09.2015 sei erstmalig festgestellt worden, dass der Klägerin eine leichte Arbeitstätigkeit nur noch unter 3 Stunden täglich zumutbar sei. Daraus ergebe sich, dass die volle Erwerbsminderung der Klägerin frühestens am 25.03.2014 eingetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin die Wartezeit für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 29.06.2016 mit der Begründung zurück, die Ermittlungen im Verwaltungsverfahren hätten ergeben, dass seit der Geburt der Klägerin eine volle Erwerbsminderung vorgelegen habe. Die festgestellten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit seien auf die Frühgeburt in der 31. Schwangerschaftswoche zurückzuführen. Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Küchenhilfe sei eine Unterstützte Beschäftigung in der Einrichtung der AWO gewesen und entspreche nicht einer Tätigkeit des ersten Arbeitsmarktes. Da es sich um eine Tätigkeit unter geschützten Bedingungen gehandelt habe, ergebe sich daraus nicht, dass die Erwerbsminderung der Klägerin erst nach 2011 eingetreten sei.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 13.07.2016 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung frühestens am 25.03.2014 beziehungsweise am 22.01.2016 eingetreten sei, als der Klägerin seitens der Arbeitsagentur W. ein Gesundheitsfragebogen zugesandt worden sei beziehungsweise als durch die im Auftrag der Arbeitsagentur W. durchgeführte Untersuchung durch Dr. B. (22.01.2016) festgestellt worden sei, dass eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Die Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit seien die einzigen Unterlagen, die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beweiskräftig seien. Für einen früher eingetretenen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung gebe es keinerlei Nachweise. Vielmehr habe die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der AWO in der Zeit von August 2009 bis August 2011 unter Beweis gestellt, dass sie fähig gewesen sei, einer Erwerbstätigkeit im zeitlichen Umfang von 7 Stunden täglich nachzugehen. Auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe es geistig einfache Tätigkeiten wie zum Beispiel die einfache Bedienung von Maschinen in Fabriken, sodass eine volle Erwerbsminderung der Klägerin vor dem 25.03.2014 nicht vorgelegen habe. Zudem würde der Verwertung des vom Gericht eingeholten Gutachtens des Dr. R. widersprochen, da der Sachverständige auch Vorgänge vor dem Jahr 2007 und die Ergebnisse der von ihm durchgeführten Untersuchungen in seine Beurteilung habe einfließen lassen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 zu verurteilen, ihr ab dem 01.05.2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, sowohl aus dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Dr. R. als auch aus den sonstigen in den Akten befindlichen Gutachten und Berichten ergebe sich der Nachweis, dass die Klägerin aufgrund der seit der Geburt vorhandenen Einschränkungen zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, auf dem ersten Arbeitsmarkt Tätigkeiten in Gestalt von leichten, übersichtlichen und einfachen Arbeiten zu verrichten. Vielmehr seien ihr nur Tätigkeiten unter Anleitung, Hilfe und Aufsicht möglich gewesen, was einer Belastbarkeit unter geschützten Bedingungen entsprechen würde. Bereits in dem psychologischen Gutachten des Berufspsychologischen Dienstes der Arbeitsagentur M. von Dezember 2007 sei festgestellt worden, dass die psychische Belastbarkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt sei, sodass eine Integration in einer Werkstatt für behinderte Menschen als realistische Maßnahme empfohlen worden sei. Die von der Klägerin von August 2009 bis August 2011 durchgeführte Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" sei ein Angebot der Arbeitsagentur für Menschen, die eine reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anstreben würden, dafür aber noch nicht belastbar seien. Eine solche Tätigkeit sei eine Vorbereitungs- und Trainingsmaßnahme für den ersten Arbeitsmarkt und entspreche einer geschützten Tätigkeit mit klar strukturierten einfachen Arbeitsaufgaben unter Anleitung, sodass daraus eine Belastbarkeit für eine Leistungsfähigkeit für Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht hergeleitet werden könne. Auch im Rahmen der MDK-Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit sei im August 2011 eine eingeschränkte Alltagskompetenz der Klägerin festgestellt worden. Somit ergebe sich aus allen Gutachten und Berichten, dass eine Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe.

Das Gericht hat einen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Hausarztes Dr. H. und eine Auskunft der Frau Heike S. zu den Einzelheiten der von der Klägerin seit dem 01.08.2012 ausgeübten Tätigkeit einer Haushaltshilfe eingeholt. Von der Arbeitsagentur W. hat das Gericht die die Klägerin betreffende Rehabilitationsakte und vom Kreis W. die das Schwerbehindertenverfahren betreffende Verwaltungsakte sowie die das Schwerbehindertenverfahren betreffende Gerichtsakte des Sozialgerichts D. (Aktenzeichen: S 28 SB xxxx/11) beigezogen. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit der Klägerin im Erwerbsleben ist Beweis erhoben worden, durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des L. J. aufgrund Untersuchungen vom 24.04. und vom 25.04.2017 einschließlich einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 07.11.2017 und eines Gutachtens des Arztes für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. R. auf der Grundlage zweier Untersuchungen vom 21.11.2018 und 09.01.2019. Wegen der Einzelheiten und der Ergebnisse der Begutachtungen wird auf Blatt 75 bis 114, 150 bis 154 und 193 bis 236 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der die Klägerin betreffenden Rehabilitationsakte der Arbeitsagentur W., der das Schwerbehindertenverfahren betreffenden Verwaltungsakte des Kreis W. und der Gerichtsakte des Sozialgerichts D. S 28 SB xxxx/11 verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Volle Erwerbsminderung liegt nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI vor, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI sind voll erwerbsgemindert auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SG VI, die wegen Art und Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach § 50 Abs. 1 SGB VI ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Erwerbsminderung, dass vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt ist. Darüber hinaus haben Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seit dem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie eine Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben (§ 43 Abs. 6 SGB VI).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI, weil aufgrund der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass sie bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 5 Jahren voll erwerbsgemindert war. Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 6 SGB VI besteht nicht, weil die Wartezeit von 20 Jahren nicht erfüllt ist.

Zur vollen Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin seit der Beendigung des Schulbesuches an der Städtischen Förderschule-Schwerpunkt Lernen in D. (Juni 2008) und damit vor Erfüllung der Wartezeit von 5 Jahren zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dabei ist hinsichtlich des Beweismaßstabes zu berücksichtigen, dass der Tatbestand des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nur erfüllt ist, wenn insoweit nach § 202 SGG i. V. m. § 292 ZPO der volle Beweis erbracht wird. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Dabei verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinaus gehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen. Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel inne wohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Urteil vom 17.04.2013 B 9 V 1/12 R Rn 33; BSG Urteil vom 05.05.2009 B 13 R 55/08 R; Meyer/Ladewig-Keller Kommentar zum SGG § 128 Rn 3b).

In diesem Sinne steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände und nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin seit Beendigung des Besuches der Städtischen Förderschule in D. (Juni 2008) zu keinem Zeitpunkt eine Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit erreichte, die es ihr ermöglichte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine mindestens 3-stündige Erwerbstätigkeit auszuüben. Dabei stützt sich die Kammer für den Zeitraum bis März 2011 auf das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. R., auf das beigezogene psychologische Gutachten der Diplom Psychologin S. vom 06.12.2007, auf die Beurteilung des Berufskollegs bezüglich der Arbeitserprobung der Klägerin vom 22.06.2009, auf die psychologische Stellungnahme des Diplom Psychologen Norbert H. vom 24.06.2009 und auf den Abschlussbericht der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband W. e. V. vom 17.06.2011 über die in der Zeit vom 03.08.2009 bis 02.08.2011 durchgeführte "Unterstützte Beschäftigung" der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband W., wobei diese Unterlagen mit Ausnahme des Sachverständigengutachtens des Dr. R. im Wege des Urkundenbeweises Verwertung gefunden haben. Für die Zeit von März 2011 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Juni 2019 hat das Gericht seine Überzeugung aus den Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der M. G. vom 23.08.2011 und der Dr. W. vom 19.12.2012, dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. K. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 28.09.2015, dem im Auftrag der Arbeitsagentur W. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 22.01.2016 erstellten Gutachten des Dr. B. und dem vom Gericht eingeholten psychiatrischen Gutachten des L. J. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 24.01.2017 gewonnen.

Bezogen auf den Zeitraum bis März 2011 hat der Sachverständige Dr. R. festgestellt, dass bei der Klägerin eine Intelligenzminderung vorlag, wobei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Intelligenzminderung leichteren Ausmaßes im so definierten IQ-Bereich von 69 – 50 auszugehen ist. Als entscheidende Ursache der Intelligenzminderung sind die massiv beeinträchtigenden Probleme im vorgeburtlichen Bereich und im Geburtsbereich anzusehen. Aus dem Entlassungsbericht der Städtischen Klinken D. – Kinderklinik – ergibt sich insoweit, dass die Klägerin in der 31. Schwangerschaftswoche mit einem erheblichen Untergewicht von 680 Gramm notfallmäßig entbunden wurde, da wegen einer erheblichen Sauerstoffunterversorgung des Fötus Zeichen einer drohenden oder unmittelbaren Todesgefahr für das Kind bestanden. Bei der Klägerin lag darüber hinaus in der Zeit bis März 2011 eine motorische Koordinationsstörung in Folge einer sogenannten Zentralen Hirnfunktionsstörung vor, die auch für die Intelligenzminderung ursächlich ist. Bereits in dem Entlassungsbrief der Städtischen Klinik D. vom 10.07.19xx wurde ausgeführt, dass bei der Entlassung eine geringe zentrale Koordinationsstörung festzustellen gewesen sei. Darüber hinaus lag bei der Klägerin in der Zeit bis März 2011 eine situative Ängstlichkeit vor, die ebenfalls wie die Koordinationsstörung aus mehreren in der Zeit bis März 2011 erstellten Berichten und Zeugnissen hervorgeht, ohne dass diese den Charakter einer psychiatrisch relevanten Angststörung erreichte.

Aufgrund der leichten Intelligenzminderung, der Koordinationsstörung und der erhöhten Ängstlichkeit ergaben sich bei der Klägerin in der Zeit nach Beendigung des Schulbesuches bis März 2011 deutliche Probleme in der eigenständigen Arbeits- und Alltagsplanung, ein erheblicher zusätzlicher Zeitaufwand für die Durchführung komplexerer Arbeitsaufträge, eine regelhafte, zum Teil dauerhaft notwendige Kontrolle durch Dritte bei Durchführung komplexerer Arbeitsaufträge, eine erhebliche Einschränkung im Rahmen der Übertragung von Lernerfahrungen und insbesondere beim Lernen aus Fehlern. Bei der Klägerin traten häufig Überforderungssituationen auf, die zu einer Verminderung des Selbstvertrauens führten, und es bestand die Notwendigkeit einer stabilen und vertrauten Umgebung, um sozial und emotional situationsgerecht agieren zu können. Die Merkfähigkeit der Klägerin war deutlich eingeschränkt, es lag eine erhebliche Fehleinschätzung in Bezug auf mögliche Gefahren, eine Störung der räumlichen und örtlichen Orientierung sowie eine Störung der zeitlichen Orientierung sowohl bezüglich Tagesstruktur und Tagesablauf, als auch in Bezug auf die Möglichkeit vor, sich einen Überblick über Zeiträume zu verschaffen und die angegebenen Zeiträume dem eigenen Zeitempfinden zuzuordnen. Aufgrund der Koordinationsstörung konnten koordinativ-feinmotorische Anforderungen nur unzureichend oder nicht bewältigt werden und der Umgang mit Werkzeugen beziehungsweise Maschinen, die schnelles und koordiniertes Handeln erfordern, war sehr gefährlich beziehungsweise nicht möglich. Das Erlernen neuer motorisch-koordinativer Fertigkeiten erforderte erhebliches Training, wobei Arbeitsschritte, die nach längerem Training ausgeführt werden konnten, nach einer längeren Pause schnell wieder verlernt wurden. Die erhöhte Ängstlichkeit der Klägerin hatte zur Folge, dass die Klägerin einen langen Zeitraum benötigte, um sich an neue Situationen zu gewöhnen, dass sie schnell aufgab in Situationen, die eigentlich von ihr bewältigt werden konnten, und dass es in Situationen zu Symptomen erhöhter Ängstlichkeit (Schweißausbruch, Erstarren, Verstummen, Rückzug etc.) kam, die sie in anderem Kontext relativ problemlos bewältigen konnte.

Aufgrund dieser Einschränkungen war es der Klägerin in der Zeit seit Abschluss des Schulbesuches bis März 2011 nicht möglich, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens 3 Stunden täglich regelmäßig auszuüben. Vielmehr wäre eine besondere Einrichtung eines Arbeitsplatzes und eine besondere und intensivierte Betreuung der Klägerin im Rahmen der Arbeitsausführung erforderlich gewesen, wie sie in dem geschützten Rahmen einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen, aber nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben ist. Die Klägerin benötigte eine Anleitung und Begleitung durch vertraute Bezugspersonen und war auch bei einfachen Arbeitsabläufen nicht in der Lage, Gefahrenpotentiale selbstständig zu erkennen und Arbeitssicherheits- und Arbeitsschutzmaßnahmen inhaltlich zu verstehen und selbstständig einzuhalten.

Die Kammer folgt hinsichtlich dieser Feststellungen dem Sachverständigen Dr. R. Die Kammer hatte keine Veranlassung, an der Richtigkeit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. R. zu zweifeln. Der Sachverständige hat sich unter Auswertung des ausführlichen ärztlichen Berichtes der Städtischen Kliniken D. - Kinderklinik –detailliert mit den ursächlichen Problemen im vorgeburtlichen Bereich und im Geburtsbereich auseinandergesetzt, Art und Schwere der daraus resultierenden Beeinträchtigungen sowie die körperliche, psychische und soziale Entwicklung der Klägerin dargelegt und sich daraus ergebene Konsequenzen in sozialmedizinischer Hinsicht nachvollziehbar beschrieben. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen hinsichtlich der Verwertung des Gutachtens nach § 407 a Abs. 1 und Abs. 4 ZPO keinerlei Bedenken. Entsprechend seiner Qualifikation als Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und als Arzt für Kinderheilkunde/Neuropädiatrie wurde der Sachverständige beauftragt, eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung für die Zeit bis März 2011 (Vollendung des 21. Lebensjahres der Klägerin) vorzunehmen. Insoweit fiel der Begutachtungsauftrag nach § 407 a Abs. 1 ZPO uneingeschränkt in das Fachgebiet des Sachverständigen. Bei einer retrospektiven gutachterlichen Beurteilung ist es erforderlich, dass ein Sachverständiger eine aktuelle gutachterliche Untersuchung mit einer umfassenden, in die Vergangenheit hineinreichenden Exploration und Anamneseerhebung durchführt, die nach gutachterlichem Ermessen auch eine sogenannte Fremdanamnese beinhalten kann. Da die Beeinträchtigungen und die Leistungseinschränkungen der Klägerin in der Zeit von 2007 bis März 2011 zu beurteilen waren, ist es darüber hinaus zwingend erforderlich, dass auch alle ärztlichen Berichte und sonstigen Unterlagen ausgewertet werden, die in der Zeit von der Geburt der Klägerin bis 2007 erstellt worden sind und Aussagekraft hinsichtlich der Geburtsumstände, der medizinischen Versorgung der Klägerin im unmittelbaren Anschluss an die Geburt und der weiteren körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklung der Klägerin haben. Dazu gehören auch die von dem Sachverständigen zusätzlich erbetenen Schulzeugnisse der Klägerin, weil diese Rückschlüsse auf die Entwicklung der Klägerin ermöglichen. Insoweit musste der Sachverständige zu keinem Zeitpunkt eine Klärung durch das Gericht nach § 407 a Abs. 4 Satz 1 ZPO herbeiführen, da keine Zweifel an Inhalt und Umfang des Gutachtenauftrages bestanden. Der Sachverständige hat sich vielmehr an die Vorgaben des Gerichts und damit an den Inhalt des Gutachtenauftrages gehalten, weil er in der Beweisanordnung ausdrücklich beauftragt worden ist, die Beurteilung retrospektiv für die Zeit vom November 2007 bis März 2011 und aufgrund aktueller ambulanter Untersuchungen der Klägerin und unter Verwertung der vorliegenden Gutachten und Berichte vorzunehmen.

Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. R. bezogen auf den Zeitraum November 2007 - März 2011 wird bestätigt durch weitere Beurteilungen und Einschätzungen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Klägerin aus dem genannten Zeitraum, die im Wege des Urkundenbeweises Verwertung gefunden haben. Im Rahmen eines für die Arbeitsagentur M. erstellten psychologischen Gutachtens aufgrund einer psychologischen Untersuchung der Klägerin vom 22.11.2007 wurde durch die Diplom-Psychologin S. festgestellt, dass bei der Klägerin eine schwere Lernbehinderung vorliege, die als grenzwertig zur geistigen Behinderung bezeichnet werden müsse. Es sei am Untersuchungstag nicht erkennbar gewesen, dass die Klägerin derzeit den Anforderungen einer beruflichen Qualifizierung gewachsen sein könne. Die Klägerin habe am Untersuchungstag in ihrer psychischen Belastbarkeit erheblich eingeschränkt gewirkt und ihre Wahrnehmung, ihr Denken und ihr Fühlen habe auf einen nicht altersgemäßen Entwicklungsstand hingedeutet. Daher erschien der psychologischen Gutachterin zum damaligen Zeitpunkt eine Integration in eine Werkstatt für behinderte Menschen realistisch. Eine Fortsetzung des Schulbesuches wurde zunächst als sinnvoll eingeschätzt, da Entwicklungspotenzial nicht ausgeschlossen werden könne.

In einer weiteren im Auftrag der Arbeitsagentur W. erstellten psychologischen Stellungnahme des Diplom-Psychologen Norbert H. vom 24.06.2009 wird ebenfalls festgestellt, dass die Resultate der durchgeführten Testung während einer Arbeitserprobung im Übergangsbereich zur leichten geistigen Behinderung gelegen hätten, womit die Testergebnisse der Arbeitsagentur vom Dezember 2007 noch einmal bestätigt worden seien. Sollten diese Werte dem tatsächlichen Leistungsbild der Klägerin entsprechen, wäre selbst eine vereinfachte Werkerausbildung nach § 66 BBiG eine starke Überforderung für die Klägerin. Auch der Diplom-Psychologe Norbert H. führt in seiner gutachterlichen Stellungnahme aus, dass unter diesen Voraussetzungen über eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen nachgedacht werden sollte.

Die sozialmedizinische Beurteilung des Sachverständigen Dr. R. wird zudem bestätigt durch das Ergebnis einer Arbeitserprobung, an der die Klägerin in der Zeit vom 18.05. bis zum 19.06.2009 im C.-Berufsbildungswerk am N. teilnahm. In dem Abschlussbericht vom 22.06.2009 wurde ausgeführt, dass die Schulleistungstests und Unterrichtsbeobachtungen deutlich gezeigt hätten, dass bei der Klägerin keine Ausbildungsfähigkeit vorliege. Dies gelte sowohl für ihre Leistungsfähigkeit als auch für ihr Arbeits- und Sozialverhalten. Es könne weder eine Ausbildungseignung noch eine Ausbildungsreife bescheinigt werden, da die Klägerin nur bedingt belastbar und sehr unsicher sei und teilweise den Aufgaben hilflos und überfordert gegenüber stehen würde. Es wurde eine Überprüfung empfohlen, ob nicht langfristig eine Werkstatt für behinderte Menschen in Erwägung gezogen werden müsse.

Schließlich bestätigt auch der Abschlussbericht der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband W. e. V. vom 17.06.2011 die Beurteilung des Sachverständigen Dr. R., dass die Klägerin bis März 2011 nicht in der Lage gewesen ist, einer Tätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen. Der Bericht bezieht sich auf eine von der Arbeitsagentur W. geförderte Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" der AWO Kreisverband K. e. V., an der die Klägerin in der Zeit vom 03.08.2009 bis zum 02.08.2011 teilnahm. Im Rahmen der beruflichen Orientierung und Qualifizierung lernte die Klägerin den Arbeitsbereich Küchenhilfe in dem Seniorenzentrum S. in M. kennen. Ziel der Maßnahme war eine Beurteilung, wie weit die Qualifizierungsfähigkeit der Klägerin ausgeprägt war. Daher sollte in einem vertrauten Rahmen beobachtet werden, ob sich bei der Klägerin Fähigkeiten und Kenntnisse herausbilden lassen, die im sozialen, personalen, methodischen Bereich für eine Arbeit in einem anderen Unternehmen ausreichen. Als Ergebnis der Maßnahme wurde in dem Abschlussbericht festgestellt, dass eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt aus Sicht des Qualifikationsträgers ausgeschlossen sei. Eine dauerhafte Minderbelastung sei durch den amtlichen Befund vorauszusehen. Die Klägerin brauche eine stabile vertraute Umgebung mit therapeutisch geschulten Ansprechpartnern.

Somit steht aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. R. und der dessen Einschätzung bestätigenden Beurteilungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass es der Klägerin in der Zeit seit Abschluss des Schulbesuches bis März 2011 nicht möglich war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Erwerbstätigkeit in einem zeitlichem Umfang von mindestens 3 Stunden täglich regelmäßig auszuüben.

Auch für die Zeit vom April 2011 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht zur vollen Überzeugung der Kammer fest, dass eine Leistungsfähigkeit der Klägerin für die Ausübung einer Tätigkeit unter den betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vorgelegen hat. Aus dem beigezogenen Gutachten der Martina G. vom 23.08.2011 zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit, das im Wege des Urkundenbeweises Verwertung gefunden hat, ergibt sich, dass die Alltagskompetenz der Klägerin zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung vom 22.08.2011 erheblich eingeschränkt war und dass sich aufgrund der festgestellten Auffälligkeiten regelmäßig und auf Dauer ein Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf ergab. Auffälligkeiten wurden bezüglich Orientierung, Antrieb/Beschäftigung, Gedächtnis, Wahrnehmung und Denken, Kommunikation/Sprache, situatives Anpassen und bei der Wahrnehmung sozialer Bereiche des Lebens festgestellt. An Beeinträchtigungen wurde das Verkennen und Verursachen gefährdender Situationen, der unsachgemäße Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen, die Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen, Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen führten, und die Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren, aufgeführt. Diese Auffälligkeiten und Beeinträchtigungen werden in einem weiteren Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit der Dr. W. vom 19.12.2012 bestätigt. In dem im Verwaltungsverfahren von der Beklagten eingeholten psychiatrischen Gutachten des Dr. K., das aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 24.08.2015 erstellt und im Rahmen des Urkundenbeweises vom Gericht verwertet worden ist, wird festgestellt, dass bei der Klägerin eine erhebliche Intelligenzminderung vorliege und das gleichzeitig eine Verhaltensstörung mit sehr unsicherem sozialen Verhalten bestehe. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, am ersten Arbeitsmarkt teilzuhaben und eine Tätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen in einem zeitlichen Umfang von mindestens 3 Stunden täglich auszuüben. In einem auf Veranlassung der Arbeitsagentur W. erstellten Gutachten der Sozial- und Arbeitsmedizinerin Dr. B., das ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises Verwertung gefunden hat, wird auf der Grundlage einer Untersuchung der Klägerin vom 22.01.2016 ausgeführt, dass bei der Klägerin doch sehr gravierende kognitive Funktionseinschränkungen und Ängste erkennbar gewesen seien. Die Leistungsfähigkeit bezogen auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wird als weniger als 3 Stunden täglich beurteilt und eine erneute Begutachtung durch den berufspsychologischen Service angeregt.

Schließlich wird auch in dem vom Gericht eingeholten psychiatrischen Gutachten des L. J. aufgrund zweier Untersuchungen vom 24.04. und 25.04.2017 festgestellt, dass die Klägerin auch zu diesen Zeitpunkten nicht in der Lage war, auch nur geistig einfache Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit sehr geringen Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen in einem zeitlichen Umfang von mindestens 3 Stunden täglich zu verrichten. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich eine weitere Verschlechterung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch das Hinzutreten einer leichten depressiven Episode ergeben hat, wie das von dem Sachverständigen L. J. festgestellt wurde, da aufgrund der sonstigen Einschränkungen der Klägerin aufgrund der Intelligenzminderung und der motorischen Koordinationsstörung als Folge der zentralen Hirnfunktionsstörung feststeht, dass die Klägerin nicht fähig und nicht ausreichend belastbar ist, unter betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Somit ergibt sich aus den vom Gericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, aus den sonstigen medizinischen Gutachten, aus den ärztlichen Berichten, den psychologischen Berichten und den Berichten über die Unterstützte Beschäftigung von August 2009 bis August 2011 und die Arbeitserprobungsmaßnahme vom 18.05. bis zum 19.06.2009, dass die Klägerin seit dem Ende des Schulbesuches im Juni 2008 nicht in der Lage war, in einem zeitlichen Umfang von mindestens 3 Stunden täglich unter betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Somit war die Klägerin seit diesem Zeitpunkt durchgehend voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

Weder der Umstand, dass die Klägerin in der Zeit von August 2009 bis August 2011 an einer Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" teilgenommen hat, noch die Tatsache, dass die Klägerin seit dem 01.08.2012 eine Tätigkeit im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt, spricht gegen das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Bei der Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" handelt es sich um eine von der Arbeitsagentur Wesel geförderte berufliche Reabilitationsmaßnahme mit den Zielen der Ermittlung der Qualifizierungsfähigkeit der Klägerin und der Integration in Arbeit. Da die Maßnahme mit der Feststellung in dem Abschlussbericht vom 17.06.2011 endete, dass die Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen erscheine und auch anschließend keine Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgte, steht der Versuch der Integrierung der Klägerin in den allgemeinen Arbeitsmarkt der Annahme einer vollen Erwerbsminderung in rechtlicher Hinsicht nicht entgegen. In § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB VI ist insoweit ausdrücklich geregelt, dass volle Erwerbsminderung auch in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt vorliegt, wenn Versicherte bereits vor Erfüllung der Wartezeit voll erwerbsgemindert waren. Die Klägerin hatte bei Beendigung des Schulbesuches im Juni 2008 die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren nicht erfüllt und war bereits seit diesem Zeitpunkt, d.h. vor Erfüllung der Wartezeit voll erwerbsgemindert. Auch der Umstand, dass die Klägerin seit dem 01.08.2012 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses eine Tätigkeit als Haushaltshilfe ausübt, steht der Annahme einer vollen Erwerbsminderung nicht entgegen. Die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann nur dann eine von medizinischen Sachverständigen angenommene volle Erwerbsminderung widerlegen, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die mindestens 3 Stunden täglich regelmäßig unter den betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet wird. Nach der vom Gericht eingeholten Arbeitgeberauskunft der Frau Heike S. wird jedoch im Rahmen dieses geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses in besonderer Weise auf die Einschränkungen der Klägerin Rücksicht genommen, sodass es sich um eine vom Regelfall abweichende günstige Arbeitsgelegenheit und ein vergönnungsweise begründetes Beschäftigungsverhältnis handelt. Der Ausübung einer solchen Tätigkeit kommt kein stärkerer Beweiswert zu als den medizinischen Sachverständigengutachten (vergleiche BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 30; Kassler Kommentar-Gürtner § 43 SGB VI Rn 28 mwN).

Da bei der Klägerin seit Ende des Schulbesuches im Juni 2008 durchgehend volle Erwerbsminderung vorlag und die Klägerin im Juni 2008 die Wartezeit von 5 Jahren nicht erfüllt hatte, hat sie keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI.

Der Klägerin steht auch keine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 6 SGB VI zu. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seit dem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Nach der gesetzgeberischen Intention hat der Gesetzgeber diese Regelung getroffen, damit behinderten Menschen, die schon bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung voll erwerbsgemindert waren oder es vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit geworden sind, die Möglichkeit verschafft wird, eine Rente durch Beiträge zu erhalten, die nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung entrichtet wurden (vergleiche BT-Drucksache 7/1992 Seite 15 zu § 1247 RVO). Somit besteht insbesondere die Möglichkeit, auch bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung vor Erfüllung der Wartezeit durch Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder durch Ausübung einer vergönnungsweise ausgeübten Beschäftigung nach Erfüllung einer 20-jährigen Wartezeit einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu erwerben. Da die Klägerin zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im April 2015 lediglich 69 auf die Wartezeit anrechenbare Beitragsmonate zurückgelegt hat, ist die Wartezeit von 240 Kalendermonaten nach § 43 Abs. 6 SGB VI zurzeit nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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