Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 979/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3730/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. August 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, einen Grad der Behinderung von mehr als 40 (vierzig) festzustellen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Verpflichtung zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 50.
Der 1953 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und bei der CHT R. B. GmbH, einem Unternehmen, welches Spezialchemikalien für industrielle Prozesse entwickelt und herstellt, seit April 1985 beschäftigt.
Er beantragte am 29. Januar 2013 erstmals die Feststellung des GdB. Er verwies auf eine Neuritis vestibularis, welche bei ihm heftigen Schwankschwindel bei alltäglichen Belastungen sowie bei Kopfbewegungen nach rechts und links verursache. Bei einem Autounfall sei sein linkes Sprunggelenk verletzt worden, wodurch ihm das Springen auf beiden Füßen und das Laufen unmöglich sei. Weiter habe er seither Knie- und Hüftschmerzen beim Treppenlaufen. Er leide an hohem Blutdruck und einer erhöhten Pulsfrequenz, wodurch er schnell müde werde sowie Atemnot und Herzklopfen aufträten. Eine Arthrose verursache bei ihm Hals- und Nackenschmerzen beim Arbeiten am Computer. Rückenschmerzen entstünden hierbei auch durch Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule, und zwar nach drei Stunden.
Nach dem stationären Aufenthalt im Reha-Zentrum B. St. diagnostizierte Dr. G., Ärztlicher Direktor der Abteilung Orthopädie, ein Lendenwirbelsäulensyndrom (ICD-10 M54.16), ein Zervikalsyndrom (ICD-10 M50.1), eine Arthrose im Bereich des Iliosakralgelenkes rechts (ICD-10 M19.25), eine arterielle Hypertonie (ICD-10 I10.90) und eine Neuritis vestibularis (ICD-10 H81.2). Er berichtete, bis auf letztere hätten sich alle Gesundheitsstörungen am Ende des stationären Aufenthaltes gebessert. Bei der Abschlussuntersuchung habe sich eine Lockerung der zu Beginn vorhandenen paravertebralen Verspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Schulter-/Nackenregion beidseits gezeigt. Die Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie im linken Bein habe gesteigert werden können. Der Finger-Boden-Abstand habe 10 cm betragen. Die Vor-/Rückneigung der Halswirbelsäule habe 55-0-35° und die Seitneigung 35-0-35° betragen. Die Rotation habe bis 45-0-50° vorgenommen werden können. Die Vor-/Rückneigung der Brust- und Lendenwirbelsäule habe bis 110-0-25°, die Seitneigung bis 25-0-25° und die Rotation bis 50-0-50° demonstriert werden können. Die Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspaltes hätten rechts 50 cm und links 48 cm betragen, 10 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspaltes rechts 47 cm und links 39 cm.
Dem Landratsamt Tübingen lag ein von Dr. H., Arzt für Orthopädie, erstelltes Privatgutachten vor, wonach er nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 10. November 1989 den Zustand nach einem in Italien im April 1987 erlittenen Verkehrsunfall festgestellt habe. Hier sei es zu einer Unterschenkelfraktur sowie zu einem Schienbeinkopfbruch außen und einer Verrenkungsfraktur am Sprunggelenk des linken Beines gekommen. Offensichtlich wegen einer Falschgelenkbildung habe zu einem späteren Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland die operative Versorgung am körpernahen Ende des Schienbeines durchgeführt werden müssen. Dazu seien Knochen am Beckenkamm entnommen, die Falschgelenkbildung ausgeräumt sowie eine Versorgung mit fixierten Platten und Schrauben vorgenommen worden. Verblieben sei eine Bewegungseinschränkung bei einer beginnenden Verschleißerkrankung in Form einer Arthrose im oberen und unteren Sprunggelenk sowie im Fußwurzelgelenk zwischen Sprung- und Kahnbein. Die Anhebung des linken Fußes über einen Winkel von 90° sei nicht möglich gewesen. Die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk sei fast aufgehoben gewesen. Narben hätten vorgelegen. Eine venöse Blutumlaufstörung mit einer Schwellneigung am Abend sei beschrieben worden.
Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete nach der einmaligen neurologischen Untersuchung des Klägers am 23. August 2012, dieser habe von einem akuten Drehschwindel mit Fallneigung am 9. Mai 2012 berichtet. Deswegen sei eine Neuropathie vestibularis diagnostiziert und mit Kortison behandelt worden. Am Tag der Untersuchung habe er noch einen rezidivierenden Dreh- und Schwankschwindel beklagt. Bei abrupten Bewegungsänderungen sei es zu einer Gangunsicherheit gekommen. Neurologisch habe sich ein unauffälliger Hirnnervenstatus gefunden. Bei den Stand- und Gangproben hätten sich selbst unter erschwerten Bedingungen keine Seitabweichungen gezeigt. Es hätten weder ein Meningismus vorgelegen noch sei das Lhermitte-Zeichen positiv gewesen. Die Muskeleigenreflexe seien mittellebhaft seitengleich darstellbar gewesen. Es hätten sich keine pathologischen Reflexe gefunden. Motorische oder sensible Störungsmuster hätten sich nicht gezeigt. Die Koordination sei intakt gewesen. Nach der Untersuchung sei von einer weitgehenden zentralen Kompensation einer Neuropathie vestibularis rechts auszugehen gewesen. Eine weiterführende bildgebende Diagnostik sei deshalb nicht veranlasst worden.
Da nach der versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. G.-F. von Anfang Mai 2013 keine der vom Kläger vorgetragenen Gesundheitsstörungen zu Funktionsbeeinträchtigungen geführt habe, die einen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigten, sei ein Gesamt-GdB von 20 nicht erreicht. Deshalb stellte das Landratsamt Tübingen mit Bescheid vom 24. Mai 2013 fest, dass kein GdB vorliege.
Im Widerspruchsverfahren bewertete Dr. G.-F. die vorliegenden medizinischen Befundunterlagen neu und hielt für eine Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenkes sowie für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Schmerzsyndrom und muskuläre Verspannungen nunmehr jeweils einen Einzel-GdB von 20 für angemessen. Der Schwindel und der Bluthochdruck erreichten jedoch jeweils keinen höheren Einzel-GdB als 10, weshalb der Gesamt-GdB 30 betrage. Daraufhin half das Landratsamt Tübingen dem Widerspruch mit Bescheid vom 13. Dezember 2013 teilweise ab und stellte den GdB mit 30 seit 29. Januar 2013 fest. Der aufrechterhaltene Widerspruch, mit dem der Kläger weiterhin die Anerkennung des GdB mit 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft verfolgte, wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2014 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22. April 2014 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, welches schriftliche sachverständige Zeugenaussagen bei Dr. H.-B., Fachärztin für Allgemeinmedizin, und Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. eingeholt hat, welche im Januar 2015 und im Folgemonat vorgelegt worden sind.
Dr. H.-B. hat ausgeführt, der Bluthochdruck sei mit Ramipril, 5 mg, HCT, 25 mg und Bisoprorol, 5 mg behandelt worden, wodurch Werte zwischen 130/80 mmHg und 150/90 mmHg erreicht worden seien. Das chronische Wirbelsäulensyndrom habe belastungsabhängig und rezidivierend zu Schmerzen zervikal und lumbal geführt. Ein Hartspann der paravertebralen Muskultur sei erkannt worden. Die Rotation der Halswirbelsäule sei vermindert gewesen. Zudem habe eine verminderte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule vorgelegen. Ferner habe der Kläger an einem rezidivierenden Schwindel gelitten, welcher nach einer Vestibularis-Neuropathie wiederholt aufgetreten sei. Darüber hinaus sei ein Lagerungsschwindel, differentialdiagnostisch ein phobischer Schwindel, erkannt worden. Überdies habe er noch an Knieschmerzen und einer Sprunggelenksarthrose, jeweils links, gelitten. Den Schwindel, welcher sich mehrfach akut verschlechtert habe, jedoch nicht andauernd bleibend, und den Bluthochdruck halte sie versorgungsärztlich für korrekt eingeschätzt. Für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule halte sie einen Einzel-GdB von 30 für angemessen. Die Funktionsstörungen des Sprunggelenkes und der Knie könne sie nicht beurteilen.
Von Dr. H.-B. ist der Bericht von Dr. S., Rehabilitationsklinik B. S. in M., vorgelegt worden, wonach der Kläger Mitte Januar 2013 eine Behandlung begonnen, jedoch trotz mehrfacher Aufforderung einen Termin zum Abschluss nicht vereinbart habe. Es seien ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom diagnostiziert worden (ICD-10 M50.1 und M54.16).
Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. hat mitgeteilt, nach August 2012 sei der Kläger noch ein weiteres Mal am 11. November 2014 von ihm untersucht worden. Bei beiden Konsultationen seien unauffällige neurologische Befunde erhoben worden. Im Vergleich zu den anderenorts vorgenommenen Erhebungen habe sich während seiner Behandlungen eine deutliche Befundbesserung gezeigt. Aus neurologischer Sicht stimme er der versorgungsärztlichen Einschätzung zu. Eine höhere Bewertung der Symptomengruppe Schwindel als 10 % sei bei vollständig zentral kompensierter Neuropathie vestibularis und intermittierendem Lagerungsschwindel nicht zu vertreten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. N., Chefarzt der Neurologischen Abteilung der V. von P.-Hospital gGmbH in R., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Nach dessen ambulanter Untersuchung am 5. Oktober 2015 hat er ausgeführt, im Vordergrund stünden Schwindelbeschwerden. Diese träten vergleichbar der Menière-Krankheit attackenförmig auf. Der behandelnde Arzt Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. habe ein bis zwei Schwindelattacken monatlich angeführt, der Kläger selbst sei von vier bis fünf im Monat ausgegangen. Die Schwindelbeschwerden seien so intensiv, dass dieser danach ein bis zwei Tage lang nicht arbeiten könne. Dies sei belegt durch die mitgebrachte Kopie eines betrieblichen Fehlzeitenregisters. Daher sei von mehreren schweren Schwindelanfällen im Monat auszugehen, was analog zur Bewertung einer Menière-Krankheit zumindest einen Einzel-GdB von 40 rechtfertige. Aufgrund der sonstigen behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen sei ein Gesamt-GdB von 50 erreicht. Die Schwindelbeschwerden seien bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es seien mehrfach monatlich heftige Drehschwindelattacken aufgetreten, welche in den vergangenen beiden Jahren durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat zu einer ein- bis mehrtägigen Arbeitsunfähigkeit geführt hätten.
Daraufhin hat der Beklagte ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach der GdB mit 40 ab 29. Januar 2013 festgestellt würde. Dieses ist vom Kläger nicht angenommen worden. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 31. August 2016 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, beim Kläger den GdB mit 50 seit 29. Januar 2013 festzustellen, wobei diese auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu tragen habe. Hierfür hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. N. gestützt.
Gegen die ihm am 8. September 2016 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am Montag, 10. Oktober 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die Bewertung des Schwindels sei mit keinem höheren Einzel-GdB als 10 gerechtfertigt. Der behandelnde Neurologe Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. habe ausgeführt, dass bei seinen Untersuchungen unauffällige neurologische Befunde erhoben worden seien. Die sich aus dem Gutachten von Dr. N. ergebende hohe Frequenz der Schwindelbeschwerden sei nicht nachgewiesen und auch nicht durch eine betriebliche Fehlzeitendokumentation belegte worden. Es sei nicht objektiviert, dass sämtliche Ausfallzeiten auf Schwindelbeschwerden zurückzuführen seien. 19 einzelne Krankheitstage im Jahre 2015 würden auch nicht die vom Kläger angeführten fünfzig und mehr Nächte mit Schwindelbeschwerden belegen. Die kurzen Schwindelattacken ereigneten sich bei ihm aus dem Schlaf heraus, nicht während der Tagesaktivitäten. Das Ausmaß und die Art der Symptomatik, einschließlich der reaktiven und psychovegetativen Komponente, könne nicht mit einem Morbus Menière gleichgesetzt werden. Im Übrigen sähen die versorgungsmedizinischen Grundsätze für Gleichgewichtsstörungen eigene GdB-Werte vor, so dass es eines Vergleiches mit der Menière-Erkrankung nicht bedürfe. Ohnehin sei auch das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 20 weitreichend bewertet. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt seien nicht belegt. Bei der neurologischen Untersuchung sei eine Einschränkung der Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule nicht nachzuweisen gewesen. Dr. N. habe sogar angegeben, dass diese Wirbelsäulenabschnitte frei beweglich gewesen seien. Der Finger-Boden-Abstand habe 5 cm betragen. Das Zeichen nach Schober sei mit 10/17 cm gemessen worden, was einem Normalbefund entspreche. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, welches erst geeignet sei, den GdB zu erhöhen, sei nicht nachgewiesen. Es seien weder eine Schmerztherapie durchgeführt noch entsprechenden Medikamente verordnet worden. Die Beweglichkeit des linken Sprunggelenkes sei nur geringfügig eingeschränkt, weshalb auch insoweit ein Einzel-GdB von 20 sehr großzügig sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft liege beim Kläger keinesfalls vor, auch wenn der Schwindel und die psychovegetativen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 sowie die Funktionsbehinderungen des linken oberen Sprunggelenkes und die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, das chronische Schmerzsyndrom und die muskulären Verspannungen jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet würden. Hieraus lasse sich zwar ein Gesamt-GdB von 40 begründen, nicht aber einen solchen von 50 ableiten.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. August 2016 aufzuheben, soweit er verpflichtet worden ist, den Grad der Behinderung des Klägers mit mehr als 40 festzustellen, und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, jedenfalls nach dem Gutachten von Dr. N. seien ein Gesamt-GdB von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft begründet. Seine Arbeitgeberin habe aktuell bestätigt, dass er 2016 an 51 Tagen und im Folgejahr an 21 Tagen krankheitsbedingt gefehlt habe. Grund für die Fehlzeiten seien seine erheblichen Schwindelbeschwerden gewesen.
Der Berichterstatter hat Dr. H.-B. ergänzend zu den Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Schwindelbeschwerden befragt, worauf von ihr entsprechende Bescheinigungen vorgelegt worden sind.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und am Montag, 10. Oktober 2016 noch fristgerecht (§ 64 Abs. 3 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 124 Abs. 2 SGG), ist begründet. Die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen sind mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage daher teilweise abweisen müssen.
Die Einverständniserklärung des Klägers nach § 124 Abs. 2 SGG, welche nicht ausdrücklich widerrufen worden ist, hat auch mit der Vorlage der Arbeitsbescheinigung der Arbeitgeberin vom 17. Mai 2017 nicht ihre Wirksamkeit verloren. Denn die Prozesslage hat sich dadurch nicht wesentlich geändert. Das ist erst der Fall, wenn die Tatsachen- oder die Rechtsgrundlage eine andere wird (vgl. BSG, Beschluss vom 7. April 2011 - B 9 SB 45/10 B -, juris, Rz. 14; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 124 Rz. 3f m. w. N.). Mit diesem Dokument hat der Kläger demgegenüber lediglich das bei der Begutachtung im erstinstanzlichen Verfahren beschriebene Ausmaß seiner Schwindelerscheinungen weiter zu untermauern versucht.
Gegenstand des vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens sind der Gerichtsbescheid des SG vom 31. August 2016, soweit dieser damit unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet worden ist, beim Kläger einen höheren GdB als 40 ab 29. Januar 2013 festzustellen. Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, a. a. O., § 54 Rz. 34); ohne eine solche nach demjenigen der Entscheidung.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 ab 29. Januar 2013.
Dieser gründet auf § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der aktuellen Fassung durch Art. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX). Von dieser Ermächtigung hat das BMAS Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzel-fall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers ab 29. Januar 2013 mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet sind.
Das Funktionssystem "Ohren" hat ob der Schwindelerscheinungen des Klägers einen Teil-GdB von 10 zur Folge.
Nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 haben Gleichgewichtsstörungen, wobei Normabweichungen in den apparativ erhobenen neurootologischen Untersuchungsbefunden für sich allein noch keinen GdB bedingen, ohne wesentliche Folgen - beschwerdefrei, allenfalls Gefühl der Unsicherheit bei alltäglichen Belastungen (z. B. Gehen, Bücken, Aufrichten, Kopfdrehungen, leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung); leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen (Schwanken) bei höheren Belastungen (z. B. Heben von Lasten, Gehen im Dunkeln, abrupte Körperbewegungen); stärkere Unsicherheit mit Schwindelerscheinungen (Fallneigung, Ziehen nach einer Seite) erst bei außergewöhnlichen Belastungen (z. B. Stehen und Gehen auf Gerüsten, sportliche Übungen mit raschen Körperbewegungen); keine nennenswerten Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen - einen GdB zwischen 0 und 10 zur Folge. Bei leichten Folgen - leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen wie Schwanken, Stolpern, Ausfallschritte bei alltäglichen Belastungen; stärkere Unsicherheit und Schwindelerscheinungen bei höheren Belastungen; leichte Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen erst auf höherer Belastungsstufe - beträgt der GdB 20.
Nach diesen Maßstäben ist bei der von dem sachverständigen Zeugen Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. festgestellten vollständig zentral kompensierten Neuropathie vestibularis und dem intermittierenden Lagerungsschwindel ein höherer Einzel-GdB als 10 nicht begründbar. Ihm gegenüber führte der Kläger maximal zwei Schwindelattacken im Monat an. Die dem Sachverständigen Dr. N. Anfang Oktober 2015 mitgeteilten vier bis fünf monatlichen Schwindelanfälle hält der Senat für übertrieben. Weder nach dem SGG noch nach der Zivilprozessordnung (ZPO) gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, zumal die Schwindelbeschwerden so intensiv sein sollen, dass der Kläger danach ein bis zwei Tage lang nicht arbeiten könne. Dies würde Fehlzeiten von mindestens 48 Arbeitstagen je Kalenderjahr aufgrund dieser Gesundheitsstörung bedeuten. Es ist jedoch weder durch die sachverständige Zeugin Dr. H.-B., insbesondere nicht durch die von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen, noch die Arbeitgeberin bestätigt worden, dass Krankheitstage in dieser Höhe auf die Schwindelbeschwerden zurückzuführen sind. Dr. H.-B. hat für das Jahr 2014 nur zwei drei- und viertägige Ausfallzeiten im September und November bestätigt, für 2015 sogar nur eine dreitägige im April. Für das Jahr 2016 hat die Arbeitgeberin ohnehin nur 26 Krankheitstage mit ärztlichem Attest bestätigt, wobei zwar dargetan, aber nicht belegt worden ist, dass Gleichgewichtsstörungen hierfür ursächlich gewesen sind. Für die anderen Ausfallzeiten in diesem Zeitraum ist ihr bereits kein sachkundiger Nachweis angeführt worden. Im laufenden Jahr waren bislang wiederum nur sechs ärztlich attestierte Ausfalltage angefallen, wohingegen die jeweilige zugrundeliegende Krankheit nicht nachgewiesen worden ist.
Die Annahme von Dr. N., aufgrund einer Analogbewertung zur Menière-Krankheit sei ein GdB von 40 angemessen, hat den Senat auch deshalb nicht überzeugt, da mit den Gleichgewichtsstörungen ein GdB-Schema in den VG enthalten ist, welches den Rückgriff auf ein anderes entbehrlich macht. Das Funktionssystem "Ohren" erreicht danach keinen höheren Teil-GdB als 10.
Das Funktionssystem "Rumpf" erreicht zwar wegen der Bewegungseinschränkungen ob der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, wie sie bereits nach dem stationären Aufenthalt im Reha-Zentrum B. St. von Dr. G. diagnostiziert wurden, des Schmerzsyndroms und der muskulären Verspannungen unter Berücksichtigung der VG, Teil B, Nr. 18.9 einen Teil-GdB von 20, wie er versorgungsärztlich von Dr. G.-F. nachvollziehbar eingestuft worden ist. Die Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenkes führt unter Berücksichtigung der nur geringfügig eingeschränkten Beweglichkeit und in Bezug auf das Funktionssystem "Beine" indes allenfalls zu einem Teil-GdB von 10, wodurch sich der Gesamt-GdB wegen der Regelung in den VG, Teil A, Nr. 3 d ee genauso wenig erhöht wie vorliegend durch das Funktionssystem "Herz-Kreislauf" wegen des Bluthochdruckes. Dieser hat nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 bei leichter Form - keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) - keinen höheren GdB als 10 zur Folge. Die sachverständige Zeugin Dr. H.-B. hat bekundet, dass der Bluthochdruck mit Ramipril, 5 mg, HCT, 25 mg und Bisoprorol, 5 mg eingestellt ist und Werte zwischen 130/80 mmHg und 150 mmHg erreicht worden sind. Dies belegt keinen diastolischen Blutdruck mehrfach über 100 mmHg wie er etwa für die mittelschwere Form Voraussetzung ist.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wonach insbesondere einzelne Teil-GdB-Werte nicht addiert werden dürfen (VG, Teil A, Nr. 3 a), erreicht im Falle des Klägers der Gesamt-GdB seit 29. Januar 2013 bis aktuell keinesfalls 50.
Danach war der angegriffene Gerichtsbescheid auf den beschränkten Antrag des Beklagten hin (§ 123 SGG) insoweit aufzuheben, als dadurch ein GdB von mehr als 40 zugesprochen worden ist. Insoweit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dem Beklagten waren auch im Hinblick auf die erstinstanzliche Verpflichtung zur Feststellung des GdB mit 40 ab 29. Januar 2013 keine Kosten aufzuerlegen. Tritt eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers ein, ist im Rahmen des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG das Veranlassungsprinzip heranzuziehen. Wenn ein Verwaltungsträger der Veränderung unverzüglich Rechnung trägt, ist eine Kostenerstattung in der Regel unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 93 ZPO nicht angezeigt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Juni 2015 - L 2 AS 587/15 B ER u. a. -, juris, Rz. 7; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 193 Rz. 12c). Erst mit Erhebung des Sachverständigenbeweises im Rahmen von § 109 SGG und den dabei gewonnenen medizinischen Erkenntnissen hat sich die Tatsachengrundlage, auch für die Zeit ab Antragstellung im Verwaltungsverfahren, geändert, worauf der Beklagte nach Auswertung durch seinen versorgungsärztlichen Dienst mit einem sachgerechten Vergleichsangebot umgehend reagiert hat. Daher erschien es dem Senat nicht angemessen, dem Beklagten auch nur einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Die auch insoweit fehlerhafte Kostenentscheidung der Vorinstanz konnte geändert werden, da das Verbot der reformatio in peius nicht gilt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2011 - B 2 U 18/10 R -, BSGE 108, 194 (205) m. w. N.). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtete das Prozessgericht zudem nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vor seiner Entscheidung mit den Beteiligten zu erörtern (vgl. BVerfG, Beschlüsse des Ersten Senats vom 25. Januar 1984 - 1 BvR 272/81 -, BVerfGE 66, 116 (147); und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2001 - 2 BvR 1384/99 -, juris, Rz. 7 m. w. N.; BSG, Beschluss vom 25. Februar 2016 - B 9 V 69/15 B -, juris, Rz. 11). Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen Verfahrensbeteiligte grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte und Tatsachenwertungen von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse des Zweiten Senats vom 27. Juli 1971 - 2 BvR 443/70 -, BVerfGE 31, 364 (370) und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 1996 - 2 BvR 2600/95 -, juris, Rz. 22 m. w. N.); vorliegend also auch, dass die Kostengrundentscheidung des SG geändert wird.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Verpflichtung zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 50.
Der 1953 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und bei der CHT R. B. GmbH, einem Unternehmen, welches Spezialchemikalien für industrielle Prozesse entwickelt und herstellt, seit April 1985 beschäftigt.
Er beantragte am 29. Januar 2013 erstmals die Feststellung des GdB. Er verwies auf eine Neuritis vestibularis, welche bei ihm heftigen Schwankschwindel bei alltäglichen Belastungen sowie bei Kopfbewegungen nach rechts und links verursache. Bei einem Autounfall sei sein linkes Sprunggelenk verletzt worden, wodurch ihm das Springen auf beiden Füßen und das Laufen unmöglich sei. Weiter habe er seither Knie- und Hüftschmerzen beim Treppenlaufen. Er leide an hohem Blutdruck und einer erhöhten Pulsfrequenz, wodurch er schnell müde werde sowie Atemnot und Herzklopfen aufträten. Eine Arthrose verursache bei ihm Hals- und Nackenschmerzen beim Arbeiten am Computer. Rückenschmerzen entstünden hierbei auch durch Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule, und zwar nach drei Stunden.
Nach dem stationären Aufenthalt im Reha-Zentrum B. St. diagnostizierte Dr. G., Ärztlicher Direktor der Abteilung Orthopädie, ein Lendenwirbelsäulensyndrom (ICD-10 M54.16), ein Zervikalsyndrom (ICD-10 M50.1), eine Arthrose im Bereich des Iliosakralgelenkes rechts (ICD-10 M19.25), eine arterielle Hypertonie (ICD-10 I10.90) und eine Neuritis vestibularis (ICD-10 H81.2). Er berichtete, bis auf letztere hätten sich alle Gesundheitsstörungen am Ende des stationären Aufenthaltes gebessert. Bei der Abschlussuntersuchung habe sich eine Lockerung der zu Beginn vorhandenen paravertebralen Verspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Schulter-/Nackenregion beidseits gezeigt. Die Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie im linken Bein habe gesteigert werden können. Der Finger-Boden-Abstand habe 10 cm betragen. Die Vor-/Rückneigung der Halswirbelsäule habe 55-0-35° und die Seitneigung 35-0-35° betragen. Die Rotation habe bis 45-0-50° vorgenommen werden können. Die Vor-/Rückneigung der Brust- und Lendenwirbelsäule habe bis 110-0-25°, die Seitneigung bis 25-0-25° und die Rotation bis 50-0-50° demonstriert werden können. Die Umfangmaße 20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspaltes hätten rechts 50 cm und links 48 cm betragen, 10 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspaltes rechts 47 cm und links 39 cm.
Dem Landratsamt Tübingen lag ein von Dr. H., Arzt für Orthopädie, erstelltes Privatgutachten vor, wonach er nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 10. November 1989 den Zustand nach einem in Italien im April 1987 erlittenen Verkehrsunfall festgestellt habe. Hier sei es zu einer Unterschenkelfraktur sowie zu einem Schienbeinkopfbruch außen und einer Verrenkungsfraktur am Sprunggelenk des linken Beines gekommen. Offensichtlich wegen einer Falschgelenkbildung habe zu einem späteren Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland die operative Versorgung am körpernahen Ende des Schienbeines durchgeführt werden müssen. Dazu seien Knochen am Beckenkamm entnommen, die Falschgelenkbildung ausgeräumt sowie eine Versorgung mit fixierten Platten und Schrauben vorgenommen worden. Verblieben sei eine Bewegungseinschränkung bei einer beginnenden Verschleißerkrankung in Form einer Arthrose im oberen und unteren Sprunggelenk sowie im Fußwurzelgelenk zwischen Sprung- und Kahnbein. Die Anhebung des linken Fußes über einen Winkel von 90° sei nicht möglich gewesen. Die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk sei fast aufgehoben gewesen. Narben hätten vorgelegen. Eine venöse Blutumlaufstörung mit einer Schwellneigung am Abend sei beschrieben worden.
Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete nach der einmaligen neurologischen Untersuchung des Klägers am 23. August 2012, dieser habe von einem akuten Drehschwindel mit Fallneigung am 9. Mai 2012 berichtet. Deswegen sei eine Neuropathie vestibularis diagnostiziert und mit Kortison behandelt worden. Am Tag der Untersuchung habe er noch einen rezidivierenden Dreh- und Schwankschwindel beklagt. Bei abrupten Bewegungsänderungen sei es zu einer Gangunsicherheit gekommen. Neurologisch habe sich ein unauffälliger Hirnnervenstatus gefunden. Bei den Stand- und Gangproben hätten sich selbst unter erschwerten Bedingungen keine Seitabweichungen gezeigt. Es hätten weder ein Meningismus vorgelegen noch sei das Lhermitte-Zeichen positiv gewesen. Die Muskeleigenreflexe seien mittellebhaft seitengleich darstellbar gewesen. Es hätten sich keine pathologischen Reflexe gefunden. Motorische oder sensible Störungsmuster hätten sich nicht gezeigt. Die Koordination sei intakt gewesen. Nach der Untersuchung sei von einer weitgehenden zentralen Kompensation einer Neuropathie vestibularis rechts auszugehen gewesen. Eine weiterführende bildgebende Diagnostik sei deshalb nicht veranlasst worden.
Da nach der versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. G.-F. von Anfang Mai 2013 keine der vom Kläger vorgetragenen Gesundheitsstörungen zu Funktionsbeeinträchtigungen geführt habe, die einen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigten, sei ein Gesamt-GdB von 20 nicht erreicht. Deshalb stellte das Landratsamt Tübingen mit Bescheid vom 24. Mai 2013 fest, dass kein GdB vorliege.
Im Widerspruchsverfahren bewertete Dr. G.-F. die vorliegenden medizinischen Befundunterlagen neu und hielt für eine Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenkes sowie für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Schmerzsyndrom und muskuläre Verspannungen nunmehr jeweils einen Einzel-GdB von 20 für angemessen. Der Schwindel und der Bluthochdruck erreichten jedoch jeweils keinen höheren Einzel-GdB als 10, weshalb der Gesamt-GdB 30 betrage. Daraufhin half das Landratsamt Tübingen dem Widerspruch mit Bescheid vom 13. Dezember 2013 teilweise ab und stellte den GdB mit 30 seit 29. Januar 2013 fest. Der aufrechterhaltene Widerspruch, mit dem der Kläger weiterhin die Anerkennung des GdB mit 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft verfolgte, wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2014 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22. April 2014 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, welches schriftliche sachverständige Zeugenaussagen bei Dr. H.-B., Fachärztin für Allgemeinmedizin, und Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. eingeholt hat, welche im Januar 2015 und im Folgemonat vorgelegt worden sind.
Dr. H.-B. hat ausgeführt, der Bluthochdruck sei mit Ramipril, 5 mg, HCT, 25 mg und Bisoprorol, 5 mg behandelt worden, wodurch Werte zwischen 130/80 mmHg und 150/90 mmHg erreicht worden seien. Das chronische Wirbelsäulensyndrom habe belastungsabhängig und rezidivierend zu Schmerzen zervikal und lumbal geführt. Ein Hartspann der paravertebralen Muskultur sei erkannt worden. Die Rotation der Halswirbelsäule sei vermindert gewesen. Zudem habe eine verminderte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule vorgelegen. Ferner habe der Kläger an einem rezidivierenden Schwindel gelitten, welcher nach einer Vestibularis-Neuropathie wiederholt aufgetreten sei. Darüber hinaus sei ein Lagerungsschwindel, differentialdiagnostisch ein phobischer Schwindel, erkannt worden. Überdies habe er noch an Knieschmerzen und einer Sprunggelenksarthrose, jeweils links, gelitten. Den Schwindel, welcher sich mehrfach akut verschlechtert habe, jedoch nicht andauernd bleibend, und den Bluthochdruck halte sie versorgungsärztlich für korrekt eingeschätzt. Für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule halte sie einen Einzel-GdB von 30 für angemessen. Die Funktionsstörungen des Sprunggelenkes und der Knie könne sie nicht beurteilen.
Von Dr. H.-B. ist der Bericht von Dr. S., Rehabilitationsklinik B. S. in M., vorgelegt worden, wonach der Kläger Mitte Januar 2013 eine Behandlung begonnen, jedoch trotz mehrfacher Aufforderung einen Termin zum Abschluss nicht vereinbart habe. Es seien ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom diagnostiziert worden (ICD-10 M50.1 und M54.16).
Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. hat mitgeteilt, nach August 2012 sei der Kläger noch ein weiteres Mal am 11. November 2014 von ihm untersucht worden. Bei beiden Konsultationen seien unauffällige neurologische Befunde erhoben worden. Im Vergleich zu den anderenorts vorgenommenen Erhebungen habe sich während seiner Behandlungen eine deutliche Befundbesserung gezeigt. Aus neurologischer Sicht stimme er der versorgungsärztlichen Einschätzung zu. Eine höhere Bewertung der Symptomengruppe Schwindel als 10 % sei bei vollständig zentral kompensierter Neuropathie vestibularis und intermittierendem Lagerungsschwindel nicht zu vertreten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. N., Chefarzt der Neurologischen Abteilung der V. von P.-Hospital gGmbH in R., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Nach dessen ambulanter Untersuchung am 5. Oktober 2015 hat er ausgeführt, im Vordergrund stünden Schwindelbeschwerden. Diese träten vergleichbar der Menière-Krankheit attackenförmig auf. Der behandelnde Arzt Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. habe ein bis zwei Schwindelattacken monatlich angeführt, der Kläger selbst sei von vier bis fünf im Monat ausgegangen. Die Schwindelbeschwerden seien so intensiv, dass dieser danach ein bis zwei Tage lang nicht arbeiten könne. Dies sei belegt durch die mitgebrachte Kopie eines betrieblichen Fehlzeitenregisters. Daher sei von mehreren schweren Schwindelanfällen im Monat auszugehen, was analog zur Bewertung einer Menière-Krankheit zumindest einen Einzel-GdB von 40 rechtfertige. Aufgrund der sonstigen behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen sei ein Gesamt-GdB von 50 erreicht. Die Schwindelbeschwerden seien bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es seien mehrfach monatlich heftige Drehschwindelattacken aufgetreten, welche in den vergangenen beiden Jahren durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat zu einer ein- bis mehrtägigen Arbeitsunfähigkeit geführt hätten.
Daraufhin hat der Beklagte ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach der GdB mit 40 ab 29. Januar 2013 festgestellt würde. Dieses ist vom Kläger nicht angenommen worden. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 31. August 2016 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, beim Kläger den GdB mit 50 seit 29. Januar 2013 festzustellen, wobei diese auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu tragen habe. Hierfür hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. N. gestützt.
Gegen die ihm am 8. September 2016 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am Montag, 10. Oktober 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die Bewertung des Schwindels sei mit keinem höheren Einzel-GdB als 10 gerechtfertigt. Der behandelnde Neurologe Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. habe ausgeführt, dass bei seinen Untersuchungen unauffällige neurologische Befunde erhoben worden seien. Die sich aus dem Gutachten von Dr. N. ergebende hohe Frequenz der Schwindelbeschwerden sei nicht nachgewiesen und auch nicht durch eine betriebliche Fehlzeitendokumentation belegte worden. Es sei nicht objektiviert, dass sämtliche Ausfallzeiten auf Schwindelbeschwerden zurückzuführen seien. 19 einzelne Krankheitstage im Jahre 2015 würden auch nicht die vom Kläger angeführten fünfzig und mehr Nächte mit Schwindelbeschwerden belegen. Die kurzen Schwindelattacken ereigneten sich bei ihm aus dem Schlaf heraus, nicht während der Tagesaktivitäten. Das Ausmaß und die Art der Symptomatik, einschließlich der reaktiven und psychovegetativen Komponente, könne nicht mit einem Morbus Menière gleichgesetzt werden. Im Übrigen sähen die versorgungsmedizinischen Grundsätze für Gleichgewichtsstörungen eigene GdB-Werte vor, so dass es eines Vergleiches mit der Menière-Erkrankung nicht bedürfe. Ohnehin sei auch das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 20 weitreichend bewertet. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt seien nicht belegt. Bei der neurologischen Untersuchung sei eine Einschränkung der Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule nicht nachzuweisen gewesen. Dr. N. habe sogar angegeben, dass diese Wirbelsäulenabschnitte frei beweglich gewesen seien. Der Finger-Boden-Abstand habe 5 cm betragen. Das Zeichen nach Schober sei mit 10/17 cm gemessen worden, was einem Normalbefund entspreche. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, welches erst geeignet sei, den GdB zu erhöhen, sei nicht nachgewiesen. Es seien weder eine Schmerztherapie durchgeführt noch entsprechenden Medikamente verordnet worden. Die Beweglichkeit des linken Sprunggelenkes sei nur geringfügig eingeschränkt, weshalb auch insoweit ein Einzel-GdB von 20 sehr großzügig sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft liege beim Kläger keinesfalls vor, auch wenn der Schwindel und die psychovegetativen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 sowie die Funktionsbehinderungen des linken oberen Sprunggelenkes und die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, das chronische Schmerzsyndrom und die muskulären Verspannungen jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet würden. Hieraus lasse sich zwar ein Gesamt-GdB von 40 begründen, nicht aber einen solchen von 50 ableiten.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. August 2016 aufzuheben, soweit er verpflichtet worden ist, den Grad der Behinderung des Klägers mit mehr als 40 festzustellen, und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, jedenfalls nach dem Gutachten von Dr. N. seien ein Gesamt-GdB von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft begründet. Seine Arbeitgeberin habe aktuell bestätigt, dass er 2016 an 51 Tagen und im Folgejahr an 21 Tagen krankheitsbedingt gefehlt habe. Grund für die Fehlzeiten seien seine erheblichen Schwindelbeschwerden gewesen.
Der Berichterstatter hat Dr. H.-B. ergänzend zu den Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Schwindelbeschwerden befragt, worauf von ihr entsprechende Bescheinigungen vorgelegt worden sind.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und am Montag, 10. Oktober 2016 noch fristgerecht (§ 64 Abs. 3 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 124 Abs. 2 SGG), ist begründet. Die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen sind mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage daher teilweise abweisen müssen.
Die Einverständniserklärung des Klägers nach § 124 Abs. 2 SGG, welche nicht ausdrücklich widerrufen worden ist, hat auch mit der Vorlage der Arbeitsbescheinigung der Arbeitgeberin vom 17. Mai 2017 nicht ihre Wirksamkeit verloren. Denn die Prozesslage hat sich dadurch nicht wesentlich geändert. Das ist erst der Fall, wenn die Tatsachen- oder die Rechtsgrundlage eine andere wird (vgl. BSG, Beschluss vom 7. April 2011 - B 9 SB 45/10 B -, juris, Rz. 14; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 124 Rz. 3f m. w. N.). Mit diesem Dokument hat der Kläger demgegenüber lediglich das bei der Begutachtung im erstinstanzlichen Verfahren beschriebene Ausmaß seiner Schwindelerscheinungen weiter zu untermauern versucht.
Gegenstand des vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens sind der Gerichtsbescheid des SG vom 31. August 2016, soweit dieser damit unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet worden ist, beim Kläger einen höheren GdB als 40 ab 29. Januar 2013 festzustellen. Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, a. a. O., § 54 Rz. 34); ohne eine solche nach demjenigen der Entscheidung.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 ab 29. Januar 2013.
Dieser gründet auf § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der aktuellen Fassung durch Art. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX). Von dieser Ermächtigung hat das BMAS Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzel-fall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers ab 29. Januar 2013 mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet sind.
Das Funktionssystem "Ohren" hat ob der Schwindelerscheinungen des Klägers einen Teil-GdB von 10 zur Folge.
Nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 haben Gleichgewichtsstörungen, wobei Normabweichungen in den apparativ erhobenen neurootologischen Untersuchungsbefunden für sich allein noch keinen GdB bedingen, ohne wesentliche Folgen - beschwerdefrei, allenfalls Gefühl der Unsicherheit bei alltäglichen Belastungen (z. B. Gehen, Bücken, Aufrichten, Kopfdrehungen, leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung); leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen (Schwanken) bei höheren Belastungen (z. B. Heben von Lasten, Gehen im Dunkeln, abrupte Körperbewegungen); stärkere Unsicherheit mit Schwindelerscheinungen (Fallneigung, Ziehen nach einer Seite) erst bei außergewöhnlichen Belastungen (z. B. Stehen und Gehen auf Gerüsten, sportliche Übungen mit raschen Körperbewegungen); keine nennenswerten Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen - einen GdB zwischen 0 und 10 zur Folge. Bei leichten Folgen - leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen wie Schwanken, Stolpern, Ausfallschritte bei alltäglichen Belastungen; stärkere Unsicherheit und Schwindelerscheinungen bei höheren Belastungen; leichte Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen erst auf höherer Belastungsstufe - beträgt der GdB 20.
Nach diesen Maßstäben ist bei der von dem sachverständigen Zeugen Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. festgestellten vollständig zentral kompensierten Neuropathie vestibularis und dem intermittierenden Lagerungsschwindel ein höherer Einzel-GdB als 10 nicht begründbar. Ihm gegenüber führte der Kläger maximal zwei Schwindelattacken im Monat an. Die dem Sachverständigen Dr. N. Anfang Oktober 2015 mitgeteilten vier bis fünf monatlichen Schwindelanfälle hält der Senat für übertrieben. Weder nach dem SGG noch nach der Zivilprozessordnung (ZPO) gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, zumal die Schwindelbeschwerden so intensiv sein sollen, dass der Kläger danach ein bis zwei Tage lang nicht arbeiten könne. Dies würde Fehlzeiten von mindestens 48 Arbeitstagen je Kalenderjahr aufgrund dieser Gesundheitsstörung bedeuten. Es ist jedoch weder durch die sachverständige Zeugin Dr. H.-B., insbesondere nicht durch die von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen, noch die Arbeitgeberin bestätigt worden, dass Krankheitstage in dieser Höhe auf die Schwindelbeschwerden zurückzuführen sind. Dr. H.-B. hat für das Jahr 2014 nur zwei drei- und viertägige Ausfallzeiten im September und November bestätigt, für 2015 sogar nur eine dreitägige im April. Für das Jahr 2016 hat die Arbeitgeberin ohnehin nur 26 Krankheitstage mit ärztlichem Attest bestätigt, wobei zwar dargetan, aber nicht belegt worden ist, dass Gleichgewichtsstörungen hierfür ursächlich gewesen sind. Für die anderen Ausfallzeiten in diesem Zeitraum ist ihr bereits kein sachkundiger Nachweis angeführt worden. Im laufenden Jahr waren bislang wiederum nur sechs ärztlich attestierte Ausfalltage angefallen, wohingegen die jeweilige zugrundeliegende Krankheit nicht nachgewiesen worden ist.
Die Annahme von Dr. N., aufgrund einer Analogbewertung zur Menière-Krankheit sei ein GdB von 40 angemessen, hat den Senat auch deshalb nicht überzeugt, da mit den Gleichgewichtsstörungen ein GdB-Schema in den VG enthalten ist, welches den Rückgriff auf ein anderes entbehrlich macht. Das Funktionssystem "Ohren" erreicht danach keinen höheren Teil-GdB als 10.
Das Funktionssystem "Rumpf" erreicht zwar wegen der Bewegungseinschränkungen ob der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, wie sie bereits nach dem stationären Aufenthalt im Reha-Zentrum B. St. von Dr. G. diagnostiziert wurden, des Schmerzsyndroms und der muskulären Verspannungen unter Berücksichtigung der VG, Teil B, Nr. 18.9 einen Teil-GdB von 20, wie er versorgungsärztlich von Dr. G.-F. nachvollziehbar eingestuft worden ist. Die Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenkes führt unter Berücksichtigung der nur geringfügig eingeschränkten Beweglichkeit und in Bezug auf das Funktionssystem "Beine" indes allenfalls zu einem Teil-GdB von 10, wodurch sich der Gesamt-GdB wegen der Regelung in den VG, Teil A, Nr. 3 d ee genauso wenig erhöht wie vorliegend durch das Funktionssystem "Herz-Kreislauf" wegen des Bluthochdruckes. Dieser hat nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 bei leichter Form - keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) - keinen höheren GdB als 10 zur Folge. Die sachverständige Zeugin Dr. H.-B. hat bekundet, dass der Bluthochdruck mit Ramipril, 5 mg, HCT, 25 mg und Bisoprorol, 5 mg eingestellt ist und Werte zwischen 130/80 mmHg und 150 mmHg erreicht worden sind. Dies belegt keinen diastolischen Blutdruck mehrfach über 100 mmHg wie er etwa für die mittelschwere Form Voraussetzung ist.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wonach insbesondere einzelne Teil-GdB-Werte nicht addiert werden dürfen (VG, Teil A, Nr. 3 a), erreicht im Falle des Klägers der Gesamt-GdB seit 29. Januar 2013 bis aktuell keinesfalls 50.
Danach war der angegriffene Gerichtsbescheid auf den beschränkten Antrag des Beklagten hin (§ 123 SGG) insoweit aufzuheben, als dadurch ein GdB von mehr als 40 zugesprochen worden ist. Insoweit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dem Beklagten waren auch im Hinblick auf die erstinstanzliche Verpflichtung zur Feststellung des GdB mit 40 ab 29. Januar 2013 keine Kosten aufzuerlegen. Tritt eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers ein, ist im Rahmen des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG das Veranlassungsprinzip heranzuziehen. Wenn ein Verwaltungsträger der Veränderung unverzüglich Rechnung trägt, ist eine Kostenerstattung in der Regel unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 93 ZPO nicht angezeigt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Juni 2015 - L 2 AS 587/15 B ER u. a. -, juris, Rz. 7; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 193 Rz. 12c). Erst mit Erhebung des Sachverständigenbeweises im Rahmen von § 109 SGG und den dabei gewonnenen medizinischen Erkenntnissen hat sich die Tatsachengrundlage, auch für die Zeit ab Antragstellung im Verwaltungsverfahren, geändert, worauf der Beklagte nach Auswertung durch seinen versorgungsärztlichen Dienst mit einem sachgerechten Vergleichsangebot umgehend reagiert hat. Daher erschien es dem Senat nicht angemessen, dem Beklagten auch nur einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Die auch insoweit fehlerhafte Kostenentscheidung der Vorinstanz konnte geändert werden, da das Verbot der reformatio in peius nicht gilt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2011 - B 2 U 18/10 R -, BSGE 108, 194 (205) m. w. N.). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtete das Prozessgericht zudem nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vor seiner Entscheidung mit den Beteiligten zu erörtern (vgl. BVerfG, Beschlüsse des Ersten Senats vom 25. Januar 1984 - 1 BvR 272/81 -, BVerfGE 66, 116 (147); und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2001 - 2 BvR 1384/99 -, juris, Rz. 7 m. w. N.; BSG, Beschluss vom 25. Februar 2016 - B 9 V 69/15 B -, juris, Rz. 11). Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen Verfahrensbeteiligte grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte und Tatsachenwertungen von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse des Zweiten Senats vom 27. Juli 1971 - 2 BvR 443/70 -, BVerfGE 31, 364 (370) und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 1996 - 2 BvR 2600/95 -, juris, Rz. 22 m. w. N.); vorliegend also auch, dass die Kostengrundentscheidung des SG geändert wird.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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