Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 VG 4165/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1336/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Rücknahme und Nachbewilligung eines höheren Berufsschadensausgleichs nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) über einen Zeitraum von vier Jahren nach der Rücknahme hinaus.
Die 1953 geborene Klägerin hat einen 1981 geborenen Sohn. Sie war bis Ende 1978 als medizinisch-technische Assistentin (MTA) beschäftigt. Im Jahr 1980 ging sie mit dem Deutschen Entwicklungsdienst nach Westafrika. Nach ihrer Rückkehr im Jahr 1982 war sie nach einem Erziehungsurlaub als ärztliche Schreibkraft bzw. MTA beschäftigt. Von Juni 1994 bis Ende 1998 bezog sie Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe, von Anfang 1999 bis August 2000 Sozialhilfe und darauf wieder Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2001 wurde ihr rückwirkend ab April 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt.
Am 14. April 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Sie trug zur Begründung vor, sie leide an schweren Persönlichkeitsstörungen in Folge einer im Juni 1979 durch ihren ehemaligen Ehegatten und dessen Freund erfolgten Vergewaltigung. Nachdem es ihr zunächst gelungen sei, das Erlebte zu verdrängen, habe die am 31. Oktober 1991 erfolgte Operation einer Nasenbeinstückfraktur zu einer psychischen Veränderung geführt. Nach diversen Rechtsstreitigkeiten wurden vom Beklagten als Schädigungsfolge eine posttraumatische Belastungsstörung ab 1. April 1996 und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (v. H.) festgestellt (Bescheid vom 11. November 2002) sowie eine Rente nach dem OEG bewilligt. Wegen besonderer beruflicher Betroffenheit wurde die MdE später auf 60 v. H. ab 1. April 1996 erhöht und die Versorgungsbezüge dementsprechend neu berechnet (Bescheid vom 26. Mai 2003). Wiederholte (Überprüfungs-) Anträge auf Bewilligung der Versorgungsrente bereits ab Juni 1979 und eine Erhöhung der MdE bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) blieben auch in Klage- und Berufungsverfahren letztlich erfolglos (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 17. November 2016 - L 6 VG 121/14 -, nicht veröffentlicht).
Mit Bescheid vom 28. Mai 2003 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. April 1996 einen Berufsschadensausgleich nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 30 Abs. 3 BVG entsprechend der Einstufung "Angestellte mit den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe VI b", weil sie ihren erlernten Beruf als MTA habe aufgeben müssen, wodurch ihr Einkommen gemindert sei. Ursächlich hierfür seien zumindest annähernd gleichwertig die anerkannten Schädigungsfolgen. Aufgrund ihres Fortbildungsstrebens, welches sie trotz der Schädigungsfolgen bewiesen habe – auch wenn dieses ihr bei der beruflichen Wiedereingliederung nicht wirklich weitergeholfen habe, da ihr die Ausübung des Berufs einfach nicht möglich gewesen sei – sei es gerechtfertigt, der Berechnung des Berufsschadensausgleichs das Vergleichseinkommen zugrunde zu legen, das dem Höchstbetrag der Grundvergütung in der Vergütungsgruppe VI b für Angestellte des Bundes nach der geltenden Tarifregelung zuzüglich Ortszuschlag Stufe 2 sowie tariflicher Zulage entspreche. Diesen Bescheid führte der Beklagte mit gesondertem Bescheid vom 23. Juli 2003 aus. Darin hob er seine vorangegangenen Bewilligungsentscheidungen nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte die Höhe der Versorgungsbezüge neu unter Berücksichtigung des bewilligten Berufsschadensausgleichs fest.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2014 nahm der Beklagte den Bescheid vom 23. Juli 2003 mit Wirkung ab 1. Januar 2010 insoweit zurück, als die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs unzutreffenderweise berücksichtigt worden seien und entschied neu, dass bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs eine Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ohne die auf den Erziehungszeiten beruhenden Rentenanteile erfolge. Die Versorgungsbezüge würden neu berechnet werden. Der Bescheid vom 23. Juli 2003 sei nach § 44 SGB X zurückzunehmen, weil bei der bisherigen Feststellung des Berufsschadensausgleichs die Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteilen unterblieben sei. Die Leistungen seien mit Wirkung vom 1. Januar 2010 an zu gewähren, also für den Vierjahreszeitraum nach § 44 Abs. 4 SGB X, gerechnet vom Beginn des Jahres an, in dem der Bescheid zurückgenommen worden sei.
Den dagegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin eine "weitere Rückreichung" begehrte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 zurück. Zutreffend sei entschieden worden, dass beim Berufsschadensausgleich eine Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Ausnahme der auf Kindererziehung beruhenden Rentenanteilen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2 Berufsschadensausgleichsverordnung in der Fassung vom 1. Juli 2011) vorzunehmen sei. Die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit bedeute aber nicht zugleich, dass Sozialleistungen in voller zeitlicher Rückwirkung zu zahlen seien. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X würden die Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahre vor der Rücknahme erbracht. Auch bei zeitlich weitergehender Rechtswidrigkeit dürften Sozialleistungen nicht über den Vierjahreszeitraum hinaus erbracht werden. Eine Ausweitung dieser Frist sei nicht vorgesehen. Es handele sich vielmehr um eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung, die von der Verwaltung von Amts wegen zu beachten sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 5. Dezember 2016 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2017 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die maßgebliche Norm § 44 SGB X sei, über deren Wortlaut hinaus auch in den Fällen, in denen aufgrund der Frist kein Anspruch auf rückwirkende Leistungen mehr bestehe, der Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts und auch das Recht zur Aufhebung seitens der Behörde ausgeschlossen sei. Nach diesem Maßstab sei gemäß § 44 Abs. 4 SGB X eine Rücknahme längstens für die Zeit ab 1. Januar 2010 möglich.
Gegen die ihr am 3. März 2017 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 3. April 2017 Berufung beim SG eingelegt. Im Wesentlichen trägt die Klägerin vor, dass sie die Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteilen bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs rückwirkend über vier Jahre hinaus begehre. Die strikte zeitliche Grenze in § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X werde im sozialen Entschädigungsrecht durch den auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abstellenden § 60 Abs. 1 und Abs. 2 BVG verdrängt. Die korrigierte Berechnung sei daher ab Leistungsgewährung vorzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2017 und den Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 23. Juli 2003 zurückzunehmen und den Berufsschadensausgleich ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen ab 1. April 1996 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, dass die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X absolut sei und ihre Geltendmachung nicht im Ermessen der Verwaltung stehe. Aufgrund der noch Ende 2014 erfolgten Rücknahme von Amts wegen würden Leistungen längstens für bis zu vier Jahre rückwirkend erbracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht beim SG eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 28. Februar 2017, mit dem die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m.w.N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 23. Juli 2003 und Gewährung des Berufsschadensausgleiches ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen vom 1. April 1996 bis 31. Dezember 2009 verfolgt hat, abgewiesen wurde.
Die Berufung ist bereits mangels Zulässigkeit der Klage unbegründet. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 hat der Beklagte lediglich den Bescheid vom 23. Juli 2003 teilweise zurückgenommen und für die Zeit ab 1. Januar 2010 eine Regelung getroffen. Eine negative Feststellung für die Zeit davor hat er nicht vorgenommen. Damit liegen die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Klagebegehren, welches auf die Gewährung des Berufsschadensausgleiches ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen vom 1. April 1996 bis 31. Dezember 2009 abzielt, nicht vor. Die Klägerin ist insoweit, bezogen auf die gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 gerichtete Anfechtungsklage, nicht klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Es reicht zwar aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und Rechtsschutzsuchende die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstreben, von der sie behaupten, sie sei nicht rechtmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SGB 2/06 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 5, Rz. 18). An der Klagebefugnis fehlt es demgegenüber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 19/01 R -, BSGE 90, 127 (130)), weil hinsichtlich des Klagebegehrens keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vorliegt (BSG, Urteil vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R -, juris, Rz. 12). Solange der zuständige Verwaltungsträger nicht über einen solchen Anspruch entschieden hat, können Betroffene, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 SGG), welche vorliegend mangels eines entsprechenden ausdrücklichen Begehrens im Verwaltungsverfahren nicht ersichtlich ist, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie eine "weitere Rückreichung" nur andeutete, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 zurückgewiesen, ohne dass in einem Verfügungssatz eine Ablehnung des Antrags auf Rücknahme und Nachzahlung für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 31. Dezember 2009 erfolgt ist, weshalb dahinstehen kann, ob die Widerspruchsbehörde als solche hierzu wegen § 2 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) überhaupt befugt wäre. Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten Verpflichtungs- und Leistungsklage nach sich.
Die Klage wäre darüber hinaus auch unbegründet. Denn der Beklagte hat die Rücknahme des Bescheides vom 23. Juli 2003 zu Recht auf die Zeit bis zum 1. Januar 2010 begrenzt.
Grundlage hierfür ist der im Opferentschädigungsrecht gemäß § 37 Satz 1 i.V.m. § 68 Nr. 7 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) anzuwendende § 44 SGB X. Soweit sich danach im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Dass der Beklagte den Bescheid von 23. Juli 2003 nach § 44 SGB X abgeändert hat, diente der Herstellung materieller Gerechtigkeit, da zu Ungunsten der Klägerin bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs auch Rentenanteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt worden waren, soweit sie auf Kindererziehungszeiten beruhten. Diese sind jedoch bei der Ermittlung des schädigungsbedingten Einkommensverlustes nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 Berufsschadensausgleichverordnung nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - B 9 V 3/02 R -, SozR 4-3100 § 30 Nr. 1).
Der Anspruch auf Nachzahlung gilt jedoch nicht ohne jede zeitliche Begrenzung, sondern wird durch § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf einen Zeitraum von längstens bis zu vier Jahre vor der Rücknahme beschränkt. Leitend dafür ist, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unter-haltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachzuzahlen sein sollen (Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rz. 28 unter Bezug auf BT-Drucks. 8/2034, S. 34). Bewirkt wird durch die Regelung eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung (Hofe, SGb 1986, 16). Sie ist von Amts wegen zu beachten und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BSG, Urteile vom 23. Februar 2017 - B 4 AS 57/15 R -, juris, Rz. 30; vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 37/15 R -, juris, Rz. 17 und vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 -, SozR 1300 § 44 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig, auf die im Jahr 2014 verfügte Rücknahme hin lediglich für vier Jahre von Beginn dieses Jahres an zurück, also bis zum 1. Januar 2010, den Berufsschadensausgleich neu zu berechnen.
Die strikte zeitliche Grenze des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird in diesem Fall zudem entgegen dem klägerischen Vortrag nicht durch den auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abstellenden § 60 Abs. 1 und 2 BVG verdrängt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt Beschädigtenversorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Diese Bestimmung gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BVG entsprechend, wenn eine höhere Leistung beantragt wird; war der Beschädigte jedoch ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so beginnt die höhere Leistung mit dem Monat, von dem an die Verhinderung nachgewiesen ist, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird.
Das BSG hat insoweit entschieden, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine spezielle Regelung des Beginns höherer Leistungen handelt, der ein von § 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X deutlich abweichendes Konzept zugrunde liegt. Während § 44 Abs. 4 SGB X einer nachträglichen Leistungserbringung – ohne weitere Voraussetzungen – eine strikte zeitliche Grenze setzt, stellt § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG – ähnlich den Vorschriften über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 27 SGB X, § 67 SGG) – auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen ab (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R -, juris, Rz. 61). Dieser Entscheidung des BSG liegt allerdings ein Sachverhalt zugrunde, in dem auf Antrag des Beschädigten nicht nur ein Überprüfungsbegehren nach § 44 SGB X streitgegenständlich, sondern der Antrag auch als Neufeststellungsbegehren im Sinne des § 48 SGB X auszulegen war (BSG, a.a.O., Rz. 59). Nur im Rahmen der wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X hat das BSG § 60 Abs. 2 BVG einen entsprechenden Vorrang zuerkannt, obwohl § 44 Abs. 4 SGB X durch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X an sich entsprechend anwendbar ist (BSG, a.a.O., Rz. 61).
Im vorliegenden Fall hat jedoch der Beklagte von Amts wegen eine Entscheidung allein nach § 44 SGB X getroffen. § 48 SGB X ist schon mangels Eintritt einer wesentlichen Änderung nicht anwendbar. Die nunmehrige Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenversicherungsanteilen vollzieht allein eine Korrektur eines Rechtsanwendungsfehlers, ohne dass in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 23. Juli 2003 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Rücknahme und Nachbewilligung eines höheren Berufsschadensausgleichs nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) über einen Zeitraum von vier Jahren nach der Rücknahme hinaus.
Die 1953 geborene Klägerin hat einen 1981 geborenen Sohn. Sie war bis Ende 1978 als medizinisch-technische Assistentin (MTA) beschäftigt. Im Jahr 1980 ging sie mit dem Deutschen Entwicklungsdienst nach Westafrika. Nach ihrer Rückkehr im Jahr 1982 war sie nach einem Erziehungsurlaub als ärztliche Schreibkraft bzw. MTA beschäftigt. Von Juni 1994 bis Ende 1998 bezog sie Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe, von Anfang 1999 bis August 2000 Sozialhilfe und darauf wieder Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2001 wurde ihr rückwirkend ab April 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt.
Am 14. April 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Sie trug zur Begründung vor, sie leide an schweren Persönlichkeitsstörungen in Folge einer im Juni 1979 durch ihren ehemaligen Ehegatten und dessen Freund erfolgten Vergewaltigung. Nachdem es ihr zunächst gelungen sei, das Erlebte zu verdrängen, habe die am 31. Oktober 1991 erfolgte Operation einer Nasenbeinstückfraktur zu einer psychischen Veränderung geführt. Nach diversen Rechtsstreitigkeiten wurden vom Beklagten als Schädigungsfolge eine posttraumatische Belastungsstörung ab 1. April 1996 und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (v. H.) festgestellt (Bescheid vom 11. November 2002) sowie eine Rente nach dem OEG bewilligt. Wegen besonderer beruflicher Betroffenheit wurde die MdE später auf 60 v. H. ab 1. April 1996 erhöht und die Versorgungsbezüge dementsprechend neu berechnet (Bescheid vom 26. Mai 2003). Wiederholte (Überprüfungs-) Anträge auf Bewilligung der Versorgungsrente bereits ab Juni 1979 und eine Erhöhung der MdE bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) blieben auch in Klage- und Berufungsverfahren letztlich erfolglos (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 17. November 2016 - L 6 VG 121/14 -, nicht veröffentlicht).
Mit Bescheid vom 28. Mai 2003 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. April 1996 einen Berufsschadensausgleich nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 30 Abs. 3 BVG entsprechend der Einstufung "Angestellte mit den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe VI b", weil sie ihren erlernten Beruf als MTA habe aufgeben müssen, wodurch ihr Einkommen gemindert sei. Ursächlich hierfür seien zumindest annähernd gleichwertig die anerkannten Schädigungsfolgen. Aufgrund ihres Fortbildungsstrebens, welches sie trotz der Schädigungsfolgen bewiesen habe – auch wenn dieses ihr bei der beruflichen Wiedereingliederung nicht wirklich weitergeholfen habe, da ihr die Ausübung des Berufs einfach nicht möglich gewesen sei – sei es gerechtfertigt, der Berechnung des Berufsschadensausgleichs das Vergleichseinkommen zugrunde zu legen, das dem Höchstbetrag der Grundvergütung in der Vergütungsgruppe VI b für Angestellte des Bundes nach der geltenden Tarifregelung zuzüglich Ortszuschlag Stufe 2 sowie tariflicher Zulage entspreche. Diesen Bescheid führte der Beklagte mit gesondertem Bescheid vom 23. Juli 2003 aus. Darin hob er seine vorangegangenen Bewilligungsentscheidungen nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte die Höhe der Versorgungsbezüge neu unter Berücksichtigung des bewilligten Berufsschadensausgleichs fest.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2014 nahm der Beklagte den Bescheid vom 23. Juli 2003 mit Wirkung ab 1. Januar 2010 insoweit zurück, als die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs unzutreffenderweise berücksichtigt worden seien und entschied neu, dass bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs eine Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ohne die auf den Erziehungszeiten beruhenden Rentenanteile erfolge. Die Versorgungsbezüge würden neu berechnet werden. Der Bescheid vom 23. Juli 2003 sei nach § 44 SGB X zurückzunehmen, weil bei der bisherigen Feststellung des Berufsschadensausgleichs die Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteilen unterblieben sei. Die Leistungen seien mit Wirkung vom 1. Januar 2010 an zu gewähren, also für den Vierjahreszeitraum nach § 44 Abs. 4 SGB X, gerechnet vom Beginn des Jahres an, in dem der Bescheid zurückgenommen worden sei.
Den dagegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin eine "weitere Rückreichung" begehrte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 zurück. Zutreffend sei entschieden worden, dass beim Berufsschadensausgleich eine Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Ausnahme der auf Kindererziehung beruhenden Rentenanteilen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2 Berufsschadensausgleichsverordnung in der Fassung vom 1. Juli 2011) vorzunehmen sei. Die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit bedeute aber nicht zugleich, dass Sozialleistungen in voller zeitlicher Rückwirkung zu zahlen seien. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X würden die Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahre vor der Rücknahme erbracht. Auch bei zeitlich weitergehender Rechtswidrigkeit dürften Sozialleistungen nicht über den Vierjahreszeitraum hinaus erbracht werden. Eine Ausweitung dieser Frist sei nicht vorgesehen. Es handele sich vielmehr um eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung, die von der Verwaltung von Amts wegen zu beachten sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 5. Dezember 2016 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2017 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die maßgebliche Norm § 44 SGB X sei, über deren Wortlaut hinaus auch in den Fällen, in denen aufgrund der Frist kein Anspruch auf rückwirkende Leistungen mehr bestehe, der Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts und auch das Recht zur Aufhebung seitens der Behörde ausgeschlossen sei. Nach diesem Maßstab sei gemäß § 44 Abs. 4 SGB X eine Rücknahme längstens für die Zeit ab 1. Januar 2010 möglich.
Gegen die ihr am 3. März 2017 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 3. April 2017 Berufung beim SG eingelegt. Im Wesentlichen trägt die Klägerin vor, dass sie die Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenanteilen bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs rückwirkend über vier Jahre hinaus begehre. Die strikte zeitliche Grenze in § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X werde im sozialen Entschädigungsrecht durch den auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abstellenden § 60 Abs. 1 und Abs. 2 BVG verdrängt. Die korrigierte Berechnung sei daher ab Leistungsgewährung vorzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2017 und den Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 23. Juli 2003 zurückzunehmen und den Berufsschadensausgleich ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen ab 1. April 1996 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, dass die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X absolut sei und ihre Geltendmachung nicht im Ermessen der Verwaltung stehe. Aufgrund der noch Ende 2014 erfolgten Rücknahme von Amts wegen würden Leistungen längstens für bis zu vier Jahre rückwirkend erbracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht beim SG eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 28. Februar 2017, mit dem die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m.w.N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 23. Juli 2003 und Gewährung des Berufsschadensausgleiches ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen vom 1. April 1996 bis 31. Dezember 2009 verfolgt hat, abgewiesen wurde.
Die Berufung ist bereits mangels Zulässigkeit der Klage unbegründet. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 hat der Beklagte lediglich den Bescheid vom 23. Juli 2003 teilweise zurückgenommen und für die Zeit ab 1. Januar 2010 eine Regelung getroffen. Eine negative Feststellung für die Zeit davor hat er nicht vorgenommen. Damit liegen die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Klagebegehren, welches auf die Gewährung des Berufsschadensausgleiches ohne Berücksichtigung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteile der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Einkommen vom 1. April 1996 bis 31. Dezember 2009 abzielt, nicht vor. Die Klägerin ist insoweit, bezogen auf die gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 gerichtete Anfechtungsklage, nicht klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Es reicht zwar aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und Rechtsschutzsuchende die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstreben, von der sie behaupten, sie sei nicht rechtmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SGB 2/06 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 5, Rz. 18). An der Klagebefugnis fehlt es demgegenüber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 19/01 R -, BSGE 90, 127 (130)), weil hinsichtlich des Klagebegehrens keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vorliegt (BSG, Urteil vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R -, juris, Rz. 12). Solange der zuständige Verwaltungsträger nicht über einen solchen Anspruch entschieden hat, können Betroffene, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 SGG), welche vorliegend mangels eines entsprechenden ausdrücklichen Begehrens im Verwaltungsverfahren nicht ersichtlich ist, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie eine "weitere Rückreichung" nur andeutete, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 zurückgewiesen, ohne dass in einem Verfügungssatz eine Ablehnung des Antrags auf Rücknahme und Nachzahlung für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 31. Dezember 2009 erfolgt ist, weshalb dahinstehen kann, ob die Widerspruchsbehörde als solche hierzu wegen § 2 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) überhaupt befugt wäre. Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten Verpflichtungs- und Leistungsklage nach sich.
Die Klage wäre darüber hinaus auch unbegründet. Denn der Beklagte hat die Rücknahme des Bescheides vom 23. Juli 2003 zu Recht auf die Zeit bis zum 1. Januar 2010 begrenzt.
Grundlage hierfür ist der im Opferentschädigungsrecht gemäß § 37 Satz 1 i.V.m. § 68 Nr. 7 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) anzuwendende § 44 SGB X. Soweit sich danach im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Dass der Beklagte den Bescheid von 23. Juli 2003 nach § 44 SGB X abgeändert hat, diente der Herstellung materieller Gerechtigkeit, da zu Ungunsten der Klägerin bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs auch Rentenanteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt worden waren, soweit sie auf Kindererziehungszeiten beruhten. Diese sind jedoch bei der Ermittlung des schädigungsbedingten Einkommensverlustes nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 Berufsschadensausgleichverordnung nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - B 9 V 3/02 R -, SozR 4-3100 § 30 Nr. 1).
Der Anspruch auf Nachzahlung gilt jedoch nicht ohne jede zeitliche Begrenzung, sondern wird durch § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf einen Zeitraum von längstens bis zu vier Jahre vor der Rücknahme beschränkt. Leitend dafür ist, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unter-haltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachzuzahlen sein sollen (Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rz. 28 unter Bezug auf BT-Drucks. 8/2034, S. 34). Bewirkt wird durch die Regelung eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung (Hofe, SGb 1986, 16). Sie ist von Amts wegen zu beachten und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BSG, Urteile vom 23. Februar 2017 - B 4 AS 57/15 R -, juris, Rz. 30; vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 37/15 R -, juris, Rz. 17 und vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 -, SozR 1300 § 44 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig, auf die im Jahr 2014 verfügte Rücknahme hin lediglich für vier Jahre von Beginn dieses Jahres an zurück, also bis zum 1. Januar 2010, den Berufsschadensausgleich neu zu berechnen.
Die strikte zeitliche Grenze des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird in diesem Fall zudem entgegen dem klägerischen Vortrag nicht durch den auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abstellenden § 60 Abs. 1 und 2 BVG verdrängt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt Beschädigtenversorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Diese Bestimmung gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BVG entsprechend, wenn eine höhere Leistung beantragt wird; war der Beschädigte jedoch ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so beginnt die höhere Leistung mit dem Monat, von dem an die Verhinderung nachgewiesen ist, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird.
Das BSG hat insoweit entschieden, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine spezielle Regelung des Beginns höherer Leistungen handelt, der ein von § 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X deutlich abweichendes Konzept zugrunde liegt. Während § 44 Abs. 4 SGB X einer nachträglichen Leistungserbringung – ohne weitere Voraussetzungen – eine strikte zeitliche Grenze setzt, stellt § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG – ähnlich den Vorschriften über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 27 SGB X, § 67 SGG) – auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen ab (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R -, juris, Rz. 61). Dieser Entscheidung des BSG liegt allerdings ein Sachverhalt zugrunde, in dem auf Antrag des Beschädigten nicht nur ein Überprüfungsbegehren nach § 44 SGB X streitgegenständlich, sondern der Antrag auch als Neufeststellungsbegehren im Sinne des § 48 SGB X auszulegen war (BSG, a.a.O., Rz. 59). Nur im Rahmen der wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X hat das BSG § 60 Abs. 2 BVG einen entsprechenden Vorrang zuerkannt, obwohl § 44 Abs. 4 SGB X durch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X an sich entsprechend anwendbar ist (BSG, a.a.O., Rz. 61).
Im vorliegenden Fall hat jedoch der Beklagte von Amts wegen eine Entscheidung allein nach § 44 SGB X getroffen. § 48 SGB X ist schon mangels Eintritt einer wesentlichen Änderung nicht anwendbar. Die nunmehrige Nichtberücksichtigung von auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenversicherungsanteilen vollzieht allein eine Korrektur eines Rechtsanwendungsfehlers, ohne dass in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 23. Juli 2003 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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