L 7 AY 2691/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 514/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 2691/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer und zum Ausschluss von Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG durch "Untertauchen".
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung von sogenannten Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstatt von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG rückwirkend ab Februar 2007.

Der Kläger, der in der Vergangenheit auch unter dem Namen A. D. aus Rom aufgetreten ist, ist nach eigenen Angaben 1966 geboren und Staatsangehöriger der Republik Libyen. Er ist zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 13. Juli 1996 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und seitdem wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er ist von den Amtsgerichten Crailsheim und Stuttgart sowie auf Grund von Strafbefehlen der Staatsanwaltschaft Ulm wiederholt zu Geldstrafen, unter anderem wegen Sachbeschädigung, gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Erstmals verurteilt wurde er am 13. Juli 1996 vom Amtsgericht Crailsheim wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.

Einen ersten Asylantrag stellte der Kläger am 27. August 1996, der abgelehnt wurde; diese Ablehnung wurde am 14. Oktober 1997 bestandskräftig. Seitdem ist die Abschiebeandrohung vollziehbar. Ein Asylfolgeantrag aus dem Jahr 1998 wurde ebenfalls abgelehnt; diese Ablehnung wurde am 5. Februar 1999 bestandskräftig.

Am 20. November 1996 wurde der Kläger im Rahmen des ersten Asylverfahrens von der Bezirksstelle G. in die staatliche Sammelunterkunft für Asylbewerber C. überstellt und damit in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten, von dem er wiederholt Leistungen erhielt. Unter anderem vom 7. bis 15. April 1997, vom 12. Mai bis 3. Juni 1997, vom 21. August bis 16. Oktober 1997, vom 19. Dezember 1997 bis zum 10. Dezember 1998 sowie vom 3. Januar 2000 bis zum 29. November 2001 war der Aufenthalt des Klägers unbekannt. Am 29. November 2001 wurde er festgenommen. Vom 29. Dezember 2001 bis zum 25. Januar 2002 befand er sich in Strafhaft zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen.

Nachdem der Kläger bereits zuvor wiederholt Leistungen der Beklagten erhalten hatte, erhält er seit dem 30. Januar 2002 Leistungen des Beklagten nach §§ 3-7 AsylbLG (ursprünglich Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2002). So bewilligte der Beklagte dem Kläger unter anderem mit Bescheid vom 26. Juli 2005 Leistungen ab dem 1. November 2004 und mit Bescheid vom 19. Dezember 2007 ab dem 1. Januar 2008.

Am 28. Februar 2011 beantragte der Kläger, ihm ab Februar 2007 den vollen Eckregelsatz zu bewilligen und dementsprechend nachzuzahlen sowie fortlaufend 359,00 EUR monatlich auszubezahlen. Da er seit 2002 durchgehend Geldleistungen erhalte, stehe ihm der Regelsatz nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu.

Der Beklagte lehnte den Antrag vom 28. Februar 2011 mit Bescheid vom 21. Oktober 2011 ab. Zwar sei die zeitliche Voraussetzung des § 2 Abs. 1 AsylbLG mit einer Mindestdauer von 48 Monaten bereits seit dem 1. Februar 2006 erfüllt. Der Kläger habe aber den Tatbestand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dadurch erfüllt, dass er wiederholt untergetaucht sei und sich dadurch bewusst und vorsätzlich dem Zugriff der zuständigen Behörden entzogen habe. Durch die zum Teil sehr langen Abwesenheitszeiten von einem Jahr (1997 bis 1998) und fast zwei Jahren (2000 bis 2002) habe er die Dauer seines Gesamtaufenthaltes im Bundesgebiet bewusst erheblich und vorwerfbar, da gesetzeswidrig, verlängert. Er habe den von der zuständigen Behörde bestimmten Aufenthaltsort verlassen, ohne diese davon zu unterrichten oder eine entsprechende Genehmigung erhalten zu haben. Das Verschwinden ohne Kenntnis oder Erlaubnis der Ausländerbehörde für solch lange Zeiträume stelle eine erhebliche Pflichtverletzung im Rahmen des Asylverfahrens dar, die nach der Richtlinie 2003/9/EG (des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten) dadurch sanktioniert werden könne, dass die im Rahmen der Aufnahmebedingungen als Asylbewerber gewährten Vorteile eingeschränkt oder entzogen werden könnten. Das ihm vorzuwerfende rechtswidrige Verhalten habe erkennbar der Verfahrensverzögerung und damit der Aufenthaltsverlängerung gedient. Es falle zudem auf, dass die erste längere Abwesenheit im Zeitraum vom 19. Dezember 1997 bis 28. Dezember 1998 fast unmittelbar nach Rechtskraft der Ablehnung des ersten Asylantrages vom 14. Oktober 1997 erfolgt sei. Die zweite längere Abwesenheit im Zeitraum vom 3. Januar 2000 bis 29. November 2001 sei auf die rechtskräftige Ablehnung des Folgeantrages am 5. Februar 1999 hin erfolgt. Der Kläger habe durch die wiederholte unerlaubte Abwesenheit in nicht unerheblichem Umfang entsprechende Maßnahmen der zuständigen Behörden zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder zumindest massiv behindert. Dieser Pflichtverletzung komme deshalb das im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Verhältnis zu den Folgen der Pflichtverletzung geforderte erhebliche Gewicht zu. Gemäß Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2003/9/EG könnten die Mitgliedstaaten die im Rahmen der Aufenthaltsbedingungen gewährten Vorteile außerdem auch verweigern, wenn ein Asylbewerber keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass der Asylantrag so bald wie möglich nach der Ankunft in diesem Mitgliedstaat gestellt worden sei. Der Kläger habe erst am 27. August 1996 einen Asylantrag gestellt, obwohl er sich nachweislich bereits vorher in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Wenn man davon ausgehe, dass dem Gerichtsverfahren beim Amtsgericht Crailsheim und dem dortigen Urteil vom 13. Juli 1996 noch Ermittlungen etc. vorausgegangen seien und nicht unmittelbar nach Begehen der entsprechenden Straftat das Urteil gefällt worden sei, habe er schon damals seine Pflicht nicht erfüllt, sobald wie möglich nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag zu stellen. Auch diesen Ausschlussgrund für die Gewährung von Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erfülle der Kläger somit. Unabhängig davon käme eine rückwirkende Gewährung von Analogleistungen ab Februar 2007 nicht mehr in Betracht, da gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 116a SGB XII in Verbindung mit § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bei Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes an die Stelle des Zeitraums von vier Jahren nur noch ein Zeitraum von einem Jahr trete.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 7. November 2011 Widerspruch. Er habe sich vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erfolgreich gegen unzumutbare Mitwirkungsmaßnahmen zur Identitätsfeststellung durch das Regierungspräsidium K. gewehrt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sei auf Grund der Verhältnisse in Libyen eine Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bereits denklogisch ausgeschlossen. Zum anderen sei es erstaunlich, dass ein im Jahr 2002 abgeschlossener Vorgang zur Begründung der Verweigerung von Analogleistungen herangezogen werde. Es bestehe keine Fortwirkung bis heute. Eine im Jahr 2002 festgestellte Ortsabwesenheit könne nicht für den heutigen Aufenthalt ursächlich sein. Er halte sich seit 2002 durchgehend geduldet auf. Eine Verpflichtung zur rechtzeitigen Asylantragstellung kenne das Gesetz im Übrigen nicht.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2012 zurück. Er verwies auf die Begründung des Bescheides vom 21. Oktober 2011. Ergänzend führte er aus, dass im angefochtenen Bescheid die beantragten Analogleistungen ab Februar 2007 abgelehnt worden seien, somit also höhere Leistungen sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft. Die beantragten Analogleistungen seien nicht mit der Begründung abgelehnt worden, der Kläger habe unzumutbare Mitwirkungsmaßnahmen bei der Identitätsfeststellung unterlassen, die Ablehnung stütze sich auf der Tatbestandsseite vielmehr darauf, dass er insgesamt über zwei Jahre untergetaucht gewesen sei. Somit sei es unerheblich, ob er sich vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegenüber vom Regierungspräsidium K. geforderten Mitwirkungsmaßnahmen zur Identitätsfeststellung erfolgreich gewehrt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es zudem bei der Beurteilung der Frage rechtmissbräuchlichen Verhaltens auf eine generell-abstrakte Betrachtungsweise an. Das Untertauchen eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers sei typischerweise dazu geeignet, die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen, weil während dieser Zeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden könnten. In der fraglichen Zeit (bis zum Jahr 2002) seien Abschiebungen nach Libyen im Übrigen auch grundsätzlich möglich gewesen. Bei generell-abstrakter Betrachtungsweise sei also sein mehrmaliges Untertauchen dazu geeignet und könne Ursache dafür gewesen sein, dass eine Aufenthaltsbeendigung damals nicht möglich gewesen sei und er sich noch heute in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Die im Widerspruch aufgestellte Behauptung, Recht und Gesetz würden keine Verpflichtung zur alsbaldigen Asylantragstellung kennen, sei durch § 16 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) widerlegt, in welchem europarechtskonform bestimmt werde, dass ein Ausländer an der Grenze um Asyl nachzusuchen, im Falle der unerlaubten Einreise sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen habe.

Hiergegen hat der Kläger am 14. Februar 2012 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Als er von Italien nach Deutschland gekommen sei, habe er einen Asylantrag gestellt. Die Richtlinie 2003/9/EG habe zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zum Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland noch gar nicht gegolten. Ausgehend von den vom BSG aufgestellten Kriterien sei nicht nachvollziehbar, dass ein in den Jahren 1997 bis 1998 und 2000 bis 2002 vorliegendes Fehlverhalten, also konkret sein Untertauchen, die Begründung dafür sein könne, weshalb über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren bis heute keine Analogleistungen erbracht würden. Im Übrigen sei er abgetaucht, um sich der Strafvollstreckung zu entziehen. Es habe kein vorsätzliches Verhalten im Hinblick auf die Verlängerung der Aufenthaltsdauer vorgelegen. Sein Verhalten im Hinblick auf die ausländerrechtliche Situation stelle sich lediglich als Reflex der Entziehung vor der Strafvollstreckung dar. Letztlich habe er sich der Strafvollstreckung dann gestellt und sei bis Anfang 2002 inhaftiert gewesen. Danach seien keine wesentlichen Aufenthaltsverstöße bekannt, die den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen könnten. Dies zeige schon bereits im Rückblick, warum er abgetaucht sei. Eine Sozialwidrigkeit, die den Ausschluss von Analogleistungen rechtfertigen würde, sei nicht erkennbar. Es liege gerade kein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches sozialwidriges Verhalten vor; dass die Entziehung vor der Strafverfolgung auch eine ausländerrechtliche Komponente habe, sei ihm nicht bewusst gewesen. Er habe lediglich nicht ins Gefängnis gewollt. Er sei wiederholt bei der libyschen Botschaft vorgestellt worden, die ihm jedoch die Ausstellung entsprechender Papiere verweigert habe. Wegen Passlosigkeit, die ihm nicht vorgeworfen werden könne, sei daher sowieso über ein Jahrzehnt lang die Abschiebung nicht möglich gewesen. Es liege daher ein Ausnahmefall von der typisierenden Betrachtungsweise vor. Sodann gebe es nochmals eine wesentliche Zäsur. Mit Verfügung vom 26. November 2010 habe das Regierungspräsidium K. die Vorsprache bei der libyschen Botschaft angeordnet, er habe hiergegen Klage erhoben beim Verwaltungsgericht Stuttgart. In diesem Verfahren habe das Regierungspräsidium anerkannt, dass eine unwirksame Passverfügung vorliege. In diesem Zusammenhang habe er sich auf die UNHCR-Empfehlung vom 25. Februar 2011 betreffend Libyen bezogen, dass libyschen Staatsangehörigen bis zur Herstellung ihres individuell angemessenen Schutzstatus und die Identifikation adäquater Lösungen vorübergehend Schutz gewährt werden sollte. Spätestens seit dem 25. Februar 2011 sei ihm aus einem weiteren, ihm nicht vorwerfbaren Zusammenhang eine Rückkehr nach Libyen unmöglich, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt Analogleistungen zu gewähren seien. Nach wie vor bestehe mit dem libyschen Staat, so er denn fortexistiere, kein Abschiebeabkommen; die Situation in Libyen sei nach wie vor chaotisch. Er habe keinerlei Handhabe, nachdem er seit mehr als 25 Jahren nicht mehr in Libyen gewesen sei und dort auch keine Bezugspersonen mehr kontaktieren könne. Spätestens seit Februar 2011 beruhe sein Aufenthalt in Deutschland auf einer atypischen Situation, so dass ihm keineswegs mehr Rechtsmissbräuchlichkeit entgegengehalten werden könne.

Der Beklagte ist der Klage unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden entgegengetreten. Zwar sei die Richtlinie 2003/9/EG zum Zeitpunkt der Einreise noch nicht in Kraft getreten. Dennoch könne sie für die Beurteilung von negativem Verhalten von Asylbewerbern herangezogen werden, welche die Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahmegenehmigung gewährten Vorteile zur Folge habe. Unabhängig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie habe bereits zum Zeitpunkt der Einreise des Klägers (vermutlich im Jahr 1996) gemäß § 13 Abs. 3 AsylVfG die Verpflichtung für Ausländer bestanden, sich im Falle der unerlaubten Einreise unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen oder für den Fall, dass der Ausländer nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere sei, an der Grenze um Asyl nachzusuchen. § 13 Abs. 3 AsylVfG sei bereits seit 1993 in Kraft. Im Widerspruchsbescheid sei insoweit versehentlich § 16 Abs. 3 AsylVfG zitiert worden.

Der Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 9. August 2012 Leistungen ab August 2012, mit Bescheid vom 22. November 2012 Leistungen ab Januar 2013, mit Bescheid vom 11. Dezember 2013 Leistungen ab Januar 2014 und mit Bescheid vom 29. Dezember 2014 Leistungen für Januar und Februar 2015 nach §§ 3 bis 7 AsylbLG gewährt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. Mai 2015 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Analogleistungen, denn er habe die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Sein Verhalten sei bereits seit Beginn seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland als missbräuchlich anzusehen, da er nicht unverzüglich einen Asylantrag gestellt habe, sondern erst nachdem er von einem Gericht wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht verurteilt worden sei. Auch in der Folge habe er seinen Aufenthalt missbräuchlich beeinflusst, indem er fünfmal in drei Jahren untergetaucht sei. Dass seitdem erhebliche Zeit verstrichen sei, sei nicht maßgeblich. Eine Ausnahme von einer typisierenden generell-abstrakten Betrachtungsweise sei nicht veranlasst. Es lasse sich nicht feststellen, dass eine Ausreisepflicht des Klägers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauches nicht hätte vollzogen werden können. Dies gehe zu seinen Lasten.

Gegen das ihm am 26. Mai 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Juni 2015 Berufung eingelegt. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauches lasse sich nicht ewig perpetuieren. Deswegen gebe es die Verjährung. Vorliegend stelle sich die Frage, wann denn der Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit verjähre. Das SG hätte auch ermitteln müssen hinsichtlich der Frage der Abschiebefähigkeit.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Mai 2015 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 zu verpflichten, ihm unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 26. Juli 2005 und vom 19. Dezember 2007 sowie unter Abänderung der Bescheide vom 9. August 2012, 22. November 2012, 11. Dezember 2013 und 29. Dezember 2014 ab Februar 2007 sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die Berufung für unbegründet und verweist auf die bisherigen Ausführungen. Vom Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung am 27. August 1996 an sowie in den darauf folgenden Jahren sei auf Grund der Erlasslage eine Abschiebung nach Libyen möglich gewesen. Da der Kläger allerdings währenddessen untergetaucht gewesen sei, sei eine mögliche Abschiebung durch ihn vereitelt bzw. hinausgezögert worden.

Der Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 23. März 2015 Leistungen für März bis Dezember 2015 und mit Bescheid vom 27. Juli 2016 Leistungen für April bis Dezember 2016 nach §§ 3 bis 7 AsylbLG gewährt.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Absicht des Senats, die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt. Das BSG habe die von ihm aufgeworfene grundsätzliche Frage, ob ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Fehlverhalten Analogleistungen auch für die Zukunft sperren könne, zwar bereits entschieden. Er sei aber mit einer Rücknahme der Klage nicht einverstanden. Der Beklagte hat sich nicht geäußert.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, zumal der Senat die entscheidungserheblichen Rechtsfragen bereits unter Mitwirkung ehrenamtlicher Richter entschieden hat (Urteil vom 29. Juni 2017 – L 7 AY 2217/13 – juris; Urteil vom 29. Juni 2017 – L 7 AY 3293/13 – n.v.; die Nichtzulassungsbeschwerden hiergegen wurden verworfen: BSG, Beschlüsse vom 29. September 2017 – B 7 AY 5/17 B und B 7 AY 6/17 B – n.v.) Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Unmittelbar streitgegenständlich ist der Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012, mit dem dieser (insoweit nicht ausdrücklich, aber der Sache nach) die teilweise Rücknahme der Bescheide vom 26. Juli 2005 und vom 19. Dezember 2007 sowie die Gewährung von sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für die Zeit ab 1. Februar 2007 und für die Zukunft abgelehnt hat.

Der Bescheid vom 21. Oktober 2011 erschöpft sich nicht nur in der Entscheidung über den Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, sondern er trifft unabhängig davon eine Leistungsentscheidung auf Dauer. Hinsichtlich dieses zweiten Elements ist der Bescheid vom 21. Oktober 2011 durch den Bescheid vom 9. August 2012 (Bewilligung von Leistungen ab August 2012), den Bescheid vom 22. November 2012 (Bewilligung von Leistungen ab Januar 2013), den Bescheid vom 11. Dezember 2013 (Bewilligung von Leistungen ab Januar 2014) und den Bescheid vom 29. Dezember 2014 (Bewilligung von Leistungen für Januar und Februar 2015) ersetzt worden, so dass diese Bescheide gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind. Der zulässigerweise streitgegenständliche Zeitraum erstreckt sich daher bis zum 28. Februar 2015.

Die späteren Bescheide, insbesondere die Bescheide vom 23. März 2015 (Bewilligung von Leistungen für März bis Dezember 2015) und vom 27. Juli 2016 (Bewilligung von Leistungen für April bis Dezember 2016) haben hingegen den zuletzt Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen, hinsichtlich der Leistungsbewilligung bis zum 28. Februar 2015 befristeten Bescheid vom 29. Dezember 2014 nicht abgeändert oder ersetzt. Sie sind daher nicht gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden.

3. Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid vom 21. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 sowie die Bescheide vom 9. August 2012, 22. November 2012, 11. Dezember 2013 und 29. Dezember 2014 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme der Bescheide vom 26. Juli 2005 und vom 19. Dezember 2007 und Gewährung sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für die Zeit von Februar 2007 bis Februar 2015.

a) Der Beklagte ist für die streitige Entscheidung im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X zuständig gewesen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 3/12 R – juris Rdnr. 11). Er ist der für die Entscheidung über Leistungen nach dem AsylbLG sachlich und örtlich zuständige Leistungsträger gewesen. Die sachliche Zuständigkeit für die Durchführung des AsylbLG ergibt sich für die streitbefangene Zeit aus § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes des Landes Baden-Württemberg (FlüAG) vom 11. März 2004 (GBl. S. 99) sowie § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Landesverwaltungsgesetzes Baden-Württemberg (in der Fassung des Gesetz zur Weiterentwicklung der Verwaltungsstrukturreform vom 14. Oktober 2008 [GBl. S. 313]); dies ist die jeweilige untere Verwaltungsbehörde des Landes als untere Aufnahmebehörde (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 3/12 R – juris Rdnr. 12). Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus der Zuweisungsentscheidung (§ 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997, BGBl. I S. 1130). Über die hier streitige Rücknahme nach § 44 SGB X entscheidet die zuständige Behörde (§ 44 Abs. 3 SGB X); es gelten dabei die allgemeinen Regelungen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 3/12 R – juris Rdnr. 21).

b) Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der nach § 9 Abs. 3 AsylbLG in der vom 1. Januar 2005 bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung (seitdem § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AsylbLG) im Asylbewerberleistungsrecht anzuwenden ist, ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme der Bescheide vom 26. Juli 2005 und vom 19. Dezember 2007 liegen nicht vor. Bei Erlass dieser Bescheide ist das Recht weder unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erweist. Diese Bescheide sind ebenso wie die Bescheide vom 9. August 2012, 22. November 2012, 11. Dezember 2013 und 29. Dezember 2014 vielmehr rechtmäßig. Der Kläger hat für die Zeit von Februar 2007 bis Februar 2015 keinen Anspruch auf Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG.

c) Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in der vom 1. Januar 2005 bis zum 27. August 2007 geltenden, hier anzuwendenden Fassung (a.F.) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Der Kläger hat die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst und ist daher von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen.

aa) (1) Der Begriff des Rechtsmissbrauchs als vorwerfbares Fehlverhalten beinhaltet eine objektive (den Missbrauchstatbestand) und eine subjektive Komponente (das Verschulden; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 32). In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Der Ausländer soll danach von Analogleistungen ausgeschlossen sein, wenn die von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehene Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der Ausländer darf sich also nicht auf einen Umstand (Aufenthaltsdauer von damals 36 Monaten mit Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG) berufen, den er selbst treuwidrig herbeigeführt hat (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 33). Die Begründung des einschlägigen Gesetzentwurfes führt beispielhaft die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität als typische Fallgestaltungen eines Rechtsmissbrauchs an (Bundestags-Drucksache 15/420, S. 121; dies aufgreifend etwa BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 34).

(2) Der Kläger hat die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Es kann dahinstehen, ob dem Kläger bereits vorzuwerfen ist, dass er in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein. Jedenfalls hat er entgegen seiner Pflicht aus § 13 AsylVfG in der seit dem 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (a.F.) nicht bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland oder unverzüglich danach einen Asylantrag gestellt. Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG a.F. an der Grenze um Asyl nachzusuchen. Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG a.F.). All dies hat der Kläger nicht getan. Obwohl er nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere war, hat er weder an der Grenze um Asyl nachgesucht noch sich nach der unerlaubten Einreise unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung gemeldet oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachgesucht. Seinen ersten Asylantrag hat er vielmehr erst am 27. August 1996 gestellt, obwohl er bereits am 13. Juli 1996 erstmals strafgerichtlich verurteilt worden war, er sich also – berücksichtigt man die übliche Mindestdauer von Ermittlungs- und Strafverfahren – bereits vor dem 13. Juli 1996 eine erhebliche Zeit in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben dürfte. Dass der Kläger durch die verspätete Asylantragstellung den Beginn eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens hinausgezögert hat, spricht dafür, dass er zugleich die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst (in diesem Sinne LSG Bayern, Beschluss vom 8. April 2005 – L 11 B 103/05 AY – juris Rdnr. 23 f.; Deibel in Hohm, Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand Juni 2017, § 2 Rdnr. 47) und sich jedenfalls bis zur Stellung des ersten Asylantrages auch rechtswidrig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben dürfte.

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, denn jedenfalls ist dem Kläger vorzuwerfen, dass er wiederholt untergetaucht ist, sich also an einem den zuständigen Behörden unbekannten Ort aufgehalten hat. Dies betrifft insbesondere die Zeiträume vom 7. bis 15. April 1997, vom 12. Mai bis 3. Juni 1997, vom 21. August bis 16. Oktober 1997, vom 19. Dezember 1997 bis zum 10. Dezember 1998 sowie vom 3. Januar 2000 bis zum 29. November 2001. Hierdurch hat er sich den Ausländerbehörden und deren Maßnahmen entzogen und schon dadurch seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich verlängert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. August 2010 – L 20 B 45/09 AY – juris Rdnr. 9 f.). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach seinem Vortrag "nur" untergetaucht sei, um der strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Dies und die den strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten beseitigen die Rechtsmissbräuchlichkeit der Verlängerung seines Aufenthaltes nicht, sondern vertiefen diese.

bb) (1) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" ist auf den gesamten Zeitraum des Aufenthaltes des Leistungsberechtigten in der Bundesrepublik Deutschland abzustellen (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 40 – auch zum Folgenden). Ob das rechtsmissbräuchliche Verhalten selbst in diesen Zeitraum fällt, ist hingegen nicht entscheidend. Auch ein Verhalten vor der Einreise in das Bundesgebiet, das der Beeinflussung der (gesamten Dauer) des Aufenthalts dient, kann sich als rechtsmissbräuchlich erweisen. Der Zeitraum beginnt bereits mit dem Zeitpunkt, in dem der Ausländer sich rechtsmissbräuchlich verhält.

Ebenso wenig ist entscheidend, ob der Missbrauchstatbestand aktuell andauert oder die Annahme rechtfertigt, er sei noch kausal für den derzeitigen Aufenthalt des Ausländers (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 41 – auch zum Folgenden). Ob die Ausreise aktuell zumutbar ist, ist nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift des § 2 Abs. 1 AsylbLG ohne Bedeutung. Maßgebend ist allein der Zusammenhang zwischen der gesamten Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland und dem Fehlverhalten des Ausländers, gleichgültig, ob dieses Fehlverhalten einmalig oder auf Dauer angelegt ist bzw. war oder ob es sich wiederholt hat. Nach der bereits erwähnten Begründung des einschlägigen Gesetzentwurfes sollen von dem Anspruch auf Analogleistungen Fälle ausgenommen werden, in denen der Ausländer rechtsmissbräuchlich die Dauer seines Aufenthaltes selbst beeinflusst hat; beispielhaft werden, wie bereits erwähnt, die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität aufgeführt (Bundestags-Drucksache 15/420, S. 121). Diese Begründung zeigt, dass gerade ein einmaliges Verhalten bereits bei oder vor der Einreise nach Deutschland zum Anlass genommen wurde, dem Ausländer nach Ablauf von drei bzw. vier Jahren einen Anspruch auf Analogleistungen vorzuenthalten.

Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 43 – auch zum Folgenden). Allerdings zeigen bereits Gesetzeswortlaut ("Beeinflussung", nicht Verlängerung) und Begründung des Gesetzesentwurfes, die unter anderem in ihrer beispielhaften Aufzählung die Vernichtung eines Passes nennt, dass eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes ausreicht, also kein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn erforderlich ist. Dies bedeutet, dass jedes von der Rechtsordnung missbilligte Verhalten, das – typisierend – der vom Gesetzgeber missbilligten Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dienen kann, ausreichend ist, um die kausale Verbindung zu bejahen. Ob etwa das Asylverfahren tatsächlich verzögert wurde und ohne diese Verzögerung eine frühere Abschiebung des Betroffenen erfolgt und deshalb in einem ggf. "kleineren Zeitfenster" möglich gewesen wäre, bedarf im Hinblick auf die typisierende Betrachtung keiner Entscheidung. Eine solche wäre in aller Regel auch nicht möglich, weil keine sichere Aussage über einen hypothetischen Kausalverlauf getroffen werden könnte.

Eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtungsweise muss allerdings dann gemacht werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können, etwa weil die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 44 – auch zum Folgenden). In diesen Fällen ist eine typisierende Betrachtungsweise nicht mehr zulässig; sie entspräche nicht der oben geschilderten Typik. Lässt es sich nicht feststellen, ob eine solche Ausnahme vorliegt, geht dies zu Lasten des Ausländers.

(2) Nach diesen Maßstäben ist jedenfalls aufgrund typisierender Betrachtungsweise davon auszugehen, dass der Kläger durch sein rechtsmissbräuchliches Verhalten seine Aufenthaltsdauer selbst beeinflusst hat. Dass im gesamten Zeitraum ab dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten, also seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor dem 13. Juli 1996 bis zum hier streitgegenständlichen Zeitraum (Februar 2007 bis Februar 2015) eine Beendigung des Aufenthaltes des Klägers ausgeschlossen war, lässt sich nicht feststellen. Unerheblich ist insbesondere, ob eine Durchsetzung der Ausreisepflicht des Klägers auch noch nach dem Jahr 2002 möglich gewesen wäre. Dass der Kläger jedenfalls in den 1990er Jahren nicht hätte in seine Heimat zurückgeführt werden können, behauptet der Kläger selbst nicht.

d) Ein Anspruch aus § 2 Abs. 1 AsylbLG ist auch nicht mit verfassungsrechtlichen Argumenten begründbar.

Solange eine Norm vom BVerfG nicht für verfassungswidrig erklärt worden ist, ist sie von den Fachgerichten aufgrund deren Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) anzuwenden. Dies darf nicht durch eine vermeintlich verfassungskonforme Auslegung, die den Regelungsgehalt der Norm in unzulässiger Weise reduziert, unterlaufen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 BvR 2142/11 – juris Rdnr. 76). Das Existenzminimum, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG grundrechtlich geschützt ist, ist bereits durch die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gewährleistet; selbst diese Leistungen dürfen nach Maßgabe des § 1a AsylbLG noch reduziert werden (BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rdnr. 25 ff.; Urteil des Senats vom 27. April 2017 – L 7 AY 4898/15 – juris Rdnr. 36). Bei § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. handelt es sich zudem nicht um eine am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfende Sanktion. § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. entzieht dem Betroffenen keine Leistungen oder greift gar im Sinne eines Grundrechtseingriffs in dessen abwehrrechtlich geschützte Rechte ein, sondern gestaltet das Leistungsrecht aus (vgl. allgemein zur dogmatischen Einordnung BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2013 – 1 BvR 1083/09 – juris Rdnr. 10; Berlit, info also 2013, 195 [198 f.]). § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. macht die Gewährung von höheren Leistungen – eine "Vergünstigung" (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 33) – vom Vorliegen verschiedener Voraussetzungen abhängig. Dass zu diesen Voraussetzungen auch gehört, dass der Betroffene seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat, ist nicht zu beanstanden. Zwar das BVerfG in einem Obiter dictum postuliert, dass das "Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum" nicht migrationspolitisch relativiert werden dürfe (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris Rdnr. 95). Zum einen gehen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG über das menschenwürdige Existenzminimum aber hinaus, so dass das "Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum" hierdurch gar nicht berührt wird. Zum anderen dient § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht der Steuerung der Migration als solcher, sondern soll das rechtmäßige Verhalten der in den Anwendungsbereich des AsylbLG fallenden Personen und hierdurch eine rechtmäßige Durchführung des Ausländerrechts insgesamt sicherstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rdnr. 32).

Auch lässt es sich nicht rechtfertigen, der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dann – entgegen § 2 Abs. 1 AsylbLG – keine anspruchsausschließende Wirkung mehr beizumessen, wenn der Betroffene sich inzwischen über einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und das rechtsmissbräuchliche Verhalten inzwischen aufgegeben hat. Denn es ist gerade Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG, einen längeren oder gar dauerhaften Aufenthalt von Personen, die hierzu nicht berechtigt sind, zu verhindern. Bei der – siehe oben – notwendigen typisierenden Betrachtungsweise wäre bei nicht rechtsmissbräuchlichem Verhalten der Aufenthalt des Betroffenen bereits beendet, so dass ein längerer oder gar dauerhafter Aufenthalt verhindert worden wäre. Der Kläger kann deswegen auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass er seit dem Jahr 2002 durchgehend über eine Duldung verfüge. Denn bei rechtmäßigem Verhalten des Klägers hätte er zum Zeitpunkt der Erteilung dieser Duldungen bei typisierender Betrachtung bereits keinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland mehr gehabt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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