L 13 R 3709/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1228/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3709/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1980 geborene Kläger hat eine Berufsausbildung zum Konstruktionsmechaniker absolviert, war von 2001-2003 in der Automobilindustrie tätig und arbeitet seit 2004 vollschichtig im Zwei-Schicht-Betrieb in einer Aluminiumgießerei.

In der Zeit vom 24. Mai 2012 bis 28. Juli 2012 befand sich der Kläger in einem von der Beklagten finanzierten stationären Heilverfahren in der Z.klinik in B ... Laut Entlassungsbericht vom 9. Juli 2012 bestanden bei ihm folgende Erkrankungen: Myofasciales Schmerzsyndrom, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, somatoforme autonome Funktionsstörung (oberes Verdauungssystem), somatoforme autonome Funktionsstörung (unteres Verdauungssystem) und Hypercholesterinämie. Der Kläger wurde als arbeitsfähig und sechs und mehr Stunden leistungsfähig für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiter in einer Aluminiumgießerei sowie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen.

Bei dem Kläger ist seit 13. Oktober 2011 ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

Am 19. August 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, er halte sich seit 2010 wegen Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Taubheit am linken Ohr mit Tinnitus, Schlafstörungen, chronischer Magen-Darm-Schmerzen, einer Hauterkrankung, einer depressiven Reaktion, einer somatoformen autonomen Funktionsstörung, einer Somatisierungsstörung, einer Konzentrationsstörung, Vergesslichkeit und Hypercholesterinämie für erwerbsgemindert und könne nur noch drei bis vier Stunden täglich arbeiten.

Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Di ... Dieser untersuchte den Kläger am 12. November 2013 und nannte in seinem Gutachten als Diagnosen eine mittelschwere depressive Verstimmung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine somatoforme autonome Schmerzstörung. Er hielt den Kläger vor allem wegen der zunehmenden depressiven Verstimmung in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit für deutlich eingeschränkt und empfahl eine intensivierte längere Behandlung. Bei einer erfolgreichen Umsetzung müsse er danach wieder mit gewissen Einschränkungen beruflich leistungsfähig sein. Auf Dauer solle er keine Tätigkeiten ausüben, die zu einer besonderen psychischen Beanspruchung führen (z.B. Akkordarbeit, Arbeit im Dreischichtbetrieb, Nachtarbeit, Arbeit mit starkem Zeitdruck). Eine neurologische Erkrankung im eigentlichen Sinne liege nicht vor. Mit Bescheid vom 20. November 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Mit seinem am 26. November 2013 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch wies der Kläger auf seine Erkrankungen auf orthopädischem, ophtalmologischem und psychiatrischem Fachgebiet hin und legte unter anderem die Bescheinigung seiner behandelnden Diplom-Psychologin Ma. vom 9. Mai 2013 vor, nach der eine Veränderung der Arbeitssituation, z.B. Reduzierung der Arbeitszeit, dringend erforderlich sei, um eine weitere Chronifizierung der Symptomatik zu verhindern.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2014 zurück.

Mit der am 9. April 2014 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage (S 8 R 1228/14) hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt und den Bericht der Radiologie Mühlacker vom 8. August 2013 sowie das Attest des Dr. Ha. vom 8. April 2014 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen angehört: Der HNO-Arzt Dr. Ne. hat angegeben, den Kläger am 19. August 2013 behandelt zu haben. Die Augenärztin Gr. hat am 19. Mai 2014 angegeben, der Kläger habe 2005 eine Verbrennung der Hornhaut und Bindehaut durch flüssiges Metall erlitten. Der Orthopäde Dr. Dü. hat angegeben, den Kläger seit März 2013 regelmäßig zu behandeln und sein Gesundheitszustand sei unverändert. Dr. Ne., die Augenärztin Gr. und Dr. Dü. haben übereinstimmend angegeben, der Kläger sei in der Lage, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen.

Die Diplom-Psychologin Ma. hat am 16. Mai 2014 angegeben, den Kläger von März 2011 bis November 2013 in einer tiefenpsychologisch fundierten Einzeltherapie mit insgesamt 50 Sitzungen behandelt zu haben. Im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung habe sich eine Besserung ergeben. Sie habe dem Kläger zur Aufgabe der belastenden Schichtarbeit geraten. Eine Aussage über die aktuelle Arbeitsfähigkeit des Klägers könne nicht getroffen werden.

Die Hausärztin Dr. Ri. hat angegeben, der Kläger klage meistens über Schmerzen, die ihn im Alltag stark einschränkten und einen hohen Leidensdruck ausübten. Sekundär bestünden psychosomatische Beschwerden mit Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden und starker psychischer Belastung. Ob der Kläger täglich sechs Stunden arbeiten könne, sei schwer beurteilbar. Er habe glaubhaft versichert, von seiner Konzentrationsleistung keine vier Stunden täglich arbeiten zu können.

Dr. Ha., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, hat am 14. Juli 2014 angegeben, den Kläger im April, September und Oktober 2013 sowie noch einmal im April 2014 behandelt zu haben. Im Vordergrund hätte die Überwachung der medikamentösen Behandlung gestanden. Ob der Kläger für sechs Stunden oder nur halbtags belastbar sei, könne nur im Rahmen einer stationären Belastungserprobung beurteilt werden.

Das SG hat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei PD Dr. Wö. – Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Schmerztherapie – eingeholt. Dieser kam am 3. September 2014 zum Ergebnis bei dem Kläger bestünden eine somatoforme Funktionsstörung des oberen und unteren Verdauungssystems, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Polyarthrosen an den Hand-, Ellenbogen- und Fingergelenken sowie an den Knien und eine chronische depressive Störung, aktuell als leicht- bis mittelgradig einzustufen. Unter der Voraussetzung des möglichen Wechsels der Körperposition vorwiegend in temperierten Räumen, ohne Zeitdruck und ohne Nachtarbeit seien Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Eine zeitliche Verringerung der aktuellen Berufstätigkeit auf etwa 30-33 Wochenstunden sei sinnvoll.

Der Kläger hat ein Attest seiner Hausärztin Dr. Ri. vom 11. August 2014 vorgelegt, nach dem er nicht in der Lage sei, sechs oder mehr Stunden täglich zu arbeiten. Außerdem hat der Kläger sich mit Schreiben vom 20. Oktober 2014 kritisch zum Gutachten des PD Dr. Wö. geäußert.

Das SG hat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des PD Dr. Wö. eingeholt und dieser hat am 5. November 2014 seine im Gutachten vom 3. September 2014 dargelegte Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers bestätigt.

Anschließend hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten bei Dr. Lö. – Orthopäde, Sportmedizin, Chirotherapie, physikalische Therapie, H-Arzt der Berufsgenossenschaft – eingeholt. Dieser kam im Gutachten vom 18. Februar 2015 zum Ergebnis, bei dem Kläger bestünden ein statisch myalgisches Cervicalsyndrom, bei Streckfehlhaltung der HWS, ein moderates Impingementsyndrom beider Schultergelenke, eine Dorsolumbalgie bei thorakolumbaler Skoliose, eine initiale Coxarthrose beidseits bei bilateraler Coxa Valga, eine Condropathia patellae beidseits, ein Fibromyalgiesyndrom und Tinnitus linkslateral. Der Kläger könne Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, ohne Zwangshaltungen, ohne Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie ohne Erfordernis von erhöhtem Konzentrationsvermögen noch täglich drei bis unter sechs Stunden verrichten. Das Gutachten des PD Dr. Wö. sei nicht überzeugend, da dieser nicht berücksichtigt habe, dass die ACR-Kriterien für ein Vollbild eines Fibromyalgiesyndroms gegeben seien.

Die Beklagte hat Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes vorgelegt – Dr. Ed. 6. März 2015 und Dr. La. 30. März 2015. Dr. La. hat darauf hingewiesen, dass Dr. Lö. zwar orthopädische Krankheitsbilder genannt, die zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens dann aber in Abweichung vom neurologisch-psychiatrischen Gutachten des PD Dr. Wö. auf erhöhte psychosomatische Reaktionsbereitschaft im Rahmen einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren gestützt habe. Soweit Dr. Lö. die fehlende Diagnosestellung einer Fibromyalgie beanstandet habe, sei darauf hinzuweisen, dass für die Leistungsbeurteilung nicht die diagnostische Zuordnung sondern die Ausprägungsgrad und insbesondere die Auswirkungen entscheidend seien. Letztere seien aber vom Gutachter Dr. Lö. nicht erfragt worden und in seinem Gutachtensbefund seien auf orthopädischem Fachgebiet keine schweren Beeinträchtigungen erkennbar.

In der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 2015 hat der Kläger angegeben, er sei weiterhin vollschichtig berufstätig. Da eine im Jahr 2004 durchgeführte Schmerztherapie nichts gebracht habe, mache er zur Zeit auch keine.

Das SG hat die auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gerichtete Klage mit Urteil vom 9. Juli 2015 abgewiesen, da der Kläger nicht erwerbsgemindert sei. Das SG hat seine Entscheidung auf das für überzeugend und schlüssig gehaltene Sachverständigengutachten des PD Dr. Wö., die Auskünfte der sachverständigen Zeugen Dr. Ne., Gr. und Dr. Dü. sowie auf den Entlassungsbericht der Ziegelfeld-Klinik in St. Blasien gestützt.

Gegen das ihm am 3. August 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. September 2015 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung verweist er darauf, dass auch der Gutachter PD Dr. Wö. ein reduziertes Leistungsvermögen von 30-33 Wochenstunden gesehen habe. Diese Leistungsminderung habe das SG übersehen. Erneut verweist der Kläger darauf, bei ihm seien die Vollkriterien eines Fibromyalgiesyndroms erfüllt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2014 zu verurteilen, ihm Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. August 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Br. eingeholt. Der Sachverständige kam am 19. November 2016 zum Ergebnis, bei dem Kläger bestünden folgende Erkrankungen: Mittelgradige depressive Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, somatoforme autonome Funktionsstörung, leichte bis mittelgradige Hörminderung beidseits, Tinnitus linksseitig, Hypercholesterinämie, myalgisches Cervicalsyndrom, moderates Impingementsyndrom beider Schultergelenke, initiale Coxarthrose beidseits bei bilateraler Coxa Valga, Condropathia patellae beidseits. Nach Überzeugung des Gutachters könne der Kläger "analog zu seinem eigenen Empfinden max. drei bis unter sechs Stunden pro Tag beruflich tätig sein". Der Kläger sei darauf angewiesen, zunächst – für einen Zeitraum von etwa zwei Jahren – drei bis unter sechs Stunden pro Tag arbeiten zu dürfen um die Zeit, in der dies so geschehen solle, dazu zu nutzen sich gesundheitlich zu erholen. Sofern man ihn dazu zwingen würde, vollschichtig tätig bleiben zu müssen, wäre seine gesundheitliche Prognose als noch viel ungünstiger zu beschreiben. Es bestünde auch die Gefahr häufiger Zeiten der Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme vom 26. Januar 2017 vorgelegt, in der Dr. Del. das Gutachten des Prof. Dr. Br. für nicht überzeugend hält. Der Kläger verfüge über deutliche Gestaltungskompetenz in seinem Leben – er gehe nach wie vor seiner vollschichtigen Berufstätigkeit in einer Aluminiumsgießerei nach, sei im September 2016 für drei Wochen im Urlaub in der Türkei gewesen, sehe sich gerne Fußballspiele an und habe Freunde. Zu diesen Punkten habe Prof. Dr. Br. den Kläger leider nicht genauer befragt. Das Gutachten sei nicht geeignet, das bisher festgestellte zeitlich uneingeschränkte Leistungsvermögen des Klägers für eine leidensgerechte Tätigkeit zu erschüttern.

Der Kläger hat am 15. Februar 2017 darauf hingewiesen, er habe in der Türkei keinen Urlaub gemacht sondern gemeinsam mit seinen Eltern den kranken Großvater besucht. Fußballspiele schaue er am Fernseher an und ihm seien von früher ca. 30 nur noch fünf enge Freunde verblieben. Seine Berufstätigkeit sei körperlich wenig anstrengend und nicht stressbelastet. Sein Tagesablauf bestehe lediglich aus Arbeiten und Ausruhen.

Nachdem Prof. Dr. Br. am 15. Februar 2017 und Dr. Del. am 17. März 2017 jeweils noch einmal ihre bislang getroffenen Einschätzungen des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers bestätigt haben, hat der Senat von Amts wegen ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, das Dr. Bra. am 1. August 2017 erstellt hat. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gekommen, bei dem Kläger bestünden vielschichtige Akzentuierungen der Primärpersönlichkeit, eine somatoforme Schmerzstörung, ein kompensierter Tinnitus links und funktionelle Schlafstörungen. Der Kläger könne nur noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne regelmäßigen Zeitdruck, ohne besondere Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen, nur zu ebener Erde und ohne Nacht- oder Wechselschicht verrichten. Bei Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig berufstätig sein. Das Gutachten des Prof. Dr. Br. sei nicht überzeugend. Da das Gutachten in der Wir-Form formuliert sei, sei schon nicht ausgewiesen, wer sonst noch an der Erstellung dieses Gutachtens beteiligt gewesen sei. Entgegen seinen eigenen Angaben, er könne der gutachterlichen Befragung kaum standhalten, habe der Kläger sowohl bei der Begutachtung durch Prof. Dr. Br. als auch bei ihm die mehrstündigen gutachterlichen Abläufe bewältigt. Es ergäben sich ganz erhebliche Diskrepanzen zwischen den vom Kläger beschriebenen Beschwerden und den eben nicht korrespondierenden Einschränkungen in der Verhaltensbeobachtung sowie in der beruflichen wie außerberuflichen Teilhabe, die mit der angeblich belastungsunabhängigen überdauernden Schmerzquantität nicht zu vereinbaren seien.

Der Kläger hat am 28. August 2017 noch darauf hingewiesen, während der Begutachtung durch Dr. Bra. erschöpft gewesen zu sein. Am Untersuchungstag sei er von 7:30 Uhr bis 12:00 Uhr in der Praxis gewesen, die eigentliche Untersuchung bei dem Gutachter habe aber lediglich 1,5 Stunden stattgefunden und der Rest bei dessen Mitarbeiterinnen. Nach 1,5 Stunden habe er nicht mehr still sitzen können sondern sich vor Schmerzen dehnen müssen.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 2018 hat der Kläger mitgeteilt, er sei weiterhin vollschichtig in der Aluminiumgießerei beschäftigt, wobei es in diesem Jahr zu mehreren Arbeitsunfähigkeitszeiten gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger beanspruchte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hat, weil er in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die ihm zumutbar sind, bei Beachtung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten und im Übrigen auch einen Arbeitsplatz zu erreichen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungsminderung - als Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung - im Wege des Vollbeweises festgestellt sein muss, vernünftige Zweifel am Bestehen der Einschränkungen dürfen nicht bestehen. Gemessen daran vermag auch der Senat nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass eine rentenrechtlich relevante qualitative oder eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich vorliegt.

Dass aus den bei dem Kläger bestehenden somatischen Gesundheitsstörungen – myalgisches Cervicalsyndrom bei Streckfehlhaltung der Halswirbelsäule, Impingementsyndrom beider Schultergelenke, Dorsolumbalgie bei thorakolumbaler Skoliose, initiale Coxarthrose beidseits, Chondropathia patellae beidseits, Tinnitus, Schallleitungsschwerhörigkeit bis 40 db links, Symblepharon, Keratokonjunktivitis Sicca, Z.n. Verbrennung der Augenhornhaut und Bindehaut mit flüssigem Metall 2005 - keine zeitliche Reduzierung des Leistungsvermögens reduziert, ergibt sich bereits – wie das SG zutreffend festgestellt hat – aus den schriftlichen Auskünften der als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte Dr. Ne., Dr. Gr. und Dr. Dü ... Hinsichtlich der orthopädischen Befunde ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. Lö. keine andere Beurteilung, da dieser ausdrücklich angegeben hat, es bestehe eine "reproduzierbare Leistungsminderung seelischer Art", die "durch eine gezielte und umfassende psychosomatische Behandlung ( ) verbesserungsfähig" sei. Dies bedeutet, dass nach der fachorthopädischen Einschätzung des Dr. Lö. die von ihm erhobenen körperlichen Befunde gerade keine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens bedingen. Hierauf hat auch das SG zutreffend in den Entscheidungsgründen hingewiesen.

Die bei dem Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet vorhandenen Gesundheitsstörungen führen zwar zu qualitativen Leistungseinschränkungen, nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungseinschränkung für leichte körperliche Arbeiten. Dies ergibt sich für den Senat schlüssig und nachvollziehbar insbesondere aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. Bra. vom 1. August 2017. Der Beurteilung des Prof. Dr. Br. war indes nicht zu folgen. Aufgrund der auf nervenärztlichem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen (Akzentuierungen der Primärpersönlichkeit, somatoforme Schmerzstörung, Tinnitus links, funktionelle Schlafstörungen) ergeben sich qualitative Einschränkung der Art, dass schwere körperliche Arbeiten für den Kläger nicht mehr möglich sind. Soweit regelmäßiger Zeitdruck, besondere Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen, Arbeiten nicht zu ebener Erde und Tätigkeiten mit Nacht- oder Wechselschicht vermieden werden, ist eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens nicht abzuleiten. Dr. Bra. hat – insoweit übereinstimmend mit Prof. Dr. Br. – keinerlei Hinweise für Bewusstseinsstörungen, Denkstörungen, Beeinträchtigungen der Konzentration oder der Merkfähigkeit, Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen, für eine hirnorganische Leistungsstörung, anders begründete kognitive Störungen, intellektuelle Defizite oder für das Vorliegen einer psychotischen Erkrankung gefunden. Während Dr. Bra. und Prof. Dr. Br. hinsichtlich der Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung übereinstimmen, hat Dr. Bra. die von Prof. Dr. Br. angenommene mittelgradige depressive Episode verneint. Zu Recht weist der Sachverständige Dr. Bra. darauf hin, dass sich diese diagnostische Einschätzung bereits unter Berücksichtigung des (Arbeits-)Alltags und des anlässlich der gutachterlichen Untersuchung beobachteten Verhaltens des Klägers nicht bestätigen lässt: Die Kläger ist weiterhin vollschichtig im Zweischichtbetrieb in einer Gießerei berufstätig und hat dort nach seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen guten Kontakt zu seinen Arbeitskollegen, die ihn schätzen, mit regelmäßigen Gesprächen im Pausenraum und während des Essens. Er hat gute familiäre Beziehungen zu seinen Eltern und Geschwistern beschrieben und ein Interesse an Computerspielen (Fußball), an Tierdokumentationen, Fußballnachrichten und Fußballergebnissen. Während der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. Bra. auf einer Skala von 0-10 seine aktuellen Schmerzen mit 9-10 von 10 angegeben hat, hat sich dies in der Verhaltensbeobachtung während der mehrstündigen Untersuchung nicht wiedergespiegelt. Nach Angaben des Sachverständigen hat der Kläger während der mehrstündigen Untersuchung angebotene Pausen als nicht erforderlich abgelehnt und er konnte die Begutachtung ohne Umsetzen, Aufstehen o.ä. und ohne Anzeichen von Schmerzen bewältigen. Gegen das tatsächliche Vorliegen von Schmerzen im genannten Ausmaß spricht auch der Umstand, dass der Kläger und seine behandelnden Ärzte offenbar seit 2004 keine spezielle schmerztherapeutische Behandlung für erforderlich gehalten haben. Schlüssig folgert Dr. Bra. angesichts der Diskrepanzen zwischen den Beschwerdeangaben des Klägers und seinem geschilderten und beobachteten Verhalten, dass gravierende Schmerzbeeinträchtigungen und relevante psychische Beeinträchtigungen im Sinne von depressiven Beschwerden nicht objektivierbar sind. Soweit der Kläger zur Begründung der Berufung erneut darauf verwiesen hat, bei ihm seien im Gutachten des Dr. Lö. vom 3. Juli 2015 die Vollkriterien eines Fibromyalgiesyndroms bestätigt worden, ist darauf hinzuweisen, dass es grundsätzlich unabhängig von der genauen differenzialdiagnostischen Einordnung immer auf die aus Gesundheitsstörungen resultierenden Funktionseinschränkungen und damit verbundenen Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens ankommt. Die mit dem Kläger befassten Sachverständigen PD Dr. Wö. (anhaltende somatoforme Schmerzstörung), Dr. Lö. (Fibromyalgiesyndrom), Prof. Dr. Br. (chronische Schmerzstörung mit somatischen psychischen Faktoren) und Dr. Bra. (somatoforme Schmerzstörung) haben sämtlich eine Schmerzerkrankung diagnostiziert. Entscheidungsrelevant ist vorliegend die Frage, ob aus der Schmerzerkrankung rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkungen resultieren. Letzteres ist jedoch nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. In diesem Zusammenhang schließt sich der Senat den Ausführungen des Dr. Bra. und der Dr. Del. (sozialmedizinische Stellungnahme vom 17. März 2017) an und erkennt im Gutachten des Prof. Dr. Br. insoweit einen erheblichen Mangel, als dieser in der Anamneseerhebung keinerlei Angaben des Klägers zur aktuellen Arbeitsplatzsituation erfragt hat. Auch der Prof. Dr. Br. bekannte Umstand, dass der Kläger im Jahr 2016 gemeinsam mit seinen Eltern eine dreiwöchige Flugreise in die Türkei mit Besuch des dort lebenden kranken Großvaters unternommen hat, spricht für gewisse vorhandene seelische und körperliche Kompetenzen. Eine konkrete und schlüssige Begründung für seine Einschätzung, dass der Kläger unter Beachtung all dieser Umstände nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich, nicht jedoch volle sechs Stunden täglich (was auch dem von PD Dr. Wö. empfohlenen wöchentlichen Arbeitsumfang von 30-33 Stunden entsprechen würde) arbeiten könnte, gibt Prof. Dr. Br. weder in seinem Sachverständigengutachten vom 19. November 2016 noch in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Februar 2017. In Letzterer hat er ausgeführt, dass es bei vielen von ihm behandelten Menschen im mittleren Lebensalter zu einer psychisch emotionalen und schließlich auch zu einer somatischen Dekompensation kommt – auf den hier zu beurteilenden Fall des Klägers erlaubt dies noch keine Rückschlüsse. Weiterhin hat er formuliert, dass grundsätzlich auch Berufstätigkeit und Freizeitaktivitäten nicht gegen die Annahme einer depressiven Erkrankung sprechen würden. Da im Gutachten des Prof. Dr. Br. jedoch eine konkret auf den Fall des Klägers bezogene Begründung dafür fehlt, warum das berufliche Leistungsvermögen sechs Stunden täglich nicht mehr überschreiten soll, vermag es nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit im oben genannten Sinne eine rentenberechtigende Leistungsminderung zu belegen. Eine für den Kläger günstigere Entscheidung ergibt sich insoweit auch nicht aufgrund der Auskünfte der als sachverständige Zeugen befragten Dr. Ha. und der Diplom-Psychologin Ma ... Letztere hat sich zum zeitlichen Umfang des beruflichen Leistungsvermögens nicht geäußert, sondern nur die Vermeidung von Schichtarbeit empfohlen. Ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger seit Jahren und nach wie vor unverändert im Zweischichtbetrieb arbeitet, belegt diese Auskunft der Diplom-Psychologin noch keine rentenberechtigende zeitliche Leistungsminderung. Gleiches gilt für die Auskunft der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ha., nach der eine Belastbarkeit von acht Stunden pro Tag nicht mehr gegeben sei, was aber zur Begründung eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch nicht ausreichend wäre. Die Frage nach einem mindestens sechstündigen Leistungsvermögen vermochte Dr. Ha. nicht zu beantworten. Diese Frage ist - gestützt auf die schlüssigen und überzeugenden Sachverständigengutachten des PD Dr. Wö. und des Dr. Bra. – zur Überzeugung des Senats zu bejahen. Dieses Beweisergebnis wird auch durch die weiterhin vollschichtige Ausübung seiner bisherigen Berufstätigkeit, die der Kläger selbst als leicht bezeichnet hat, bestätigt (vgl. BSG in SGb 1976, 158ff.).

Damit stellt der Senat fest, dass der Kläger ihm zumutbare leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Einschränkungen, die hier keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und keine schwere spezifische Leistungsminderung bedingen, wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann. Es ist nicht ersichtlich, weswegen der Kläger nicht in der Lage sein sollte, entsprechende ihm zumutbare leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche zu verrichten.

Aus den vorstehenden Gründen weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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