Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2952/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3212/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Juli 2014 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2011 verurteilt, dem Kläger ab dem 1. März 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1966 geborene Kläger nahm nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Gärtner auf, die wegen der Kündigung des Lehrverhältnisses seitens des Ausbildungsbetriebs nicht abgeschlossen wurde. Anschließend war er als Maschinenschlosser beschäftigt. Von 1991 bis 1993 absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann; er war dann in verschiedenen Bereichen, u.a. als Montagearbeiter, Landschaftsarbeiter, Sachbearbeiter, Getränkefahrer und zuletzt bis 28.06.2009 als Schreinerhelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Seither bezog der Kläger Krankengeld und Arbeitslosengeld; seit Dezember 2011 steht er im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Wegen der rentenrechtlichen Zeiten im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf vom 18.01.2018 (Bl. 108 ff. der Senatsakte) Bezug genommen.
Am 07.11.1996 erteilte das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales – Rehabilitationsbehörde für das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – eine Rehabilitationsbescheinigung. Es wurde festgestellt, dass Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG in der Verfolgungszeit vom 19.11.1982 bis 23.01.1983 und 16.07.1984 bis 02.10.1990 vorlag.
Der Kläger ist Vater einer am 2008 geborenen Tochter; die 2005 geschlossene Ehe mit der Mutter der Tochter wurde 2011 geschieden.
Vom 27.07.2009 bis zum 27.08.2009 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Diakonie-Klinikums. Im Entlassungsbericht vom 24.08.2009 wurden die Diagnosen Neurasthenie und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, abhängigen und anankastischen Anteilen angegeben.
Die Beklagte gewährte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 14.12.2010 bis 25.01.2011 in der K.-Klinik, Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, in St. B. Im Entlassungsbericht vom 03.02.2011 wurden als Diagnosen eine mittelgradige depressive Episode mit Somatisierungstendenzen und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung angegeben. Das Rehabilitationsverfahren habe zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt; die Entlassung erfolgte arbeitsunfähig bis zur eventuellen Stabilisierung durch eine intensivierte ambulante Psychotherapie und zunehmendem zeitlichen Abstand zu den Verlusterfahrungen (Tod des Vaters, Trennung von der Tochter durch Umzug). Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen.
Am 22.03.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H., der in seinem Gutachten vom 11.05.2011 bei dem Kläger asthenische und zwanghafte Persönlichkeitsmerkmale diagnostizierte und den Verdacht auf rezidivierende Anpassungsstörungen äußerte. Zum Untersuchungszeitpunkt habe keine für das Leistungsvermögen relevante depressive Symptomatik bestanden. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien dem Kläger mindestens sechs Stunden täglich möglich.
Mit Bescheid vom 31.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten und Behinderungen ergeben, führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Den hiergegen am 08.06.2011 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2011 mit der Begründung zurück, die gesundheitliche Situation des Klägers bedinge keine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Hiergegen hat der Kläger am 10.08.2011 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nicht in der Lage, einer Tätigkeit mindestens drei Stunden täglich nachzugehen. Der Kläger hat außerdem einen Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 14.07.2011 und den Entlassungsbericht des Klinikums K.-L. vom 16.04.2012 vorgelegt. Der Kläger wurde dort vom 12.01.2012 bis 17.04.2012 stationär behandelt. Im Entlassungsbericht wurden als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, DD: bipolare affektive Störung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und paranoiden Anteilen angegeben. Nach dem Ergebnis einer individuell gestuften arbeitstherapeutischen Belastungserprobung bestehe derzeit keine Leistungsfähigkeit und keine Ausbildungs-/Umstellungsfähigkeit zu Arbeitsmarkbedingungen. Aufgrund der erzielten Ergebnisse werde eine Arbeits- und Trainingsmaßnahme in einer Werkstatt für psychisch Kranke im Sinne einer Wohnwerkgemeinschaft empfohlen.
Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin M. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers ist Herr M. in seinem Gutachten vom 09.12.2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und einer Neurasthenie im Sinne eines subjektiv empfundenen chronischen Erschöpfungssyndroms leide. Ferner bestehe der Verdacht auf eine rezidivierende depressive Störung, zum Untersuchungszeitpunkt in Remission. Die eindeutige Diagnose einer depressiven Störung habe sich nicht stellen lassen. Im Vordergrund stehe eine subjektiv vermehrte Erschöpflichkeit mit subjektiv verminderter körperlicher und geistiger Belastbarkeit. Der als Zeuge Jehovas in der DDR aufgewachsene Kläger habe die rigiden Wertvorstellungen seiner Glaubensgemeinschaft in sehr hohem Maße verinnerlicht und hinterfrage sie nicht. Dies erschwere zwar allgemein die Eingliederung in die Gesellschaft, einschließlich der Eingliederung ins Arbeitsleben, stelle aber per se keine psychische Störung dar. Die verminderte Flexibilität und der Umgang mit den eigenen Wertvorstellungen rechtfertigten jedoch die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung. Nicht sicher zu klären sei, ob bei dem Kläger jemals eine schwere depressive Episode vorgelegen habe. Zum Untersuchungszeitpunkt seien nicht einmal die Kriterien einer leichten depressiven Episode erfüllt gewesen. Eine depressive Symptomatik im Zusammenhang mit der Trennung von der Ehefrau im Jahr 2009 sei nicht auszuschließen, dabei handle es sich um eine Anpassungsstörung nach einer äußeren Belastung. Das energetische Niveau, das der Kläger in seinen Alltagsaktivitäten zeige, erlaube auch eine mindestens sechsstündige Berufstätigkeit. Im Ergebnis seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, so auch die Tätigkeit als Schreinerhelfer, mindestens sechs Stunden täglich möglich. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Konfliktpotenzial, Zeitdruck, hohen emotionalen Belastungen und hohen Anforderungen an Kontaktfähigkeit, Konzentrationsvermögen und Genauigkeit.
Auf Aufforderung des SG hat der Hausarzt des Klägers H. seine Patientendokumentation vorgelegt, darunter Befundberichte des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 16.09.2013, 16.12.2013, 17.03.2014 und 12.05.2014, einen Bericht der Psychiatrischen Klinik O. vom 29.12.1995 und der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Landkreiskrankenhaus E. vom 18.07.1996. Schließlich hat er eine Stellungnahme des Klägers zu dem Gutachten des Sachverständigen M. zu den Akten gereicht (Bl. 185/216 der SG-Akte).
Das SG hat den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie S. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört, der unter dem 13.03.2014 mitgeteilt hat, der Kläger befinde sich in der Gemeinschaftspraxis seit April 2009 in Behandlung. Aus heutiger Sicht und zusammenfassend bestehe bei dem Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, zwanghaften und abhängigen Persönlichkeitsmerkmalen. Aufgrund belastender Lebensereignisse, beispielsweise der Trennung von der Ehefrau und einem Sorgerechtsstreit, hätten sich im Laufe des Jahres 2011 bis Anfang 2012 wiederkehrende depressive Episoden entwickelt, die durchaus schwere Ausprägungen gezeigt hätten. Im Jahr 2013 sei die depressive Symptomatik eher als rückläufig zu bezeichnen gewesen. In der Gesamtbetrachtung müsse der Gesundheitszustand als gebessert beschrieben werden, wobei die Persönlichkeitsstörung von dieser Besserung nicht betroffen sei und weiterhin den Hauptrisikofaktor für die psychische Dekompensation darstelle. Mit Schreiben vom 30.06.2014 teilte er ergänzend mit, er halte den Kläger für erwerbsunfähig. Auch wenn die Depression nicht mehr so schwer ausgeprägt sei, liege eine Verbitterungsstörung und eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung vor. In Übereinstimmung mit dem Psychotherapeuten des Klägers B. gehe er davon aus, dass der Kläger in den nächsten Jahren keiner Erwerbstätigkeit von drei und mehr Stunden täglich nachgehen könne.
Nach vorherigem Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.07.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nach wie vor in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Kläger sei damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Die für die Beurteilung des Leistungsvermögens maßgeblichen Erkrankungen des Klägers lägen auf psychiatrischem Fachgebiet. Der Kläger leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und einer Neurasthenie im Sinne eines subjektiv empfundenen chronischen Erschöpfungssyndroms. Auf Grundlage dieser Befunde und bei Würdigung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen sei der Gutachter Mayer schlüssig und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger noch in der Lage sei, eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Aus den aufgeführten Erkrankungen resultierten nachvollziehbare qualitative Leistungseinschränkungen. Der Gutachter lege plausibel dar, dass Tätigkeiten mit Konfliktpotenzial, Zeitdruck, hohen emotionalen Belastungen und hohen Anforderungen an Kontaktfähigkeit, Konzentrationsvermögen und Genauigkeit zu vermeiden seien. Aus diesen qualitativen Einschränkungen ergäben sich jedoch weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Ein Anspruch auf Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderung Rente bei Berufsunfähigkeit bestehe schon deswegen nicht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei.
Gegen den ihm am 08.07.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31.07.2014 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Er sei nicht in der Lage, einer Arbeit drei oder mehr Stunden am Tag nachzugehen. Er verweist auf seine Überlastungs-, Erschöpfungs- und Verbitterungsstörung, Augenschmerzen, Sehstörungen, Kraftlosigkeit, Traurigkeit, depressive Phasen und Konzentrationsstörungen. Er hat den Bericht der Schön Klinik R. vom 12.08.2015 über einen stationären Aufenthalt vom 10.06.2015 bis 28.07.2015 vorgelegt. Als Diagnosen wurden dort eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, und kombinierte Persönlichkeitsstörungen angegeben. Schließlich hat er Berichte des Hausarztes H. vom 21.07.2015 und des Facharztes S. vom 07.07.2016 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Juli 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2011 zu verurteilen, ihm ab 1. März 2011 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf Stellungnahmen ihres sozialmedizinischen Dienstes durch Dr. D. vom 20.03.2015, 29.06.2015, 06.10.2015 und 05.08.2016.
Der Senat hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 13.12.2017 hat er in seinem Gutachten vom 05.01.2018 ausgeführt, in das Berufsleben eingebracht sei eine ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung worden, die sich in den letzten Jahren, bedingt durch das anhaltende berufliche Scheitern und durch soziale Konflikte, verstärkt und verfestigt habe. Anhand der Unterlagen seien darüber hinaus rezidivierende depressive Episoden zu sichern, lediglich mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei darüber hinaus auch eine bipolare affektive Störung mit Umschlagen zwischen depressiven und manischen Phasen bei hierzu fehlender Medikation. Aufgrund des im Rahmen der Persönlichkeitsstörung bestehenden funktionalen Verhaltens bestehe eine subjektiv vermehrte Erschöpfbarkeit, die sich jedoch auf der Befundebene nicht bestätigen lasse. Im Vordergrund imponiere eine ausgeprägte gestörte geistige Flexibilität und Umstellungsfähigkeit mit Festhalten an rigiden Denkinhalten. Es bestehe weniger eine Einschränkung im zeitlichen Umfang möglicher Tätigkeiten als eine aufgrund der rigiden Denkmuster kaum bestehende Umstellungsfähigkeit an neue Denkinhalte, wie sie letztlich an jedem Arbeitsplatz erforderlich sei. Bei Abwägung der verschiedenen Argumente gegeneinander sei angesichts der zu eruierenden Aktivitäten eine quantitative Leistungseinschränkung schwerlich zu begründen. Die Hauptproblematik sehe er in den ausgeprägt rigiden, völlig verfestigten und durch nichts zu beeinflussenden Denkmustern, welche die Umstellungsfähigkeit massiv limitierten. Außerhalb einer "geschützten Werkstatt" vermöge er sich letztlich keine Tätigkeit vorzustellen, die der Kläger sinnvoll ausüben könnte, ohne dabei nicht innerhalb kürzester Zeit wieder zu scheitern. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Symptomatik im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtung im Jahr 2011 noch deutlich günstiger dargestellt habe als jetzt. Entsprechend könne er lediglich zum aktuellen Leistungsbild Aussagen machen. Die Persönlichkeitsstörung, die letztlich wohl seit jeher eine grenzkompensierte Situation bedingt habe, erscheine inzwischen so verfestigt und in einem dysfunktionalen Verhalten "eingebaut", dass eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes unwahrscheinlich sei.
Zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. hat die Beklagte zunächst die sozialmedizinische Stellungnahme der Dr. D. vom 19.02.2018 vorgelegt. In einer weiteren Stellungnahme vom 02.05.2018 hat die Ärztin für Psychiatrie Dr. H. für den sozialmedizinischen Dienst ausgeführt, auch bei der Lektüre der Expertise des erfahrenen Gutachters Prof. Dr. Dr. W. werde deutlich, dass sich im Falle des Klägers bzw. im Fall einer so komplexen psychischen Störung, bei der sich im Verlauf der Jahre der Betroffene psychisch überwiegend grenzkompensiert gezeigt habe, eine eindeutige und zweifelsfreie Einschätzung der Leistungsfähigkeit schwierig gestaltete. Bei dem Kläger bestehe weitgehend zweifelsfrei eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einschränkungen seiner sozialen Interaktionsfähigkeit, seiner sozialen Kompetenzen und Umstellungsfähigkeit, welche in der Ausprägung und Komplexität so gravierend erschienen, dass diese gegebenenfalls auch im Sinne einer außergewöhnlichen Häufung von qualitativen Einschränkungen verstanden werden könnten. Quantitativ sei bei dem Kläger aber keine relevante Einschränkung zu beschreiben. Ob seine ins Erwerbsleben gebrachte Persönlichkeitsstörung und die daraus resultierenden, rigiden Verhaltensweisen mit geringer Umstellungsfähigkeit zu einem erloschenen Leistungsvermögen führen könnten, sollte juristisch entschieden werden.
Der Kläger selbst hat zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. eine umfangreiche eigene Stellungnahme vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig. Die Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.03.2011 auf Dauer. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünftagewoche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger zwar körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche verrichten kann, dies jedoch nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, weshalb ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist.
Zur Überzeugung des Senats leidet der Kläger auf dem hier für die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens allein maßgeblichen psychiatrischem Fachgebiet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Dies ergibt sich zuletzt aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W., aber auch aus der Gesamtschau der im gerichtlichen Verfahren eingeholten sowie der im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14.11.2013 – B 9 SB 10/13 B –, Juris, Rdnr. 6; BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R –, Juris, Rdnr. 51) sowie den Befundberichten der behandelnden Ärzte, insbesondere des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S ... Im Entlassungsbericht der K.-K. wird eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, im Entlassungsbericht des Diakonie-Klinikums S.H. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, abhängigen und anankastischen Anteilen diagnostiziert. Der Gutachter M. hat als Diagnose eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und Prof. Dr. Dr. W. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Soweit Dr. H. lediglich von einzelnen asthenischen und zwanghaften Persönlichkeitsmerkmalen ausgegangen war, wird dessen Einschätzung durch die weiteren vorliegenden Gutachten zur Überzeugung des Senats widerlegt. Der Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. ist die Beklagte mit ihrer zuletzt vorgelegten Stellungnahme durch Dr. H. auch nicht mehr entgegengetreten.
Darüber hinaus sind rezidivierende depressive Episoden zu sichern. Der Kläger wurde vom 14.12.2010 bis 25.01.2011 in der K.-K. wegen einer mittelgradigen depressiven Episode behandelt, die Aufnahme in das Klinikum K.-L. im Januar 2012 und in die Klinik R. im Juni 2015 erfolgte jeweils wegen der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig schwerer Episode. Von einem dauerhaft stärkeren Ausprägungsgrad der depressiven Episode konnte sich der Senat allerdings aufgrund der durch die Gutachter M. und Prof. Dr. Dr. W. mitgeteilten Befunde und deren Beurteilung nicht überzeugen.
Lediglich mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist nach der Einschätzung des Prof. Dr. Dr. W. eine bipolare affektive Störung mit Umschlagen zwischen depressiven und manischen Phasen.
Der Kläger ist trotz dieser Gesundheitsstörungen noch in der Lage, zumindest leichten Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Der Senat folgt im Ergebnis der Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W., der sich sehr ausführlich mit der Krankheitsgeschichte des Klägers, den durch diesen vorgebrachten Einschränkungen und den vorliegenden Befunden auseinandergesetzt und selbst gründlich Befunde erhoben hat. Er hat ausführlich die für und gegen eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung und eine entsprechende Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen sprechenden Argumente gegeneinander abgewogen. Für eine bestehende quantitative Leistungseinschränkung aufgrund einer durch verschiedene Lebensumstände aus dem Ruder gelaufenen Persönlichkeitsstörung spricht aus Sicht des Gutachters, dass es im Zeitraum von 1995 bis 2015 zu insgesamt sechs längeren stationären psychiatrischen bzw. psychosomatischen Aufenthalten gekommen ist. Zutreffend führt der Gutachter weiter aus, dass es seit einer anfänglichen Tätigkeit in "geschützter Umgebung" zu keiner längeren stabilen Berufstätigkeit gekommen ist. Dies wird durch den vorliegenden Versicherungsverlauf bestätigt, aus dem sich immer wieder durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochene, oft nur wenige Monate andauernde Beschäftigungsverhältnisse ergeben. Nach Einschätzung des Gutachters ist der Kläger über die Versorgung der Mutter hinaus weitgehend sozial isoliert. Er erscheint in seinem rigiden Denken kaum umstellungsfähig und flexibel, zeigt sich im Umgang mit Dritten ausgeprägt kontaktgestört und lässt auch, soweit anhand der Unterlagen zu erkennen, gewisse paranoide Denkinhalte erkennen. Darüber hinaus äußert der Gutachter den dringenden Verdacht auf eine bipolare Störung. Auf der anderen Seite finden sich jedoch nach Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. auch nicht unwesentliche Argumente, die gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Funktionsstörung sprechen. Der Kläger zeige sich im Rahmen der Begutachtung durchaus kämpferisch und ließ anamnestisch auch eine beträchtliche Selbstbehauptungsfähigkeit erkennen angesichts seiner verschiedenen Eingaben im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Tochter. Zumindest im Zusammenhang mit der Frage der Kraftfahrfähigkeit erweise er sich als hinreichend steuerungsfähig, eine Depravation oder Vernachlässigung der Körperpflege war nicht zu erkennen. Der Kläger lässt im Zusammenhang mit der Selbstversorgung und der Versorgung seiner Mutter umfangreiche Aktivitäten erkennen, hat nach seiner Schilderung auch aktiven Kontakt zu Flüchtlingen, denen er versuche, seine Glaubensgedanken nahe zu bringen, was sicherlich einigen Mut erfordere. Schließlich ließ der Kläger am Ende des zweistündigen gutachterlichen "Stresstests" keinerlei Ermüdungszeichen erkennen. Bei Abwägung der verschiedenen Argumente gegeneinander ist angesichts der zu eruierenden Aktivitäten eine quantitative Leistungseinschränkung nach Einschätzung des Gutachters schwerlich zu begründen. Dieser Einschätzung folgt der Senat. Die Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens deckt sich auch mit den Vorgutachten, insbesondere des Gutachtens des Sachverständigen M ...
Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen damit grundsätzlich in der Lage, in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche zumindest körperlich leichte und geistige einfache Arbeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen auch unter Berücksichtigung von Arbeitsfeldern im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik usw. (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 – B 13 R 78/09 R – m.w.N., - unter Verweis auf BSG Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996 – GS 2/95 -, BSGE 80, 24 – 41; Juris)) zu verrichten. Dies ergibt sich für den Senat aus allen insoweit übereinstimmenden Sachverständigengutachten.
Allerdings ist der Senat auch der Überzeugung, dass dem Kläger dieses vollschichtige zeitliche Leistungsvermögen nur unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen abverlangt werden kann, die gerade nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechen. Hier liegt ein Seltenheitsfall nach Nr. 1 des vom BSG (Urteil vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 137, Juris m.w.N.) aufgestellten sog. Verschlossenheitskatalogs vor, für den eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Eine geeignete Verweisungstätigkeit wurde von der Beklagten nicht benannt und ist auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.
Unter den üblichen Bedingungen ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Dazu gehören neben rechtlichen Bedingungen (Dauer und Verteilung der Arbeitszeit etc.) auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistiger Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, also kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris).
Der Senat stellt fest, dass die kombinierte Persönlichkeitsstörung des Klägers dazu geführt hat, dass ihm Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr zugemutet werden können. Dies ergibt sich für den Senat schlüssig und nachvollziehbar aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W ... Die Hauptproblematik für eine Erwerbstätigkeit liegt nach Einschätzung des Gutachters, der der Senat folgt, in den ausgeprägten rigiden, völlig verfestigten und durch nichts zu beeinflussenden Denkmustern, welche dessen Umstellungsfähigkeit massiv limitieren und dazu führen, dass der Gutachter sich außerhalb einer "geschützten Werkstatt" – und damit gerade nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – letztlich keine Tätigkeit vorzustellen vermag, die der Kläger sinnvoll ausüben könnte, ohne dabei nicht innerhalb kürzester Zeit wieder zu scheitern. Dieser Einschätzung widerspricht auch der sozialmedizinische Dienst der Beklagten in seiner letzten Stellungnahme durch Dr. H. im Ergebnis nicht. Soweit Dr. H. darauf hinweist, dass sich neben Hinweisen auf eine auffällige Psychopathologie des Klägers auch Hinweise auf recht gesunde Anteile ergeben, ist dies zutreffend. Der Kläger betreut seine pflegebedürftige Mutter, kümmert sich um seine Tochter, sucht den Kontakt zu Flüchtlingen in einer nachgelegenen Unterkunft und fährt Auto. Diese Umstände hat Prof. Dr. Dr. W. bei seiner Leistungsbeurteilung, wie dargelegt, berücksichtigt. Auch Dr. H. räumt ein, dass der Gutachter die erhobenen Befunde sorgfältig gegeneinander abgewogen hat und die von ihm gestellten Diagnosen aus psychiatrischer Sicht nachvollziehbar seien. Sie äußert auch Zweifel daran, ob der Kläger überhaupt in eine Werkstatt für Behinderte integrierbar wäre. Für den Senat durchaus nachvollziehbar weist Dr. H. darauf hin, dass die Schreiben und Stellungnahmen des Klägers gegen eine Einschränkung des Leistungsvermögens sprechen, u.a. das Schreiben des Klägers an den Gutachter Prof. Dr. Dr. W. vom 29.11.2017 durch die präzise Wortwahl beeindruckt und den hohen Aufwand des Schreibers und somit einige Kompetenzen des Klägers illustriert. Auf der anderen Seite räumt sie aber auch ein, dass die anderen Stellungnahmen nicht nur dessen isolierte Kompetenzen und Fähigkeiten des Klägers wiedergeben, sondern auch die Komplexität seiner Störung, die Rigidität seines Denkens und seine (persönlichkeitsbedingt) fehlende Fähigkeit, sich umzustellen und an das Neue anzupassen, veranschaulichen. In der Zusammenschau der vorliegenden Gutachten, insbesondere des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. und der Stellungnahme der Dr. H. steht für den Senat fest, dass der Kläger aufgrund der schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einschränkungen der sozialen Interaktionsfähigkeit, der sozialen Kompetenzen und Umstellungsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.
Die qualitativen Leistungseinschränkungen erfordern zur Überzeugung des Senats nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen zur schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG, Urteile vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R – und vom 19.10.2011 – B 13 R 78/09 R – m.w.N., Juris) die Benennung einer dem Restleistungsvermögen des Versicherten entsprechenden konkreten Verweisungstätigkeit. Für die Prüfung, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung – oder im Übrigen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen – vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab; sie richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a.a.O.). Maßgeblich sind vor allem Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Einschränkungen und die damit verbundene Frage, inwieweit diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten zu versperren (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a.a.O.). Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können vor allem besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R –, Juris, Rdnr. 28 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 – 4 RJ 1/82 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 104, Juris). Eine solche schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt hier wegen der Schwierigkeiten des Klägers hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz vor. Denn mit den oben genannten, aus der Persönlichkeitsstörung folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen ist dem Kläger zur Überzeugung des Senats gerade ein typischer Arbeitsplatz auch für körperlich und geistig einfache Arbeiten versperrt.
Der Umstand, dass der Kläger die Persönlichkeitsstörung ins Erwerbsleben eingebracht und diese seine bisherige berufliche Tätigkeit nicht verhindert hat, steht einer Erwerbsminderung auf Grund dieser Erkrankung nicht entgegen. Denn Versicherte werden mit allen Krankheiten, Gebrechen, Behinderungen, Wesenseigentümlichkeiten, Sozialisations- und Bildungsdefiziten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen, und es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen sog. "eingebrachter" Leiden, Behinderungen oder sonstiger Defizite (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1, Juris, Rdnr. 30 m.w.N., LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2017 - L 13 R 1079/16 -, Juris, Rdnr. 21), es sei denn, es hat bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit bestanden. Für letzteres gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Kommen bei einem regulär Versicherten im Verlaufe des Erwerbslebens weitere Leistungseinschränkungen hinzu oder nimmt nur mit zunehmendem Alter die Kompensationsfähigkeit "eingebrachter" Leiden bis zur Erwerbsunfähigkeit ab bzw. kommt es zu einem für das "eingebrachte" Leiden typischen Leistungsabbau in einem bestimmten Lebensalter, spielt es für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit keine Rolle, wann und in welcher Reihenfolge die einzelnen ggf. "eingebrachten" Defizite und Leistungseinschränkungen aufgetreten sind (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, a.a.O.). Zur Überzeugung des Senats hatte die Kompensationsfähigkeit des Klägers hinsichtlich der mit der Persönlichkeitserkrankung verbundenen funktionellen/psychischen Einschränkungen mit der Trennung von seiner Ehefrau und der damit verbundenen Trennung von seiner Tochter durch den Umzug derart abgenommen, dass er seitdem mit der ins Erwerbsleben eingebrachten und auch versicherten Persönlichkeitserkrankung gerade nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann, was bis zu diesem Zeitpunkt zwar mit vielen Unterbrechungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit, aber dennoch in geregelten Arbeitsverhältnissen möglich war.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Erwerbsminderung des Klägers jedenfalls seit dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahme in der K.-K. am 14.12.2010 nachgewiesen ist. In dem Entlassungsbericht wird im Rahmen des psychodynamischen Befunds mitgeteilt, dass der Kläger von Kindheit an eine Persönlichkeitsstruktur mit zwanghaften Zügen entwickelt habe. Die ständig ablaufenden inneren Gedankengänge erschöpfen den Kläger, so dass er bei eigentlich guten intellektuellen Möglichkeiten der Bewältigung immer neuer Lebenssituationen nicht gewachsen ist. In der konzentrativen Bewegungstherapie zeigte sich ein fast autistisch anmutender Umgang mit dem Gruppengeschehen und einzelnen Teilnehmern. Der Kläger konnte die durch ihn entstandenen Konflikte nicht wahrnehmen. Die letztlich aus Sicht des Senats für die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung maßgebenden Einschränkungen sind damit jedenfalls zum Zeitpunkt der Aufnahme in die.K-K. nachgewiesen und bestehen seither uneingeschränkt fort. Aus dem Entlassungsbericht des SRH Klinikums K.-L. vom 16.04.2012 ergibt sich ebenfalls eine Einschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach dem Ergebnis der individuell gestuften arbeitstherapeutischen Belastungserprobung bestand keine Leistungsfähigkeit und keine Ausbildungs- oder Umschulungsfähigkeit zu Arbeitsmarktbedingungen. Vielmehr wurde eine Arbeits- und Trainingsmaßnahme in einer Werkstatt für psychisch Kranke im Sinne einer Wohngemeinschaft empfohlen. Eine Tätigkeit zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts wurde auch durch das Klinikum ausgeschlossen. Einer durchgehend bestehenden Einschränkung stehen insbesondere das Gutachten von Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten kann, und das Gutachten des Sachverständigen M. nicht entgegen. Beide Gutachter gelangten ebenfalls zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, haben die sich daraus ergebenden Einschränkungen aber anders gewichtet als der zuletzt gehörte Prof. Dr. Dr. W. Der Gutachter M. hat selbst erhebliche Zweifel an der Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geäußert und letztlich bereits die Einschränkungen genannt, die auch aus Sicht des Senats für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind.
Ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2010 sind auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt. Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit erfüllt; da in der Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2010 jeder Monat mit Pflichtbeitragszeiten belegt ist, sind auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben.
Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht zur Überzeugung des Senats auf Dauer. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen Erwerbsminderung im Regelfall befristet gewährt. Abweichend von diesem Grundsatz werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI unbefristet geleistet, wenn der Rentenanspruch ausschließlich auf dem Gesundheitszustand und nicht (auch) darauf beruht, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, sofern unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann; nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren ist hiervon auszugehen. Anders als nach dem bis zum 01.01.2001 geltenden Recht ist nunmehr für die Gewährung unbefristeter Renten wegen Erwerbsminderung maßgebend, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann, nicht ob sie behoben werden wird. Weder ist erforderlich, dass eine solche Behebung der Erwerbsminderung "überwiegend wahrscheinlich" ist, noch, dass diese in "absehbarer Zeit" wahrscheinlich sein muss. Der Ausdruck "unwahrscheinlich" im Sinne des Satz 5 ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Davon kann erst ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Eingeschlossen werden alle Therapiemöglichkeiten nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungen, also auch Operationen, unabhängig davon, ob diese duldungspflichtig sind oder nicht. Es kommt also nicht darauf an, dass eine "begründete Aussicht" auf Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit besteht. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, das Leistungsvermögen eines Versicherten auf der Grundlage anerkannter Behandlungsmethoden wiederherzustellen. Solange diese Möglichkeit besteht und im Einzelfall keine gesundheitsspezifischen Kontraindikationen entgegenstehen, ist von einer Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Erwerbsminderung nicht auszugehen. Dabei ist ausreichend, dass die mit einer Behandlung angestrebte Besserung sich nicht von vornherein in einem Bereich bewegt, der sich als rentenrechtlich irrelevant darstellt, sondern die quantitative Leistungsfähigkeit des Versicherten über die für die volle Erwerbsminderung erhebliche Schwelle anheben kann. Die Frage, ob die Behebung unwahrscheinlich ist, ist zum Zeitpunkt der Bewilligung prognostisch zu beurteilen und unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der umfassenden gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Schmidt in Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 2. Aufl. 2013, Stand 16.06.2015, § 102 Rdnr. 7 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.03.2006 – B 13 RJ 31/05R –, Juris). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Falle der Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des BSG (grundlegend Urteile vom 24.10.1957 – 10 RV 945/55 – und vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 –, Juris) der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast gilt, wonach die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache von demjenigen Beteiligten zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Eine Beweislastentscheidung setzt voraus, dass zunächst alle verfügbaren Erkenntnisquellen und Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und sich die entscheidungserheblichen Tatsachen gleichwohl nicht feststellen lassen (BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11 AL 7/05 R –, Juris, Rdnrn. 29, 32).
Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. ist eine Besserung des Gesundheitszustandes unwahrscheinlich. Der Gutachter legt für den Senat überzeugend dar, dass die Persönlichkeitsstörung des Klägers und sein dysfunktionales Verhalten so verfestigt sind, dass eine wesentliche Besserung unwahrscheinlich ist. Zwar hat Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 01.10.2014 (111 Reha) noch ausgeführt, der Kläger brauche dringend einen Zugriff auf seine Selbstwirksamkeit, was vielleicht über ein Therapiekonzept für Verbitterung nach Trennung, die ein zentrales Problem darstelle, möglich sei. Die darüber hinaus vorliegenden ärztlichen Äußerungen sprechen aber gegen weitere therapeutische Möglichkeiten. Diese wurden bereits durch den Gutachter M. als gering eingeschätzt. Dieser hatte ausgeführt, dass die im Berufsleben aus seiner Sicht überwiegend einschränkende Rigidität durch den Kläger nicht als krankhaft erlebt werde, psychotherapeutischen Möglichkeiten daher Grenzen gesetzt seien und eine medikamentöse Behandlung nur wenig bewirken könne. Eine stationäre medizinische Behandlung hielt er ebenfalls nicht für erfolgsversprechend. Der Kläger hat seit 2009 mehrere stationäre Aufenthalte und Rehabilitationsmaßnahmen durchlaufen und es findet eine regelmäßige psychiatrische Behandlung statt. Die Besserungsaussicht wird durch Prof. Dr Dr. W. daher überzeugend verneint.
Die Rente ist auch nicht nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI zu befristen, da es sich nicht um eine sog. Arbeitsmarktrente handelt, die neben dem Gesundheitszustand auch darauf beruht, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist (vgl. Kasseler Kommentar/Kater, SGB VI, § 102 Rdnr. 11).
Ausgehend von der Antragstellung am 22.03.2011, einem Leistungsfall im Dezember 2010 und der auf Dauer zu gewährenden Rente war der Rentenbeginn antragsgemäß auf den 01.03.2011 festzusetzen. Eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Die Berufung ist nach alledem begründet; der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, d. h. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren Erfolg hatte, so dass die vollständige Kostentragung durch die Beklagte gerechtfertigt ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1966 geborene Kläger nahm nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Gärtner auf, die wegen der Kündigung des Lehrverhältnisses seitens des Ausbildungsbetriebs nicht abgeschlossen wurde. Anschließend war er als Maschinenschlosser beschäftigt. Von 1991 bis 1993 absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann; er war dann in verschiedenen Bereichen, u.a. als Montagearbeiter, Landschaftsarbeiter, Sachbearbeiter, Getränkefahrer und zuletzt bis 28.06.2009 als Schreinerhelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Seither bezog der Kläger Krankengeld und Arbeitslosengeld; seit Dezember 2011 steht er im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Wegen der rentenrechtlichen Zeiten im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf vom 18.01.2018 (Bl. 108 ff. der Senatsakte) Bezug genommen.
Am 07.11.1996 erteilte das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales – Rehabilitationsbehörde für das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – eine Rehabilitationsbescheinigung. Es wurde festgestellt, dass Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG in der Verfolgungszeit vom 19.11.1982 bis 23.01.1983 und 16.07.1984 bis 02.10.1990 vorlag.
Der Kläger ist Vater einer am 2008 geborenen Tochter; die 2005 geschlossene Ehe mit der Mutter der Tochter wurde 2011 geschieden.
Vom 27.07.2009 bis zum 27.08.2009 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Diakonie-Klinikums. Im Entlassungsbericht vom 24.08.2009 wurden die Diagnosen Neurasthenie und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, abhängigen und anankastischen Anteilen angegeben.
Die Beklagte gewährte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 14.12.2010 bis 25.01.2011 in der K.-Klinik, Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, in St. B. Im Entlassungsbericht vom 03.02.2011 wurden als Diagnosen eine mittelgradige depressive Episode mit Somatisierungstendenzen und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung angegeben. Das Rehabilitationsverfahren habe zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt; die Entlassung erfolgte arbeitsunfähig bis zur eventuellen Stabilisierung durch eine intensivierte ambulante Psychotherapie und zunehmendem zeitlichen Abstand zu den Verlusterfahrungen (Tod des Vaters, Trennung von der Tochter durch Umzug). Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen.
Am 22.03.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H., der in seinem Gutachten vom 11.05.2011 bei dem Kläger asthenische und zwanghafte Persönlichkeitsmerkmale diagnostizierte und den Verdacht auf rezidivierende Anpassungsstörungen äußerte. Zum Untersuchungszeitpunkt habe keine für das Leistungsvermögen relevante depressive Symptomatik bestanden. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien dem Kläger mindestens sechs Stunden täglich möglich.
Mit Bescheid vom 31.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten und Behinderungen ergeben, führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Den hiergegen am 08.06.2011 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2011 mit der Begründung zurück, die gesundheitliche Situation des Klägers bedinge keine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Hiergegen hat der Kläger am 10.08.2011 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nicht in der Lage, einer Tätigkeit mindestens drei Stunden täglich nachzugehen. Der Kläger hat außerdem einen Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 14.07.2011 und den Entlassungsbericht des Klinikums K.-L. vom 16.04.2012 vorgelegt. Der Kläger wurde dort vom 12.01.2012 bis 17.04.2012 stationär behandelt. Im Entlassungsbericht wurden als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, DD: bipolare affektive Störung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und paranoiden Anteilen angegeben. Nach dem Ergebnis einer individuell gestuften arbeitstherapeutischen Belastungserprobung bestehe derzeit keine Leistungsfähigkeit und keine Ausbildungs-/Umstellungsfähigkeit zu Arbeitsmarkbedingungen. Aufgrund der erzielten Ergebnisse werde eine Arbeits- und Trainingsmaßnahme in einer Werkstatt für psychisch Kranke im Sinne einer Wohnwerkgemeinschaft empfohlen.
Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin M. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers ist Herr M. in seinem Gutachten vom 09.12.2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und einer Neurasthenie im Sinne eines subjektiv empfundenen chronischen Erschöpfungssyndroms leide. Ferner bestehe der Verdacht auf eine rezidivierende depressive Störung, zum Untersuchungszeitpunkt in Remission. Die eindeutige Diagnose einer depressiven Störung habe sich nicht stellen lassen. Im Vordergrund stehe eine subjektiv vermehrte Erschöpflichkeit mit subjektiv verminderter körperlicher und geistiger Belastbarkeit. Der als Zeuge Jehovas in der DDR aufgewachsene Kläger habe die rigiden Wertvorstellungen seiner Glaubensgemeinschaft in sehr hohem Maße verinnerlicht und hinterfrage sie nicht. Dies erschwere zwar allgemein die Eingliederung in die Gesellschaft, einschließlich der Eingliederung ins Arbeitsleben, stelle aber per se keine psychische Störung dar. Die verminderte Flexibilität und der Umgang mit den eigenen Wertvorstellungen rechtfertigten jedoch die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung. Nicht sicher zu klären sei, ob bei dem Kläger jemals eine schwere depressive Episode vorgelegen habe. Zum Untersuchungszeitpunkt seien nicht einmal die Kriterien einer leichten depressiven Episode erfüllt gewesen. Eine depressive Symptomatik im Zusammenhang mit der Trennung von der Ehefrau im Jahr 2009 sei nicht auszuschließen, dabei handle es sich um eine Anpassungsstörung nach einer äußeren Belastung. Das energetische Niveau, das der Kläger in seinen Alltagsaktivitäten zeige, erlaube auch eine mindestens sechsstündige Berufstätigkeit. Im Ergebnis seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, so auch die Tätigkeit als Schreinerhelfer, mindestens sechs Stunden täglich möglich. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Konfliktpotenzial, Zeitdruck, hohen emotionalen Belastungen und hohen Anforderungen an Kontaktfähigkeit, Konzentrationsvermögen und Genauigkeit.
Auf Aufforderung des SG hat der Hausarzt des Klägers H. seine Patientendokumentation vorgelegt, darunter Befundberichte des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 16.09.2013, 16.12.2013, 17.03.2014 und 12.05.2014, einen Bericht der Psychiatrischen Klinik O. vom 29.12.1995 und der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Landkreiskrankenhaus E. vom 18.07.1996. Schließlich hat er eine Stellungnahme des Klägers zu dem Gutachten des Sachverständigen M. zu den Akten gereicht (Bl. 185/216 der SG-Akte).
Das SG hat den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie S. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört, der unter dem 13.03.2014 mitgeteilt hat, der Kläger befinde sich in der Gemeinschaftspraxis seit April 2009 in Behandlung. Aus heutiger Sicht und zusammenfassend bestehe bei dem Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, zwanghaften und abhängigen Persönlichkeitsmerkmalen. Aufgrund belastender Lebensereignisse, beispielsweise der Trennung von der Ehefrau und einem Sorgerechtsstreit, hätten sich im Laufe des Jahres 2011 bis Anfang 2012 wiederkehrende depressive Episoden entwickelt, die durchaus schwere Ausprägungen gezeigt hätten. Im Jahr 2013 sei die depressive Symptomatik eher als rückläufig zu bezeichnen gewesen. In der Gesamtbetrachtung müsse der Gesundheitszustand als gebessert beschrieben werden, wobei die Persönlichkeitsstörung von dieser Besserung nicht betroffen sei und weiterhin den Hauptrisikofaktor für die psychische Dekompensation darstelle. Mit Schreiben vom 30.06.2014 teilte er ergänzend mit, er halte den Kläger für erwerbsunfähig. Auch wenn die Depression nicht mehr so schwer ausgeprägt sei, liege eine Verbitterungsstörung und eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung vor. In Übereinstimmung mit dem Psychotherapeuten des Klägers B. gehe er davon aus, dass der Kläger in den nächsten Jahren keiner Erwerbstätigkeit von drei und mehr Stunden täglich nachgehen könne.
Nach vorherigem Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.07.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nach wie vor in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Kläger sei damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Die für die Beurteilung des Leistungsvermögens maßgeblichen Erkrankungen des Klägers lägen auf psychiatrischem Fachgebiet. Der Kläger leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und einer Neurasthenie im Sinne eines subjektiv empfundenen chronischen Erschöpfungssyndroms. Auf Grundlage dieser Befunde und bei Würdigung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen sei der Gutachter Mayer schlüssig und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger noch in der Lage sei, eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Aus den aufgeführten Erkrankungen resultierten nachvollziehbare qualitative Leistungseinschränkungen. Der Gutachter lege plausibel dar, dass Tätigkeiten mit Konfliktpotenzial, Zeitdruck, hohen emotionalen Belastungen und hohen Anforderungen an Kontaktfähigkeit, Konzentrationsvermögen und Genauigkeit zu vermeiden seien. Aus diesen qualitativen Einschränkungen ergäben sich jedoch weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Ein Anspruch auf Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderung Rente bei Berufsunfähigkeit bestehe schon deswegen nicht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei.
Gegen den ihm am 08.07.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31.07.2014 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Er sei nicht in der Lage, einer Arbeit drei oder mehr Stunden am Tag nachzugehen. Er verweist auf seine Überlastungs-, Erschöpfungs- und Verbitterungsstörung, Augenschmerzen, Sehstörungen, Kraftlosigkeit, Traurigkeit, depressive Phasen und Konzentrationsstörungen. Er hat den Bericht der Schön Klinik R. vom 12.08.2015 über einen stationären Aufenthalt vom 10.06.2015 bis 28.07.2015 vorgelegt. Als Diagnosen wurden dort eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, und kombinierte Persönlichkeitsstörungen angegeben. Schließlich hat er Berichte des Hausarztes H. vom 21.07.2015 und des Facharztes S. vom 07.07.2016 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Juli 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2011 zu verurteilen, ihm ab 1. März 2011 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf Stellungnahmen ihres sozialmedizinischen Dienstes durch Dr. D. vom 20.03.2015, 29.06.2015, 06.10.2015 und 05.08.2016.
Der Senat hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 13.12.2017 hat er in seinem Gutachten vom 05.01.2018 ausgeführt, in das Berufsleben eingebracht sei eine ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung worden, die sich in den letzten Jahren, bedingt durch das anhaltende berufliche Scheitern und durch soziale Konflikte, verstärkt und verfestigt habe. Anhand der Unterlagen seien darüber hinaus rezidivierende depressive Episoden zu sichern, lediglich mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei darüber hinaus auch eine bipolare affektive Störung mit Umschlagen zwischen depressiven und manischen Phasen bei hierzu fehlender Medikation. Aufgrund des im Rahmen der Persönlichkeitsstörung bestehenden funktionalen Verhaltens bestehe eine subjektiv vermehrte Erschöpfbarkeit, die sich jedoch auf der Befundebene nicht bestätigen lasse. Im Vordergrund imponiere eine ausgeprägte gestörte geistige Flexibilität und Umstellungsfähigkeit mit Festhalten an rigiden Denkinhalten. Es bestehe weniger eine Einschränkung im zeitlichen Umfang möglicher Tätigkeiten als eine aufgrund der rigiden Denkmuster kaum bestehende Umstellungsfähigkeit an neue Denkinhalte, wie sie letztlich an jedem Arbeitsplatz erforderlich sei. Bei Abwägung der verschiedenen Argumente gegeneinander sei angesichts der zu eruierenden Aktivitäten eine quantitative Leistungseinschränkung schwerlich zu begründen. Die Hauptproblematik sehe er in den ausgeprägt rigiden, völlig verfestigten und durch nichts zu beeinflussenden Denkmustern, welche die Umstellungsfähigkeit massiv limitierten. Außerhalb einer "geschützten Werkstatt" vermöge er sich letztlich keine Tätigkeit vorzustellen, die der Kläger sinnvoll ausüben könnte, ohne dabei nicht innerhalb kürzester Zeit wieder zu scheitern. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Symptomatik im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtung im Jahr 2011 noch deutlich günstiger dargestellt habe als jetzt. Entsprechend könne er lediglich zum aktuellen Leistungsbild Aussagen machen. Die Persönlichkeitsstörung, die letztlich wohl seit jeher eine grenzkompensierte Situation bedingt habe, erscheine inzwischen so verfestigt und in einem dysfunktionalen Verhalten "eingebaut", dass eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes unwahrscheinlich sei.
Zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. hat die Beklagte zunächst die sozialmedizinische Stellungnahme der Dr. D. vom 19.02.2018 vorgelegt. In einer weiteren Stellungnahme vom 02.05.2018 hat die Ärztin für Psychiatrie Dr. H. für den sozialmedizinischen Dienst ausgeführt, auch bei der Lektüre der Expertise des erfahrenen Gutachters Prof. Dr. Dr. W. werde deutlich, dass sich im Falle des Klägers bzw. im Fall einer so komplexen psychischen Störung, bei der sich im Verlauf der Jahre der Betroffene psychisch überwiegend grenzkompensiert gezeigt habe, eine eindeutige und zweifelsfreie Einschätzung der Leistungsfähigkeit schwierig gestaltete. Bei dem Kläger bestehe weitgehend zweifelsfrei eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einschränkungen seiner sozialen Interaktionsfähigkeit, seiner sozialen Kompetenzen und Umstellungsfähigkeit, welche in der Ausprägung und Komplexität so gravierend erschienen, dass diese gegebenenfalls auch im Sinne einer außergewöhnlichen Häufung von qualitativen Einschränkungen verstanden werden könnten. Quantitativ sei bei dem Kläger aber keine relevante Einschränkung zu beschreiben. Ob seine ins Erwerbsleben gebrachte Persönlichkeitsstörung und die daraus resultierenden, rigiden Verhaltensweisen mit geringer Umstellungsfähigkeit zu einem erloschenen Leistungsvermögen führen könnten, sollte juristisch entschieden werden.
Der Kläger selbst hat zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. eine umfangreiche eigene Stellungnahme vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig. Die Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.03.2011 auf Dauer. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünftagewoche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger zwar körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche verrichten kann, dies jedoch nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, weshalb ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist.
Zur Überzeugung des Senats leidet der Kläger auf dem hier für die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens allein maßgeblichen psychiatrischem Fachgebiet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Dies ergibt sich zuletzt aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W., aber auch aus der Gesamtschau der im gerichtlichen Verfahren eingeholten sowie der im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14.11.2013 – B 9 SB 10/13 B –, Juris, Rdnr. 6; BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 8/07 R –, Juris, Rdnr. 51) sowie den Befundberichten der behandelnden Ärzte, insbesondere des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie S ... Im Entlassungsbericht der K.-K. wird eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, im Entlassungsbericht des Diakonie-Klinikums S.H. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, abhängigen und anankastischen Anteilen diagnostiziert. Der Gutachter M. hat als Diagnose eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen asthenischen Anteilen und Prof. Dr. Dr. W. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Soweit Dr. H. lediglich von einzelnen asthenischen und zwanghaften Persönlichkeitsmerkmalen ausgegangen war, wird dessen Einschätzung durch die weiteren vorliegenden Gutachten zur Überzeugung des Senats widerlegt. Der Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. ist die Beklagte mit ihrer zuletzt vorgelegten Stellungnahme durch Dr. H. auch nicht mehr entgegengetreten.
Darüber hinaus sind rezidivierende depressive Episoden zu sichern. Der Kläger wurde vom 14.12.2010 bis 25.01.2011 in der K.-K. wegen einer mittelgradigen depressiven Episode behandelt, die Aufnahme in das Klinikum K.-L. im Januar 2012 und in die Klinik R. im Juni 2015 erfolgte jeweils wegen der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig schwerer Episode. Von einem dauerhaft stärkeren Ausprägungsgrad der depressiven Episode konnte sich der Senat allerdings aufgrund der durch die Gutachter M. und Prof. Dr. Dr. W. mitgeteilten Befunde und deren Beurteilung nicht überzeugen.
Lediglich mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist nach der Einschätzung des Prof. Dr. Dr. W. eine bipolare affektive Störung mit Umschlagen zwischen depressiven und manischen Phasen.
Der Kläger ist trotz dieser Gesundheitsstörungen noch in der Lage, zumindest leichten Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Der Senat folgt im Ergebnis der Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W., der sich sehr ausführlich mit der Krankheitsgeschichte des Klägers, den durch diesen vorgebrachten Einschränkungen und den vorliegenden Befunden auseinandergesetzt und selbst gründlich Befunde erhoben hat. Er hat ausführlich die für und gegen eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung und eine entsprechende Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen sprechenden Argumente gegeneinander abgewogen. Für eine bestehende quantitative Leistungseinschränkung aufgrund einer durch verschiedene Lebensumstände aus dem Ruder gelaufenen Persönlichkeitsstörung spricht aus Sicht des Gutachters, dass es im Zeitraum von 1995 bis 2015 zu insgesamt sechs längeren stationären psychiatrischen bzw. psychosomatischen Aufenthalten gekommen ist. Zutreffend führt der Gutachter weiter aus, dass es seit einer anfänglichen Tätigkeit in "geschützter Umgebung" zu keiner längeren stabilen Berufstätigkeit gekommen ist. Dies wird durch den vorliegenden Versicherungsverlauf bestätigt, aus dem sich immer wieder durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochene, oft nur wenige Monate andauernde Beschäftigungsverhältnisse ergeben. Nach Einschätzung des Gutachters ist der Kläger über die Versorgung der Mutter hinaus weitgehend sozial isoliert. Er erscheint in seinem rigiden Denken kaum umstellungsfähig und flexibel, zeigt sich im Umgang mit Dritten ausgeprägt kontaktgestört und lässt auch, soweit anhand der Unterlagen zu erkennen, gewisse paranoide Denkinhalte erkennen. Darüber hinaus äußert der Gutachter den dringenden Verdacht auf eine bipolare Störung. Auf der anderen Seite finden sich jedoch nach Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. auch nicht unwesentliche Argumente, die gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Funktionsstörung sprechen. Der Kläger zeige sich im Rahmen der Begutachtung durchaus kämpferisch und ließ anamnestisch auch eine beträchtliche Selbstbehauptungsfähigkeit erkennen angesichts seiner verschiedenen Eingaben im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Tochter. Zumindest im Zusammenhang mit der Frage der Kraftfahrfähigkeit erweise er sich als hinreichend steuerungsfähig, eine Depravation oder Vernachlässigung der Körperpflege war nicht zu erkennen. Der Kläger lässt im Zusammenhang mit der Selbstversorgung und der Versorgung seiner Mutter umfangreiche Aktivitäten erkennen, hat nach seiner Schilderung auch aktiven Kontakt zu Flüchtlingen, denen er versuche, seine Glaubensgedanken nahe zu bringen, was sicherlich einigen Mut erfordere. Schließlich ließ der Kläger am Ende des zweistündigen gutachterlichen "Stresstests" keinerlei Ermüdungszeichen erkennen. Bei Abwägung der verschiedenen Argumente gegeneinander ist angesichts der zu eruierenden Aktivitäten eine quantitative Leistungseinschränkung nach Einschätzung des Gutachters schwerlich zu begründen. Dieser Einschätzung folgt der Senat. Die Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens deckt sich auch mit den Vorgutachten, insbesondere des Gutachtens des Sachverständigen M ...
Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen damit grundsätzlich in der Lage, in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche zumindest körperlich leichte und geistige einfache Arbeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen auch unter Berücksichtigung von Arbeitsfeldern im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik usw. (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 – B 13 R 78/09 R – m.w.N., - unter Verweis auf BSG Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996 – GS 2/95 -, BSGE 80, 24 – 41; Juris)) zu verrichten. Dies ergibt sich für den Senat aus allen insoweit übereinstimmenden Sachverständigengutachten.
Allerdings ist der Senat auch der Überzeugung, dass dem Kläger dieses vollschichtige zeitliche Leistungsvermögen nur unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen abverlangt werden kann, die gerade nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechen. Hier liegt ein Seltenheitsfall nach Nr. 1 des vom BSG (Urteil vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 137, Juris m.w.N.) aufgestellten sog. Verschlossenheitskatalogs vor, für den eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Eine geeignete Verweisungstätigkeit wurde von der Beklagten nicht benannt und ist auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.
Unter den üblichen Bedingungen ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Dazu gehören neben rechtlichen Bedingungen (Dauer und Verteilung der Arbeitszeit etc.) auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistiger Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, also kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris).
Der Senat stellt fest, dass die kombinierte Persönlichkeitsstörung des Klägers dazu geführt hat, dass ihm Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr zugemutet werden können. Dies ergibt sich für den Senat schlüssig und nachvollziehbar aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W ... Die Hauptproblematik für eine Erwerbstätigkeit liegt nach Einschätzung des Gutachters, der der Senat folgt, in den ausgeprägten rigiden, völlig verfestigten und durch nichts zu beeinflussenden Denkmustern, welche dessen Umstellungsfähigkeit massiv limitieren und dazu führen, dass der Gutachter sich außerhalb einer "geschützten Werkstatt" – und damit gerade nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – letztlich keine Tätigkeit vorzustellen vermag, die der Kläger sinnvoll ausüben könnte, ohne dabei nicht innerhalb kürzester Zeit wieder zu scheitern. Dieser Einschätzung widerspricht auch der sozialmedizinische Dienst der Beklagten in seiner letzten Stellungnahme durch Dr. H. im Ergebnis nicht. Soweit Dr. H. darauf hinweist, dass sich neben Hinweisen auf eine auffällige Psychopathologie des Klägers auch Hinweise auf recht gesunde Anteile ergeben, ist dies zutreffend. Der Kläger betreut seine pflegebedürftige Mutter, kümmert sich um seine Tochter, sucht den Kontakt zu Flüchtlingen in einer nachgelegenen Unterkunft und fährt Auto. Diese Umstände hat Prof. Dr. Dr. W. bei seiner Leistungsbeurteilung, wie dargelegt, berücksichtigt. Auch Dr. H. räumt ein, dass der Gutachter die erhobenen Befunde sorgfältig gegeneinander abgewogen hat und die von ihm gestellten Diagnosen aus psychiatrischer Sicht nachvollziehbar seien. Sie äußert auch Zweifel daran, ob der Kläger überhaupt in eine Werkstatt für Behinderte integrierbar wäre. Für den Senat durchaus nachvollziehbar weist Dr. H. darauf hin, dass die Schreiben und Stellungnahmen des Klägers gegen eine Einschränkung des Leistungsvermögens sprechen, u.a. das Schreiben des Klägers an den Gutachter Prof. Dr. Dr. W. vom 29.11.2017 durch die präzise Wortwahl beeindruckt und den hohen Aufwand des Schreibers und somit einige Kompetenzen des Klägers illustriert. Auf der anderen Seite räumt sie aber auch ein, dass die anderen Stellungnahmen nicht nur dessen isolierte Kompetenzen und Fähigkeiten des Klägers wiedergeben, sondern auch die Komplexität seiner Störung, die Rigidität seines Denkens und seine (persönlichkeitsbedingt) fehlende Fähigkeit, sich umzustellen und an das Neue anzupassen, veranschaulichen. In der Zusammenschau der vorliegenden Gutachten, insbesondere des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. und der Stellungnahme der Dr. H. steht für den Senat fest, dass der Kläger aufgrund der schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einschränkungen der sozialen Interaktionsfähigkeit, der sozialen Kompetenzen und Umstellungsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.
Die qualitativen Leistungseinschränkungen erfordern zur Überzeugung des Senats nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen zur schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG, Urteile vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R – und vom 19.10.2011 – B 13 R 78/09 R – m.w.N., Juris) die Benennung einer dem Restleistungsvermögen des Versicherten entsprechenden konkreten Verweisungstätigkeit. Für die Prüfung, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung – oder im Übrigen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen – vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab; sie richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a.a.O.). Maßgeblich sind vor allem Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Einschränkungen und die damit verbundene Frage, inwieweit diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten zu versperren (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a.a.O.). Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können vor allem besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R –, Juris, Rdnr. 28 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 – 4 RJ 1/82 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 104, Juris). Eine solche schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt hier wegen der Schwierigkeiten des Klägers hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz vor. Denn mit den oben genannten, aus der Persönlichkeitsstörung folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen ist dem Kläger zur Überzeugung des Senats gerade ein typischer Arbeitsplatz auch für körperlich und geistig einfache Arbeiten versperrt.
Der Umstand, dass der Kläger die Persönlichkeitsstörung ins Erwerbsleben eingebracht und diese seine bisherige berufliche Tätigkeit nicht verhindert hat, steht einer Erwerbsminderung auf Grund dieser Erkrankung nicht entgegen. Denn Versicherte werden mit allen Krankheiten, Gebrechen, Behinderungen, Wesenseigentümlichkeiten, Sozialisations- und Bildungsdefiziten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen, und es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen sog. "eingebrachter" Leiden, Behinderungen oder sonstiger Defizite (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1, Juris, Rdnr. 30 m.w.N., LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2017 - L 13 R 1079/16 -, Juris, Rdnr. 21), es sei denn, es hat bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit bestanden. Für letzteres gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Kommen bei einem regulär Versicherten im Verlaufe des Erwerbslebens weitere Leistungseinschränkungen hinzu oder nimmt nur mit zunehmendem Alter die Kompensationsfähigkeit "eingebrachter" Leiden bis zur Erwerbsunfähigkeit ab bzw. kommt es zu einem für das "eingebrachte" Leiden typischen Leistungsabbau in einem bestimmten Lebensalter, spielt es für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit keine Rolle, wann und in welcher Reihenfolge die einzelnen ggf. "eingebrachten" Defizite und Leistungseinschränkungen aufgetreten sind (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, a.a.O.). Zur Überzeugung des Senats hatte die Kompensationsfähigkeit des Klägers hinsichtlich der mit der Persönlichkeitserkrankung verbundenen funktionellen/psychischen Einschränkungen mit der Trennung von seiner Ehefrau und der damit verbundenen Trennung von seiner Tochter durch den Umzug derart abgenommen, dass er seitdem mit der ins Erwerbsleben eingebrachten und auch versicherten Persönlichkeitserkrankung gerade nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann, was bis zu diesem Zeitpunkt zwar mit vielen Unterbrechungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit, aber dennoch in geregelten Arbeitsverhältnissen möglich war.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Erwerbsminderung des Klägers jedenfalls seit dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahme in der K.-K. am 14.12.2010 nachgewiesen ist. In dem Entlassungsbericht wird im Rahmen des psychodynamischen Befunds mitgeteilt, dass der Kläger von Kindheit an eine Persönlichkeitsstruktur mit zwanghaften Zügen entwickelt habe. Die ständig ablaufenden inneren Gedankengänge erschöpfen den Kläger, so dass er bei eigentlich guten intellektuellen Möglichkeiten der Bewältigung immer neuer Lebenssituationen nicht gewachsen ist. In der konzentrativen Bewegungstherapie zeigte sich ein fast autistisch anmutender Umgang mit dem Gruppengeschehen und einzelnen Teilnehmern. Der Kläger konnte die durch ihn entstandenen Konflikte nicht wahrnehmen. Die letztlich aus Sicht des Senats für die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung maßgebenden Einschränkungen sind damit jedenfalls zum Zeitpunkt der Aufnahme in die.K-K. nachgewiesen und bestehen seither uneingeschränkt fort. Aus dem Entlassungsbericht des SRH Klinikums K.-L. vom 16.04.2012 ergibt sich ebenfalls eine Einschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach dem Ergebnis der individuell gestuften arbeitstherapeutischen Belastungserprobung bestand keine Leistungsfähigkeit und keine Ausbildungs- oder Umschulungsfähigkeit zu Arbeitsmarktbedingungen. Vielmehr wurde eine Arbeits- und Trainingsmaßnahme in einer Werkstatt für psychisch Kranke im Sinne einer Wohngemeinschaft empfohlen. Eine Tätigkeit zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts wurde auch durch das Klinikum ausgeschlossen. Einer durchgehend bestehenden Einschränkung stehen insbesondere das Gutachten von Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten kann, und das Gutachten des Sachverständigen M. nicht entgegen. Beide Gutachter gelangten ebenfalls zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, haben die sich daraus ergebenden Einschränkungen aber anders gewichtet als der zuletzt gehörte Prof. Dr. Dr. W. Der Gutachter M. hat selbst erhebliche Zweifel an der Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geäußert und letztlich bereits die Einschränkungen genannt, die auch aus Sicht des Senats für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind.
Ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2010 sind auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt. Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit erfüllt; da in der Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2010 jeder Monat mit Pflichtbeitragszeiten belegt ist, sind auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben.
Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht zur Überzeugung des Senats auf Dauer. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen Erwerbsminderung im Regelfall befristet gewährt. Abweichend von diesem Grundsatz werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI unbefristet geleistet, wenn der Rentenanspruch ausschließlich auf dem Gesundheitszustand und nicht (auch) darauf beruht, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, sofern unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann; nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren ist hiervon auszugehen. Anders als nach dem bis zum 01.01.2001 geltenden Recht ist nunmehr für die Gewährung unbefristeter Renten wegen Erwerbsminderung maßgebend, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann, nicht ob sie behoben werden wird. Weder ist erforderlich, dass eine solche Behebung der Erwerbsminderung "überwiegend wahrscheinlich" ist, noch, dass diese in "absehbarer Zeit" wahrscheinlich sein muss. Der Ausdruck "unwahrscheinlich" im Sinne des Satz 5 ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Davon kann erst ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Eingeschlossen werden alle Therapiemöglichkeiten nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungen, also auch Operationen, unabhängig davon, ob diese duldungspflichtig sind oder nicht. Es kommt also nicht darauf an, dass eine "begründete Aussicht" auf Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit besteht. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, das Leistungsvermögen eines Versicherten auf der Grundlage anerkannter Behandlungsmethoden wiederherzustellen. Solange diese Möglichkeit besteht und im Einzelfall keine gesundheitsspezifischen Kontraindikationen entgegenstehen, ist von einer Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Erwerbsminderung nicht auszugehen. Dabei ist ausreichend, dass die mit einer Behandlung angestrebte Besserung sich nicht von vornherein in einem Bereich bewegt, der sich als rentenrechtlich irrelevant darstellt, sondern die quantitative Leistungsfähigkeit des Versicherten über die für die volle Erwerbsminderung erhebliche Schwelle anheben kann. Die Frage, ob die Behebung unwahrscheinlich ist, ist zum Zeitpunkt der Bewilligung prognostisch zu beurteilen und unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der umfassenden gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Schmidt in Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 2. Aufl. 2013, Stand 16.06.2015, § 102 Rdnr. 7 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.03.2006 – B 13 RJ 31/05R –, Juris). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Falle der Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des BSG (grundlegend Urteile vom 24.10.1957 – 10 RV 945/55 – und vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 –, Juris) der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast gilt, wonach die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache von demjenigen Beteiligten zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Eine Beweislastentscheidung setzt voraus, dass zunächst alle verfügbaren Erkenntnisquellen und Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und sich die entscheidungserheblichen Tatsachen gleichwohl nicht feststellen lassen (BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11 AL 7/05 R –, Juris, Rdnrn. 29, 32).
Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. ist eine Besserung des Gesundheitszustandes unwahrscheinlich. Der Gutachter legt für den Senat überzeugend dar, dass die Persönlichkeitsstörung des Klägers und sein dysfunktionales Verhalten so verfestigt sind, dass eine wesentliche Besserung unwahrscheinlich ist. Zwar hat Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 01.10.2014 (111 Reha) noch ausgeführt, der Kläger brauche dringend einen Zugriff auf seine Selbstwirksamkeit, was vielleicht über ein Therapiekonzept für Verbitterung nach Trennung, die ein zentrales Problem darstelle, möglich sei. Die darüber hinaus vorliegenden ärztlichen Äußerungen sprechen aber gegen weitere therapeutische Möglichkeiten. Diese wurden bereits durch den Gutachter M. als gering eingeschätzt. Dieser hatte ausgeführt, dass die im Berufsleben aus seiner Sicht überwiegend einschränkende Rigidität durch den Kläger nicht als krankhaft erlebt werde, psychotherapeutischen Möglichkeiten daher Grenzen gesetzt seien und eine medikamentöse Behandlung nur wenig bewirken könne. Eine stationäre medizinische Behandlung hielt er ebenfalls nicht für erfolgsversprechend. Der Kläger hat seit 2009 mehrere stationäre Aufenthalte und Rehabilitationsmaßnahmen durchlaufen und es findet eine regelmäßige psychiatrische Behandlung statt. Die Besserungsaussicht wird durch Prof. Dr Dr. W. daher überzeugend verneint.
Die Rente ist auch nicht nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI zu befristen, da es sich nicht um eine sog. Arbeitsmarktrente handelt, die neben dem Gesundheitszustand auch darauf beruht, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist (vgl. Kasseler Kommentar/Kater, SGB VI, § 102 Rdnr. 11).
Ausgehend von der Antragstellung am 22.03.2011, einem Leistungsfall im Dezember 2010 und der auf Dauer zu gewährenden Rente war der Rentenbeginn antragsgemäß auf den 01.03.2011 festzusetzen. Eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Die Berufung ist nach alledem begründet; der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, d. h. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren Erfolg hatte, so dass die vollständige Kostentragung durch die Beklagte gerechtfertigt ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
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