S 39 KR 216/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
39
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 39 KR 216/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.12.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2020 verurteilt, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019.
Der Kläger war bis zum 31.10.2019 aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Beklagten krankenversichertes Mitglied. Sein Arbeitsvertrag endete zum 31.10.2019. Der Kläger hatte ab dem 01.11.2019 ein neues Beschäftigungsverhältnis, welches er aufgrund einer akuten Erkrankung jedoch erst zum 11.11.2019 aufnehmen konnte. Nach dem Arbeitsvertrag vom 24.10.2019 war eine regelmäßige Arbeitszeit von 130 Stunden monatlich zu einem Stundenlohn von 22,- EUR brutto vereinbart.
Der Kläger bekam von seinem Hausarzt am 01.11.2019 eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer LWS-Blockierung bis zum 03.11.2019 bescheinigt. Am 04.11.2019 folgte eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 10.11.2019 aufgrund von einer somatoformen Störung und Rückenschmerzen.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 11.12.2019 mit, dass sie ihm für den Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019 kein Krankengeld zahlen könne. Die Mitgliedschaft des Klägers habe am 31.10.2019 aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geendet. Das neue Beschäftigungsverhältnis habe erst nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit begonnen und somit auch erst zu diesem Zeitpunkt eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ausgelöst. Die Fortdauer der Leistungspflicht nach Beendigung der Pflichtversicherung nach § 19 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V), die für maximal einen Monat möglich ist, komme nicht in Betracht, da der Kläger nach Beendigung der Pflichtversicherung einen Anspruch auf eine Familienversicherung gehabt habe.
Der Kläger legte hiergegen am 17.12.2019 Widerspruch ein mit der Begründung, dass sein Beschäftigungsverhältnis am 01.11.2019 begonnen habe. Sein Arbeitgeber habe ihn zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten gemeldet und auch Beiträge entrichtet. Da er in den ersten Wochen keine Entgeltfortzahlung erhalte, habe er einen Anspruch auf Krankengeld.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2020 mit der Begründung zurück, dass das Beschäftigungsverhältnis erst mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme begonnen habe. Es käme hier nicht auf den Arbeitsvertrag oder die arbeitsrechtliche Bewertung an, sondern auf eine sozialversicherungsrechtliche Betrachtung. Aus Sicht der Sozialversicherung begänne die Pflichtversicherung aufgrund eines neuen Beschäftigungsverhältnisses erst mit Aufnahme der Arbeit oder wenn der Arbeitsgeber freiwillig eine Entgeltfortzahlung leiste.
Hiergegen hat der Kläger am 10.03.2020 Klage erhoben und vorgetragen, dass die Beklagte ihn nie über eine Familienversicherung informiert habe. Er habe auch keinen Antrag auf eine Familienversicherung gestellt. Der Beginn des Beschäftigungsverhältnisses läge auch ohne tatsächliche Arbeitstätigkeit am 01.11.2019, da es für ein Zeitarbeitsverhältnis typisch sei, dass es auch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsausführung gäbe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.12.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2020 zu verurteilen, ihm Krankengeld für den Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vor, dass der Arbeitgeber zunächst eine Anmeldung des Klägers zum 01.11.2019 vorgenommen habe. Diese habe er jedoch aufgrund der fehlenden Tätigkeitsaufnahme storniert und den Kläger zum 11.11.2019 angemeldet.
Der Kläger hat dies bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.

Entscheidungsgründe:

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und zudem begründet. Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der Bescheid der Beklagten vom 11.12.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2020 rechtwidrig ist. Der Kläger hatte im Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019 einen Anspruch auf Krankengeld. Daher waren die ablehnenden Bescheide aufzuheben.
I. Der Anspruch auf Krankengeld ergibt sich aus §§ 44 ff. SGB V.
Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ein Anspruch auf Krankengeld kann sich nach dem Ende der Pflichtversicherung zudem aus § 44 Abs. 1 SGB V in Verbindung § 19 Abs. 2 SGB V ergeben.
1. Der Anspruch auf Krankengeld beginnt gemäß § 46 Satz 1 SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Nach § 46 Satz 2 SGB V bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Sowohl die Arbeitsunfähigkeit des Klägers aufgrund einer Erkrankung als auch die ärztliche Feststellung dieser Arbeitsunfähigkeit war zwischen den Beteiligten unstreitig. Anlass für weitere gerichtliche Ermittlungen bestanden nicht.
2. Die Kammer konnte offen lassen, ob im streitgegenständlichen Zeitraum eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aufgrund einer Beschäftigung gegen Entgelt nahtlos über den 31.10.2019 hinaus fortbestand oder ob diese Pflichtversicherung aufgrund des Nichtantritts der neuen Arbeitsstelle bis zum 11.11.2019 unterbrochen war (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.03.2014 – B 1 KR 64/12 R –). Denn wenn eine Unterbrechung der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingetreten sein sollte, hatte der Kläger einen Anspruch auf nachgehende Leistungen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V, die auch den Anspruch auf Krankengeld umfassen.
Ein Ausschluss der Leistungen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch den Eintritt einer Versicherung nach § 10 SGB V gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB V liegt nicht vor.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V setzt die Versicherung des Ehepartners eines Mitglieds im Rahmen der sogenannten Familienversicherung unter anderem voraus, dass der Ehepartner kein Gesamteinkommen hat, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch (SGB IV) überschreitet.
Die monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV betrug im Jahr 2019 3.115,- EUR monatlich. Die Einkommensgrenze des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V in Verbindung mit § 18 SGB IV betrug somit zum streitgegenständlichen Zeitraum 445,- EUR im Monat.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der die Kammer sich nach eigener Prüfung anschließt, ist bei Statusentscheidungen im Versicherungsrecht und somit auch bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SGB V eine vorausschauende Betrachtungsweise anzuwenden (u.a. BSG, Urteil vom 28.03.2019 – B 10 LW 1/17 R –, BSGE 128, 1). Denn der Betreffende muss – sollten die Voraussetzungen einer Familienversicherung nicht vorliegen oder entfallen – für eine anderweitige Versicherung sorgen können und bei auftretender Krankheit zuverlässig wissen, wie und wo er versichert ist. Diese erfordert eine vorausschauende Schätzung am Beginn des jeweils zu beurteilenden Lebenssachverhalts auf der Basis des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Erkenntnisstandes (u.a. BSG, Urteil vom 07.12.2000 – B 10 KR 3/99 R –, Rn. 29; vgl. auch BSG, Urteil vom 28.03.2019 – B 10 LW 1/17 R –, BSGE 128, 1).
Nach einer solchen vorausschauenden Betrachtungsweise war sowohl zum Zeitpunkt der ersten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 01.11.2019 als auch bei der weiteren ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 04.11.2019 von einem monatlichen Gesamteinkommen des Klägers auszugehen, welches regelmäßig über 445,- EUR liegen würde und somit über den Grenzen des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V i.V.m. § 18 SGB IV.
a. Wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat, konnte hierbei nicht mehr von dem vorherigen Einkommen des Klägers ausgegangen werden, da der Arbeitsvertrag zum 31.10.2019 geendete hatte und somit für die Zukunft kein weiteres Einkommen aus diesem Arbeitsverhältnis zu erwarten war.
b. Der Kläger verfügte jedoch über einen rechtsverbindlichen Arbeitsvertrag ab dem 01.11.2019, der ein regelmäßiges Monatseinkommen weit über der Einkommensgrenze 445,- EUR erwarten ließ.
Nach dem Arbeitsvertrag vom 24.10.2019 war eine regelmäßige Arbeitszeit von 130 Stunden monatlich bzw. 30 Stunden wöchentlich zu einem Stundenlohn von 22,- EUR brutto vereinbart. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 01.11.2019 war bis zum 03.11.2019 befristet.
Es war also am 01.11.2019 davon auszugehen, dass der Kläger zeitnah seine Arbeitstätigkeit werde aufnehmen können und somit bereits im November eine Gehaltszahlung erhalten würde, die weit über 445,- EUR liegen würde.
Diese Prognose änderte sich auch nicht am 04.11.2019 durch die erneute ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Die weitere Arbeitsunfähigkeit war bis zum 10.11.2019 prognostiziert. Es bestand also auch noch im zweiten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit eine Prognose, dass der Kläger im November seine Arbeitstätigkeit gegen Entgelt aufnehmen würde und dies in einem zeitlichen Umfang, der zu einem Einkommen über 445,- EUR führen würde.
c. Bei einer vorausschauenden Betrachtung anhand der zu diesem Zeitpunkt vorhanden Daten unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit im weiteren Zeitverlauf eintretenden Änderungen, lagen also trotz des fehlenden Einkommens im Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 10.11.2019 die Voraussetzungen für den Eintritt einer Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nicht vor. Denn es war von einem regelmäßigen Monatseinkommen über 445,- EUR nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit auszugehen und zugleich war mangels entgegenstehender Informationen davon auszugehen, dass der Kläger zeitnah seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangen würde.
d. Zu weiteren gerichtlichen Ermittlungen nach § 103 SGG zum Einkommen des Klägers über sein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung hinaus bestand kein Anlass, da bereits aufgrund des zu erwarteten Einkommens aus abhängiger Beschäftigung der Eintritt einer Versicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V auszuschließen war.
3. Der Anspruch des Klägers auf Krankengeld war auch nicht nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ausgeschlossen, da der Kläger – wie unter 2. dargelegt – im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nach § 10 SGB V familienversichert war.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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