Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 823/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Kostenübernahme von Cannabis-Produkten.
Der im Juni 19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er stellte dort am 22.09.2017 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Cannabis-Therapie. Dem Antrag beigefügt waren eine Verordnung der ihn behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin, Frau C., aus M., sowie ein ärztlicher Fragebogen. Danach wurden dem Kläger Medizinal Cannabisblüten (Bedrocan) aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms verordnet. Bezüglich des Inhalts der Verordnung wird auf Bl. 73 bis 75 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Nachdem der von der Beklagten beauftragte M. N. in seiner Stellungnahme vom 18.10.2017 zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V nicht erfüllt seien, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.2017 ab. Einen gegen diesen Bescheid am 20.10.2017 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2017 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 22.06.2018 Klage erhoben. Ein weiterhin, am 19.10.2018 gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der bei der Kammer unter dem Az. S 9 KR xxxx/18 ER geführt wurde, ist mit Beschluss vom 14.02.2019 abgelehnt worden. Das Gericht hatte in diesem Verfahren Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein fachpsychiatrisch-psychotherapeutisches, suchtmedizinisches Gutachten eingeholt, auf das Bezug genommen wird (Bl. 135 ff. der Gerichtsakte in dem Verfahren S 9 KR xxxx/18 ER). Ein gegen den ablehnenden Beschluss vom 14.02.2019 gerichtetes Beschwerdeverfahren ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss des LSG NRW vom 08.04.2019, L 10 KR xxx/19 B ER).
Der Kläger führt zur Begründung seiner Klage an, dass er zur Linderung der Schmerzen und zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitsfähigkeit auf die Versorgung mit Cannabisblüten zwingend angewiesen sei. Bei dem Kläger liege eine Erkrankung vor, die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Es stehe auch keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung. Eine Therapie mit Amineurin sei im Mai 2017 wegen Amitryptilinunverträglichkeit abgebrochen worden. Die von dem Sachverständigen angesprochene multimodale Schmerztherapie sei ausweislich einer Internetrecherche bei der Bundesärztekammer keine anerkannte Therapie bei einem chronischen Schmerzsyndrom, wie es bei dem Kläger vorliege. Im Übrigen sei die Beklagte beweispflichtig, dass es sich bei der multimodalen Schmerztherapie um eine geeignete Therapie handele. Auch könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass er eine Psychotherapie wegen einer gegebenenfalls psychosomatischen Ursache der Erkrankung durchlaufen müsse. Denn der Sachverständige habe insoweit lediglich einen Verdacht geäußert. Der Kläger müsse sich nicht gegen Behandlungsformen verteidigen, die lediglich vermutet würden. Schließlich liege es in der Entscheidungshoheit des behandelnden Arztes, ob er eine Therapie oder Behandlungsform für zweckdienlich oder fachgerecht halte. Die zweite Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V sehe keinen objektiven oder objektivierbaren Maßstab für eine gerichtliche Überprüfung vor. Fakt sei, dass die behandelnde Vertragsärztin eine begründete Einschätzung des Gesundheitszustandes des Klägers vorgenommen habe und unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen die Cannabisprodukte als einzig mögliche Behandlungsoption individuell für den Kläger vorgesehen habe. Das Gesetz stelle insoweit ausschließlich auf die subjektive Einschätzung der behandelnden Ärztin ab. Eine Überprüfung scheide aufgrund des Wortlautes aus. Das Gericht sei bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen darauf beschränkt, ob eine begründete Einschätzung der Vertragsärztin vorliege und ob sie eine hinsichtlich der zu erwartenden Nebenwirkungen erforderliche Abwägung vorgenommen habe. Auf mögliche Ansichten eines anderen Arztes oder des Gutachters komme es nicht an.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018 zu verpflichten, ihm die beantragte Kostenübernahme für eine Behandlung mit Cannabisblüten (Bedrocan, Pedanois 22/1) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 12.03.2018 sowie auf die sozialmedizinischen Gutachten des M. vom 18.10.2017 und 11.12.2017. Nach ihrer Auffassung sei bereits die Voraussetzung einer schwerwiegenden Erkrankung nicht erfüllt, was durch die Feststellungen des gerichtlichen Gutachters bestätigt werde.
Bezüglich des Sach– und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte in dem Verfahren S 9 KR xxxx/18 ER sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Klageverfahrens im Sinne des § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässig.
II. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger nicht, da sie nicht rechtswidrig sind (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Cannabisblüten, der aus § 31 Abs. 6 SGB V folgen könnte.
Hiernach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (a) nicht zur Verfügung steht oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Nach dieser durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BGBl I 2017, 403) eingefügten Regelung besteht der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln unter der Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Beck/Pitz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. (2016), § 31 SGB V, Rn. 97.2). Die erstmalige Verordnung bedarf einer Genehmigung durch die Krankenkasse, die nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden kann (Beck/Pitz, a.a.O.). Der Zusatz, dass eine Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist, muss so verstanden werden, dass die Krankenkasse bei Vorliegen einer Verordnung darlegen und beweisen muss, dass eine Standardbehandlung nicht existiert bzw. diese geeignet ist oder keine – wenn auch nur ganz entfernt liegende – Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch die Einnahme von Cannabisarzneimitteln besteht (vgl. BT-Drs. 18/10902, S. 20). Ein Abwälzen dieser Darlegungs- und Feststellungslast auf den Vertragsarzt oder den Versicherten soll ausdrücklich nicht möglich sein, da die Regelung "der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes [ ...] Rechnung" tragen soll (BT-Drs. 18/10902, S. 20). Zulässigerweise kann bei der Auslegung der Vorschrift an die zu § 2 Abs. 1a SGB V ergangene Rechtsprechung angeknüpft werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.06.2018, 1 BvR 733/18, Rn. 6).
a) Zunächst stellt die Verordnung der Vertragsärztin bereits aus formellen Gründen keine begründete Einschätzung im Sinne der zweiten Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V dar. Denn, worauf das LSG NRW im Beschwerdeverfahren bereits ausführlich hingewiesen hatte, entbehrt die Verordnung bereist einer Darlegung von nachvollziehbaren Befunden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 08.04.2019, a.a.O., S. 7 des amtlichen Drucks, letzter Absatz).
b) Aber auch die Voraussetzungen für die erste Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V liegen nicht vor, da nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Falles des Klägers allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stehen.
Nach den Feststellungen des Gutachters, Herrn Dr. phil. Dr. med. L. in dessen Gutachten vom 18.12.2018 diagnostizierte dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers einen Verdacht auf eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10-GM: F45.41V) sowie einen chronischen Spannungskopfschmerz (ICD-10-GM: G44.2V). Bei dem Kläger bestehe die Verdachtsdiagnose einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren. Daneben werde ein Spannungskopfschmerz im Sinne eines leichteren Kopfschmerzleidens beschrieben. Nach Aktenlage und Anamnese bestünden vom Bewegungsapparat ausgehende Beschwerden. Zu den anerkannten Therapieverfahren des vorliegenden Störungsbildes zählten insbesondere eine stationäre multimodale Schmerztherapie, bei der verschiedene Therapiemaßnahmen auf die jeweils individuelle Situation des Patienten und seine psychische und soziale Situation abgestimmt würden. Medikamente, z.B. dass für diese Indikation häufig verordnete Antidepressivum Duloxetin (Cymbalta) und nicht–medikamentöse Verfahren, z.B. Varianten der Verhaltenstherapie, würden miteinander kombiniert. Der Kläger sei bereits mit diversen Pharmaka behandelt worden, u.a. mit klassischen Analgetika, Opioiden, aber auch schmerzmodulierenden Medikamenten wie Pregabalin und Gabapentin, auch schmerzmodulierenden Antidepressiva. Dabei könne sich der Kläger an Amitriptylin erinnern, nicht jedoch an Duloxetin (Cymbalta). Nach seinen Angaben habe er über einen längeren Zeitraum Tramadol eingenommen, was jedoch nicht zu einer nachhaltigen Linderung seiner Beschwerden geführt habe. Viele Medikamente seien aufgrund von Unverträglichkeit vorzeitig abgesetzt worden. Eine ambulante Schmerztherapie sei zudem vorzeitig abgebrochen worden. Unabhängig von der diagnostischen Einordnung der von dem Kläger beklagten Schmerzsymptomatik seien bislang nicht alle verbleibenden regulären Behandlungsoptionen ausgeschöpft worden. So sei bislang keine stationäre und/oder fortlaufende ambulante multimodale Schmerztherapie durchgeführt worden. Auch eine Medikation mit dem für die Indikation häufig verordneten Antidepressivum Duloxetin (Cymbalta) sei bislang nach Angaben des Klägers nicht erfolgt. Auch sei bislang keine ambulante neurologische und/oder psychiatrische Behandlung als auch keine Psychotherapie wahrgenommen worden. Aktuelle Studien belegten, dass Cannabis bei chronischen, neuropathischen Schmerzen Verbesserungen bringen könne. Ein wissenschaftlicher Nachweis längerfristig positiver Effekte bei somatoformen Störungen sei hingegen bislang nicht erbracht worden. Bei dem Kläger bestehe vor dem Hintergrund einer psychosomatischen Überlagerung von subjektiv erlebten Schmerzen keine Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Verabreichung von Cannabisprodukten, da bei dem vorliegenden Verdacht auf eine somatoforme Störung keine wirksame Abhilfe zu erwarten sei. Die von dem Kläger geschilderte subjektive Beschwerdelinderung unter Cannabis könne zudem in Anbetracht des wahrscheinlich teilweise psychosomatischen Charakters der Beschwerden ebenso gut auf einem Placeboeffekt zurückgehen. Zweifellos sei Cannabis im Falle des Klägers nicht das letzte verbleibende Therapeutikum. Zudem sei längerfristig mit einer Toleranzentwicklung und Entstehung eines Abhängigkeitssydroms zu rechnen, so dass die ärztliche Verordnung aus gutachterlicher Sicht nicht befürwortet werde. Zu berücksichtigen sei dabei, dass der Kläger nach seinen Angaben bereits im jungen Erwachsenenalter Cannabis sporadisch konsumiert habe, so dass in der Vergangenheit bei dem Kläger bereits ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorgelegen habe, wodurch mit einer niedrigeren Schwelle zur Entwicklung von Suchtverhalten gerechnet werden müsse, was zusätzlich gegen den längerfristigen Einsatz von Cannabispräparaten in der Schmerztherapie des Klägers spreche. Die weitere diagnostische Abklärung und insbesondere die Inanspruchnahme einer stationären multimodalen Schmerztherapie seien dazu geeignet, dass bei dem Kläger vorliegende Störungsbild wirksam zu behandeln. Gründe, die gegen eine derartige Behandlung sprächen, lägen aus Sicht des Gutachters nicht vor. Die Kammer hält diese Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend und schließt sich diesen an. Bestehen mithin allgemein anerkannte Leistungen, um die Erkrankung des Klägers zu behandeln, scheidet ein Anspruch aus. Der Hinweis des Klägers, eine multimodale Schmerztherapie sei nach einer Internetrecherche nicht indiziert und die Beklagte sei mit dem Nachweis einer alternativen Behandlung beweisbelastet, verkennt, dass der Sachverständige eben solche zur Verfügung stehenden allgemein anerkannten Leistungen im Rahmen der ersten Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V überzeugend dargelegt hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Kostenübernahme von Cannabis-Produkten.
Der im Juni 19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er stellte dort am 22.09.2017 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Cannabis-Therapie. Dem Antrag beigefügt waren eine Verordnung der ihn behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin, Frau C., aus M., sowie ein ärztlicher Fragebogen. Danach wurden dem Kläger Medizinal Cannabisblüten (Bedrocan) aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms verordnet. Bezüglich des Inhalts der Verordnung wird auf Bl. 73 bis 75 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Nachdem der von der Beklagten beauftragte M. N. in seiner Stellungnahme vom 18.10.2017 zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V nicht erfüllt seien, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.2017 ab. Einen gegen diesen Bescheid am 20.10.2017 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2017 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 22.06.2018 Klage erhoben. Ein weiterhin, am 19.10.2018 gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der bei der Kammer unter dem Az. S 9 KR xxxx/18 ER geführt wurde, ist mit Beschluss vom 14.02.2019 abgelehnt worden. Das Gericht hatte in diesem Verfahren Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein fachpsychiatrisch-psychotherapeutisches, suchtmedizinisches Gutachten eingeholt, auf das Bezug genommen wird (Bl. 135 ff. der Gerichtsakte in dem Verfahren S 9 KR xxxx/18 ER). Ein gegen den ablehnenden Beschluss vom 14.02.2019 gerichtetes Beschwerdeverfahren ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss des LSG NRW vom 08.04.2019, L 10 KR xxx/19 B ER).
Der Kläger führt zur Begründung seiner Klage an, dass er zur Linderung der Schmerzen und zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitsfähigkeit auf die Versorgung mit Cannabisblüten zwingend angewiesen sei. Bei dem Kläger liege eine Erkrankung vor, die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Es stehe auch keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung. Eine Therapie mit Amineurin sei im Mai 2017 wegen Amitryptilinunverträglichkeit abgebrochen worden. Die von dem Sachverständigen angesprochene multimodale Schmerztherapie sei ausweislich einer Internetrecherche bei der Bundesärztekammer keine anerkannte Therapie bei einem chronischen Schmerzsyndrom, wie es bei dem Kläger vorliege. Im Übrigen sei die Beklagte beweispflichtig, dass es sich bei der multimodalen Schmerztherapie um eine geeignete Therapie handele. Auch könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass er eine Psychotherapie wegen einer gegebenenfalls psychosomatischen Ursache der Erkrankung durchlaufen müsse. Denn der Sachverständige habe insoweit lediglich einen Verdacht geäußert. Der Kläger müsse sich nicht gegen Behandlungsformen verteidigen, die lediglich vermutet würden. Schließlich liege es in der Entscheidungshoheit des behandelnden Arztes, ob er eine Therapie oder Behandlungsform für zweckdienlich oder fachgerecht halte. Die zweite Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V sehe keinen objektiven oder objektivierbaren Maßstab für eine gerichtliche Überprüfung vor. Fakt sei, dass die behandelnde Vertragsärztin eine begründete Einschätzung des Gesundheitszustandes des Klägers vorgenommen habe und unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen die Cannabisprodukte als einzig mögliche Behandlungsoption individuell für den Kläger vorgesehen habe. Das Gesetz stelle insoweit ausschließlich auf die subjektive Einschätzung der behandelnden Ärztin ab. Eine Überprüfung scheide aufgrund des Wortlautes aus. Das Gericht sei bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen darauf beschränkt, ob eine begründete Einschätzung der Vertragsärztin vorliege und ob sie eine hinsichtlich der zu erwartenden Nebenwirkungen erforderliche Abwägung vorgenommen habe. Auf mögliche Ansichten eines anderen Arztes oder des Gutachters komme es nicht an.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018 zu verpflichten, ihm die beantragte Kostenübernahme für eine Behandlung mit Cannabisblüten (Bedrocan, Pedanois 22/1) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 12.03.2018 sowie auf die sozialmedizinischen Gutachten des M. vom 18.10.2017 und 11.12.2017. Nach ihrer Auffassung sei bereits die Voraussetzung einer schwerwiegenden Erkrankung nicht erfüllt, was durch die Feststellungen des gerichtlichen Gutachters bestätigt werde.
Bezüglich des Sach– und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte in dem Verfahren S 9 KR xxxx/18 ER sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Klageverfahrens im Sinne des § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässig.
II. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger nicht, da sie nicht rechtswidrig sind (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Cannabisblüten, der aus § 31 Abs. 6 SGB V folgen könnte.
Hiernach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (a) nicht zur Verfügung steht oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Nach dieser durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BGBl I 2017, 403) eingefügten Regelung besteht der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln unter der Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Beck/Pitz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. (2016), § 31 SGB V, Rn. 97.2). Die erstmalige Verordnung bedarf einer Genehmigung durch die Krankenkasse, die nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden kann (Beck/Pitz, a.a.O.). Der Zusatz, dass eine Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist, muss so verstanden werden, dass die Krankenkasse bei Vorliegen einer Verordnung darlegen und beweisen muss, dass eine Standardbehandlung nicht existiert bzw. diese geeignet ist oder keine – wenn auch nur ganz entfernt liegende – Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch die Einnahme von Cannabisarzneimitteln besteht (vgl. BT-Drs. 18/10902, S. 20). Ein Abwälzen dieser Darlegungs- und Feststellungslast auf den Vertragsarzt oder den Versicherten soll ausdrücklich nicht möglich sein, da die Regelung "der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes [ ...] Rechnung" tragen soll (BT-Drs. 18/10902, S. 20). Zulässigerweise kann bei der Auslegung der Vorschrift an die zu § 2 Abs. 1a SGB V ergangene Rechtsprechung angeknüpft werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.06.2018, 1 BvR 733/18, Rn. 6).
a) Zunächst stellt die Verordnung der Vertragsärztin bereits aus formellen Gründen keine begründete Einschätzung im Sinne der zweiten Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V dar. Denn, worauf das LSG NRW im Beschwerdeverfahren bereits ausführlich hingewiesen hatte, entbehrt die Verordnung bereist einer Darlegung von nachvollziehbaren Befunden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 08.04.2019, a.a.O., S. 7 des amtlichen Drucks, letzter Absatz).
b) Aber auch die Voraussetzungen für die erste Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V liegen nicht vor, da nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Falles des Klägers allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stehen.
Nach den Feststellungen des Gutachters, Herrn Dr. phil. Dr. med. L. in dessen Gutachten vom 18.12.2018 diagnostizierte dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers einen Verdacht auf eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10-GM: F45.41V) sowie einen chronischen Spannungskopfschmerz (ICD-10-GM: G44.2V). Bei dem Kläger bestehe die Verdachtsdiagnose einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren. Daneben werde ein Spannungskopfschmerz im Sinne eines leichteren Kopfschmerzleidens beschrieben. Nach Aktenlage und Anamnese bestünden vom Bewegungsapparat ausgehende Beschwerden. Zu den anerkannten Therapieverfahren des vorliegenden Störungsbildes zählten insbesondere eine stationäre multimodale Schmerztherapie, bei der verschiedene Therapiemaßnahmen auf die jeweils individuelle Situation des Patienten und seine psychische und soziale Situation abgestimmt würden. Medikamente, z.B. dass für diese Indikation häufig verordnete Antidepressivum Duloxetin (Cymbalta) und nicht–medikamentöse Verfahren, z.B. Varianten der Verhaltenstherapie, würden miteinander kombiniert. Der Kläger sei bereits mit diversen Pharmaka behandelt worden, u.a. mit klassischen Analgetika, Opioiden, aber auch schmerzmodulierenden Medikamenten wie Pregabalin und Gabapentin, auch schmerzmodulierenden Antidepressiva. Dabei könne sich der Kläger an Amitriptylin erinnern, nicht jedoch an Duloxetin (Cymbalta). Nach seinen Angaben habe er über einen längeren Zeitraum Tramadol eingenommen, was jedoch nicht zu einer nachhaltigen Linderung seiner Beschwerden geführt habe. Viele Medikamente seien aufgrund von Unverträglichkeit vorzeitig abgesetzt worden. Eine ambulante Schmerztherapie sei zudem vorzeitig abgebrochen worden. Unabhängig von der diagnostischen Einordnung der von dem Kläger beklagten Schmerzsymptomatik seien bislang nicht alle verbleibenden regulären Behandlungsoptionen ausgeschöpft worden. So sei bislang keine stationäre und/oder fortlaufende ambulante multimodale Schmerztherapie durchgeführt worden. Auch eine Medikation mit dem für die Indikation häufig verordneten Antidepressivum Duloxetin (Cymbalta) sei bislang nach Angaben des Klägers nicht erfolgt. Auch sei bislang keine ambulante neurologische und/oder psychiatrische Behandlung als auch keine Psychotherapie wahrgenommen worden. Aktuelle Studien belegten, dass Cannabis bei chronischen, neuropathischen Schmerzen Verbesserungen bringen könne. Ein wissenschaftlicher Nachweis längerfristig positiver Effekte bei somatoformen Störungen sei hingegen bislang nicht erbracht worden. Bei dem Kläger bestehe vor dem Hintergrund einer psychosomatischen Überlagerung von subjektiv erlebten Schmerzen keine Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Verabreichung von Cannabisprodukten, da bei dem vorliegenden Verdacht auf eine somatoforme Störung keine wirksame Abhilfe zu erwarten sei. Die von dem Kläger geschilderte subjektive Beschwerdelinderung unter Cannabis könne zudem in Anbetracht des wahrscheinlich teilweise psychosomatischen Charakters der Beschwerden ebenso gut auf einem Placeboeffekt zurückgehen. Zweifellos sei Cannabis im Falle des Klägers nicht das letzte verbleibende Therapeutikum. Zudem sei längerfristig mit einer Toleranzentwicklung und Entstehung eines Abhängigkeitssydroms zu rechnen, so dass die ärztliche Verordnung aus gutachterlicher Sicht nicht befürwortet werde. Zu berücksichtigen sei dabei, dass der Kläger nach seinen Angaben bereits im jungen Erwachsenenalter Cannabis sporadisch konsumiert habe, so dass in der Vergangenheit bei dem Kläger bereits ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorgelegen habe, wodurch mit einer niedrigeren Schwelle zur Entwicklung von Suchtverhalten gerechnet werden müsse, was zusätzlich gegen den längerfristigen Einsatz von Cannabispräparaten in der Schmerztherapie des Klägers spreche. Die weitere diagnostische Abklärung und insbesondere die Inanspruchnahme einer stationären multimodalen Schmerztherapie seien dazu geeignet, dass bei dem Kläger vorliegende Störungsbild wirksam zu behandeln. Gründe, die gegen eine derartige Behandlung sprächen, lägen aus Sicht des Gutachters nicht vor. Die Kammer hält diese Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend und schließt sich diesen an. Bestehen mithin allgemein anerkannte Leistungen, um die Erkrankung des Klägers zu behandeln, scheidet ein Anspruch aus. Der Hinweis des Klägers, eine multimodale Schmerztherapie sei nach einer Internetrecherche nicht indiziert und die Beklagte sei mit dem Nachweis einer alternativen Behandlung beweisbelastet, verkennt, dass der Sachverständige eben solche zur Verfügung stehenden allgemein anerkannten Leistungen im Rahmen der ersten Alternative des § 31 Abs. 6 SGB V überzeugend dargelegt hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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