Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 2917/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2182/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Zugang schwerbehinderter Menschen zur freiwilligen Krankenversicherung nur bis zu einer in der Satzung der Krankenkasse bestimmten Altersgrenze ist rechtmäßig.
2. Zur Erteilung eines elektronischen Bescheids.
2. Zur Erteilung eines elektronischen Bescheids.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse ist.
Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das zuständige Versorgungsamt die Schwerbehinderung i.S.d. § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) fest; seit 9. Mai 2017 betrage der Grad der Behinderung 90 (Bescheid vom 12. Juli 2017).
Am 1. August 2017 erklärte der Kläger über das Online-Aufnahmeportal der Beklagten den Beitritt und die Mitgliedschaft bei der Beklagten ab 1. Oktober 2017. Er sei hauptberuflich selbständig erwerbstätig und privat krankenversichert.
Mit E-Mail vom 1. August 2017 teilte ihm die Beklagte mit, seine Aufnahme als Mitglied sei nicht möglich. Eine freiwillige Versicherung als Selbständiger sei nicht möglich, da die gesetzlichen Vorversicherungszeiten bei einer gesetzlichen Krankenkasse direkt vor dem gewünschten Mitgliedschaftsbeginn fehlten. Der Kläger hielt mit E-Mail vom 1. August 2017 sowie Schreiben vom selben Tag unter Beifügung des Bescheides des Versorgungsamtes an seinem Antrag fest. Er erfülle mit Ausnahme der Altersgrenze alle Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch. Seine Ehefrau sei seit über 30 Jahren Mitglied der Beklagten. Die Altersbegrenzung verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere enthalte die Satzungsregelung wie auch die gesetzliche Regelung eine nicht akzeptable Diskriminierung älterer Menschen. Er bat um Korrespondenz über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
Mit E-Mail vom 2. August 2017 lehnte eine namentlich genannte Mitarbeiterin des Fachzentrums Vertrieb der Beklagten die Mitgliedschaft ab. Der Kläger habe das nach ihrer Satzung bestehende Höchstalter für den Beitritt als Schwerbehinderter – das vollendete 45. Lebensjahr – bereits überschritten.
Am 11. September 2017 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) mit dem Begehren auf Mitgliedschaft bei der Beklagten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den sinngemäßen Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung des Beitritts wegen des Überschreitens der Altersgrenze als unbegründet zurück.
Zur Begründung der Klage führte der Kläger aus, soweit § 9 Abs. 1 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine satzungsrechtlich bestimmte Altersgrenze für den Beitritt schwerbehinderter Menschen erlaube, sei dies wegen Intransparenz verfassungswidrig. Damit werde der Willkür Tür und Tor geöffnet, wie sich an den höchst unterschiedlichen Altersgrenzen der verschiedenen Krankenkassen zeige. Die Regelung räume den Krankenkassen in unüberschaubarer Weise Rechte ein, die den gesetzlich intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnten bzw. für einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich machten. Der Gesetzgeber gebe keinen Rahmen vor, innerhalb dessen die Krankenkasse eine gesetzeskonforme Ausschlussregelung aufnehmen könne. Theoretisch wäre es möglich, die Altersgrenze so weit herabzusetzen, dass nur noch Sonderfälle wie unfallbedingte Schwerbehinderungen Jugendlicher oder ärztliche Fehler bei der Geburt einen Beitritt zur freiwilligen Versicherung erlaubten. Drei Viertel aller Schwerbehinderten seien aber 55 Jahre oder älter. Behinderungen seien ganz überwiegend (86,4 %) durch Krankheit bedingt, nur zu 3,8 % angeboren oder zu 1,7 % durch Unfall oder Berufskrankheit verursacht. Bei ebenfalls 86,4 % der behinderten Menschen sei die Behinderung erst in einem Alter von über 50 Jahren eingetreten. Zwar stehe außer Frage, dass der Gesetzgeber den Kreis der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen abgrenzen könne, um so die Solidargemeinschaft leistungsfähig zu erhalten. Andererseits aber bilde das Willkürverbot eine Grenze, die hier ganz offensichtlich überschritten sei. Für die hier vorliegende altersbedingte Ungleichbehandlung lasse sich alleine schon wegen der statistisch nachgewiesenen Verhältnisse kein Rechtfertigungsgrund finden. Auch unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei der Klage stattzugeben. Zur Untermauerung seines Vorbringens legte der Kläger Statistiken des Statistischen Bundesamtes vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Gründe des Widerspruchsbescheides entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2018 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zulässig von der gesetzlichen Ermächtigung zur Bestimmung einer Altersgrenze Gebrauch gemacht und ihr Regelungsermessen in zutreffender Weise ausgeübt. Die Regelung sei nicht willkürlich. Nach Vollendung des 30. bis 45. Lebensjahres könne bei – im Rahmen der Normgebung zulässiger – pauschalierender Betrachtung typischerweise von einer Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen und damit auch Klärung der sozialen Absicherung durch gesetzliche Sozialversicherung oder private Versicherung ausgegangen werden. Ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip liege darin nicht. Die freiwillige Krankenversicherung erfasse Mitglieder, die originär nicht zu dem Personenkreis zählten, die der Gesetzgeber als so sozial schützenswert angesehen habe, dass eine Pflichtversicherung notwendigerweise durchzuführen wäre.
Gegen diesen ihm am 24. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Juni 2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung er über sein bisherigen Vorbringen hinaus ausgeführt hat, bei der Annahme einer beruflichen Verfestigung nach Vollendung des 30. bis 45. Lebensjahres verkenne das SG, dass der Eintritt der Schwerbehinderung auf verschiedene Art und Weise erfolgen könne (Unfall, Krankheit oder andere Umstände) und der Betroffene in der Folge die Kosten seiner Existenz kaum noch finanzieren könne, mithin nun auf die Solidargemeinschaft angewiesen sei. Entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der ältere Mensch vor Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung. Der zum 1. Januar 2004 eingefügte § 2a SGB V, wonach den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen sei, gehe als "jüngere" Vorschrift der Regelung über die Altersgrenze vor. Ein solcher Belang sei auch die Möglichkeit, mit Eintritt der Behinderung einer gesetzlichen Krankenkasse beizutreten.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 1. Oktober 2017 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Durchführung der freiwilligen Krankenversicherung als schwerbehinderter Mensch in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied der Beklagten. Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017. Mit diesem lehnte die Beklagte das durch die zweite E-Mail des Klägers vom 1. August 2017 sowie das Schreiben vom selben Tag auf die freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch konkretisierte Begehren endgültig ab. Der nach Klageerhebung ergangene Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wurde nach § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Mitgliedschaft des Klägers in der sozialen Pflegeversicherung bei der bei der Beklagten eingerichteten Pflegekasse. Weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid wurde eine Entscheidung hierzu getroffen. Die Bescheide ergingen nicht auch im Namen der Pflegekasse. Die Klage richtete sich ausdrücklich (nur) gegen die beklagte Krankenkasse. Auch das SG entschied nur zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung. Ohnehin folgt die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) kraft Gesetzes aus der freiwilligen Krankenversicherung.
3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige (dazu a) Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der freiwilligen Mitgliedschaft als schwerbehinderter Mensch (dazu b). Der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig.
aa) Das nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren ist durch den während des Klageverfahrens ergangenen Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 abgeschlossen, was ausreicht. In der Klage lag (auch) ein formgerechter Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. August 2017, der schon wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung im genannten Bescheid fristgerecht erhoben wurde (vgl. § 66 SGG).
bb) Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB V wird der Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung schon allein durch die Anzeige wirksam. Die Beitrittserklärung nach § 9 Abs. 2 SGB V ("Anzeige des Beitritts") ist eine empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung mit Gestaltungswirkung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Dezember 1991 – 12 RK 24/90 – juris, Rn. 32 f.). Es bedarf keines Aufnahmeaktes der Krankenkasse (Peters in Kasseler Kommentar, SGB V, Juni 2014, § 9 Rn. 49, 65; Baier in Krauskopf, SGB V, April 2017, § 9 Rn. 28). Für eine vorrangige Leistungs- oder Verpflichtungsklage ist damit kein Raum. Bei Feststellung der freiwilligen Versicherung ist dem Begehren des Klägers in vollem Umfange genügt.
b) Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht wegen formeller Mängel aufzuheben (dazu unter aa). Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung (dazu unter bb). Die maßgeblichen Regelungen verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter cc).
aa) Der Bescheid vom 2. August 2017 ist nicht schon wegen Verstoßes gegen Formvorschriften aufzuheben.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Danach kann ein Bescheid grundsätzlich auch durch E-Mail ergehen.
Ein elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (§ 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Nur wenn – wie hier nicht – durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, sind nach Satz 2 und 3 zusätzliche Anforderungen zu wahren. In der E-Mail vom 2. August 2017 wurde die erlassende Behörde (Beklagte, konkret deren Fachzentrum Vertrieb) bezeichnet. Die Namenswiedergabe der handelnden Mitarbeiterin war enthalten. Nach den Gesamtumständen des Ablaufs geht der Senat davon aus, dass es sich dabei um die Beauftragte des Behördenleiters handelte. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Anderes führte jedenfalls nicht zur Aufhebung des Bescheides. Da die erlassende Behörde angegeben wurde, ist der Verwaltungsakt nicht nichtig (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X). Letzteres ist bei gebundenen Entscheidungen ohne Ermessensspielraum der Behörde – wie vorliegend – erfüllt (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 42 Rn. 53 m.w.N.).
Die Bescheiderteilung durfte elektronisch erfolgen. Nach § 36a Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Erforderlich ist hierfür, dass der Empfänger seine Bereitschaft, elektronische Mitteilungen entgegenzunehmen, hinreichend zum Ausdruck bringt (Pflüger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 36a Rn. 36). Dies hat der Kläger vorliegend getan. Ausdrücklich bat er in seiner zweiten E-Mail vom 1. August 2017 um Korrespondenz über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
bb) Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung.
(1) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V (in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 4 Buchst. a nach Maßgabe des Art. 67 Gesetz zur Einführung des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch [SGB IX] vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046) können der Versicherung beitreten schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen; die Satzung kann das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Die Beklagte hat hiervon in ihrer – aufsichtsrechtlich genehmigten – Satzung in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. Juli 2016 in der Fassung des 4. Nachtrages (Stand 8. Mai 2017) Gebrauch gemacht. Nach § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung können schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX unter den in § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V genannten Bedingungen Mitglied werden, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Der 1947 geborene Kläger hatte zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung am 1. August 2017 und des gewünschten Beitrittstermins am 1. Oktober 2017 das 45. Lebensjahr vollendet. Er gehört daher nicht zu dem normierten beitrittsberechtigten Personenkreis.
(2) Entgegen der Auffassung des Klägers werden diese Regelungen nicht durch § 2a SGB V und § 2 AGG verdrängt.
(a) Nach § 2a SGB V ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Bei der Vorschrift handelt es sich um einen "programmatischen Auftrag" (Plagemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 2a Rn. 12). Sie dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) umzusetzen. Sie vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden (BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 10/11 R – juris, Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt in gleicher Weise für die Eröffnung des Zugangs zur gesetzlichen Krankenversicherung. Des Weiteren wurde § 2a SGB V durch Art. 1 Nr. 1 GKV-Modernisierungsgesetz (GMG; BGBl. I S. 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 eingeführt, ohne dass der Gesetzgeber Veranlassung gesehen hätte, die bereits bestehende Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V anzupassen. Auch bei den nach Einführung des § 2a SGB V erfolgten Änderungen der Zugangsvoraussetzungen zur freiwilligen Krankenversicherung in § 9 Abs. 1 SGB V wurde die Ermächtigung zur Festlegung einer Altersgrenze nicht geändert. Eine "Verdrängung" durch das – vermeintlich – jüngere Gesetz, wie der Kläger meint, erfolgte daher nicht.
(b) Die Regelungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 AGG, auf die sich der Kläger beruft, sind vorliegend wegen der Bereichsausnahme in § 2 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht anwendbar. Danach gelten für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch § 33c SGB I und § 19a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als spezielle sozialrechtliche Benachteiligungsverbote. Nach diesen darf bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte niemand aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft oder einer Behinderung benachteiligt werden. Ansprüche können nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind (jeweils Satz 2). Maßgeblich sind daher die speziellen gesetzlichen Regelungen (hier § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V und die hierauf beruhende Satzungsvorschrift), die ihrerseits mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar sein müssen (dazu nachstehend unter cc).
cc) Die Altersgrenze verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
(1) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung beruht auf der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass diese gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist.
(a) Die gesetzliche Vorschrift ist ausreichend bestimmt. Sie erlaubt entgegen der Ansicht des Klägers keine willkürlichen Regelungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Das maßgebliche Ausschlusskriterium (Alter) wird in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V durch den Gesetzgeber selbst festgelegt. Nur hinsichtlich der genauen Höhe des relevanten Alters räumt das Gesetz den Krankenkassen einen normgeberischen Ermessensspielraum ein. Bei Ausübung dieses Ermessens ist die Krankenkasse durch den Zweck der Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V gebunden und damit an einer willkürlichen Festlegung der Altersgrenze gehindert. Bereits aus dem Wortlaut der Norm ist deutlich zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwar einerseits schwerbehinderten Menschen außerhalb des versicherungspflichtigen Personenkreises den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung über eine freiwillige Mitgliedschaft ermöglichen wollte, dies aber andererseits gerade nicht uneingeschränkt. Dies kommt neben der Fristgebundenheit des Antrags nach § 9 Abs. 2 SGB V gerade auch in den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 zum Ausdruck, der Vorversicherungszeit und der – durch Satzung bestimmten – Altersgrenze. Unter Berufung auf die Begründung des Gesetzentwurfs zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 176c Reichsversicherungsordnung (RVO; vgl. BT-Drucks. 9/845 S. 12) verwies das BSG auf das erkennbare Ziel der Missbrauchsabwehr sowie der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Krankenkassen (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 12 RK 37/84 – juris, Rn. 25 f.). Hierzu sollte die Zahl der Beitrittsberechtigten verringert werden. Zu diesem Zwecke wurde auch das Beitrittsrecht derjenigen eingeschränkt, die als Behinderte ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellen. Dies ist aber nicht willkürlich geschehen, sondern aus beachtlichen Sachgründen. Das Beitrittsrecht nach § 176c RVO (jetzt § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V) belastet nämlich die Krankenkassen nicht nur mit erheblichen Risiken, sondern betraf, solange der Beitritt keinerlei Vorversicherungszeit erforderte, außerdem häufig versicherungsfremde Personen (BSG, a.a.O., Rn. 28). Diesen Zielen dient auch die Möglichkeit der Bestimmung einer Altersgrenze durch Satzung, zumal die Vorversicherungszeit nach der gesetzlichen Regelung nicht nur durch die eigene Versicherung erfüllt werden kann, sondern auch durch die des Ehegatten. Die Altersgrenze stellt daneben eine zusätzliche Einschränkung der Beitrittsmöglichkeit zur Entlastung der Krankenkassen von der Übernahme "ungünstiger" Risiken versicherungsfremder Personen dar. Da der Gesetzgeber die Regelung des § 176c RVO bei bereits bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung unverändert in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V übernommen hat, muss davon ausgegangen werden, dass diese seinem Willen entsprach und daher weiterhin zugrunde zu legen ist.
(b) Die Regelung ist mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) vereinbar. Der Gesetzgeber hatte abzuwägen zwischen dem sozialen Schutzbedürfnis bestimmter Personen auf der einen Seite sowie der Belastbarkeit der Krankenkassen und einer Missbrauchsabwehr auf der anderen Seite (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 – 12 RK 37/84 – juris, Rn. 32). Der Gedanke der Missbrauchsabwehr sprach für eine Möglichkeit, den Beitritt von einer Altersgrenze abhängig zu machen. Andererseits ist die Schutzwürdigkeit von nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen – typisierend – nicht so ausgeprägt. Die Pflichtversicherung erfasst nach ihrer gesetzlichen Typisierung die Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenvorsorge erreicht werden soll. Demgegenüber verfolgen die Vorschriften über die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung das Ziel, diese für solche Personen zu öffnen, bei denen ein ähnliches, aber eingeschränktes Schutzbedürfnis besteht. Von der Versicherungspflicht nicht erfasste Personen können kraft eigener Willensentschließung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden oder sich privat gegen das Risiko der Krankheit versichern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dementsprechend in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen eine im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig bewährte Unterscheidung erkannt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris, Rn. 79 ff.). Die Möglichkeit der privaten Versicherung gegen das Risiko der Krankheit besteht gerade in den Fällen, in denen die Schwerbehinderung erst in einem späteren Lebensabschnitt eintritt, also zuvor mangels Versicherungspflicht in der gesetzlichen eine private Krankenversicherung abgeschlossen wurde. Des Weiteren unterfallen nicht alle der vom Kläger angeführten schwerbehinderten Menschen überhaupt dem Anwendungsbereich des § 9 SGB V. Dies gilt vor allem für den großen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung, der bei Eintritt der Schwerbehinderung versicherungspflichtig beschäftigt ist und bleibt oder bei Entfallen der versicherungspflichtigen Beschäftigung über die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V (eingefügt mit Wirkung ab 1. August 2013 durch Art. 1 Nr. 2b Buchst. b Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013, BGBl. I S. 2423) freiwillig versichert werden kann. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber insbesondere durch die Auffangversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, die Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie die Tatbestände der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 und 8 SGB V umfassende Krankenversicherungsmöglichkeiten auch bei Schwerbehinderung geschaffen.
(2) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung entspricht diesen Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zutreffend hat das SG dargelegt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen regelmäßig mit zunehmendem Alter gefestigt sind und dabei auch die soziale Absicherung im Hinblick auf die gesetzliche Sozialversicherung oder eine private Versicherung geklärt ist. Da es sich um eine Normgebung handelt, die einer Vielzahl von Fällen gerecht werden muss und nicht auf den Einzelfall abstellen kann, muss die Entscheidung, wann mit einer derartigen Klärung gerechnet werden kann, im Wege einer pauschalierenden Betrachtung vorgenommen werden. Geht man davon aus, dass regelmäßig bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres die Beschäftigten und Selbständigen ihren Beruf aufgenommen haben, kann jedenfalls auch angenommen werden, dass mit der Vollendung des 45. Lebensjahres eine berufliche Verfestigung erfolgt ist (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. August 2000 – L 1 KR 37/99 – juris, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2007 – L 9 KR 167/02 – juris, Rn. 32; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Juni 2018 – L 6 KR 15/17 – juris, Rn. 22).
Entgegen der Auffassung des Klägers führt diese Altersgrenze nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen, indem sie den gesetzlich intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnte bzw. für einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich macht. Die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V hatte gerade nicht zum Ziel, schwerbehinderten Menschen eine umfassende Beitrittsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung zu eröffnen, wie der Kläger offenbar meint. Dies ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen unter (1). Ebenso wenig trifft die Annahme des Klägers zu, entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der ältere Mensch vor Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung. Er verkennt dabei, dass die gesetzliche Regelung mit der Vorversicherungszeit und der Möglichkeit einer Altersgrenze gerade ausschließen wollte, dass Betroffene in solchen Fällen das nunmehr erhöhte oder schon realisierte Risiko auf die Solidargemeinschaft übertragen, nachdem sie zuvor das "günstigere" Risiko privat versichert hatten. Die Altersgrenze dient insoweit – typisierend anknüpfend an die Verfestigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreffenden – der Abgrenzung der zwei Risikobereiche. Die eingeschränkte Möglichkeit für diejenigen, die in jüngerem Lebensalter bewusst und gewollt für einen Krankenversicherungsschutz in der privaten Krankenversicherung entschieden, gerade in höherem Lebensalter Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zu werden, entspricht auch der sonstigen Systematik des SGB V. Deutlich wird dies durch § 6 Abs. 3a SGB V (eingefügt mit Wirkung vom 1. Juli 2000 durch Art. 1 Nr. 3 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2626), nach dem bei Eintritt eines Tatbestandes sogar der Versicherungspflicht nach der dort geregelten Altersgrenze gleichwohl grundsätzlich Versicherungsfreiheit besteht.
(3) Die Altersgrenze verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Dieser enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfG, Urteil vom 10. Dezember 1985 - 2 BvL 18/83 - juris Rn. 51) und ist insbesondere dann verletzt, "wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94 – juris Rn. 61) und "sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt" (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris Rn. 72).
Zwar werden nicht versicherungspflichtige schwerbehinderte Menschen über- und unterhalb der Altersgrenze ungleich behandelt, indem nur letzteren die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V eingeräumt wird. Diese Ungleichbehandlung ist aber durch die oben genannten Sachgründe (Missbrauchsabwehr, Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen und Abgrenzung der Versicherungsbereiche) gerechtfertigt. Auch die Möglichkeit, dass durch die Satzungsregelungen unterschiedliche Altersgrenzen je nach Krankenkasse gelten, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz, sondern ist zunächst nur Ausfluss der gesetzgeberischen Entscheidung, den Krankenkassen einen normgeberischen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Eine willkürliche Altersgrenze ist wegen der Bindung an die genannten Zwecke ausgeschlossen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse ist.
Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das zuständige Versorgungsamt die Schwerbehinderung i.S.d. § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) fest; seit 9. Mai 2017 betrage der Grad der Behinderung 90 (Bescheid vom 12. Juli 2017).
Am 1. August 2017 erklärte der Kläger über das Online-Aufnahmeportal der Beklagten den Beitritt und die Mitgliedschaft bei der Beklagten ab 1. Oktober 2017. Er sei hauptberuflich selbständig erwerbstätig und privat krankenversichert.
Mit E-Mail vom 1. August 2017 teilte ihm die Beklagte mit, seine Aufnahme als Mitglied sei nicht möglich. Eine freiwillige Versicherung als Selbständiger sei nicht möglich, da die gesetzlichen Vorversicherungszeiten bei einer gesetzlichen Krankenkasse direkt vor dem gewünschten Mitgliedschaftsbeginn fehlten. Der Kläger hielt mit E-Mail vom 1. August 2017 sowie Schreiben vom selben Tag unter Beifügung des Bescheides des Versorgungsamtes an seinem Antrag fest. Er erfülle mit Ausnahme der Altersgrenze alle Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch. Seine Ehefrau sei seit über 30 Jahren Mitglied der Beklagten. Die Altersbegrenzung verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere enthalte die Satzungsregelung wie auch die gesetzliche Regelung eine nicht akzeptable Diskriminierung älterer Menschen. Er bat um Korrespondenz über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
Mit E-Mail vom 2. August 2017 lehnte eine namentlich genannte Mitarbeiterin des Fachzentrums Vertrieb der Beklagten die Mitgliedschaft ab. Der Kläger habe das nach ihrer Satzung bestehende Höchstalter für den Beitritt als Schwerbehinderter – das vollendete 45. Lebensjahr – bereits überschritten.
Am 11. September 2017 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) mit dem Begehren auf Mitgliedschaft bei der Beklagten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den sinngemäßen Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung des Beitritts wegen des Überschreitens der Altersgrenze als unbegründet zurück.
Zur Begründung der Klage führte der Kläger aus, soweit § 9 Abs. 1 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine satzungsrechtlich bestimmte Altersgrenze für den Beitritt schwerbehinderter Menschen erlaube, sei dies wegen Intransparenz verfassungswidrig. Damit werde der Willkür Tür und Tor geöffnet, wie sich an den höchst unterschiedlichen Altersgrenzen der verschiedenen Krankenkassen zeige. Die Regelung räume den Krankenkassen in unüberschaubarer Weise Rechte ein, die den gesetzlich intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnten bzw. für einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich machten. Der Gesetzgeber gebe keinen Rahmen vor, innerhalb dessen die Krankenkasse eine gesetzeskonforme Ausschlussregelung aufnehmen könne. Theoretisch wäre es möglich, die Altersgrenze so weit herabzusetzen, dass nur noch Sonderfälle wie unfallbedingte Schwerbehinderungen Jugendlicher oder ärztliche Fehler bei der Geburt einen Beitritt zur freiwilligen Versicherung erlaubten. Drei Viertel aller Schwerbehinderten seien aber 55 Jahre oder älter. Behinderungen seien ganz überwiegend (86,4 %) durch Krankheit bedingt, nur zu 3,8 % angeboren oder zu 1,7 % durch Unfall oder Berufskrankheit verursacht. Bei ebenfalls 86,4 % der behinderten Menschen sei die Behinderung erst in einem Alter von über 50 Jahren eingetreten. Zwar stehe außer Frage, dass der Gesetzgeber den Kreis der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen abgrenzen könne, um so die Solidargemeinschaft leistungsfähig zu erhalten. Andererseits aber bilde das Willkürverbot eine Grenze, die hier ganz offensichtlich überschritten sei. Für die hier vorliegende altersbedingte Ungleichbehandlung lasse sich alleine schon wegen der statistisch nachgewiesenen Verhältnisse kein Rechtfertigungsgrund finden. Auch unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei der Klage stattzugeben. Zur Untermauerung seines Vorbringens legte der Kläger Statistiken des Statistischen Bundesamtes vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Gründe des Widerspruchsbescheides entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2018 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zulässig von der gesetzlichen Ermächtigung zur Bestimmung einer Altersgrenze Gebrauch gemacht und ihr Regelungsermessen in zutreffender Weise ausgeübt. Die Regelung sei nicht willkürlich. Nach Vollendung des 30. bis 45. Lebensjahres könne bei – im Rahmen der Normgebung zulässiger – pauschalierender Betrachtung typischerweise von einer Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen und damit auch Klärung der sozialen Absicherung durch gesetzliche Sozialversicherung oder private Versicherung ausgegangen werden. Ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip liege darin nicht. Die freiwillige Krankenversicherung erfasse Mitglieder, die originär nicht zu dem Personenkreis zählten, die der Gesetzgeber als so sozial schützenswert angesehen habe, dass eine Pflichtversicherung notwendigerweise durchzuführen wäre.
Gegen diesen ihm am 24. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Juni 2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung er über sein bisherigen Vorbringen hinaus ausgeführt hat, bei der Annahme einer beruflichen Verfestigung nach Vollendung des 30. bis 45. Lebensjahres verkenne das SG, dass der Eintritt der Schwerbehinderung auf verschiedene Art und Weise erfolgen könne (Unfall, Krankheit oder andere Umstände) und der Betroffene in der Folge die Kosten seiner Existenz kaum noch finanzieren könne, mithin nun auf die Solidargemeinschaft angewiesen sei. Entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der ältere Mensch vor Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung. Der zum 1. Januar 2004 eingefügte § 2a SGB V, wonach den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen sei, gehe als "jüngere" Vorschrift der Regelung über die Altersgrenze vor. Ein solcher Belang sei auch die Möglichkeit, mit Eintritt der Behinderung einer gesetzlichen Krankenkasse beizutreten.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 1. Oktober 2017 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Durchführung der freiwilligen Krankenversicherung als schwerbehinderter Mensch in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied der Beklagten. Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017. Mit diesem lehnte die Beklagte das durch die zweite E-Mail des Klägers vom 1. August 2017 sowie das Schreiben vom selben Tag auf die freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch konkretisierte Begehren endgültig ab. Der nach Klageerhebung ergangene Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wurde nach § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Mitgliedschaft des Klägers in der sozialen Pflegeversicherung bei der bei der Beklagten eingerichteten Pflegekasse. Weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid wurde eine Entscheidung hierzu getroffen. Die Bescheide ergingen nicht auch im Namen der Pflegekasse. Die Klage richtete sich ausdrücklich (nur) gegen die beklagte Krankenkasse. Auch das SG entschied nur zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung. Ohnehin folgt die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) kraft Gesetzes aus der freiwilligen Krankenversicherung.
3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige (dazu a) Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der freiwilligen Mitgliedschaft als schwerbehinderter Mensch (dazu b). Der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig.
aa) Das nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren ist durch den während des Klageverfahrens ergangenen Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 abgeschlossen, was ausreicht. In der Klage lag (auch) ein formgerechter Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. August 2017, der schon wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung im genannten Bescheid fristgerecht erhoben wurde (vgl. § 66 SGG).
bb) Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB V wird der Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung schon allein durch die Anzeige wirksam. Die Beitrittserklärung nach § 9 Abs. 2 SGB V ("Anzeige des Beitritts") ist eine empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung mit Gestaltungswirkung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Dezember 1991 – 12 RK 24/90 – juris, Rn. 32 f.). Es bedarf keines Aufnahmeaktes der Krankenkasse (Peters in Kasseler Kommentar, SGB V, Juni 2014, § 9 Rn. 49, 65; Baier in Krauskopf, SGB V, April 2017, § 9 Rn. 28). Für eine vorrangige Leistungs- oder Verpflichtungsklage ist damit kein Raum. Bei Feststellung der freiwilligen Versicherung ist dem Begehren des Klägers in vollem Umfange genügt.
b) Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht wegen formeller Mängel aufzuheben (dazu unter aa). Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung (dazu unter bb). Die maßgeblichen Regelungen verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter cc).
aa) Der Bescheid vom 2. August 2017 ist nicht schon wegen Verstoßes gegen Formvorschriften aufzuheben.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Danach kann ein Bescheid grundsätzlich auch durch E-Mail ergehen.
Ein elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (§ 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Nur wenn – wie hier nicht – durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, sind nach Satz 2 und 3 zusätzliche Anforderungen zu wahren. In der E-Mail vom 2. August 2017 wurde die erlassende Behörde (Beklagte, konkret deren Fachzentrum Vertrieb) bezeichnet. Die Namenswiedergabe der handelnden Mitarbeiterin war enthalten. Nach den Gesamtumständen des Ablaufs geht der Senat davon aus, dass es sich dabei um die Beauftragte des Behördenleiters handelte. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Anderes führte jedenfalls nicht zur Aufhebung des Bescheides. Da die erlassende Behörde angegeben wurde, ist der Verwaltungsakt nicht nichtig (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X). Letzteres ist bei gebundenen Entscheidungen ohne Ermessensspielraum der Behörde – wie vorliegend – erfüllt (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 42 Rn. 53 m.w.N.).
Die Bescheiderteilung durfte elektronisch erfolgen. Nach § 36a Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Erforderlich ist hierfür, dass der Empfänger seine Bereitschaft, elektronische Mitteilungen entgegenzunehmen, hinreichend zum Ausdruck bringt (Pflüger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 36a Rn. 36). Dies hat der Kläger vorliegend getan. Ausdrücklich bat er in seiner zweiten E-Mail vom 1. August 2017 um Korrespondenz über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
bb) Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung.
(1) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V (in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 4 Buchst. a nach Maßgabe des Art. 67 Gesetz zur Einführung des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch [SGB IX] vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046) können der Versicherung beitreten schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen; die Satzung kann das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Die Beklagte hat hiervon in ihrer – aufsichtsrechtlich genehmigten – Satzung in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. Juli 2016 in der Fassung des 4. Nachtrages (Stand 8. Mai 2017) Gebrauch gemacht. Nach § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung können schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX unter den in § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V genannten Bedingungen Mitglied werden, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Der 1947 geborene Kläger hatte zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung am 1. August 2017 und des gewünschten Beitrittstermins am 1. Oktober 2017 das 45. Lebensjahr vollendet. Er gehört daher nicht zu dem normierten beitrittsberechtigten Personenkreis.
(2) Entgegen der Auffassung des Klägers werden diese Regelungen nicht durch § 2a SGB V und § 2 AGG verdrängt.
(a) Nach § 2a SGB V ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Bei der Vorschrift handelt es sich um einen "programmatischen Auftrag" (Plagemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 2a Rn. 12). Sie dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) umzusetzen. Sie vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden (BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 10/11 R – juris, Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt in gleicher Weise für die Eröffnung des Zugangs zur gesetzlichen Krankenversicherung. Des Weiteren wurde § 2a SGB V durch Art. 1 Nr. 1 GKV-Modernisierungsgesetz (GMG; BGBl. I S. 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 eingeführt, ohne dass der Gesetzgeber Veranlassung gesehen hätte, die bereits bestehende Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V anzupassen. Auch bei den nach Einführung des § 2a SGB V erfolgten Änderungen der Zugangsvoraussetzungen zur freiwilligen Krankenversicherung in § 9 Abs. 1 SGB V wurde die Ermächtigung zur Festlegung einer Altersgrenze nicht geändert. Eine "Verdrängung" durch das – vermeintlich – jüngere Gesetz, wie der Kläger meint, erfolgte daher nicht.
(b) Die Regelungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 AGG, auf die sich der Kläger beruft, sind vorliegend wegen der Bereichsausnahme in § 2 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht anwendbar. Danach gelten für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch § 33c SGB I und § 19a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als spezielle sozialrechtliche Benachteiligungsverbote. Nach diesen darf bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte niemand aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft oder einer Behinderung benachteiligt werden. Ansprüche können nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind (jeweils Satz 2). Maßgeblich sind daher die speziellen gesetzlichen Regelungen (hier § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V und die hierauf beruhende Satzungsvorschrift), die ihrerseits mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar sein müssen (dazu nachstehend unter cc).
cc) Die Altersgrenze verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
(1) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung beruht auf der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass diese gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist.
(a) Die gesetzliche Vorschrift ist ausreichend bestimmt. Sie erlaubt entgegen der Ansicht des Klägers keine willkürlichen Regelungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Das maßgebliche Ausschlusskriterium (Alter) wird in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V durch den Gesetzgeber selbst festgelegt. Nur hinsichtlich der genauen Höhe des relevanten Alters räumt das Gesetz den Krankenkassen einen normgeberischen Ermessensspielraum ein. Bei Ausübung dieses Ermessens ist die Krankenkasse durch den Zweck der Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V gebunden und damit an einer willkürlichen Festlegung der Altersgrenze gehindert. Bereits aus dem Wortlaut der Norm ist deutlich zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwar einerseits schwerbehinderten Menschen außerhalb des versicherungspflichtigen Personenkreises den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung über eine freiwillige Mitgliedschaft ermöglichen wollte, dies aber andererseits gerade nicht uneingeschränkt. Dies kommt neben der Fristgebundenheit des Antrags nach § 9 Abs. 2 SGB V gerade auch in den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 zum Ausdruck, der Vorversicherungszeit und der – durch Satzung bestimmten – Altersgrenze. Unter Berufung auf die Begründung des Gesetzentwurfs zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 176c Reichsversicherungsordnung (RVO; vgl. BT-Drucks. 9/845 S. 12) verwies das BSG auf das erkennbare Ziel der Missbrauchsabwehr sowie der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Krankenkassen (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 12 RK 37/84 – juris, Rn. 25 f.). Hierzu sollte die Zahl der Beitrittsberechtigten verringert werden. Zu diesem Zwecke wurde auch das Beitrittsrecht derjenigen eingeschränkt, die als Behinderte ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellen. Dies ist aber nicht willkürlich geschehen, sondern aus beachtlichen Sachgründen. Das Beitrittsrecht nach § 176c RVO (jetzt § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V) belastet nämlich die Krankenkassen nicht nur mit erheblichen Risiken, sondern betraf, solange der Beitritt keinerlei Vorversicherungszeit erforderte, außerdem häufig versicherungsfremde Personen (BSG, a.a.O., Rn. 28). Diesen Zielen dient auch die Möglichkeit der Bestimmung einer Altersgrenze durch Satzung, zumal die Vorversicherungszeit nach der gesetzlichen Regelung nicht nur durch die eigene Versicherung erfüllt werden kann, sondern auch durch die des Ehegatten. Die Altersgrenze stellt daneben eine zusätzliche Einschränkung der Beitrittsmöglichkeit zur Entlastung der Krankenkassen von der Übernahme "ungünstiger" Risiken versicherungsfremder Personen dar. Da der Gesetzgeber die Regelung des § 176c RVO bei bereits bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung unverändert in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V übernommen hat, muss davon ausgegangen werden, dass diese seinem Willen entsprach und daher weiterhin zugrunde zu legen ist.
(b) Die Regelung ist mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) vereinbar. Der Gesetzgeber hatte abzuwägen zwischen dem sozialen Schutzbedürfnis bestimmter Personen auf der einen Seite sowie der Belastbarkeit der Krankenkassen und einer Missbrauchsabwehr auf der anderen Seite (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 – 12 RK 37/84 – juris, Rn. 32). Der Gedanke der Missbrauchsabwehr sprach für eine Möglichkeit, den Beitritt von einer Altersgrenze abhängig zu machen. Andererseits ist die Schutzwürdigkeit von nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen – typisierend – nicht so ausgeprägt. Die Pflichtversicherung erfasst nach ihrer gesetzlichen Typisierung die Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenvorsorge erreicht werden soll. Demgegenüber verfolgen die Vorschriften über die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung das Ziel, diese für solche Personen zu öffnen, bei denen ein ähnliches, aber eingeschränktes Schutzbedürfnis besteht. Von der Versicherungspflicht nicht erfasste Personen können kraft eigener Willensentschließung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden oder sich privat gegen das Risiko der Krankheit versichern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dementsprechend in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen eine im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig bewährte Unterscheidung erkannt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris, Rn. 79 ff.). Die Möglichkeit der privaten Versicherung gegen das Risiko der Krankheit besteht gerade in den Fällen, in denen die Schwerbehinderung erst in einem späteren Lebensabschnitt eintritt, also zuvor mangels Versicherungspflicht in der gesetzlichen eine private Krankenversicherung abgeschlossen wurde. Des Weiteren unterfallen nicht alle der vom Kläger angeführten schwerbehinderten Menschen überhaupt dem Anwendungsbereich des § 9 SGB V. Dies gilt vor allem für den großen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung, der bei Eintritt der Schwerbehinderung versicherungspflichtig beschäftigt ist und bleibt oder bei Entfallen der versicherungspflichtigen Beschäftigung über die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V (eingefügt mit Wirkung ab 1. August 2013 durch Art. 1 Nr. 2b Buchst. b Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013, BGBl. I S. 2423) freiwillig versichert werden kann. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber insbesondere durch die Auffangversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, die Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie die Tatbestände der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 und 8 SGB V umfassende Krankenversicherungsmöglichkeiten auch bei Schwerbehinderung geschaffen.
(2) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung entspricht diesen Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zutreffend hat das SG dargelegt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen regelmäßig mit zunehmendem Alter gefestigt sind und dabei auch die soziale Absicherung im Hinblick auf die gesetzliche Sozialversicherung oder eine private Versicherung geklärt ist. Da es sich um eine Normgebung handelt, die einer Vielzahl von Fällen gerecht werden muss und nicht auf den Einzelfall abstellen kann, muss die Entscheidung, wann mit einer derartigen Klärung gerechnet werden kann, im Wege einer pauschalierenden Betrachtung vorgenommen werden. Geht man davon aus, dass regelmäßig bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres die Beschäftigten und Selbständigen ihren Beruf aufgenommen haben, kann jedenfalls auch angenommen werden, dass mit der Vollendung des 45. Lebensjahres eine berufliche Verfestigung erfolgt ist (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. August 2000 – L 1 KR 37/99 – juris, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2007 – L 9 KR 167/02 – juris, Rn. 32; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Juni 2018 – L 6 KR 15/17 – juris, Rn. 22).
Entgegen der Auffassung des Klägers führt diese Altersgrenze nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen, indem sie den gesetzlich intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnte bzw. für einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich macht. Die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V hatte gerade nicht zum Ziel, schwerbehinderten Menschen eine umfassende Beitrittsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung zu eröffnen, wie der Kläger offenbar meint. Dies ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen unter (1). Ebenso wenig trifft die Annahme des Klägers zu, entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der ältere Mensch vor Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung. Er verkennt dabei, dass die gesetzliche Regelung mit der Vorversicherungszeit und der Möglichkeit einer Altersgrenze gerade ausschließen wollte, dass Betroffene in solchen Fällen das nunmehr erhöhte oder schon realisierte Risiko auf die Solidargemeinschaft übertragen, nachdem sie zuvor das "günstigere" Risiko privat versichert hatten. Die Altersgrenze dient insoweit – typisierend anknüpfend an die Verfestigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreffenden – der Abgrenzung der zwei Risikobereiche. Die eingeschränkte Möglichkeit für diejenigen, die in jüngerem Lebensalter bewusst und gewollt für einen Krankenversicherungsschutz in der privaten Krankenversicherung entschieden, gerade in höherem Lebensalter Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zu werden, entspricht auch der sonstigen Systematik des SGB V. Deutlich wird dies durch § 6 Abs. 3a SGB V (eingefügt mit Wirkung vom 1. Juli 2000 durch Art. 1 Nr. 3 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2626), nach dem bei Eintritt eines Tatbestandes sogar der Versicherungspflicht nach der dort geregelten Altersgrenze gleichwohl grundsätzlich Versicherungsfreiheit besteht.
(3) Die Altersgrenze verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Dieser enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfG, Urteil vom 10. Dezember 1985 - 2 BvL 18/83 - juris Rn. 51) und ist insbesondere dann verletzt, "wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94 – juris Rn. 61) und "sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt" (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris Rn. 72).
Zwar werden nicht versicherungspflichtige schwerbehinderte Menschen über- und unterhalb der Altersgrenze ungleich behandelt, indem nur letzteren die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V eingeräumt wird. Diese Ungleichbehandlung ist aber durch die oben genannten Sachgründe (Missbrauchsabwehr, Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen und Abgrenzung der Versicherungsbereiche) gerechtfertigt. Auch die Möglichkeit, dass durch die Satzungsregelungen unterschiedliche Altersgrenzen je nach Krankenkasse gelten, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz, sondern ist zunächst nur Ausfluss der gesetzgeberischen Entscheidung, den Krankenkassen einen normgeberischen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Eine willkürliche Altersgrenze ist wegen der Bindung an die genannten Zwecke ausgeschlossen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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