L 8 U 4406/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 972/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4406/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Holt eine Pflegeperson für den zu Pflegenden ein Rezept ab und erleidet sie auf dem Weg einen Unfall, liegt ein nach dem SGB VII versicherter Wegeunfall vor, da es sich beim Abholen des Rezeptes beim Arzt und beim Einlösen in der Apotheke um Verrichtungen nach § 14 Abs. 4 SGB XI (hauswirtschaftliche Versorgung - Einkaufen) und nicht um eine unversicherte Behandlungspflege handelt.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.09.2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.766,64 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Zuständigkeit für den Unfall des H.-D. M. (im Weiteren: M.) vom 03.03.2016 sowie die Erstattung der in dieser Unfallsache erbrachten Behandlungsleistungen streitig.

Der 1959 geborene M. ist bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert. M. pflegt seine Mutter, welcher zum Unfallzeitpunkt die Pflegestufe II zuerkannt war. Bei ihr bestand ein Pflegebedarf in den Bereichen Körperpflege, welcher in erster Linie durch einen ambulanten Pflegedienst geleistet wurde, sowie im Bereich Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung, welche der M. übernahm, zudem übernahm im Regelfall M. das Einkaufen. M. und seine Mutter wohnen in einem gemeinsamen Haus in getrennten Wohnungen.

Am 03.03.2016 begab sich M. auf den Weg zum Arzt seiner Mutter, um dort ein Rezept für ein benötigtes Medikament zu holen. Eine weitere Besorgung auf dem Weg hatte M. nicht vor und wurde von ihm nicht getätigt. Auf dem direkten Weg zur Praxis nahm ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt und verursachte so einen Unfall. M. erlitt hierbei eine Claviculafraktur rechts, laterales Drittel, sowie eine eingestauchte mediale Schenkelhalsfraktur rechts (vgl. den Bericht des Krankenhauses St. M. vom 14.03.2016 über die stationäre Behandlung des M. vom 03.03. bis zum 14.03.2016, Bl. 13 bis 15 der Vw.-Akte).

Die Klägerin übernahm als zuständige Krankenkasse zunächst die Kosten für die Heilbehandlung des M. und meldete mit Schreiben vom 05.04.2016 einen Erstattungsanspruch für die Krankenhausbehandlung vom 03.03.2016 bis zum 14.03.2016 in Höhe von 4.971,32 Euro an. Zugleich gab sie bekannt, dass ab dem 21.03.2016 eine Anschluss-Heilbehandlung laufe, deren Kosten noch nicht bekannt seien.

Die Beklagte befragte den M. in einem Fragebogen über den Hergang des Unfalles, wobei M. am 19.04.2016 angab, dass er auf dem Weg zum Arzt gewesen sei, um Rezepte für seine Mutter zu holen. Ein Pkw habe ihm die Vorfahrt genommen, er habe ausweichen müssen und sei dabei gestürzt. Die Beklagte zog des Weiteren eine Kopie des letzten Pflegegutachtens bei (vgl. Bl. 33 bis 41 der Vw.-Akte der Klägerin). Des Weiteren fand am 12.07.2016 ein Hausbesuch des zuständigen Sachbearbeiters der Beklagten bei M. statt (vgl. Gesprächsprotokoll auf Bl. 43 bis 46 der Vw.-Akte der Klägerin).

Mit Bescheid vom 03.03.2016 lehnte die Beklagte gegenüber M. die Anerkennung des Ereignisses vom 03.03.2016 als in der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigungspflichtigen Versicherungsfall ab und führte aus, dass Pflegepersonen nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VI zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gehörten. Zur Anerkennung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes sei erforderlich, dass die Pflegeperson zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Diese seien gesetzlich abschließend in § 14 Abs. 4 SGB XI definiert. Das Besorgen eines Rezepts sei Bestandteil der Behandlungspflege, die nur zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigenden Pflegebedarf zähle, wenn und soweit sie Bestandteil der Hilfe für die Katalogverrichtungen sei. Dies sei nicht erfüllt. Kostenträger für die Behandlungen sei die Klägerin. Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten nicht erbracht werden. M. legte hiergegen keine Rechtsmittel ein.

Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 22.08.2016 eine Mehrfertigung des Bescheides vom 22.08.2016 und führte des Weiteren aus, dass aktuell vor dem Bundessozialgericht (BSG) ein Verfahren anhängig sei, dass sich mit der Frage auseinandersetze, ob das Besorgen von Medikamenten der versicherten Tätigkeit einer Pflegeperson zuzurechnen sei.

Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 22.09.2016 mit, dass das Landessozialgericht (LSG) München im Urteil vom 11.11.2014 (Az.: L 2 U 254/14) entschieden habe, dass das Abholen des Rezeptes beim Arzt und dessen Einlösen in der Apotheke eine Verrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI aus dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Einkaufen) darstelle.

Mit Schreiben vom 30.11.2016 meldete die Klägerin einen weiteren Erstattungsanspruch in Höhe von 22,82 Euro für Hilfsmittel im Zeitraum vom 07.03.2016 bis zum 07.03.2016, für die Fahrtkosten vom 03.03.2016 in Höhe von 177,61 Euro, Fahrtkosten vom 03.03.2016 in Höhe von 329,06 Euro, Fahrtkosten vom 14.03.2016 in Höhe von 54,59 Euro, Physiotherapie vom 22.04. bis zum 10.12.2016 in Höhe von 75,50 Euro, Physiotherapie vom 12.05. bis zum 02.06.2016 in Höhe von 75,50 Euro, und Physiotherapie vom 10.06. bis zum 30.06.2016 in Höhe von 75,50 Euro an.

Mit Schreiben vom 16.12.2016 gab die Beklagte einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung ab, soweit diese nicht bereits eingetreten sei.

Mit Schreiben vom 07.07.2017 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass das Urteil im Verfahren L 2 U 254/14 rechtskräftig geworden sei und die Revision beim BSG abgelehnt worden sei. Es werde daher erneut um Prüfung des Versicherungsschutzes aufgrund des Unfalles vom 03.03.2016 für M. gebeten.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 20.12.2017 sowie mit Schreiben vom 30.01.2018 die Anerkennung des Ereignisses vom 03.03.2016 als Versicherungsfall ab.

Die Klägerin erhob am 19.04.2018 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) auf Erstattung von Leistungen in Höhe von 5.766,64 Euro. Die Klägerin führte zur Begründung aus, dass der Versicherte M. im Unfallzeitpunkt vom Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 17, 2. Hs. SGB VII erfasst gewesen sei. Er sei in Ausübung der hauswirtschaftlichen Versorgung für seine pflegebedürftige Mutter als Pflegeperson im Sinne des § 19 Satz 1 SGB VI tätig gewesen. Die Hilfen im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. bestünden in der Unterstützung, in der teilweisen und vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI a.F. seien gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen in diesem Sinne im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung und das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen. Das Abholen des Rezepts beim Arzt und dessen Einlösung in der Apotheke stellten Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI a.F. dar. Die Beklagte sei somit nach § 102 SGB X zur Erstattung der Aufwendungen der Klägerin verpflichtet. Es bestehe auch keine Bindungswirkung des ablehnenden Bescheides der Beklagten gegenüber dem versicherten M. vom 22.08.2016 im Hinblick auf den Erstattungsanspruch der Klägerin.

Die Beklagte verwies in ihrer Klageerwiderung auf ein Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 11.08.2005 (L 6 U 13/02), wonach das Verabreichen von Medikamenten grundsätzlich nicht zu den unter Unfallversicherungsschutz stehenden Pflegeverrichtungen gehöre. Wenn jedoch bereits die Verabreichung eines Medikaments nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe, so sei auch das Besorgen eines Rezepts zum Erhalts eines Medikaments als bloße Vorbereitungshandlung ebenfalls nicht gesetzlich unfallversichert. Zudem sei der versicherte M. auch nicht als "Wie-Beschäftigter" für die Pflegebedürftige nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VII tätig gewesen. Er habe bei der Pflege der Mutter in eigener Regie und Verantwortung also wie ein Pflegedienstleistungsunternehmen gehandelt und nicht wie ein abhängig Beschäftigter seiner Mutter.

Die Beklagte teilte mit weiterem Schreiben vom 13.06.2018 mit, dass bezüglich der Höhe der von der Klägerin erhobenen Forderung grundsätzlich keine Einwendungen bestünden. Jedoch bestehe dem Grunde nach bereits kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte.

Das SG verurteilte die Beklagte mit Urteil vom 19.09.2018 zur Zahlung von 5.766,64 Euro an die Klägerin und führte zur Begründung aus, dass zutreffende Rechtsgrundlage § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei. Die Klägerin habe als Krankenkasse als unzuständiger Leistungsträger die Kosten der Krankenbehandlung für M. getragen. Bei dem von M. erlittenen Unfall handele es sich um einen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Wegeunfall, daher sei die Beklagte zuständiger Leistungsträger. Die von M. zum Unfallzeitpunkt durchgeführte Verrichtung - Abholung eines Medikamentenrezepts beim Arzt - sei der Pflegetätigkeit nach § 14 Abs. 1 SGB XI zuzuordnen. Wenn bereits das Einkaufen von Lebensmitteln der Pflegetätigkeit nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) zugeordnet werde, so müsse auch das "Besorgen" von Medikamenten insbesondere dieser zugeordnet werden, da dies einen noch wichtigeren und existenziellen Bereich des zu Pflegenden betreffe. Zwar stehe das Abholen eines Rezepts für ein benötigtes Medikament in sachlichem Zusammenhang mit der Behandlungspflege. Diese könne grundsätzlich nicht dem Verrichtungskatalog des § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. zugeordnet werden, sondern falle in den Bereich der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V, für welche die gesetzliche Krankenversicherung zuständig sei. Das Besorgen des Rezepts sei jedoch der eigentlichen Gabe des Medikaments vorgelagert und stehe nach Ansicht des SG in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Verrichtung der hauswirtschaftlichen Versorgung (Einkaufen). Auch sei zu berücksichtigen, dass es auch im Rahmen der Unterscheidung der Behandlungspflege zur Grundpflege eine Maßnahme der Behandlungspflege ausnahmsweise der Grundpflege zugeordnet werden könne, wenn und soweit sie entweder Bestandteil der Hilfe für eine der zur Grundpflege gehörenden Verrichtung sei oder aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege erforderlich werde (sogenannte verrichtungsbezogene Behandlungspflege). Das Abholen eines Rezepts sei somit an sich keine Maßnahme der Behandlungspflege, sondern als Vorbereitungsmaßnahme verrichtungsbezogen der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzurechnen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.12.2018 zugestellte Urteil am 10.12.2018 Berufung beim LSG Baden-Württemberg erhoben und vorgetragen, dass M. im Zeitpunkt des Unfalles keine hauswirtschaftliche Versorgung im Sinne eines Einkaufens gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI a.F. ausgeführt habe. Die mit dem Unfallgeschehen einhergehende Tätigkeit, nämlich das Besorgen eines Rezepts, sei der Behandlungspflege zuzuordnen. Die Behandlungspflege falle nach § 37 SGB V in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass keine pflegerische Tätigkeit im Sinne des § 14 SGB XI ausgeführt werde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG das Besorgen eines Rezepts hier dem einheitlichen Sachverhalt des Einkaufens zuordne. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gebe es eine Vielzahl von Konstellationen, bei denen es insbesondere auf die Motivationslage des Handelnden ankomme. Die Handlungstendenz sei gerade dann maßgeblich bei der Beurteilung, ob es sich um eine versicherte oder eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt habe. Darüber hinaus sei auch bei einer gemischten Motivationslage auf die Handlungstendenz abzustellen mit der Folge, dass eine Tätigkeit auch dann gesetzlich unfallversichert sei, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch, auch ohne die private Motivation zum Handeln vorgenommen werde. Vorliegend wäre M. ohne die private bzw. nicht gesetzlich unfallversicherte Handlungstendenz, hier also die Behandlungspflege bzw. Vorbereitung der Behandlungspflege, nicht auf dem Weg zur Arztpraxis gewesen. Die Fahrt zur Arztpraxis lasse sich somit von dem übrigen Einkaufsgeschehen eindeutig trennen. Der unfallbringende Weg sei somit ohne die (private) Motivation zur Besorgung des Rezepts nicht vorgenommen worden, so dass nach der hiernach zu bestimmenden Handlungstendenz die privatwirtschaftliche Verrichtung eindeutig von der übrigen Pflegetätigkeit zu trennen sei. Das Besorgen eines Rezepts könne als Vorbereitungsmaßnahme für die Behandlungspflege auch nicht der hauswirtschaftlichen Versorgung zugerechnet werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.09.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.09.2018 zurückzuweisen.

Die Klägerin hat zur Berufungserwiderung angeführt, dass für das Abholen von Rezepten beim Arzt und das Einkaufen von Medikamenten in der Apotheke keine Krankenschwester erforderlich sei, die üblicherweise die häusliche Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V erbringe. Zudem werde häusliche Krankenpflege nur gewährt, wenn der Versicherte in ärztlicher Behandlung stehe. Das Verzeichnis der verordnungsfähigen Einzelmaßnahmen der Behandlung und Pflege sei der HKP-Richtlinie zu entnehmen. Im vorliegenden Fall habe M. seiner Mutter keine Medikamente verabreichen oder einstellen müssen. Das Holen von Rezepten oder Kaufen von Medikamenten in der Apotheke sei eine Laientätigkeit, die eine nicht erwerbsmäßige Pflegeperson als Pflegemaßnahme im Sinne von § 14 SGB XI a.F. erbringe.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt (Schreiben der Beklagten vom 15.11.2019; Schreiben der Klägerin vom 10.12.2019).

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und den Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Klägerin verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Berufung in seinem Urteil vom 19.09.2018 zugelassen; daran ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 19.09.2018 zu Recht festgestellt, dass die Beklagte für den Unfall des M. vom 03.03.2016 zuständig ist, und hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin die für M. erbrachten Leistungen in Höhe von 5.766,64 EUR zu erstatten.

Es handelt sich bei der Klage auf Kostenerstattung um eine echte Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 SGG. Diese erfordert keine besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, denn die Beteiligten stehen einander nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis, sondern in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 54 Rn. 41).

Einer Beiladung des M. nach § 75 Abs. 2, 1. Var. SGG bedurfte es nicht, da die Entscheidung über die Kostenerstattung für die von der Klägerin für M. aufgewandten Kosten zwischen der Klägerin und der Beklagten keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des M. hat, und die Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X nicht von der Rechtsposition abgeleitete, sondern eigenständige Ansprüche sind (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2010, B 2 U 4/09 R; juris Rdnr. 9 m. w. N.).

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für den Erstattungsanspruch der Klägerin dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass M. im Zeitpunkt des Unfalls vom 03.03.2016 eine versicherte Tätigkeit verrichtet hat und daher unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Der Senat sieht deshalb insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass auch das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren keine anderslautende rechtliche Bewertung zur Folge hat.

Soweit die Beklagte zur Begründung der Berufung anführt, dass das Besorgen eines Rezeptes der nicht vom Verrichtungskatalog des § 14 SGB XI umfassten Behandlungspflege zuzuordnen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bayerischen LSG im Urteil vom 11.11.2014 (L 2 U 254/14, juris; nachfolgend BSG, 22.11.2016, B 2 U 3/15 R; zustimmend Jung in SGb 2015, 456, juris) an, wonach das Abholen des Rezeptes beim Arzt und dessen Einlösen in der Apotheke eine Verrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI a. F. darstellt. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI idF vom 26.05.1994 (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Entscheidend ist somit die Definition der Pflegetätigkeit nach der im Zeitpunkt des Unfalls geltenden Definition des § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. (vgl. hierzu Senatsurteil vom 27.11.2015, L 8 U 2403/15, veröffentlicht unter sozialgerichtsbarkeit.de).

M. war im Zeitpunkt seines Unfalls Pflegeperson seiner Mutter im Sinne des § 19 Satz 1 SGB XI. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Im Zeitpunkt seines Unfalls am 03.03.2016 übte M. auch eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) versicherte Pflegetätigkeit aus. Nach dieser Vorschrift sind versichert Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und - soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugutekommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 SGB XI). Der Verweis auf § 14 Abs. 4 SGB XI (ebenfalls in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) stellt klar, dass Unfallversicherungsschutz grundsätzlich nur bei der Hilfe bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens besteht, die auch für die Zuordnung zu einer Pflegestufe relevant sind. M. wollte ein Rezept für seine pflegebedürftige Mutter vom Arzt abholen, als er verunfallte. Dieser Ablauf wird von den Beteiligten nicht in Abrede gestellt. Auch die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Beim Abholen des Rezeptes vom Arzt handelte es sich nach Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen LSG (vgl. hierzu und im Folgenden Bayerisches LSG, aaO) um eine Hilfeleistung im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (hier: Einkaufen), die vorliegend der pflegebedürftigen Mutter des M. zugutegekommen ist. Als Hilfeleistung im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung werden solche Verrichtungen berücksichtigt, die für eine angemessene Lebensführung unumgänglich sind (Udsching, in: Udsching, SGB XI, Kommentar, § 14 Rn. 41). Versicherte Pflegetätigkeit war vorliegend das nachgewiesene Abholen des Rezeptes beim Arzt sowie dessen beabsichtigtes Einlösen in der Apotheke. Eine derartige Tätigkeit dient - ebenso wie der Einkauf von Lebensmitteln, Körperpflegemitteln oder sonstigen Gegenständen des täglichen Bedarfs - der regelmäßig notwendigen Versorgung des Pflegebedürftigen mit denjenigen Gütern, die laufend sowohl für die Sicherung seiner Existenz als auch für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind. Unerheblich ist, ob das Abholen und Einlösen von Rezepten eine Tätigkeit ist, die regelmäßig, d.h. mindestens einmal wöchentlich anfällt (vgl. BSG, Urteil vom 9.11.2010, B 2 U 6/10 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 16.).

Der Wortlaut "Einkaufen" steht der Zuordnung der hier fraglichen Hilfeleistung zu dieser Verrichtung nicht entgegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 27.11.2015 – L 8 U 2403/15 –). Umgangssprachlich kann der Begriff des Einkaufens auch Verwendung finden für Arznei- oder Hilfsmittel, die ausschließlich in Apotheken bezogen werden können und ggf. das Vorliegen eines Rezeptes voraussetzen. Zudem wurde der Begriff des Einkaufens im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI a. F. ohnehin weit ausgelegt. So umfasste das Einkaufen z.B. auch den Überblick, welche Lebensmittel wo eingekauft werden müssen, sowie die Kenntnis der Genieß- bzw. Haltbarkeit von Lebensmitteln (BSG, Urteil vom 28.06.2011, B 3 P 12/00 R, juris Rn. 16 mwN). Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) vom 8. Juni 2009 (geändert durch Beschluss vom 16. April 2013) gehen davon aus, dass die Verrichtung des Einkaufens auch das Planen und Informieren bei der Beschaffung von Lebens-, Reinigungs- sowie Körperpflegemitteln beinhaltet, ferner den Überblick darüber, welche Lebensmittel wo eingekauft werden müssen, unter Berücksichtigung der Jahreszeit und Menge, die Kenntnis des Wertes von Geld (preisbewusst) sowie die Kenntnis der Genieß- und Haltbarkeit von Lebensmitteln und die richtige Lagerung. Auch die Beschaffung der für eine Diät benötigten Lebensmittel ist hier zu berücksichtigen (D 4.4 Ziffer 16, S. 75 f.).

Gegen die Annahme einer Hilfeleistung im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung spricht nicht, dass die unter dem Sammelbegriff der "Behandlungspflege" zusammengefassten krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen, die bei gesunden bzw. nicht behinderten Menschen im üblichen Tagesablauf naturgemäß nicht vorkommen, grundsätzlich nicht dem Verrichtungskatalog des § 14 Abs. 4 SGB XI zugeordnet werden, sondern in den Bereich der häuslichen Krankenpflege fallen, für den nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) die gesetzliche Krankenversicherung zuständig ist (z.B. BSG, Urteil vom 12.11.2003, B 3 P 5/02 R , SozR 4-3300 § 14 Nr. 3 und juris Rn. 17; grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.1998, B 3 P 3/97 R, BSGE 82, 27). Behandlungspflege meint diejenigen Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand der erkrankten Person abgestimmt sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern.

Ausnahmsweise kann jedoch auch eine Maßnahme der Behandlungspflege zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege gehören. Dies gilt dann, wenn und soweit sie entweder Bestandteil der Hilfe für eine der zur Grundpflege gehörenden Verrichtungen ist oder aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege erforderlich wird (sog. verrichtungsbezogene Behandlungspflege; BSG, Urteil vom 12.11.2003, B 3 P 5/02 R, SozR 4-3300 § 14 Nr. 3 und juris Rn. 18 m.w.N.). Bestandteil einer Verrichtung ist Behandlungspflege dann, wenn sie mit ihr untrennbar verbunden ist. Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Verrichtung reicht nur dann aus, wenn die gleichzeitige oder unmittelbar vorhergehende oder anschließende Durchführung der krankheitsspezifischen Maßnahme objektiv erforderlich ist (BSG, Urteil vom 22.08.2001, B 3 P 23/00 R, juris Rn. 14 m.w.N.). Dies war in § 15 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SGB XI (in der vom 01.04.2007 bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) ausdrücklich geregelt.

Vorliegend stellt nach Überzeugung des Senats allein das Abholen eines Rezeptes für ein Medikament noch keine Maßnahme der Behandlungspflege dar. Allenfalls handelt es sich um eine Vorbereitungshandlung, die allerdings noch nicht der Behandlungspflegemaßnahme zugerechnet werden kann. Denn es fehlt ihr zwar nicht an dem notwendigen engen sachlichen, aber an dem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung des Medikaments. Im Übrigen ist der Unfallversicherungsschutz im Zusammenhang mit einer Maßnahme der Behandlungspflege nicht ausgeschlossen (vgl. zum Unfallversicherungsschutz in zeitlichem Zusammenhang mit einer Schmerzmittelverabreichung, LSG Baden – Württemberg, Urteil vom 20.11.2014, L 6 U 2398/14, juris). Im Bereich der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V gilt zudem, dass Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI nicht mehr erbracht werden dürfen (§ 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V). Somit ist das Abholen eines Rezeptes vom Arzt entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht als Maßnahme der Behandlungspflege und der häuslichen Krankenpflege anzusehen.

Soweit die Beklagte ihre Rechtsauffassung auf die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt vom 11.08.2005 (L 6 U 13/02, juris) stützt, hat das LSG Sachsen-Anhalt in einer neueren Entscheidung vom 21.06.2018 (L 6 U 106/16, juris) das Einkaufen und Besorgen von Sanitätsartikeln zum Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versicherten Pflegetätigkeiten gezählt. Dies untermauert die Rechtsauffassung des erkennenden Senats, wonach das Besorgen von Medikamenten zum hauswirtschaftlichen Bereich gehört, da die Frage des Unfallversicherungsschutzes nicht davon abhängen darf, ob es sich um ein frei verkäufliches oder nur auf Verordnung erhältliches Medikament, ein Medizinprodukt oder einen Sanitätsartikel handelt. Auch der Verweis der Beklagten auf die Handlungstendenz führt nicht zum Ausschluss des Versicherungsschutzes. Diesbezüglich weist das Bayerische LSG (aaO) zutreffend darauf hin, dass die Differenzierung zwischen grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähigen Maßnahmen der Behandlungspflege und ausnahmsweise doch berücksichtigungsfähigen Maßnahmen der verrichtungsbezogenen Behandlungspflege nicht zugleich auf die der Maßnahme selbst vorgelagerte Verrichtung des Einkaufens übertragen werden könne, da aus Gründen der Rechtssicherheit eine klare Zuordnung erforderlich sei. Bereits im Bereich der Grundpflege sei die Abgrenzung zwischen berücksichtigungsfähigen und nicht berücksichtigungsfähigen Maßnahmen der Behandlungspflege nicht immer einfach. Eine entsprechende Unterscheidung beim Einkaufen sei nicht sachgerecht, da u.U. im Zeitpunkt des Einkaufens noch nicht beurteilt werden kann, in welcher Weise eine konkrete Behandlungspflegemaßnahme durchgeführt werden werde. Auch könne die Beurteilung von ein und derselben Behandlungspflegemaßnahme je nach der konkreten Situation unterschiedlich ausfallen. Denkbar sei nicht zuletzt, dass bei ein und demselben Versicherten dieselbe Behandlungspflegemaßnahme teilweise verrichtungsbezogen erbracht werde und damit berücksichtigungsfähig sei und teilweise nicht (Bayerisches LSG, aaO).

Der Senat stellt somit fest, dass das Besorgen des Rezepts nicht dem Bereich der Behandlungspflege, sondern dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung unterfiel und M. somit im Zeitpunkt des Unfalls am 03.03.2016 unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII a.F. stand.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die dem eingeklagten Geldbetrag entsprechende Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, zumal der Sachverhalt vorliegend die Anwendung von § 14 Abs. 4 SGB XI a. F. betrifft.
Rechtskraft
Aus
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