L 4 BA 4069/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 420/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 BA 4069/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Solange ein Beigeladener im gesamten sozialgerichtlichen Verfahren keinen Antrag gestellt bzw. seine rechtlichen Interessen erkennbar kundgetan hat, kann er zwar Beratungs-, nicht aber Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen.
2. Solange ein Beigeladener keinen Antrag gestellt bzw. seine rechtlichen Interessen erkennbar kundgetan hat, ist seine Stellung im sozialgerichtlichen Verfahren mit der eines Streitverkündeten im Zivilprozess vergleichbar.
3. Im sozialgerichtlichen Verfahren entspricht der zivilrechtliche „Beitritt“ i.S. von §§ 74 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO (bestimmte Angabe des Interesses) der Stellung eines Antrags des Beigeladenen bzw. der erkennbaren Äußerung seiner rechtlichen Interessen bezüglich des Streitgegenstandes.
Der Antrag des Beigeladenen zu 1 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren, an dem er als Beigeladener zu 1 beteiligt ist.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 forderte die Beklagte von der klagenden GmbH & Co. KG Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes für die Zeit vom 1. September 2009 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von insgesamt 50.879,56 EUR, davon 10.095,50 EUR Säumniszuschläge, nach. Der Beigeladene zu 1 habe in seiner Tätigkeit für die Klägerin eine abhängige Beschäftigung ausgeübt und der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2015 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhob diese am 4. Januar 2016 Klage beim Sozialgericht Reutlingen, das den Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwies. Dieses lud den Antragsteller durch Beschluss vom 31. Januar 2017 gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren notwendig bei. Der Beigeladene zu 1 äußerte sich im Klageverfahren nicht und stellte keine Anträge. Mit Urteil vom 8. Oktober 2018 wies das SG die Klage ab; der angefochtene Bescheid vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2015 sei rechtmäßig; der Beigeladene zu 1 sei in seiner Tätigkeit als Elektriker bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. November 2018 beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der Beigeladene zu 1 hat auf gerichtliche Anfrage Angaben zur Sache gemacht, aber bislang keinen Antrag gestellt oder angekündigt.

Am 17. September 2019 hat der Beigeladene zu 1 sinngemäß die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Unter Bezug auf die gerichtliche Anfrage zu der für die Klägerin ausgeübte Tätigkeit teile er mit, dass die Rechtslage in dieser Sache für ihn sehr verwirrend sei. Aus finanziellen Gründen könne er sich keinen Rechtsbeistand leisten. Am 8. Juni 2020 hat er fristgerecht seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse dar- und Nachweise vorgelegt.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beigeladene zu 1 hat derzeit keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechend. Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist "Partei" in diesem Sinne jeder Beteiligte i.S.d. § 69 SGG, also auch der Beigeladene (§ 69 Nr. 3 SGG; allg. M., vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 73a Rn. 2a). Der Beigeladene zu 1 ist mithin zwar als Beteiligter dem Grunde nach prozesskostenhilfeberechtigt, er erfüllt aber vorliegend nicht die weiteren Voraussetzungen des § 114 Satz 1 ZPO. Denn er betreibt derzeit keine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, so dass auch die weitere Voraussetzung der Erfolgsaussicht mangels Rechtsschutzziel nicht bestimmt werden kann.

Der Beigeladene zu 1 ist allein aufgrund des gerichtlichen Beiladungsbeschlusses am Verfahren beteiligt, weil er an dem zwischen Klägerin und Beklagter streitigen Rechtsverhältnis als Dritter derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG). Allein hierdurch betreibt oder verteidigt er jedoch noch kein Recht und muss dies auch nicht tun. Zwar kann er innerhalb der Anträge der anderen Beteiligten selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen sowie – als notwendig Beigeladener – auch abweichende Sachanträge stellen (§ 75 Abs. 4 SGG). Er ist hierzu aber nicht verpflichtet und hat es vorliegend auch nicht getan. Der Beigeladene zu 1 hat weder im Klage- noch bislang im Berufungsverfahren einen Antrag gestellt oder auch sonst zu erkennen gegeben, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung eines der Hauptbeteiligten zu unterstützen. Erst wenn der Beigeladene zu 1 ein Rechtsschutzziel verfolgt, die an diesem zu messende Erfolgsaussicht besteht und Mutwilligkeit nicht vorliegt, erfüllt er die Voraussetzungen des § 114 Satz 1 ZPO. Auch der Ausnahmefall des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, liegt nicht vor. Denn der Beigeladene zu 1 war auch in erster Instanz nicht der dort erfolgreichen Rechtsverteidigung der Beklagten beigetreten.

Allein für die Entscheidung, ob und gegebenenfalls welchem Hauptbeteiligten er sich anschließen oder ob und gegebenenfalls welche eigenen Anträge er stellen sollte, kann daher keine Prozesskostenhilfe gewährt werden. Vielmehr ist der Beigeladene zu 1 insoweit auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG) zu verweisen. Beratungshilfe nach diesem Gesetz wird in allen rechtlichen Angelegenheiten gewährt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG). Zwar wird die Beratungshilfe nach § 1 Abs. 1 BerHG für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens gewährt, während der Beigeladene zu 1 aufgrund des gerichtlichen Beiladungsbeschlusses des SG vom 31. Januar 2017 bereits Beteiligter des vorliegenden Berufungsverfahrens ist. Solange ein Beigeladener aber keinen Antrag gestellt bzw. seine rechtlichen Interessen erkennbar kundgetan hat, ist seine Stellung im sozialgerichtlichen Verfahren mit der eines Streitverkündeten im Zivilprozess vergleichbar. Beigeladene oder Streitverkündete können Beratungshilfe – wie der zivilrechtlich Beklagte (hierzu nachfolgend) – zur Klärung der Frage in Anspruch nehmen, ob sie "beitreten" sollen (Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 9. Aufl. 2020, 2. Teil. Beratungshilfe, Rn. 1127; Groß in: Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl. 2018, § 1 Rn. 29; Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, BerHG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 18). Im sozialgerichtlichen Verfahren entspricht der zivilrechtliche "Beitritt" i.S. von §§ 74 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO (bestimmte Angabe des Interesses; vgl. hierzu Althammer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 74 ZPO, Rn. 1) der Stellung eines Antrags des Beigeladenen bzw. der erkennbaren Äußerung seiner rechtlichen Interessen bezüglich des Streitgegenstandes. Das bedeutet, dass der Beigeladene bis zum diesem Zeitpunkt Beratungshilfe in Anspruch nehmen kann. Ebenso verhält es sich mit der Stellung eines (zivilrechtlich) Beklagten nach Klagezustellung. Auch dort führt die Rechtshängigkeit der Klage allein nicht automatisch dazu, dass der Beklagte von Beratungshilfe ausgeschlossen ist. Entscheidend ist nicht die Klagezustellung, sondern die Frage, ob der Beklagte bereits einen Antrag gestellt und sich zur Klage erklärt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Beklagte Beratungshilfe erlangen, da er sich aus seiner Sicht noch außerhalb des Verfahrens befindet. Er kann sich demnach über Beratungshilfe Auskunft und Beratung zu der Frage verschaffen, wie er sich zu dem Prozess verhalten soll. Die Beratungshilfe ist zwar subsidiär gegenüber der Prozesskostenhilfe, sollte in dem Grenzbereich aber keine Lücken offen lassen (zum Ganzen Groß in: Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl. 2018, § 1 Rn. 18 m.w.N.).

Entscheidet sich der Beigeladene zu 1 (ggf. nach Inanspruchnahme der Beratungshilfe) zur Stellung eines Antrags im Hauptsacheverfahren bzw. äußert er erkennbar seine rechtlichen Interessen bezüglich des Streitgegenstandes, kann ihm – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – Prozesskostenhilfe gewährt werden.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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