L 10 SF 3796/18 E-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SF 5536/16 E
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 SF 3796/18 E-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Anwaltliche Wartezeiten außerhalb eines gerichtlichen Termins sind bei der Bemessung der Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) nicht zu berücksichtigen. Eine entsprechende Anwendung der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG scheidet aus.
Die Beschwerde des Erinnerungsführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.09.2018 (S 3 SF 5536/16 E) wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Über die Beschwerde entscheidet der Berichterstatter des alleine für Kostensachen zuständigen 10. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg als Einzelrichter ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 155 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 und 3 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG -); die Streitsache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzungsverfügung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts (UdG) vom 06.04.2016 mit Beschluss vom 24.09.2018 - jedenfalls im Ergebnis - zu Recht zurückgewiesen. Der Erinnerungsführer hat keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung aus der Staatskasse für seine Tätigkeit als nach dem Recht der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneter Rechtsanwalt in dem Hauptsacheverfahren S 3 AS 2907/13.

Das SG hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage der gleichermaßen ausführlichen wie zutreffenden Begründung der Vergütungsfestsetzungsverfügung und unter Darstellung der rechtlichen Maßstäbe im Einzelnen begründet, dass und warum der Erinnerungsführer weder eine höhere Verfahrens- noch eine höhere Einigungsgebühr beanspruchen kann. Der Senat nimmt darauf - ebenso wie auf die entsprechende Begründung der Vergütungsfestsetzungsverfügung - Bezug, sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidungen zurück (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Da der Erinnerungsführer seine Beschwerde insoweit im Wesentlichen mit den nämlichen Erwägungen begründet hat wie seine Beschwerde im Verfahren L 10 SF 3795/18 E-B, verweist der Senat diesbezüglich auf die Gründe seines Beschlusses vom heutigen Tag in jenem Verfahren; die dortigen Ausführungen gelten hier entsprechend.

Ergänzend dazu merkt der Senat an, dass auch im vorliegenden Klageverfahren von einer "umfassenden und ausführlichen" Begründung der Klage, die eine überdurchschnittliche Verfahrensgebühr rechtfertigen würde, keine Rede sein kann. Der Erinnerungsführer fertigte im Verfahren S 3 AS 2907/13 lediglich eine rund fünfseitige Klageschrift (ohne Briefkopf/Rubrum, auch im Folgenden) und - ohne sachlich-rechtliches Eingehen auf die Klageerwiderung - einen Schriftsatz mit einem Satz sowie einen weiteren mit nicht einmal einer halben Seite Umfang. Eine Bezifferung der jeweils erhobenen Individualansprüche für jeden einzelnen Kläger (vgl. dazu nur Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, in juris, Rdnr. 30) unterblieb, stattdessen wurden lediglich "Gesamtbeträge" zugunsten der (gesamten) Bedarfsgemeinschaft ausgeworfen. Erhebliche, sich üblicherweise nicht stellende tatsächliche oder rechtliche Probleme standen ebenso wie im parallel geführten Verfahren S 3 AS 4526/12 nicht im Raum, namentlich fand auch keine umfangreichere Beweiswürdigung (z.B. Auseinandersetzung mit Sachverständigengutachten, sachverständigen Zeugenauskünften) statt.

Soweit der Erinnerungsführer gemeint hat, dass "Synergieeffekte" im Hinblick auf das parallel geführte Klageverfahren S 3 AS 4526/12 (betreffend den früheren Leistungszeitraum von Anfang Februar bis Ende Juli 2012, s. hierzu das Beschwerdeverfahren L 10 SF 3795/18 E-B) nicht "erkennbar" seien, ist dies schlicht unzutreffend. Denn die Klagebegründung im vorliegend in Rede stehenden Klageverfahren S 3 AS 2907/13 (Leistungszeitraum von Anfang Dezember 2012 bis Ende Januar 2013) entsprach hinsichtlich der geltend gemachten höheren Leistungen für Kosten der Unterkunft (Umfang: knapp die Hälfte der Klageschrift) im Wesentlichen der Klagebegründung im Verfahren S 3 AS 4526/12, für das der Erinnerungsführer mit einer überdurchschnittlichen Verfahrensgebühr vergütet wurde. Den diesbezüglich verminderten Aufwand im hiesigen Verfahren ("Synergieeffekt") hat das SG entsprechend der Senatsrechtsprechung (z.B. Senatsbeschluss vom 27.06.2019, L 10 SF 4412/18 E-B, in juris, Rdnrn. 21, 27 m.w.N.) zu Recht gebührenmindernd berücksichtigt.

Hinsichtlich der geltend gemachten höheren Einigungsgebühr wird nur am Rande angemerkt, dass der Umstand, dass im vorliegenden Verfahren S 3 AS 2907/13 beiden seinerzeitigen Beteiligten ein Vergleichswiderrufsrecht eingeräumt war, keine andere Beurteilung rechtfertigt; auch insoweit wird daher auf die entsprechenden Ausführungen im Senatsbeschluss vom heutigen Tag im Verfahren L 10 SF 3795/18 E-B Bezug genommen.

Was die Terminsgebühr anbelangt, ist der UdG zu Recht von einer deutlich unterdurchschnittlichen Terminsdauer (14 Minuten) ausgegangen und hat die Gebühr im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats, wonach sich die Höhe der Terminsgebühr ganz wesentlich nach der Dauer des Termins richtet (s. nur den zwischen den Beteiligten ergangenen Senatsbeschluss vom 09.04.2020, L 10 SF 4170/18 E-B m.w.N.), jedenfalls nicht zu Ungunsten des Erinnerungsführers unterhalb der Mittelgebühr (hier: 200,00 EUR) i.H.v. 155,00 EUR festgesetzt.

Soweit der Erinnerungsführer gemeint hat, der Umstand, dass sich der Terminsbeginn entgegen der Ladung verschoben habe (Beginn 13.11 Uhr statt 10.45 Uhr), rechtfertige eine höhere Gebühr, folgt dem der Senat nicht.

Die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Wartezeiten des Anwalts (s. etwa die Nachweise bei Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.06.2019, L 7 AS 5/17 B, in juris, Rdnr. 24, dazu noch nachfolgend) ist vorliegend jedenfalls hinsichtlich des Zeitraums von 11.42 Uhr bis 13.10 Uhr von vornherein nicht einschlägig, da der Erinnerungsführer in diesem Zeitraum überhaupt nicht "wartete", sondern anderweitige Mandate bearbeitete (s. dazu etwa Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.04.2015, L 15 SF 259/14 E, in juris, Rdnr. 45), nämlich die Kläger im Gerichtstermin im Verfahren S 3 AS 4526/12 vertrat, der in diesem Zeitraum stattfand und für dessen Wahrnehmung der Erinnerungsführer im dortigen Verfahren mit der Terminshöchstgebühr vergütet wurde (s. Vergütungsfestsetzung im Verfahren S 3 AS 4526/12).

Aber auch ungeachtet dessen kommt die Berücksichtigung der verbliebenen (vorangegangenen) Wartezeit von knapp unter einer Stunde bei der Bestimmung der Höhe der Terminsgebühr im hiesigen Verfahren nicht in Betracht. Dies folgt bereits daraus, dass die Vorbem. 3 Abs. 3 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vorliegend in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung - a.F. -) nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut die Terminsgebühr von der Vertretung "in" einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin abhängig macht. Eine Vertretung "in" einem solchen Termin setzt indes nach der Senatsrechtsprechung (u.a.) voraus, dass der Termin tatsächlich stattfindet, indem das Verfahren aufgerufen oder sonst wie begonnen wird (Senatsbeschluss vom 27.06.2019, L 10 SF 4412/18 E-B, in juris, Rdnr. 38 m.w.N. u.a. zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH -). Vorliegend wurde mit dem Termin indes ausweislich der Sitzungsniederschrift erst um 13.11 Uhr begonnen, sodass die Zeit davor keine gebührenrelevante Vertretung "in" einem Termin darstellt.

Soweit in der Rechtsprechung und Literatur bisweilen vertreten wird, auch etwaige Wartezeiten des Anwalts seien im Einzelfall bei der Bemessung der Terminsgebühr zu berücksichtigen, weil dies "opportun" sei (so etwa Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.04.2015, L 15 SF 259/14 E, a.a.O., Rdnrn. 40 ff. m.w.N.; dem folgend auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.11.2016, L 5 SF 91/15 B E, in juris, Rdnr. 19; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.02.2018, L 19 AS 1472/17 B, in juris, Rdnr. 60; Hinne in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, Nr. 3106 VV RVG Rdnr. 5, beide freilich ohne weitere Begründung; offenlassend Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 3 Rdnr. 68a m.w.N.) widerspricht dies dem eindeutigen Wortlaut der o.g. Vorbemerkung, der keinen Raum für irgendwie geartete "Opportunitätsgesichtspunkte" lässt (wie hier z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.06.2019, L 7 AS 5/17 B, a.a.O.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 08.01.2014, L 8 AS 585/12 B KO, in juris, Rdnr. 27, m.w.N.); der Gesetzgeber hat gerade nicht formuliert, dass die Terminsgebühr für die Vertretung "im Zusammenhang" mit einem Termin oder dergleichen anfällt, sondern eben nur für die Vertretung "in" einem Termin. Auf diesen (eindeutigen) Wortlaut hat auch der BGH (Beschluss vom 12.10.2010, VIII ZB 16/10, in juris, Rdnr. 10) maßgeblich abgestellt und das Entstehen einer Terminsgebühr (sogar) in dem Fall verneint, in dem ein Anwalt in Unkenntnis einer Terminsaufhebung vertretungsbereit zur (ursprünglich angesetzten) Terminsstunde erscheint. Zurechnungsgesichtspunkte oder dergleichen spielten insofern gerade keine Rolle. Wenn aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Terminsgebühr - mangels Vertretung "in" einem Termin - selbst dann nicht entsteht, wenn ein Anwalt (auch wenn er dies nicht zu vertreten hat) zu einem abgesetzten Termin erscheint, kann nichts anderes gelten, wenn sich der Termin bloß zeitlich verschiebt und es dadurch zu einer Wartezeit kommt. Denn - wie dargelegt - stellt auch die Wartezeit keine Vertretung "in" einem Termin dar.

Eine Vergütung "verlorener Zeit" des Anwalts über die Terminsgebühr kommt auch nicht auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG in Betracht, weil diese spezialgesetzliche Regelung nur in Strafsachen gilt und eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers im Hinblick auf Verfahren nach Teil 3 des VV RVG nicht ersichtlich ist (s. nur BGH, Beschluss vom 12.10.2010, VIII ZB 16/10, a.a.O., Rdnr. 11 m.w.N.; Winkler in: Schneider/Volpert/Fölsch, a.a.O., Vorbem. 3 VV RVG Rdnr. 24). Deswegen kann auch die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Wartezeiten im Bereich der Strafverteidigergebühren (z.B. Oberlandesgericht - OLG - Stuttgart, Beschluss vom 08.08.2005, 4 Ws 118/05, in juris, Rdnr. 10 m.w.N.) auf Grund eines Erst-Recht-Schlusses aus der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG nicht herangezogen werden (wie hier auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.06.2019, L 7 AS 5/17 B, a.a.O., Rdnr. 25; Sächsisches LSG, Beschluss vom 08.01.2014, L 8 AS 585/12 B KO, a.a.O., Rdnr. 28).

Offenbleiben kann, ob derartige Wartezeiten vielmehr richtigerweise über das Tage- und Abwesenheitsgeld bei einer Geschäftsreise (Nr. 7005 VV RVG) zu berücksichtigen sind (so etwa LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.; Sächsisches LSG, a.a.O., Rdnr. 29; dagegen etwa Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.04.2015, L 15 SF 259/14 E, a.a.O., Rdnr. 47). Denn Tage-/Abwesenheitsgeld hat der Erinnerungsführer - zu Recht (Vorbem. 7 Abs. 2 VV RVG) - nicht geltend gemacht

Soweit der Erinnerungsführer weiter gemeint hat, jedenfalls sei sein gesamter Zeitaufwand am 17.07.2015 auf beide Termine (S 3 AS 4526/12 und S 3 AS 2907/13) zu "verteilen", fehlt dafür jegliche Grundlage, worauf bereits der UdG zutreffend hingewiesen hat.

Abschließend merkt der Senat noch an, dass der vom Erinnerungsführer angebotene "Beweis" in Gestalt der "Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer" (vgl. § 14 Abs. 2 RVG) aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom heutigen Tag im Verfahren L 10 SF 3795/18 E-B neben der Sache liegt und dass die von ihm geltend gemachte Vergütung wegen Überschreitens der sog. Toleranzgrenze (dazu z.B. Senatsbeschluss vom 09.04.2020, L 10 SF 4170/18 E-B, m.w.N.) unbillig und damit nicht verbindlich ist.

Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG; die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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