L 3 AS 1168/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 18 AS 537/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1168/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben, wenn sich die antragstellende Person weder gegen die Art und Weise der Durchführung der Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt, wofür nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO die Finanzgerichte zuständig sind, noch gegen die Art und Weise der Vollstreckung nach den Vorschriften der ZPO, wofür nach § 66 Abs. 4 SGB X die ordentlichen Gerichte zuständig sind, wendet, sondern - indem sie Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte selbst beziehungsweise eine Vollstreckung hieraus erhebt - eine Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung begehrt (Anschluss an Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014, L 7 AS 260/14 B ER, juris Rn. 35, 36).
2. Bei einer Vollstreckungsankündigung handelt es sich mangels Regelungswirkung um keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 15).
3. Ein auf die Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG ist statthaft (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 18-22, 25).
4. Als Rechtsgrundlage für eine Einstellung beziehungsweise Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem Bescheid eines in einer gemeinsamen Einrichtung mit einem anderen Träger zusammenwirkenden Jobcenters kommt § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II in Verbindung mit §§ 1 bis 4 VwVG sowie § 5 VwVG in Verbindung mit §§ 249 ff. AO, insbesondere § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO in Betracht.
5. Aus dem Verweis in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X auf § 52 SGB X folgt, dass Verwaltungsakte, die - zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X - zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, nach § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, gerechnet ab Rechtskraft des Durchsetzungsbescheides, in Gang setzen (Anschluss an Senatsurteil vom 11.12.2019, L 3 AS 3321/19, juris Rn. 25).
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.03.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Das Jobcenter Landkreis R. forderte von der Antragstellerin mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 28.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 für den Leistungszeitraum von Juni bis Juli 2011 eine Erstattung in Höhe von 559,53 EUR, mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2014 für den Leistungszeitraum Februar 2014 eine Erstattung in Höhe von 278,83 EUR und mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27.08.2014 für den Leistungszeitraum von März bis Mai 2014 eine Erstattung in Höhe von 840,00 EUR.

Ferner forderte die Bundesagentur für Arbeit von der Antragstellerin mit den Mahngebührenbescheiden vom 28.12.2011 sowie 29.01.2016 Mahngebühren in Höhe von insgesamt 13,85 EUR und fertigte Zahlungserinnerungen vom 22.07.2016, 16.01.2017, 11.07.2017, 11.01.2018 und 07.08.2019. Mit Vollstreckungsanordnung vom 21.11.2019 übermittelte die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit R. Inkasso-Service – die offenen Forderungen an das Hauptzollamt L.

Daraufhin erhielt die Antragstellerin vom Hauptzollamt L. die Vollstreckungsankündigung vom 02.01.2020 über eine Forderung in Höhe von 1.445,11 EUR. Es wurde darin mitgeteilt, die Antragstellerin könne die für sie mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieser Vollstreckungsankündigung den Gesamtbetrag zahle. Werde der Betrag nicht oder nicht vollständig entrichtet, würden Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen. So würde das Hauptzollamt – ohne weitere Ankündigung – zum Beispiel beim Arbeitgeber den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens pfänden und einziehen, bei der Bank das Konto pfänden und/oder bewegliche Sachen durch Vollziehungsbeamte pfänden lassen. Gleichfalls könne das Hauptzollamt eine Auskunft über das Vermögen verlangen. Mit dieser Vollstreckungsankündigung werde die Antragstellerin nochmals auf die ihr bereits bekannt gegebenen vollstreckbaren Bescheide hingewiesen. Sie habe ausschließlich informellen und mahnenden Charakter und sei daher nicht rechtsbehelfsfähig.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin am 27.01.2020 unter Hinweis auf ein bereits am 26.01.2010 eingeleitetes Insolvenzverfahren und eine mit Beschluss vom 21.03.2016 erfolgte Restschuldbefreiung. Daraufhin teilte das Hauptzollamt L. mit Schreiben vom 27.01.2020 mit, die hier zu vollstreckenden Forderungen seien nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden und daher weiterhin vollstreckbar. Die Vollstreckung werde fortgesetzt, soweit die Rückstände nicht innerhalb einer Woche beglichen seien.

Am 18.02.2020 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe um Eilrechtsschutz nachgesucht. Sie habe erst durch das Hauptzollamt L. erfahren, dass sie Leistungen ohne Begründung zurückzahlen solle. Man wolle durch Gerichtsvollzieher ohne Grund pfänden. Es gebe keinerlei Gerichtsurteile darüber, dass sie diese Beträge zurückzahlen solle, sie wisse auch nicht, warum. Außerdem seien die Forderungen verjährt und im Übrigen habe eine Durchsicht ihrer Kontoauszüge ergeben, dass sie in dem relevanten Zeitraum vom Arbeitsamt kein Geld erhalten habe. Das Hauptzollamt L. hat eingewandt, die von der Antragstellerin geltend gemachten Einwände könnten nur außerhalb des Vollstreckungsverfahrens bei der Stelle geltend gemacht werden, die die zu Grunde liegenden Bescheide erlassen und die Vollstreckung angeordnet habe. Das Jobcenter Landkreis R. ist dem Eilantrag mit dem Hinweis entgegengetreten, eine Vollstreckung sei nur dann einzustellen, sobald die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen weggefallen seien, also die Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt sei, der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt werde, aufgehoben werde oder der Anspruch auf die Leistung erloschen sei. Diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Der Vortrag der Antragstellerin, sie habe vom Hauptzollamt L. erfahren, dass sie Leistungen zurückzahlen solle, könne nicht nachvollzogen werden, da alle Bescheide, die den aufgeführten Forderungen zu Grunde lägen, Gegenstand eines Klageverfahrens gewesen seien. Eine Überprüfung der Bescheide sei nicht möglich. Die ehemals streitbefangenen Bescheide seien daher in Rechtskraft erwachsen. Er hat ferner dargelegt, wegen zwischenzeitlich erfolgter Aufrechnungen mit laufenden Leistungen sei hinsichtlich des Erstattungsbetrages in Höhe von 559,53 EUR für den Leistungszeitraum von Juni bis Juli 2011 noch eine Restforderung in Höhe von 548,29 EUR, hinsichtlich des Erstattungsbetrages in Höhe von 278,83 EUR für den Leistungszeitraum Februar 2014 noch eine Restforderung in Höhe von 215,49 EUR und hinsichtlich des Erstattungsbetrages in Höhe von 840,00 EUR für den Leistungszeitraum von März bis Mai 2014 noch eine Restforderung in Höhe von 667,48 EUR, mithin insgesamt ein Betrag in Höhe von 1.431,26 EUR offen. Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgeführt, soweit die Antragstellerin derzeit nicht in der Lage sei, den geforderten Betrag zurückzuzahlen, möge sie beim Inkasso-Service der Agentur für Arbeit R. einen Antrag auf Stundung stellen.

Mit Beschluss vom 16.03.2020 hat das SG Karlsruhe die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin einstweilen – bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – insoweit zu unterlassen, als Mahngebühren in Höhe von 13,85 EUR zu vollstrecken seien, und im Übrigen den Antrag abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Eilantrag sei im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes auch als Leistungsklage, gerichtet auf die Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung, auszulegen, da eine einstweilige Anordnung ohne Erheben einer Leistungsklage ins Leere laufe beziehungsweise im Falle eines Erfolges für die Antragstellerin sogar eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeute. Zum Prüfungsumfang im Rahmen einer auf die Unterlassung der Zwangsvollstreckung gerichteten Leistungsklage und mithin auch eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gehöre auch die Wirksamkeit des betroffenen Verwaltungsaktes. Das Gericht sei aber davon überzeugt, dass der Antragstellerin die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 bekanntgegeben worden seien. Ferner sei von der Wirksamkeit dieser Bescheide auszugehen. Sie seien bestandskräftig geworden und nicht evident rechtswidrig. Demgegenüber sei offen beziehungsweise ergäben sich keine Hinweise dafür, ob eine Bekanntgabe der Mahnbescheide vom 28.12.2011 und 29.01.2016 erfolgt sei.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 10.04.2020 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat ausgeführt, die gegen sie erhobenen Forderungen seien schlichtweg erfunden. Dass es wegen einer inkompetenten Mitarbeiterin des Jobcenter Landkreis R. im Jahr 2011 zu einer Überzahlung gekommen sei, sei nicht ihre Schuld. Das Hauptzollamt L. hat mitgeteilt, Vollstreckungsmaßnahmen seien weiterhin noch nicht erfolgt.

II.

Die nach § 172 Abs. 1 SGG statthafte, nach § 173 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben, da sich die Antragstellerin weder gegen die Art und Weise der Durchführung der Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt L., wofür nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO die Finanzgerichte zuständig sind, noch gegen die Art und Weise der Vollstreckung nach den Vorschriften der ZPO, wofür nach § 66 Abs. 4 SGB X die ordentlichen Gerichte zuständig sind, wendet, sondern – indem sie Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte selbst beziehungsweise eine Vollstreckung hieraus erhebt – eine Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung begehrt, wofür die Sozialgerichte zuständig sind (Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER, juris Rn. 35, 36; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2008 - L 11 AL 165/07 ER, juris Rn. 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.12.2007 - L 9 B 584/07 KR ER, juris Rn. 4; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b Rn. 280; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 40 Rn. 280, 281; vergleiche B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage § 200 Rn. 2; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 51 Rn. 39 "Vollstreckung").

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des § 86b Abs. 1 SGG, wonach das Gericht in Bezug auf einen Verwaltungsakt die sofortige Vollziehung oder die aufschiebende Wirkung anordnen oder die sofortige Vollziehung wiederherstellen kann, vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der antragstellenden Person vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung bedarf es neben der Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen, nämlich des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rn. 27).

Vorliegend ist zwar kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG gegeben. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Bescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 wendet, handelt es sich dabei um bestandskräftige Bescheide, so dass kein hiergegen erhobener Rechtsbehelf vorliegt, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte (Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.10.2019 - L 20 KR 479/19 B ER, juris Rn. 21; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.04.2017 - L 11 AS 61/17 B ER, juris Rn. 10; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b Rn. 279, 279.4, 281). Soweit sich die Antragstellerin gegen die Vollstreckungsankündigung vom 02.01.2020 wendet, handelt es sich hierbei mangels Regelungswirkung um keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, so dass gegen ihn kein statthafter Rechtsbehelf erhoben werden kann, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte. Vielmehr hat die Vollstreckungsankündigung lediglich den Sinn, den Schuldner noch einmal auf die Situation hinzuweisen und ihm letztmalig die Gelegenheit zu geben, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 15; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.12.2018 - L 34 AS 2224/18 B ER, juris Rn. 11; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b Rn. 279.2; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 40 Rn. 274).

Ein auf die Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG ist daher statthaft. Denn es ist Raum dafür, gegen für unberechtigt gehaltene Vollstreckungsankündigungen unmittelbar vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (BSG, Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 18-22, 25; Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER, juris Rn. 38; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.11.2013, L 9 KR 254/13 B ER, juris Rn. 3, das vorläufigen Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen bestandskräftiger Bescheide zulässt, um verhindern zu können, dass Bescheide mit möglicherweise erheblichen, irreversiblen Folgen für betroffene Personen vollzogen werden, obwohl schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eindeutig zu erkennen ist, dass die belastenden Bescheide offensichtlich rechtswidrig sind und deshalb der betroffenen Person in einem Hauptsacheverfahren ein Anspruch auf Rücknahme des zu vollstreckenden Bescheides besteht). Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann deshalb auf die vorläufige Einstellung der Vollstreckung gerichtet werden (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b Rn. 279, 281).

Eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist vorliegend aber nicht zu erlassen.

Nach summarischer Prüfung wird ein auf Unterlassen beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung aus den Bescheiden vom 28.11.2011 und 27.08.2014 gerichtetes Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben.

Als Rechtsgrundlage für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung und nach Ansicht des Senats damit erst recht für eine Unterlassung derselben kommen vorliegend § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO in Betracht. Da das Jobcenter Landkreis R. kein zugelassener kommunaler Träger im Sinne des § 6a SGB II ist, sondern in einer gemeinsamen Einrichtung mit einem anderen Träger zusammenwirkt, richtet sich die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 28.11.2011 und 27.08.2014 gemäß § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II nach den §§ 1 bis 4 VwVG sowie § 5 VwVG in Verbindung mit den §§ 249 ff. AO, insbesondere § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO.

Nach § 1 Abs. 1 VwVG werden die öffentlich-rechtlichen Geldforderungen des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach den Bestimmungen des VwVG vollstreckt. Nach § 2 Abs. 1 Buchst. a VwVG kann als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden, wer eine Leistung als Selbstschuldner schuldet. Nach § 3 Abs. 1 Halbs. 1 VwVG wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet. Nach § 3 Abs. 2 VwVG sind Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung a) der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist; b) die Fälligkeit der Leistung; c) der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit. Nach § 3 Abs. 4 VwVG wird die Vollstreckungsanordnung von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf. Nach § 4 VwVG sind Vollstreckungsbehörden a) die von einer obersten Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern bestimmten Behörden des betreffenden Verwaltungszweiges, b) die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, wenn eine Bestimmung nach § 4 Buchst. a VwVG nicht getroffen worden ist. Nach § 5 VwVG richten sich das Verwaltungszwangsverfahren und der Vollstreckungsschutz im Falle des § 4 VwVG nach den §§ 77, 249 bis 258, 260, 262 bis 267, 281 bis 317, 318 Abs. 1 bis 4 und den §§ 319 bis 327 AO.

Die dargelegten Voraussetzungen der §§ 1 bis 4 VwVG sind vorliegend gegeben. Bei den geltend gemachten Erstattungsforderungen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Geldforderungen des Jobcenters Landkreis R. als bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts. Da sich die Erstattungsforderungen an die Antragstellerin selbst richten, kann sie als Vollstreckungsschuldnerin in Anspruch genommen werden. Die Vollstreckung ist gegen die Antragstellerin durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet worden. Die Antragstellerin ist mit den Bescheiden vom 28.11.2011 und 27.08.2014 zur Leistung aufgefordert worden. Zutreffend hat das SG Karlsruhe in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss dargelegt, dass und warum von einer Bekanntgabe und damit Wirksamkeit der Bescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X auszugehen ist. Der Senat schließt sich insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG den Gründen der angefochtenen Entscheidung an, zumal substantiierte Einwände hiergegen von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht erhoben worden sind. Die Erstattungsforderungen sind daher auch fällig. Seit Bekanntgabe dieser Bescheide beziehungsweise seit Fälligkeit der Erstattungsforderungen ist eine Woche abgelaufen. Die Vollstreckungsanordnung hat von der Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit R. Inkasso-Service – übermittelt werden können, da das Jobcenter Landkreis R. als gemeinsame Einrichtung gemäß § 44b Abs. 4 SGB II die Bundesagentur für Arbeit oder den kommunalen Träger mit der Einziehung der Forderung beauftragen und dadurch zur Anordnungsbehörde machen kann (Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 40 Rn. 274). Das Hauptzollamt L. ist zuständige Vollstreckungsbehörde, da nach § 5 VwVG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 3 AO die Finanzämter und die Hauptzollämter sowie die Landesfinanzbehörden, denen durch eine Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 FVG die landesweite Zuständigkeit für Kassengeschäfte und das Erhebungsverfahren einschließlich der Vollstreckung übertragen worden ist, Vollstreckungsbehörden sind (BSG, Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 14; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.08.2018 - L 11 KR 2654/18 ER-B, juris Rn. 22; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 40 Rn. 276; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, 07/16, § 40 Rn. 789).

Ferner liegen keine Gründe für eine Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung im Sinne des § 5 VwVG in Verbindung mit § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO vor.

Nach § 5 VwVG in Verbindung mit § 257 Abs. 1 AO ist die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken, sobald 1. die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind, 2. der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird, 3. der Anspruch auf die Leistung erloschen ist, 4. die Leistung gestundet worden ist. Nach § 251 Abs. 1 Satz 1 AO können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Nach § 5 VwVG in Verbindung mit § 258 AO kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit sie im Einzelfall unbillig ist.

Anhaltspunkte dafür, dass die Vollziehung der Bescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist, die Bescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 aufgehoben sind oder die Erstattungsforderungen erloschen oder gestundet worden sind, liegen nicht vor. Im Übrigen fehlt es vorliegend an einem auf die Rücknahme der Bescheide vom 28.11.2011 und 27.08.2014 im Sinne des § 44 SGB X gerichteten Antrag und damit einem entsprechenden Hauptsachverfahren, zumal die Antragstellerin mit ihrer Argumentation, sie habe von einer Rückzahlungspflicht erst durch das Hauptzollamt L. erfahren, die Existenz von Erstattungsbescheiden überhaupt negiert.

Die Vollstreckung wird vom Senat auch nicht für unbillig angesehen, etwa weil die Erstattungsforderungen bereits verjährt wären (für eine Prüfung von Verjährungsvorschriften in diesem Zusammenhang LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.12.2018 - L 34 AS 2224/18 B ER, juris Rn. 15; anderer Ansicht Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 40 Rn. 282, wonach im Verfahren auf Einstellung der Vollstreckung nach § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 VwVG und §§ 257, 258 AO nicht zu prüfen sei, ob die Vollstreckungsforderung verjährt sei oder ob sonstige materiell-rechtliche Einwände gegen sie bestünden).

Die Erstattungsforderungen sind nicht gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjährt, weshalb offen bleiben kann, ob die Antragstellerin die Einrede der Verjährung wirksam erhoben hat. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjähren Erstattungsansprüche innerhalb von 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem der Verwaltungsakt, mit welchem gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X die zu erstattende Leistung festgesetzt worden ist, unanfechtbar geworden ist. Gemäß § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X bleibt § 52 SGB X unberührt. Nach § 52 Abs. 2 SGB X beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, wenn ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen worden ist, unanfechtbar geworden ist. § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X sowie § 52 Abs. 2 SGB X und die dort geregelten unterschiedlichen Verjährungsfristen stehen, da ein Erstattungsbescheid im Sinne des § 50 Satz 4 Satz 1 SGB X den Anspruch des Hoheitsträgers gegen einen Leistungsempfänger festsetzt und damit zugleich auch die Voraussetzung des § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfüllt, in einem bislang höchstrichterlich nicht geklärten Spannungsverhältnis. Inwieweit § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X eine vorrangige Sonderregelung für die Feststellung eines Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt darstellt, wovon wohl mehrheitlich die Literatur ausgeht (vergleiche hierzu Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, § 50 Rn. 126), kann hier indes dahinstehen. Denn nach allgemeiner Auffassung folgt aus dem Verweis in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X auf § 52 SGB X jedenfalls, dass Verwaltungsakte, die – zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X – zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, nach § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, gerechnet ab Rechtskraft des Durchsetzungsbescheides, in Gang setzen, da der Hoheitsträger mit dem Versuch, die festgestellte Forderung durchzusetzen, das ihm zur Realisierung des Anspruchs Obliegende getan hat, weshalb dieser Anspruch ihm bei Nichterfüllung ohne weiteres 30 Jahre lang erhalten bleiben soll (Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage, § 50 Rn. 32; Heße in BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, SGB X, 54. Edition, § 50 Rn. 42; Lang in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Auflage, § 50 Rn. 61; vergleiche zum Ganzen Senatsurteil vom 11.12.2019 - L 3 AS 3321/19, juris Rn. 25). Vorliegend sind zugleich mit den Erstattungsbescheiden vom 28.11.2011 und 27.08.2014 auf die Durchsetzung der festgestellten Erstattungsansprüche gerichtete weitere Verwaltungsakte im Sinne des § 52 SGB X ergangen, weswegen die 30jährige Verjährungsfrist gilt. Denn das Jobcenter Landkreis R. hat in dem Bescheid vom 28.11.2011 ausgeführt, dass der Erstattungsbetrag zu überweisen sei und sich die Zwangsvollstreckung der gesamten Forderung nicht vermeiden lasse, wenn die Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung nicht eingehalten werde. Ferner hat das Jobcenter Landkreis R. in den Bescheiden vom 27.08.2014 ausgeführt, die Erstattungsforderungen würden in monatlichen Raten in Höhe von 105,90 EUR gegen die der Antragstellerin zustehenden laufenden Leistungen aufgerechnet. Damit hat das Jobcenter Landkreis R. deutlich zu erkennen gegeben, die Erstattungsforderungen auch durchsetzen zu wollen.

Da nach alledem die Voraussetzungen der §§ 1 bis 4 VwVG gegeben sind und keine Gründe für eine Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung im Sinne des § 5 VwVG in Verbindung mit § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO vorliegen, dürfte die Antragstellerin in einem auf die Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichteten Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass, sofern die Antragstellerin auf ihre unzureichenden wirtschaftlichen Verhältnisse verweist, es ihre Sache wäre, sich um eine Stundung, eine Ratenzahlung oder einen Erlass zu bemühen. Dass Entsprechendes bereits beantragt worden ist, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Sofern die Antragstellerin vorträgt, eine Durchsicht ihrer Kontoauszüge habe ergeben, dass sie in dem relevanten Zeitraum vom Arbeitsamt kein Geld erhalten habe, wendet sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit der zu vollstreckenden Bescheide. Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte sind aber gemäß § 5 VwVG in Verbindung mit § 256 AO außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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