L 11 R 3900/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1964/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3900/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Schweizerische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz können freiwillige Beiträge zur deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung entrichten, sofern sie die nach deutschem
Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllen und sie zu
irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit bereits in der
deutschen Rentenversicherung freiwillig versichert oder pflichtversichert waren. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf
Erstattung der in die deutsche Rentenversicherung eingezahlten
Beiträge.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.10.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen.

Der am 30.07.1980 geborene Kläger ist Schweizer Staatsangehöriger und war ab dem 01.03.2003 bis 31.12.2016 mit Unterbrechungen und zT mit Aufstockung durch Arbeitslosengeld II in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Sein Versicherungsverlauf weist mehr als fünf mit Beitragszeiten belegte Jahre auf. Derzeit ist er in der Schweiz wohnhaft.

Am 11.01.2019 beantragte er zunächst per Email und mit Schreiben vom 28.01.2019 anschließend schriftlich auf dem vorgesehenen Vordruck die Erstattung der auf ihn entfallenden Rentenbeiträge. Mit Bescheid vom 19.02.2019 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab mit der Begründung, die Erstattungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt, weil der Kläger das Recht zur freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung habe. Hiergegen legte der Kläger am 07.03.2019 Widerspruch ein und führte aus, seit 24 Monaten nicht mehr in Deutschland zu leben und dies auch niemals wieder zu tun. Er wolle gerne auf die Berechtigung für die Rentenversicherung verzichten, es handele sich um eine freiwillige Versicherung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 210 Abs 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) würden Beiträge auf Antrag Versicherten erstattet, die nicht versicherungspflichtig seien und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung hätten. Aufgrund des Abkommens über die Freizügigkeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sowie der Schweiz bestehe für den Kläger die Berechtigung, sich in Deutschland freiwillig zu versichern, da er bereits in der Vergangenheit pflichtversichert gewesen sei. Sofern eine solche Versicherung möglich sei, sei eine Rückforderung von eingezahlten Beiträgen nicht möglich. Unerheblich sei hierbei, ob der Kläger vom Recht zur freiwilligen Versicherung Gebrauch machen und freiwillige Beiträge leisten werde.

Am 07.06.2019 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und vorgetragen, seit dem 01.01.2017 nicht mehr in Deutschland zu leben. Erst habe es geheißen, er müsse zwei Jahre warten, bis er den Erstattungsantrag stellen könne. Jetzt heiße es, er erfülle § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI nicht. Er werde die freiwillige Versicherung nicht in Anspruch nehmen und nie wieder in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen. Er habe nicht vor, noch einmal einen Wohnsitz in Deutschland zu begründen oder sich dort freiwillig versichern zu lassen, weshalb ihm die Rückzahlung zustehe.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.10.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückerstattung der von ihm eingezahlten Beträge. Ein solcher besteht nach § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI, sofern der Versicherte weder versicherungspflichtig sei noch sich freiwillig versichern könne. Dem Kläger stehe der Weg in die freiwillige Versicherung jedoch offen, da es sich bei ihm um einen Schweizer Staatsbürger handele. Gemäß § 7 Abs 1 SGB VI könnten sich Personen, die nicht versicherungspflichtig seien, für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern; die Voraussetzungen des § 232 Abs 1 Satz 2 SGB VI lägen beim Kläger von vornherein nicht vor. Zwar sei bei ausländischen Staatsangehörigen grundsätzlich erforderlich, dass die jeweilige Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs habe, was beim Kläger, einem Schweizer Staatsangehörigen, der seit dem Jahr 2017 wieder in der Schweiz lebe, bereits seit diesem Zeitpunkt bis heute nicht der Fall sei. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 iVm § 6 SGB IV blieben jedoch Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt. Auf Grund bilateraler Vereinbarungen zwischen der EU und der Schweiz seit dem 01.06.2002 seien auch Schweizer, die einen (freiwilligen oder Pflicht-) Beitrag zur deutschen Rentenversicherung gezahlt hätten, berechtigt, freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu zahlen. Ausreichend für den Ausschluss des Rechts auf Beitragserstattung sei dabei bereits die Berechtigung des Klägers zur freiwilligen Versicherung. Dass er diese für sich allzeit ausschließe, sei dabei unerheblich. Im Übrigen folge das SG der Begründung im Widerspruchsbescheid.

Gegen den ihm am 14.10.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.11.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht mit der Begründung, er begehre nicht etwas, was ihm nicht zustehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.10.2019 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 zu verurteilen, ihm die in der Zeit vom 01.03.2003 bis 31.12.2016 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen und ergänzend darauf hingewiesen, dass nach der derzeitigen Rechtslage auch mit Erreichen der Regelaltersgrenze keine Beitragserstattung möglich sei.

Mit Schreiben vom 24.01.2020 bzw 29.04.2020 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf den Inhalt der Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Eine Erstattung gezahlter Rentenversicherungsbeiträge kommt nicht in Betracht.

Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 151 SGG), jedoch nicht begründet. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Bescheid der Beklagten vom 19.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG – vgl. Bundessozialgericht [BSG] 29.06.2000, B 4 RA 57/98 R, BSGE 86, 262, 264 = SozR 3-2600 § 210 Nr 2) bleibt daher ohne Erfolg.

Die Erstattung rechtmäßig gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung richtet sich nach § 210 SGB VI. Maßgeblich ist dabei die Fassung des § 210 SGB VI zum Zeitpunkt der erforderlichen Antragstellung auf Beitragsrückerstattung (BSG 10.07.2012, B 13 R 26/10 R, SozR 4-2600 § 210 Nr 3), hier somit § 210 SGB VI in der seit 26.11.2015 geltenden Fassung des Art 30 Nr 4 Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20.11.2015 (BGBl I 2010). Die Voraussetzungen der Nummern 2 (Versicherte, die ua die Regelaltersgrenze erreicht haben) und 3 (Witwer und überlebende Lebenspartner) des § 210 Abs 1 SGB VI sind ersichtlich nicht erfüllt. Aber auch eine Beitragserstattung gemäß § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI scheidet aus. Hiernach werden Versicherten, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Beiträge auf Antrag erstattet, wenn sie nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Vorliegend kann sich der Kläger freiwillig versichern, so dass § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI nicht erfüllt ist.

Das Recht zur freiwilligen Versicherung bestimmt sich vor allem nach den §§ 7 und 232 SGB VI, folgt aber auch aus Rechtsvorschriften des über- oder zwischenstaatlichen Rechts.

Eine freiwillige Versicherung gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB VI (in der Fassung vom 08.12.2016) kommt hier zwar nicht in Betracht. Hiernach können sich Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern. Dies gilt nach dem persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich der Versicherung aber nur für Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (§ 3 Abs 1 Nr 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]), und darüber hinaus auch für Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben (§ 7 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger, der über die schweizerische Staatsangehörigkeit verfügt und auch in der Schweiz lebt und arbeitet, nicht. Eine freiwillige Versicherung gemäß § 232 Abs 1 Satz 1 SGB VI scheidet ebenfalls aus, da er – allein schon aufgrund seines Alters – nicht vor dem 01.01.1992 vom Recht der Selbstversicherung, der Weiterversicherung oder der freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht hat.

Allerdings bestimmt § 6 SGB IV, dass die Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Zur freiwilligen Versicherung sind daher auch alle Personen berechtigt, die nach zwischen- oder überstaatlichem Recht wenigstens bzgl der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung dem oben genannten Personenkreis gleichgestellt sind. Ein Recht des Klägers zur freiwilligen Versicherung ergibt sich vorliegend aus Art 83 iVm Anhang XI Abschnitt "Deutschland" Nr 4 1. Halbsatz der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO [EG[ Nr 883/2004) iVm Art 8 und Anhang II Abschnitt A Nr 1 des Abkommens vom 21.06.1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (im Folgenden: Abkommen EG-Schweiz). Nach Art 8 Abkommen EG-Schweiz regeln die Vertragsparteien die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß Anhang II des Abkommens mit dem Ziel, eine Gleichbehandlung und die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften zu gewährleisten. In Art 1 des Anhangs II kommen die Vertragsparteien überein, im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit untereinander die in Abschnitt A des Anhangs II genannten Rechtsakte der EU anzuwenden. Zu diesen Rechtsakten gehört auch die Verordnung (EG) Nr 883/2004.

Gemäß Art 83 iVm Anhang XI Abschnitt "Deutschland" Nr 4 1. Halbsatz VO (EG) Nr 883/2004 können Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die ihren Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb Deutschlands haben und die allgemeinen Voraussetzungen der deutschen Rentenversicherung erfüllen, dann freiwillig Rentenbeiträge bezahlen, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit bereits in der deutschen Rentenversicherung freiwillig versichert oder pflichtversichert waren.

Wie sich aus seinem Versicherungsverlauf ergibt, war der Kläger zwischen dem 01.03.2003 und dem 31.12.2016 mit kurzzeitigen Unterbrechungen mehrere Jahre in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert. Er erfüllt auch die in Anhang XI unter Abschnitt "Deutschland" Nr 4 1. Halbsatz verlangten "allgemeinen Voraussetzungen der deutschen Rentenversicherung". Dabei handelt es sich um die in § 7 SGB VI aufgeführten Tatbestandsmerkmale für eine Versicherungsberechtigung. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger: Er ist nicht in Deutschland versicherungspflichtig und ihm wurde auch noch keine Vollrente wegen Alters bewilligt (vgl LSG Baden-Württemberg 29.07.2014, L 9 R 4742/12, Rn 24, juris).

Offenbleiben kann, ob daneben auch eine freiwillige Versicherung nach Anhang XI Abschnitt "Deutschland" Nr 2 der VO (EG) Nr 883/2004 in Frage käme, wonach auch Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat pflichtversichert sind oder eine Altersrente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhalten, der freiwilligen Versicherung beitreten können. Ob der Kläger derzeit in der Schweiz pflichtversichert ist, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht.

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob er tatsächlich beabsichtigt, sich freiwillig zu versichern. Es genügt – wie schon aus dem Wortlaut des § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI folgt, der vom "Recht" zur freiwilligen Versicherung spricht - die bloße Möglichkeit einer freiwilligen Rentenversicherung, um die Beitragserstattung auszuschließen (s hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg 14.08.2012, L 12 R 806/11, Rn 27, juris; LSG Baden-Württemberg 29.07.2014, L 9 R 4742/12, Rn 27, juris).

Auch eine Beitragserstattung gemäß § 210 Abs 1a SGB VI scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger – unabhängig von der Frage der Versicherungsfreiheit iSd § 5 SGB VI bzw der Befreiung von der Versicherungspflicht iSd § 6 SGB VI - ausweislich des Gesamtkontospiegels die allgemeine Wartefrist von 5 Jahren (§§ 50 Abs 1 Nr 1, 51 Abs 1 SGB VI) erfüllt.

Im Ergebnis hat er deshalb keinen Anspruch auf Beitragserstattung, so dass das SG die Klage aus zutreffenden Gründen abgewiesen hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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