L 11 R 2808/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 655/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2808/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach § 56 Abs. 1 SGB VI erforderliche gewöhnliche Aufenthalt setzt bei Ausländern voraus, dass ihr Aufenthalt in Deutschland
zukunftsoffen, d.h. nicht auf Beendigung angelegt ist. Der Aufenthalt ist nicht zukunftsoffen, wenn die Mutter während der Erziehung des Kindes (nur) im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung für Familienangehörige nach § 29 AuslG
und ihr Ehemann im Besitz einer auf die Zeit des Promotionsstudiums begrenzten Aufenthaltsbewilligung nach § 28 Abs. 1 AuslG war.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Mit vorliegender Klage begehrt die Klägerin die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für den Zeitraum 01.01.2003 bis 28.06.2004 in Bezug auf ihre Kinder A. (geb xx.xx.2001) und J. (geb xx.xx.2002).

Die am xx.xx.1971 geborene Klägerin reiste im Mai 2001 von Serbien zusammen mit ihrer im Januar 2001 geborenen Tochter in die Bundesrepublik Deutschland ein. In Deutschland lebte bereits der Ehemann der Klägerin G. A., der über eine Aufenthaltsbewilligung mit folgendem Zusatz verfügte: "Auflösende Bedingung zur Aufenthaltsbewilligung gem. Par. 14 Ausländergesetz: Die Bewilligung gilt nur für die Durchführung der Promotion in der Fachrichtung Chemie an der Universität D. und erlischt bei Beendigung oder Abbruch dieses Studiums. Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Ausgenommen: vorübergehende arbeitserlaubnisfreie Beschäftigung von insgesamt 90 Tagen oder 180 halben Tagen im Jahr gem. Par. 9 Nr. 9 ArGV". Der Klägerin wurde zunächst am 21.05.2001 eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt. Aus der Bewilligung geht hervor: "Auflage gem. Par. 14 AuslG: Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Erlischt mit Beendigung oder Abbruch des Aufenthalts des Ehemannes im Bundesgebiet". Letztmalig wurde der Klägerin am 07.08.2003 eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt. Seit dem 29.06.2004 verfügt die Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis.

Mit Bescheid vom 18.03.2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, welche Zeiträume für die Zeit vom 21.11.2000 bis 31.12.2002 anerkannt werden können. Mit Vormerkungsbescheid vom 26.09.2011 stellte die Beklagte die rentenrechtlichen Zeiten bis 31.12.2004 verbindlich fest und lehnte die Zeit vom 01.11.2002 bis 28.06.2004 als Berücksichtigungszeit ab, weil während der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe.

Am 03.05.2017 teilte die Klägerin auf einem Antwortformular der Beklagten zur Überprüfung des Versicherungsverlaufs bezugnehmend auf ein Schreiben vom 07.12.2016 am 03.05.2016 mit, den Versicherungsverlauf zu beanstanden, weil die Zeiten vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 und vom 01.09.2005 bis 30.06.2007 nicht berücksichtigt worden seien. Sie beantragte die Feststellung von Kindererziehungszeiten / Berücksichtigung wegen Kindererziehung gegenüber der Beklagten. Mit Vormerkungsbescheid vom 15.05.2017 stellte die Beklagte die in dem beigefügten Versicherungsverlauf aufgeführten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, verbindlich fest, soweit sie nicht früher verbindlich festgestellt worden sind. Sie führte unter anderem aus, dass für die Zeit vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 keine Kindererziehungszeiten bzw Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung hätten vorgemerkt werden können, weil die Klägerin in diesem Zeitraum nicht im Besitz eines zukunftsoffenen Aufenthaltstitels gewesen sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 23.05.2017 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde wiederholend ausgeführt, dass die Klägerin im Zeitraum 01.01.2003 bis 28.06.2004 lediglich über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt habe. Erst zum 29.06.2004 sei der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt worden, so dass ab diesem Zeitpunkt die Zeiten hätten berücksichtigt werden können. Eine Aufenthaltsbewilligung nach § 28 Ausländergesetz (AuslG) sei nach dem bis 31.12.2004 geltenden Recht nur dann erteilt worden, wenn sich ein Ausländer zu einem bestimmten Zweck im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die Aufenthaltsposition der Klägerin sei bis 28.06.2004 nicht zukunftsoffen gewesen, sodass sie bis zu diesem Zeitpunkt keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe.

Hiergegen hat die Klägerin unter dem 14.03.2018 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bereits im Zeitraum 01.01.2003 bis 28.06.2004 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt zu haben, da sie den örtlichen Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland gehabt habe. Die einzige Bedingung des Aufenthalts der Klägerin sei gewesen, dass sich ihr Ehemann weiterhin rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Dies sei jedoch keine Bedingung, die einer Zukunftsoffenheit entgegenstehe.

Mit Urteil vom 12.07.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Anrechnung bzw Berücksichtigung von Erziehungszeiten gehabt, weil sie mit ihren Kindern keinen gewöhnlichen Aufenthalt iSv § 56 Abs 3 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gehabt habe. Sie habe im streitigen Zeitraum lediglich über eine Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG verfügt. Es handele sich dabei um eine vorübergehende "Duldung", die nicht per se zu einem uneingeschränkten Aufenthaltsrecht der Klägerin geführt habe. Dies werde auch aus dem der Aufenthaltsbewilligung beigefügten Zusatz deutlich, wonach die Bewilligung mit dem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis des Ehemanns verfalle. Somit habe die Klägerin jedenfalls bis zum 28.06.2004 keine Aufenthaltsposition gehabt, die so offen gewesen sei, dass diese ihr wie einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Dauer ermöglicht habe, sondern vielmehr weiterhin auf Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet angelegt gewesen sei und sie somit noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in Deutschland gehabt habe. Auf den Umstand, dass die Klägerin ab dem 29.06.2004 über eine deutlich stärkere Aufenthaltsposition verfügt habe, dauerhaft in Deutschland geblieben und später sogar deutsche Staatsbürgerin geworden sei, sei für den hier streitigen Zeitraum bis 28.06.2004 nicht maßgeblich abzustellen.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 12.08.2019 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil richtet sich die am 20.08.2019 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe fälschlicherweise auf die formale Art des Aufenthaltstitels "befristet" und nicht auf die tatsächlichen Umstände der Familie abgestellt. Im Januar 2013 habe die Klägerin bereits seit 1,5 Jahren in Deutschland verweilt, ein Ende sei nicht in Sicht gewesen. Nach der Planung aller Beteiligten sollte der Aufenthalt länger fortdauern. Es sei üblich, wiederholt befristete Aufenthaltstitel auszustellen, ohne davon auszugehen, mit Ende der ersten Befristung ende die Aufenthaltsdauer. Die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin sei lediglich akzessorisch zu ihrem Ehemann erteilt worden. Für diesen habe ebenfalls von vornherein der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland bestanden. Er liege in der Natur der Wissenschaftlerkarrieren in Deutschland, dass die Verträge und Aufenthaltsbewilligungen nur abschnittsweise erteilt würden. Jeder rechne damit, dass die höchstmögliche Verweildauer bzw Befristungsdauer von Arbeitsverträgen, also 14 Jahre, mit Ausnahmen oder vorangehendem Studium sogar mehr, tatsächlich ausgeschöpft werde. Es sei nicht ersichtlich, wie bei einer durchschnittlichen Dauer der Befristungen von Verträgen wie Aufenthaltstiteln von 15 Jahren das Merkmal "gewöhnlicher Aufenthalt" verneint werden könne.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.07.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2018 zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 26.09.2011 zusätzlich zu den vorgemerkten Kindererziehungszeiten auch den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 als Kindererziehungszeit der Klägerin vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an und verweist im Übrigen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin hat mit der Berufungsschrift vom 19.08.2019, die Beklagte mit Schreiben vom 21.10.2019 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 124 Abs 2, 153 Abs 1 SGG), ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Zeiten vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 sind nicht als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen.

Rechtsgrundlage für die begehrte Vormerkung der Anrechnungszeit vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 ist § 44 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.09.2011 hat die Beklagte bereits entschieden, dass die Zeit vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 nicht berücksichtigt werden kann. Nach § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (Vormerkungsbescheid). Nach § 149 Abs 5 Satz 3 SGB VI kann ein Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Anwendung der §§ 24, 48 SGB X erfolgen; dem Wortlaut der Vorschrift nach betrifft dies aber lediglich Änderungen der dem Feststellungsbescheid zugrundeliegenden Vorschriften. Vorliegend geht es jedoch nicht um eine Änderung des Vormerkungsbescheids vom 26.09.2011 aufgrund einer Rechtsänderung. Vielmehr macht die Klägerin dem Grunde nach geltend, das Recht sei unrichtig angewandt worden. Dies kann nur über das Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X erreicht werden. Der Bescheid vom 16.02.2018, mit dem abermals die Berücksichtigung der strittigen Zeit abgelehnt worden ist, stellt ein die Abänderung ablehnender Bescheid dar.

Nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X kann im Übrigen, dh wenn ein Fall des § 44 Abs 1 SGB X nicht vorliegt, ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Ein Fall des § 44 Abs 1 SGB X liegt nicht vor, da es weder um zu Unrecht nicht erbrachte Sozialleistungen noch um zu Unrecht erhobene Beiträge geht. Gleichwohl kommt eine Aufhebung nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X nicht in Betracht, weil der Vormerkungsbescheid vom 26.09.2011 nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Zeit vom 01.01.2003 bis 28.06.2004 als Kindererziehungszeit zu berücksichtigen.

Nach § 56 Abs 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB VI) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

§ 56 Abs 3 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat (§ 56 Abs 3 Satz 2 SGB VI). Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs 1 und 4 SGB VI genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war (§ 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI).

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Die Legaldefinition des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts knüpft an die objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnisse während des Beurteilungszeitraums an. Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt". Die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände können objektive, tatsächliche oder rechtliche sein (BSG 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, juris Rn 27). Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, ist unbeachtlich (BSG 27.01.1994, 5 RJ 16/93, SozR 3-2600 § 56 Nr 7 = SozR 3-1200 § 30 Nr 11, vgl auch BSG 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, juris Rn 29). Bei Ausländern ist im Rahmen der Gesamtwürdigung als ein rechtlicher Gesichtspunkt deren Aufenthaltsposition heranzuziehen. Zu den Tatsachen, die bei der Prognose im Rahmen des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I zu berücksichtigen sind, gehören auch Rechtshindernisse, die einer Abschiebung eines Ausländers entgegenstehen. Dabei wird die Aufenthaltsposition wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (BSG 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, juris Rn 31 f).

Die Klägerin hat sich zwar dauerhaft in der Bundesrepublik aufgehalten. Allerdings war ihr Aufenthalt im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zukunftsoffen. Der Elternteil und das Kind müssen während der als Kindererziehungszeit geltend gemachten Zeit faktisch den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse im Inland gehabt und sich hier rechtlich gebilligt und nicht nur vorübergehend - etwa besuchsweise oder zu Urlaubs- oder Behandlungszwecken - aufgehalten haben. Der Aufenthalt muss zukunftsoffen, dh nicht auf Beendigung angelegt gewesen seien. Ein nicht nur vorübergehendes Verweilen iS der Gesetzesvorschrift setzt voraus, dass die Aufenthaltsposition des Ausländers so offen ist, dass sie wie bei einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit ermöglicht. Ist die Position hingegen auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt, steht dies der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts trotz faktisch andauerndem Verbleiben und einem entsprechenden Bleibewillen entgegen; denn der Ausländer hat es dann nicht in der Hand, über die Dauer seines Aufenthalts im Inland frei zu bestimmen (BSG 18.02.1998, B 5 RJ 12/97 R, BSGE 82, 23-27 = SozR 3-2600 § 56 Nr 11 = juris Rn 16).

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitpunkt im Besitz einer auf § 29 Abs 1 AuslG gestützten Aufenthaltsbewilligung für Familienangehörige. Diese Aufenthaltsbewilligung war nicht zukunftsoffen. Nach § 29 Abs 1 AuslG kann dem Ehegatten eines Ausländers, der eine Aufenthaltsbewilligung besitzt, zum Zwecke des nach Art 6 Grundgesetz gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltsbewilligung für die Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers und des Ehegatten ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe gesichert ist und ausreichender Wohnraum (§ 17 Abs 4 AuslG) zur Verfügung steht. Die Aufenthaltsbewilligung der Klägerin knüpfte an die Aufenthaltsbewilligung des Ehemanns an. Es konnte zum damaligen Zeitpunkt und nach einem bisherigen Aufenthalt von 2,5 Jahren noch nicht von einer gesicherten Rechtsposition ausgegangen werden, dass sie dauerhaft in der Bundesrepublik verbleiben wird. Insbesondere verfügte auch der Ehemann nicht über einen zukunftsoffenen Aufenthaltstitel. Er war im Besitz einer auf die Zeit des Promotionsstudiums begrenzten Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG. Nach § 28 Abs 1 Satz 1 AuslG wird die Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltsbewilligung erteilt, wenn einem Ausländer der Aufenthalt nur für einen bestimmten, seiner Natur nach einen vorübergehenden Aufenthalt erfordernden Zweck erlaubt wird. Die Aufenthaltsbewilligung wird dem Aufenthaltszweck entsprechend befristet (§ 28 Abs 2 Satz 1 AuslG). Die Anknüpfung der Aufenthaltsbewilligung an einen vorübergehenden Aufenthalt macht deutlich, dass der Aufenthalt nicht zukunftsoffen, sondern auf Beendigung angelegt ist. Die Aufenthaltsbewilligung erfolgte zum Zwecke des Promotionsstudiums. Die Position des Ehemanns und die der Klägerin waren damit auf Beendigung des Aufenthalts angelegt. Der Vortrag der Klägerin, es gehöre zur Natur der Verträge und Wissenschaftlerkarrieren, dass Verträge und Aufenthaltsbewilligungen nur befristet erteilt würden, ändert daran nichts. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Wissenschaftler dauerhaft hier verbleibt.

Dass die Klägerin tatsächlich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland verblieben ist, ist unerheblich. Wie bei allen anderen Umständen, die bei Anwendung des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I im Rahmen des § 56 Abs 3 Satz 1 SGB VI zu würdigen sind, ist maßgeblich die Aufenthaltsposition des Ausländers, wie sie im Zeitraum der Kindererziehung vorlag (vgl BSG 18.02.1998, B 5 RJ 12/97 R, BSGE 82, 23-27 = SozR 3-2600 § 56 Nr 11 = juris Rn 16). Es ist nicht rechtserheblich, dass bei späterer rückschauender Betrachtung eine andere prognostische Beurteilung gerechtfertigt sein könnte. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an begründet werden oder entfallen (BSG 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, juris Rn 29). Die der Klägerin ab 29.06.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis bleibt daher für die vorangegangene Zeit unberücksichtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved