L 7 AS 10/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2038/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 10/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. November 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den Kläger für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2017 streitig. Vorrangig sind prozessrechtliche Fragen zu klären.

Der 1956 geborene Kläger bezieht vom Beklagten laufende Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 21. April 2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2017 in Höhe von monatlich 809,76 Euro unter Berücksichtigung eines unabweisbaren laufenden Bedarfs für Waschmittel in Höhe von monatlich 10,30 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 4. Juli 2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, mit der er die Berücksichtigung von Mehrbedarfen wegen kostenaufwändiger Ernährung, besonderer Waschmittel, Desinfektionsmitteln, Medikamenten und einer Jahreskarte für das Schwimmbad geltend gemacht hat.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger ausweislich des Protokolls beantragt, ihm für die Zeit von Mai bis Oktober 2017 monatlich weitere 102,39 Euro zu gewähren. Mit Urteil vom 15. November 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die geltend gemachten Mehrbedarfe. Die Berufung sei nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 614,34 Euro den Wert von 750,00 Euro nicht übersteige. Die Berufung werde nicht zugelassen, da keiner der Berufungszulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG gegeben sei. In der Rechtsmittelbelehrung hat es ausgeführt, gegen dieses Urteil stehe den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen werde. Zu diesem Zweck könne die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde sei von dem Kläger innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Akten des SG enthalten keinen Nachweis über die Zustellung des Urteils an den Kläger.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2019, beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 2. Januar 2020 eingegangen, hat der Kläger gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil sei ihm am 4. Dezember 2019 zugegangen.

Der Kläger beantragt teilweise sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. November 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2017 zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2017 weitere 102,39 Euro monatlich zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Mangels Zulassung durch das SG sei die Berufung unzulässig.

Die Beteiligten sind auf die Absicht des Senats, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen worden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Die Berufung des Klägers ist mangels Zulassung unzulässig und daher gemäß § 158 Sätze 1 und 2 SGG zu verwerfen.

a) Die Berufung des Klägers ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. der Berufung beträgt grundsätzlich einen Monat (§§ 145 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs 1 SGG) nach Zustellung des vollständigen Urteils. Eine Zustellung des Urteils an den Kläger ist nicht nachgewiesen. Insbesondere enthält die Akte des SG keinen Zustellungsnachweis, so dass die Frist zur Berufungseinlegung nicht zu laufen begonnen hat. Eine Berufungseinlegung ist jedoch schon vor Fristablauf möglich, insbesondere ab der Verkündung oder der Bekanntgabe an einen anderen Beteiligten (Binder in HK-SGG, 5. Aufl. 2017, § 151 Rdnr. 4). Das Urteil ist am 15. November 2019 verkündet und dem Beklagten am 4. Dezember 2019 zugestellt worden, so dass die Berufungseinlegung durch den Kläger fristgerecht erfolgt ist.

b) Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung, bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für die Frage, ob die Berufung der Zulassung bedarf, ist der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. Oktober 1981 - 7 RAr 72/80 - juris Rdnr. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 23. Februar 2011 - B 11 AL 15/10 R - juris Rdnr. 13; - LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2015 - L 4 R 3257/13 - juris Rdnr. 41; Breitkreuz/Schreiber in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 144 Rdnr. 6; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 144 Rdnr. 24). Der Beschwerdewert bemisst sich ausschließlich nach der Höhe des Geldbetrages, um den unmittelbar gestritten wird (BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - B 4 AS 77/10 B - juris Rdnr. 6). Fallen mehrere Streitgegenstände in den Anwendungsbereich des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, sind die Beschwerdewerte zu addieren (BSG, Urteil vom 5. Februar 1998 - B 11 AL 19/97 - juris Rdnr. 15; BSG, Beschluss vom 18. April 2016 - B 14 AS 150/15 - juris Rdnr. 6).

c) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Berufung nicht vor.

aa) Ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro wird nicht erreicht.

(1) Der Beschwerdegegenstand richtet sich danach, was durch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts versagt, also abgelehnt worden ist, und mit der Berufung weiterverfolgt wird (BSG, Beschluss vom 5. August 2015 - B 4 AS 17/15 B - juris Rdnr. 6 m.w.N.). Dies ist durch Vergleich des vor dem Sozialgericht beantragten Gegenstandes mit dem ausgeurteilten Gegenstand und dem in der Berufung weiterverfolgten Begehren zu bestimmen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rdnr. 14 m.w.N.; Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 144 Rdnr. 19). Maßgeblich ist insoweit, was der Berufungskläger in Wirklichkeit als sachlich verfolgtes Prozessziel anstrebt, was er unter den gegebenen Umständen allenfalls wollen kann (BSG, Urteil vom 5. März 1980 - 9 RV 44/78 - Rdnr. 14). Maßgebend ist der materielle "Kern" des gerichtlichen Verfahrens (BSG, Urteil vom 5. März 1980 - 9 RV 44/78 - Rdnr. 14).

(2) Das Begehren des Klägers zielt bei sachgerechter Auslegung seines Vorbringens auf die Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2017. Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch in dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Klageantrag dahingehend beziffert, dass er monatlich weitere 102,39 Euro, somit insgesamt 614,34 Euro geltend macht. Ein Betrag von mehr als 750,00 Euro wird damit nicht erreicht.

bb) Die Berufung betrifft auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, sondern Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2017 und damit für lediglich sechs Monate.

d) Die Berufung ist auch nicht durch das SG zugelassen worden. Das SG hat vielmehr im Urteilstenor entschieden und in den Entscheidungsgründen und in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht zugelassen wird.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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