L 7 SO 496/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 255/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 496/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 3. Februar 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 3. Februar 2020 von dem Antragsteller beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 3 SO 255/20 ER) sind seine Begehren auf eine (vorläufige) Zusicherung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft nach § 35 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII), die (vorläufige) Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung von Aufwendungen für eine neue Wohnung ab 1. April 2020, die darlehensweise Gewährung einer Mietkaution in Höhe von "wohl 1090,00 EUR", die (vorläufige) Übernahme von Umzugskosten sowie eine angemessene Abschlagszahlung von 1.000,00 EUR für eine Übernahme einer Einbauküche. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Februar 2020 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der geltend gemachten Begehren kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben.

a. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig.

Wie für jede Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bedarf es eines Rechtsschutzbedürfnisses auch für einen zulässigen Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG (siehe statt vieler nur Sächsisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 17. Dezember 2015 - L 3 AS 710/15 B ER - juris Rdnr. 34 f.); dies ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2442/09 - juris Rdnr. 3 - BVerfGK 16, 347/348). Der Antragsteller muss durch die erstrebte gerichtliche Entscheidung einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil erlangen können, den er ohne gerichtliche Hilfe nicht erlangen könnte (Sächsisches LSG, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - L 3 AS 710/15 B ER - juris Rdnr. 35 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 7a). Das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist - wie alle Zulässigkeitsvoraussetzungen - von Amts wegen zu prüfen. Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es grundsätzlich, wenn der Rechtsschutzsuchende sich nicht zuvor an die Behörde gewandt hat (Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Juni 2016 - L 15 SB 97/16 B ER - juris Rdnr. 13; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Januar 2012 - L 12 AS 1773/11 B ER - juris Rdnr. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. April 2018 - L 23 AY 6/18 B ER - juris Rdnr. 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 26b; Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl. 2016, Rdnr. 30). Es obliegt dem Betroffenen, einen Antrag so rechtzeitig zu stellen, dass er bei Untätigkeit der Behörde oder einer negativen Entscheidung dann in zulässiger Weise um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. April 2018 - L 23 AY 6/18 B ER - juris Rdnr. 8; vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2442/09 - juris Rdnr. 4 - BVerfGK 16, 347/348). Dabei muss der Rechtsschutzsuchende bei seiner Antragstellung bei der Behörde die üblichen Bearbeitungszeiten einkalkulieren und abwarten (Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017 (Stand 3. Februar 2020), § 86b Rdnr. 310).

Nach diesen Maßstäben fehlt es für das Begehren des Antragstellers schon deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil er am 3. Februar 2020 gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat, ohne zuvor eine Entscheidung der Antragsgegnerin zu beantragen und abzuwarten. Ausweislich der vorgelegten Verwaltungsakten hat der Antragsteller sich mit seinem Begehren am 4. Februar 2020 an die Antragsgegnerin gewandt und ihre Entscheidung nicht abgewartet, zumal er seinem Antrag auch kein aktuelles Wohnungsangebot, sondern einen "Mietvertrag für Wohnräume" zwischen Dr. A. S. und A. K. vom 13. März 2007 beigelegt hat. Ob und zu welchen konkreten Konditionen dem Antragsteller ein bestimmtes und konkretisiertes Wohnungsangebot seitens des Vermieters der Wohnung C.-B.-Str ..., in ... M. tatsächlich vorliegt, ist nicht ersichtlich. Dem Antragsteller steht es frei, eine Entscheidung der Antragsgegnerin in dem am 4. Februar 2020 eingeleiteten Verwaltungsverfahren dadurch zu fördern, dass er seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommt.

b. Hinsichtlich der begehrten Zusicherung nach § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII fehlt es darüber hinaus auch deshalb an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Juni 2019 - L 1 AS 1858/19 ER-B - juris Rdnr. 13, zustimmend Türpe, NZS 2019, 875; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2019 - L 11 AS 72/19 B ER - juris Rdnr. 19; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2018 - L 31 AS 1002/18 B ER und L 31 AS 1003/18 B ER PKH - juris Rdnr. 4; Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017 (Stand 3. Februar 2020), § 86b Rdnr. 314). Denn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann der Sozialhilfeträger zur Erteilung einer Zusicherung i.S.d. § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII regelmäßig nicht verpflichtet werden, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Denn die begehrte Zusicherung würde - wie auch ein Ausführungsbescheid der Antragsgegnerin - nach einer gegenteiligen Hauptsacheentscheidung ihre Rechtswirkungen verlieren (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 20/14 R - juris Rdnr. 12 m.w.N.), sodass sich die durch § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII eigentlich intendierte Planungssicherheit für den Leistungsempfänger durch eine einstweilige Regelung gerade nicht erreichen lässt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2018 - L 31 AS 1002/18 B ER und L 31 1003/18 B ER PKH - juris Rdnr. 3 f.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Dezember 2016 - L 7 AS 1001/16 B ER - juris Rdnr. 22).

Im Übrigen hat der Antragsteller im Hinblick auf den vorgelegten "Mietvertrag für Wohnräume" zwischen Dr. A. S. und A. K. vom 13. März 2007 nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein aktuelles und nach Lage der Wohnung sowie den aufzuwendenden Kosten konkretisiertes Wohnungsangebot vorliegt (vgl. zu diesem Erfordernis Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Dezember 2014 - B 8 SO 15/13 R - juris Rdnr. 10; BSG, Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 5/10 R - juris Rdnr. 17). Zwar hat der Antragsteller die gewünschte neue Wohnung in der C.-B.-Str ... in ... M. konkret benannt. Jedoch ist zu beachten, dass er zur Konkretisierung des behaupteten Wohnungsangebots lediglich einen Mietvertrag zwischen Dr. A. S. und A. K. vom 13. März 2007 vorgelegt hat. Ob dem Antragsteller von Seiten des Vermieters dieser Wohnung tatsächlich ein aktuelles Wohnungsangebot unterbreitet worden ist, ist weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht. Gleiches gilt für die mit einer Anmietung dieser Wohnung verbundenen Aufwendungen. Insofern hat der Antragsteller in den Mietvertrag vom 15. März 2007 lediglich selbst Eintragungen zur Grundmiete, zur Garagenmiete sowie zur Kaution vorgenommen. Ob diese Werte einem Wohnungsanbot des Vermieters entsprechen oder eher der Vorstellungswelt des Antragstellers entstammen, ist nicht ersichtlich. Einen "neuen Mietvertrag", dessen Vorlage der Antragsteller in seinem Schreiben vom 31. Januar 2020 "in den nächsten Tagen" angekündigt hat, hat er bisher nicht eingereicht.

c. Hinsichtlich der Begehren der (vorläufigen) Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Aufwendungen für eine neue Wohnung C.-B.-Str ..., in M. ab 1. April 2020, der darlehensweisen Gewährung einer Mietkaution in Höhe von "wohl 1090,00 EUR", der (vorläufigen) Übernahme von Umzugskosten sowie einer angemessenen Abschlagszahlung von 1.000,00 EUR für eine Übernahme der Einbauküche hat der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Einer vorläufigen Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung höherer Unterkunftskosten ab 1. April 2010 im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren steht bereits entgegen, dass der Antragsteller im Hinblick auf die dargelegten Umstände eine tatsächliche Nutzung der Wohnung C.-B.-Str. in M. ab 1. April 2020 nicht glaubhaft gemacht hat. Ebenso hat er nicht glaubhaft gemacht, dass er ab 1. April 2020 einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung (z.B. BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 37/08 R - juris Rdnr. 24) sowie einem Anspruch auf Mietkaution ausgesetzt ist und Umzugskosten anfallen. Schließlich ist dem Antragsteller derzeit im Hinblick auf das am 4. Februar 2020 eingeleitete Verwaltungsverfahren, in dem er im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheit ein aktuelles und bestimmtes Mietangebot vorzulegen hat, ein Abwarten des Ausgangs eines Hauptsacheverfahrens zumutbar.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved