L 7 SO 678/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 244/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 678/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Februar 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 10. Februar 2020 von dem Antragsteller beim Sozialgericht Reutlingen (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 4 SO 244/20 ER) ist sein Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung von Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 48 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) zur Durchführung einer stationären Krankenhausbehandlung einschließlich Herzoperation wegen Mitralklappeninsuffizienz, nachdem der Antragsgegner durch Bescheid vom 10. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2020, freilich durch Klage zum SG angefochten, Grundsicherungsleistungen abgelehnt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Februar 2020 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben.

a. Zunächst bestehen Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Nach § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu leisten (Satz 1). Daneben bleiben die Vorschriften des Vierten Kapitels unberührt (Satz 2), d.h. der Ausländer kann auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen (Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rdnr. 34). Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Satz 3). Die Einschränkungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten (Satz 4). Rechtsvorschriften, nach denen außer den in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt (Satz 5). Nach § 23 Abs. 2 SGB XII erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz keine Leistungen der Sozialhilfe. Gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn 1. sie weder in der BundesR. Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, 3. sie ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nr. 2 aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27. Mai 2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22. April 2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten oder 4. sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB XII gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der BundesR. Deutschland aufhalten (§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII). Hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen, werden nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Die Überbrückungsleistungen umfassen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII: 1. Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, 2. Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Abs. 4 und § 30 Abs. 7 SGB XII, 3. die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und 4. Leistungen nach § 50 Nr. 1 bis 3 SGB XII. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen i.S. § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde.

Der Antragsteller als Staatsangehöriger der B. R. V., der sich seit seiner Einreise im September 2019 tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. April 2018 - B 8 SO 20/16 R - juris Rdnr. 17), ist Ausländer und unterfällt der Regelung des § 23 SGB XII. Die Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 Satz 4 oder 5 SGB XII liegen nicht vor; insbesondere verfügt der Antragsteller über keinen gefestigten Aufenthaltsstatus (z.B. Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG). Der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 2 SGB XII liegt nach summarischer Prüfung nicht vor, da der Antragsteller, dessen durch das Schengen-Visum erlaubter Aufenthalt nach der erstmaligen Beantragung eines Aufenthaltstitels bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde gem. § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als erlaubt fingiert wird, jedenfalls derzeit nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten i.S.d. § 1 AsylbLG gehört. Zwar hat der Antragsteller entgegen der richterlichen Verfügung vom 4. März 2020 nach Ablauf der Befristung am 5. März 2020 keine aktuelle Fiktionsbescheinigung i.S.d. § 81 Abs. 5 AufenthG vorgelegt, was sich jedoch wegen ihrer rein deklaratorischen Wirkung nicht auf den ausländerrechtlichen Status auswirkt (vgl. nur Kluth in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1. November 2019, § 81 AufenthG Rdnr. 44). Das SG wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens den aktuellen aufenthaltsrechtlichen Status des Antragstellers zu verifizieren haben. Die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB XII liegen offensichtlich nicht vor. Unter Annahme des Bestehens der Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfte auch der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht eingreifen. In Betracht kommt dagegen ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Mit dieser Regelung soll die missbräuchliche Inanspruchnahme der Leistungen nach dem SGB XII verhindert und die Leistungsfähigkeit der Grundsicherungssysteme garantiert werden (Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rdnr. 93). Erforderlich ist eine zielgerichtete Einreise nach Deutschland allein bzw. ganz überwiegend (bei einem "Motivbündel") aus dem Grund, Sozialhilfe zu erlangen (individuelles Fehlverhalten) (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018 - B 8 SO 20/16 R - juris Rdnr. 42; Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 - juris Rdnr. 45; Urteil vom 18. November 2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE 117, 261 - juris Rdnr. 25). Der Wille, Sozialleistungen zu beziehen, muss mithin im Zeitpunkt der Einreise vorhanden und prägend für den Einreiseentschluss gewesen sein, nicht aber zwingend der einzige Einreisegrund (Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rdnr. 94). Zwar hat der Antragsteller behauptet, im Zeitpunkt seiner Einreise habe er unter Mitnahme einiger Medikamente für eine Herzinsuffizienz lediglich einen vorübergehenden Besuch bis zum 11. Dezember 2019 (Termin des geplanten Rückfluges) bei seiner Tochter in H. ohne Inanspruchnahme von existenzsichernden Leistungen geplant, jedoch sprechen auch Umstände des vorliegenden Einzelfalls, die das SG in dem angefochtenen Beschluss vom 18. Februar 2020 skizziert hat, für ein prägendes Einreisemotiv der Erlangung von Sozialhilfe (Hilfe bei Krankheit). Ob die Umstände des Einzelfalls den Schluss zulassen, dass der Antragsteller in die Bundesrepublik. Deutschland im September 2019 eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen, wird ggf. im Hauptsacheverfahren zu verifizieren sein. Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass der Rückausnahmetatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII einen von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitel voraussetzt (Groth in BeckOK Sozialrecht, Stand 1. Juni 2019, § 23 SGB XII Rdnr. 16q; Schlette in Hauck/Noftz, Stand Juni 2019, § 23 Rdnr. 57, 83), der im vorliegenden Fall gerade nicht vorliegt.

Sollte der in Betracht kommende Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII eingreifen, spricht viel dafür, dass der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3, 4 Nr. 3 oder Satz 6 SGB XII hat. Unabhängig davon, dass solche Überbrückungs- und Härtefallleistungen einen eigenständigen Streitgegenstand darstellen und der Antragsgegner über diese in seinem Bescheid vom 10. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2020 nicht entschieden haben dürfte (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2019 - L 7 SO 934/19 - juris Rdnr. 25; Senatsbeschluss vom 27. November 2019 - L 7 SO 3873/19 ER-B - juris Rdnr. 6 jeweils m.w.N.), scheiden diese vorliegend bereits deshalb aus, weil bei dem Antragsteller die erforderliche Ausreisebereitschaft nicht bestehen dürfte (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2019 - L 7 SO 934/19 - juris Rdnr. 49; Senatsbeschluss vom 27. November 2019 - L 7 SO 3873/19 ER-B - juris Rdnr. 24 jeweils m.w.N.). Nach seinen Angaben strebt er einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland an, sodass bereits dem Grunde nach keine Ausreisebereitschaft ersichtlich ist.

b. Unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat nicht die nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderliche besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens glaubhaft gemacht.

Aus dem Gegenwartsbezug der einstweiligen Anordnung folgt zunächst, dass dieser vorläufige Rechtsbehelf für bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zurückliegende Zeiträume nur ausnahmsweise in Betracht kommt; es muss durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden sein, die den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - juris). Im Übrigen besteht ein Anordnungsgrund, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Danach besteht ein Anordnungsgrund z.B. dann nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rdnr. 8 m.w.N.; Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21. September 2016 - 1 BvR 1825/16 - juris Rdnr. 4) und sich den Ausführungen des Antragstellers keine gewichtigen Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die finanziellen Kapazitäten vollständig ausgeschöpft sind (BVerfG, Beschluss vom 12. September 2016 - 1 BvR 1630/16 - juris Rdnr. 12). Bei der Frage des Anordnungsgrundes können auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen (§ 82 SGB XII) handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 - 1 BvR 535/07 - n.v.; Senatsbeschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rdnr. 9; Senatsbeschluss vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rdnr. 8). Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.

Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer aktuellen Notlage hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht. Hinsichtlich seiner eigenen finanziellen Kapazitäten spricht einiges dafür, dass der Antragsteller mit dem ihm in der B. R. V. zufließenden Renteneinkommen nicht einmal seinen laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten vermag. Auch mag es plausibel sein, dass er bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland kein relevantes Barvermögen mit sich geführt hat. Jedoch hat sich der Antragsteller entgegen der richterlichen Verfügung vom 4. März 2020 nicht dazu geäußert, ob und ggf. mit welchem Ergebnis zwischenzeitlich ein Verkauf oder eine andere Verwertung des in seinem Eigentum stehenden Hausgrundstücks in der B. R. V. (Wert nach seinen Angaben ca. 20.000,00 EUR) durchgeführt wurde. Dazu hat schon deshalb Anlass bestanden, weil er ausländerrechtlich im Hinblick auf seine gesundheitliche Situation sowie die humanitären und gesellschaftlichen Zustände in der B. R. V. jedenfalls mittlerweile einen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland anstrebt und eine Rückreise in sein Heimatland ablehnt. Vorliegend hat der Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, dass er nicht auf zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann. Der Antragsteller ist mit einer Ehefrau Mitte September 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und lebt seitdem ihm Haushalt seiner Tochter, die nach seinen Angaben von Anfang an seinen Lebensunterhalt und denjenigen seiner Ehefrau sicherstellen sollte und tatsächlich auch sichergestellt hat. Offensichtlich hat die Tochter des Antragstellers auch die Kosten der ambulanten Behandlungen durch den Kardiologen Dr. S., die Fachärztin für Innere Medizin Dr. E., den Pneumologen Dr. M. und die Fachärztin für Psychosomatische Medizin Dr. K. getragen, wobei der Antragsteller entgegen der richterlichen Verfügung vom 4. März 2020 diese Kosten weder beziffert noch belegt hat. Dass der Antragsteller nicht weiterhin auf die zumutbare Hilfe und Unterstützung seine Familie zurückgreifen kann, ist weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat lediglich eine eidesstattliche Versicherung seiner Tochter vom 13. Februar 2020 vorgelegt. Danach habe eine Vorstellung am Universitätsklinikum T. mit dem Ergebnis stattgefunden, dass eine stationäre Aufnahme nur bei einer Kostenübernahme durch das Sozialamt oder einer "Bürgschaft" der Tochter erfolgen könne. Die Kosten einer Mitralklappenoperation würden sich auf 100.000,00 EUR belaufen. Diese Kosten könne weder sie noch der Antragsteller tragen. Unabhängig davon, dass der Antragsteller entgegen der richterlichen Verfügung vom 4. März 2020 keine Angaben zur aktuellen medizinischen Therapie, zu den ärztlich empfohlenen Therapien sowie den damit verbundenen Kosten gemacht hat, hat er sich auch zu der Frage, warum diese Kosten nicht mit Hilfe Dritter bestritten werden können, nicht geäußert. Auch dazu hat Anlass bestanden, da die wirtschaftliche Situation der Familie der Tochter des Antragstellers eine weitere Hilfe, ggf. in Form einer "Bürgschaft", möglich erscheinen lässt. Ausweislich des Formularantrages vom 13. Dezember 2019 sind die Tochter und der Schwiegersohn als Ingenieur berufstätig und erzielen jeweils Einkommen unter 100.000,00 EUR, ohne das konkrete Familieneinkommen zu beziffern. Auch nach dem Attest der Dr. K. vom 2. Dezember 2019 sind sowohl die Tochter als auch der Schwiegersohn berufstätig. Ausweislich des Aktenvermerks des Antragsgegners vom 6. Dezember 2019 bewohnt die Tochter des Antragstellers ein Eigenheim, was auf eine potente wirtschaftliche Situation hindeutet. Trotz richterlicher Verfügung vom 4. März 2020 hat der Antragsteller sich nicht zu den finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Tochter geäußert und auch nicht erläutert, warum dieser die Abgabe der geforderten "Bürgschaft" zur Absicherung der Kosten einer stationären Behandlung zur Durchführung der gewünschten Operation wegen Mitralklappeninsuffizienz nicht zumutbar sein soll.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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