L 7 SO 1140/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 28 SO 261/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1140/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. März 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 21. Januar 2020 von der Antragstellerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 28 SO 261/20 ER) ist ihr Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung von laufenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 41 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) ab Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs, nachdem die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 24. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2019, freilich durch Klage zum SG angefochten (S 28 SO 205/20), Grundsicherungsleistungen abgelehnt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. März 2020 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben.

a. Dabei lässt der Senat offen, ob ein Anordnungsanspruch in Betracht kommt. Insofern streiten die Beteiligten insbesondere darüber, ob die Antragstellerin über ein Aufenthaltsrecht als Beschäftigte des Arbeitsbereichs der Neckartalwerkstätten i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz EU (FreizügG/EU) verfügt (verneinend z.B. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2019 - L 2 SO 1477/18 - juris Rdnr. 40; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22. Mai 2017 - L 18 SO 89/17 B ER - juris Rdnr. 31; Dienelt in ders./Bergmann, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 FreizügG/EU Rdnr. 61; bejahend z.B. Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020 (Stand 23. März 2020), § 23 Rdnr. 79).

b. Jedenfalls hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Sie hat nicht die nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderliche besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens glaubhaft gemacht.

Aus dem Gegenwartsbezug der einstweiligen Anordnung folgt zunächst, dass dieser vorläufige Rechtsbehelf für bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zurückliegende Zeiträume nur ausnahmsweise in Betracht kommt; es muss durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden sein, die den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - juris). Im Übrigen besteht ein Anordnungsgrund, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Danach besteht ein Anordnungsgrund z.B. dann nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rdnr. 8 m.w.N.; Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21. September 2016 - 1 BvR 1825/16 - juris Rdnr. 4) und sich den Ausführungen des Antragstellers keine gewichtigen Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die finanziellen Kapazitäten vollständig ausgeschöpft sind (BVerfG, Beschluss vom 12. September 2016 - 1 BvR 1630/16 - juris Rdnr. 12). Bei der Frage des Anordnungsgrundes können auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen (§ 82 SGB XII) handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 - 1 BvR 535/07 - n.v.; Senatsbeschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rdnr. 9; Senatsbeschluss vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rdnr. 8). Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.

Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer aktuellen Notlage hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht. In der Antragsschrift vom 21. Januar 2020 hat die durch einen Rechtsanwalt vertretene Antragstellerin keinerlei Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht. Auch der Beschwerdeschrift ihres Rechtsanwalts vom 3. April 2020 sind keine Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu entnehmen. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 21. April 2020, dass die Antragstellerin bisher weder einen Anordnungsanspruch (Hilfebedürftigkeit) noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe (Hinweis auf Senatsbeschluss vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris), hat die Antragstellerin nicht reagiert. Unter Zugrundelegung der von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsakten spricht einiges dafür, dass die Antragstellerin ausschließlich über Einkommen in Gestalt des Werkstattlohnes (monatlich ca. 130,00 EUR) und des Pflegegeldes für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3 (monatlich 545,00 EUR) verfügt. Dass freilich ihre eigenen finanziellen Kapazitäten vollständig aufgebraucht sind oder sie nicht auf zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann, ist nicht ersichtlich. Insofern ist zu beachten, dass die Antragstellerin nach ihren Angaben in ihrem Grundsicherungsantrag über kein eigenes Konto verfügt habe und ihre Einkommen auf das Konto ihrer Mutter geflossen seien. Ausweislich des in den Verwaltungsakten enthaltenen Auszugs über das Konto der Mutter hat dieses am 27. Februar 2019 ein Guthaben in Höhe von 5.431,39 EUR aufgewiesen, das wohl maßgeblich auf die Nachzahlung des der Antragstellerin im Oktober 2018 für die Zeit ab 19. Juli 2017 bewilligten Pflegegeldes zurückzuführen sein dürfte. Ob und in welcher Höhe der Nachzahlungsbetrag zwischenzeitlich verbraucht worden ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. In Januar 2020 hat der Betreuer der Antragstellerin (Schreiben vom 21. Januar 2020) u.a. mitgeteilt, dass diese mittlerweile über ein eigenes Konto verfüge. Ausweislich der zum Prozesskostenhilfegesuch eingereichten Auszüge ihres Kontos für die Zeit ab 9. Januar 2020 trägt die Antragstellerin vollständig die Warmmiete der von ihr gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnten Wohnung. Sonstige Ausgaben für den Lebensunterhalt sind nicht belegt und ersichtlich, was darauf hinweist, dass dieser aus anderen Mitteln bestritten wird. Schließlich ist völlig unklar, wie sich die wirtschaftliche Situation der Mutter der Antragstellerin darstellt, mit der sie zusammenlebt und eine Haushaltsgemeinschaft bildet. Einerseits hat der Betreuer der Antragstellerin (Schreiben vom 21. Januar 2020) behauptet, die Mutter habe am 15. Januar 2020 eine entgeltliche Beschäftigung aufgenommen, andererseits hat die Antragsgegnerin (Schreiben vom 13. Februar 2020, vgl. ferner Schreiben des beigeladenen Jobcenters vom 28. Februar 2020) behauptet, die Mutter habe eine Beschäftigung nicht aufgenommen. Unter diesen Umständen ist weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin nicht auf eigene finanzielle Kapazitäten und/oder auf die zumutbare Hilfe und Unterstützung Dritter zurückgreifen kann.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

5. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde abzulehnen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Damit kommt auch die begehrte Beiordnung des benannten Rechtsanwalts nicht in Betracht.

6. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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