L 7 R 442/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 3354/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 442/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1971 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Steinbildhauer absolviert und war in diesem Beruf bis Dezember 2000 mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er arbeitslos bzw. zeitweilig bis Ende 2010 geringfügig versicherungsfrei als Hausmeister tätig. Seit 1. Januar 2005 bezieht er Arbeitslosengeld II.

Am 30. Januar 2012 beantragte der Kläger unter Geltendmachung orthopädischer Beschwerden, einer depressiven Verstimmung, Asthma sowie Allergien erstmals bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung des Gutachtens vom 1. März 2012 bei dem Lungenarzt und Sozialmediziner MU Dr. H., der den Kläger noch für mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr leistungsfähig erachtete, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13. März 2012 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2012 zurück. Im Rahmen des dagegen geführten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) (S 6 R 3606/12) erstattete Dr. J. das orthopädische Gutachten vom 28. Juni 2013. Er stellte Gesundheitsstörungen auf seinem Fachgebiet in Form - einer diskreten Fehlstatik der Wirbelsäule mit diskret linkskonvexer Seitausbiegung und diskreter Lendenwulstbildung links, Abflachung der Brustwirbelsäulenkyphose im mittleren Drittel und diskretem Nackenbuckel, - eines Zustandes nach intertrochantärer Umstellungsoperation beider stammnahen Oberschenkel ohne relevante Funktionseinschränkung der Hüftgelenke, im Röntgenbild leichte Hüftpfannendysplasie links, keine relevanten degenerativen Veränderungen, - eines Retropatellarsyndroms beidseits sowie - Krampfaderbildung rechter Unterschenkel fest und erachtete den Kläger als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch einsetzbar für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten bei einer arbeitsmarktüblichen Höchstdauer von acht Stunden. Mit Urteil vom 17. Dezember 2013 wies das SG die Klage ab. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 9 R 605/14) erstattete Dr. C. das orthopädische Gutachten vom 21. März 2015, wobei er das Vorliegen der Gesundheitsstörungen - rezidivierende Lumbalgie bei leichter frontaler und sagittaler Fehlstatik sowie initialen degenerativen Veränderungen, ohne radikuläre sensomotorische Störungen an den unteren Extremitäten, nicht korrekturbedürftige Beinverkürzung rechts um bildmäßig 0,6 cm, - endgradige Funktionseinschränkung mehr des rechten als des linken Schultergelenks bisher nicht näher abgeklärter Ursache, - Funktionseinschränkung mehr des linken als rechten Hüftgelenks aufgrund initialer degenerative Veränderungen und leichter Pfannendysplasie links, reizfreie Narben nach intertrochantärer Umstellungsosteotomie und mit Teilentfernung beidseits, Sensibilitätsstörungen in der Umgebung der Narben, - Weichteilschwellung am rechten Ligamentum patellae, Hinweis auf retropatellare Chondromalazie am linken Kniegelenk, ohne Funktionseinschränkung der Kniegelenke sowie - einen mäßigen Spreizfuß beidseits feststellte. Er hielt den Kläger hinsichtlich qualitativ zumutbarer Arbeiten (leichte, nur in Spitzenbelastung auch kurzfristig mittelschwere Arbeit, überwiegend im Sitzen mit Möglichkeit zum Haltungswechsels, mit gelegentlichem Bücken, gelegentlichem Treppensteigen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen, bei guter Witterung auch im Freien) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin für mindestens sechs Stunden täglich einsetzbar. Zur vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits erklärte sich die Beklagte zur Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme bereit.

In der daraufhin vom 15. September bis 6. Oktober 2015 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme in der F.klinik B. wurden beim Kläger 1. eine beginnende Coxarthrose bds., Z.n. Umstellung bei Hüftdysplasie bds., 2. ein chronisch-rezidivierendes LWS-Syndrom, 3. eine chronisch-rezidivierende Zervicobrachialgie, 4. chronisch-rezidivierende Schmerzen im Schultergürtel und 5. chronisch-rezidivierende Gonarthrose rechts diagnostiziert und der Kläger mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie arbeitsfähig entlassen (Entlassungsbericht des Prof. Dr. K. vom 7. Oktober 2015).

Am 8. Januar 2016 beantragte der Kläger unter Berufung auf Hüftbeschwerden erneut Rente wegen Erwerbsminderung.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle.

Am 22. Februar 2016 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein. Das Restleistungsvermögen sei längst auf den Zeitraum von unter vollschichtig herabgesunken. Die orthopädische Problematik verschlechtere sich fortlaufend. Die Schmerzen seien mittlerweile verantwortlich für eine depressive Befundlage. Die Atemwegsproblematik habe weiter zugenommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2016, dem Bevollmächtigten des Klägers am 5. September 2016 zugegangen, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten.

Am 5. Oktober 2016 hat der Kläger Klage zum SG erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass das Restleistungsvermögen des Klägers infolge der starken Zunahme der vorliegenden orthopädischen Beeinträchtigungen und vor allem der Schmerzzustände auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf den Bereich von jedenfalls unter vollschichtig herabgesunken sei.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. hat unter dem 25. Mai 2017 (Bl. 25/91 der SG Akten) bekundet, dass seit März 2015 keine Veränderung des Gesundheitszustandes stattgefunden habe und keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit für eine leichte Tätigkeit gegeben sei. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. hat mit Schreiben vom 1. Juni 2017 (Bl. 92/103 der SG-Akten) unter Angabe lediglich einer Verschlimmerung der Schmerzsituation ohne Befundverschlechterung die Leistungsfähigkeit des Klägers dahingehend eingeschätzt, dass er maximal leichtere Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen bis zu vier Stunden mit den üblichen Unterbrechungen verrichten könne. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie W. hat unter dem 16. Juni 2017 (Bl. 104/106 der SG-Akten) mitgeteilt, aufgrund der erhobenen psychischen Beschwerden sei eine leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich möglich.

Sodann hat das SG bei Dr. M. das orthopädische Gutachten vom 9. August 2017 (Bl. 110/127 der SG-Akten) eingeholt. Der Gutachter hat folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: - Funktionsstörung beider Hüftgelenke linksbetont bei beginnender Coxarthrose beidseits, Zustand nach varisierender Operation der coxalen Femurenden wegen Steilhüften mit Pfannendysplasie (Coxa valga dysplastica), - subjektive Beschwerden der Lendenwirbelsäule ohne wesentlichen pathologischen Befund, kein Wurzelreiz, minimaler Beckentiefstand rechts, - Belastungsbeschwerden des rechten Schultergelenks bei V.a. Sehnenansatzreizung (Tendinitis der Supraspinatussehne). Unter Berücksichtigung einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes sei eine mindestens sechsstündige Tätigkeit täglich zumutbar. Die Arbeiten sollten vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum selbstbestimmten gelegentlichen Aufstehen und Umhergehen ausgeübt werden. Besteigen von Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen und Überkopfarbeiten seien nicht zumutbar. Der Kläger sei wegefähig.

Mit Urteil vom 11. Dezember 2017 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 4. Januar 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. Februar 2018 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf Schmerzzustände aus dem Bereich der Wirbelsäule und vor allem der Hüfte, die das Leistungsvermögen quantitativ herabsetzten und beruft sich auf die Einschätzung des sachverständigen Zeugen Dr. H ...

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2016 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Januar 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Dr. R. das orthopädische Gutachten vom 5. September 2018 (Bl. 32/61 der Senatsakte) erstattet. Der Gutachter hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: - Chronisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom in drei Abschnitten leichter (Halswirbelsäule) und mittelgradiger Ausprägung (Brust und Lendenwirbelsäule) mit häufigen und lange anhaltenden Schmerzsyndromen mit Aufbrauch der Zwischenwirbelräume in zwei Abschnitten (Hals- und Lendenwirbelsäule), Skoliose in zwei Abschnitten (Brust- und Lendenwirbelsäule) mit häufigen und lange anhaltenden Schmerzsyndromen, - Schmerzsyndrom und Funktionsbehinderung der Schulter rechts bei Rotatorenmanschetten-Ruptur (Supraspinatussehne) und Impingementsyndrom, - Epicondylitis humeri radialis rechts, - Handgelenksarthralgie rechts ohne Funktionsminderung, - V.a. Carpaltunnelsyndrom beidseits, - Umfangsdifferenz der Beinmuskulatur zu Ungunsten links, teilweise 3 cm Differenz (V.a. Muskelatrophie durch Minderbelastung) - Coxarthalgie beidseits bei Z.n. varisierender Umstellungsosteotomie beider Hüftgelenke mit Coxarthrose Grad III nach Kellgren und Lawrence, deutlicher Funktionsminderung und chronischem Schmerzsyndrom, - Gonarthralgie beidseits bei leichter Funktionsminderung, - Knick-, Senk- und Spreizfußdeformität beidseits ohne statische Beeinträchtigung. Dem Kläger sei unter Berücksichtigung qualitativer Bedingungen (überwiegend sitzend, im Wechsel gehend und stehend, unter Vermeidung des Ersteigens von Gerüsten, Leitern und Stufen, häufigen Bückens und häufiger Überkopfarbeiten, von Zugluft, Nässe und Kälte, ohne Akkordarbeit) eine Tätigkeit von sechs Stunden pro Tag zumutbar.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19. November 2018, Schreiben der Beklagten vom 29. November 2018).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 28. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2016 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), mit der er sinngemäß die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Januar 2016 geltend macht. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht der Kläger zurecht nicht geltend, weil er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist und damit von vornherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten dieser Rente gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2016 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI (in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554]) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen, a) Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet, b) Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den c) Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b) (z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rdnr. 13).

Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung (Januar 2016) erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Bei der Beurteilung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund seine Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen des Klägers in zeitlicher Hinsicht einschränken. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um seinen Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das vom SG bei Dr. M. eingeholte Gutachten sowie das auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG von Dr. R. erstattete Gutachten.

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen keine Erkrankungen, die Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers in zeitlicher Hinsicht bedingen. Der Gutachter Dr. M. hat im Wesentlichen die gleichen Gesundheitsstörungen festgestellt und ähnliche Befunde erhoben wie sie auch dem im vorangegangenen Berufungsverfahren von Dr. C. erstatteten Gutachten und dem Entlassungsbericht über die im Anschluss durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme zu entnehmen sind. Nach dem Gutachten von Dr. M. bestand eine Funktionsstörung beider Hüftgelenke linksbetont bei beginnender Coxarthrose beidseits, Beschwerden der Lendenwirbelsäule ohne wesentlichen pathologischen Befund und ohne Wurzelreiz sowie Belastungsbeschwerden des rechten Schultergelenks. Der Gutachter hat nach den von ihm erhobenen Befunden schlüssig dargelegt, dass dem Kläger nur noch körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum selbstbestimmten gelegentlichen Aufstehen und Umhergehen ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne häufiges Treppensteigen und ohne Überkopfarbeiten zumutbar sind. Auch die von Dr. R. festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht derart schwerwiegend, dass ihnen nicht durch qualitative Einschränkungen Rechnung getragen werden könnte. Eine zeitliche Leistungseinschränkung ist daher danach ebenfalls nicht festzustellen. Dr. R. hat den Ausführungen und Einschätzungen von Dr. M. im Wesentlichen zugestimmt. Nach seinem Gutachten bestehen im Bereich der Wirbelsäule ein chronisches degeneratives Wirbelsäulensyndrom und eine Skoliose in zwei Abschnitten mit Schmerzsyndromen, im Bereich der oberen Extremitäten eine Rotatorenmanschetten-Ruptur und Impingement-Symptomatik des rechten Schultergelenks, eine Epicondylitis humeri radialis rechts sowie eine Handgelenksarthralgie und im Bereich der unteren Extremitäten eine Coxalgie beidseits bei Coxarthrose Grad III, eine Gonarthralgie sowie eine Fußdeformität. Auch nach der Einschätzung von Dr. R. kann diesen Gesundheitsstörungen durch qualitative Einschränkungen auf Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen, unter Vermeidung des Ersteigens von Gerüsten, Leitern und Stufen, ohne häufiges Bücken und häufige Überkopfarbeiten, ohne Exposition gegenüber Zugluft, Nässe und Kälte, ohne häufige oder repetitive Umwendbewegungen des Kopfes/Oberkörpers Rechnung getragen werden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ergibt sich jedenfalls keine zeitliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich. Die Einschätzung von Dr. R. steht im Einklang mit den von ihm erhobenen Befunden. Danach führen die Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule nicht zu schwerwiegenden Funktionseinschränkungen. Nach den von Dr. R. erhobenen Befunden ist die Beweglichkeit im Bereich der Halswirbelsäule allenfalls leichtgradig, im Bereich von Brust- und Lendenwirbelsäule allenfalls mittelgradig eingeschränkt. Die Beweglichkeit im Bereich der Schultergelenke ist zwar rechts gegenüber links eingeschränkt, die Armhebung nach vorn bzw. zur Seite aber noch bis 120° bzw. 100° möglich. Die Ellenbogengelenke sind frei beweglich. Die Funktion der Hände ist nicht relevant eingeschränkt. Faustschluss und Feingriff sind beidseits vollständig, die grobe Kraft nicht gemindert. Die Beweglichkeit der Kniegelenke ist nicht relevant eingeschränkt. Die Beweglichkeit der Hüftgelenke ist jedenfalls nicht derart eingeschränkt, dass dem Kläger gehen, stehen und sitzen nicht mehr möglich wären. Die Streckung ist nach den von Dr. R. erhobenen Befunden nicht eingeschränkt, Beugung bis 80 bzw. 90° möglich. Schwerwiegendere Einschränkungen ergeben sich auch nicht aus den vom Kläger gegenüber dem Gutachter angegebenen Aktivitäten. Danach erledigt der Kläger im Haushalt leichte Dinge und kleinere Reparaturen und ist noch in der Lage, Fahrrad zu fahren und kleinere Ausflüge zu unternehmen, was zu dem festgestellten Leistungsvermögen passt.

Soweit der behandelnde Facharzt für Orthopädie, der sachverständige Zeuge Dr. H. eine zeitliche Leistungseinschränkung auf vier Stunden pro Tag angegeben hat, hat er keine Befunde mitgeteilt, die diese Einschätzung stützen. Seine Leistungseinschätzung ist durch die Gutachten von Dr. M. und Dr. R., deren Beurteilung durch die erhobenen Befunde überzeugend ist, widerlegt. Im Übrigen kommt der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2012 – L 11 R 4953/10 – n.v.).

Dass auf psychiatrischem Fachgebiet Gesundheitsstörungen vorliegen, die eine zeitliche Leistungseinschränkung begründen könnten, ist nicht ersichtlich. Der sachverständige Zeuge W. hat lediglich das Vorliegen psychischer Faktoren und Verhaltensfaktoren bei den bekannten orthopädischen Beschwerden bestätigt und keine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten angenommen.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum Wechsel zu Gehen oder Stehen mit Ausnahme von Tätigkeiten mit Ersteigen von Gerüsten, Leitern und Stufen, Akkordarbeit, häufige Überkopfarbeit, häufigem Bücken und Exposition gegenüber Nässe, Kälte und Zugluft sowie mit besonderer psychischer Belastung zu verrichten. Der Senat folgt dabei den überzeugenden Leistungseinschätzungen der Gutachter Dr. M. und Dr. R. sowie den behandelnden Ärzten W. und Dr. B., nach denen der Kläger ebenfalls jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen ausüben kann.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 17 ff. m.w.N.) Diese Frage ist hier zu verneinen. "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) – Arbeitsförderung – Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Der Kläger kann – wie dargelegt – an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Er benötigt im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Der Kläger hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf. Für eine entsprechende Annahme bieten die vorliegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten keine belastbaren Anhaltspunkte, zumal dem Erfordernis der Möglichkeit zum Haltungswechsel bereits durch entsprechende qualitative Einschränkungen genüge getan ist. Dr. R. hat zwar ausgeführt, es sei sicherlich mit häufigeren Pausen zu rechnen, hat aber einen unüblichen Pausenbedarf nicht dargelegt. Der Kläger ist auch in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass der Kläger über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt beim Kläger kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Die angesprochenen kognitiven Grundfähigkeiten sind nicht betroffen, sondern allenfalls qualitative Leistungsausschlüsse für geistig anspruchsvolle Tätigkeiten.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 79/09 R – juris Rdnr. 36; zuletzt BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen des Klägers es diesem erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor.

Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass bei dem Kläger die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (beispielsweise BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 RBSGE 110, 1). Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95BSGE 80, 24/35). Nach dieser Rechtsprechung gilt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, a.a.O.): Hat – wie hier - der Versicherte keinen Arbeitsplatz inne und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm noch möglich sein müssen, – auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs – nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Aufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Senat der Überzeugung, dass bei dem Kläger Wegefähigkeit vorliegt. Dr. M. hat in Einklang mit den von ihm erhobenen objektivierbaren Befunden und für den Senat überzeugend begründet, dass der Kläger in der Lage ist, viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zu bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Dr. R. hat die Vorliegen der Wegefähigkeit ebenfalls bejaht. Zwar ist nach seinen Ausführungen nicht sicher, ob der Kläger eine Strecke von 500 Metern in 20 Minuten zurückzulegen vermag. Er hat jedoch keine Befunde mitgeteilt, die ernsthafte Zweifel an einem entsprechenden Gehvermögen des Klägers begründen.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGBVI. Somit hat seine Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved