L 11 KR 3897/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 1823/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3897/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherte der GKV, die an einem Glaukom leiden, haben keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Analyse des Sehnervs mit dem Heidelberg Retina Tomograph (HRT).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.10.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für eine jährliche Sehnervanalyse mit dem H. R. Tomograph (HRT) streitig.

Bei dem HRT handelt es sich um ein konfokales Punkt-Scanning-Laser Ophthalmoskop, das von Augenärzten zur Untersuchung der Hornhaut und bestimmter Bereiche der Netzhaut eingesetzt wird. Der wichtigste Anwendungsbereich des HRT ist die Überprüfung des Sehnervkopfes (Papille) zum Zwecke der Früherkennung und Verlaufskontrolle des Glaukoms (Grüner Star). Durch Einsatz entsprechender Module ist auch die Untersuchung der vorderen Augenabschnitte sowie der Netzhaut (vor allem der Makula) möglich.

Der am 04.07.1943 geborene Kläger leidet bereits seit Jahren an einem Glaukom. Er befindet sich in regelmäßiger augenärztlicher Behandlung.

Am 20.10.2016 wandte sich der Kläger per E-Mail an die Beklagte und bat um Prüfung der Möglichkeit der Kostenübernahme für eine Untersuchung des Augenhintergrundes mit dem HRT. Er machte geltend, sein Augenarzt habe diese Untersuchung wiederholt empfohlen. Vom Ärztezentrum der Beklagten habe er die Antwort erhalten, dass dieses Verfahren als sinnvoll und zweckmäßig erachtet werde. Den entsprechenden Hinweis des Ärztezentrums vom 13.10.2016 fügte der Kläger seiner Anfrage bei. Diesem gegenüber hatte der Kläger geschildert, sein Augeninnendruck sei mit Hilfe von Medikamenten gut eingestellt (15-18 mm Hg) und frühere Gesichtsfeldkontrollen seien unauffällig gewesen. Er bat um Prüfung und im Fall der Ablehnung um Übersendung einer entsprechenden Entscheidung.

Mit Bescheid vom 25.10.2016 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für eine HRT Aufnahme ab. Diese Leistung sei zwar ärztlich vertretbar, falle jedoch in den eigenverantwortlichen Bereich der Patienten.

Hiergegen erhob der Kläger am 01.11.2016 Widerspruch. Zur Begründung verwies er auf die Regelung des § 27 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Sowohl der behandelnden Augenärztin als auch des konsultierten Ärzteteams der Beklagten zufolge sei die jährliche Sehnervanalyse (hier HRT) sinnvoll und zweckmäßig, um die Effizienz der medikamentösen Drucksenkung zu überprüfen und ggf bei eingetretener Verschlechterung der gemessenen Werte den zukünftigen Zieldruck herabzusetzen, also die Medikation zu verstärken. In Ermangelung alternativer Behandlungen gehe er davon aus, dass es sich bei der hier infrage stehenden Untersuchung zweifelsfrei um eine von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gemäß § 27 Abs 1 SGB V zu erbringende Leistung handele.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Dr. A. führte unter dem 13.12.2016 unter Benennung von alternativen Behandlungsmöglichkeiten aus, dass sich keine Angaben zur Sehschärfe in den Unterlagen fänden. Der Versicherte habe angegeben, dass die Kontrollen des Gesichtsfeldes unauffällig seien. Mit Blick auf die bisherige Sozialrechtsprechung könne bei dem Versicherten zum jetzigen Zeitpunkt nicht von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder einer gleichwertigen Erkrankung (Erblindung beider Augen) ausgegangen werden. Prinzipiell handele es sich bei der HRT-Untersuchung um eine neue Untersuchungsmethode zur Diagnostik und Verlaufskontrolle bei Glaukomerkrankungen. Das HRT habe nicht genügend diagnostische Präzision, um isoliert verwendet werden zu können. Fälle von Glaukomverdacht, -beginn oder –progression könnten nicht mit dem HRT allein diagnostiziert und beurteilt werden. Qualitativ seien die Informationen mit dem HRT auch durch vertragsärztliche Leistungen zu erreichen. Nicht auszuschließen sei, dass durch HRT eine präzisere Befunddokumentation möglich sei, wobei die klinische Relevanz im Hinblick auf die weitere Behandlung und den Verlauf der Erkrankung in ihrem Nutzen noch nicht durch randomisierte kontrollierte Studien gesichert sei.

Nach Mitteilung des Ergebnisses führte der Kläger aus, die vom MDK ausgeführten Behandlungsmöglichkeiten seien möglicherweise geeignet, ein Glaukom bzw dessen Status zum Zeitpunkt der Untersuchung festzustellen. Keiner der aufgelisteten Alternativen erlaubten mit hinreichender Genauigkeit eine mit Vorbefunden vergleichende Verlaufskontrolle, wie sie sich mit dem HRT inzwischen als Standard durchgesetzt habe.

Am 12.06.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Mehrere telefonische und schriftliche Aufforderungen an die Beklagte, einen beschwerdefähigen Bescheid herauszugeben, seien leider ohne Reaktion geblieben. Daher sehe er sich gezwungen, auch ohne Vorliegen eines entsprechenden Widerspruchsbescheides Klage zu erheben.

Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2017 zurückgewiesen. Bei der beantragten Leistung handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Zudem habe der MDK Alternativen aufgezeigt. Mit einer ausführlichen Anamneseerhebung, Prüfung der Sehschärfe, Spaltlampenuntersuchung, Augeninnendruckmessung, Gesichtsfelduntersuchung und ggf einer Blutdruckmessung seien vertragliche Optionen vorhanden. Im Übrigen liege keine akut notstandsähnliche Situation vor. Dieser Widerspruchsbescheid werde Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens.

Der Kläger hat daraufhin ausgeführt, die "unkonventionelle Methode" habe sich seit mehr als 20 Jahren bewährt und sich seither in augenärztlichen Behandlungszentren als Standard bei der Behandlung von Erkrankungen des Sehnervs durchgesetzt. Im Übrigen stelle auch die Beklagte in ihrem Merkblatt "Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)" fest, dass "das bestehende Leistungsangebot der GKV alle notwendigen Behandlungen abdecke, einschließlich der erforderlichen Diagnostik". In Ermangelung alternativer Behandlungsmöglichkeiten zur präzisen und vergleichenden Überprüfung des Zustandes des Sehnervkopfes, der Effizienz der medikamentösen Senkung des Augeninnendrucks und daraus gegebenenfalls folgende Anpassung der Medikation sei folglich weder von der behandelnden Augenärztin noch vom Ärzteteam der Beklagten auf solche Alternativen hingewiesen worden. Bei dem MDK-Gutachten handele es sich lediglich um allgemeine Aussagen im Zusammenhang mit einer Glaukomerkrankung. Die dort aufgeführten vertraglichen schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten seien allesamt nicht zu einer genauen und vergleichenden Verlaufskontrolle des Zustandes des Sehnervkopfes geeignet. Diese sei jedoch im vorliegenden Fall erforderlich und sowohl von der behandelnden Ärztin als auch dem konsultierten Ärzteteam der Beklagten für sinnvoll und zweckmäßig erachtet worden. Gerade dies sei jedoch nur mit Hilfe des HRT möglich. Daraus lasse sich frühzeitig die medizinische Behandlung des Glaukoms an sich gegebenenfalls ergebende Veränderungen der Sehnerven anpassen und damit einer Verschlechterung der Sehfähigkeit, im schlimmsten Fall bis hin zur Erblindung, entgegenwirken. Letztendlich habe sich auch der MDK in seinem Gutachten zu dem Hinweis veranlasst gesehen, dass "nicht auszuschließen sei, dass durch das HRT eine präzisere Befunddokumentation möglich sei". Im Übrigen seien manche gesetzlichen Krankenkassen bereit, bestimmte IGeL zu bezahlen, obwohl sie nicht zum Leistungskatalog der GKV gehörten. Außerdem sei auch das bisherigen Procedere bei der Behandlung des Kostenerstattungsantrags im Hinblick auf § 13 Abs 3a SGB V in Betracht zu ziehen. Es dürfte ein Systemversagen vorliegen, da der GBA das Verfahren zur Methodenbewertung noch nicht eingeleitet habe, obwohl HRT sich seit mehr als 20 Jahren in der Augenheilkunde durchgesetzt und bewährt habe.

Der Kläger hat verschiedene Ausdrucke von Internetseiten von Augenärzten vorgelegt, auf denen beschrieben ist, dass HRT seit vielen Jahren verwendet würde und eine viel präzisere Methode bei der Beurteilung von Sehnervveränderungen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bl 29 f der SG-Akte verwiesen.

Das SG hat die behandelnde Augenärztin des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Die Fachärztin für Augenheilkunde N. hat unter dem 06.11.2017 ausgeführt, den Kläger seit April 2013 zu behandeln. Er leide unter Glaukom. Er habe damals angegeben, schon seit zehn Jahren Glaukom zu haben. Bei Glaukom entstünden Gesichtsfeldausfälle. HRT sei keine Behandlung, sondern eine diagnostische Untersuchung. Sie könne keine Erkrankung heilen, aber ggf eine Verschlimmerung verhüten. Es sei eine Verlaufskontrolle der Papillenexkavation und Feststellung von Zunahme der Papillenexkavation möglich, die auf eine Verschlimmerung des Sehnervenschadens hinweisen könne. Die HRT-Untersuchung lindere keine Beschwerden. Es sei ein Diagnosegerät, kein Therapiegerät. Es sei eine Untersuchung, die aus augenärztlicher Sicht sinnvoll und nützlich sei. Sie sei vom GBA nicht als Kassenleistung anerkannt.

Mit Urteil vom 25.10.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Untätigkeitsklage habe sich zwar erledigt. Der Kläger habe die Klage jedoch zulässig in eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geändert. Diese sei jedoch unbegründet, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die jährliche Untersuchung der Glaukomerkrankung mit dem HRT. Es handele sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Es fehle an der nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V erforderlichen befürwortenden Entscheidung des GBA. Ein Systemversagen liege nicht vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen willkürlichen oder sachfremden Verhaltens seien hinsichtlich der hier streitigen Untersuchung mit dem HRT nicht ersichtlich. Ein Leistungsanspruch ergebe sich auch nicht auf Grundlage von § 2 Abs 1a SGB V. Es liege keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor.

Hiergegen richtet sich die am 18.11.2019 erhobene Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass – wie er bereits vor dem SG belegt habe – die Diagnose mit Hilfe des HRT sich seit mehr als 20 Jahren in der Augenheilkunde bewährt und seither in augenärztlichen Behandlungszentren als Standard bei der Behandlung von Erkrankung des Sehnervens und damit eines Glaukoms durchgesetzt habe. Die vom MDK genannten alternativen Behandlungsmethoden seien nur ansatzweise für eine genaue und präzise Verlaufskontrolle geeignet. Die Augenärztliche Akademie Deutschland habe bereits im Jahr 2002 das Diagnoseverfahren als Meilenstein der Diagnostik bezeichnet. Es liege damit ein deutlicher Hinweis auf den diagnostischen Nutzen vor. Der GBA sei seiner Beobachtungspflicht nicht nachgekommen. Es ergebe sich seit langem aus dem medizinischen Erkenntnisstand eine Antragspflicht. Möglicherweise beruhe der Verzicht auf Durchführung ausreichender Studien darauf, dass weder die Augenärzte noch die Hersteller noch die Krankenkassen ein Interesse daran hätten, dass das HRT-Scan, das sich als individuelle Gesundheitsleistung gut verkaufe, als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse anerkannt werde. Die Ärzte könnten die Leistung als Privatbehandlung abrechnen. Der Kläger verweist noch auf den Beschluss des GBA vom 20.12.2018, demzufolge die Optische Kohärenztomografie, eine dem HRT vergleichbare Leistung, eine Leistung der GKV geworden sei. Die US-amerikanische Behörde FDA erkenne seit langem die HRT-Methode an, die damit Leistung des US-amerikanischen Medicare-Systems geworden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.10.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2017 zu verurteilen, ihm die bereits angefallenen Kosten für die jährliche Verlaufskontrolle einer Glaukomerkrankung mit Hilfe des H. R. Tomographen in Höhe von 280 EUR zu erstatten sowie die Kosten für die künftigen Behandlungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Der Kläger hat vier Rechnungen seiner behandelnden Augenärztin N. über die in den Jahren 2016 bis 2019 durchgeführten Untersuchungen (Rechnungen vom 05.12.2016, 08.12.2017 und 04.09.2019 iHv je 80 EUR und vom 03.12.2018 iHv 40 EUR) vorgelegt. Ferner hat er den Befundbericht über die Untersuchungen vom 05.12.2016 beigefügt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für bereits durchgeführte Untersuchungen mittels HRT noch auf Übernahme der Kosten für künftige Untersuchungen.

Der Kläger hat die erledigte Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) zulässigerweise geändert, nachdem diese sich durch Erlass des begehrten Widerspruchsbescheides erledigt hat. Der Kläger verfolgt seinen Anspruch nunmehr zu Recht mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Diese ist zulässig.

Ein Kostenerstattungsanspruch hat stets die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zum Gegenstand und muss deshalb für die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beziffert werden (Bundessozialgericht (BSG) 28.01.1999, B 3 KR 4/98 R, BSGE 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1). Maßgebend ist dabei, ob die Kosten der Behandlung bereits abgerechnet wurden. Nur soweit Leistungen zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung bereits erbracht, aber noch nicht abgerechnet wurden, ist es prozessual zulässig, der Klage einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die selbst beschaffte Behandlung zugrunde zu legen (BSG, 17.06.2010, B 3 KR 7/09 R, BSGE 106, 173). Der Kläger hat die vorgelegten Rechnungen von insgesamt 280 EUR bereits beglichen, sodass die Klage insoweit zulässig auf Erstattung gerichtet ist.

Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Ein Anspruch nach dem mit Wirkung vom 27.02.2013 durch Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 (BGBl S 277) eingefügten Abs 3a dieser Vorschrift scheidet aus. In § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V ist geregelt, dass die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang entscheiden muss. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die nach § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V maßgebliche Frist ist hier eingehalten. Der Antrag ging am 20.10.2016 per E-Mail bei der Beklagten ein. Die Beklagte entschied hierüber mit Bescheid vom 25.10.2016. Die Dauer des Widerspruchsverfahrens bleibt außer Betracht.

Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war (2. Alt). Mit dieser Regelung wird der Grundsatz des Sach- und Dienstleistungsanspruchs nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V für die Fälle ergänzt, in denen die Krankenkasse eine geschuldete Leistung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellen kann (BSG 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R, BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15). Der Naturalleistungsanspruch des Versicherten wandelt sich um in einen Kostenerstattungsanspruch bzw soweit die Kosten tatsächlich noch nicht beglichen sind, in einen Anspruch des Versicherten auf Freistellung von den Kosten.

Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V lag zur Überzeugung des Senats nicht vor. Eine Leistung ist nur dann unaufschiebbar, wenn die Leistung in einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden muss, damit der erstrebte Erfolg überhaupt noch erreicht werden kann oder der Versicherte erhebliche Schmerzen leidet. Aus medizinischer Sicht darf keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse mehr bestehen (BSG 25.09.2000, B 1 KR 5/99 R, juris). Die Durchführung der Untersuchung mit dem HRT war nicht in diesem Sinne unaufschiebbar. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Untersuchungen jeweils so dringlich waren, dass nicht mehr zugewartet werden konnte.

Auch die Voraussetzung des § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alternative SGB V ist nicht erfüllt. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 8; BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris). Die streitgegenständliche Untersuchung mittels HRT gehört indes nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen. Die Beklagte ist daher weder zur Erstattung der bereits entstandenen Kosten hierfür verpflichtet, noch zur künftigen Kostenübernahme.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Kläger leidet an einem Glaukom und damit an einer Krankheit. Dies entnimmt der Senat der Aussage der sachverständigen Zeugin, der Fachärztin für Augenheilkunde N ... Das HRT-Scan ist zwar als solches keine Behandlungsmethode, denn eine Heilung oder Besserung kann dadurch nicht erreicht werden. Die Untersuchung dient jedoch der Verlaufskontrolle und damit der frühzeitigen Erkennung einer Verschlimmerung und der Therapieplanung.

Allerdings unterliegt der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er erfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V (ambulante Versorgung) nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistung verbindlich festgelegt (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12).

Die streitgegenständliche Untersuchung mittels HRT stellt eine solche neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Behandlungsmethoden iS der gesetzlichen Krankenversicherung sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegt, das sie von anderen Diagnose- oder Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. "Neu" ist eine Methode, wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten ist (BSG 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, juris). Die Untersuchung mittels HRT ist nicht als abrechenbare Leistung im EBM enthalten und daher eine neue Behandlungsmethode. Eine positive Empfehlung des GBA zu dieser Methode liegt nicht vor.

Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedarf. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse kann nach der Rspr des BSG ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer Methoden bei einem Systemversagen bestehen. Ein Systemversagen unter dem Aspekt, dass der GBA zu der fraglichen Methode noch keine Empfehlung abgegeben hat und das vorgesehene Anerkennungsverfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden trotz Anhaltspunkten für eine therapeutische Zweckmäßigkeit der Methode aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen heraus nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wurde bzw eine Aktualisierung der Richtlinien unterblieben ist (stRspr, vgl ua BSG 27.08.2019, B 1 KR 14/19 R, SozR 4-2500 § 13a Nr 1 mwN, BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12; BSG 10.05.2012, B 1 KR 78/11 B, SozR 4-2500 § 140f Nr 1), liegt nicht vor.

Der GBA hatte zunächst am 21.12.2004 auf Basis einer Evidenzprüfung beschlossen, dass ein Glaukom-Screening nicht zur Früherkennung von Krankheiten gemäß § 25 Abs 3 SGB V empfohlen werden kann. Ein entsprechender Passus wurde in der Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinie aufgenommen. Dieser Passus wurde zwar zwischenzeitlich gestrichen (Beschluss vom 19.07.2018). In den tragenden Gründen zum Beschluss dazu ist ausgeführt, dass die Aufarbeitung der aktuellen Evidenzlage bestätige, dass ein Glaukom-Screening nicht zur Früherkennung von Krankheiten empfohlen werden könne. Die Streichung ist nur deshalb erfolgt, weil nur Maßnahmen in der Richtlinie geregelt werden sollen, die aufgrund einer positiven Empfehlung zum Leistungsumfang der Gesundheitsuntersuchung gehören. Der GBA hat sich demnach grundsätzlich mit solchen Leistungen befasst. Zwar geht es vorliegend nicht um die Erkennung von Krankheiten, sondern um die Verlaufsbeobachtung. Aber auch insoweit sind keine randomisiert kontrollierten Studien ersichtlich, die den Nutzen belegen. Es besteht keine Situation, in der von einem willkürlichen Unterlassen eines Antrags beim GBA durch die zur Antragstellung berechtigten Institutionen ausgegangen werden kann. Dass das Verfahren in der Praxis weit verbreitet ist, ändert nichts. Hierdurch kann nicht der Nachweis des Nutzens durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Studien und Statistiken ersetzt werden.

Lediglich ergänzend wird noch auf die Ausführungen des SG Berlin in seinem vom Kläger angesprochenen Urteil vom 12.12.2018 zum Az S 73 KR 722/14 hingewiesen. Das SG hatte den GBA um Stellungnahme zu vom dortigen Kläger vorgelegten 474 Literaturreferenzen und 105 weiteren Fundstellen gebeten. Der GBA hatte mitgeteilt, dass weder die vorgelegten Unterlagen noch in den durch eigene Literaturrecherche ermittelten Fundstellen Studien identifiziert werden konnten, die im Verlauf Unterschiede zu Gunsten der Gruppe mit zusätzlich zur Standarddiagnostik mit Vermessung des Sehnervs mit dem HRT in patientenrelevanten Endpunkten im Gegensatz zu einer Gruppe von mit Standarddiagnostik behandelten Patienten ergeben. Dementsprechend könne auf Basis der von der Geschäftsstelle des Unterausschusses Methodenbewertung recherchierten Evidenz unter Einbeziehung der übermittelten Literaturreferenzen nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für ein Systemversagen für den Einsatz des HRT-Scan zur Verlaufskontrolle bzw Verlaufsdiagnostik bei Patientinnen und Patienten mit POWG [primäre Offenwinkelglaukom] vorliegen. Auch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppe habe eine ausreichende Studienlage verneint.

Der Kläger selbst hat ebenfalls keine entsprechenden Studien vorgelegt, sondern lediglich befürwortende Aussagen und Berichte. Dies genügt nicht für die Annahme eines Systemversagens.

Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf den in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 25 Nr 12) eingeführten § 2 Abs 1a SGB V stützen. Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V (Gesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983) Rechnung getragen. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine neue ärztliche Behandlungsmethode sei ausgeschlossen, weil der GBA diese nicht anerkannt habe, verstößt dann gegen das Grundgesetz bzw § 2 Abs 1a SGB V, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor (1.); bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung (2.) und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (3.). Die gesetzliche Regelung grundrechtsorientierter Leistungsauslegung in § 2 Abs 1a SGB V, der auf Sachverhalte ab 01.01.2012 anzuwenden ist, erfasst allerdings nicht nur Ansprüche, die auf therapeutische Maßnahmen gerichtet sind, sondern auch Ansprüche, die diagnostische Maßnahmen zum Gegenstand haben (BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11).

Für die Feststellung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung ist es nicht ausreichend, dass eine Krankheit unbehandelt zum Tode führt, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutrifft. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den ggf gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (BSG 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95). Dass sich die Glaukomerkrankung innerhalb kürzester Zeit dermaßen verschlimmert, dass innerhalb weniger Wochen oder Monate eine Erblindung und damit ein drohender Verlust eines wichtigen Sinnesorgans in Form der Sehfähigkeit auf einem Auge eintritt, ist nicht belegt. Der Kläger hat weder Gesichtsfeldausfälle noch eine sonstige Verschlechterung geltend gemacht. Vielmehr hat er vorgetragen, der Augeninnendruck sei gut eingestellt.

Zur Verlaufsbeobachtung stehen außerdem andere Leistungen zur Verfügung, wie der MDK für den Senat überzeugend dargelegt hat.

Da der Kläger wie dargelegt keinen Primäranspruch hat, bleibt auch die Klage gerichtet auf künftige Kostenübernahme ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved