Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
48
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 48 SO 49/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019 verurteilt, den Kläger mit einem Rollfiets zu versorgen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen notwendigen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit einem sog. Rollfiets, d.h. eines Fahrradrollstuhls, bei dem der Rollstuhl durch ein angestecktes Fahrrad angetrieben wird.
Der im Mai 19xx geborene Kläger leidet unter einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE). Er ist bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Er bewohnt mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern gemeinsam eine Wohnung und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig. Ergänzend zu seinem Werkstatteinkommen bezieht er Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII). Die häusliche Pflege wird im Wesentlichen durch die Mutter des Klägers sichergestellt. Einmal wöchentlich nimmt der Kläger an einer Schwimmgruppe für Menschen mit Behinderung teil.
Im Alter von 14 Jahren machten sich bei dem Kläger erste gesundheitliche Auffälligkeiten bemerkbar, als er häufiger unvermittelt nach hinten fiel, zunächst einmal in der Woche, später mehrmals täglich. Aufgrund dessen wurde zunächst die Diagnose einer Epilepsie mit Sturzanfällen gestellt und es wurde eine entsprechende Behandlung eingeleitet. Bis dahin besuchte der Kläger eine Gesamtschule mit guten Leistungen und war sportlich sehr aktiv. So betrieb er im Verein Leichtathletik und spielte Fußball. Im November 2011 wurde in der Unikinderklinik Datteln eine SSPE diagnostiziert. Seitdem erfolgt die Behandlung des Klägers u.a. durch die Unikinderklinik A.
Die Erkrankung schritt im Folgenden rasch fort und der Kläger verlor nach und nach seine motorischen und kognitiven Fertigkeiten. Im Februar 2012 wurde eine intrathekale Alpha-Interferon-Pumpe implantiert, wobei es zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer Abnahme der Gehfähigkeit des Klägers gekommen war. Trotz der Therapie schritt die Erkrankung fort, mit einer deutlichen Schwäche der rechten Körperhälfte und Harninkontinenz.
In der Folgezeit erlitt der Kläger eine Venenthrombose im rechten Bein sowie einen Dekubitus, in dessen Folge zum Schutz der Wundfläche ein künstlicher Darmausgang eingerichtet wurde.
In der Vergangenheit war der Kläger durch die Beigeladene mit einen Elektrorollstuhl mit Aufstehfunktion versorgt worden (Modell C 500), der jedoch, was zischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit dem Jahre 2018 defekt ist. Über eine Neuversorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion (Modell F5 Corpus VS) ist seit dem 17.06.2019 zwischen der Beigeladenen und dem Kläger ein Klageverfahren bei der 50. Kammer des Sozialgerichts (S 50 KR xxx/19) anhängig, in dem einer Neuversorgung vonseiten der Beigeladenen entgegengehalten wird, der Kläger sei nicht in der Lage, einen Elektrorollstuhl eigenständig ohne Eigen- und Fremdgefährdung zu nutzen.
Aktuell ist der Kläger mit einem manuellen Multifunktionsrollstuhl versorgt, der bei Bedarf mit einer Brems- und Schiebhilfe versehen werden kann. Größere Strecken legt der Kläger in Begleitung seiner Eltern mit einem PKW, dessen behindertengerechter Umbau von den Eltern finanziert wurde, zurück.
Das im vorliegenden Verfahren strittige Rollfiets wurde von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums A. am 20.05.2015 verordnet. Auf Grundlage dieser Verordnung übersandte die Sanitätshaus W. GmbH mit Schreiben vom 22.09.2015 einen Kostenvoranschlag für ein Rollfiets i.H.v. 10.530,32 EUR an die Beigeladene.
Die Beigeladene leitete den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets mit Schreiben vom 29.09.2015 an den Beklagten unter Hinweis auf § 14 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch -Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) weiter. Der Kläger sei bereits mit einem speziell angepassten Elektrorollstuhl versorgt, der dem Ausgleich der Behinderung diene. Ein zusätzliches Rollfiets diene ausschließlich der Erweiterung des Bewegungsradius und falle damit in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets mit Bescheid vom 16.10.2015 ab. Zur Begründung führte sie an, dass der Kläger zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel von der Beigeladenen bereits einen Elektrorollstuhl erhalten habe. Bei dem begehrten Rollfiets handele es sich um einen Gegenstand, der zur Ausübung einer speziellen Sportart erforderlich sei. Dieser Bedarf sei jedoch vom Sozialhilferecht nicht erfasst.
Gegen diesen Bescheid vom 16.10.2015 legte der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er an, dass er keine Sportart ausüben könne. Das Rollfiets solle u.a. genutzt werden, um Fahrradtouren mit der Familie zu unternehmen.
Mit einem Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 wies zunächst die Beklagte den Widerspruch vom 19.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 als unbegründet zurück.
Hierauf hat der Kläger am 28.01.2016 Klage erhoben. Das Gericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein neuropädiatrisches Gutachten des Herrn Dr. med. D., Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, in D., eingeholt.
In einem Erörterungstermin vom 12.11.2018 hat die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 unter Hinweis auf ihre Unzuständigkeit aufgehoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 hat der Landschaftsverband R. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe den Widerspruch vom 20.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter als unbegründet zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Rollfiets auf Grundlage des § 33 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) bestehe nicht, da zur Erschließung des Nahbereichs der von der Beigeladenen bewilligte Rollstuhl zur Verfügung stehe. Auch ergebe sich ein Anspruch nicht unter dem Aspekt der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX a.F.). Es sei nicht erkennbar, dass ein Rollfiets zum Ausgleich der behinderungsbedingten Defizite erforderlich sei. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt bei seinen Eltern. Dort sei er in der Lage, sich mit dem vorhandenen Rollstuhl frei zu bewegen. Ein anderes Hilfsmittel könne nur dann gewährt werden, wenn dieses Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich sei, um die Behinderung auszugleichen. Erforderlich bedeute, dass der behinderte Mensch auf das Gerät angewiesen sei. Eine sinnvolle Verwendung reiche nicht aus.
Der Kläger führt an, dass mit dem Rollfiets nicht nur lediglich die regelmäßige Teilnahme an Fahrradausflügen mit der Familie und Freunden geplant sei. So werde er auch häufig von gleichaltrigen Freunden besucht. Im Moment müssten die Freunde immer zu ihm kommen. Mit einem Rollfiets bestünde die Möglichkeit, dass seine Freunde ihn auch mitnehmen könnten. Im Moment könne er sich nur bei seinen Eltern aufhalten. Ein Rollfiets sei im Übrigen auch schon für einen Zeitraum von zwei Wochen erfolgreich ausprobiert worden.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019 zu verurteilen, ihn mit einem Rollfiets zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie nimmt auf den Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 Bezug. Weiterhin ist sie der Auffassung, dass nicht jede Erleichterung der Teilhabe auch notwendig im Rechtssinne sei. Die Mobilität des Klägers werde bereits durch die Versorgung mit einem Rollstuhl und die Möglichkeit des Transports mit einem Pkw sichergestellt. Der Kläger habe im Laufe des Klageverfahrens bereits das 20. Lebensjahr vollendet, so dass der Kontakt mit Gleichaltrigen nicht mehr auf den Transport mit Fahrrad und Rollfiets beschränkt sei. Vielmehr dürften Gleichaltrige mittlerweile auch über einen Führerschein verfügen. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob es sich bei der Teilnahme an Fahrradtouren um einen sozialhilferechtlich relevanten Bedarf handele. Schließlich scheitere eine Hilfegewährung bereits an § 9 Abs. 3 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV), da der Kläger nicht in der Lage sei, das Rollfiets eigenständig zu bedienen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Klageverfahrens im Sinne des § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs– und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG (vgl. etwa BSG, Urteil vom 04.04.2019, B 8 SO 12/17 R, Rn. 13.).
Die beigeladene Krankenkasse des Klägers, die den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets, gestellt durch das Schreiben des Sanitätshaus W. GmbH vom 22.09.2015, mit Schreiben vom 29.09.2015 an die Beklagte unter Hinweis auf § 14 SGB IX weiterleitete, war als (möglicherweise) im Innenverhältnis materiell-rechtlich verpflichteter Träger nach § 75 Abs. 2 1. Alt. SGG notwendig beizuladen (vgl. nur Ulrich, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. (2018), § 14 SGB IX, Rn. 127, m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 04.04.2019, a.a.O., Rn. 17.)
II. Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger, da sie rechtswidrig sind (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Rollfiets, der aus § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX i.V.m. § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F., § 9 EinglHV folgt.
1. Unbeschadet des Umstandes, dass gem. § 2 Abs. 1a) des Landesausführungsgesetzes zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW) vom 16.12.2004 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen (AV-SGB XII NRW) vom 16.12.2004 (bzw. des aktuell geltenden § 2a Abs. 1 Nr. 4 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW)) der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Versorgung behinderter Menschen mit größeren Hilfsmitteln, d.h. solche, deren Preis mindestens 180 EUR beträgt, zur Teilhabe am Leben an der Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. zuständig war und ist, war gleichwohl die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich für den Erlass des Bescheides vom 16.10.2015 zuständig. Dies folgt bereits aus ihrer Zuständigkeit als zweitangegangener Rehabilitationsträger. Denn § 14 SGB IX betrifft auch die sachliche Zuständigkeit (vgl. nur Ulrich, a.a.O., § 14 SGB IX, Rn. 45), womit der Beklagten als zweitangegangener Träger eine nochmalige Weiterleitung des Antrags an den überörtlichen Träger nicht möglich gewesen wäre. Zwar hatte die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 als unzuständige Widerspruchsbehörde entschieden (§ 85 Abs. 2 SGG, § 3 SGB XII), womit der ursprüngliche Widerspruchsbescheid formell rechtswidrig war. Nach Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2016 hat dann der Landschaftsverband R. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 den Widerspruch vom 20.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs. 2 SGB XII) als unbegründet zurückgewiesen.
2. Gem. § 14 SGB Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. IX stellt der Rehabilitationsträger dann, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller (Satz 2). § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestimmt weiter, dass wenn der Antrag nicht weitergeleitet wird, der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente zur Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX unverzüglich und umfassend feststellt und die Leistungen erbringt (leistender Rehabilitationsträger). Nach Satz 4 gilt dies, wenn der Antrag weitergeleitet wird, für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend. Der zweitangegangene Rehabilitationsträger darf den Antrag nicht ein zweites Mal weiterleiten, sondern muss einen Bescheid erteilen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007, NZS 2008, 436 (437)). Die Beklagte ist als Rehabilitationsträger gem. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX a.F. ("Träger der Sozialhilfe") bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 7 in der seit dem 01.01.2018 geltenden Fassung ("Träger der Eingliederungshilfe") an die Weiterleitung des Antrags durch die beigeladene Krankenkasse gebunden. Die Beklagte kann demnach im Verhältnis zum Kläger nicht einwenden, dass nicht sie, sondern die beigeladene Krankenkasse zuständig sei. In diesem Fall ist die Beklagte gehalten, gegenüber der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch auf Grundlage des § 16 SGB IX geltend zu machen. Die Weiterleitung des Antrags vom 22.09.2015 durch die Beigeladene erfolgte mit Schreiben vom 29.09.2015 auch binnen der Zweiwochenfrist, denn maßgeblich kommt es auf die Absendung des Antrags durch die Beigeladene an und nicht darauf, wann der Antrag bei der Beklagten eingegangen ist (vgl. Ulrich, a.a.O., Rn. 72, m.w.N.).
Grundsätzlich muss der zweitangegangene Rehabilitationsträger über den Antrag abschließend nach dem materiell zutreffenden Recht ohne Beschränkung auf "sein" Leistungsrecht entscheiden und den Antrag umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen hin prüfen (vgl. Ulrich, a.a.O., § 14 SGB IX, Rn. 104), wobei vorliegend eine Leistungsgewährung als Leistung der medizinischen Rehabilitation oder als Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft (§ 5 Nr. 1 bzw. Nr. 4 SGB IX a.F.) im Raum stand.
Zur Überzeugung der Kammer besteht ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Rollfiets als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft, mithin als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII. Auf den allein im Rahmen des § 33 SGB V interessierenden Umstand, dass es sich bei dem Rollfiets um einen sog. mittelbaren Behinderungsausgleich handelt (vgl. dazu etwa instruktiv: Sommer, in: Sommer (Stand: 27.02.2018), § 33 SGB V, Rn. 10b ff.) und der sich aus dieser Erkenntnis ergebenen Frage, ob das Grundbedürfnis des Klägers an Mobilität bereits mit der Versorgung durch die Beigeladene mit einem Rollstuhl gedeckt ist, kommt es bei der Gewährung des Hilfsmittels als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nicht an. Denn eine zwischen der von der Rechtsprechung zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu § 33 SGB V entwickelte Differenzierung zwischen einem mittelbaren und unmittelbarem Behinderungsausgleich ist den Vorschriften des § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sowie des § 9 EinglHV fremd. Relevanz gewinnt die derzeitige Versorgung des Klägers allerdings im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit i.S.d § 4 Abs. 1 SGB IX (dazu sogleich unter II., 3., b), ee) der Entscheidungsgründe). Denn eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets wäre dann nicht notwendig, wenn der entsprechende Bedarf bereits aufgrund der durch die Beigeladene erfolgten Versorgung gedeckt wäre.
3. Gem. § 19 Abs. 3 SGB XII werden Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Zunächst liegen bei dem Kläger die personen- sowie die leistungsbezogenen Voraussetzungen vor.
a) Gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten (Satz 2). Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (Satz 2).
Bei dem Merkmal der Wesentlichkeit der Teilhabebeeinträchtigung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln ist. Ausgehend von der besonderen Aufgabe der Eingliederungshilfe (§ 53 Abs. 3 SGB XII) ist eine Teilhabebeeinträchtigung infolge einer Behinderung dann wesentlich, wenn sie die Gefahr in sich birgt, dass der behinderte Mensch durch sie aus der Gesellschaft ausgegliedert wird oder durch sie bereits ausgegliedert ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.08.2010, L 8 SO 143/10 B ER, Rn. 12, m.w.N). Diese personenbezogenen Voraussetzungen liegen bei dem Kläger, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, vor. So ist der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen das Gericht folgt, seit der Manifestation der SSPE im Jahr 2011/2012 massiv in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaff teilzuhaben, eingeschränkt. Weiterhin führt der Sachverständige aus, dass die Teilhabe am Arbeitsleben des Klägers, bis zum Eintritt in die Werkstatt für angepasste Arbeit die schulische Teilhabe, durch seine ausgeprägten motorischen Einschränkungen (keine selbständige Fortbewegung, nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten der oberen Extremität, kein selbständiges Sitzen, kein selbständiger Stand) und durch die kognitiven Einschränkungen umfassend beeinträchtigt gewesen sei. Eine eigenständige Körperpflege, eigenständige Toilettengänge sowie eine eigenständige Ernährung seien nicht möglich. Zudem bestünden deutliche kognitive Einschränkungen mit verminderter Kommunikationsfähigkeit und reduziertem Verständnis komplexerer Zusammenhänge. Aufträge könnten oft nicht sofort umgesetzt werden. Die gesellschaftliche Teilhabe sei ebenfalls durch die motorischen Einschränkungen deutlich reduziert. Eine gezielte selbständige Fortbewegung sei dem Kläger außerhalb von Wohnung und Werkstatt auch mit Hilfe eines Elektrorollstuhls nicht ohne eine Hilfsperson möglich. Bei weiteren Strecken sei die Beförderung mit einem Auto notwendig, so dass die Begleitperson über einen Führerschein und ein ausreichend großes Auto verfügen müsse. Auch die reduzierte Kommunikationsfähigkeit führe zu einer hohen Abhängigkeit von einer Hilfsperson außerhalb gewohnter Umgebungen. Die genannten Schwierigkeiten in der Körperpflege und Ernährung beeinträchtigten ebenfalls die gesellschaftliche Teilhabe.
b) Weiterhin liegen die leistungsbezogenen Voraussetzungen vor. Gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe u.a. die in § 55 SGB IX in der am 31.12.2017 geltenden Fassung geregelten Leistungen. Gem. § 55 Abs. 1 SGB IX a.F. werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX a.F. nicht erbracht werden. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sind Leistungen nach Abs. 1 insbesondere die Versorgung mit anderen als den in § 31 SGB IX a.F. genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 SGB IX a.F. genannten Hilfen. § 9 Abs. 1 EinglHV regelt in diesem Zusammenhang weiterhin, dass andere Hilfsmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. nur solche Hilfsmittel sind, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Versorgung mit einem anderen Hilfsmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. nur gewährt, wenn das Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich und geeignet ist, zu dem in Abs. 1 genannten Ausgleich beizutragen, und wenn der behinderte Mensch das Hilfsmittel bedienen kann.
aa) Unter dem Begriff des Hilfsmittels werden alle Hilfen verstanden, die von dem Leistungsempfänger getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können (vgl. Schütze, in: Hauck/Noftz (Stand 09/01), § 55 SGB IX a.F., Rn. 23). Andere Hilfsmittel oder Hilfen i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sind solche, die über eine medizinische oder berufliche Zweckbestimmung hinausreichen und dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen (vgl. etwa Wollschläger, in: Kossens/von der Heide/Maaß, München (2009), § 55 SGB IX a.F., Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen Rehabilitation (§ 31 SGB IX a.F.) und der sozialen Rehabilitation (§ 55 Abs. 2 SGB IX a.F.) dabei nicht am Begriff des Hilfsmittels (etwa im Sinne der Hilfsmittelrichtlinien) selbst vorzunehmen, sondern es ist darauf abzustellen, welche Bedürfnisse mit dem Hilfsmittel befriedigt werden sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel dienen soll (BSG, Urteil vom 19.05.2009, B 8 SO 32/07 R, Rn. 17, m.w.N.). Während Hilfsmittel im Sinne von § 31 SGB IX die Aufgabe haben, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung nur bei den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind, dienen "andere" Hilfsmittel i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX über die Aufgabenbestimmung nach § 31 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung; sie haben die Aufgabe, dem Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben (vgl. § 58 SGB IX a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX a.F.) zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O., m.w.N.).
bb) Von einer Geeignetheit eines Hilfsmittels i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV wird ausgegangen, wenn es objektiv dazu führt, dass die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden, von einer Erforderlichkeit, wenn diese Ziele unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des behinderten Menschen nicht ohne dieses Hilfsmittel erreicht werden können (vgl. Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. (2014), § 9 EinglHV, Rn. 9). Bei den Tatbestandsmerkmalen "erforderlich" und "geeignet" in § 9 Abs. 3 EinglHV handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die eine Wertung durch den Rechtsanwender erlauben und verlangen. Über die Merkmale "erforderlich" und "geeignet" wird mithin eine Auslegung der Vorschrift im Lichte des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-BRK) ermöglicht (vgl. zur Berücksichtigung der Konvention im Rahmen der Auslegung etwa Nieding, in: Rolfs (Hrsg.), 50 Jahre Deutscher Sozialrechtsverband - Inklusion behinderter Menschen als Querschnittsaufgabe, Berlin (2016), S. 77 (S. 89) m.w.N.). Die Auslegung der Merkmale der Erforderlichkeit und der Geeignetheit hat demnach völkerrechtsfreundlich zu erfolgen, so dass die Regelungen der UN-BKR ihre Wirkung entfalten. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei der in Art. 20 UN BRK garantierten Gewährleistung der persönlichen Mobilität zu. Hiernach treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern (a.); den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien und menschlicher und tierischer Hilfe sowie Mittelspersonen erleichtern, auch durch deren Bereitstellung zu erschwinglichen Kosten (b.); Menschen mit Behinderungen und Fachkräften, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, Schulungen in Mobilitätsfertigkeiten anbieten (c.); Hersteller von Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien ermutigen, alle Aspekte der Mobilität für Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen (d.). Aus der Formulierung "größtmögliche Unabhängigkeit" in Art. 20 UN-BRK wird gefolgert, dass die Regelung eine autonome Lebensführung für Menschen mit Behinderung zur Zielsetzung hat. Ein Leben in freier Selbstbestimmung ist angestrebt, ohne dass der Mensch mit Behinderung von dem Wohlwollen anderer Menschen abhängig ist, soweit dies vermeidbar ist (vgl. Kreutz, in: Kreutz/Lachwitz/Trenk-Hinterberger, Köln (2013), Art. 20 UN-BRK, Rn. 2). Für die Auslegung der Merkmale der Erforderlichkeit und der Geeignetheit folgt hieraus, dass diese möglichst so auszulegen sind, dass dem Menschen mit Behinderung im Bereich der Mobilität eine weitgehende autonome Lebensführung gewährt wird.
Nach der Rechtsprechung des BSG, der die Kammer nach eigener Prüfung folgt, ist im Rahmen des § 9 Abs. 3 EinglHV ein individueller und personenzentrierter Maßstab zu Grunde zu legen ("im Einzelfall"), der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG, Urteil vom 02.02.2012, B 8 SO 9/10 R, Rn. 26). In diesem Zusammenhang hat das BSG im Falle einer zwanzigjährigen Klägerin, die ein Zusatzgerät für ein KfZ (§ 9 Abs. 2 Nr. 11 EinglHV) begehrte, ausgeführt, dass bei der Integration in die Gesellschaft darauf zu achten sei, dass gesellschaftliche Kontakte in ausreichendem Umfang gewährleistet seien. Vergleichsmaßstab für den Umfang der gesellschaftlichen Kontakte müssten darüber hinaus gleichaltrige nichtbehinderte Personen sein. Ein Zwanzigjähriger befinde sich in einem Alter, in dem nichtbehinderte Menschen üblicherweise verstärkt gesellschaftliche Aktivitäten entwickelten. Junge Menschen befänden sich in diesem Alter regelmäßig in einer Übergangsphase von der Schulzeit zum Beruf, verbunden mit der Aufrechterhaltung alter und auf der Suche nach neuen dauerhaften Beziehungen. Das BSG hat hervorgehoben, dass dem nicht entgegengehalten werden könne, dass dies zu einer Ungleichbehandlung gegenüber nicht bedürftigen behinderten jungen Menschen führe, u.a. deshalb, weil Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) einen besonderen Förderungsauftrag zugunsten behinderter Menschen enthalte (BSG, Urteil vom 02.02.2012, a.a.O., Rn. 27).
cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben dient das Rollfiets dem Kläger nicht nur einer Erweiterung seiner Mobilitätsmöglichkeiten, sondern ermöglicht ihm insbesondere auch einen Kontakt zu Gleichaltrigen. Insbesondere besteht mit einem Rollfiets die Möglichkeit, Unternehmungen mit Gleichaltrigen außerhalb des elterlichen Haushalts zu tätigen. Somit kann durch das Rollfiets auch dem Aspekt der Verselbstständigung, der in der Altersphase des Klägers eine große Bedeutung erfährt, Rechnung getragen werden. Dass eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets erforderlich und geeignet i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV ist, folgt zur Überzeugung der Kammer auch aufgrund der eingeholten Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie der Ausführungen des gerichtlich beauftragen Sachverständigen, die das Gericht für schlüssig und überzeugen hält. Im Einzelnen:
So ist die den Kläger behandelnde Oberärztin der Klinik für Orthopädie der Uniklinik der RWTH in A., Frau Dr. S., in ihrem Befundbericht vom 18.05.2017 der Auffassung, dass ein Rollfiets geeignet wäre, den erheblich in seiner selbständigen Mobilität eingeschränkten Kläger über mittlere Distanzen, die mit dem Rollstuhl mit Schubfunktion nicht erreichbar seien, zu transportieren. Es würde die Teilhabe am Alltag des Klägers entsprechend erleichtern.
Herr Univ.-Prof. Dr. med. H. ist in seinem Befundbericht vom 27.06.2017 der Auffassung, dass zwar ein Rollfiets keine therapeutische Wirkung auf die Motorik des Klägers habe und eine Fortbewegung nur mit fremder Hilfe und bei langen Strecken nur durch ein Kraftfahrzeug und einen zusätzlichen Rollstuhl erfolgen könne. Für kurze und mittellange Strecken die im Rahmen alltäglicher Aktivitäten anfielen, bei denen der Kläger keine Termine wahrnehmen und kein Gebäude betreten müsse, wäre das Rollfiets geeignet, ebenso wie für Ausflüge. Insbesondere bezüglich der Teilhabe an familiären Aktivitäten und für die Erfahrung von Umwelt und Natur sei das Rollfiets dem Rollstuhl und dem Kraftfahrzeug deutlich überlegen. Daher sei, eine regelmäßige Nutzung vorausgesetzt, insbesondere eine Verbesserung der psychosozialen Situation und der Teilhabe zu erwarten.
Der den Kläger betreuende Physiotherapeut, Herr Z., hat in seinem Befundbericht vom 01.07.2017 angegeben, dass aus physiotherapeutischer Sicht die Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets empfohlen werde. Der Kläger sei ein fahrradbegeisterter Mensch, der durch die Versorgung wieder an Ausflügen mit Freunden und der Familie teilnehmen könne. Dies würde die psychoemotionale Situation des Klägers positiv beeinflussen.
In seinem neuropädiatrischen Gutachten vom 20.03.2018 gelangt der gerichtlich beauftragte Sachverständige, der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Herr Dr. med. D., nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 07.02.2018 zu dem überzeugenden Ergebnis, dass ein Rollfiets für den Kläger eine geeignete Hilfe zur Milderung der Folgen der Behinderung und zur Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe darstelle. Eine selbständige Fortbewegung sei dem Kläger abgesehen von kurzen, ebenen und geraden Strecken in einem Elektrorollstuhl nicht möglich, so dass er bezüglich der Fortbewegung über mittlere Strecken auf eine Hilfsperson angewiesen sei. Neben dem Geschobenwerden durch eine Hilfsperson auf kurzen Strecken und dem Transport im Rollstuhl mit einem Auto stelle das Rollfiets eine Möglichkeit der Fortbewegung über mittlere Strecken mit Hilfe einer Hilfsperson, die keinen Führerschein und kein Fahrzeug besitzen müsse, und an der frischen Luft dar. Eine Beseitigung der Behinderung des Klägers oder eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten würden durch ein Rollfiets nicht erreicht. Es bestehe die Aussicht, dass eine Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft durch das Rollfiets erleichtert werde. Der Kläger habe nach Aussage seiner Eltern ein hohes Interesse an einer Teilnahme an sozialen Unternehmungen von Gleichaltrigen und insbesondere an Aktivitäten seiner Brüder. So stellten ebenso das Dabeisein beim Fußballtraining der Brüder und gemeinsame Einkaufsfahrten als auch gemeinsame Radtouren der Familie ein wichtiges Ziel des Klägers dar. An diesen Aktivitäten habe er bis zu seiner Erkrankung mit großer Motivation und Freude teilgenommen. Nach Angaben seiner Eltern sei der Kläger ein sehr aktiver und kontaktfreudiger Jugendlicher gewesen. Diese Aktivitäten definierten somit für den Kläger die wesentlichen Faktoren einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und würden nicht durch die Tätigkeit in der WfbM kompensiert. Ein Rollfiets böte dem Kläger die Möglichkeit, an diesen Aktivitäten gemeinsam mit Gleichaltrigen und seiner Familie trotz seiner schweren Behinderung weiterhin teilzunehmen. Somit würden dem Kläger durch das Rollfiets die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bezogen auf spezifische Situationen wie gemeinsame Aktionen mit seinen Brüdern und Gleichaltrigen erst ermöglicht und bezogen auf familiäre Aktivitäten erleichtert.
Nach alldem stellt sich das Rollfiets in der von dem Sanitätshaus W. GmbH mit Kostenvoranschlag 22.09.2015 beschriebenen Form als erforderlich und geeignet dar, damit der Kläger die Teilhabeziele des § 55 Abs. 1 SGB IX a.F. verwirklichen kann.
dd) Der Einwand der Beklagten, der Anspruch des Klägers scheitere im Rahmen des § 9 Abs. 3 EinglhHV daran, dass der Kläger das Hilfsmittel nicht bedienen könne, greift nicht durch. So hat der Kläger das Rollfiets bereits getestet. Es geht bei dem Rollfiets auch nicht darum, dass der Kläger etwa das an den Rollstuhl gesteckte Fahrrad selbst fahren können müsste. Denn das Hilfsmittel des Rollfiets ist ja gerade darauf ausgerichtet, dass es stets von zwei Personen bedient wird, nämlich eine Mittelsperson, die das Fahrrad fährt und dem Menschen mit Behinderung, der im angesteckten Rollstuhl sitzt. Ein anderes Verständnis, also dergestalt, dass bei einem entsprechenden Hilfsmittel, das darauf ausgerichtet ist, von zwei Personen bedient zu werden, der Mensch mit Behinderung sowohl seinen, als auch den Teil der Mittelsperson übernehmen können müsste, stünde nach Auffassung der Kammer mit dem Grundrecht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie dem Diskriminierungsverbot in Art. 5 Abs. 2 UN-BRK, das unmittelbare Anwendung findet (vgl. nur BSG, Urteil vom 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, Rn. 29 ff.; vgl. dazu auch Masuch, in: Hohmann-Dennhardt (Hrsg.), Grundrechte und Solidarität, Durchsetzung und Verfahren, Festschrift für Renate Jäger, Kehl am Rhein (2011), S. 245 (S. 262)) sowie mit Art. 20 UN-BRK nicht in Einklang. Das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln, sondern eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, B 8 SO 14/13 R, Rn. 25, m.w.N.).
ee) Bei der Versorgung mit dem Rollfiets handelt es sich auch um eine notwendige Leistung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB IX. Hiernach umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung u.a. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Nr. 1) oder die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern (Nr. 4). Bei der Auslegung des Begriffs der "notwendigen Sozialleistungen" sind, wie bereits im Rahmen der Auslegung der Erforderlichkeit und Geeignetheit i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV die Wertungen der UN-BKR zu berücksichtigen (dazu oben unter II., 3.), b), bb) der Entscheidungsgründe). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Versorgung des Klägers mit dem Rollfiets als notwendig i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB IX dar.
Die derzeitige Versorgung mit einem Multifunktionsrollstuhl versetzt den Kläger nicht in die Lage, die Teilhabeziele zu verwirklichen. Bei dem Vortrag der Beklagten, Gleichaltrige, die wie der Kläger im Laufe des Klageverfahrens die Volljährigkeit erreicht hätten, verfügten über Kraftfahrzeuge, weshalb es eines Rollfiets nicht bedürfe, ist zunächst eine Behauptung ins Blaue hinein. Selbst wenn Freunde des Klägers über eine Fahrerlaubnis und ein Kraftfahrzeug verfügen würden, wären diese im Zweifel nicht behindertengerecht umgebaut. Das im Besitz der Eltern stehende, behindertengerecht umgebaute Familienfahrzeug muss volljährigen Freunden des Klägers, die über eine Fahrerlaubnis verfügen, nicht zur Verfügung gestellt werden. Das Familienauto stellt insoweit kein bereites Mittel zur Selbsthilfe im Sinne des § 2 SGB XII dar, wobei dieser Vorschrift von vornherein ohnehin keine anspruchsausschließende Wirkung zukommen könnte (vgl. nur BSG, Urteil vom 17.07.2008, B 8 AY 5/07 R, Rn. 14 sowie BSG, Urteil vom 26.08.2008, B 8/9b SO 16/07 R, Rn. 15). Denn der Kläger ist nicht Besitzer des Fahrzeugs und wäre bei einer Nutzung durch seine Freunde auf die Zustimmung seiner Eltern angewiesen. Im Übrigen würde dies den Kläger zur Überzeugung der Kammer in seiner Verselbständigung einschränken. Schließlich kann die Beklagte auch nicht einwenden, eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets sei unnötig, da er durch andere, kostengünstigere Möglichkeiten in die Gesellschaft eingegliedert werden könne. Die Versorgung mit einem Rollfiets stellt sich nach alledem als angemessen dar, um den Kläger im Rahmen seiner Möglichkeiten ein Gleichziehen mit Gleichaltrigen zu ermöglichen (vgl. zu diesem Aspekt LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.05.2015, B 1 KR 126/12, Rn. 23 ff.).
c) Letztlich liegen auch die einkommens- und vermögenrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung vor. Denn dem Kläger, der ergänzend zu seinem Werkstatteinkommen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezieht, ist die Aufbringung der Mittel zur Anschaffung des Rollfiets aus seinem Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 ff. bzw. §§ 90 ff. SGB XII nicht zuzumuten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit einem sog. Rollfiets, d.h. eines Fahrradrollstuhls, bei dem der Rollstuhl durch ein angestecktes Fahrrad angetrieben wird.
Der im Mai 19xx geborene Kläger leidet unter einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE). Er ist bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Er bewohnt mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern gemeinsam eine Wohnung und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig. Ergänzend zu seinem Werkstatteinkommen bezieht er Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII). Die häusliche Pflege wird im Wesentlichen durch die Mutter des Klägers sichergestellt. Einmal wöchentlich nimmt der Kläger an einer Schwimmgruppe für Menschen mit Behinderung teil.
Im Alter von 14 Jahren machten sich bei dem Kläger erste gesundheitliche Auffälligkeiten bemerkbar, als er häufiger unvermittelt nach hinten fiel, zunächst einmal in der Woche, später mehrmals täglich. Aufgrund dessen wurde zunächst die Diagnose einer Epilepsie mit Sturzanfällen gestellt und es wurde eine entsprechende Behandlung eingeleitet. Bis dahin besuchte der Kläger eine Gesamtschule mit guten Leistungen und war sportlich sehr aktiv. So betrieb er im Verein Leichtathletik und spielte Fußball. Im November 2011 wurde in der Unikinderklinik Datteln eine SSPE diagnostiziert. Seitdem erfolgt die Behandlung des Klägers u.a. durch die Unikinderklinik A.
Die Erkrankung schritt im Folgenden rasch fort und der Kläger verlor nach und nach seine motorischen und kognitiven Fertigkeiten. Im Februar 2012 wurde eine intrathekale Alpha-Interferon-Pumpe implantiert, wobei es zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer Abnahme der Gehfähigkeit des Klägers gekommen war. Trotz der Therapie schritt die Erkrankung fort, mit einer deutlichen Schwäche der rechten Körperhälfte und Harninkontinenz.
In der Folgezeit erlitt der Kläger eine Venenthrombose im rechten Bein sowie einen Dekubitus, in dessen Folge zum Schutz der Wundfläche ein künstlicher Darmausgang eingerichtet wurde.
In der Vergangenheit war der Kläger durch die Beigeladene mit einen Elektrorollstuhl mit Aufstehfunktion versorgt worden (Modell C 500), der jedoch, was zischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit dem Jahre 2018 defekt ist. Über eine Neuversorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion (Modell F5 Corpus VS) ist seit dem 17.06.2019 zwischen der Beigeladenen und dem Kläger ein Klageverfahren bei der 50. Kammer des Sozialgerichts (S 50 KR xxx/19) anhängig, in dem einer Neuversorgung vonseiten der Beigeladenen entgegengehalten wird, der Kläger sei nicht in der Lage, einen Elektrorollstuhl eigenständig ohne Eigen- und Fremdgefährdung zu nutzen.
Aktuell ist der Kläger mit einem manuellen Multifunktionsrollstuhl versorgt, der bei Bedarf mit einer Brems- und Schiebhilfe versehen werden kann. Größere Strecken legt der Kläger in Begleitung seiner Eltern mit einem PKW, dessen behindertengerechter Umbau von den Eltern finanziert wurde, zurück.
Das im vorliegenden Verfahren strittige Rollfiets wurde von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums A. am 20.05.2015 verordnet. Auf Grundlage dieser Verordnung übersandte die Sanitätshaus W. GmbH mit Schreiben vom 22.09.2015 einen Kostenvoranschlag für ein Rollfiets i.H.v. 10.530,32 EUR an die Beigeladene.
Die Beigeladene leitete den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets mit Schreiben vom 29.09.2015 an den Beklagten unter Hinweis auf § 14 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch -Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) weiter. Der Kläger sei bereits mit einem speziell angepassten Elektrorollstuhl versorgt, der dem Ausgleich der Behinderung diene. Ein zusätzliches Rollfiets diene ausschließlich der Erweiterung des Bewegungsradius und falle damit in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets mit Bescheid vom 16.10.2015 ab. Zur Begründung führte sie an, dass der Kläger zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel von der Beigeladenen bereits einen Elektrorollstuhl erhalten habe. Bei dem begehrten Rollfiets handele es sich um einen Gegenstand, der zur Ausübung einer speziellen Sportart erforderlich sei. Dieser Bedarf sei jedoch vom Sozialhilferecht nicht erfasst.
Gegen diesen Bescheid vom 16.10.2015 legte der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er an, dass er keine Sportart ausüben könne. Das Rollfiets solle u.a. genutzt werden, um Fahrradtouren mit der Familie zu unternehmen.
Mit einem Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 wies zunächst die Beklagte den Widerspruch vom 19.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 als unbegründet zurück.
Hierauf hat der Kläger am 28.01.2016 Klage erhoben. Das Gericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein neuropädiatrisches Gutachten des Herrn Dr. med. D., Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, in D., eingeholt.
In einem Erörterungstermin vom 12.11.2018 hat die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 unter Hinweis auf ihre Unzuständigkeit aufgehoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 hat der Landschaftsverband R. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe den Widerspruch vom 20.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter als unbegründet zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Rollfiets auf Grundlage des § 33 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) bestehe nicht, da zur Erschließung des Nahbereichs der von der Beigeladenen bewilligte Rollstuhl zur Verfügung stehe. Auch ergebe sich ein Anspruch nicht unter dem Aspekt der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX a.F.). Es sei nicht erkennbar, dass ein Rollfiets zum Ausgleich der behinderungsbedingten Defizite erforderlich sei. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt bei seinen Eltern. Dort sei er in der Lage, sich mit dem vorhandenen Rollstuhl frei zu bewegen. Ein anderes Hilfsmittel könne nur dann gewährt werden, wenn dieses Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich sei, um die Behinderung auszugleichen. Erforderlich bedeute, dass der behinderte Mensch auf das Gerät angewiesen sei. Eine sinnvolle Verwendung reiche nicht aus.
Der Kläger führt an, dass mit dem Rollfiets nicht nur lediglich die regelmäßige Teilnahme an Fahrradausflügen mit der Familie und Freunden geplant sei. So werde er auch häufig von gleichaltrigen Freunden besucht. Im Moment müssten die Freunde immer zu ihm kommen. Mit einem Rollfiets bestünde die Möglichkeit, dass seine Freunde ihn auch mitnehmen könnten. Im Moment könne er sich nur bei seinen Eltern aufhalten. Ein Rollfiets sei im Übrigen auch schon für einen Zeitraum von zwei Wochen erfolgreich ausprobiert worden.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019 zu verurteilen, ihn mit einem Rollfiets zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie nimmt auf den Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 Bezug. Weiterhin ist sie der Auffassung, dass nicht jede Erleichterung der Teilhabe auch notwendig im Rechtssinne sei. Die Mobilität des Klägers werde bereits durch die Versorgung mit einem Rollstuhl und die Möglichkeit des Transports mit einem Pkw sichergestellt. Der Kläger habe im Laufe des Klageverfahrens bereits das 20. Lebensjahr vollendet, so dass der Kontakt mit Gleichaltrigen nicht mehr auf den Transport mit Fahrrad und Rollfiets beschränkt sei. Vielmehr dürften Gleichaltrige mittlerweile auch über einen Führerschein verfügen. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob es sich bei der Teilnahme an Fahrradtouren um einen sozialhilferechtlich relevanten Bedarf handele. Schließlich scheitere eine Hilfegewährung bereits an § 9 Abs. 3 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV), da der Kläger nicht in der Lage sei, das Rollfiets eigenständig zu bedienen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Klageverfahrens im Sinne des § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2019. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs– und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG (vgl. etwa BSG, Urteil vom 04.04.2019, B 8 SO 12/17 R, Rn. 13.).
Die beigeladene Krankenkasse des Klägers, die den Antrag auf Kostenübernahme für das Rollfiets, gestellt durch das Schreiben des Sanitätshaus W. GmbH vom 22.09.2015, mit Schreiben vom 29.09.2015 an die Beklagte unter Hinweis auf § 14 SGB IX weiterleitete, war als (möglicherweise) im Innenverhältnis materiell-rechtlich verpflichteter Träger nach § 75 Abs. 2 1. Alt. SGG notwendig beizuladen (vgl. nur Ulrich, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. (2018), § 14 SGB IX, Rn. 127, m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 04.04.2019, a.a.O., Rn. 17.)
II. Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger, da sie rechtswidrig sind (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Rollfiets, der aus § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX i.V.m. § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F., § 9 EinglHV folgt.
1. Unbeschadet des Umstandes, dass gem. § 2 Abs. 1a) des Landesausführungsgesetzes zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW) vom 16.12.2004 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen (AV-SGB XII NRW) vom 16.12.2004 (bzw. des aktuell geltenden § 2a Abs. 1 Nr. 4 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW)) der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Versorgung behinderter Menschen mit größeren Hilfsmitteln, d.h. solche, deren Preis mindestens 180 EUR beträgt, zur Teilhabe am Leben an der Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. zuständig war und ist, war gleichwohl die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich für den Erlass des Bescheides vom 16.10.2015 zuständig. Dies folgt bereits aus ihrer Zuständigkeit als zweitangegangener Rehabilitationsträger. Denn § 14 SGB IX betrifft auch die sachliche Zuständigkeit (vgl. nur Ulrich, a.a.O., § 14 SGB IX, Rn. 45), womit der Beklagten als zweitangegangener Träger eine nochmalige Weiterleitung des Antrags an den überörtlichen Träger nicht möglich gewesen wäre. Zwar hatte die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 als unzuständige Widerspruchsbehörde entschieden (§ 85 Abs. 2 SGG, § 3 SGB XII), womit der ursprüngliche Widerspruchsbescheid formell rechtswidrig war. Nach Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2016 hat dann der Landschaftsverband R. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2019 den Widerspruch vom 20.11.2015 gegen den Bescheid vom 16.10.2015 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs. 2 SGB XII) als unbegründet zurückgewiesen.
2. Gem. § 14 SGB Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. IX stellt der Rehabilitationsträger dann, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller (Satz 2). § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestimmt weiter, dass wenn der Antrag nicht weitergeleitet wird, der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente zur Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX unverzüglich und umfassend feststellt und die Leistungen erbringt (leistender Rehabilitationsträger). Nach Satz 4 gilt dies, wenn der Antrag weitergeleitet wird, für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend. Der zweitangegangene Rehabilitationsträger darf den Antrag nicht ein zweites Mal weiterleiten, sondern muss einen Bescheid erteilen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007, NZS 2008, 436 (437)). Die Beklagte ist als Rehabilitationsträger gem. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX a.F. ("Träger der Sozialhilfe") bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 7 in der seit dem 01.01.2018 geltenden Fassung ("Träger der Eingliederungshilfe") an die Weiterleitung des Antrags durch die beigeladene Krankenkasse gebunden. Die Beklagte kann demnach im Verhältnis zum Kläger nicht einwenden, dass nicht sie, sondern die beigeladene Krankenkasse zuständig sei. In diesem Fall ist die Beklagte gehalten, gegenüber der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch auf Grundlage des § 16 SGB IX geltend zu machen. Die Weiterleitung des Antrags vom 22.09.2015 durch die Beigeladene erfolgte mit Schreiben vom 29.09.2015 auch binnen der Zweiwochenfrist, denn maßgeblich kommt es auf die Absendung des Antrags durch die Beigeladene an und nicht darauf, wann der Antrag bei der Beklagten eingegangen ist (vgl. Ulrich, a.a.O., Rn. 72, m.w.N.).
Grundsätzlich muss der zweitangegangene Rehabilitationsträger über den Antrag abschließend nach dem materiell zutreffenden Recht ohne Beschränkung auf "sein" Leistungsrecht entscheiden und den Antrag umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen hin prüfen (vgl. Ulrich, a.a.O., § 14 SGB IX, Rn. 104), wobei vorliegend eine Leistungsgewährung als Leistung der medizinischen Rehabilitation oder als Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft (§ 5 Nr. 1 bzw. Nr. 4 SGB IX a.F.) im Raum stand.
Zur Überzeugung der Kammer besteht ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Rollfiets als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft, mithin als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII. Auf den allein im Rahmen des § 33 SGB V interessierenden Umstand, dass es sich bei dem Rollfiets um einen sog. mittelbaren Behinderungsausgleich handelt (vgl. dazu etwa instruktiv: Sommer, in: Sommer (Stand: 27.02.2018), § 33 SGB V, Rn. 10b ff.) und der sich aus dieser Erkenntnis ergebenen Frage, ob das Grundbedürfnis des Klägers an Mobilität bereits mit der Versorgung durch die Beigeladene mit einem Rollstuhl gedeckt ist, kommt es bei der Gewährung des Hilfsmittels als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nicht an. Denn eine zwischen der von der Rechtsprechung zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu § 33 SGB V entwickelte Differenzierung zwischen einem mittelbaren und unmittelbarem Behinderungsausgleich ist den Vorschriften des § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sowie des § 9 EinglHV fremd. Relevanz gewinnt die derzeitige Versorgung des Klägers allerdings im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit i.S.d § 4 Abs. 1 SGB IX (dazu sogleich unter II., 3., b), ee) der Entscheidungsgründe). Denn eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets wäre dann nicht notwendig, wenn der entsprechende Bedarf bereits aufgrund der durch die Beigeladene erfolgten Versorgung gedeckt wäre.
3. Gem. § 19 Abs. 3 SGB XII werden Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Zunächst liegen bei dem Kläger die personen- sowie die leistungsbezogenen Voraussetzungen vor.
a) Gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten (Satz 2). Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (Satz 2).
Bei dem Merkmal der Wesentlichkeit der Teilhabebeeinträchtigung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln ist. Ausgehend von der besonderen Aufgabe der Eingliederungshilfe (§ 53 Abs. 3 SGB XII) ist eine Teilhabebeeinträchtigung infolge einer Behinderung dann wesentlich, wenn sie die Gefahr in sich birgt, dass der behinderte Mensch durch sie aus der Gesellschaft ausgegliedert wird oder durch sie bereits ausgegliedert ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.08.2010, L 8 SO 143/10 B ER, Rn. 12, m.w.N). Diese personenbezogenen Voraussetzungen liegen bei dem Kläger, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, vor. So ist der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen das Gericht folgt, seit der Manifestation der SSPE im Jahr 2011/2012 massiv in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaff teilzuhaben, eingeschränkt. Weiterhin führt der Sachverständige aus, dass die Teilhabe am Arbeitsleben des Klägers, bis zum Eintritt in die Werkstatt für angepasste Arbeit die schulische Teilhabe, durch seine ausgeprägten motorischen Einschränkungen (keine selbständige Fortbewegung, nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten der oberen Extremität, kein selbständiges Sitzen, kein selbständiger Stand) und durch die kognitiven Einschränkungen umfassend beeinträchtigt gewesen sei. Eine eigenständige Körperpflege, eigenständige Toilettengänge sowie eine eigenständige Ernährung seien nicht möglich. Zudem bestünden deutliche kognitive Einschränkungen mit verminderter Kommunikationsfähigkeit und reduziertem Verständnis komplexerer Zusammenhänge. Aufträge könnten oft nicht sofort umgesetzt werden. Die gesellschaftliche Teilhabe sei ebenfalls durch die motorischen Einschränkungen deutlich reduziert. Eine gezielte selbständige Fortbewegung sei dem Kläger außerhalb von Wohnung und Werkstatt auch mit Hilfe eines Elektrorollstuhls nicht ohne eine Hilfsperson möglich. Bei weiteren Strecken sei die Beförderung mit einem Auto notwendig, so dass die Begleitperson über einen Führerschein und ein ausreichend großes Auto verfügen müsse. Auch die reduzierte Kommunikationsfähigkeit führe zu einer hohen Abhängigkeit von einer Hilfsperson außerhalb gewohnter Umgebungen. Die genannten Schwierigkeiten in der Körperpflege und Ernährung beeinträchtigten ebenfalls die gesellschaftliche Teilhabe.
b) Weiterhin liegen die leistungsbezogenen Voraussetzungen vor. Gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe u.a. die in § 55 SGB IX in der am 31.12.2017 geltenden Fassung geregelten Leistungen. Gem. § 55 Abs. 1 SGB IX a.F. werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX a.F. nicht erbracht werden. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sind Leistungen nach Abs. 1 insbesondere die Versorgung mit anderen als den in § 31 SGB IX a.F. genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 SGB IX a.F. genannten Hilfen. § 9 Abs. 1 EinglHV regelt in diesem Zusammenhang weiterhin, dass andere Hilfsmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. nur solche Hilfsmittel sind, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Versorgung mit einem anderen Hilfsmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX a.F. nur gewährt, wenn das Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich und geeignet ist, zu dem in Abs. 1 genannten Ausgleich beizutragen, und wenn der behinderte Mensch das Hilfsmittel bedienen kann.
aa) Unter dem Begriff des Hilfsmittels werden alle Hilfen verstanden, die von dem Leistungsempfänger getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können (vgl. Schütze, in: Hauck/Noftz (Stand 09/01), § 55 SGB IX a.F., Rn. 23). Andere Hilfsmittel oder Hilfen i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F. sind solche, die über eine medizinische oder berufliche Zweckbestimmung hinausreichen und dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen (vgl. etwa Wollschläger, in: Kossens/von der Heide/Maaß, München (2009), § 55 SGB IX a.F., Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen Rehabilitation (§ 31 SGB IX a.F.) und der sozialen Rehabilitation (§ 55 Abs. 2 SGB IX a.F.) dabei nicht am Begriff des Hilfsmittels (etwa im Sinne der Hilfsmittelrichtlinien) selbst vorzunehmen, sondern es ist darauf abzustellen, welche Bedürfnisse mit dem Hilfsmittel befriedigt werden sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel dienen soll (BSG, Urteil vom 19.05.2009, B 8 SO 32/07 R, Rn. 17, m.w.N.). Während Hilfsmittel im Sinne von § 31 SGB IX die Aufgabe haben, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung nur bei den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind, dienen "andere" Hilfsmittel i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX über die Aufgabenbestimmung nach § 31 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung; sie haben die Aufgabe, dem Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben (vgl. § 58 SGB IX a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX a.F.) zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O., m.w.N.).
bb) Von einer Geeignetheit eines Hilfsmittels i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV wird ausgegangen, wenn es objektiv dazu führt, dass die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden, von einer Erforderlichkeit, wenn diese Ziele unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des behinderten Menschen nicht ohne dieses Hilfsmittel erreicht werden können (vgl. Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. (2014), § 9 EinglHV, Rn. 9). Bei den Tatbestandsmerkmalen "erforderlich" und "geeignet" in § 9 Abs. 3 EinglHV handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die eine Wertung durch den Rechtsanwender erlauben und verlangen. Über die Merkmale "erforderlich" und "geeignet" wird mithin eine Auslegung der Vorschrift im Lichte des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-BRK) ermöglicht (vgl. zur Berücksichtigung der Konvention im Rahmen der Auslegung etwa Nieding, in: Rolfs (Hrsg.), 50 Jahre Deutscher Sozialrechtsverband - Inklusion behinderter Menschen als Querschnittsaufgabe, Berlin (2016), S. 77 (S. 89) m.w.N.). Die Auslegung der Merkmale der Erforderlichkeit und der Geeignetheit hat demnach völkerrechtsfreundlich zu erfolgen, so dass die Regelungen der UN-BKR ihre Wirkung entfalten. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei der in Art. 20 UN BRK garantierten Gewährleistung der persönlichen Mobilität zu. Hiernach treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern (a.); den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien und menschlicher und tierischer Hilfe sowie Mittelspersonen erleichtern, auch durch deren Bereitstellung zu erschwinglichen Kosten (b.); Menschen mit Behinderungen und Fachkräften, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, Schulungen in Mobilitätsfertigkeiten anbieten (c.); Hersteller von Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien ermutigen, alle Aspekte der Mobilität für Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen (d.). Aus der Formulierung "größtmögliche Unabhängigkeit" in Art. 20 UN-BRK wird gefolgert, dass die Regelung eine autonome Lebensführung für Menschen mit Behinderung zur Zielsetzung hat. Ein Leben in freier Selbstbestimmung ist angestrebt, ohne dass der Mensch mit Behinderung von dem Wohlwollen anderer Menschen abhängig ist, soweit dies vermeidbar ist (vgl. Kreutz, in: Kreutz/Lachwitz/Trenk-Hinterberger, Köln (2013), Art. 20 UN-BRK, Rn. 2). Für die Auslegung der Merkmale der Erforderlichkeit und der Geeignetheit folgt hieraus, dass diese möglichst so auszulegen sind, dass dem Menschen mit Behinderung im Bereich der Mobilität eine weitgehende autonome Lebensführung gewährt wird.
Nach der Rechtsprechung des BSG, der die Kammer nach eigener Prüfung folgt, ist im Rahmen des § 9 Abs. 3 EinglHV ein individueller und personenzentrierter Maßstab zu Grunde zu legen ("im Einzelfall"), der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG, Urteil vom 02.02.2012, B 8 SO 9/10 R, Rn. 26). In diesem Zusammenhang hat das BSG im Falle einer zwanzigjährigen Klägerin, die ein Zusatzgerät für ein KfZ (§ 9 Abs. 2 Nr. 11 EinglHV) begehrte, ausgeführt, dass bei der Integration in die Gesellschaft darauf zu achten sei, dass gesellschaftliche Kontakte in ausreichendem Umfang gewährleistet seien. Vergleichsmaßstab für den Umfang der gesellschaftlichen Kontakte müssten darüber hinaus gleichaltrige nichtbehinderte Personen sein. Ein Zwanzigjähriger befinde sich in einem Alter, in dem nichtbehinderte Menschen üblicherweise verstärkt gesellschaftliche Aktivitäten entwickelten. Junge Menschen befänden sich in diesem Alter regelmäßig in einer Übergangsphase von der Schulzeit zum Beruf, verbunden mit der Aufrechterhaltung alter und auf der Suche nach neuen dauerhaften Beziehungen. Das BSG hat hervorgehoben, dass dem nicht entgegengehalten werden könne, dass dies zu einer Ungleichbehandlung gegenüber nicht bedürftigen behinderten jungen Menschen führe, u.a. deshalb, weil Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) einen besonderen Förderungsauftrag zugunsten behinderter Menschen enthalte (BSG, Urteil vom 02.02.2012, a.a.O., Rn. 27).
cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben dient das Rollfiets dem Kläger nicht nur einer Erweiterung seiner Mobilitätsmöglichkeiten, sondern ermöglicht ihm insbesondere auch einen Kontakt zu Gleichaltrigen. Insbesondere besteht mit einem Rollfiets die Möglichkeit, Unternehmungen mit Gleichaltrigen außerhalb des elterlichen Haushalts zu tätigen. Somit kann durch das Rollfiets auch dem Aspekt der Verselbstständigung, der in der Altersphase des Klägers eine große Bedeutung erfährt, Rechnung getragen werden. Dass eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets erforderlich und geeignet i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV ist, folgt zur Überzeugung der Kammer auch aufgrund der eingeholten Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie der Ausführungen des gerichtlich beauftragen Sachverständigen, die das Gericht für schlüssig und überzeugen hält. Im Einzelnen:
So ist die den Kläger behandelnde Oberärztin der Klinik für Orthopädie der Uniklinik der RWTH in A., Frau Dr. S., in ihrem Befundbericht vom 18.05.2017 der Auffassung, dass ein Rollfiets geeignet wäre, den erheblich in seiner selbständigen Mobilität eingeschränkten Kläger über mittlere Distanzen, die mit dem Rollstuhl mit Schubfunktion nicht erreichbar seien, zu transportieren. Es würde die Teilhabe am Alltag des Klägers entsprechend erleichtern.
Herr Univ.-Prof. Dr. med. H. ist in seinem Befundbericht vom 27.06.2017 der Auffassung, dass zwar ein Rollfiets keine therapeutische Wirkung auf die Motorik des Klägers habe und eine Fortbewegung nur mit fremder Hilfe und bei langen Strecken nur durch ein Kraftfahrzeug und einen zusätzlichen Rollstuhl erfolgen könne. Für kurze und mittellange Strecken die im Rahmen alltäglicher Aktivitäten anfielen, bei denen der Kläger keine Termine wahrnehmen und kein Gebäude betreten müsse, wäre das Rollfiets geeignet, ebenso wie für Ausflüge. Insbesondere bezüglich der Teilhabe an familiären Aktivitäten und für die Erfahrung von Umwelt und Natur sei das Rollfiets dem Rollstuhl und dem Kraftfahrzeug deutlich überlegen. Daher sei, eine regelmäßige Nutzung vorausgesetzt, insbesondere eine Verbesserung der psychosozialen Situation und der Teilhabe zu erwarten.
Der den Kläger betreuende Physiotherapeut, Herr Z., hat in seinem Befundbericht vom 01.07.2017 angegeben, dass aus physiotherapeutischer Sicht die Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets empfohlen werde. Der Kläger sei ein fahrradbegeisterter Mensch, der durch die Versorgung wieder an Ausflügen mit Freunden und der Familie teilnehmen könne. Dies würde die psychoemotionale Situation des Klägers positiv beeinflussen.
In seinem neuropädiatrischen Gutachten vom 20.03.2018 gelangt der gerichtlich beauftragte Sachverständige, der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Herr Dr. med. D., nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 07.02.2018 zu dem überzeugenden Ergebnis, dass ein Rollfiets für den Kläger eine geeignete Hilfe zur Milderung der Folgen der Behinderung und zur Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe darstelle. Eine selbständige Fortbewegung sei dem Kläger abgesehen von kurzen, ebenen und geraden Strecken in einem Elektrorollstuhl nicht möglich, so dass er bezüglich der Fortbewegung über mittlere Strecken auf eine Hilfsperson angewiesen sei. Neben dem Geschobenwerden durch eine Hilfsperson auf kurzen Strecken und dem Transport im Rollstuhl mit einem Auto stelle das Rollfiets eine Möglichkeit der Fortbewegung über mittlere Strecken mit Hilfe einer Hilfsperson, die keinen Führerschein und kein Fahrzeug besitzen müsse, und an der frischen Luft dar. Eine Beseitigung der Behinderung des Klägers oder eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten würden durch ein Rollfiets nicht erreicht. Es bestehe die Aussicht, dass eine Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft durch das Rollfiets erleichtert werde. Der Kläger habe nach Aussage seiner Eltern ein hohes Interesse an einer Teilnahme an sozialen Unternehmungen von Gleichaltrigen und insbesondere an Aktivitäten seiner Brüder. So stellten ebenso das Dabeisein beim Fußballtraining der Brüder und gemeinsame Einkaufsfahrten als auch gemeinsame Radtouren der Familie ein wichtiges Ziel des Klägers dar. An diesen Aktivitäten habe er bis zu seiner Erkrankung mit großer Motivation und Freude teilgenommen. Nach Angaben seiner Eltern sei der Kläger ein sehr aktiver und kontaktfreudiger Jugendlicher gewesen. Diese Aktivitäten definierten somit für den Kläger die wesentlichen Faktoren einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und würden nicht durch die Tätigkeit in der WfbM kompensiert. Ein Rollfiets böte dem Kläger die Möglichkeit, an diesen Aktivitäten gemeinsam mit Gleichaltrigen und seiner Familie trotz seiner schweren Behinderung weiterhin teilzunehmen. Somit würden dem Kläger durch das Rollfiets die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bezogen auf spezifische Situationen wie gemeinsame Aktionen mit seinen Brüdern und Gleichaltrigen erst ermöglicht und bezogen auf familiäre Aktivitäten erleichtert.
Nach alldem stellt sich das Rollfiets in der von dem Sanitätshaus W. GmbH mit Kostenvoranschlag 22.09.2015 beschriebenen Form als erforderlich und geeignet dar, damit der Kläger die Teilhabeziele des § 55 Abs. 1 SGB IX a.F. verwirklichen kann.
dd) Der Einwand der Beklagten, der Anspruch des Klägers scheitere im Rahmen des § 9 Abs. 3 EinglhHV daran, dass der Kläger das Hilfsmittel nicht bedienen könne, greift nicht durch. So hat der Kläger das Rollfiets bereits getestet. Es geht bei dem Rollfiets auch nicht darum, dass der Kläger etwa das an den Rollstuhl gesteckte Fahrrad selbst fahren können müsste. Denn das Hilfsmittel des Rollfiets ist ja gerade darauf ausgerichtet, dass es stets von zwei Personen bedient wird, nämlich eine Mittelsperson, die das Fahrrad fährt und dem Menschen mit Behinderung, der im angesteckten Rollstuhl sitzt. Ein anderes Verständnis, also dergestalt, dass bei einem entsprechenden Hilfsmittel, das darauf ausgerichtet ist, von zwei Personen bedient zu werden, der Mensch mit Behinderung sowohl seinen, als auch den Teil der Mittelsperson übernehmen können müsste, stünde nach Auffassung der Kammer mit dem Grundrecht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie dem Diskriminierungsverbot in Art. 5 Abs. 2 UN-BRK, das unmittelbare Anwendung findet (vgl. nur BSG, Urteil vom 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, Rn. 29 ff.; vgl. dazu auch Masuch, in: Hohmann-Dennhardt (Hrsg.), Grundrechte und Solidarität, Durchsetzung und Verfahren, Festschrift für Renate Jäger, Kehl am Rhein (2011), S. 245 (S. 262)) sowie mit Art. 20 UN-BRK nicht in Einklang. Das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln, sondern eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, B 8 SO 14/13 R, Rn. 25, m.w.N.).
ee) Bei der Versorgung mit dem Rollfiets handelt es sich auch um eine notwendige Leistung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB IX. Hiernach umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung u.a. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Nr. 1) oder die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern (Nr. 4). Bei der Auslegung des Begriffs der "notwendigen Sozialleistungen" sind, wie bereits im Rahmen der Auslegung der Erforderlichkeit und Geeignetheit i.S.d. § 9 Abs. 3 EinglHV die Wertungen der UN-BKR zu berücksichtigen (dazu oben unter II., 3.), b), bb) der Entscheidungsgründe). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Versorgung des Klägers mit dem Rollfiets als notwendig i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB IX dar.
Die derzeitige Versorgung mit einem Multifunktionsrollstuhl versetzt den Kläger nicht in die Lage, die Teilhabeziele zu verwirklichen. Bei dem Vortrag der Beklagten, Gleichaltrige, die wie der Kläger im Laufe des Klageverfahrens die Volljährigkeit erreicht hätten, verfügten über Kraftfahrzeuge, weshalb es eines Rollfiets nicht bedürfe, ist zunächst eine Behauptung ins Blaue hinein. Selbst wenn Freunde des Klägers über eine Fahrerlaubnis und ein Kraftfahrzeug verfügen würden, wären diese im Zweifel nicht behindertengerecht umgebaut. Das im Besitz der Eltern stehende, behindertengerecht umgebaute Familienfahrzeug muss volljährigen Freunden des Klägers, die über eine Fahrerlaubnis verfügen, nicht zur Verfügung gestellt werden. Das Familienauto stellt insoweit kein bereites Mittel zur Selbsthilfe im Sinne des § 2 SGB XII dar, wobei dieser Vorschrift von vornherein ohnehin keine anspruchsausschließende Wirkung zukommen könnte (vgl. nur BSG, Urteil vom 17.07.2008, B 8 AY 5/07 R, Rn. 14 sowie BSG, Urteil vom 26.08.2008, B 8/9b SO 16/07 R, Rn. 15). Denn der Kläger ist nicht Besitzer des Fahrzeugs und wäre bei einer Nutzung durch seine Freunde auf die Zustimmung seiner Eltern angewiesen. Im Übrigen würde dies den Kläger zur Überzeugung der Kammer in seiner Verselbständigung einschränken. Schließlich kann die Beklagte auch nicht einwenden, eine Versorgung des Klägers mit einem Rollfiets sei unnötig, da er durch andere, kostengünstigere Möglichkeiten in die Gesellschaft eingegliedert werden könne. Die Versorgung mit einem Rollfiets stellt sich nach alledem als angemessen dar, um den Kläger im Rahmen seiner Möglichkeiten ein Gleichziehen mit Gleichaltrigen zu ermöglichen (vgl. zu diesem Aspekt LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.05.2015, B 1 KR 126/12, Rn. 23 ff.).
c) Letztlich liegen auch die einkommens- und vermögenrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung vor. Denn dem Kläger, der ergänzend zu seinem Werkstatteinkommen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezieht, ist die Aufbringung der Mittel zur Anschaffung des Rollfiets aus seinem Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 ff. bzw. §§ 90 ff. SGB XII nicht zuzumuten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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