L 13 R 1149/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4697/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1149/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund des Rentenantrages vom 7. Dezember 2015.

Der geborene Kläger hat eine Lehre als Kfz-Mechaniker durchlaufen und war anschließend in verschiedenen Berufen, zuletzt in der Logistik im Jahre 2015 tätig.

Vom 21. Januar bis 11. Februar 2010 befand sich der Kläger in einem medizinischen stationären Heilverfahren im Gesundheitszentrum B., wo er sich bereits vom 16. Mai bis 4. Juni 2006 in einer Anschluss-Rehabilitation befunden hatte (s. ärztlichen Entlassungsbericht vom 2. Juni 2006). Die behandelnden Ärzte gelangten im ärztlichen Entlassungsbericht vom 10. Februar 2010 zu der Auffassung, dass der Kläger bei einem weiteren komplikationslosen Heilungsverlauf aus orthopädischer Sicht leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Regelmäßige Zwangshaltungen und häufiges Überkopfarbeiten solle vermieden werden.

Am 17. Oktober 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. R., der im Gutachten vom 13. Dezember 2012 zu der Auffassung gelangte, dass der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Zu vermeiden seien häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule. Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 ab. Im Widerspruchsverfahren erfolgte eine Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater B., der im Gutachten vom 22. Mai 2013 ebenfalls für leichte körperliche Tätigkeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen feststellte. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2013 wies die Beklagte den Widerspruch hierauf zurück. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG; S 2 R 3750/13). Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger ein stationäres medizinisches Heilverfahren in der Rehabilitationsklinik B., das vom 3. bis 18. September 2013 stattfand. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 19. September 2013 gelangten die behandelnden Ärzte zu dem Ergebnis, dass der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig verrichten könne. Zu vermeiden seien Arbeiten in gebückten Zwangshaltungen, Heben und Tragen über 5 kg, Zugluft-, Nässe-und Kälteexposition. Bei dem hochgradigen Verdacht der Chronifizierung des Schmerzgeschehens sei eine psychotherapeutische Mitbegutachtung zur abschließenden Leistungsbeurteilung anzustreben. Das SG holte das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. vom 10. März 2014 ein. Der Kläger könne vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten verrichten; zu vermeiden seien Zwangshaltung der Wirbelsäule, häufiges Bücken und Treppensteigen. Das SG holte noch schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte ein. Der Facharzt für Neurologie Dr. G. schloss sich der Leistungsbeurteilung des Dr. B. an. Der Chefarzt der orthopädischen Klinik M. Dr. K. hielt aufgrund des Gesamtbildes das Leistungsvermögen für quantitativ eingeschränkt. Der Orthopäde Dr. P. hielt den Kläger ebenfalls nicht mehr für vollschichtig leistungsfähig. Das SG holte hierauf ein orthopädisches Gutachten von Dr. H. ein. Unter dem 27. Oktober 2014 führte der gerichtliche Sachverständige aus, dass der Kläger in der Lage sei, eine leichte Tätigkeit unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Mit Urteil vom 10. März 2015 wies das SG die Klage ab und stützte sich hierbei auf die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen. Die hiergegen erhobene Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 10 R 1417/15) nahm der Kläger am 9. Juli 2015 zurück, nachdem der behandelnde Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. H. unter dem 6. Juli 2015 keine bleibenden Gesundheitsstörungen mitgeteilt hatte.

Am 7. Dezember 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagte erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Facharzt für Allgemeinmedizin, Sozialmedizin Dr. P. und die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. begutachten. Dr. Paulweber diagnostizierte eine chronische Schmerzstörung mit physischen und psychischen Faktoren, eine somatoforme Schmerzstörung anhaltend bei Funktionsminderung von Hals-und Lendenwirbelsäule und gelangte aus allgemeinmedizinisch-algesiologischer Sicht zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers für leichte Tätigkeiten; zu vermeiden seien Zwangshaltung der Wirbelsäule, Exposition gegen Nässe, Kälte und Zugluft, Tätigkeiten mit erheblichem Zeitdruck und Nachtschicht sowie gefahrgeneigte Tätigkeiten. Dr. E. diagnostizierte eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und querulatorischen Anteilen sowie eine Funktionsminderung von Hals- und Lendenwirbelsäule. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei der Versicherte für leichte Tätigkeiten vollschichtig leistungsfähig; erhöhter Zeitdruck/Akkord seien zu vermeiden. Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 25. Februar 2016 ab. Hiergegen erhob der Kläger am 8. März 2016 Widerspruch. Die Beklagte ließ den Kläger noch durch die Fachärztin für Orthopädie J. begutachten, die unter dem 7. Juni 2016 eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, eine mittelgradige Funktionsminderung von Hals-und Lendenwirbelsäule nach mehreren Operationen sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und querulatorischen Anteilen diagnostizierte und leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig für zumutbar erachtete; zu vermeiden seien Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg, Zwangshaltungen des Rumpfes, Tätigkeiten in Überkopfposition der Arme, Tätigkeiten in Nässe, Kälte oder Zugluft, Tätigkeiten unter Zeitdruck oder in Nachtschicht, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie auf unebenem oder rutschigem Untergrund. Den Widerspruch wies die Beklagte daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2016 zurück.

Am 25. August 2016 hat der Kläger Klage zum SG erhoben, das Unterlagen aus dem Schwerbehindertenverfahren beigezogen und eine Begutachtung durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie - Spezielle Schmerztherapie Dr. E. veranlasst hat. Die gerichtliche Sachverständige hat im Gutachten vom 20. November 2018 angegebene chronische Schmerzen im Bereich von HWS und LWS, eine Entwicklung körperlicher Beschwerden aus psychischen Gründen, Probleme i.V.m. Arbeitslosigkeit, Probleme i.V.m. ökonomischen Verhältnissen sowie fachfremd eine Adipositas und eine arterielle Hypertonie diagnostiziert. Es hätten sich keine sicheren Reflexdifferenzen und keine objektivierbaren Reflexausfälle, die auf eine radikuläre Schädigung im Bereich von HWS oder LWS hinweisen würden, finden lassen. Weder die Sensibilitätsstörungen noch die Kraftprüfungen seien plausibel, auch hier sei keine Dermatom bezogene Zuordnung möglich. Auch die angegebene Kraftminderung sei nicht plausibel. Mit den angegebenen hochgradigen Einschränkungen der Kraft wäre der Versicherte nicht gehfähig; die in der Untersuchung dargebotene Einschränkung des Gehvermögens hätte sich, als sich der Kläger unbeobachtet wähnte, nicht mehr feststellen lassen. Es sei von ganz erheblichen Verdeutlichungstendenzen auszugehen. Die angegebenen Schmerzmittel seien im Spiegel nicht nachweisbar, was ebenfalls die angegebene Schmerzstärke und den damit verbundenen Leidensdruck nicht plausibel erscheinen lasse. Die erhebliche Verdeutlichungshaltung mache es unmöglich, das genaue Ausmaß der Beeinträchtigung festzustellen. Die Diagnose einer anhaltend somatoformen Schmerzstörung bzw. einer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sei nicht zu stellen. Zwar werde vom Kläger ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz angegeben, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig geklärt werden könne, dieser trete aber nicht nachvollziehbar i. V. m. emotionalen oder psychosozialen Problemen auf. Dem Kläger seien leichte, kurzzeitig mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5, kurzzeitig 10 kg, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend, ohne permanente Zwangshaltung, insbesondere ohne permanente Überkopfarbeiten oder Rumpfvorneige vollschichtig möglich. Häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit, Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, insbesondere Kälte und Nässe, seien zu vermeiden. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor. Weitere Begutachtungen seien nicht erforderlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. März 2019 hat das SG die Klage abgewiesen und sich hierbei insbesondere auf das Gutachten der Orthopädin J. sowie der gerichtlichen Sachverständigen Dr. E. gestützt. Wie auch bereits bei Dr. Sch. und Dr. H. habe der Kläger bei der gerichtlichen Sachverständigen Dr. E. eine erhebliche Verdeutlichungstendenz gezeigt. Die gerichtliche Sachverständige Dr. E. habe schlüssig und nachvollziehbar ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen festgestellt, weshalb der Kläger nicht erwerbsgemindert sei.

Gegen den dem Kläger am 22. März 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 3. April 2019 Berufung eingelegt und vorgetragen, aufgrund massiver Ärztefehler sei er gezwungen, zum wiederholten Male eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Dezember 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten sind in dem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 25. September 2019 gehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des SG und LSG ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er nicht erwerbsgemindert ist. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides vom 13. März 2019 zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger beanspruchte Rente wegen Erwerbsminderung- §§ 43, 240 SGB VI - dargetan und ausführlich wie zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung – auch wegen Berufsunfähigkeit – hat, weil er nach zutreffender Würdigung der erhobenen Beweise in der Lage ist, leichte Tätigkeiten bei Beachtung genannter qualitativer Einschränkungen 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Klägers uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die Wegefähigkeit des Klägers nicht rentenrelevant eingeschränkt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist ein Versicherter auch erwerbsgemindert, der unter Verwendung von Hilfsmitteln nicht in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern zurückzulegen oder für 500 Meter mehr als 15 Minuten benötigt und zweimal öffentliche Verkehrsmittel zu den Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. nur BSG, Urteil vom 30. Januar 2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Die gerichtliche Sachverständige Dr. E. hat aber überzeugend dargelegt, dass der Kläger in der Lage ist, diese Wegstrecke in dieser Zeit zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Zwar hat der Kläger bei der Prüfung der Fuß- und Zehenhebung und Zehensenkung nahezu eine Plegie demonstriert, was bedeuten würde, dass beide Füße praktisch auch nicht minimal angehoben oder gesenkt werden können, und eine ausgeprägte Kraftminderung sowohl im Unter-als auch im Oberschenkelbereich gezeigt, so dass der Kläger nicht gehfähig wäre. Diese dargebotenen Einschränkungen des Gehvermögens haben sich aber, als er sich unbeobachtet wähnte, innerhalb der Praxis nicht mehr gezeigt, so dass die gerichtliche Sachverständige auch angesichts fehlender neurologischer Ausfälle und Muskelrückbildung überzeugend von erheblichen Verdeutlichungstendenzen ausgegangen ist. Es liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine schwere spezifische Leistungsminderung vor, da der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten kann, wie zum Beispiel einfache Bürotätigkeiten oder einfache Sortier-, Montier- oder Verpackungstätigkeiten mit leichten Industrie-und Handelsprodukten (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 1999, B 5 RJ 30/98, juris), weshalb sich mögliche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes beschreiben lassen und eine Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in juris; a. A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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