L 12 AS 2681/19 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2482/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2681/19 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 02.07.2019 – S 13 AS 2482/18 – wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerde des Beklagten richtet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 02.07.2019 (S 13 AS 2482/18). Im erstinstanzlichen Verfahren haben die Beteiligten über die Übernahme der Kosten für eine Monatskarte des öffentlichen Nahverkehrs (Regiokarte) gestritten.

Die 1988 geborene Klägerin, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, stand u.a. in der Zeit vom 01.03.2018 bis 28.02.2019 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für diesen Zeitraum bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 16.01.2018 (Bl. 657) laufende Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 846,00 EUR. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch (Bl. 676), mit dem die Klägerin einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung sowie die Kosten für eine Regiokarte geltend machte, bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 22.03.2018 (Bl.6) für den Zeitraum vom 01.03.2018 bis 28.02.2019 Leistungen in Höhe von 887,60 EUR unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs von 10% des Regelbedarfs für die durch ärztliches Attest nachgewiesene MS-Erkrankung. Nachdem der Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 30.04.2018, Bl. 20), hat die Klägerin Klage zum SG erhoben und dabei die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 01.03.2018 bis 28.02.2019 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 55,00 EUR monatlich für die Regiokarte begehrt.

Mit Urteil vom 02.07.2019 hat das SG der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II in Höhe der Regiokarte, da sie zweimal im Monat ihren Hausarzt sowie ihre Psychologin und wöchentlich ihren Physiotherapeuten mit Hilfe von öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen müsse. Die chronische Erkrankung erfordere Arztbesuche in dieser Häufigkeit und Regelmäßigkeit; Entsprechendes gelte auch für die Physiotherapietermine, welche jeweils ärztlich verordnet worden seien. Es handle sich um einen unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf, der den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Fahrtkosten deutlich überschreite. Eine Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheide aus. Insbesondere sei die Klägerin nicht auf Leistungen ihrer Krankenkasse nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu verweisen. Die Beförderungskosten zur ambulanten Behandlung könnten nach den einschlägigen Vorschriften (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i.V.m. §§ 3, 8 der Richtlinie) nur übernommen werden, wenn die Beförderung selbst aufgrund besonderer medizinischer Umstände und der Schwere der Krankheit bzw. des Krankheitsverlaufs und der mit der Behandlung einhergehenden gesundheitlichen Belastung nötig sei (z.B. Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie oder Chemotherapie). Es genüge nicht, dass die Beförderung erforderlich sei, um zu einer Behandlung zu gelangen. Im Grunde seien damit reine Beförderungen zur ambulanten Therapie vom System des SGB V nicht erfasst und stünden einem Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht entgegen. Einsparmöglichkeiten seitens der Klägerin im Rahmen des Regelbedarfs seien nicht vorhanden.

Gegen das dem Beklagten am 12.07.2019 zugestellte Urteil richtet sich seine am 09.08.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde. Er ist der Auffassung, dass das Urteil des SG hinsichtlich der Urteilsbegründung von Entscheidungen des Sächsischen LSG (Beschluss vom 25.09.2013, L 7 AS 83/12 NZB, Urteil vom 19.01.2012, L 3 AS 39/10) und des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 29.11.2011, L 7 AS 1442/10) abweiche. Diese hätten bereits entschieden, dass für die Gewährung von Fahrtkosten zu Arztbesuchen aufgrund einer chronischen Erkrankung im SGB II keine Rechtsgrundlage existiere. Auch liege eine Abweichung vom Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.05.2011 (B 14 AS 146/10 R) vor. Dort sei für den Bereich der Krankenbehandlung entschieden worden, dass der Träger der Grundsicherung ohne weitere Ermittlung davon ausgehen könne, dass grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden würden.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Nichtzulassungsbeschwerde sei zurückzuweisen.

II.

Die statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der ausdrücklichen Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die – wie hier – eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigen. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als 1 Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nach Prüfung durch den Senat ergibt sich ein Wert des Beschwerdegegenstandes von unter 750,00 EUR, Streitgegenstand sind vorliegend Mehrleistungen an die Klägerin für die Regiokarte in Höhe von monatlich 55,00 EUR, sodass sich ein Beschwerdewert von 660,00 EUR errechnet. Damit ist die Berufungssumme nicht erreicht. Die Berufung bedurfte somit der ausdrücklichen Zulassung, die vom SG nicht ausgesprochen wurde.

Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2), oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Soweit eine Abweichung zur Rechtsprechung des LSG Sachsen sowie des LSG Niedersachsen-Bremen geltend gemacht wird, wird keine Abweichung von einer Entscheidung des Berufungsgerichts (also des LSG Baden-Württemberg), sondern eines anderen LSG gerügt, was jedoch nicht ausreichend ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 SGG, Rn 30).

Es liegt aber auch keine Divergenz zur Entscheidung des BSG vom 26.05.2011 (a.a.O) vor. Eine Divergenz setzt voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung des BSG zu entnehmender Rechtssatz nicht übereinstimmen (Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 13). Hierfür ist es erforderlich, die Aussage der in Bezug genommenen Entscheidung (hier des Urteils des BSG vom 26.05.2011) der tragenden rechtlichen Aussage des SG (hier des angefochtenen Urteils vom 02.07.2019) gegenüberzustellen (vgl. BSG, Beschluss vom 20.09.2001, B 11 AL 135/01 B, juris). Nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz und nicht ein Rechtsirrtum, wie z.B. ein Missverstehen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, eine fehlerhafte Subsumtion oder eine insgesamt unzutreffende Beurteilung.

Vorauszuschicken ist, dass das zitierte Urteil des BSG vor Inkrafttreten der Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II ergangen ist, allerdings die Voraussetzungen für eine Härteleistung auf der Grundlage von § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch SGB XII – wie vom BSG betont wird – keine anderen waren (BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 6/13, juris).

Die vom Beklagten angefochtene erstinstanzliche Entscheidung weicht nicht von der Entscheidung des BSG vom 26.05.2011 (a.a.O.) ab. Das SG hat den Anspruch auf einen Mehrbedarf gemäß den Vorgaben des BSG geprüft. Im Einzelnen hat es geprüft, ob es sich bei den Fahrtkosten zu Physiotherapie- und Arztterminen um einen unabweisbaren, laufenden besonderen Bedarf handelt, der nicht durch das System des SGB V oder durch die Regelleistung abgedeckt werden kann. Die Entscheidung, ob diese Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, ist eine Frage, die die Richtigkeit der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall betrifft und deshalb nicht geeignet, eine Divergenz zu begründen. Damit ist es in Bezug auf eine Divergenz unbeachtlich, ob die Rechtsauffassung des SG, das Krankenversicherungsrecht sehe die Übernahme der hier streitgegenständlichen reinen (d.h. nicht medizinisch indizierten) Beförderungskosten zu ambulanten Behandlungen Therapien (wie z.B. bei Dialysebehandlungen, onkologischer Strahlen- oder Chemotherapie) nicht vor und die geltend gemachten Fahrtkosten würden den in der Regelleistung hierfür enthaltenen Betrag übersteigen, mit der Folge, dass die Klägerin Anspruch auf einen Mehrbedarf in Höhe der Kosten für eine Regiokarte hat, zutreffend ist.

Soweit der Beklagte gestützt auf das Urteil des BSG vom 26.05.2011 (a.a.O) ferner geltend macht, es hätte der Klägerin oblegen, mit der Krankenkasse in Verbindung zu treten, um eine ausreichende Versorgung im Krankenversicherungssystem zu reklamieren, formuliert er bereits keinen Rechtssatz von dem das SG abgewichen wäre. Selbst wenn es sich um einen Rechtssatz handeln würde, würde keine Divergenz vorliegen. Denn für eine Abweichung reicht es nicht aus, wenn ein Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewendet worden ist. Voraussetzung ist vielmehr, dass dem Rechtssatz tatsächlich widersprochen, sprich also ein anderer Rechtssatz aufgestellt und zur Anwendung gebracht worden wäre. Einen solchen abweichenden Rechtssatz ist dem beanstandeten Urteil des SG nicht zu entnehmen.

Eine Divergenz liegt auch nicht deshalb vor, weil das BSG in seiner Entscheidung vom 26.05.2011 (a.a.O.) ausgeführt hat, die Kosten einer Krankenbehandlung seien bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung abgedeckt, weshalb grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden würden. Auch insoweit hat das SG keinen entgegenstehenden Rechtssatz formuliert. Im Ergebnis rügt der Beklagte die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung, die jedoch im Rahmen der Divergenz nicht überprüft wird.

Weiter kann aus dem Vortrag des Beklagten auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht abgeleitet werden. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Das BSG hat die aufgeworfene Fragestellung in seiner Entscheidung vom 26.05.2011 geklärt.

Es liegt auch kein Zulassungsgrund gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Weder ist ein Verfahrensfehler ersichtlich, noch hat der Beklagte einen solchen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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