Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2470/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1717/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.04.2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 17.05.1973 geborene Kläger hat den Beruf des Malers und Lackierers erlernt und arbeitete mit Unterbrechungen bis zum April 2012 in diesem Beruf. Anschließend war er vom 21.08.2012 bis zum 30.11.2012 als Taxifahrer beschäftigt und ist seitdem arbeitslos. Seit 01.01.2013 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitslosengeld II). Am 17.01.2013 erlitt er einen privaten Unfall und zog sich beidseitige Knieverletzungen sowie einen linksseitigen Bruch des oberen Sprunggelenkes zu. Er verfügt über einen Grad der Behinderung (GdB) von 40; diesbezüglich ist ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) anhängig (S 9 SB 2141/19).
Am 15.04.2014 stellte er einen ersten Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, den die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin W. mit Bescheid vom 26.09.2014 ablehnte. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.12.2014). Im sich anschließenden Klageverfahren vor dem SG (S 9 R 87/15) befragte das Gericht zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers und veranlasste im Anschluss eine Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. K., der in seinem Gutachten vom 11.11.2015 folgende Diagnosen stellte: chronifiziertes Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom mit Bandscheibenvorfällen im Segment L 3/4 und L 4/5 ohne Anhalt von Nervenwurzelreizzeichen, beginnende degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen beidseits, posttraumatische Gonarthrose rechts, beginnende Gonarthrose links nach Weichteilverletzung im Rahmen eines Polytraumas am 17.01.2013, deutliche Restbeschwerdesymptomatik linkes Sprunggelenk mit posttraumatischer Bewegungseinschränkung, degenerativen Veränderungen linkes Sprunggelenk und Teillähmung des rechten Fußes sowie Missempfindungen als Folge eines Polytraumas am 17.01.2013, Hohl-Spreizfüße beidseits, degenerative Veränderungen beider Großzehengrundgelenke, Ausschluss höhergradiger Schultergelenksschaden sowie Ellenbogengelenksschaden, degenerative Veränderungen beider Handgelenke und der speichenseitigen Handwurzelgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen, Hinweise für das Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis mit Erstmanifestation ca 2002 und Erstdiagnose 2009 mit entsprechender regelmäßiger antirheumatischer Medikation. Der Kläger sei mit Sicherheit noch in der Lage, unter Beachtung näher aufgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich einer Beschäftigung nachzugehen. Im Hinblick hierauf nahm der Kläger am 04.02.2016 die Klage zurück.
Am 28.03.2017 stellte er bei der Beklagten einen neuen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Nachdem der sozialmedizinische Dienst in einer Stellungnahme vom 21.06.2017 unter Auflistung der Diagnosen leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegend im Sitzen und unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen in einem Umfang von sechs Stunden und mehr für möglich gehalten hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.06.2017 den Antrag ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten verschlechtert. Er könne weder eine sitzende noch stehende Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich ausüben. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch die Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S., die in ihrem Gutachten vom 16.03.2018 zu folgenden Diagnosen kam: (1) Minderbelastbarkeit beider Kniegelenke und des linken Sprunggelenks mit Restbeschwerden nach privatem Verkehrsunfall 01/2013 mit operierten Brüchen des linken Sprunggelenks, des rechten Schienbeinkopfes und Decollement-Verletzung linkes Kniegelenk mit Penetration ins Kniegelenk und Einriss des Retinakulum medialis, Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks; (2) Weitgehend unbehandelte, histologisch seit 06/2009 gesicherte Gicht bei Übergewicht und zeitweisem schädlichen Gebrauch von Alkohol; (3) Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L3/4 und L4/5 ohne neurologisches Funktionsdefizit; (4) Degenerative Veränderungen beider Handgelenke und der speichenseitigen Handwurzelgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen. Leichte Minusvariante der linken Elle mit zeitweiliger Reizerscheinung am linken Handgelenk; (5) Missbrauch opioidhaltiger Schmerzmittel; (6) Kein Anhalt für das Vorliegen einer rheumatischen Arthritis. Kein Anhalt für das Vorliegen einer Schuppenflechte; (7) Nebendiagnosen: Hohl-Spreizfüße beidseits mit degenerativen Veränderungen beider Großzehengrundgelenke. Der Kläger sei in der Lage, bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten im überwiegenden Sitzen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Als Maler und Lackierer sei der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers daraufhin zurück.
Hiergegen richtet sich die am 16.10.2018 beim SG erhobene Klage. Der Kläger könne keine sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, weshalb jedenfalls Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehe. Die im Widerspruchsbescheid genannten Gesundheitsstörungen seien in ihren Auswirkungen nur unzureichend berücksichtigt. Nicht ausreichend gewürdigt seien die Schmerzsymptomatik sowie die beim Kläger vorhandenen Dauerschmerzen. Die Behandlung in der Schmerzklinik M. habe nur zu einer minimalen und vorübergehenden Besserung geführt, weshalb die Schmerzen als dauerhafte Gesundheitsstörung anzusehen und zu berücksichtigen seien.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt. Der leitende Oberarzt T. von der A.-Klinik M. (Klinik für Anästhesiologie) hat mit Schreiben vom 01.12.2018 mitgeteilt, der Kläger habe sich vom 17.11.2017 bis 24.11.2017 in stationärer Behandlung befunden und sei anschließend ambulant in der Schmerzambulanz behandelt worden. Im Hinblick auf die chronischen Schmerzen des Klägers sei dieser nicht imstande, selbst leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten. Es liege ein Opiatübergebrauch vor. In ihrer Stellungnahme vom 14.12.2018 hat die Fachärztin für Orthopädie Dr. M. dargelegt, die Schmerzen zeigten sich progredient, Schmerzmedikation führe nicht zur Besserung. Eine Aussage zum beruflichen Leistungsvermögen sei nicht möglich. Die Allgemeinärztin F. hat unter dem 18.12.2018 mitgeteilt, der Kläger leide unter einer progredienten Chronifizierung seiner Schmerzerkrankung. Die körperlichen Diagnosen bestünden unverändert fort, doch sei psychisch im Verlauf der Behandlung ein Fortschreiten der Schmerzverarbeitungsstörung zu verzeichnen. Der Kläger sei weder körperlich noch psychisch in der Lage, in einem Umfang von sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Anschließend hat das SG eine Begutachtung durch den Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. S. veranlasst, der in seinem Gutachten vom 14.05.2019 nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende Diagnosen gestellt hat: (1) Chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren; (2) Neuropathisches Schmerzsyndrom linkes Bein bei Peroneusschädigung und posttraumatischer Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes; (3) Unspezifischer Rückenschmerz; (4) Hallux valgus rechts. Der Kläger sei in der Lage, in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zu vermeiden seien schwere und überwiegend mittelschwere Tätigkeiten, Schichttätigkeiten, überwiegend stehende und gehende Tätigkeiten, das regelmäßige Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in monotonen Körperhaltungen und Zwangshaltungen, mit besonderer Verantwortung sowie unter besonderen klimatischen Beanspruchungen. Die quantitative Leistungsminderung werde vorrangig durch die chronische Schmerzstörung begründet. Bei Zweifeln an den getroffenen Feststellungen und der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werde die Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens empfohlen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28.07.2019 hat Dr. S. sich mit Einwendungen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten vom 04.06.2019 auseinandergesetzt und an seiner Einschätzung festgehalten. Eine Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet zur weiteren Abklärung könne zielführend sein.
Das SG hat daraufhin den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr S. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens betraut, der darin nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende Diagnosen gestellt hat (Gutachten vom 16.01.2020): (1) Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden; (2) Leichte somatische Belastungsstörung mit überwiegendem Schmerz; (3) Früher seronegative rheumatische Arthritis sowie Arthritis psoriatica. Der Kläger sei nach wie vor in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Es bestünden keine schwereren und therapieresistenten psychischen Funktionsstörungen, die einer regelmäßigen Leistungserbringung im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich entgegenstünden. Zu vermeiden seien Arbeiten mit Griffnähe zu abhängig machenden Substanzen, Schichtarbeiten, Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Arbeiten mit besonderer Verantwortung und geistiger Beanspruchung.
Hierzu hat der Kläger eingewandt, er könne keine 2 km am Stück zurücklegen bzw keine Gehdauer von einer halben Stunde bewältigen, die chronische Schmerzstörung mit psychischen und physischen Faktoren sei nicht berücksichtigt worden, es liege eine komplexe Multimorbidität vor, die mit einem GdB von 40 nicht ausreichend berücksichtigt sei, und er sei bei Schmerzschüben äußerst hilflos. Die Akte zum Verfahren S 9 SB 2141/19 sei beizuziehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.04.2020 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger könne nach wie vor Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten. Im Rahmen der Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. seien keine schwerwiegenden und dauerhaft anzusehenden psychischen Funktionsstörungen nachzuweisen gewesen, die eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens begründen könnten. Führender Befund sei die beim Kläger im Vordergrund stehende Schmerzsymptomatik. Auch bei einer Schmerzerkrankung könnten für die Beurteilung von Leistungseinschränkungen als Basis der Feststellung einer Erwerbsminderung nur objektive bzw objektivierbare Kriterien herangezogen werden, weshalb die subjektive Einschätzung des betroffenen Versicherten zum Umfang und zur Intensität der Schmerzen keinesfalls ausreiche. Sozialmedizinisch sei die Schmerzstörung nicht losgelöst von der beim Kläger vorliegenden Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden zu beurteilen. Insoweit ließen weder die Anzahl noch die Dosierung der eingenommenen psychotropen Substanzen einen Rückschluss auf die tatsächliche Schmerzintensität zu. Der Kläger habe im Rahmen der Begutachtung – trotz aggravierend wirkender Schmerzangaben - zu keinem Zeitpunkt schmerzgeplagt oder leidend gewirkt. Schließlich sei bei dem Krankheitsbild des Klägers - ungeachtet seiner diagnostischen Klassifizierung – zu berücksichtigen, dass für die Feststellung einer hierauf gestützten Erwerbsminderung feststehen müsse, dass alle Behandlungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft seien. Sozialmedizinisch könne von einer Leistungsminderung grundsätzlich erst dann ausgegangen werden, wenn als therapieresistent anzusehende schwere Funktionsstörungen festzustellen seien, die sich auf die für eine Leistungserbringung relevanten Funktionsbereiche bezögen. Um Funktionsstörungen in diesem Sinne als therapieresistent einzustufen, müssten die ambulanten und stationären Behandlungsmöglichkeiten erfolglos verlaufen sein. Unter Beachtung dieser Vorgaben seien beim Kläger sowohl die somatische Belastungsstörung als auch die Suchterkrankung vollkommen unbehandelt. Der Kläger stehe in keiner fachpsychiatrischen Behandlung. Entgegen der ausdrücklichen und mehrfach ausgesprochenen Empfehlung des Dr. T. sei eine verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Psychotherapie (Schmerzbewältigungstherapie) vom Kläger bislang nicht eingeleitet worden. Die ambulanten Vorstellungen in der Schmerzambulanz wiesen Abstände von zum Teil mehreren Monaten auf. Eine multimodal ausgerichtete Schmerztherapie im stationären Rahmen sei letztmalig im Jahr 2017 in Anspruch genommen worden. Das therapeutische Vorgehen beschränke sich im Wesentlichen auf eine anästhesiologische Behandlung mit der parallelen Einnahme sieben verschiedener psychotrop wirksamer Substanzen. Hinzu komme - zumindest an den Wochenenden - der zusätzliche Konsum von Alkohol. Eine ärztlich überwachte Schmerzmitteleinnahme scheine nicht länger gewährleistet zu sein. Die bereits in hoher Dosierung schmerztherapeutisch verordneten Präparate (ua Dronabinol und Methadon) würden vom Kläger weit über die Verordnungsmenge hinaus in nicht mehr therapeutischen und teils toxischen Dosen eigenmächtig eingenommen.
Schließlich führten auch die übrigen Beschwerden zu keinem Rentenanspruch. Den Einschränkungen auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebebiet sei durch die Begrenzung auf körperlich leichte Tätigkeiten im überwiegenden Sitzen in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in monotonen Körper- und Zwangshaltungen, Arbeiten mit besonderer Verantwortung sowie mit Exposition von Kälte und Nässe. Der Kläger sei nach sämtlichen gutachtlichen Feststellungen in der Lage, die sozialmedizinisch relevanten Gehstrecken zum Erreichen eines Arbeitsplatzes zurückzulegen. Die von Dr. S. getroffene Leistungseinschätzung gehe auf die (fachfremde) Annahme einer somatoformen Schmerzstörung sowie einer Nervenschädigung am linken Bein mit neuropathischen Schmerzen zurück. Beide Diagnosen seien nach den für das Gericht überzeugenden Ausführungen des Dr. S. fachärztlich nicht nachzuvollziehen. Entscheidend für die abweichende Leistungsbeurteilung sei maßgebend der Umstand, dass aus einem weitgehend unbehandelten Störungsbild keine quantitative Leistungsminderung resultiere. Für das Vorliegen einer (aktiven) rheumatoiden Arthritis sowie einer Schuppenflechte ergäben sich im Rahmen der Begutachtung im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte.
Gegen den ihm am 04.05.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.05.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt mit der Begründung, das unfallchirurgische/orthopädische Gutachten des Dr. S. vom 14.05.2019 gelange zu dem ausführlich hergeleiteten Ergebnis, dass dem Kläger nur weniger als sechs Stunden Erwerbstätigkeit arbeitstäglich möglich seien. Der Gutachter Dr. S. verteidige dieses Ergebnis auf seinem Fachgebiet ausdrücklich mit der Ergänzung vom 28.07.2019 gegen den Vorhalt der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. E ... Bemerkenswert sei nun die Vorgehensweise im Gerichtsgutachten des Dr. S., welcher die Leistungseinschätzung von Dr. S. als fachfremd qualifiziere und gleichzeitig (!) meine, bezogen auf das orthopädische Fachgebiet des Dr. S. feststellen zu können, dass "sicher von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen" sei. Nach diesseitiger Auffassung disqualifiziere sich das Gerichtsgutachten des Dr. S. damit selbst, weshalb es auch nicht als Grundlage für eine objektive Entscheidung dienen könne. Es stehe vor allem aber auch im Widerspruch zu den schriftlichen Vernehmungen der den Kläger seit vielen Jahren behandelnden Fachärzte und der Hausärztin. Hieraus ergebe sich - entgegen der unter allen vorliegend beteiligten Ärzten singulären Auffassung des Dr. S. -, dass der Kläger in Wirklichkeit austherapiert sei. Es werde angeregt, ein Obergutachten einzuholen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.04.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2018 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.03.2017 nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise ein weiteres Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Amts wegen einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme der Dr. E. verwiesen, die sich den Ausführungen des Dr. S. angeschlossen hat.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der SG-Akte im Rechtsstreit S 9 R 87/15 Bezug genommen. Weiterhin hat der Senat die Akte S 9 SB 2141/19 samt dazugehöriger Akte des Landratsamts R. zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.
Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Vorliegend steht für den Senat fest, dass der Kläger bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch über ein Leistungsvermögen in einem Umfang von mehr als sechs Stunden täglich verfügt. Hierbei stützt sich der Senat zum einen auf das im Verfahren S 9 R 87/15 eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 11.11.2015 und das im Wege des Urkundenbeweises zu verwertende Gutachten der Dr. S. vom 16.03.2018, zum anderen auf das Gutachten des Dr. S. vom 16.01.2020 und – mit Ausnahme seiner Schlussfolgerung – die Ausführungen des Dr. S. in seinem Gutachten vom 14.05.2019.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers liegt auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet. In orthopädischer Hinsicht leidet der Kläger zum einen unter einer Minderbelastbarkeit beider Kniegelenke sowie des linken Sprunggelenkes. Dies folgt aus dem im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Gutachten der Dr. S. und ergibt sich auch aus dem im Verfahren S 9 R 87/15 eingeholten Gutachten des Dr. K ... Dr. S. konnte demgegenüber angesichts muskulärer Gegenspannung bzw geäußerter Berührungsschmerzen sowohl das linke Knie als auch das linke Sprunggelenk nur eingeschränkt untersuchen. Zum anderen bestehen Rückenbeschwerden, die von Dr. S. im Gutachten vom 14.05.2019 als unspezifische Rückenschmerzen und im Gutachten der Dr. S. als Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen beschrieben werden. Degenerative Veränderungen beider Handgelenke bzw Handwurzelgelenke, wie Dr. S. sie erwähnt, sind von untergeordneter Bedeutung, da laut Dr. S. freie Beweglichkeit bestand und auch Dr. S. die Streckung der Langfinger als beidseits frei sowie den Faustschluss beidseits als normal beschrieb.
Die Knie-, Sprunggelenks- und Rückenerkrankungen führen zwar zu qualitativen Leistungseinschränkungen insofern, als der Kläger - wie Dr. S. nachvollziehbar dargelegt - wegen der Knie- und Sprunggelenksbeschwerden keine überwiegend stehenden und gehenden Tätigkeiten mehr verrichten kann und die Rückenschmerzen das regelmäßige Heben und Tragen schwerer Lasten nicht erlauben. Überzeugend schloss Dr. S. zudem häufiges Bücken, Knien und Hocken ebenso aus wie das Ersteigen von Leitern und Gerüsten sowie eine Exposition gegen Kälte und Nässe. Auch sind monotone Körperhaltungen sowie Zwangshaltungen nicht mehr möglich, wie Dr. S. nachvollziehbar ausgeführt hat. Zu einer quantitativen Leistungsminderung führen die orthopädischen Einschränkungen nach Überzeugung des Senats indes nicht.
Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend kamen weder Dr. K. noch Dr. S. und auch nicht Dr. S. zu dem Ergebnis, dass die orthopädischen Erkrankungen als solche das Leistungsvermögen des Klägers zeitlich eingrenzen. Dr. K. konnte keine erhebliche Wirbelsäulenverkrümmung, sondern lediglich eine leichte Wirbelsäulenfehlhaltung feststellen ohne echte Nervenwurzelreizzeichen. Die radiologischen Aufnahmen zeigten nur degenerative Veränderungen in mäßiger Ausprägung. Insofern stufte Dr. K. die Rückenbeschwerden nicht als so gravierend ein, dass sie zu einer Limitierung des Leistungsvermögens führten. Gleiches gilt für die Beschwerden an den Knien und Sprunggelenken. Zum selben Ergebnis kam auch Dr. S., die im Bereich der Wirbelsäule nur mäßiggradige paravertebrale Muskelverspannungen ohne tastbare Myogelosen beschrieb. Die Seitneigung sowie die Rotation der Rumpfwirbelsäule waren frei mit auch freier Entfaltbarkeit der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte, ohne dass Schmerzen angegeben wurden. Zwar wurden beim Nachvornbeugen Schmerzen geäußert, doch bestand hier eine deutliche Diskrepanz zum Bewegungsumfang beim An- und Ausziehen insofern, als dem Kläger zuvor das Entkleiden zügig ohne erkennbare Bewegungseinschränkungen und ohne Schmerzäußerungen gelungen war, die Hose im Einbeinstand aus- und wieder angezogen und auch die Socken im Sitzen aus- und angezogen wurden. Beim Schuheanziehen bückte sich der Kläger mit den Händen bis zu den Schuhen hinunter, ohne einen Schuhlöffel zu benötigen. Hinsichtlich der Knie beschrieb Dr. S. zwar einen Druckschmerz rechts über dem lateralen Gelenkspalt und links über dem medialen Gelenkspalt und war die Beugung links leicht eingeschränkt und beidseitig endgradig schmerzhaft, doch lässt sich damit ebenfalls keine zeitliche Leistungslimitierung begründen. Gleiches gilt für die Beschwerden an den Sprunggelenken in Form eines Druckschmerzes links und eingeschränkter Beweglichkeit, zumal der Kläger ein flüssiges und raumgreifendes Gangbild zeigte. Auch Dr. S. begründete die quantitative Leistungsminderung nicht mit orthopädischen Einschränkungen. Er fand eine weitgehend normale Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule ohne muskuläre Verhärtungen paravertebral. Dementsprechend zeigte sich radiologisch das knöcherne Signal regelrecht ohne Einengungen der nervalen Strukturen und Fehlstellung. Die vom Kläger geäußerten Rückenschmerzen ließen sich daher somatisch nicht erklären. Insbesondere konnte Dr. S. zuletzt nicht einmal die Diagnose einer Bandscheibenerkrankung bei L3/L4 oder L4/L 5 bzw einer Spinalkanalstenose L3 – L5 stellen. Auch aus den orthopädisch begründeten Beschwerden an Knien und Sprunggelenken folgerte Dr. S. keine quantitative Leistungsminderung.
Eine solche zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens lässt sich entgegen der Einschätzung des Dr. S. aber auch nicht mit Diagnosen auf nervenärztlichem Fachgebiet begründen. Hier leidet der Kläger unter eine Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden sowie einer leichten somatischen Belastungsstörung mit überwiegendem Schmerz. Dies folgert der Senat aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Dr. S ... Anders als von Dr. S. fachfremd angenommen, konnte Dr. S. keine funktionsrelevanten neurologischen Funktionsausfälle feststellen, insbesondere keine Paresen. Aber auch neuropathische Schmerzen bestanden nicht. Vor allem aber konnte Dr. S. anders als - wiederum fachfremd - Dr. S. nicht die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatische Faktoren stellen und überdies auch nicht die - laut Dr. S. gegenüber ICD-10 vorzugswürdige - Diagnose einer somatischen Belastungsstörung nach DSM-5 der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung. Der Senat braucht hier nicht weiter darauf einzugehen, ob der deutschen oder der amerikanischen Diagnosestellung der Vorzug zu geben ist, da es bei der Beurteilung einer Erwerbsminderung weniger auf die genaue Diagnose als auf die Auswirkungen der Erkrankung auf das körperliche Leistungsvermögen ankommt. Fest steht für den Senat, dass die (Schmerz-)Erkrankung auf nervenärztlichem Fachgebiet keine zeitliche Leistungseinschränkung zur Folge hat. Wie Dr. S. für den Senat nachvollziehbar ausgeführt hat, waren bei dem Kläger außer der verbalen Angabe, Schmerzen zu empfinden, alle psychischen Funktionen vollkommen intakt. Es zeigte sich keine relevante Antriebsstörung, keine Störung der Stimmung, des Denkens und der Konzentration. Die Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation war ebenfalls ungestört. Schwerere psychische Funktionsstörungen konnte Dr. S. nicht feststellen und sind auch durch den Senat aus den übrigen ärztlichen Unterlagen nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass der Kläger während der gesamten Begutachtung durch Dr. S. zu keinem Zeitpunkt schmerzgeplagt oder leidend wirkte. Korrespondierend hierzu führte Dr. S. in ihrem Gutachten aus, der Kläger gehe einkaufen, in die Stadt, sitze auch mal in einem Café oder treffe sich mit Freunden, gehe an den Wochenenden ab und zu auf den Sportplatz und schaue Handball oder Fußball. Die von Dr. S. gestellte Diagnose einer Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden führt gleichfalls nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung, da sich im EEG kein Einfluss psychotroper Substanzen zeigte und im Hinblick auf die von Dr. S. beschriebene erhaltene Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation sowie mangels Störungen der Konzentration und des Denkens auch im Übrigen keine Suchtfolgen ersichtlich sind. Dass die nervenärztlichen Erkrankungen kein leistungsminderndes Ausmaß erreichen, folgt auch aus der bisher fehlenden Behandlung derselben und dem darin zum Ausdruck kommenden eher geringen Leidensdruck. Wie Dr. S. überzeugend ausgeführt hat, ist die psychische Störung bisher unbehandelt, da sich der Kläger nie in psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben hat, sondern lediglich eine rein anästhesiologische Behandlung mit abhängig machenden Stoffen und einem laut Dr. S. "wahren Durcheinander" an psychotrop wirksamen Substanzen stattfindet. Der behandelnde Schmerztherapeut T. beklagte in seinem Bericht vom 01.12.2018 ebenfalls, der Kläger habe die empfohlene ambulante Richtlinienpsychotherapie sowie ein psychotherapeutisches Schlaftraining bisher nicht durchgeführt. Er begründete dieses Unterlassen zwar auch durch die depressive und ängstliche Komorbidität mit deutlicher Verminderung der Eigenaktivität, doch ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. S. eine solche psychische Erkrankung, die einer Eigenaktivität entgegenstünde, gerade nicht. Der Senat stellt daher fest, dass die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet kein zur quantitativen Leistungseinschränkung führendes Ausmaß erreichen.
Der Einwand des Klägerbevollmächtigen, Dr. S. sei nicht zu folgen, da dieser einerseits Dr. S. fachfremde Erwägungen vorwerfe, andererseits aber eigene fachfremde Schlüsse ziehe, indem er schreibe, orthopädisch sei mit Sicherheit von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen, überzeugt nicht. Dr. S. stellt nicht etwa eigene orthopädische Diagnosen und maßt sich insofern nicht etwa orthopädisches Fachwissen an, sondern wertet nur die Einschätzung des Dr. S. aus. Dieser hat als wesentliche Diagnose gerade keine orthopädische Diagnose genannt, sondern ausgeführt, die Schmerzen zeigten kein klinisches Korrelat und seien daher Ausdruck einer chronischen Schmerzstörung – und damit einer nervenärztlichen Diagnose. Insofern ergibt sich unmittelbar aus dem Gutachten des Dr. S., dass die orthopädischen Beschwerden nicht zu einer Erwerbsminderung führen – nicht ohne Grund hielt Dr. S. daher auch eine nervenärztliche Begutachtung für sinnvoll.
Soweit die behandelnden Ärzte, nämlich vor allem der Schmerztherapeut T. und auch die Hausärztin F., anders als die Gutachter Dr. K., Dr. S. sowie Dr. S. von Erwerbsminderung ausgehen, folgt der Senat ihnen nicht. Aufgabe behandelnder Ärzte ist es, ihren Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten zu untersuchen, seine Wünsche und Vorstellungen zu beachten und gemeinsam mit dem Patienten eine wirksame Behandlung für die gesundheitlichen Einschränkungen zu finden. Die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens spielt - anders als bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen - in diesem Arzt-Patienten-Verhältnis demgegenüber keine bzw nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu ist ein Sachverständiger gehalten, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen, ohne hierbei Gefahr zu laufen, durch eine kritische Beurteilung das Vertrauen des Patienten zu verlieren. Vor diesem Hintergrund kommt der Beurteilung beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche und damit objektive Sachverständige nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953; 30.06.2020, L 11 R 4342/18) und auch anderer LSG (vgl Hessisches LSG 28.03.2017, L 2 R 415/14, Rn 65, juris; Hessisches LSG, 04.09.2019, L 6 R 264/17, Rn 85, juris; LSG Berlin, 20.10.2004, L 17 RA 101/03, Rn 24, juris) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Dies gilt hier umso mehr, als vorliegend vor allem die Schmerzen des Klägers im Vordergrund stehen und damit gesundheitliche Einschränkungen, die naturgemäß nicht von den behandelnden Ärzten im Rahmen einer Untersuchung objektivierbar sind, sondern vornehmlich nur anhand der Beschreibung durch den Kläger beurteilt werden können. Vor dem Hintergrund seiner Suchterkrankung, die von Dr. S. ausführlich dargelegt worden ist und die sich auch aus dem Entlassbericht der A.-Klinik M. vom 04.12.2017 über den stationären Aufenthalt vom 07.11.2017 bis 24.11.2017 ergibt, ist aber eine verbale Schmerzangabe zu erwarten, um weiter über ärztliche Verordnungen an die süchtig machenden Substanzen zu gelangen.
Die aktenkundige rheumatische Arthritis bzw die auf Schuppenflechte zurückzuführende Arthritis psoriatic, deren Vorliegen durch Dr. S. allerdings bezweifelt wird, hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls keine Auswirkungen auf das Leistungsvermögen; eine rheumatologische Behandlung findet derzeit nicht statt. Gelegentliche Schübe, die nach Angaben des Klägers jedenfalls seltener als alle 2 – 3 Monate auftreten (vgl Angaben des Klägers gegenüber Dr. S., Bl 99 SG-Akte) mögen zur Arbeitsunfähigkeit führen, nicht jedoch zur Erwerbsminderung. Gleiches gilt für Gichtanfälle.
Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Da eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN). Vorliegend ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger noch ausreichend wegefähig ist. Dr. S. beschrieb in ihrem Gutachten ein flüssiges und raumgreifendes Gangbild, und auch Dr. S. kam überzeugend zu dem Schluss, der Kläger könne noch viermal 500 m täglich in zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen. Dr. S. erwähnte bei der Beschreibung des Tagesablaufs zweimaliges etwa halbstündiges Laufen am Tag und hielt den Kläger ebenfalls dazu in der Lage, die geforderte Wegstrecke in weniger als 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus dem Entlassbericht der A.-Klinik M. vom 04.12.2017 ergab sich ebenfalls, dass der Kläger nach eigenen Angaben zum Aufnahmezeitpunkt noch 500 m am Stück und zum Zeitpunkt der Entlassung 1500 m zu Fuß ohne Pause zurücklegen konnte.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, aaO juris Rn 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Ausschluss von Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten wird von der Beschränkung auf leichte Arbeit ohnehin erfasst. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie zB das Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den oben zitierten Gutachten nicht entnehmen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist gemäß § 240 SGB VI, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger im Jahr 1973 und damit nach dem Stichtag geboren wurde, kommt dieser Anspruch von vornherein nicht in Betracht.
Weiterer Ermittlungen bedurfte es vorliegend nicht; insbesondere sah der Senat keine Veranlassung, im Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungseinschätzungen des Dr. S. und Dr. S. ein weiteres orthopädisches Gutachten einzuholen, wie dies vom Klägerbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, ein weiteres Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Amts wegen einzuholen, wird daher abgelehnt. Das BSG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass sich das Tatsachengericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit widersprechenden Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen hat. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung. Für eine weitere Beweiserhebung bleibt dabei regelmäßig kein Raum (vgl zuletzt nur BSG 24.06.2020, B 9 SB 79/19 B, R. 11, juris). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG 12.12.2003, B 13 RJ 179/03 B, SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG 20.02.2019, B 10 LW 3/17 B; BSG 03.02.2020, B 13 R 295/18 B). Solche Mängel sind vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr ist der Sachverhalt vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren sowie die Gutachten aus dem Gerichtsverfahren bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO).
Die Berufung war daher ohne weitere Ermittlungen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 17.05.1973 geborene Kläger hat den Beruf des Malers und Lackierers erlernt und arbeitete mit Unterbrechungen bis zum April 2012 in diesem Beruf. Anschließend war er vom 21.08.2012 bis zum 30.11.2012 als Taxifahrer beschäftigt und ist seitdem arbeitslos. Seit 01.01.2013 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitslosengeld II). Am 17.01.2013 erlitt er einen privaten Unfall und zog sich beidseitige Knieverletzungen sowie einen linksseitigen Bruch des oberen Sprunggelenkes zu. Er verfügt über einen Grad der Behinderung (GdB) von 40; diesbezüglich ist ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) anhängig (S 9 SB 2141/19).
Am 15.04.2014 stellte er einen ersten Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, den die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin W. mit Bescheid vom 26.09.2014 ablehnte. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.12.2014). Im sich anschließenden Klageverfahren vor dem SG (S 9 R 87/15) befragte das Gericht zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers und veranlasste im Anschluss eine Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. K., der in seinem Gutachten vom 11.11.2015 folgende Diagnosen stellte: chronifiziertes Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom mit Bandscheibenvorfällen im Segment L 3/4 und L 4/5 ohne Anhalt von Nervenwurzelreizzeichen, beginnende degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen beidseits, posttraumatische Gonarthrose rechts, beginnende Gonarthrose links nach Weichteilverletzung im Rahmen eines Polytraumas am 17.01.2013, deutliche Restbeschwerdesymptomatik linkes Sprunggelenk mit posttraumatischer Bewegungseinschränkung, degenerativen Veränderungen linkes Sprunggelenk und Teillähmung des rechten Fußes sowie Missempfindungen als Folge eines Polytraumas am 17.01.2013, Hohl-Spreizfüße beidseits, degenerative Veränderungen beider Großzehengrundgelenke, Ausschluss höhergradiger Schultergelenksschaden sowie Ellenbogengelenksschaden, degenerative Veränderungen beider Handgelenke und der speichenseitigen Handwurzelgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen, Hinweise für das Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis mit Erstmanifestation ca 2002 und Erstdiagnose 2009 mit entsprechender regelmäßiger antirheumatischer Medikation. Der Kläger sei mit Sicherheit noch in der Lage, unter Beachtung näher aufgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich einer Beschäftigung nachzugehen. Im Hinblick hierauf nahm der Kläger am 04.02.2016 die Klage zurück.
Am 28.03.2017 stellte er bei der Beklagten einen neuen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Nachdem der sozialmedizinische Dienst in einer Stellungnahme vom 21.06.2017 unter Auflistung der Diagnosen leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegend im Sitzen und unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen in einem Umfang von sechs Stunden und mehr für möglich gehalten hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.06.2017 den Antrag ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten verschlechtert. Er könne weder eine sitzende noch stehende Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich ausüben. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch die Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S., die in ihrem Gutachten vom 16.03.2018 zu folgenden Diagnosen kam: (1) Minderbelastbarkeit beider Kniegelenke und des linken Sprunggelenks mit Restbeschwerden nach privatem Verkehrsunfall 01/2013 mit operierten Brüchen des linken Sprunggelenks, des rechten Schienbeinkopfes und Decollement-Verletzung linkes Kniegelenk mit Penetration ins Kniegelenk und Einriss des Retinakulum medialis, Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks; (2) Weitgehend unbehandelte, histologisch seit 06/2009 gesicherte Gicht bei Übergewicht und zeitweisem schädlichen Gebrauch von Alkohol; (3) Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L3/4 und L4/5 ohne neurologisches Funktionsdefizit; (4) Degenerative Veränderungen beider Handgelenke und der speichenseitigen Handwurzelgelenke mit freier Beweglichkeit und ohne Reizzeichen. Leichte Minusvariante der linken Elle mit zeitweiliger Reizerscheinung am linken Handgelenk; (5) Missbrauch opioidhaltiger Schmerzmittel; (6) Kein Anhalt für das Vorliegen einer rheumatischen Arthritis. Kein Anhalt für das Vorliegen einer Schuppenflechte; (7) Nebendiagnosen: Hohl-Spreizfüße beidseits mit degenerativen Veränderungen beider Großzehengrundgelenke. Der Kläger sei in der Lage, bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten im überwiegenden Sitzen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Als Maler und Lackierer sei der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers daraufhin zurück.
Hiergegen richtet sich die am 16.10.2018 beim SG erhobene Klage. Der Kläger könne keine sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, weshalb jedenfalls Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehe. Die im Widerspruchsbescheid genannten Gesundheitsstörungen seien in ihren Auswirkungen nur unzureichend berücksichtigt. Nicht ausreichend gewürdigt seien die Schmerzsymptomatik sowie die beim Kläger vorhandenen Dauerschmerzen. Die Behandlung in der Schmerzklinik M. habe nur zu einer minimalen und vorübergehenden Besserung geführt, weshalb die Schmerzen als dauerhafte Gesundheitsstörung anzusehen und zu berücksichtigen seien.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt. Der leitende Oberarzt T. von der A.-Klinik M. (Klinik für Anästhesiologie) hat mit Schreiben vom 01.12.2018 mitgeteilt, der Kläger habe sich vom 17.11.2017 bis 24.11.2017 in stationärer Behandlung befunden und sei anschließend ambulant in der Schmerzambulanz behandelt worden. Im Hinblick auf die chronischen Schmerzen des Klägers sei dieser nicht imstande, selbst leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten. Es liege ein Opiatübergebrauch vor. In ihrer Stellungnahme vom 14.12.2018 hat die Fachärztin für Orthopädie Dr. M. dargelegt, die Schmerzen zeigten sich progredient, Schmerzmedikation führe nicht zur Besserung. Eine Aussage zum beruflichen Leistungsvermögen sei nicht möglich. Die Allgemeinärztin F. hat unter dem 18.12.2018 mitgeteilt, der Kläger leide unter einer progredienten Chronifizierung seiner Schmerzerkrankung. Die körperlichen Diagnosen bestünden unverändert fort, doch sei psychisch im Verlauf der Behandlung ein Fortschreiten der Schmerzverarbeitungsstörung zu verzeichnen. Der Kläger sei weder körperlich noch psychisch in der Lage, in einem Umfang von sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Anschließend hat das SG eine Begutachtung durch den Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. S. veranlasst, der in seinem Gutachten vom 14.05.2019 nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende Diagnosen gestellt hat: (1) Chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren; (2) Neuropathisches Schmerzsyndrom linkes Bein bei Peroneusschädigung und posttraumatischer Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes; (3) Unspezifischer Rückenschmerz; (4) Hallux valgus rechts. Der Kläger sei in der Lage, in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zu vermeiden seien schwere und überwiegend mittelschwere Tätigkeiten, Schichttätigkeiten, überwiegend stehende und gehende Tätigkeiten, das regelmäßige Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in monotonen Körperhaltungen und Zwangshaltungen, mit besonderer Verantwortung sowie unter besonderen klimatischen Beanspruchungen. Die quantitative Leistungsminderung werde vorrangig durch die chronische Schmerzstörung begründet. Bei Zweifeln an den getroffenen Feststellungen und der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werde die Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens empfohlen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28.07.2019 hat Dr. S. sich mit Einwendungen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten vom 04.06.2019 auseinandergesetzt und an seiner Einschätzung festgehalten. Eine Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet zur weiteren Abklärung könne zielführend sein.
Das SG hat daraufhin den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr S. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens betraut, der darin nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende Diagnosen gestellt hat (Gutachten vom 16.01.2020): (1) Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden; (2) Leichte somatische Belastungsstörung mit überwiegendem Schmerz; (3) Früher seronegative rheumatische Arthritis sowie Arthritis psoriatica. Der Kläger sei nach wie vor in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Es bestünden keine schwereren und therapieresistenten psychischen Funktionsstörungen, die einer regelmäßigen Leistungserbringung im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich entgegenstünden. Zu vermeiden seien Arbeiten mit Griffnähe zu abhängig machenden Substanzen, Schichtarbeiten, Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Arbeiten mit besonderer Verantwortung und geistiger Beanspruchung.
Hierzu hat der Kläger eingewandt, er könne keine 2 km am Stück zurücklegen bzw keine Gehdauer von einer halben Stunde bewältigen, die chronische Schmerzstörung mit psychischen und physischen Faktoren sei nicht berücksichtigt worden, es liege eine komplexe Multimorbidität vor, die mit einem GdB von 40 nicht ausreichend berücksichtigt sei, und er sei bei Schmerzschüben äußerst hilflos. Die Akte zum Verfahren S 9 SB 2141/19 sei beizuziehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.04.2020 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger könne nach wie vor Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten. Im Rahmen der Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. seien keine schwerwiegenden und dauerhaft anzusehenden psychischen Funktionsstörungen nachzuweisen gewesen, die eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens begründen könnten. Führender Befund sei die beim Kläger im Vordergrund stehende Schmerzsymptomatik. Auch bei einer Schmerzerkrankung könnten für die Beurteilung von Leistungseinschränkungen als Basis der Feststellung einer Erwerbsminderung nur objektive bzw objektivierbare Kriterien herangezogen werden, weshalb die subjektive Einschätzung des betroffenen Versicherten zum Umfang und zur Intensität der Schmerzen keinesfalls ausreiche. Sozialmedizinisch sei die Schmerzstörung nicht losgelöst von der beim Kläger vorliegenden Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden zu beurteilen. Insoweit ließen weder die Anzahl noch die Dosierung der eingenommenen psychotropen Substanzen einen Rückschluss auf die tatsächliche Schmerzintensität zu. Der Kläger habe im Rahmen der Begutachtung – trotz aggravierend wirkender Schmerzangaben - zu keinem Zeitpunkt schmerzgeplagt oder leidend gewirkt. Schließlich sei bei dem Krankheitsbild des Klägers - ungeachtet seiner diagnostischen Klassifizierung – zu berücksichtigen, dass für die Feststellung einer hierauf gestützten Erwerbsminderung feststehen müsse, dass alle Behandlungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft seien. Sozialmedizinisch könne von einer Leistungsminderung grundsätzlich erst dann ausgegangen werden, wenn als therapieresistent anzusehende schwere Funktionsstörungen festzustellen seien, die sich auf die für eine Leistungserbringung relevanten Funktionsbereiche bezögen. Um Funktionsstörungen in diesem Sinne als therapieresistent einzustufen, müssten die ambulanten und stationären Behandlungsmöglichkeiten erfolglos verlaufen sein. Unter Beachtung dieser Vorgaben seien beim Kläger sowohl die somatische Belastungsstörung als auch die Suchterkrankung vollkommen unbehandelt. Der Kläger stehe in keiner fachpsychiatrischen Behandlung. Entgegen der ausdrücklichen und mehrfach ausgesprochenen Empfehlung des Dr. T. sei eine verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Psychotherapie (Schmerzbewältigungstherapie) vom Kläger bislang nicht eingeleitet worden. Die ambulanten Vorstellungen in der Schmerzambulanz wiesen Abstände von zum Teil mehreren Monaten auf. Eine multimodal ausgerichtete Schmerztherapie im stationären Rahmen sei letztmalig im Jahr 2017 in Anspruch genommen worden. Das therapeutische Vorgehen beschränke sich im Wesentlichen auf eine anästhesiologische Behandlung mit der parallelen Einnahme sieben verschiedener psychotrop wirksamer Substanzen. Hinzu komme - zumindest an den Wochenenden - der zusätzliche Konsum von Alkohol. Eine ärztlich überwachte Schmerzmitteleinnahme scheine nicht länger gewährleistet zu sein. Die bereits in hoher Dosierung schmerztherapeutisch verordneten Präparate (ua Dronabinol und Methadon) würden vom Kläger weit über die Verordnungsmenge hinaus in nicht mehr therapeutischen und teils toxischen Dosen eigenmächtig eingenommen.
Schließlich führten auch die übrigen Beschwerden zu keinem Rentenanspruch. Den Einschränkungen auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebebiet sei durch die Begrenzung auf körperlich leichte Tätigkeiten im überwiegenden Sitzen in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in monotonen Körper- und Zwangshaltungen, Arbeiten mit besonderer Verantwortung sowie mit Exposition von Kälte und Nässe. Der Kläger sei nach sämtlichen gutachtlichen Feststellungen in der Lage, die sozialmedizinisch relevanten Gehstrecken zum Erreichen eines Arbeitsplatzes zurückzulegen. Die von Dr. S. getroffene Leistungseinschätzung gehe auf die (fachfremde) Annahme einer somatoformen Schmerzstörung sowie einer Nervenschädigung am linken Bein mit neuropathischen Schmerzen zurück. Beide Diagnosen seien nach den für das Gericht überzeugenden Ausführungen des Dr. S. fachärztlich nicht nachzuvollziehen. Entscheidend für die abweichende Leistungsbeurteilung sei maßgebend der Umstand, dass aus einem weitgehend unbehandelten Störungsbild keine quantitative Leistungsminderung resultiere. Für das Vorliegen einer (aktiven) rheumatoiden Arthritis sowie einer Schuppenflechte ergäben sich im Rahmen der Begutachtung im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte.
Gegen den ihm am 04.05.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.05.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt mit der Begründung, das unfallchirurgische/orthopädische Gutachten des Dr. S. vom 14.05.2019 gelange zu dem ausführlich hergeleiteten Ergebnis, dass dem Kläger nur weniger als sechs Stunden Erwerbstätigkeit arbeitstäglich möglich seien. Der Gutachter Dr. S. verteidige dieses Ergebnis auf seinem Fachgebiet ausdrücklich mit der Ergänzung vom 28.07.2019 gegen den Vorhalt der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. E ... Bemerkenswert sei nun die Vorgehensweise im Gerichtsgutachten des Dr. S., welcher die Leistungseinschätzung von Dr. S. als fachfremd qualifiziere und gleichzeitig (!) meine, bezogen auf das orthopädische Fachgebiet des Dr. S. feststellen zu können, dass "sicher von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen" sei. Nach diesseitiger Auffassung disqualifiziere sich das Gerichtsgutachten des Dr. S. damit selbst, weshalb es auch nicht als Grundlage für eine objektive Entscheidung dienen könne. Es stehe vor allem aber auch im Widerspruch zu den schriftlichen Vernehmungen der den Kläger seit vielen Jahren behandelnden Fachärzte und der Hausärztin. Hieraus ergebe sich - entgegen der unter allen vorliegend beteiligten Ärzten singulären Auffassung des Dr. S. -, dass der Kläger in Wirklichkeit austherapiert sei. Es werde angeregt, ein Obergutachten einzuholen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.04.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2018 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.03.2017 nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise ein weiteres Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Amts wegen einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme der Dr. E. verwiesen, die sich den Ausführungen des Dr. S. angeschlossen hat.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der SG-Akte im Rechtsstreit S 9 R 87/15 Bezug genommen. Weiterhin hat der Senat die Akte S 9 SB 2141/19 samt dazugehöriger Akte des Landratsamts R. zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.
Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Vorliegend steht für den Senat fest, dass der Kläger bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch über ein Leistungsvermögen in einem Umfang von mehr als sechs Stunden täglich verfügt. Hierbei stützt sich der Senat zum einen auf das im Verfahren S 9 R 87/15 eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 11.11.2015 und das im Wege des Urkundenbeweises zu verwertende Gutachten der Dr. S. vom 16.03.2018, zum anderen auf das Gutachten des Dr. S. vom 16.01.2020 und – mit Ausnahme seiner Schlussfolgerung – die Ausführungen des Dr. S. in seinem Gutachten vom 14.05.2019.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers liegt auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet. In orthopädischer Hinsicht leidet der Kläger zum einen unter einer Minderbelastbarkeit beider Kniegelenke sowie des linken Sprunggelenkes. Dies folgt aus dem im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Gutachten der Dr. S. und ergibt sich auch aus dem im Verfahren S 9 R 87/15 eingeholten Gutachten des Dr. K ... Dr. S. konnte demgegenüber angesichts muskulärer Gegenspannung bzw geäußerter Berührungsschmerzen sowohl das linke Knie als auch das linke Sprunggelenk nur eingeschränkt untersuchen. Zum anderen bestehen Rückenbeschwerden, die von Dr. S. im Gutachten vom 14.05.2019 als unspezifische Rückenschmerzen und im Gutachten der Dr. S. als Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen beschrieben werden. Degenerative Veränderungen beider Handgelenke bzw Handwurzelgelenke, wie Dr. S. sie erwähnt, sind von untergeordneter Bedeutung, da laut Dr. S. freie Beweglichkeit bestand und auch Dr. S. die Streckung der Langfinger als beidseits frei sowie den Faustschluss beidseits als normal beschrieb.
Die Knie-, Sprunggelenks- und Rückenerkrankungen führen zwar zu qualitativen Leistungseinschränkungen insofern, als der Kläger - wie Dr. S. nachvollziehbar dargelegt - wegen der Knie- und Sprunggelenksbeschwerden keine überwiegend stehenden und gehenden Tätigkeiten mehr verrichten kann und die Rückenschmerzen das regelmäßige Heben und Tragen schwerer Lasten nicht erlauben. Überzeugend schloss Dr. S. zudem häufiges Bücken, Knien und Hocken ebenso aus wie das Ersteigen von Leitern und Gerüsten sowie eine Exposition gegen Kälte und Nässe. Auch sind monotone Körperhaltungen sowie Zwangshaltungen nicht mehr möglich, wie Dr. S. nachvollziehbar ausgeführt hat. Zu einer quantitativen Leistungsminderung führen die orthopädischen Einschränkungen nach Überzeugung des Senats indes nicht.
Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend kamen weder Dr. K. noch Dr. S. und auch nicht Dr. S. zu dem Ergebnis, dass die orthopädischen Erkrankungen als solche das Leistungsvermögen des Klägers zeitlich eingrenzen. Dr. K. konnte keine erhebliche Wirbelsäulenverkrümmung, sondern lediglich eine leichte Wirbelsäulenfehlhaltung feststellen ohne echte Nervenwurzelreizzeichen. Die radiologischen Aufnahmen zeigten nur degenerative Veränderungen in mäßiger Ausprägung. Insofern stufte Dr. K. die Rückenbeschwerden nicht als so gravierend ein, dass sie zu einer Limitierung des Leistungsvermögens führten. Gleiches gilt für die Beschwerden an den Knien und Sprunggelenken. Zum selben Ergebnis kam auch Dr. S., die im Bereich der Wirbelsäule nur mäßiggradige paravertebrale Muskelverspannungen ohne tastbare Myogelosen beschrieb. Die Seitneigung sowie die Rotation der Rumpfwirbelsäule waren frei mit auch freier Entfaltbarkeit der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte, ohne dass Schmerzen angegeben wurden. Zwar wurden beim Nachvornbeugen Schmerzen geäußert, doch bestand hier eine deutliche Diskrepanz zum Bewegungsumfang beim An- und Ausziehen insofern, als dem Kläger zuvor das Entkleiden zügig ohne erkennbare Bewegungseinschränkungen und ohne Schmerzäußerungen gelungen war, die Hose im Einbeinstand aus- und wieder angezogen und auch die Socken im Sitzen aus- und angezogen wurden. Beim Schuheanziehen bückte sich der Kläger mit den Händen bis zu den Schuhen hinunter, ohne einen Schuhlöffel zu benötigen. Hinsichtlich der Knie beschrieb Dr. S. zwar einen Druckschmerz rechts über dem lateralen Gelenkspalt und links über dem medialen Gelenkspalt und war die Beugung links leicht eingeschränkt und beidseitig endgradig schmerzhaft, doch lässt sich damit ebenfalls keine zeitliche Leistungslimitierung begründen. Gleiches gilt für die Beschwerden an den Sprunggelenken in Form eines Druckschmerzes links und eingeschränkter Beweglichkeit, zumal der Kläger ein flüssiges und raumgreifendes Gangbild zeigte. Auch Dr. S. begründete die quantitative Leistungsminderung nicht mit orthopädischen Einschränkungen. Er fand eine weitgehend normale Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule ohne muskuläre Verhärtungen paravertebral. Dementsprechend zeigte sich radiologisch das knöcherne Signal regelrecht ohne Einengungen der nervalen Strukturen und Fehlstellung. Die vom Kläger geäußerten Rückenschmerzen ließen sich daher somatisch nicht erklären. Insbesondere konnte Dr. S. zuletzt nicht einmal die Diagnose einer Bandscheibenerkrankung bei L3/L4 oder L4/L 5 bzw einer Spinalkanalstenose L3 – L5 stellen. Auch aus den orthopädisch begründeten Beschwerden an Knien und Sprunggelenken folgerte Dr. S. keine quantitative Leistungsminderung.
Eine solche zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens lässt sich entgegen der Einschätzung des Dr. S. aber auch nicht mit Diagnosen auf nervenärztlichem Fachgebiet begründen. Hier leidet der Kläger unter eine Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden sowie einer leichten somatischen Belastungsstörung mit überwiegendem Schmerz. Dies folgert der Senat aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Dr. S ... Anders als von Dr. S. fachfremd angenommen, konnte Dr. S. keine funktionsrelevanten neurologischen Funktionsausfälle feststellen, insbesondere keine Paresen. Aber auch neuropathische Schmerzen bestanden nicht. Vor allem aber konnte Dr. S. anders als - wiederum fachfremd - Dr. S. nicht die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatische Faktoren stellen und überdies auch nicht die - laut Dr. S. gegenüber ICD-10 vorzugswürdige - Diagnose einer somatischen Belastungsstörung nach DSM-5 der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung. Der Senat braucht hier nicht weiter darauf einzugehen, ob der deutschen oder der amerikanischen Diagnosestellung der Vorzug zu geben ist, da es bei der Beurteilung einer Erwerbsminderung weniger auf die genaue Diagnose als auf die Auswirkungen der Erkrankung auf das körperliche Leistungsvermögen ankommt. Fest steht für den Senat, dass die (Schmerz-)Erkrankung auf nervenärztlichem Fachgebiet keine zeitliche Leistungseinschränkung zur Folge hat. Wie Dr. S. für den Senat nachvollziehbar ausgeführt hat, waren bei dem Kläger außer der verbalen Angabe, Schmerzen zu empfinden, alle psychischen Funktionen vollkommen intakt. Es zeigte sich keine relevante Antriebsstörung, keine Störung der Stimmung, des Denkens und der Konzentration. Die Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation war ebenfalls ungestört. Schwerere psychische Funktionsstörungen konnte Dr. S. nicht feststellen und sind auch durch den Senat aus den übrigen ärztlichen Unterlagen nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass der Kläger während der gesamten Begutachtung durch Dr. S. zu keinem Zeitpunkt schmerzgeplagt oder leidend wirkte. Korrespondierend hierzu führte Dr. S. in ihrem Gutachten aus, der Kläger gehe einkaufen, in die Stadt, sitze auch mal in einem Café oder treffe sich mit Freunden, gehe an den Wochenenden ab und zu auf den Sportplatz und schaue Handball oder Fußball. Die von Dr. S. gestellte Diagnose einer Abhängigkeit von Opioiden und Cannabinoiden führt gleichfalls nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung, da sich im EEG kein Einfluss psychotroper Substanzen zeigte und im Hinblick auf die von Dr. S. beschriebene erhaltene Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation sowie mangels Störungen der Konzentration und des Denkens auch im Übrigen keine Suchtfolgen ersichtlich sind. Dass die nervenärztlichen Erkrankungen kein leistungsminderndes Ausmaß erreichen, folgt auch aus der bisher fehlenden Behandlung derselben und dem darin zum Ausdruck kommenden eher geringen Leidensdruck. Wie Dr. S. überzeugend ausgeführt hat, ist die psychische Störung bisher unbehandelt, da sich der Kläger nie in psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben hat, sondern lediglich eine rein anästhesiologische Behandlung mit abhängig machenden Stoffen und einem laut Dr. S. "wahren Durcheinander" an psychotrop wirksamen Substanzen stattfindet. Der behandelnde Schmerztherapeut T. beklagte in seinem Bericht vom 01.12.2018 ebenfalls, der Kläger habe die empfohlene ambulante Richtlinienpsychotherapie sowie ein psychotherapeutisches Schlaftraining bisher nicht durchgeführt. Er begründete dieses Unterlassen zwar auch durch die depressive und ängstliche Komorbidität mit deutlicher Verminderung der Eigenaktivität, doch ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. S. eine solche psychische Erkrankung, die einer Eigenaktivität entgegenstünde, gerade nicht. Der Senat stellt daher fest, dass die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet kein zur quantitativen Leistungseinschränkung führendes Ausmaß erreichen.
Der Einwand des Klägerbevollmächtigen, Dr. S. sei nicht zu folgen, da dieser einerseits Dr. S. fachfremde Erwägungen vorwerfe, andererseits aber eigene fachfremde Schlüsse ziehe, indem er schreibe, orthopädisch sei mit Sicherheit von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen, überzeugt nicht. Dr. S. stellt nicht etwa eigene orthopädische Diagnosen und maßt sich insofern nicht etwa orthopädisches Fachwissen an, sondern wertet nur die Einschätzung des Dr. S. aus. Dieser hat als wesentliche Diagnose gerade keine orthopädische Diagnose genannt, sondern ausgeführt, die Schmerzen zeigten kein klinisches Korrelat und seien daher Ausdruck einer chronischen Schmerzstörung – und damit einer nervenärztlichen Diagnose. Insofern ergibt sich unmittelbar aus dem Gutachten des Dr. S., dass die orthopädischen Beschwerden nicht zu einer Erwerbsminderung führen – nicht ohne Grund hielt Dr. S. daher auch eine nervenärztliche Begutachtung für sinnvoll.
Soweit die behandelnden Ärzte, nämlich vor allem der Schmerztherapeut T. und auch die Hausärztin F., anders als die Gutachter Dr. K., Dr. S. sowie Dr. S. von Erwerbsminderung ausgehen, folgt der Senat ihnen nicht. Aufgabe behandelnder Ärzte ist es, ihren Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten zu untersuchen, seine Wünsche und Vorstellungen zu beachten und gemeinsam mit dem Patienten eine wirksame Behandlung für die gesundheitlichen Einschränkungen zu finden. Die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens spielt - anders als bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen - in diesem Arzt-Patienten-Verhältnis demgegenüber keine bzw nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu ist ein Sachverständiger gehalten, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen, ohne hierbei Gefahr zu laufen, durch eine kritische Beurteilung das Vertrauen des Patienten zu verlieren. Vor diesem Hintergrund kommt der Beurteilung beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche und damit objektive Sachverständige nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953; 30.06.2020, L 11 R 4342/18) und auch anderer LSG (vgl Hessisches LSG 28.03.2017, L 2 R 415/14, Rn 65, juris; Hessisches LSG, 04.09.2019, L 6 R 264/17, Rn 85, juris; LSG Berlin, 20.10.2004, L 17 RA 101/03, Rn 24, juris) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Dies gilt hier umso mehr, als vorliegend vor allem die Schmerzen des Klägers im Vordergrund stehen und damit gesundheitliche Einschränkungen, die naturgemäß nicht von den behandelnden Ärzten im Rahmen einer Untersuchung objektivierbar sind, sondern vornehmlich nur anhand der Beschreibung durch den Kläger beurteilt werden können. Vor dem Hintergrund seiner Suchterkrankung, die von Dr. S. ausführlich dargelegt worden ist und die sich auch aus dem Entlassbericht der A.-Klinik M. vom 04.12.2017 über den stationären Aufenthalt vom 07.11.2017 bis 24.11.2017 ergibt, ist aber eine verbale Schmerzangabe zu erwarten, um weiter über ärztliche Verordnungen an die süchtig machenden Substanzen zu gelangen.
Die aktenkundige rheumatische Arthritis bzw die auf Schuppenflechte zurückzuführende Arthritis psoriatic, deren Vorliegen durch Dr. S. allerdings bezweifelt wird, hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls keine Auswirkungen auf das Leistungsvermögen; eine rheumatologische Behandlung findet derzeit nicht statt. Gelegentliche Schübe, die nach Angaben des Klägers jedenfalls seltener als alle 2 – 3 Monate auftreten (vgl Angaben des Klägers gegenüber Dr. S., Bl 99 SG-Akte) mögen zur Arbeitsunfähigkeit führen, nicht jedoch zur Erwerbsminderung. Gleiches gilt für Gichtanfälle.
Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Da eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN). Vorliegend ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger noch ausreichend wegefähig ist. Dr. S. beschrieb in ihrem Gutachten ein flüssiges und raumgreifendes Gangbild, und auch Dr. S. kam überzeugend zu dem Schluss, der Kläger könne noch viermal 500 m täglich in zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen. Dr. S. erwähnte bei der Beschreibung des Tagesablaufs zweimaliges etwa halbstündiges Laufen am Tag und hielt den Kläger ebenfalls dazu in der Lage, die geforderte Wegstrecke in weniger als 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus dem Entlassbericht der A.-Klinik M. vom 04.12.2017 ergab sich ebenfalls, dass der Kläger nach eigenen Angaben zum Aufnahmezeitpunkt noch 500 m am Stück und zum Zeitpunkt der Entlassung 1500 m zu Fuß ohne Pause zurücklegen konnte.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, aaO juris Rn 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Ausschluss von Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten wird von der Beschränkung auf leichte Arbeit ohnehin erfasst. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie zB das Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den oben zitierten Gutachten nicht entnehmen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist gemäß § 240 SGB VI, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger im Jahr 1973 und damit nach dem Stichtag geboren wurde, kommt dieser Anspruch von vornherein nicht in Betracht.
Weiterer Ermittlungen bedurfte es vorliegend nicht; insbesondere sah der Senat keine Veranlassung, im Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungseinschätzungen des Dr. S. und Dr. S. ein weiteres orthopädisches Gutachten einzuholen, wie dies vom Klägerbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, ein weiteres Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Amts wegen einzuholen, wird daher abgelehnt. Das BSG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass sich das Tatsachengericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit widersprechenden Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen hat. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung. Für eine weitere Beweiserhebung bleibt dabei regelmäßig kein Raum (vgl zuletzt nur BSG 24.06.2020, B 9 SB 79/19 B, R. 11, juris). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG 12.12.2003, B 13 RJ 179/03 B, SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG 20.02.2019, B 10 LW 3/17 B; BSG 03.02.2020, B 13 R 295/18 B). Solche Mängel sind vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr ist der Sachverhalt vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren sowie die Gutachten aus dem Gerichtsverfahren bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO).
Die Berufung war daher ohne weitere Ermittlungen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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