L 4 KR 1342/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 292/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1342/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. November 2018 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Mitgliedschaft des Klägers bei den Beklagten und seine Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der Kläger war nach Angaben der Beklagten bis zum 30. April 2010 deren Mitglied aufgrund des Bezugs von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ab dem 1. Mai 2010 wurde er als Pflichtmitglied gemäß § 5 Abs.1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geführt. Er bezieht eine Rente i.H. von 1.277,50 EUR. Mit Bescheid vom 22. Juni 2010 setzte sie die monatlichen Beiträge zur Krankenversicherung i.H. von 182,68 EUR und zur Pflegeversicherung i.H. von 24,91 EUR (gesamt: 207.59 EUR) fest.

Nach Durchführung eines Überprüfungsverfahrens hinsichtlich des Beitragsbescheids vom 22. Juni 2010 wies der gemeinsame Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers "in Form des Überprüfungsantrags vom 13.11.2015 gegen den Bescheid [der Beklagten] vom 22.06.2010 in Form der Mahnung vom 26.09.2015" mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2016 (SG 2) zurück. Der Kläger sei ab dem 4. Februar 2010 bei den Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied gewesen, zunächst bis zum 30. April 2010 aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II, anschließend mangels anderweitiger Absicherung im Krankheitsfall nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Mit Bescheid vom 22. Juni 2010 seien ab dem 1. Mai 2010 monatliche Beiträge zur Kranken- (182,68 EUR) und Pflegeversicherung (24,01 EUR) festgesetzt worden. Da der Kläger letztmals am 18. August 2011 die Einkommensanfragen der Beklagten beantwortet habe, seien die monatlichen Beiträge in der Folgezeit nach der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt worden. Zuletzt sei ein Beitragsrückstand einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 46.405,77 EUR angemahnt worden. Der Bescheid vom 22. Juni 2010 "in Form der Mahnung vom 26.09.2015" sei rechtmäßig, der Widerspruch hiergegen daher zurückzuweisen.

Am 24. Januar 2017 erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage gegen den Bescheid vom 22. Juni 2010 "in Form der Mahnung vom 22.06.2015" in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2016 mit dem Begehren, die Beklagten zu verurteilen, die Forderung in Höhe von 46.405,77 EUR aufzuheben. Bereits aus dem Widerspruchsbescheid ergebe sich, dass die geltend gemachte Forderung nicht bestehe.

Die Beklagten traten der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 wies das SG die Klage ab. Diese sei nicht begründet. Da die Beklagten über den mit Schreiben vom 13. November 2015 eingelegten Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid 22. Juni 2010 in der Sache entschieden hätten, sei die Klage gegen diesen zulässig. Des Weiteren treffe der Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2016 inhaltlich auch eine Entscheidung über den Bescheid vom 20. September 2012, mit dem erstmals Höchstbeiträge nach der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt worden seien. Die Beklagten seien jedoch im Bescheid vom 22. Juni 2010 zu Recht von einer Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und dem folgend in der Pflegeversicherung ab dem 1. Mai 2010 ausgegangen und hätten zu Recht mit Bescheid vom 20. September 2012 Höchstbeiträge festgesetzt. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde am 21. November 2018 zugestellt.

Anlässlich einer erneuten Mahnung von Beitragsrückständen vom 26. November 2019 stellte der Kläger am 4. Februar 2020 beim SG Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 10 KR 346/20 ER). Die gegen den diesen Antrag ablehnenden Beschluss des SG vom 17. Februar 2020 erhobene Beschwerde des Klägers wies der Senat mit Beschluss vom 22. Juni 2020 zurück (L 4 KR 882/20 ER-B).

Mit Schreiben vom 11. März 2020, das am selben Tag beim SG eingegangen ist, hat der Kläger "Berufung" im "Verfahren S 11 KR 292/17" eingelegt und den Beschluss vom 17. Februar 2020 und einen "Schriftsatz vom 4.3.2020" angegeben. Eine weitere Begründung ist nicht erfolgt.

Mit Verfügung vom 29. April 2020 hat der Berichterstatter den Kläger darauf hingewiesen, dass im Verfahren S 11 292/17 unter dem 16. November 2018 ein – am 21. November 2018 zugestellter – Gerichtsbescheid ergangen sei. Eine Berufung hiergegen wäre nun nicht mehr fristgerecht. Der Beschluss vom 17. Februar 2020 sei bereits Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat (L 4 KR 882/20 ER-B) und könne nicht Gegenstand einer Berufung sein. Der Kläger möge mitteilen, gegen welche Entscheidung er mit Schreiben vom 11. März 2020 welches Rechtsmittel habe einlegen wollen. Hierauf und auf die nachfolgende Erinnerung hat der Kläger nicht reagiert.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. November 2018 sowie die Bescheide der Beklagten vom 22. Juni 2010 und 20. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2016 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zu verwerfen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Senatsakte im Verfahren L 4 KR 882/20 ER-B Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Das als Berufung zu wertende Rechtsmittel des Klägers ist statthaft.

a) Mit dem Schreiben des Klägers vom 11. März 2020 hat dieser Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 16. November 2018 eingelegt. Dies entnimmt der Senat zunächst dem Wortlaut des Schreibens ("lege ich Berufung ein") und der Angabe des erstinstanzlichen Aktenzeichens (S 11 KR 292/17). Unter diesem ist neben dem Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 nur noch ein Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ergangen. Dieser datiert vom 16. Oktober 2018 und ist daher nicht unter dem vom Kläger im Schreiben vom 11. März 2020 angegebenen Entscheidungsdatum (17. Februar 2020) ergangen. Unter dem genannten Datum ist allein der Beschluss des SG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 10 KR 346/20 ER) ergangen. Diesen Beschluss hatte der Kläger jedoch mit weiterem Schreiben vom 11. März 2020 ausdrücklich mit der "Beschwerde" unter Angabe des Aktenzeichens und Beschlussdatums (17. Februar 2020) gesondert angefochten und war daher erkennbar nicht Gegenstand der eingelegten "Berufung". Ein "Schriftsatz vom 4.3.2020", den der Kläger im Schreiben vom 11. März 2020 angab, ist weder beim SG noch beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangen. Eine Klarstellung durch den Kläger ist auch auf gerichtliche Nachfrage nicht erfolgt. Aufgrund des bezeichneten Rechtsmittels und des angegebenen erstinstanzlichen Verfahrens ist daher mit der Berufung angefochten der Gerichtsbescheid des SG vom 16. November 2018.

b) Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 ist statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung. Denn der Kläger wendet sich gegen die Beitragspflicht und -erhebung für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG); die in der Klage auf 46.405,77 EUR bezifferte Beitragsforderung übersteigt 750,00 EUR.

2. Die Berufung ist nicht jedoch nicht zulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben wurde.

a) Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht – hier dem LSG Baden-Württemberg – innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils – hier des Gerichtsbescheides – schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Gemäß § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

Im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 hat das SG den Kläger zutreffend über die statthafte (siehe oben unter 1b) Berufung, die einzuhaltende Frist und möglichen Formen sowie die Gerichte belehrt, bei denen die Berufung eingelegt werden kann. Maßgeblich war daher die Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG. Da der Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 27a der SG-Akte) am 21. November 2018 zugestellt wurde, begann die einmonatige Berufungsfrist somit am 22. November 2018 (§ 64 Abs. 1 SGG) und endete am 21. Dezember 2018, einem Freitag (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die erst am 11. März 2020 beim SG eingelegte Berufung hat diese Frist nicht mehr gewahrt.

b) Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist liegen nicht vor. Nach §§ 153 Abs. 1, 67 Abs. 1 SGG ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach Abs. 2 binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (Abs. 3).

Da die Berufungsfrist, wie ausgeführt, am 21. Dezember 2018 endete, die Berufung jedoch erst über ein Jahr danach am 11. März 2020 eingelegt wurde, ist die Wiedereinsetzung nur nach den Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 SGG möglich. Eine Verhinderung der rechtzeitigen Einlegung der Berufung infolge höherer Gewalt bestand nicht. Anhaltspunkte für eine solche ergeben sich aus den vorliegenden Akten nicht. Der Kläger hat solche auch nicht behauptet und erst recht nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr hat er nicht einmal "einfache" Wiederaufnahmegründe angegeben. Es kann daher offenbleiben, ob sich der in der Beschwerde gegen den Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung eigentlich auf die Berufung beziehen sollte. Die Verfristung der Berufung und die fehlenden Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte der Senat auch bereits in seinem Beschluss vom 22. Juni 2020 (L 4 KR 882/20 ER-B; dem Kläger zugestellt am 25. Juni 2020) dargestellt, ohne dass der Kläger im Folgenden im vorliegenden Verfahren ergänzend hierzu vorgetragen hätte.

Der Gerichtsbescheid vom 16. November 2018 ist somit rechtskräftig (§ 141 Abs. 1 SGG) geworden. Die gegen diesen gerichtete Berufung war als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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