L 4 P 233/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 P 4273/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 233/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die vorläufige Einstellung des ihm gewährten Pflegegeldes nach Pflegegrad 2.

Der 1951 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin pflegeversichert. Aufgrund des Bescheids vom 2. Dezember 2016 bezieht er seit 1. Januar 2017 Pflegegeld nach Pflegegrad 2.

Mit Schreiben vom 2. September 2019 wandte sich die Antragsgegnerin an die Betreuerin des Antragstellers und informierte sie darüber, dass die Pflegegeldzahlungen zum 31. August 2019 vorläufig gestoppt worden seien. Ihr lägen Informationen vor, dass die Pflege nicht sichergestellt sei und das Pflegegeld für unnötige "Einkünfte" verwendet werde. Die Einstellung der Zahlung erfolge deshalb zum Schutz des Antragstellers. Dieses Schreiben leitete die Betreuerin des Antragstellers an diesen mit dem Vermerk weiter, es gebe keine Pflegeperson und man habe wohl berichtet, dass er - der Antragsteller - sehr verwahrlost sei.

Am 29. Oktober 2019 erhob der Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage (S 18 P 4274/19) und beantragte gleichzeitig, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, das Pflegegeld über den 31. August 2019 hinaus weiterzuzahlen. Er beziehe lediglich Grundsicherungsleistungen und sei nach einem schweren Schlaganfall auf Medikamente angewiesen, die er - da nicht verschreibungspflichtig - selbst bezahlen müsse. Aus gesundheitlichen Gründen sei er dringend auf das Pflegegeld angewiesen. Es sei eine Lüge, wenn seine Betreuerin gegenüber dem Mitarbeiter der Antragsgegnerin behauptet habe, er sei verwahrlost und verwende das Pflegegeld für etwas anderes. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen für das Pflegegeld; dies werde alle sechs Monate geprüft. Hierzu legte er den Nachweis über einen Beratungseinsatz nach § 37 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) vom 16. Juli 2019 vor. Da er Schmerzen erlitten habe und Schulden habe machen müssen, beantragte er zudem die Prüfung, ob der handelnde Sachbearbeiter der Antragsgegnerin wegen eines vorsätzlichen Machtmissbrauchs von seiner Funktion zu entheben sei sowie ferner die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm Schadensersatz und Schmerzensgeld bis zu 10.000 EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag mit dem Hinweis entgegen, dass nach Rücksprache mit der Betreuerin des Antragstellers die Pflege nicht sichergestellt sei. Es gebe keine Person, die die Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise sicherstelle. Die Betreuerin sehe die Notwendigkeit, die Leistungen auf Sachleistungen umzustellen. Es bestehe die Bereitschaft, die entsprechenden Kosten bis zu 689,00 EUR zu übernehmen.

Nach richterlichem Hinweis an die Antragsgegnerin, dass eine Rechtsgrundlage für die vorläufige Einstellung der Leistung nicht ersichtlich sei, teilte diese mit Schriftsatz vom 5. November 2019 mit, dass das rückständige Pflegegeld nachgezahlt werde. Da die Pflege nach den vorliegenden Informationen nicht sichergestellt sei, sei beabsichtigt, das monatliche Pflegegeld zum 31. Dezember 2019 einzustellen. Hierzu habe man dem Antragsteller heute eine Anhörung zukommen lassen. Auf die Anfrage des SG, ob das Verfahren vor diesem Hintergrund für erledigt erklärt werde, äußerte sich der Antragsteller nicht.

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2019 lehnte das SG die Anträge ab. Der auf Zahlung des Pflegegeldes gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, nachdem die Antragsgegnerin das Pflegegeld zur Auszahlung gebracht habe, nicht mehr. Gleichermaßen unzulässig sei der Antrag auf Prüfung der Funktionsenthebung des bezeichneten Mitarbeiters der Antragsgegnerin. Für die Dienstaufsicht über Mitarbeiter der Antragsgegnerin sei das SG nicht zuständig. Der auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Antrag sei zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Insoweit habe der Antragsteller weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Am 14. Januar 2020 hat der Antragsteller dagegen beim SG Beschwerde zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat sein Vorbringen im Antragsverfahren wiederholt, wonach er dringend auf das Pflegegeld angewiesen sei, um seine lebensnotwendigen Medikamente zahlen zu können und seine Betreuerin und der zuständige Mitarbeiter der Antragsgegnerin stellten vorsätzlich falsche Behauptungen auf. Das SG gehe zu Unrecht davon aus, dass er einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Grund genug hierfür sei, dass er für den Rest seines Lebens zu 80% schwerbeschädigt sei und ihm ohne seine täglich erforderlichen Medikamente in drei Monaten der Tod drohe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2019 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm über den 31. August 2019 hinaus Pflegegeld zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die eingelegte Beschwerde für unverständlich. Mit Schreiben vom 14. Januar 2020 habe sie dem Antragsteller mitgeteilt, dass sie das monatliche Pflegegeld weiterhin überweisen könne, da im Rahmen eines Beratungsbesuchs des Pflegedienstes festgestellt worden sei, dass die Pflege sichergestellt sei. Das Pflegegeld für Januar 2020 sei bereits am 27. Dezember 2019 überwiesen worden. Die weiteren Überweisungen erfolgten jeweils zum Monatsende für den Folgemonat.

Auf die Rückfrage der Berichterstatterin des Senats, ob die Beschwerde angesichts der Weitergewährung des Pflegegeldes zurückgenommen wird, hat sich der Antragsteller nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

1. Die gemäß § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, weil die Berufung in der Hauptsache nicht der Zulassung bedürfte. Der Antragsteller begehrt zukunftsgerichtet laufende Leistungen ohne Beschränkung und damit für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund).

Vorliegend kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund für die beantragte Anordnung besteht. Denn der Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, über den 31. August 2019 hinaus Pflegegeld zu zahlen, ist bereits unzulässig. Für den Erlass einer entsprechenden Anordnung besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht nur dann, wenn die erstrebte gerichtliche Eilentscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil erbringt und der Antragsteller sein Begehren nicht auf einfachere, schnellere und billigere Art durchsetzen kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 26b). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller, a.a.O. Rn. 42). Entsprechend trifft im Beschwerdeverfahren das Beschwerdegericht eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist die angestrebte Anordnung für den Antragsteller mit keinem tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil mehr verbunden. Mit Schriftsatz vom 5. November 2019 erklärte sich die Antragsgegnerin schon während des Antragsverfahrens bereit, das zum 31. August 2019 eingestellte Pflegegeld für die Vergangenheit nachzuzahlen und im Hinblick auf die Absicht, die Zahlung nunmehr erst zum 31. Dezember 2019 einzustellen, das Pflegegeld bis zum Jahresende weiter zu zahlen. Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller dementsprechend eine Nachzahlung für die Monate September bis Dezember 2019. Wie seinen Ausführungen im Beschwerdeverfahren zu entnehmen ist, ging diese Nachzahlung beim Antragsteller vor Weihnachten 2019 ein. Im Hinblick auf das vom Antragsteller für den nachfolgenden Zeitraum ab Januar 2020 beanspruchte Pflegegeld führte die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 29. Januar 2020 aus, dass im Rahmen eines Beratungsbesuches des Pflegedienstes zwischenzeitlich festgestellt worden sei, dass die Pflege des Antragstellers sichergestellt sei und an ihn daher weiterhin das monatliche Pflegegeld überwiesen werden könne. Dementsprechend sei das Pflegegeld für den Monat Januar 2020 bereits am 27. Dezember 2019 überwiesen worden. Die weiteren Überweisungen für das monatliche Pflegegeld erfolgten jeweils zum Monatsende für den Folgemonat.

Damit hat die Antragsgegnerin dem Begehren des Antragstellers auf Weitergewährung des Pflegegeldes über den 31. August 2019 hinaus in vollem Umfang Rechnung getragen. Für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2019 erhielt der Antragsteller eine Nachzahlung und für die Zeit ab 1. Januar 2020 nahm die Antragsgegnerin die regelmäßigen Pflegegeldzahlungen wieder auf, indem sie jeweils zum Monatsende für den Folgemonat Pflegegeld leistete. Das Rechtsschutzziel des Antragstellers hat sich damit erledigt, so dass sein Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §§ 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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