L 1 U 160/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2402/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 160/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob eine Rotatorenmanschettenruptur links als weitere Folge eines Arbeitsunfalls vom 16.06.2017 festzustellen ist.

Der 1958 geborene Kläger stürzte am 16.06.2017 im Rahmen seiner Tätigkeit als angestellter Elektroniker beim Montieren von Rauchmeldern von 5 bis 7 Leiterstufen (die Angaben variierten) von der Leiter auf den Boden. Nach eigenen Angaben hatte er nach dem Sturz leichte Schmerzen im Bereich der (linken) Schulter, die dann jedoch stärker wurden. Er habe noch ca. 1 Stunde weitergearbeitet.

Am 20.06.2017 stellte er sich bei der Durchgangsärztin Dr. K. vor, die eine Schürfung am Ellenbogen links streckseitig und am Unterarm links ulnar sowie am distalen Oberarm dorsal sowie prätibial am unteren Drittel rechts befundete und einen Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur links diagnostizierte. Abduktion und Elevation waren ab 110° schmerzhaft, eine Außenrotation nicht möglich. Das Röntgenergebnis der linken Schulter ergab keinen Hinweis auf eine frische Fraktur. Bei Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur links wurde ein MRT veranlasst.

Gemäß dem Bericht der Radiologie E. vom 24.06.2017 über die an diesem Tag durchgeführte MRT liege am ehesten eine Partialruptur der langen Bizepssehne vor; zudem eine Tendinopathie der Supraspinatussehne ohne Muskelatrophie sowie eine Tendinopathie der Infraspinatussehne.

Am 05.07.2017 begab sich der Kläger in Behandlung beim Durchgangsarzt Prof. Dr. L ... Dieser berichtete über eine deutlich eingeschränkte Funktion der linken Schulter und riet zu einer operativen Versorgung der Sehnenruptur.

Am 11.09.2017 erfolgte in den S. V. Kliniken K. eine operative Arthroskopie, eine arthroskopische Kapsulotomie, eine Tenotomie und Tenodese der langen Bizepssehne sowie eine arthroskopisch subakrominale Dekompression. Histologische Untersuchungen wurden nicht durchgeführt.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei dessen Krankenkasse bei.

Mit Bescheid vom 13.10.2017 erkannte die Beklagte den Unfall vom 16.06.2017 als Arbeitsunfall an. Unfallfolge sei eine verheilte Prellung des linken Schultergelenks. Darüber hinaus führte sie aus: "Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit lag nicht vor." Der mittels Kernspintomographie am 24.06.2017 festgestellte Teilriss der langen Bizepssehne sei hingegen nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.

Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 07.11.2017 Widerspruch, der inhaltlich nicht begründet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 24.04.2018 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben, welche durch Beschluss vom 20.07.2018 an das SG Karlsruhe (SG) verwiesen worden ist. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten ausgeführt, die Rotatorenmanschettenruptur sei sehr wohl auf das Unfallereignis zurückzuführen. Vor dem Unfallereignis habe er keinerlei Beschwerden an der linken Schulter gehabt.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und den Reha-EB der Z.-klinik vom 19.06.2013 beigezogen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. hat unter dem 30.08.2018 mitgeteilt, er habe den Kläger nach dem Unfallereignis nicht gesehen. Der Kläger sei allerdings nach wie vor in der Beweglichkeit seiner linken Schulter eingeschränkt und klage bei endgradigen Bewegungen über Schmerzzustände. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. P. hat am 09.10.2018 mitgeteilt, er gehe von einer Supraspintatussehnen-Teilruptur der linke Schulter als Unfallfolge aus. Der Klinikdirektor der Unfall- und Handchirurgischen Klinik S. V. Klinik K. Prof. Dr. L., hat am 20.08.2018 ausgeführt, er gehe von einer adhäsiven Kapsulitis posttraumatisch als Unfallfolge aus.

Das SG hat hierauf zur weiteren Ermittlung des Sachverhaltes ein medizinisches Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden und Unfallchirurgen Prof. Dr. L. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29.03.2019 ausgeführt, es liege beim Kläger keine Gesundheitsstörung vor, für die sich ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis wahrscheinlich machen lasse. Der Unfall habe zwar zu einer Zerrung der linken Schulter geführt, diese sei aber verheilt. Die Schädigung der Rotatorenmanschette links sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine alterungs- und verschleißbedingte Veränderung zurückzuführen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen das Gutachten des Prof. Dr. L. eingewandt, dieser habe bestätigt, dass "der Kläger vorher nichts gehabt hat" und meine dann "durch Aufstellung von Pro und Contras, dass eine Vorschädigung vorhanden gewesen sein muss, obwohl es für auch überhaupt keine Beweise" gebe.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 19.12.2019 hat das SG den Bescheid vom 13.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2018 insoweit aufgehoben, als darin festgestellt wird, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit nicht vorlagen. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, für die sogenannte (Nicht-)Feststellung der unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit durch die Beklagte fehle es an einer gesetzlichen Ermächtigung, da es sich hierbei jeweils nur um Vorfrage eines Anspruchs auf Heilbehandlung handle. Die (beim Kläger vorhandenen) Gesundheitsstörungen, insbesondere die Schädigung der Rotatorenmanschette links, seien indes nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalls vom 16.06.2017, wobei sich das SG im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. L. gestützt hat.

Gegen dieses Urteil, das den Beteiligten am 08.01.2020 (Beklagte) und am 09.01.2020 (Kläger) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, hat der Kläger am 13.01.2020 Berufung eingelegt, die trotz Erinnerung und Fristsetzung inhaltlich nicht begründet wurde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2019 abzuändern und unter Abänderung des Bescheides vom 13.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2018 festzustellen, dass eine Rotatorenmanschettenruptur links weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 16.06.2017 ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das Urteil des SG für zutreffend und hat darauf verwiesen.

Mit Verfügung vom 25.05.2020, welche dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28.05.2020 zuging, hat der Senat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Nach § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – in Ausübung seines richterlichen Ermessens die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Den Beteiligten wurde im Vorfeld der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Soweit das SG der Klage stattgegeben hat, ist das Urteil des SG in Rechtskraft erwachsen, da eine Berufung durch die Beklagte nicht eingelegt wurde. Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den klageabweisen Teil des Urteils vom 19.12.2019 ist statthaft und zulässig. Sie ist allerdings nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 13.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2018 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, als weitere Folge des Arbeitsunfalls einen Zustand nach Rotatorenmanschettenruptur links anzuerkennen.

Die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Feststellung von (weiteren) Unfallfolgen ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft.

Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Feststellung, dass der "Zustand nach Rotatorenmanschettenruptur links" eine weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 16.06.2017 ist. Der Arbeitsunfall vom 16.06.2017 ist nicht mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für die nach dem Unfall festgestellte Partial-Läsion der Supraspinatussehne und der Tenotomie der langen Bizepssehne links.

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R -).

Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalls im Sinne des § 8 SGB VII, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das "objektive", d.h. aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters gegebene Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Da der Gesundheitserstschaden (Gesundheitsbeeinträchtigung, Tod oder Krankheit) eine den Versicherungsfall selbst begründende Tatbestandsvoraussetzung und damit keine Folge des Arbeitsunfalls ist, muss er grundsätzlich bei der Feststellung des Versicherungsfalls benannt werden.

Bei dem Sturz des Klägers von der Leiter auf die linke Schulter hat es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Der Kläger hat entsprechend des von Dr. K. erhobenen Befundes im D Arzt-Bericht vom 20.06.2017 eine Schürfung am Ellenbogen links streckseitig und am Unterarm links ulnar sowie am distalen Oberarm dorsal sowie prätibial am unteren Drittel rechts (Gesundheitserstschaden) erlitten. Die Beklagte hat das Ereignis vom 16.06.2017 mit den angefochtenen Bescheiden als Arbeitsunfall und als dessen Folge eine verheilte Prellung des linken Schultergelenkes anerkannt.

Ein Anspruch auf Feststellung einer weitergehenden Unfallfolge besteht nicht. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass ein "Zustand nach Rotatorenmanschettenruptur links", auf den Sturz auf die linke Schulter am 16.06.2017 als wesentliche Ursache zurückzuführen ist.

Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen (und kein Ereignis ist monokausal), die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden.

Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. "Wesentlich" (zurechnungsbegründend) ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des BSG gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. nur BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 Rn. 15 ff. m.w.N.). Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, a.a.O.).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte - konkrete und klar definierte (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.) - Gesundheitsstörung müssen i.S. eines Vollbeweises erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84, SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 20 auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen über die von der Beklagten bereits anerkannte Schulterprellung hinaus keine als weitere Unfallfolgen festzustellende Gesundheitsstörungen im Bereich der linken Schulter. Der Kläger leidet ausweislich des ausführlichen und überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L. im Bereich der linken Schulter an einem Funktionsdefizit mit Bewegungseinschränkung, Narbenbildung, Kraftminderung bei Supraspinatussehnen-Partial Läsion und Zustand nach Tenotomie der langen Bizepssehnen, Dekompression und Kapsulotomie sowie an einer Verformung des Muskelbauches des Musculus biceps. Prof. Dr. L. hat jedoch überzeugend ausgearbeitet, dass beim Kläger keine Gesundheitsstörungen mehr vorliegen, für die sich ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis wahrscheinlich machen lässt. Prof. Dr. L. geht in seinem Gutachten zutreffend davon aus, dass die Frage, ob es sich um eine traumatische oder nicht traumatische Rotatorenmanschettenruptur gehandelt hat, nur aufgrund einer multifaktoriellen Analyse beantwortet werden kann, die neben der Vorgeschichte auch das potentiell schädigende Ereignis, das unfallnahe Verletzungsbild mit dem klinischen Primärbefund und weiteren Verlauf sowie die Bildgebung, den OP-Befund und histologischen Befund berücksichtigt. Der Einwand des Klägers, Prof. Dr. L. habe durch Aufstellung von Pro und Contras angenommen, dass eine Vorschädigung vorhanden gewesen sein müsse, obwohl es hierfür keine Beweise gebe verkennt, dass die von Prof. Dr. L. durchgeführte multifaktorielle Analyse dem neuesten anerkannten Stand des unfallmedizinischen Erfahrungswissens entspricht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, 8.2.5.3 (S. 433 bis 436): Vier-Säulen-Prinzip), welcher Kausalitätsbeurteilungen stets zugrunde zu legen ist (BSG, Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, juris, Rn. 61 f. und 67 f.). Indizien für eine frische (traumatische) Rotatorenmanschettenläsion (RM-Läsion) sind hiernach ein adäquates Trauma mit unmittelbar auftretender Symptomatik nach abgelaufenem die Rotatorenmanschette gefährdendem Verletzungsmechanismus, im Primärbefund eine Schwellung mit lokalem in die Bizepsloge fortgeleitetem Hämatom, eine Pseudoparalyse (Drop-Arm-Zeichen) und ein langsam abnehmendes Beschwerdebild bei bleibendem Kraftverlust. Demgegenüber stellen ein ungeeigneter Verletzungsmechanismus und verzögert auftretende Schmerzen und Funktionsstörungen Indizien für eine ältere degenerative RM-Läsion dar. Für eine frische traumatische RM-Läsion sprechen fehlende Sekundärveränderungen im Röntgenbefund und eine Hämatobursa im Sonografiebefund, während fehlende Flüssigkeit im Subakromialraum Indizwirkung für eine ältere RM-Läsion hat. Im MRT (falls innerhalb von 6 Wochen erstellt) sind Indizien für eine frische RM-Läsion ein Knochenödem im Bereich der Tubercula (bone bruise), ein Hämarthros, eine Hämatobursa, ein Sehnenstumpf am Tuberculum majus und ein voluminöser proximaler Sehnenrand mit Schlängelung (Kinking), während ein ausgedehnter Rotatorenmanschettendefekt mit Ausdünnung und weiter Retraktion der Sehnenränder und eine signalintensive Durchsetzung und Atrophie der betroffenen Muskelbäuche Indizien für eine ältere degenerative Rotatorenmanschettenläsion darstellen. Eine über mehrere Wochen anhaltende Pseudoparalyse entfaltet Indizwirkung für eine frische RM-Läsion, während eine Rückbildung von Schmerzen und Funktionsstörungen innerhalb von 6 Wochen für eine ältere degenerative RM-Läsion spricht. Im Operationsbefund sprechen ein Hämarthros und Bursaerguss (innerhalb von drei Wochen), aufgespleißte, blutig imbibierte Sehnenränder und eine spannungsfreie Rekonstruierbarkeit für eine frische RM-Läsion, weißliche, abgerundete und verhärtete Sehnenränder, exostotische und chondromalazische Veränderungen im Insertionsbereich und fehlende Rekonstruierbarkeit dagegen. Beim histologischen Befund entfalten Sehnengewebsnekrosen, Granulationsgewebe, Hämosiderineinlagerungen und Fibroplastenproliferation im Bereich der Sehnenränder Indizienwirkung für eine frische RM-Läsion, reparative Veränderungen mit Strukturalteration der kollagenen Fasern, Hypervaskularisation und faserknorpelige Umwandlung im Bereich der Sehnenränder dagegen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 434 ff).

Legt man dies zugrunde, überwiegen hier die Indizien, die gegen eine frische unfallbedingte Rotatorenmanschettenruptur sprechen. Für eine traumatische Zerreißung der Rotatorenmanschette sprechen nach den Ausführungen Prof. Dr. L.s die nach Angaben des Klägers vor dem streitgegenständlichen Geschehensablauf bestehende Beschwerdefreiheit an der linken Schulter, der zeitnahe Arztbesuch mit Dokumentation der Bewegungseinschränkung und die Tatsache, dass im MRT keine wesentliche muskuläre Athrophie feststellbar war.

Demgegenüber ist bereits ein geeigneter Verletzungsmechanismus nicht nachgewiesen. Zwar hat Prof. Dr. L. ausgeführt, der Kläger habe an den Aufprall nach dem Sturz von der Leiter keine Erinnerung, so dass ein potentiell geeigneter Unfallmechanismus "nicht ausgeschlossen werden" könne. Eine solche nicht auszuschließende Eignung als bloße Möglichkeit für einen geeigneten Geschehensablauf genügt indes nicht, um Indizwirkung für eine durch den streitbefangenen Geschehensablauf traumatisch verursachte Rotatorenmanschettenverletzung zu entfalten. Geeignete Unfallhergänge sind ein massives plötzliches Rückwärtsreißen oder Heranführen des Arms, wenn dieser zuvor fixiert war, z.B. beim Rückschlag einer Maschine oder Hängenbleiben mit dem Arm bei erheblicher Beschleunigung des Körpers, ein Sturz aus der Höhe nach vorne und Festhalten mit der Hand oder Treppensturz und Festhalten mit der Hand am Geländer, wobei ein Supraspinatussehnenriss vor allem bei forcierter Innenrotation entsteht, das ungeplante Auffangen eines schweren Gegenstandes und der Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 8.2.5.2 (S. 431-433)). Zu den ungeeigneten Unfallhergängen zählen sowohl eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter (Sturz, Prellung, Schlag) als auch aktive Tätigkeiten, die zu einer abrupten aber planmäßigen Muskelkontraktion führen (Heben, Halten, Werfen), denn das Zusammenspiel von Muskel-Sehne und Knochen setzt eine abgestimmte Belastbarkeit der Einzelkomponenten voraus. Da sich aus sämtlichen Schilderungen, die der Kläger gegenüber der Beklagten und den Gutachtern zum Ereignisverlauf abgegeben hat, hinsichtlich des Sturzes auf den Boden weder Angaben zur Armhaltung noch eine genaue Beschreibung des Sturzverlaufes oder von Sturzfolgen entnehmen lassen, vermag sich hieraus auch keine Indizwirkung für eine traumatisch verursachte Rotatorenmanschettenverletzung zu entfalten.

Prof. Dr. L. hat im Übrigen nachvollziehbar dargelegt, dass sowohl der intraoperative Befund mit Dokumentation einer partiellen Läsion ohne die Notwendigkeit einer operativen Versorgung als auch die vorhandene Schadensanlage im Sinne eines Outlet-Impingement gegen einen Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 16.06.2017 und der diagnostizierten Rotatorenmanschetten Partialläsion der linken Schulter spricht. Als maßgeblich gegen einen Zusammenhang zwischen Unfall und Rotatorenmanschetten Partialläsion sprechend hat er zudem - in Übereinstimmung mit der o.g. medizinischen Literatur - auch den MRT-Befund ohne wesentliche traumatypische Veränderungen wie ein Kinking der Sehne oder ein Gelenkerguss gewertet.

Unter multifaktorieller Analyse und Gewichtung der genannten Gesichtspunkte ist er zu dem für den Senat nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit dem Unfall am 16.06.2017 eine (binnen 6 Wochen ausgeheilte) Zerrung der linken Schulter zugezogen hat und eine vorbestehende alterungs- und verschleißbedingte Läsion der Rotatorenmanschette der linken Schulter vorlag, so dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Gesundheitsschaden auf Grund der Schadenanlage auch ohne das konkrete Unfallereignis zu annährend derselben Zeit und in annährend gleichem Ausmaß eingetreten wäre.

Soweit in der Stellungnahme des Prof. Dr. L. vom 20.08.2018 als Unfallfolge eine posttraumatische adhäsive Kapsulitis beschrieben wurde, hat Prof. Dr. L. dies überzeugend widerlegt. Er hat klargestellt, dass zwar eine theoretische Möglichkeit besteht, dass es nach einer traumatischen Verletzung der Schulter zu einer Einsteifung (adhäsive Kapsulitis) der Schulter kommen kann. In Anbetracht dessen, dass vorliegend jedoch weder die MRT, noch der intraoperative Befund eine traumatische Veränderung zeigten, kann jedoch gerade nicht von einer posttraumatischen adhäsiven Kapsulitis ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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