Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1924/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4578/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.10.2017 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 verurteilt, die Verletztenrente ab dem 01.06.2014 nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt zuletzt noch höhere Verletztenrente ab dem 01.06.2014.
Die am 1965 geborene Klägerin war seit dem Jahre 2000 als Assistentin im Arbeitgeberteam der Bundesagentur für Arbeit, für die die Beklagte zuständiger Unfallversicherungsträger ist, tätig. Am 09.04.2009 stolperte sie auf der Treppe ihrer Dienststelle, als sie während ihrer Arbeit und zu diesem Zweck von einem Dienstzimmer in ein anderes gehen wollte. Sie erlitt eine Prellung des rechten Kniegelenkes mit Teilruptur des vorderen Kreuzbandes und Knorpelschaden an der Femurgelenkfläche. Es folgten insgesamt sieben operative Maßnahmen, u.a. mit Knorpeltransplantation und Kreuzbandplastik, zuletzt am 13.07.2011. Hinsichtlich der Einzelheiten der therapeutischen Maßnahmen, einschließlich Operationen, und der dabei gestellten Diagnosen wird auf die Feststellungen des Sozialgerichts Reutlingen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. In der Folge kam es zu erheblichen Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk, Schmerzzuständen und depressiven Zuständen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.02.2012 (Bl. 1090 VA) stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 15.04.2012 ein. Mit Bescheid vom 17.04.2013 bewilligte sie Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Grundlage dieser Entscheidung war das Gutachten von Prof. Dr. G. , Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. (BG Klinik), der die Klägerin im September 2012 untersuchte und bei dem die - bis heute - zwei Unterarmgehstützen nutzende Klägerin u.a. eine ausgeprägte Berührungsempfindlichkeit am rechten Oberschenkel, stechende Schmerzattacken im rechten Kniegelenk sowie nächtliche Ruheschmerzen und deshalb unterbrochenen Nachtschlaf als Beschwerden angab. Prof. Dr. G. sah das angegebene Belastungsdefizit der rechten unteren Extremität, die Einschränkung der Beweglichkeit, eine unklar ausgeprägte Berührungsempfindlichkeit, Knorpelschäden sowie eine Muskeldifferenz im rechten Ober- und Unterschenkel als Unfallfolgen an und beurteilte die MdE bei einer gemessenen Bewegungseinschränkung von 0-0-100° im rechten Kniegelenk mit 20 v.H. Dabei ging er davon aus, dass auf nervenärztlichem Fachgebiet keine unfallbedingte MdE bestehe. Er legte dabei das nervenärztliche Zusatzgutachten vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie B. zu Grunde, der die Klägerin ebenfalls im September 2012 untersuchte und eine Schmerz- und Berührungsüberempfindlichkeit am rechten Bein diagnostizierte, aber ohne fassbares neurologisches oder elektrophysiologisches Defizit. Er schloss eine diskutierte Lähmung des Nervus femoralis sowie eine sonstige Beinnerven-Störung aus. Im Übrigen diagnostizierte er eine depressive Anpassungsstörung bei chronischen Schmerzen, zu deren Ursache er aber keine Ausführungen machte. Eine unfallbedingte MdE verneinte er.
Im Verlaufe des von der Klägerin gegen den Bescheid vom 17.04.2013 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens begann die Klägerin eine psychotherapeutische Behandlung beim Diplom-Psychologen G. , der von einer mittelgradigen depressiven Episode ausging und zur Schmerztherapie eine begleitende Psychotherapie für dringend geboten erachtete (Bl. 1728 VA). Daraufhin bestätigte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass wegen der Folgen des Unfalls vom 09.04.2009 eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich sei (Bl. 1731 VA). Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin am 07.05.2014 durch Prof. Dr. A. erneut auf chirurgischem Fachgebiet begutachtet (Bl. 1895 ff. VA). Ihm gegenüber gab die Klägerin u.a. an, ihr Alltagsleben sei stark eingeschränkt. Sie habe Schmerzen im rechten Bein, große Schlafschwierigkeiten und leide teilweise auch unter Depressionen. Zwischenzeitlich hätten die Schmerzen zugenommen und sich die Beweglichkeit verschlechtert. Die unfallchirurgische MdE schätzte der Gutachter angesichts der von ihm gemessenen Bewegungsmaße des rechten Knies von 0-0-30° auf 30 v.H., wozu die neurologische Symptomatik - er ging noch von einem von den Behandlern diagnostizierten chronischen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) aus - und die Berührungsempfindlichkeit hinzukomme. Die danach festzulegende MdE werde ergänzend zu der von ihm festgesetzten hinzukommen.
In ihrem nervenärztlichen Gutachten dokumentierte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-R. u.a. Dauerschmerzen im rechten Knie und Schmerzattacken, Schlafstörungen und Einschränkungen der Teilhabe am Leben (kein Sport mehr, keine Freunde mehr, Angst rauszugehen, vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 2012 f. VA). Bei der Inspektion des rechten Beines vermochte die Gutachterin Reste eines CRPS nicht zu erkennen. Sie diagnostizierte eine chronifizierte depressive Symptomatik mittelgradiger Ausprägung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die sie aber nicht auf den Arbeitsunfall zurückführte. Die psychische Symptomatik sei erst ca. drei Jahre nach dem Unfall behandelt worden, sodass es schon am zeitlichen Zusammenhang fehle. Hinsichtlich der somatoformen Störung wies sie darauf hin, dass dieser Erkrankung ein innerer Konflikt zu Grunde liege. Sie sei deshalb keine Unfallfolge.
Daraufhin erließ die Beklagte den Teilabhilfebescheid vom 18.03.2015, mit dem sie den Bescheid vom 17.04.2013 änderte und die Rente ab 01.06.2014 nach einer MdE um 30 v.H. bewilligte. Den Widerspruch wies sie im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück.
Am 06.08.2015 hat die Klägerin hiergegen beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, von ihr im Einzelnen aufgeführte Unfallfolgen anzuerkennen (vgl. hierzu Bl. 2 SG-Akte) und der Klägerin die Rente nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren.
Im Rahmen der vom Sozialgericht durchgeführten Sachaufklärung hat der Diplom-Psychologe G. über seine Behandlungen der depressiven Störung und über Einschränkungen der sozialen Integration der Klägerin berichtet. Der Chirurg Dr. U. , der die Klägerin mehrmals operiert hatte, ist von einem CRPS ausgegangen, das unfallbedingt sei. Auch die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. K. hat von einem CRPS mit u.a. Gangstörungen, Schmerzzuständen und Schlafstörungen berichtet. Im Zuge dieser Sachaufklärung ist auch ein Bericht über eine stationäre medizinische Rehabilitation im Oktober/November 2006 in der R.-T. (Bl. 109 ff. SG-Akte) sowie über eine tagesklinische Behandlung von November 2006 bis Februar 2007 in der S. -Klinik Z. (Bl. 169 ff. SG-Akte) zu den Akten gelangt. Anlass dieser Behandlungen war ein Zusammenbruch der Klägerin im Juli 2006 anlässlich einer familiären Auseinandersetzung mit ihrem Sohn. Es wurde auch dokumentiert, dass die Mutter der Klägerin starb, als die Klägerin sechs Jahre alt war und die Klägerin im Alter von 14 Jahren vergewaltigt wurde. Aus der abschließenden tagesklinischen Behandlung wurde die Klägerin in gut stabilisiertem psychischen Zustand entlassen. Nachfolgend war sie wieder in Vollzeit an ihrem alten Arbeitsplatz tätig.
Das Sozialgericht hat beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. ein entsprechendes Gutachten eingeholt. Bei seiner Untersuchung der Klägerin im November 2016 hat sie u.a. die Überempfindlichkeit am rechten Bein, Schmerzattacken im Knie, psychische Probleme und Einschränkungen im Alltagsverhalten angegeben. Prof Dr. Dr. W. hat Anzeichen für einen regelmäßigen Gebrauch der Unterarmgehstützen, eine ersichtliche Atrophie des Musculus quadrizeps femoris rechts im Seitenvergleich, eine geringe Ausbildung der kleinen Fußrückenmuskulatur rechts gegenüber links sowie eine geringer ausgeprägte Fußsohlenbeschwielung rechts gegenüber links beschrieben. Lokale Auffälligkeiten am rechten Knie im Sinne eines CRPS hat er nicht erkennen können, sodass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein solches Schmerzsyndrom ausgeschlossen hat. Einen neuropathischen Schmerz durch eine Schädigung des Nervus femoralis rechts hat er zwar als möglich, jedoch nicht als nachgewiesen erachtet. Er ist weniger von einer depressiven Störung denn einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ausgegangen (Bl. 150 SG-Akte) und hat als Diagnose eine "ausgeprägte Somatisierungsstörung mit im Vordergrund stehenden Schmerzen" gestellt. Einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang hat er allerdings verneint, weil Ursache einer derartigen Störung so gut wie immer emotionale Vernachlässigung und psychische Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend seien, was bei der Klägerin - insoweit hat er im Gutachten den Verlust der Mutter im Kindesalter sowie die Vergewaltigung in der Jugend angeführt - der Fall sei. Das Unfallereignis und seine Folgen - so der Sachverständige weiter - seien demnach zwar als Auslöser dieser umfangreichen Symptomatik zu betrachten, ursächlich sei dies jedoch bei Weitem überwiegend der Vorschädigung zuzurechnen (Bl. 152 SG-Akte). Dieser Beurteilung hat der Diplom-Psychologe G. in einem von der Klägerin vorgelegten Attest widersprochen und ausgeführt, die Vorschädigung sei behandelt und aufgearbeitet gewesen.
Mit Urteil vom 20.10.2017 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.05.2014 Rente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt, dass weder ein CRPS noch eine Schädigung des Nervus femoralis nachgewiesen seien.
Gegen das noch im November 2017 den Beteiligten zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.11.2017 und die Beklagte am 01.12.2017 Berufung eingelegt.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat ein Gutachten beim Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. A. eingeholt. Der Sachverständige hat keine Veränderungen im Vergleich zur Begutachtung von Prof. Dr. A. festgestellt (Bewegungsmaße 0-0-30°) und die rein chirurgische MdE weiterhin mit 30 v.H. bewertet. Er hat empfohlen, das chronische Schmerzsyndrom mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten und die Gesamt-MdE auf 40 v.H. zu erhöhen. Hierzu hat die Beklagte die Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr. K. vorgelegt, der darauf hingewiesen hat, dass die Beurteilung des Schmerzsyndroms durch den Sachverständigen fachfremd erfolgt sei und insoweit ein neurologisch-psychiatrischer Sachverständiger ergänzend anzuhören wäre.
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat die Klägerin auf Hinweise des Senats (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen) die Klage auf Anerkennung von Unfallfolgen und die Klage auf höhere Verletztenrente für die Zeit vor dem 01.06.2014 zurückgenommen, woraufhin die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.10.2017 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 zu verurteilen, die Verletztenrente ab dem 01.06.2014 nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist in vollem Umfang begründet. Die Klägerin hat ab dem 01.06.2014 einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der Bescheid vom 18.03.2015, mit dem die Beklagte für die Zeit ab dem 01.06.2014 die zuvor mit Bescheid vom 17.04.2013 bewilligte Rente auf unbestimmte Zeit auf eine MdE um 30 v.H. erhöhte. Nur im Hinblick auf diese Höhe der MdE und nur für die Zeit ab dem 01.06.2014 führt die Klägerin den Rechtsstreit weiter. Im Hinblick auf die ursprünglich beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen, ebenso im Hinblick auf die Gewährung höherer Verletztenrente für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.05.2014, sodass das für die Zeit von 01.07.2013 bis 31.05.2014 zugunsten der Klägerin ergangene Urteil des Sozialgerichts gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz der Zivilprozessordnung (ZPO) wirkungslos geworden ist, weswegen auch die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Hier ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch der Senat hat hieran keinen Zweifel, dass die Klägerin am 09.04.2009 einen Arbeitsunfall erlitt, als sie in ihrer Dienststelle bei Verrichtung der versicherten Tätigkeit - Aufsuchen eines anderen Dienstzimmers - auf der Treppe stolperte und sich das Knie verletzte. Dem entsprechend hat die Klägerin Anspruch auf Verletztenrente für die Folgen dieses Arbeitsunfalls. Davon geht auch die Beklagte aus. Sie bewilligte der Klägerin mit dem - insoweit bestandskräftigen - Bescheid vom 17.04.2013 insbesondere wegen der Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit (s. die Begründung des Bescheides) eine solche Rente, damals nach einer MdE um 20 v.H. und erhöhte diese Rente ab dem Beginn des streitigen Zeitraums nach eingetretener Verschlechterung der Beweglichkeit mit dem streitigen Bescheid auf 30 v.H. Indessen steht der Klägerin höhere Verletztenrente zu.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Soweit die Beklagte für die funktionellen Einschränkungen des rechten Knies - maßgeblich geprägt durch die Bewegungseinschränkung auf 0-0-30° - eine MdE um 30 v.H. annimmt, ist dies nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil unter Hinweis auf das auch vom Senat regelmäßig der MdE-Bewertung herangezogene unfallmedizinische Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, zutreffend dargelegt, dass diese chirurgische Unfallfolge damit zutreffend bewertet ist. Die Klägerin hat hiergegen auch keine inhaltlichen Einwände erhoben. Der Senat verweist daher insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Auch Dr. A. hat klargemacht, dass aus chirurgischer Sicht für den aktuellen Zeitpunkt keine MdE höher als 30 v.H. in Betracht kommt.
Allerdings sind zusätzlich zu dieser chirurgisch bewerteten MdE die Einschränkungen zu berücksichtigen, die sich aus den durchweg in den Gutachten dokumentierten Schmerzzuständen ergeben. Denn diese Schmerzzustände sind ebenfalls wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90).
Dr. A. hat - wie schon Prof. Dr. A. , damals unter dem Aspekt eines die Schmerzen verursachenden CRPS - auf das chronische Schmerzsyndrom hingewiesen, das - falls unfallbedingt - zu einer Erhöhung der rein chirurgischen MdE führe. Soweit Dr. A. in diesem Zusammenhang einen ursächlichen Zusammenhang - ohne Begründung - annimmt, wendet die Beklagte mit der Stellungnahme von Dr. K. zu Recht ein, dass dies eine Frage des nervenärztlichen Fachgebiets ist. Allerdings ist die von Dr. K. angeregte nervenärztliche Begutachtung nicht erforderlich, weil bereits zwei solcher Gutachten vorliegen. Sowohl Dr. K.-R. als auch Prof. Dr. Dr. W. gehen nachvollziehbar von einer somatoformen Schmerzstörung aus.
Die Schmerzzustände am rechten Bein stehen zur Überzeugung des Senats fest. Keiner mit der Begutachtung betrauten Ärzte und auch kein behandelnder Arzt hat solche Schmerzzustände und ihre Auswirkungen in Zweifel gezogen. Die (ohnehin nur) von Prof. Dr. G. formulierten Bedenken bezogen sich lediglich auf das Ausmaß - also nicht das "Ob"- der demonstrierten Schmerzüberempfindlichkeit an der Oberfläche des rechten Beins, nicht jedoch auf die Schilderung massiver Schmerzen im rechten Knie mit ihren Auswirkungen auf alltägliche Verrichtungen (u.a. im Haushalt) und den Nachtschlaf. Vor allem aber liegen sekundäre Zeichen eines schmerzbedingen Mindergebrauchs des rechten Beines vor. Insbesondere Prof. Dr. Dr. W. hat hierzu in seinem Gutachten Anzeichen für einen regelmäßigen Gebrauch der Unterarmgehstützen, eine ersichtliche Atrophie des Musculus quadrizeps femoris rechts im Seitenvergleich, eine geringe Ausbildung der kleinen Fußrückenmuskulatur rechts gegenüber links sowie eine geringer ausgeprägte Fußsohlenbeschwielung rechts gegenüber links dokumentiert.
Diese Schmerzzustände sind - auch hiervon ist der Senat überzeugt - als somatoforme Schmerzstörung diagnostisch zu erfassen. Wie das Sozialgericht geht auch der Senat in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Dr. W. und der Gutachterin Dr. K.-R. davon aus, dass bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom vorliegt, nachdem sich eine organische Störung als Ursache dieser Schmerzzustände nicht hat nachweisen lassen. Die Beklagte hat hierzu zu keinem Zeitpunkt Einwände erhoben, sondern mit Dr. K. eine derartige Schmerzstörung bestätigt.
Entgegen den Darlegungen von Dr. K.-R. und Prof. Dr. Dr. W. ist ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit dem Arbeitsunfall zu bejahen. Hierzu enthält allerdings lediglich das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. konkrete Ausführungen, während sich Dr. K.-R. darauf beschränkt, einen Zusammenhang mit einem inneren Konflikt zu postulieren, ohne dies auch nur im Ansatz zu begründen, und deshalb einen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall ausschließt (Bl. 2023, 2025 VA). Ihre Ausführungen sind daher - anders als das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. - keine geeignete Grundlage für eine Entscheidung des Senats. Soweit Prof. Dr. Dr. W. allerdings einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall verneint, weil eine Vorschädigung vorliege, der überwiegende Bedeutung zukomme, beachtet er die rechtlichen Kriterien der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht hinreichend.
Prof. Dr. Dr. W. diagnostiziert eine ausgeprägte Somatisierungsstörung mit im Vordergrund stehenden Schmerzen (Bl. 152 SG-Akte), ausgelöst durch das Unfallereignis (Bl. 152 SG-Akte: "als Auslöser"). Danach - und hieran hat der Senat auch keinen Zweifel - sind die Schmerzen des rechten Knies ursächlich im naturwissenschaftlichen Sinn auf den Arbeitsunfall zurückzuführen (erste Stufe der Kausalitätsprüfung).
Zwar sieht der Sachverständige diese Somatisierungsstörung "bei Weitem überwiegend" im Zusammenhang mit einer psycho-traumatischen Vorschädigung aus der Kindheit und Jugend (Verlust der Mutter, als sie sechs Jahre alt war und Vergewaltigung mit 14 Jahren, vgl. Bl. 147 SG-Akte), weil so gut wie immer eine emotionale Vernachlässigung und Traumatisierung in der Kindheit und Jugend als Ursache einer solchen Störung vorliege (Bl. 152 SG-Akte). Die damit bestehende weitere anlagebedingte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn schließt aber den ursächlichen Zusammenhang der Störung und damit der Schmerzen mit dem Arbeitsunfall im naturwissenschaftlichen Sinn nicht aus. Vielmehr ist damit auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. von zwei Ursachen auszugehen, von denen der Arbeitsunfall jedenfalls auch wesentlich war.
Es kann nämlich mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als wesentlich anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage (egal, ob bislang stumm oder als Vorschaden manifest) zu vergleichen und abzuwägen ist (Problem der inneren Ursache), ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" (im Falle eines Vorschadens weiterer) akuter Erscheinungen aus ihr durch das Unfallereignis nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Erscheinung zu derselben Zeit ohne jede äußere Einwirkung aufgetreten wäre (siehe BSG, Urteil vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R).
Für eine derartige überragende Bedeutung der anlagebedingten Vorschädigung ist nichts ersichtlich und Derartiges wird auch von Prof. Dr. Dr. W. nicht behauptet. Er geht zwar von einer "bei Weitem überwiegenden" Ursächlichkeit der Vorschädigung aus, begründet diese These aber zum einen nicht. Zum anderen lässt sich seinen Ausführungen lediglich entnehmen, dass er der Vorschädigung ein deutliches Übergewicht beimisst. Nach den dargelegten Grundsätzen, wonach auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein kann, schließt dies einen wesentlichen Zusammenhang zwischen den durch die Somatisierungsstörung bedingten Schmerzen und dem Arbeitsunfall gerade nicht aus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein alltägliches Ereignis im Sinne einer leichten Belastung des täglichen Lebens (das BSG stellt darauf ab, ob der Versicherte noch den Einflüssen des allgemeinen Erwerbslebens in geringem Umfang ausgesetzt werden konnte oder nicht, u.a. Urteil vom 04.12.1991, 2 RU 14/91, Rdnrn. 24, 26) ebenfalls zu der Somatisierungsstörung geführt hätte. Die Klägerin war trotz der vom Sachverständigen angenommenen psycho-traumatischen Vorschädigung zu einem normalen Leben, einschließlich Ausbildung zur Friseurin, der Geburt und alleinigen Erziehung zweier 1984 und 1987 geborener Söhne, und einem normalen Arbeitsleben, jedenfalls seit 2000 in Vollzeit (Bl. 114 SG-Akte), in der Lage. Einen insbesondere durch eine familiäre Auseinandersetzung verursachten Zusammenbruch im Jahr 2006 (Bl. 109 ff. SG-Akte) überwand sie nach den anamnestischen Darstellungen und Erhebungen von Prof. Dr. Dr. W. in weniger als einem Jahr vollständig (Bl. 131, 139 SG-Akte, s. auch Bl. 169 ff. SG-Akte zum Abschluss der Behandlung im Februar 2007 mit deutlicher Stabilisierung), eine Restsymptomatik und/oder eingeschränkte psychische Belastbarkeit im Zeitpunkt des Unfalls ist nicht feststellbar (so ausdrücklich die Gutachterin Dr. K.-R. , Bl. 2023 VA, und der Diplom-Psychologe G. Bl. 32, 179 SG-Akte) und wird auch vom Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. nicht beschrieben. Entsprechend war sie bis zum in Rede stehenden Unfall als Teamassistentin im Arbeitgeberteam der Bundesagentur für Arbeit in Vollzeit tätig.
Es mag sein, dass eine solche Somatisierungsstörung ohne Vorschädigung nicht oder nicht in diesem Ausmaß entstanden wäre. Dies ist jedoch nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung. Denn es ist unerheblich, ob ein gesunder Mensch bei dem in Rede stehenden Ereignis keinen (psychischen) Schaden genommen hätte, weil die gesetzliche Unfallversicherung den Versicherten in dem Zustand schützt, in dem er den Versicherungstatbestand erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 5.9.2006, B 2 U 25/05 R).
Der Senat hat deshalb keinen Zweifel, dass ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang der Somatisierungsstörung und damit der Schmerzen am rechten Bein mit dem Arbeitsunfall besteht. Dem entsprechend ist diese Schmerzstörung mit ihren Auswirkungen bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen.
Eine somatoforme Schmerzstörung wird - vgl. Schönberger u.a., a.a.O., S. 245 - mit einer MdE bis 10 v.H. bewertet, wenn der Schmerzzustand mit leicht- bis mäßiggradiger körperlich-funktioneller Einschränkung verbunden ist und mit einer MdE bis zu 30 v.H. im Falle eines chronifizierten Schmerzzustandes mit stärkergradiger körperlich-funktioneller Einschränkung und psychisch-emotionaler Beeinträchtigung. Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat die bei der Klägerin vorliegende somatoforme Schmerzstörung mit einer MdE um 20 v.H. Die Klägerin leidet - durchweg in den Gutachten dokumentiert - an einem chronifizierten Schmerzzustand, der ihre Bewegungsmöglichkeiten einschränkt, sodass sie auf zwei Unterarmgehstützen und für die Bewältigung ihres Haushaltes auf eine von der Beklagten auch bezahlte Haushaltshilfe angewiesen ist. Hinzu kommen wegen bestehender Ruheschmerzen noch Schlafstörungen, die zu entsprechenden psychischen Beeinträchtigungen führen. Damit verbunden sind - von Dr. K.-R. als eigenständige Diagnose bestätigt und auch Prof. Dr. Dr. W. hat depressive Anteile gesehen, allerdings der Somatisierungsstörung zugeordnet (testpsychologisch einerseits auffällig, Bl. 146 f. SG-Akte, andererseits klinisch " ... weniger das Bild einer depressiven Störung denn einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ...", Bl. 150 SG-Akte) - depressive Zustände. Angesichts der Überschneidungen der damit verbundenen Beeinträchtigungen mit der chirurgisch beurteilten Bewegungseinschränkung ist die MdE insgesamt mit 40 v.H. zu bewerten.
Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass der Überlegung von Dr. K.-R. , die depressive Symptomatik sei nicht kausal, da erst drei Jahre nach dem Unfall behandelt worden, schon deshalb der Boden entzogen ist, weil der Senat mit Prof. Dr. Dr. W. davon ausgeht, dass keine eigenständige depressive Störung vorliegt, sondern diese Störungen Teil der ausgeprägten und - wie dargelegt - unfallbedingten Somatisierungsstörung sind. Im Übrigen verkennt Dr. K.-R. u.a., dass der Arbeitsunfall selbst diese depressive Symptomatik nicht hervorrief, worauf auch Prof. Dr. Dr. W. hinweist (Bl. 152 VA), und wovon auch die Klägerin nicht ausgeht, sodass der Hinweis auf einen fehlenden zeitlichen Zusammenhang an der Thematik vorbeigeht. Den Aspekt eines "mittelbaren" Zusammenhangs (depressive Zustände als Folge der Schmerzstörung bzw. ihren funktionellen - Einschränkungen beim Gehen und Stehen, im Haushalt etc. - und sozialen - vgl. die Auflistung Bl. 2012 f. VA - Auswirkungen), von dem Prof. Dr. Dr. W. zu Recht ausgeht (s.o.), vernachlässigt die Gutachterin vollständig.
Der von der Beklagten im Termin zur Erörterung des Sachverhalts zur Frage der Höhe der MdE erhobene Einwand, eine solche MdE um 40 v.H. sei für Unterschenkelamputierte vorgesehen, wobei die Klägerin bessergestellt sei, greift nicht durch.
Nach dem von der Beklagten - wie von allen Unfallversicherungsträgern (vgl. Schiltenwolf/Wich/Scholtysik, MedSach 2020, 219 ff.) - hierbei zu Grunde gelegten Konsenspapier der MdE-Expertengruppe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), veröffentlicht als PDF-Datei auf der Homepage der DGUV, Publikationen, wird in der Tat der Verlust eines Beines im Unterschenkel mit einer MdE um 40 v.H. bewertet. Vorausgesetzt wird bei dieser MdE-Bewertung, dass das Kniegelenk dieses Beines intakt ist, sonst erhöht sich die MdE auf 50 v.H. Ohnehin stellen die MdE-Werte Mindestwerte dar, von denen unter zu begründenden Umständen im Einzelfall nach oben abgewichen werden kann (Konsensempfehlungen S. 27). Hierzu gehören insbesondere eine Nervenschädigung, eine deutliche Muskelminderung oder eine verminderte Belastungsfähigkeit (Konsensempfehlungen, a.a.O.). Hinzu kommt, dass die vorgeschlagenen MdE-Werte auf einer anzustrebenden Versorgung der versicherten Person mit Hilfsmitteln beruht, also einem Ausgleich der Amputation als solches (Konsensempfehlungen, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Beklagte die Situation der Klägerin besser als jene einer versorgten Unterschenkelamputierten mit intaktem Kniegelenk ansieht. Die Klägerin leidet an erheblichen Bewegungseinschränkungen im Knie selbst und zusätzlich, weiter limittierend, erheblichen Schmerzzuständen, die nicht nur Auswirkungen auf die Geh- und Stehfähigkeit und damit die Alltagsverrichtungen haben, sondern auch - wie in den Gutachten dokumentiert - auf Nachtschlaf und Psyche. Gerade die von Prof. Dr. Dr. W. zuletzt beschriebene Muskelminderung und die von allen Gutachtern angenommene Einschränkung der Belastungsfähigkeit würden bei einem Unterschenkelamputierten eine Erhöhung der allein durch den Gliedmaßenverlust, der bei der Klägerin nicht vorliegt, gerechtfertigten MdE nahelegen. Damit wäre im Falle der von der Beklagten herangezogenen Vergleichsgruppe der Unterschenkelamputierten mit zusätzlichen Einschränkungen eine Bewertung der MdE sogar mit mehr als 40 in Erwägung zu ziehen, sodass sich das Ergebnis des Senats auch in diesem Vergleich rechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Klägerin angesichts ihres Erfolges mit dem Begehren, ab dem 01.06.2014 und für unbestimmte Zeit eine höhere MdE zu erhalten, gegenüber dem erfolglosen Begehren, dieselbe MdE auch für zwei Jahre zuvor sowie die Anerkennung von Unfallfolgen zu erreichen, knapp zur Hälfte obsiegt hat. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass sich der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung von Unfallfolgen in materiell-rechtlicher Hinsicht teilweise mit der von der Klägerin begehrten Beurteilung der Höhe der MdE überschneidet. Insgesamt hält der Senat eine Halbierung der außergerichtlichen Kosten für angemessen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt zuletzt noch höhere Verletztenrente ab dem 01.06.2014.
Die am 1965 geborene Klägerin war seit dem Jahre 2000 als Assistentin im Arbeitgeberteam der Bundesagentur für Arbeit, für die die Beklagte zuständiger Unfallversicherungsträger ist, tätig. Am 09.04.2009 stolperte sie auf der Treppe ihrer Dienststelle, als sie während ihrer Arbeit und zu diesem Zweck von einem Dienstzimmer in ein anderes gehen wollte. Sie erlitt eine Prellung des rechten Kniegelenkes mit Teilruptur des vorderen Kreuzbandes und Knorpelschaden an der Femurgelenkfläche. Es folgten insgesamt sieben operative Maßnahmen, u.a. mit Knorpeltransplantation und Kreuzbandplastik, zuletzt am 13.07.2011. Hinsichtlich der Einzelheiten der therapeutischen Maßnahmen, einschließlich Operationen, und der dabei gestellten Diagnosen wird auf die Feststellungen des Sozialgerichts Reutlingen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. In der Folge kam es zu erheblichen Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk, Schmerzzuständen und depressiven Zuständen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.02.2012 (Bl. 1090 VA) stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 15.04.2012 ein. Mit Bescheid vom 17.04.2013 bewilligte sie Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Grundlage dieser Entscheidung war das Gutachten von Prof. Dr. G. , Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. (BG Klinik), der die Klägerin im September 2012 untersuchte und bei dem die - bis heute - zwei Unterarmgehstützen nutzende Klägerin u.a. eine ausgeprägte Berührungsempfindlichkeit am rechten Oberschenkel, stechende Schmerzattacken im rechten Kniegelenk sowie nächtliche Ruheschmerzen und deshalb unterbrochenen Nachtschlaf als Beschwerden angab. Prof. Dr. G. sah das angegebene Belastungsdefizit der rechten unteren Extremität, die Einschränkung der Beweglichkeit, eine unklar ausgeprägte Berührungsempfindlichkeit, Knorpelschäden sowie eine Muskeldifferenz im rechten Ober- und Unterschenkel als Unfallfolgen an und beurteilte die MdE bei einer gemessenen Bewegungseinschränkung von 0-0-100° im rechten Kniegelenk mit 20 v.H. Dabei ging er davon aus, dass auf nervenärztlichem Fachgebiet keine unfallbedingte MdE bestehe. Er legte dabei das nervenärztliche Zusatzgutachten vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie B. zu Grunde, der die Klägerin ebenfalls im September 2012 untersuchte und eine Schmerz- und Berührungsüberempfindlichkeit am rechten Bein diagnostizierte, aber ohne fassbares neurologisches oder elektrophysiologisches Defizit. Er schloss eine diskutierte Lähmung des Nervus femoralis sowie eine sonstige Beinnerven-Störung aus. Im Übrigen diagnostizierte er eine depressive Anpassungsstörung bei chronischen Schmerzen, zu deren Ursache er aber keine Ausführungen machte. Eine unfallbedingte MdE verneinte er.
Im Verlaufe des von der Klägerin gegen den Bescheid vom 17.04.2013 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens begann die Klägerin eine psychotherapeutische Behandlung beim Diplom-Psychologen G. , der von einer mittelgradigen depressiven Episode ausging und zur Schmerztherapie eine begleitende Psychotherapie für dringend geboten erachtete (Bl. 1728 VA). Daraufhin bestätigte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass wegen der Folgen des Unfalls vom 09.04.2009 eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich sei (Bl. 1731 VA). Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin am 07.05.2014 durch Prof. Dr. A. erneut auf chirurgischem Fachgebiet begutachtet (Bl. 1895 ff. VA). Ihm gegenüber gab die Klägerin u.a. an, ihr Alltagsleben sei stark eingeschränkt. Sie habe Schmerzen im rechten Bein, große Schlafschwierigkeiten und leide teilweise auch unter Depressionen. Zwischenzeitlich hätten die Schmerzen zugenommen und sich die Beweglichkeit verschlechtert. Die unfallchirurgische MdE schätzte der Gutachter angesichts der von ihm gemessenen Bewegungsmaße des rechten Knies von 0-0-30° auf 30 v.H., wozu die neurologische Symptomatik - er ging noch von einem von den Behandlern diagnostizierten chronischen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) aus - und die Berührungsempfindlichkeit hinzukomme. Die danach festzulegende MdE werde ergänzend zu der von ihm festgesetzten hinzukommen.
In ihrem nervenärztlichen Gutachten dokumentierte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-R. u.a. Dauerschmerzen im rechten Knie und Schmerzattacken, Schlafstörungen und Einschränkungen der Teilhabe am Leben (kein Sport mehr, keine Freunde mehr, Angst rauszugehen, vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 2012 f. VA). Bei der Inspektion des rechten Beines vermochte die Gutachterin Reste eines CRPS nicht zu erkennen. Sie diagnostizierte eine chronifizierte depressive Symptomatik mittelgradiger Ausprägung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die sie aber nicht auf den Arbeitsunfall zurückführte. Die psychische Symptomatik sei erst ca. drei Jahre nach dem Unfall behandelt worden, sodass es schon am zeitlichen Zusammenhang fehle. Hinsichtlich der somatoformen Störung wies sie darauf hin, dass dieser Erkrankung ein innerer Konflikt zu Grunde liege. Sie sei deshalb keine Unfallfolge.
Daraufhin erließ die Beklagte den Teilabhilfebescheid vom 18.03.2015, mit dem sie den Bescheid vom 17.04.2013 änderte und die Rente ab 01.06.2014 nach einer MdE um 30 v.H. bewilligte. Den Widerspruch wies sie im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück.
Am 06.08.2015 hat die Klägerin hiergegen beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, von ihr im Einzelnen aufgeführte Unfallfolgen anzuerkennen (vgl. hierzu Bl. 2 SG-Akte) und der Klägerin die Rente nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren.
Im Rahmen der vom Sozialgericht durchgeführten Sachaufklärung hat der Diplom-Psychologe G. über seine Behandlungen der depressiven Störung und über Einschränkungen der sozialen Integration der Klägerin berichtet. Der Chirurg Dr. U. , der die Klägerin mehrmals operiert hatte, ist von einem CRPS ausgegangen, das unfallbedingt sei. Auch die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. K. hat von einem CRPS mit u.a. Gangstörungen, Schmerzzuständen und Schlafstörungen berichtet. Im Zuge dieser Sachaufklärung ist auch ein Bericht über eine stationäre medizinische Rehabilitation im Oktober/November 2006 in der R.-T. (Bl. 109 ff. SG-Akte) sowie über eine tagesklinische Behandlung von November 2006 bis Februar 2007 in der S. -Klinik Z. (Bl. 169 ff. SG-Akte) zu den Akten gelangt. Anlass dieser Behandlungen war ein Zusammenbruch der Klägerin im Juli 2006 anlässlich einer familiären Auseinandersetzung mit ihrem Sohn. Es wurde auch dokumentiert, dass die Mutter der Klägerin starb, als die Klägerin sechs Jahre alt war und die Klägerin im Alter von 14 Jahren vergewaltigt wurde. Aus der abschließenden tagesklinischen Behandlung wurde die Klägerin in gut stabilisiertem psychischen Zustand entlassen. Nachfolgend war sie wieder in Vollzeit an ihrem alten Arbeitsplatz tätig.
Das Sozialgericht hat beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. ein entsprechendes Gutachten eingeholt. Bei seiner Untersuchung der Klägerin im November 2016 hat sie u.a. die Überempfindlichkeit am rechten Bein, Schmerzattacken im Knie, psychische Probleme und Einschränkungen im Alltagsverhalten angegeben. Prof Dr. Dr. W. hat Anzeichen für einen regelmäßigen Gebrauch der Unterarmgehstützen, eine ersichtliche Atrophie des Musculus quadrizeps femoris rechts im Seitenvergleich, eine geringe Ausbildung der kleinen Fußrückenmuskulatur rechts gegenüber links sowie eine geringer ausgeprägte Fußsohlenbeschwielung rechts gegenüber links beschrieben. Lokale Auffälligkeiten am rechten Knie im Sinne eines CRPS hat er nicht erkennen können, sodass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein solches Schmerzsyndrom ausgeschlossen hat. Einen neuropathischen Schmerz durch eine Schädigung des Nervus femoralis rechts hat er zwar als möglich, jedoch nicht als nachgewiesen erachtet. Er ist weniger von einer depressiven Störung denn einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ausgegangen (Bl. 150 SG-Akte) und hat als Diagnose eine "ausgeprägte Somatisierungsstörung mit im Vordergrund stehenden Schmerzen" gestellt. Einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang hat er allerdings verneint, weil Ursache einer derartigen Störung so gut wie immer emotionale Vernachlässigung und psychische Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend seien, was bei der Klägerin - insoweit hat er im Gutachten den Verlust der Mutter im Kindesalter sowie die Vergewaltigung in der Jugend angeführt - der Fall sei. Das Unfallereignis und seine Folgen - so der Sachverständige weiter - seien demnach zwar als Auslöser dieser umfangreichen Symptomatik zu betrachten, ursächlich sei dies jedoch bei Weitem überwiegend der Vorschädigung zuzurechnen (Bl. 152 SG-Akte). Dieser Beurteilung hat der Diplom-Psychologe G. in einem von der Klägerin vorgelegten Attest widersprochen und ausgeführt, die Vorschädigung sei behandelt und aufgearbeitet gewesen.
Mit Urteil vom 20.10.2017 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.05.2014 Rente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt, dass weder ein CRPS noch eine Schädigung des Nervus femoralis nachgewiesen seien.
Gegen das noch im November 2017 den Beteiligten zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.11.2017 und die Beklagte am 01.12.2017 Berufung eingelegt.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat ein Gutachten beim Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. A. eingeholt. Der Sachverständige hat keine Veränderungen im Vergleich zur Begutachtung von Prof. Dr. A. festgestellt (Bewegungsmaße 0-0-30°) und die rein chirurgische MdE weiterhin mit 30 v.H. bewertet. Er hat empfohlen, das chronische Schmerzsyndrom mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten und die Gesamt-MdE auf 40 v.H. zu erhöhen. Hierzu hat die Beklagte die Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr. K. vorgelegt, der darauf hingewiesen hat, dass die Beurteilung des Schmerzsyndroms durch den Sachverständigen fachfremd erfolgt sei und insoweit ein neurologisch-psychiatrischer Sachverständiger ergänzend anzuhören wäre.
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat die Klägerin auf Hinweise des Senats (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen) die Klage auf Anerkennung von Unfallfolgen und die Klage auf höhere Verletztenrente für die Zeit vor dem 01.06.2014 zurückgenommen, woraufhin die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.10.2017 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 zu verurteilen, die Verletztenrente ab dem 01.06.2014 nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist in vollem Umfang begründet. Die Klägerin hat ab dem 01.06.2014 einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der Bescheid vom 18.03.2015, mit dem die Beklagte für die Zeit ab dem 01.06.2014 die zuvor mit Bescheid vom 17.04.2013 bewilligte Rente auf unbestimmte Zeit auf eine MdE um 30 v.H. erhöhte. Nur im Hinblick auf diese Höhe der MdE und nur für die Zeit ab dem 01.06.2014 führt die Klägerin den Rechtsstreit weiter. Im Hinblick auf die ursprünglich beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen, ebenso im Hinblick auf die Gewährung höherer Verletztenrente für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.05.2014, sodass das für die Zeit von 01.07.2013 bis 31.05.2014 zugunsten der Klägerin ergangene Urteil des Sozialgerichts gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz der Zivilprozessordnung (ZPO) wirkungslos geworden ist, weswegen auch die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Hier ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch der Senat hat hieran keinen Zweifel, dass die Klägerin am 09.04.2009 einen Arbeitsunfall erlitt, als sie in ihrer Dienststelle bei Verrichtung der versicherten Tätigkeit - Aufsuchen eines anderen Dienstzimmers - auf der Treppe stolperte und sich das Knie verletzte. Dem entsprechend hat die Klägerin Anspruch auf Verletztenrente für die Folgen dieses Arbeitsunfalls. Davon geht auch die Beklagte aus. Sie bewilligte der Klägerin mit dem - insoweit bestandskräftigen - Bescheid vom 17.04.2013 insbesondere wegen der Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit (s. die Begründung des Bescheides) eine solche Rente, damals nach einer MdE um 20 v.H. und erhöhte diese Rente ab dem Beginn des streitigen Zeitraums nach eingetretener Verschlechterung der Beweglichkeit mit dem streitigen Bescheid auf 30 v.H. Indessen steht der Klägerin höhere Verletztenrente zu.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Soweit die Beklagte für die funktionellen Einschränkungen des rechten Knies - maßgeblich geprägt durch die Bewegungseinschränkung auf 0-0-30° - eine MdE um 30 v.H. annimmt, ist dies nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil unter Hinweis auf das auch vom Senat regelmäßig der MdE-Bewertung herangezogene unfallmedizinische Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, zutreffend dargelegt, dass diese chirurgische Unfallfolge damit zutreffend bewertet ist. Die Klägerin hat hiergegen auch keine inhaltlichen Einwände erhoben. Der Senat verweist daher insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Auch Dr. A. hat klargemacht, dass aus chirurgischer Sicht für den aktuellen Zeitpunkt keine MdE höher als 30 v.H. in Betracht kommt.
Allerdings sind zusätzlich zu dieser chirurgisch bewerteten MdE die Einschränkungen zu berücksichtigen, die sich aus den durchweg in den Gutachten dokumentierten Schmerzzuständen ergeben. Denn diese Schmerzzustände sind ebenfalls wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90).
Dr. A. hat - wie schon Prof. Dr. A. , damals unter dem Aspekt eines die Schmerzen verursachenden CRPS - auf das chronische Schmerzsyndrom hingewiesen, das - falls unfallbedingt - zu einer Erhöhung der rein chirurgischen MdE führe. Soweit Dr. A. in diesem Zusammenhang einen ursächlichen Zusammenhang - ohne Begründung - annimmt, wendet die Beklagte mit der Stellungnahme von Dr. K. zu Recht ein, dass dies eine Frage des nervenärztlichen Fachgebiets ist. Allerdings ist die von Dr. K. angeregte nervenärztliche Begutachtung nicht erforderlich, weil bereits zwei solcher Gutachten vorliegen. Sowohl Dr. K.-R. als auch Prof. Dr. Dr. W. gehen nachvollziehbar von einer somatoformen Schmerzstörung aus.
Die Schmerzzustände am rechten Bein stehen zur Überzeugung des Senats fest. Keiner mit der Begutachtung betrauten Ärzte und auch kein behandelnder Arzt hat solche Schmerzzustände und ihre Auswirkungen in Zweifel gezogen. Die (ohnehin nur) von Prof. Dr. G. formulierten Bedenken bezogen sich lediglich auf das Ausmaß - also nicht das "Ob"- der demonstrierten Schmerzüberempfindlichkeit an der Oberfläche des rechten Beins, nicht jedoch auf die Schilderung massiver Schmerzen im rechten Knie mit ihren Auswirkungen auf alltägliche Verrichtungen (u.a. im Haushalt) und den Nachtschlaf. Vor allem aber liegen sekundäre Zeichen eines schmerzbedingen Mindergebrauchs des rechten Beines vor. Insbesondere Prof. Dr. Dr. W. hat hierzu in seinem Gutachten Anzeichen für einen regelmäßigen Gebrauch der Unterarmgehstützen, eine ersichtliche Atrophie des Musculus quadrizeps femoris rechts im Seitenvergleich, eine geringe Ausbildung der kleinen Fußrückenmuskulatur rechts gegenüber links sowie eine geringer ausgeprägte Fußsohlenbeschwielung rechts gegenüber links dokumentiert.
Diese Schmerzzustände sind - auch hiervon ist der Senat überzeugt - als somatoforme Schmerzstörung diagnostisch zu erfassen. Wie das Sozialgericht geht auch der Senat in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Dr. W. und der Gutachterin Dr. K.-R. davon aus, dass bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom vorliegt, nachdem sich eine organische Störung als Ursache dieser Schmerzzustände nicht hat nachweisen lassen. Die Beklagte hat hierzu zu keinem Zeitpunkt Einwände erhoben, sondern mit Dr. K. eine derartige Schmerzstörung bestätigt.
Entgegen den Darlegungen von Dr. K.-R. und Prof. Dr. Dr. W. ist ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit dem Arbeitsunfall zu bejahen. Hierzu enthält allerdings lediglich das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. konkrete Ausführungen, während sich Dr. K.-R. darauf beschränkt, einen Zusammenhang mit einem inneren Konflikt zu postulieren, ohne dies auch nur im Ansatz zu begründen, und deshalb einen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall ausschließt (Bl. 2023, 2025 VA). Ihre Ausführungen sind daher - anders als das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. - keine geeignete Grundlage für eine Entscheidung des Senats. Soweit Prof. Dr. Dr. W. allerdings einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall verneint, weil eine Vorschädigung vorliege, der überwiegende Bedeutung zukomme, beachtet er die rechtlichen Kriterien der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht hinreichend.
Prof. Dr. Dr. W. diagnostiziert eine ausgeprägte Somatisierungsstörung mit im Vordergrund stehenden Schmerzen (Bl. 152 SG-Akte), ausgelöst durch das Unfallereignis (Bl. 152 SG-Akte: "als Auslöser"). Danach - und hieran hat der Senat auch keinen Zweifel - sind die Schmerzen des rechten Knies ursächlich im naturwissenschaftlichen Sinn auf den Arbeitsunfall zurückzuführen (erste Stufe der Kausalitätsprüfung).
Zwar sieht der Sachverständige diese Somatisierungsstörung "bei Weitem überwiegend" im Zusammenhang mit einer psycho-traumatischen Vorschädigung aus der Kindheit und Jugend (Verlust der Mutter, als sie sechs Jahre alt war und Vergewaltigung mit 14 Jahren, vgl. Bl. 147 SG-Akte), weil so gut wie immer eine emotionale Vernachlässigung und Traumatisierung in der Kindheit und Jugend als Ursache einer solchen Störung vorliege (Bl. 152 SG-Akte). Die damit bestehende weitere anlagebedingte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn schließt aber den ursächlichen Zusammenhang der Störung und damit der Schmerzen mit dem Arbeitsunfall im naturwissenschaftlichen Sinn nicht aus. Vielmehr ist damit auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. von zwei Ursachen auszugehen, von denen der Arbeitsunfall jedenfalls auch wesentlich war.
Es kann nämlich mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als wesentlich anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage (egal, ob bislang stumm oder als Vorschaden manifest) zu vergleichen und abzuwägen ist (Problem der inneren Ursache), ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" (im Falle eines Vorschadens weiterer) akuter Erscheinungen aus ihr durch das Unfallereignis nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Erscheinung zu derselben Zeit ohne jede äußere Einwirkung aufgetreten wäre (siehe BSG, Urteil vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R).
Für eine derartige überragende Bedeutung der anlagebedingten Vorschädigung ist nichts ersichtlich und Derartiges wird auch von Prof. Dr. Dr. W. nicht behauptet. Er geht zwar von einer "bei Weitem überwiegenden" Ursächlichkeit der Vorschädigung aus, begründet diese These aber zum einen nicht. Zum anderen lässt sich seinen Ausführungen lediglich entnehmen, dass er der Vorschädigung ein deutliches Übergewicht beimisst. Nach den dargelegten Grundsätzen, wonach auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein kann, schließt dies einen wesentlichen Zusammenhang zwischen den durch die Somatisierungsstörung bedingten Schmerzen und dem Arbeitsunfall gerade nicht aus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein alltägliches Ereignis im Sinne einer leichten Belastung des täglichen Lebens (das BSG stellt darauf ab, ob der Versicherte noch den Einflüssen des allgemeinen Erwerbslebens in geringem Umfang ausgesetzt werden konnte oder nicht, u.a. Urteil vom 04.12.1991, 2 RU 14/91, Rdnrn. 24, 26) ebenfalls zu der Somatisierungsstörung geführt hätte. Die Klägerin war trotz der vom Sachverständigen angenommenen psycho-traumatischen Vorschädigung zu einem normalen Leben, einschließlich Ausbildung zur Friseurin, der Geburt und alleinigen Erziehung zweier 1984 und 1987 geborener Söhne, und einem normalen Arbeitsleben, jedenfalls seit 2000 in Vollzeit (Bl. 114 SG-Akte), in der Lage. Einen insbesondere durch eine familiäre Auseinandersetzung verursachten Zusammenbruch im Jahr 2006 (Bl. 109 ff. SG-Akte) überwand sie nach den anamnestischen Darstellungen und Erhebungen von Prof. Dr. Dr. W. in weniger als einem Jahr vollständig (Bl. 131, 139 SG-Akte, s. auch Bl. 169 ff. SG-Akte zum Abschluss der Behandlung im Februar 2007 mit deutlicher Stabilisierung), eine Restsymptomatik und/oder eingeschränkte psychische Belastbarkeit im Zeitpunkt des Unfalls ist nicht feststellbar (so ausdrücklich die Gutachterin Dr. K.-R. , Bl. 2023 VA, und der Diplom-Psychologe G. Bl. 32, 179 SG-Akte) und wird auch vom Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. nicht beschrieben. Entsprechend war sie bis zum in Rede stehenden Unfall als Teamassistentin im Arbeitgeberteam der Bundesagentur für Arbeit in Vollzeit tätig.
Es mag sein, dass eine solche Somatisierungsstörung ohne Vorschädigung nicht oder nicht in diesem Ausmaß entstanden wäre. Dies ist jedoch nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung. Denn es ist unerheblich, ob ein gesunder Mensch bei dem in Rede stehenden Ereignis keinen (psychischen) Schaden genommen hätte, weil die gesetzliche Unfallversicherung den Versicherten in dem Zustand schützt, in dem er den Versicherungstatbestand erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 5.9.2006, B 2 U 25/05 R).
Der Senat hat deshalb keinen Zweifel, dass ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang der Somatisierungsstörung und damit der Schmerzen am rechten Bein mit dem Arbeitsunfall besteht. Dem entsprechend ist diese Schmerzstörung mit ihren Auswirkungen bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen.
Eine somatoforme Schmerzstörung wird - vgl. Schönberger u.a., a.a.O., S. 245 - mit einer MdE bis 10 v.H. bewertet, wenn der Schmerzzustand mit leicht- bis mäßiggradiger körperlich-funktioneller Einschränkung verbunden ist und mit einer MdE bis zu 30 v.H. im Falle eines chronifizierten Schmerzzustandes mit stärkergradiger körperlich-funktioneller Einschränkung und psychisch-emotionaler Beeinträchtigung. Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat die bei der Klägerin vorliegende somatoforme Schmerzstörung mit einer MdE um 20 v.H. Die Klägerin leidet - durchweg in den Gutachten dokumentiert - an einem chronifizierten Schmerzzustand, der ihre Bewegungsmöglichkeiten einschränkt, sodass sie auf zwei Unterarmgehstützen und für die Bewältigung ihres Haushaltes auf eine von der Beklagten auch bezahlte Haushaltshilfe angewiesen ist. Hinzu kommen wegen bestehender Ruheschmerzen noch Schlafstörungen, die zu entsprechenden psychischen Beeinträchtigungen führen. Damit verbunden sind - von Dr. K.-R. als eigenständige Diagnose bestätigt und auch Prof. Dr. Dr. W. hat depressive Anteile gesehen, allerdings der Somatisierungsstörung zugeordnet (testpsychologisch einerseits auffällig, Bl. 146 f. SG-Akte, andererseits klinisch " ... weniger das Bild einer depressiven Störung denn einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ...", Bl. 150 SG-Akte) - depressive Zustände. Angesichts der Überschneidungen der damit verbundenen Beeinträchtigungen mit der chirurgisch beurteilten Bewegungseinschränkung ist die MdE insgesamt mit 40 v.H. zu bewerten.
Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass der Überlegung von Dr. K.-R. , die depressive Symptomatik sei nicht kausal, da erst drei Jahre nach dem Unfall behandelt worden, schon deshalb der Boden entzogen ist, weil der Senat mit Prof. Dr. Dr. W. davon ausgeht, dass keine eigenständige depressive Störung vorliegt, sondern diese Störungen Teil der ausgeprägten und - wie dargelegt - unfallbedingten Somatisierungsstörung sind. Im Übrigen verkennt Dr. K.-R. u.a., dass der Arbeitsunfall selbst diese depressive Symptomatik nicht hervorrief, worauf auch Prof. Dr. Dr. W. hinweist (Bl. 152 VA), und wovon auch die Klägerin nicht ausgeht, sodass der Hinweis auf einen fehlenden zeitlichen Zusammenhang an der Thematik vorbeigeht. Den Aspekt eines "mittelbaren" Zusammenhangs (depressive Zustände als Folge der Schmerzstörung bzw. ihren funktionellen - Einschränkungen beim Gehen und Stehen, im Haushalt etc. - und sozialen - vgl. die Auflistung Bl. 2012 f. VA - Auswirkungen), von dem Prof. Dr. Dr. W. zu Recht ausgeht (s.o.), vernachlässigt die Gutachterin vollständig.
Der von der Beklagten im Termin zur Erörterung des Sachverhalts zur Frage der Höhe der MdE erhobene Einwand, eine solche MdE um 40 v.H. sei für Unterschenkelamputierte vorgesehen, wobei die Klägerin bessergestellt sei, greift nicht durch.
Nach dem von der Beklagten - wie von allen Unfallversicherungsträgern (vgl. Schiltenwolf/Wich/Scholtysik, MedSach 2020, 219 ff.) - hierbei zu Grunde gelegten Konsenspapier der MdE-Expertengruppe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), veröffentlicht als PDF-Datei auf der Homepage der DGUV, Publikationen, wird in der Tat der Verlust eines Beines im Unterschenkel mit einer MdE um 40 v.H. bewertet. Vorausgesetzt wird bei dieser MdE-Bewertung, dass das Kniegelenk dieses Beines intakt ist, sonst erhöht sich die MdE auf 50 v.H. Ohnehin stellen die MdE-Werte Mindestwerte dar, von denen unter zu begründenden Umständen im Einzelfall nach oben abgewichen werden kann (Konsensempfehlungen S. 27). Hierzu gehören insbesondere eine Nervenschädigung, eine deutliche Muskelminderung oder eine verminderte Belastungsfähigkeit (Konsensempfehlungen, a.a.O.). Hinzu kommt, dass die vorgeschlagenen MdE-Werte auf einer anzustrebenden Versorgung der versicherten Person mit Hilfsmitteln beruht, also einem Ausgleich der Amputation als solches (Konsensempfehlungen, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Beklagte die Situation der Klägerin besser als jene einer versorgten Unterschenkelamputierten mit intaktem Kniegelenk ansieht. Die Klägerin leidet an erheblichen Bewegungseinschränkungen im Knie selbst und zusätzlich, weiter limittierend, erheblichen Schmerzzuständen, die nicht nur Auswirkungen auf die Geh- und Stehfähigkeit und damit die Alltagsverrichtungen haben, sondern auch - wie in den Gutachten dokumentiert - auf Nachtschlaf und Psyche. Gerade die von Prof. Dr. Dr. W. zuletzt beschriebene Muskelminderung und die von allen Gutachtern angenommene Einschränkung der Belastungsfähigkeit würden bei einem Unterschenkelamputierten eine Erhöhung der allein durch den Gliedmaßenverlust, der bei der Klägerin nicht vorliegt, gerechtfertigten MdE nahelegen. Damit wäre im Falle der von der Beklagten herangezogenen Vergleichsgruppe der Unterschenkelamputierten mit zusätzlichen Einschränkungen eine Bewertung der MdE sogar mit mehr als 40 in Erwägung zu ziehen, sodass sich das Ergebnis des Senats auch in diesem Vergleich rechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Klägerin angesichts ihres Erfolges mit dem Begehren, ab dem 01.06.2014 und für unbestimmte Zeit eine höhere MdE zu erhalten, gegenüber dem erfolglosen Begehren, dieselbe MdE auch für zwei Jahre zuvor sowie die Anerkennung von Unfallfolgen zu erreichen, knapp zur Hälfte obsiegt hat. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass sich der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung von Unfallfolgen in materiell-rechtlicher Hinsicht teilweise mit der von der Klägerin begehrten Beurteilung der Höhe der MdE überschneidet. Insgesamt hält der Senat eine Halbierung der außergerichtlichen Kosten für angemessen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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