L 3 U 3681/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 4049/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3681/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Juli 2017 abgeändert und die Klage, soweit der Kläger die Gewährung von Heilbehandlung für die Vergangenheit begehrt, abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 5/6 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folge des Unfalls vom 17.03.2014 sowie die Gewährung von Heilbehandlung hierfür.

Der 1979 geborene Kläger arbeitete zunächst in Griechenland ohne Lärmbelastung im Bereich der Telekommunikation, absolvierte anschließend eine Schreinerlehre im elterlichen Betrieb und arbeitete dort bis 2007 im erlernten Beruf, wobei ihm regelmäßig Kapselgehörschutz zur Verfügung stand. Nach einer weiteren beruflichen Tätigkeit als Dekorateur - ohne Lärmbelastung - zog er 2011 in das Bundesgebiet und arbeitete dort bei der Firma S.-C., einem Hersteller von Büromöbeln, im Holzzuschnitt, wobei er gleichfalls mit Gehörschutz ausgestattet war. Am 17.03.2014 traf ihn im Rahmen dieser, bei der Beklagten versicherten, Tätigkeit in der Werkshalle eine - nach späterer Aussage des Klägers 2 - knapp 2,5 Meter lange und zwischen 25 und 50 kg schwere, auf dem Boden abgestellte Holzplatte beim Umfallen linksseitig am Kopf, wobei der im linken Ohr getragene Gehörschutz in den Gehörgang gedrückt wurde, so die Darstellung des Klägers gegenüber den erstbehandelnden Hals-, Nasen-, Ohren- (HNO-) Ärzten Dres. S. und B., der Gutachterin im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. Br., Leiterin der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitäts-HNO-Klinik U., und gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. S., Ärztlicher Direktor am K.-hospital des Klinikums S., Klinik für HNO-Krankheiten.

Bei der Erstvorstellung am Unfalltag bei den Dres. Sc. und B. berichtete er über sofort einsetzende Ohrenschmerzen und ein Rauschen auf dem linken Ohr. Er habe den Aufprall des Holzstücks als extrem laut empfunden. Dr. B. stellte in seinem HNO-Arztbericht vom 17.03.2014 einen leicht geröteten Gehörgangsboden (Kratzwunde ohne Blutung) sowie bei unauffälligem Audiobefund rechts eine wannenförmige Senke zwischen 20 bis 50 Dezibel links fest und diagnostizierte eine Gehörgangsverletzung links sowie den Verdacht auf ein Lärmtrauma links. Unter der sofort von Dr. B. aufgenommenen Infusionsbehandlung stellte sich ausweislich der nachfolgenden Arztberichte der Dres. Sc. und B., bspw. vom 25.03.2014 und vom 05.07.2014, keine Besserung ein. Es zeigte sich vielmehr eine unverminderte Hörstörung links bei anhaltendem Tinnitus. Am 16.08.2014 berichtete Dr. B. über neu aufgetretene Schwindelbeschwerden und diagnostizierte einen vertebragenen Schwindel, dessentwegen er den Kläger an einen Orthopäden überwies.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK O. bei. Dort ist erstmalig eine Hörstörung nach dem Ereignis vom 17.03.2014 dokumentiert. Eine am 26.08.2014 durchgeführte computertomographische Untersuchung des Schädels zeigte einen regelrechten Befund ohne Hinweise auf eine frische Ischämie oder den Nachweis einer intrakraniellen Blutung. In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme vom August 2014 teilte der Kläger mit, sowohl die Schwerhörigkeit wie auch die Ohrgeräusche am linken Ohr seien erstmalig und unmittelbar nach dem Unfall vom 17.03.2014 aufgetreten.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.11.2014 kam Prof. Dr. J. zum Schluss, eine mechanische Läsion mit Auswirkungen auf das Innenohr sei angesichts des Unfallhergangs ausgeschlossen. Er könne sich das Unfallgeschehen nicht als Ursache der Hörminderung wie auch des Tinnitus vorstellen und halte einen Hörsturz für viel wahrscheinlicher.

Mit Bescheid vom 24.11.2014 lehnte die Beklagte daraufhin gegenüber dem Kläger eine weitere Übernahme der Kosten für dessen medizinische Behandlung ab. Das Unfallereignis sei nicht geeignet gewesen, eine Schwerhörigkeit mit einem Tinnitus links und nachfolgendem Schwindel und Kopfschmerzen zu verursachen. Mit Schreiben gleichem Datums unterrichtete die Beklagte die behandelnden Ärzte darüber, dass weitere Heilbehandlungen nicht mehr zu ihren Lasten erfolgen dürften.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, er sei direkt am Ohr getroffen worden. Er legte weiterhin ein ärztliches Attest der Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. P./Dr. M. vom 10.02.2015 vor, in welchem diese mitteilten, der Kläger sei seit Beginn der Behandlung im Juli 2013 zu keinem Zeitpunkt wegen eines Tinnitus oder anderer Erkrankungen des Ohres vorstellig geworden.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine HNO-ärztliche Begutachtung durch Prof. Dr. Br ... Diese diagnostizierte beim Kläger in ihrem Gutachten vom 15.06.2015, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung am selben Tag, eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit links sowie einen Tinnitus (kompensiert) links. Der Vorfall erinnere am ehesten an einen sog. akustischen Unfall als eine Form des akuten Schalltraumas. Sowohl die Schallempfindungsschwerhörigkeit links wie auch der chronische Tinnitus links seien auf den Unfall zurückzuführen und bedürften bis zum heutigen Tage einer Behandlung, da der Kläger mit einem Hörgerät versorgt werden sollte. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aus dem Hörverlust ergebe unter Berücksichtigung des kompensierten Tinnitus 10 v.H.

In der hierzu veranlassten weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme des Prof. Dr. J. vom 28.08.2015 teilte dieser mit, dem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Die Bedingungen eines akustischen Unfalls seien ganz sicher nicht erfüllt gewesen. Ein anderer Schädigungsmechanismus sei gleichfalls nicht denkbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2015 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, eine Schwerhörigkeit mit Tinnitus links und nachfolgendem Schwindel und Kopfschmerzen zu verursachen.

Hiergegen hat der Kläger am 22.12.2015 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und die Feststellung, dass eine mittelgradige Schwerhörigkeit mit Tinnitus links Folge des Arbeitsunfalls vom 17.03.2014 sei, und die Verurteilung der Beklagten, deswegen Heilbehandlung über den 23.11.2014 hinaus zu bewilligen, begehrt.

Das SG hat von Amts wegen eine Begutachtung auf HNO-ärztlichem Fachgebiet durch Prof. Dr. S. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 30.04.2016, gestützt auf die ambulante Untersuchung des Klägers am 20.04.2016, einen prozentualen Hörverlust von 50 % des linken Ohres (entsprechend einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit links) und einen Tinnitus aurium links festgestellt. Sowohl die Innenohrschwerhörigkeit als auch der Tinnitus links seien mit Wahrscheinlichkeit in wesentlicher Weise durch das Unfallereignis verursacht. Auf Grund der beim Unfall aufgetretenen Gewalteinwirkung könne es zu einer Commotio labyrinthi bzw. Contusio labyrinthi kommen, deren hierdurch hervorgerufener mechanischer Schaden sich als Innenohrschwerhörigkeit manifestiere, häufig mit einem begleitenden Tinnitus. Im Hinblick auf den vom Kläger mittlerweile beklagten Schwindel könne ein Zusammenhang nicht abschließend geklärt werden. So habe der Kläger initial nicht über einen Schwindel berichtet, so dass dieser nicht als Unfallfolge zu werten sei. Er stimme Prof. Dr. J. zu, soweit dieser eine unmittelbare Schädigung durch den Gehörschutz auf Grund der Anatomie des Gehörgangs abgelehnt habe. Eine mechanische Schädigung des Innenohres könne jedoch nicht nur durch direkte Schädigung von Trommelfell oder Gehörknöchelchen erfolgen, sondern auch durch ein stumpfes Trauma am Kopf. Der von Prof. Dr. Br. diagnostizierte akustische Unfall sei als Pathomechanismus gleichfalls möglich; da jedoch eine eindeutige Fehlbelastung der Halswirbelsäule zum Unfallzeitpunkt nicht eindeutig nachweisbar sei, halte er die Commotio/Contusio labyrinthi für weitaus plausibler.

In der hierzu vom Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme des Prof. Dr. J. vom 15.07.2016 hat dieser ausgeführt, eine Contusio labyrinthi gebe es schon nicht und eine Commotio labyrinthi sei immer Teil einer Gehirnerschütterung, die zumindest ein stumpfes Schädeltrauma voraussetze, welches beim Kläger indes nicht gegeben sei, weil die Gewalteinwirkung beim streitgegenständlichen Unfall viel zu gering gewesen sei. Würde man dennoch eine solche Verletzung annehmen, wäre eine umschriebene Hochtonsenke zu erwarten, nicht aber ein wannenförmiger Verlauf der Hörverlustkurve wie beim Kläger.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 04.10.2016 hat Prof. Dr. S. ausgeführt, Prof. Dr. J. stehe mit dem Bestreiten der Existenz einer Contusio labyrinthi im Widerspruch zu der unter HNO-Experten weit verbreiteten Meinung und auch zu den Ausführungen des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Auch könne eine Commotio/Contusio labyrinthi durchaus auch ohne eine Gehirnerschütterung auftreten und durch ein nur geringes, meist stumpfes Trauma ausgelöst werden. Typischerweise komme es zwar zu einer Hochtonsenke; diese könne jedoch auch wannenförmig und, abhängig vom Trauma, auch pantonal bis hin zur Surditas ausgeprägt sein.

Mit Urteil vom 19.07.2017 hat das SG den Bescheid vom 24.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 aufgehoben und festgestellt, dass eine mittelgradige Schwerhörigkeit mit Tinnitus links Folge des Arbeitsunfalls vom 17.03.2014 sei, und hat die Beklagte verurteilt, deswegen Heilbehandlung auch ab dem 24.11.2014 zu bewilligen. Es sei zunächst festzuhalten, dass die Gesundheitsfolgeschäden Schwerhörigkeit links und Tinnitus im Vollbeweis vorliegen würden, was auch keiner der behandelnden bzw. befragten Ärzte und Sachverständigen bestreiten würde. Gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. S. sowie dessen ergänzende Stellungnahme gehe man weiterhin davon aus, dass das Unfallereignis vom 17.03.2014 die rechtlich wesentliche Ursache der Hörstörung sowie des Tinnitus sei. Dieser habe nachvollziehbar dargelegt, dass es durch das Ereignis vom 17.03.2014 im Sinne eines schweren Schlages auf das linke Ohr/Kopf des Klägers zu einer Commotio/Contusio labyrinthi mit mechanischen Schäden gekommen sei, welche sich dann als Innenohrschwerhörigkeit manifestiert hätten und häufig mit einem begleitenden Tinnitus einhergingen. Ergänzend sei auch darauf hinzuweisen, dass auch der zeitliche Ablauf zwischen dem Unfallereignis und den aufgetretenen Gesundheitsschäden für die Annahme eines rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhangs spreche.

Gegen das der Beklagten am 23.08.2017 zugestellte Urteil hat diese am 19.09.2017 Berufung eingelegt und ausgeführt, das SG sei von einer weitaus erheblicheren Gewalteinwirkung bei dem Ereignis vom 17.03.2014 ausgegangen, als sie tatsächlich stattgefunden habe; der Erstbefund habe lediglich in einer leichten Rötung des Gehörgangsboden bestanden und ohne einen zweifelsfreien Nachweis einer bei dem Ereignis vom 17.03.2014 erlittenen Commotio bzw. Contusio labyrinthi sei ohnedies der gesamten Argumentation des Prof. Dr. S. der Boden entzogen.

Die Beklagte hat weiterhin die beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. T. vom 29.01.2018 vorgelegt, in welcher dieser eingeräumt hat, dass der Befund unstrittig sei und auch ein Schädelanpralltrauma möglich sei, wobei aber überzeugende Brückensymptomatiken wie eine Prellmarke fehlen würden. Ein Schädelanpralltrauma könne nicht wirklich ausgeschlossen werden; ebenso sei unbestreitbar, dass es dann zu einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi kommen könne, wobei die Unterscheidung zwischen Commotio und Contusio nicht von ausschlaggebender Bedeutung sei und ebenso nicht die Frage der Krafteinwirkung, weshalb man an der grundsätzlichen Möglichkeit, dass ein Schädelanpralltrama stattgefunden habe, festhalten müsse. Dagegen scheide ein akustischer Unfall, wie von Prof. Dr. Br. angenommen, aus und passe die wannenförmige Senkenbildung nicht zu einer Commotio oder Contusio labyrinthi, bei der viel eher eine C5-Senke zu erwarten gewesen wäre.

In einer vom Senat hierauf veranlassten ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. S. vom 10.04.2018 hat dieser an seiner Einschätzung festgehalten. Die Symptome und Diagnosen stünden in einem plausiblen Kausalzusammenhang mit dem voraus gegangenen Trauma. Sowohl die geschilderten Beschwerden als auch die nachgewiesenen Diagnosen würden ein glaubhaftes Bild zeichnen. Der einzige, nicht absolut lehrbuchmäßig kongruente Part sei die Form der Schwerhörigkeit in der audiometrischen Untersuchung wobei aber eine mediocochleäre Schwerhörigkeit als Folge einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi nicht ausgeschlossen sei. Alternative Ursachen einer solchen Schwerhörigkeit, die Prof. Dr. T. benannt habe, seien indes in keinster Weise plausibel, weshalb bei vernünftigem Abwägen aller Umstände deutlich mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spreche. In einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. T. vom 04.06.2018 hat dieser gleichfalls an seiner Einschätzung festgehalten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Juli 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat unter dem 04.09.2018 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass, soweit Heilbehandlung für vergangene Zeiträume begehrt werde, es sich hierbei um einen Erstattungsanspruch handele und deshalb Voraussetzung für einen Erfolg der Klage insoweit sei, dass der Kläger wegen der in der Vergangenheit erfolgten Heilbehandlungen noch entsprechend Erstattungsansprüche beziffere und belege. Mit Schriftsatz vom 08.10.2018 hat der Kläger mitgeteilt, für den streitgegenständlichen Zeitraum würden keine Rechnungen vorliegen.

Mit Schriftsätzen vom 06.09.2018 haben der Kläger und die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte sowie die Prozessakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten, der Berufungsausschließungsgründe im Sinne des § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht entgegenstehen und über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage, mit welcher der Kläger die Weitergewährung der Heilbehandlung über den 23.11.2014 hinaus und die Feststellung, dass eine mittelgradige Schwerhörigkeit mit Tinnitus links Folge des Arbeitsunfalls vom 17.03.2014 sei, begehrt, ist zulässig.

Dies gilt zunächst für die begehrte Feststellung von Unfallfolgen. Denn aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers enthielt der Bescheid vom 24.11.2014 zugleich auch eine diesbezügliche Regelung. Bei der Auslegung von Verwaltungsakten, also Verfügungssätzen i.S. des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), ist in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) vom objektiven Sinngehalt ihrer Erklärungen auszugehen, wie sie Empfänger und ggf. Drittbetroffene bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen mussten und durften (BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 2 U 25/12 R, juris, auch zum Nachfolgenden). Maßgebend ist demnach der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (§ 133 BGB), wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, die die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezog. Dabei ist der der Bestandskraft (Bindungswirkung) zugängliche Verfügungssatz zu Grunde zu legen und zur Klärung seines Umfangs die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien durfte der Kläger davon ausgehen, dass die Beklagte zugleich mit der Ablehnung der Übernahme weiterer Heilbehandlung auch eine - dem Kläger ungünstige - Feststellung über die Unfallfolgen aufgrund des Ereignisses vom 17.03.2014 treffen wollte. Denn im Bescheid sind gleichermaßen und ohne Unterschied in der Form die Behandlungsbedürftigkeit wie auch die geltend gemachten Unfallfolgen verneint worden. Soweit es sich bei Letzterem nach dem Willen der Beklagten lediglich um ein Begründungselement für die Ablehnung der Übernahme weiterer Heilbehandlung handeln sollte, lässt sich dies dem Bescheid nicht entnehmen.

Zulässig ist auch die auf die Gewährung von Heilbehandlung über den 23.11.2014 hinaus gerichtete Klage. Soweit der Kläger Heilbehandlungen für die Vergangenheit begehrt, handelt es sich um die Geltendmachung eines an die Stelle des ursprünglichen Sachleistungsanspruchs getretenen Erstattungsanspruches, welchen der Kläger im Wege der Leistungsklage zulässigerweise weiterverfolgt (zu den Einzelheiten vgl. nachstehend). Aber auch soweit der Kläger die Gewährung von Heilbehandlung für die Zukunft begehrt, ist die Klage zulässig. Der gegenteiligen Rechtsprechung des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.08.2017, L 8 U 1894/17, juris) kann nicht gefolgt werden. Nach dortiger Auffassung ist eine auf Heilbehandlung gerichtete Klage ohne Benennung der konkret begehrten Heilbehandlungsmaßnahme unzulässig, weil es sich dabei in der Sache um das Begehren handele, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, Heilbehandlung zu gewähren (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.08.2017, a.a.O.). Eine solche Verpflichtung zur Feststellung der Rechtspflichten aus einem zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis könne aber nur bestehen, wenn ein entsprechendes Feststellungsinteresse gemäß § 55 SGG vorliege, welches aber der 8. Senat des LSG Baden-Württemberg in der dortigen Entscheidung (a.a.O.) verneint hat. Dieser Rechtsprechung kann bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil der Kläger sein Begehren auf weitere Heilbehandlung richtigerweise weder mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage noch mit einer Feststellungsklage, wie aber vom 8. Senat des LSG Baden-Württemberg angenommen, sondern mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgt (BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 21/10 R, juris Rn. 16, auch zum Nachfolgenden). Zwar haben Versicherte Anspruch auf Heilbehandlung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII bestimmen aber die Unfallversicherungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung nach pflichtgemäßem Ermessen. Dementsprechend steht jedenfalls die Entscheidung über Leistungen, über die der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung eine Auswahlentscheidung hinsichtlich deren Art Höhe und Dauer zu treffen hat - dies betrifft auch die Heilbehandlung - grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers, weshalb, soweit sich dieses dem Träger eingeräumte Ermessen nicht aus besonderen Umständen im Sinne einer Ermessenreduzierung zu einem Anspruch auf eine bestimmte Leistung konkretisiert hat, die richtige Klageart die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 131 Abs. 3 SGG) ist (BSG, a.a.O.; Hauck/Noftz, SGB VII, 01/16, § 26 Rn. 34b). Nachdem vorliegend keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich sind, ist die Klage darauf zu richten, die Beklagte zu verpflichten, nach ihrem Ermessen über das Ob und ggf. das Wie der Heilbehandlung zu entscheiden. Damit kann entgegen der Auffassung in der genannten Entscheidung vom 25.08.2017 (a.a.O.) ein fehlendes Feststellungsinteresse der Zulässigkeit der Klage nicht entgegengehalten werden und greift im Übrigen auch § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG, welcher ein Grundurteil nur bei einer kombinierten Leistungsklage zulässt, nicht ein.

Die solchermaßen zulässige Klage ist weitgehend begründet.

Auch zur Überzeugung des Senats sind die mittelgradige Schwerhörigkeit sowie der Tinnitus, jeweils links, Folgen des Unfalls vom 17.03.2014. Das SG hat dementsprechend zu Recht gemäß dem Antrag des Klägers diese Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen festgestellt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, juris) ist Rechtsgrundlage für die Feststellung von Unfallfolgen und zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger § 102 SGB VII.

Ein Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung von Unfallfolgen setzt voraus, dass die im Streit stehenden Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalles sind.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist im Regelfall erforderlich, dass das Unfallereignis oder der hierauf beruhende Gesundheitserstschaden die geltend gemachte Gesundheitsstörung wesentlich verursacht hat (sog. haftungsbegründende bzw. haftungsausfüllende Kausalität). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung, dass die Gesundheitsschäden im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich; die bloße Möglichkeit genügt insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, juris, unter Hinweis auf BSG vom 29.11.2011, B 2 U 26/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, juris). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris).

Der Kläger hat sich im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit am 17.03.2014 unstreitig zumindest eine Gehörgangsverletzung links in Form einer Kratzwunde ohne Blutung zugezogen, so der HNO-Arzt Dr. B. im HNO-Arztbericht vom 17.03.2014. Dieser Gesundheitserstschaden wird, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, von keinem der behandelnden Ärzte und auch nicht von den Beratungsärzten der Beklagten und den Sachverständigen in Zweifel gezogen. Ein Arbeitsunfall liegt damit vor. Damit ist allerdings nicht zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass die nach dem Unfall festgestellten weiteren Gesundheitsschäden, namentlich die mittelgradige Schwerhörigkeit sowie der Tinnitus, jeweils links, ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind.

Ausgangsbasis für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge ist in einer ersten Prüfungsstufe die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden beziehungsweise denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der "Gelegenheitsursache" durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).

Nach diesen Maßstäben hält es der Senat - wie zuvor bereits das SG in der angefochtenen Entscheidung - aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens des Prof. Dr. S. für hinreichend wahrscheinlich, dass der Arbeitsunfall vom 17.03.2014 die mittelgradige Schwerhörigkeit sowie den Tinnitus, jeweils links, rechtlich wesentlich verursacht hat.

Wie bereits das SG ausführlich und zutreffend ausgeführt hat, stehen die geltend gemachten Gesundheitsstörungen, nämlich die mittelgradige Schwerhörigkeit und der Tinnitus, jeweils links, im Sinne des Vollbeweises fest. Ein dementsprechender Befund wurde bereits im Rahmen der HNO-ärztlichen Erstuntersuchung und später im Rahmen der Begutachtungen von Prof. Dr. Br. und Prof. Dr. S. übereinstimmend erhoben und entsprechende Diagnosen wurden zweifelsfrei gestellt. Zuletzt hat auch Prof. Dr. T. die mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit und den Tinnitus als nachgewiesen erachtet.

Mit Prof. Dr. S. geht der Senat weiter von einer Ursächlichkeit des Unfalls vom 17.03.2014 für diese nachgewiesenen Gesundheitsstörungen aus. Der Kläger hat durch den seitlichen Aufprall der Holzplatte(n) eine Commotio/Contusio labyrinthi erlitten, einen mechanischen Schaden an den Haarzellen der Cochlea und/oder des Vestibularorganes, der sich als Innenohrschwerhörigkeit mit begleitendem Tinnitus manifestiert hat. Sowohl der Unfallhergang wie auch die geschilderten Beschwerden und die nachgewiesenen unmittelbaren Unfallfolgen und Diagnosen zeigen ein lehrbuchmäßiges Bild einer Commotio/Contusio labyrinthi, so Prof. Dr. S ...

Zum einen lag ein stumpfes Schädeltrauma als typische Ursache einer Commotio/Contusio labyrinthi vor. Dem Kläger ist mindestens eine, 25 bis 50 kg schwere und knapp 2,5 m große, Holzplatte seitlich gegen den Kopf geprallt. Soweit der Beratungsarzt Prof. Dr. T. zwar ein Schädelanpralltrauma für möglich erachtet, eine aus seiner Sicht überzeugende Brückensymptomatik in Form einer Prellmarke aber vermisst hat, hat Prof. Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2016 dargelegt, dass es sich allein schon aufgrund des beschriebenen Unfallhergangs um ein Trauma des Schädels durch (mindestens) eine große und schwere Holzplatte, eben um ein Schädeltrauma, handelt. Diese Holzplatte hat den Kläger seitlich am Schädel getroffen. So hat der Kläger sowohl gegenüber Prof. Dr. S. wie auch gegenüber Prof. Dr. Br. berichtet, dass das auf dem Boden stehende Brett ihn beim Umkippen linksseitig am Kopf getroffen habe. Im Übrigen hat auch Prof. Dr. T. eingeräumt, dass die Abschürfungen im Bereich des äußeren Gehörgangs einen Aufprall der Holzteile auf die Ohrregion belegen. Dass im Übrigen auch die erstbehandelnden HNO-Ärzte Dres. Sc. und B. von einem Schädeltrauma ausgegangen sind, wenngleich sie dies nicht explizit als Diagnose beschrieben bzw. dokumentiert haben, ergibt sich aus der von ihnen veranlassten computertomographischen Untersuchung des Schädels mit dem Ziel des Ausschlusses einer Schädelbasisfraktur bzw. eines sonstigen intrakraniellen Akutgeschehens aufgrund des Unfalls, die bei der Annahme einer bloßen Berührung der Ohrmuschel keinen Sinn gemacht hätte. Soweit die Beklagte, gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. J., die Eignung des Unfallgeschehens zur Herbeiführung einer Commotio/Contusio labyrinthi in Zweifel zieht, vermag dies zu keiner abweichenden Beurteilung zu führen. Prof. Dr. J. hat in seiner Stellungnahme vom 15.07.2016 schon die Existenz einer Contusio labyrinthi verneint und ein stumpfes Schädeltrauma als Ursache einer Commotio labyrinthi abgelehnt, weil ein solches Schädeltrauma stets eine Gehirnerschütterung voraussetze und die Gewalteinwirkung beim Unfall am 17.03.2014 viel zu gering gewesen sei. Dem ist Prof. Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2016 überzeugend entgegengetreten: So kann nach dem Stand der Wissenschaft eine Commotio/Contusio labyrinthi mit einer Gehirnerschütterung auftreten; in gleicher Weise kann eine Commotio/Contusio labyrinthi indes auch ohne Gehirnerschütterung ausgelöst werden. Mit der Negierung der Existenz einer Contusio labyrinthi hat sich Prof. Dr. J. in gleicher Weise in Widerspruch zum Stand der Wissenschaft auf HNO-ärztlichem Gebiet gesetzt. Selbst das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV geht davon aus, dass jedes stumpfe Schädelhirntrauma zu einer mechanischen Schädigung im Sinne einer Commotio oder Contusio labyrinthi führen kann (DGUV, Arbeitsmedizinische Gehörvorsorge nach G 20 "Lärm", Teilnehmerunterlage, Stand: März 2015). Dementsprechend genügt zur Verursachung einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi ein nur geringes Trauma. Diese Einschätzung hat im Übrigen auch der von der Beklagten im Berufungsverfahren bemühte Beratungsarzt Prof. Dr. T. bestätigt (Stellungnahme vom 29.01.2018). Auch nach seiner Auffassung ist die Unterscheidung zwischen einer Commotio und einer Contusio labyrinthi allenfalls graduell bedeutsam, aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung; ebenso wenig die Frage der Krafteinwirkung. Die grundsätzliche Möglichkeit eines für eine Commotio/Contusio labyrinthi geeigneten Schädelanpralltraumas zieht er deshalb auch ausdrücklich nicht in Zweifel.

Dabei hat sich infolge dieses Schädelanpralltraumas mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auch in typischer Weise eine Commotio bzw. Contusio labyrinthi als Innenohrschwerhörigkeit mit einem Begleittinnitus manifestiert. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die strukturellen Schäden des Labyrinths infolge einer Commotio oder Contusio nur aufgrund der Funktionsstörungen und der weiteren Begleitumstände diagnostiziert werden können, da ein direkter Nachweis nicht möglich ist (Probst/Grevers/Iro, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, 2. Aufl. 2004, S. 262).

An einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi bestehen, so überzeugend Prof. Dr. S., angesichts der vom Kläger unmittelbar nach dem Unfall geschilderten Beschwerden, der erhobenen Befunde sowie der gestellten Diagnosen, insbesondere der Innenohrschwerhörigkeit und des Begleittinnitus als typische Folge, die lehrbuchmäßig das Bild einer Commotio/Contusio labyrinthi wiedergeben, keine durchgreifenden Zweifel. Es lag beim Kläger vor dem Unfallereignis keine Schwerhörigkeit und auch kein Tinnitus vor, so bereits seine Angaben gegenüber dem erstbehandelnden HNO-Arzt Dr. B., welche durch das Vorerkrankungsverzeichnis sowie die Angaben seiner Hausärzte Dr. P. und Dr. Mutter bestätigt worden sind. Umgekehrt hat der Kläger direkt bei der erstmaligen Behandlung nach dem Unfallereignis über eine mit dem Unfall eingetretene Hörminderung und Ohrgeräusche links geklagt (vergleiche zur Bedeutung für die Zusammenhangsbeurteilung Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 331). Die sofort nach dem Unfall aufgetretene Schwerhörigkeit ist bis zum heutigen Tag eine reine Innenohrschwerhörigkeit mit einem asymmetrischen Hörbefund und einer Übereinstimmung mit dem Ort des Aufpralls (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O.). Nicht deckungsgleich mit dem typischen Erscheinungsbild einer Innenohrschwerhörigkeit als Folge einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi ist einzig, so Prof. Dr. J. und Prof. Dr. T., deren wannenförmige mediocochleäre Senkenbildung; denn üblicherweise kommt es bei einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi zu einer Hochtonsenke. Dies räumt auch Prof. Dr. S. ein. Dieser Umstand schließt indes eine mediocochleäre Schwerhörigkeit als Folge einer Commotio/Contusio labyrinthi nicht aus, worauf Prof. Dr. S. unter Bezugnahme auf die Literatur (Strutz/Mann, Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, 3. Aufl. 2017, S. 300; vgl. auch Probst/Grevers/Iro, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, 2. Aufl. 2004, S. 262) zu Recht hinweist.

Zuletzt können als weiterer bedeutsamer Gesichtspunkt für die Zusammenhangsbeurteilung (Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O.) andere Ursachen der Hörstörung ausgeschlossen oder doch als unwahrscheinlich erachtet werden.

In Hinblick auf die von Prof. Dr. T. für möglich erachtete hereditäre (=erbliche) Hörstörung bleibt mit Prof. Dr. S. zunächst festzuhalten, dass eine solche häufig bereits bei Geburt vorliegt oder sich im Laufe der Kindheit und nur gelegentlich erst im Erwachsenenalter ausbildet. Zwar führen solche erblichen Hörstörungen oft zu einer Schwerhörigkeit im mittleren Frequenzbereich wie beim Kläger; sie gehen indes typischerweise mit einer beidseitigen, symmetrischen Schwerhörigkeit und nicht mit einer Normakusis, d.h. einem normalen Hörvermögen auf der Gegenseite einher (Prof. Dr S.) - mag auch das Vorliegen einer Asymmetrie noch kein absolutes Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer degenerativen Schwerhörigkeit sein, wie Prof. Dr. T. betont. Gegen eine erbliche Hörstörung spricht aber auch ganz erheblich, dass der Kläger am Unfalltag eine neu aufgetretene Hörminderung beklagt hat und eine vorbestehende Schwerhörigkeit gerade nicht bekannt war und eine erbliche Hörminderung auch nicht das seit dem Unfalltag andauernde Ohrgeräusch zu erklären vermag (Prof. Dr. S.).

Für einen von Prof. Dr. J. und Prof. Dr. T. als weitere Möglichkeit vermuteten Hörsturz als Ursache der Gesundheitsstörungen des Klägers spricht einzig, dass dieser sich audiometrisch in unterschiedlichster Weise darstellen kann, nämlich mit einem Tiefton-, einem Mittelfrequenz- oder einem Hochtonhörverlust, und der Hörsturz auch in der Ausprägung des Hörverlustes hochvariabel ist und von einer leichtgradigen Hörminderung bis hin zur Taubheit reichen kann (Prof. Dr. S.). Aufgrund dieser ausgeprägten Unschärfe des Befundes kann theoretisch jede einseitige Innenohrschwerhörigkeit durch einen Hörsturz erklärt werden, solange man nur den audiometrischen Befund beachtet und die Anamnese nicht berücksichtigt, so Prof. Dr. S ... Der Geschehensablauf, die beklagten Beschwerden und die weiteren Befunde sprechen aber eindeutig für die Annahme einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi; denn, wenngleich die Ursachen für einen Hörsturz weiterhin unklar sind, so kommt es typischerweise zu einer plötzlich einsetzenden Hörminderung ohne erkennbare Ursache oder auslösendes Ereignis (Prof. Dr. S.). Während also der Geschehensablauf mit dem stumpfen Schädeltrauma die typische Voraussetzung einer Commotio bzw. Contusio labyrinthi darstellt, würde die Annahme eines unfallunabhängigen Hörsturzes im vorliegenden Falle das zufällige zeitliche Zusammentreffen eines stumpfen Schädeltraumas mit Eignung für eine Innenohrschädigung und eines hiervon völlig unabhängigen Hörsturzes bedeuten. Die Annahme, dass der Kläger in dem Moment, in welchem ihm ein stumpfes Schädeltrauma widerfahren ist, zugleich einen hiervon unabhängigen Hörsturz erlitten hat, ist in hohem Maße fragwürdig, so Prof. Dr. S., und rein spekulativ, wie Prof. Dr. T. selbst eingeräumt hat (beratungsärztliche Stellungnahme vom 04.06.2018).

Der als weitere mögliche Ursache von Prof. Dr. T. angeführte Morbus Meniere ist eine chronisch verlaufende Erkrankung des Innenohres und ist durch rezidivierend auftretende Schwindelanfälle und einen gleichzeitig auftretenden Hörverlust mit Tinnitus gekennzeichnet (Prof. Dr. S., auch zum Nachfolgenden). Der Hörverlust ist hierbei nach den ersten Attacken meistens rückläufig; mit Anzahl der Schwindelattacken nimmt das Hörvermögen bleibend ab. Angesichts der beim Kläger vorliegenden, erst mit erheblichem Abstand zum Unfallereignis aufgetretenen Schwindelsymptomatik ohne Anfallscharakter, bezüglich derer bereits die behandelnden HNO-Ärzte eine vertebragene, also eine von der Wirbelsäule ausgehende Ursache angenommen haben, ist deshalb die Annahme einer meniereformen Hörstörung fernliegend, so zu Recht Prof. Dr. S ...

Nach alledem ist daher der Senat, wie bereits zuvor das SG, davon überzeugt, dass die streitigen Gesundheitsstörungen mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 17.03.2014 zurückzuführen sind.

Der auf die Gewährung von Heilbehandlung über den 23.11.2014 hinaus gerichteten Klage ist dagegen nur teilweise Erfolg beschieden, nämlich nur, soweit sie auf Heilbehandlung für die Zukunft gerichtet ist.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruches auf Heilbehandlung ist § 27 SGB VII. Voraussetzung ist, dass die begehrten Leistungen in Folge des Eintritts eines Versicherungsfalles (§§ 7 ff. SGB VII) erforderlich sind. Diese Leistungen sind nach § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und daher als Naturalleistung zu gewähren; Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im SGB VII oder im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ausdrücklich vorgesehen ist. Nachdem der Kläger teilweise Heilbehandlungen für die Vergangenheit begehrt, kommt anstelle des ursprünglichen Sachleistungsanspruchs nur ein an dessen Stelle getretener Erstattungsanspruch in Betracht. Insoweit verfolgt der Kläger mit seinem Rechtsschutzbegehren für die Vergangenheit einen sekundären Zahlungsanspruch. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation findet dabei allein unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) statt; diese Vorschrift ist in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anwendbar (BSG, Urteil vom 20.03.2007, B 2 U 38/05 R, juris). Unabhängig von den weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V ist dieser sekundäre Zahlungsanspruch notwendig abhängig von dem grundsätzlichen Bestehen eines Sachleistungsanspruchs. Ein Zahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn die Beklagte durch eine Rechtsnorm ermächtigt wäre, die begehrten Leistungen in Form einer Dienst-, Sach- oder Geldleistung zu erbringen.

Der Kläger hat trotz gerichtlichen Hinweises bis zum heutigen Tag ihm entstandene Kosten (eigentlich Erstattungsansprüche) wegen in der Vergangenheit erfolgter Heilbehandlung nicht beziffert und erst recht nicht mit entsprechenden Rechnungen etc. belegt. Damit vermag sich der Senat schon nicht davon zu überzeugen, dass dem Kläger in der Vergangenheit für die Heilbehandlung von Unfallfolgen Kosten entstanden sind, deren Erstattung vorliegend noch zu prüfen wäre. Der Klage kann daher, soweit sie auf Heilbehandlung für die Vergangenheit gerichtet ist, kein Erfolg zukommen.

Die auf die Gewährung von Heilbehandlung für die Zukunft gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist dagegen auch begründet. Beim Kläger besteht weiterhin das Erfordernis von Heilbehandlung - in Betracht kommt eine Hörgeräteversorgung -, so übereinstimmend Prof. Dr. Br. und Prof. Dr. S ... Wie bereits dargelegt ist die mittelgradige Schwerhörigkeit mit Tinnitus links Folge des Arbeitsunfalls vom 17.03.2014, weshalb auch die hierfür begehrte Heilbehandlung in Folge des Eintritts eines Versicherungsfalls erforderlich geworden ist.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil insoweit abzuändern, als darin auch eine Verpflichtung der Beklagten, Heilbehandlung (richtigerweise Erstattung) für die Vergangenheit zu gewähren, ausgesprochen worden ist und die Klage insoweit abzuweisen; im Übrigen war aber die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung der Beklagten nur zu einem geringeren Teil erfolgreich war.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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